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SCHEINWERFERKINDER

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Verhängnis

 

 

Alexandria Emilia Rawa

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

 

Kamila // München // 18. Mai 2013

 

„Rico! Ich habe ja nicht mehr dran geglaubt.“, rufe ich überrascht aus, als ich ihn tatsächlich vor meiner Suitentür stehen sehe.

 

Es ist mittlerweile schon nach 23 Uhr nachts und er hatte auf meine SMS nicht geantwortet. Da konnte ich natürlich schlecht die Tür angelehnt lassen. Aber jetzt steht er auf einmal doch da, und mein Herz schlägt gerade noch viel schneller, als wenn wir uns im Vornherein verabreden. Ich hasse zwar Überraschungen, aber die hier ist ganz okay. Könnte ich auch öfter haben.

 

„Sorry, ich hab nach dem Spiel erstmal gepennt.“, sagt er und lächelt entschuldigend.

 

„Na egal, jetzt bist du ja da.“ – Ich bin wirklich kein bisschen sauer, aber selbst wenn ich es wäre, würde es spätestens jetzt verfliegen. Sein Lächeln bereitet mir sofort weiche Knie und dieses furchtbare Kribbeln im Bauch, und im Herzen. Eigentlich überall.

 

„Hast du das Spiel gesehen?“, fragt er, während er reinkommt. Mir fällt auf, dass er leicht hinkt, und er sieht auch sonst irgendwie müde und abgekämpft aus.

 

„Ja, aber ich hab gar nicht gesehen, dass du dich verletzt hast?“

 

„Ach, das Knieproblem hab ich schon länger.“, winkt er ab. „Das sind halt die Nachteile einer Sportlerkarriere. Lange Geschichte.“

 

„Okay.“

 

Ich trete zu ihm heran und lege meine Hände in seinen Nacken. Eine ganz zarte Note seines Geruchs treibt zu mir herüber und ich falle innerlich in Ohnmacht, muss mich ernsthaft zusammenreißen, um nicht laut aufzuseufzen, weil der Duft so unerträglich herrlich ist. Ich spüre seine Hände an meiner Taille und seine Beine und sein Becken, als er mich nur ganz leicht heranzieht und mich auf meine lächelnden Lippen küsst. Es ist nur ein ganz weicher Begrüßungskuss, aber selbst der lässt mich sofort alles um mich herum vergessen. Ich kann nicht aufhören zu lächeln, selbst als wir uns wieder lösen.

 

„Ich würde ja sagen, das tut mir Leid für euch wegen des Spiels, aber ich denke, das willst du gerade auch nicht hören, oder?“, frage ich.

 

„Ne.“, schüttelt er den Kopf. „Ich bin froh, wenn ich nicht mehr daran denken muss. Bei mir zuhause sind schon alle so gut drauf, dass es ekelhaft ist. Ich musste da einfach raus.“

 

Ich schaue ihn an und alles in mir drin feiert. So etwas habe ich noch nie gefühlt. Das war eben das schönste und beste und Gänsehaut-machendste Kompliment, das er mir hätte machen können. Dass ich hübsch und dünn und talentiert bin, weiß ich selber. Für den Rest gibt es Kreditkarten. Aber, dass Rico um 23 Uhr nachts von zuhause abhaut, um zu mir zu kommen, das ist un-fucking-bezahlbar.

Ich küsse ihn nochmal und nochmal. Dann taste ich nach seiner Hand und meine Finger gleiten automatisch zwischen seine.

 

„Komm, wir lassen uns Roomservice kommen und dann spielen wir ein cooles Spiel.“, beschließe ich und führe ihn in den Wohnbereich der Suite, der schon so vertraut ist, als wäre er unser eigenes Wohnzimmer.

 

Ich höre Rico leise auflachen.

 

„Also, ich meinte nicht so ein Spiel!“, verbessere ich mich sofort und spüre, wie mein Kopf knallheiß wird und ich erröte.

 

„Ich meine ein richtiges Spiel-Spiel. Also, jetzt nicht Monopoly oder so. Ich hasse Monopoly. Weißt du, was ich daran am meisten hasse? Wenn da einer mit dir spielt, der einfach, egal wo er drauf kommt, immer jede verfickte Straße kauft. So völlig ohne Sinn. Das ist doch komplett...“ – Ich breche ab, weil ich mich gerade um Kopf und Kragen rede.

 

Oh Mann, wie peinlich ist das denn? Ich bin nüchtern, aber trotzdem dreht sich alles in mir drin. Rico gluckst weiter, sichtlich bespaßt.

 

„Ich meine das ernst!“, empöre ich mich gespielt und und fahre mir leicht unangenehm berührt durch die Haare, muss aber auch dabei grinsen. „Du wirst gleich sehen, was ich meine. Aber erstmal ordere ich uns was zu trinken. Du hast die Wahl zwischen... Alexander oder Alexander.“

 

*

 

„Ich habe noch nie...“, beginne ich und dehne das ‚nie’ lange und nachdenklich aus. „Oh, ich weiß! An einer Fußball-WM teilgenommen!“

 

„Ich auch nicht!“, beteuert Rico. „Also, zumindest an keiner richtigen. Nur unter einundzwanzig, aber das...“

 

„Punkt für mich! Ausziehen!“

 

„Oh Mann, das ist unfair!“, protestiert er. „Du hast ja viel mehr zum Ausziehen als ich.“

 

„Deine Mutter hat mehr zum Ausziehen als ich!“, lache ich und nehme noch einen Schluck von meinem dritten Alexander, während ich ihm unverhohlen dabei zuschaue, wie er sich sein T-Shirt über den Kopf streift.

 

Ich liebe dieses Spiel. Wir saufen und hauen uns abwechselnd Dinge um die Ohren, die wir noch nie getan haben. Und jedes Mal wenn der andere in einer Sache weniger unschuldig ist, muss derjenige ein Kleidungsstück ausziehen. Von sich selbst natürlich. ‚Uneigennützig’ ist auch nicht mein zweiter Vorname, nicht wahr?

 

Rico trägt gerade nur noch seine Boxershorts und ich bade in seinem Anblick. Das einzige Licht im Raum kommt von einer goldorange-leuchtenden Tischlampe und es schmeichelt seinen Zügen so sehr, dass es wehtut.

Ich hingegen fläze noch hoch vergnügt mit BH, Slip und Strumpfhose bekleidet auf meiner Chaise Longue. Ich habe einfach steif und fest behauptet, es stünde so in den Regeln, dass ein Ring am Finger einem Kleidungsstück gleich kommt. Davon trug ich per Zufall fünf.

 

Ich glaube, das Spiel lenkt uns gut ab. Er hat mir vorhin noch von seinem Knie erzählt und davon, dass er beim Spiel gedopt war. Mit meinem Schnee. Glücklich hat er dabei allerdings nicht ausgesehen, und das schlechte Gewissen hat mir natürlich eine schmerzhafte Ohrfeige verpasst. Jetzt gerade scheint Rico aber wieder okay zu sein.

 

„Okay, okay, dann bin ich wieder dran.“, sagt er. „Ich habe noch nie auf meine Mutter geflucht.“

 

Ich reiße die Augen auf und schaue ihn verblüfft an. „Noch nie?!“

 

„Noch nie.“

 

„Boah, Pfister. Du Langweiler...“, seufze ich augenrollend. „Dabei sind Mutterwitze so gut! Die gehen immer. Genau wie Videos von Katzen nach einer Vollnarkose.“

 

Ich grinse und rolle mir dann ganz langsam die Strumpfhose von den Beinen und lasse sie in irgendeine Ecke segeln.

Meine Gedanken sind dabei die ganze Zeit bei Rico, und als ich kurz zur Seite schiele, sehe ich, wie er mich fixiert. Er sitzt in seinem Sessel wie ein Halbgott, dekadent mit dem Cocktailglas in der Hand, aber seine Blicke sind eindeutig. Eindeutig zweideutig, wie die gesamte Spielerunde schon. Alles, wirklich alles, was wir tun oder sagen, dient nunmehr nur noch zum Triezen voneinander. Es ist wie ein Spiel im Spiel. Und es lässt die Luft zwischen uns so knistern, dass es fast auf der Haut prickelt.

 

„Wenn wir schon beim Thema sind...“, spreche ich dann weiter. „Dann sage ich jetzt Folgendes: Ich habe noch nie meine Mutter kennengelernt.“

 

„Wie?“, wundert sich Rico.

 

„Na, einfach so. Sie ist abgehauen, da war ich eins oder zwei.“, entgegne ich schulterzuckend. „Deswegen fluche ich übrigens auch auf sie.“

 

„Krass. Das tut mir Leid.“

 

„Muss es nicht. Sie ist selbst dran schuld was sie verpasst. Ich weiß zwar nicht, wo sie jetzt wohnt, aber ich hoffe sie sieht mich in den ganzen Hochglanzmagazinen und grämt sich zu Tode.“, antworte ich. „Und jetzt ausziehen!“

 

Rico schnalzt unzufrieden mit der Zunge und schaut an sich herunter, scheint zu überlegen. Ich lasse ihn keine Sekunde lang aus den Augen, beobachte das Spiel der Muskeln unter seiner Haut, die hervortretenden Adern. Und wieder mal ärgert es mich, dass es kein explizites deutsches Wort für das englische apodyopsis gibt. Warum zur Höllenocheins denn bitte nicht?! Wenn du, leicht angetrunken, mitten in der Nacht Rico auf dem Sessel vor dir sitzen hast, dann willst du gottverdammt nichts mehr, als in apodyopsis zu ertrinken. Liebe Germanisten, ihr Hundesöhne, ich fühle mich durch das Fehlen dieses Ausdrucks in meinen Empfindungen eingeschränkt!

 

Dann reißt Rico mich aus meinen Gedanken, denn er fasst sich in den Nacken und löst seine Silberkette mit dem Ehering vom Hals.

 

„Ich gehe mal davon aus, dass das auch gilt?“, fragt er und verstaut die Kette sogleich in einer Tasche seiner Jeans, die am Boden liegt.

 

Die Szene zieht an mir vorbei wie in Zeitlupe. Mein Herzschlag verlangsamt sich, als hätte ich das Bewusstsein verloren, nur um wenige Sekunden später wieder von Null auf Hundert zu beschleunigen. Ich bin atemlos. Es ist die reinste Achterbahn, und der Alkohol tut sein Übriges. Ich schwinge meine Beine von der Chaise Longue, exe meinen Cocktail. Ich bin voll mit Serotonin und Adrenalin und Gedanken an Rico, und ich muss mich ehrlich beherrschen, ihn nicht gleich anzuspringen. Aber eine Sache will ich noch tun. Ich greife zu meinem Handy. Nur noch ein paar Prozent Akku. Verdammt, aber whatever, muss jetzt halt reichen.

 

„Was machst du?“, fragt Rico.

 

„Ich will noch schnell ein Selfie auf Instagram posten.“, entgegne ich trocken und kichere.

 

„Relax, das war Spaß!“, lache ich, als ich sehe, wie Ricos Augen erschrocken aufflackern. „Ich mach Musik an, wenn’s okay ist?“

 

„Klar.“, antwortet er und grient erleichtert. „Aber keine Schlager.“

 

Ich stecke das Kabel von meinen Boxen in mein iPhone, schaue Rico unaufhörlich an. Meine ‚Dirty Punkrock’-Playlist erklingt. Er nickt anerkennend. Drei Schritte später bin ich bei ihm, setze mich mit auf den breiten Sessel, halb auf seinen Schoß, aber bemüht darum, sein rechtes Knie zu schonen.

 

„Ich hab’ das Spiel übrigens gewonnen...“, raune ich ihm zu, und meine Stimme bebt ein kleines bisschen, weil ich auf genau diesen Moment hingefiebert habe wie eine Pubertierende.

 

Ich greife in seine weichen, braunen Haare und küsse seinen halb offen stehenden Mund. Meins, alles meins. Zugegeben, ich hatte mich schon an diese Kette gewöhnt, aber jetzt spüre ich, dass zum allerersten Mal diese letzte kleine Grenze zwischen uns weg ist.

 

Ich seufze in den Kuss hinein, als er mich ganz langsam mit Zunge zurückküsst. Er schmeckt nach sahniger Schokolade und Alkohol im Abgang, genau wie ein guter Alexander. Oh mein Gott, es macht süchtig. Irgendwann habe ich mir mal die Frage gestellt, wie Rico schmecken würde, wenn er ein Cocktail wäre, und jetzt habe ich die Antwort. Rico ist ein Alexander. Der perfekteste Cocktail der Welt. Warum merke ich das erst jetzt?

 

Unsere Küsse werden schneller, begieriger. Wir haben die letzte Stunde lang in einem spielerischen nonverbalen Dialog gestanden, und jetzt entlädt sich das körperlich. Endlich.

 

Rico lässt meinen BH wegfliegen und ich strecke mich durch wie eine Katze, als er anfängt, mein Dekolletee und meine Brust zu küssen. Seine Hände greifen fest in meinen Po, und ich erschaudere unter kleinen Hitze- und Lustwellen. Ich weiß nicht mehr wohin mit meinen eigenen Händen, weil seine mich so verrückt machen. Ich bin weich wie Butter und kralle mich in seine Schultern, keuche rau auf, weil in dem Moment seine Finger in meinen Schritt gleiten. Augenblicklich will ich meine Beine weiter spreizen, aber meine Knie stoßen bloß gegen Lehnen des blöden Sessels. Mir entgleitet ein frustriertes Knurren, gemischt mit einem erregten Seufzer. Ich rutsche auf Ricos Hand hin und her, aber es ist nicht optimal, und ich kann nicht warten. Ich bin hungrig und verdammt ungeduldig, und ja, geil.

 

„Lass uns aufs Bett...“, wispere ich zwischen zwei Atemzügen, hebe mein Becken von seinem und klettere etwas ungelenk runter, weil meine Beine schon wieder ganz weich sind.

 

Auf dem Weg ins Paradies, auf dieses riesige, weiche Bett, drehe ich mich spielerisch zu Rico um, fange seinen dunklen Blick im Dimmlicht ein. Apodyopsis. Er beschert mir Gänsehaut. Dann hake ich meine Daumen in die Seiten meines Höschens und streife es einfach von mir, ohne zu blinzeln. Rico spielt mit, hält tapfer meinen Blick, obwohl er dabei schon dreckig grinst. Mein Puls schießt in ungeahnte Höhen, als er sich nun seine Boxershorts von den schmalen Hüften schiebt. Und diesmal verliere ich. Herrgott im Himmel, ist mir doch gerade echt scheißegal, aber ich muss ihn ansehen. Anglotzen, von oben bis unten.

 

Mit einer energischen Bewegung schlage ich die Tages- und Bettdecken zur Seite, lasse mich auf die King-Size-Matratze fallen. Im Hintergrund höre ich atmosphärische Bassgitarren vibrieren, genau so, wie in meinem Inneren schon alles vor Erwartung bebt. Aus dem Augenwinkel sehe ich den Mond in die Suite scheinen.

 

Mit dem nächsten Wimpernschlag ist Rico da. Ich muss die Augen schließen, um besser zu spüren, wie sein heißer Körper sich an meinen schmiegt, unsere Beine teilweise über- und ineinander verwunden. Keine Ahnung, ich kann nicht mehr denken. Wir wälzen uns herum, und ich fühle nur noch seine Küsse, seine warme Zunge an meinen Lippen, meinem Hals, und sein Glied an meinem Oberschenkel.

 

Es ist eigentlich nicht mehr feierlich, was es mit mir anstellt, hier einen nackten Mann liegen zu haben. Nur mein Herz meldet etwas anderes. Es schlägt mir bis zum Hals, unregelmäßig und aufgeregt und vorfreudig und... Alles geht so schnell. Als ich meine Lider hebe, um vielleicht begreifen zu können, was passiert, ist Rico alles, was ich sehe, und alles, was ich sehen muss.