Cover

WER BRAUCHT SCHON
GUTES PERSONAL?

Christian Henrici

WER BRAUCHT SCHON

GUTES PERSONAL?

Erfolgreich Führen in der Zahnarztpraxis

Berlin, Chicago, Tokio, Barcelona, Istanbul, London, Mailand, Moskau,
Neu-Delhi, Paris, Peking, Prag, São Paulo, Seoul, Singapur und Warschau

Inhalt

Statt einer Einführung

Noch ein Ratgeber? Oh weh!

Kapitel 1 Herausforderung Zahnarztberuf

„Als das Wünschen noch geholfen hat” – Eskapismus im Haifischbecken

Kapitel 2 Gefahrenpotenzial Gleichgültigkeit

„Der Lauscher an der Wand” oder: Start mit unerwarteten Einblicken

Nur zufriedene Mitarbeiter schaffen zufriedene Patienten!

Kapitel 3 Schlechtes Betriebsklima und autoritärer Führungsstil

„Das haben wir schon immer so gemacht” – Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit

Kapitel 4 Teamsitzungen und Gesprächsführung

„Gut, dass wir darüber gesprochen haben!” – Miteinander statt übereinander reden

Kapitel 5 Kontrolle und Vertrauen

„Der Chef traut uns doch sowieso nichts zu!” – Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

Die taktische und strategische Ausrichtung von Anreizsystemen

Erfolgsfaktoren für die Implementierung

Im Vorfeld definierte Ziele

Regelmäßiges Feedback ist unerlässlich

Kapitel 6 Motivation und Anreizsysteme

„Wer mit Peanuts bezahlt, wird von Affen bedient” – Leistung, die sich für alle Beteiligten lohnt

Grundbedürfnisse am Arbeitsplatz nach dem Herzberg-Modell

Das richtige Gleichgewicht bringt die Zufriedenheit

Bonus für gute Leistung und positives Verhalten

Gute Umsatzzahlen sind nicht alles

Belohnungsgerechtigkeit richtig einschätzen

Nicht-monetäre Anreize mehr gewichten

Mitarbeitern die Wahl lassen – das „Cafeteria-Modell”

Kapitel 7 A-B-C-Mitarbeiter

Mitarbeiter oder Mitläufer? – Das Praxispersonal als Basis für den Erfolg

Gutes Personal ist ein Aushängeschild

Augen auf bei der Personalauswahl

C-Mitarbeiter sind nicht tragbar

B-Mitarbeiter motivieren und Potentiale finden

A-Mitarbeiter langfristig binden und fördern

Kapitel 8 Voraussetzungen „Leistungsgerechte Entlohnung”

Sorgfalt ist Alles – und ohne Sorgfalt ist alles nichts

Gut geplant ist halb gewonnen

Kapitel 9 Zieldefinition

Guter Wille mit System – überprüfbare Ziele festlegen

Zahlen nutzen anstatt Phrasen dreschen

Der Weg allein ist nicht das Ziel

Papier ist mehr als geduldig

Ziele „SMART” formulieren

Nehmen wir einmal als Beispiel:

Kapitel 10 Neigungen nutzen und richtig loben

Kleine Dramen mit Happy End – sechs Monate später

Mental beweglich bleiben

Ohne Fleiß kein Preis

Flexible Selbstbilder fördern

Die richtige Sorte Zuckerbrot

Kapitel 11 Zeitmanagement und Work-Life-Balance

„Arbeiten, um zu leben, nicht leben, um zu arbeiten” – Zeitmanagement und Work-Life-Balance

Innehalten bevor es zu spät ist

Oasen schaffen durch Zeitmanagement

Ballast abwerfen durch geteilte Verantwortung

Was Tom Sawyer schon wusste

Was ist Ihnen Ihr Seelenfrieden wert?

Analyse anstatt Scheuklappen

Kapitel 12 Recruiting

Gelungene Übernahme – drei Jahre später

Besondere Mitarbeiter erfordern besondere Maßnahmen

Ungewöhnliche Wege führen zum Ziel

Genauer hinsehen lohnt sich

Statt eines Nachworts

Ende gut. Alles gut?

Über den Autor

Statt einer Einführung

Noch ein Ratgeber? Oh weh!

Mit gut gemeinten Ratschlägen ist das so eine Sache – entweder sie kommen zu spät, oder ausgesprochen ungelegen. In der Regel wissen die meisten von uns schon, dass in einer Situation dringend Handlungsbedarf besteht, bevor die ersten Ratgeber uns mit ihren Weisheiten beglücken – und ehrlich gesagt: Auf den berühmten „Finger in der Wunde” legt doch niemand gesteigerten Wert.

Warum also zu der Flut von guten Ratschlägen in gebundener Form – über Frauen, die nicht einparken können, Männer, die nie zuhören und Menschen, die nur ein Viertel ihres Gehirns nutzen – noch ein weiteres Buch in die Ratgeber-Ecke einsortieren? Ganz einfach, weil auch für Sachbücher mit beratendem Charakter gilt: „Der Ton macht die Musik.” Die Erfahrung als Autor zeigt: Literarische Hilfe ist durchaus willkommen, wenn sie echte, praxisorientierte Vorschläge liefert und auf Phrasendrescherei verzichtet. Das Buch in Ihren Händen ist sicher nicht das erste, das jemals über Personalführung für die Zahnarztpraxis geschrieben wurde, aber vielleicht eines, das Sie auch zu Ende lesen werden. Warum das so ist? Denken Sie mal an Ihre Schulzeit zurück – sicher hatten auch Sie den einen oder anderen Lieblingslehrer, der selbst die trockenste Materie so interessant vermitteln konnte, dass sie sich für das ganze Leben in Ihrem Gedächtnis eingeprägt hat. Und dabei handelte es sich meist um einen Lehrstoff, der extrem wichtig war, um das „große Ganze” zu erreichen.

Auch in der Zahnarztpraxis gewinnen Themen, die nicht unbedingt zu Ihren „Lieblingsfächern” gehören, immer mehr an Bedeutung. Personal zu fördern, nach persönlichen Stärken einzusetzen und zu motivieren, ist eines davon. Denn der Druck auf die deutschen Zahnmediziner nimmt zu: Neue gesetzliche Rahmenbedingungen, zunehmender Wettbewerb und steigende Fixkosten gehören zu den neuen Herausforderungen. Auch die Selbstwahrnehmung der Patienten hat sich verändert. Mit dem steigenden Anteil an Eigenleistungen, den Patienten aus eigener Tasche zahlen müssen, begreifen sich diese mehr und mehr als „Kunden” und erwarten von ihrem Zahnarzt, dass er „als Dienstleister” optimale Leistungen erbringt und „attraktive Angebote” bietet. Wer diesen Trend ernst nimmt, ist auf Mitarbeiter angewiesen, die sich mit dem Praxisziel identifizieren und gegenüber den Patienten so kunden- und serviceorientiert auftreten, wie beispielsweise Personal im Hotelgewerbe.

Besonders für junge Zahnärzte, die sich in der Gründungsphase einer eigenen Praxis befinden, oder gerade erst niedergelassen haben, ist der tägliche Spagat zwischen zahnmedizinischem Praxisalltag und Unternehmertum eine große Herausforderung. Hinzu kommt: Die Praxisstruktur in Deutschland ändert sich zunehmend. Der Anteil an Frauen, die als Zahnärztinnen Karriere machen und gleichzeitig ihren Beruf mit der Familienplanung in Einklang bringen möchten, steigt stetig. Der Trend geht in Richtung Gemeinschaftspraxis, flexiblere Arbeitszeiten und Verantwortungsteilung. Doch ganz gleich, welche Praxisform gewählt wird und wie viele Zahnärzte und -ärztinnen sich zusammentun, ein Erfolgsfaktor, der sich nie ändert, ist die Qualität und Leistungsbereitschaft des Personals. Das Prinzip der „leistungsgerechten Entlohnung” kann ein Weg sein, um aus Mitläufern Mitarbeiter zu machen. Doch dies in den Praxisalltag zu integrieren, ist alles andere als einfach. Die Erfahrung zeigt jedoch: „Wer wagt, gewinnt” und die Mühe lohnt sich langfristig auf jeden Fall.

Wenn Sie sich jetzt fragen, wo Sie zwischen Behandlungsstuhl und Steuererklärung noch die Zeit finden sollen, um Vorlesungen in Psychologie und Marketing zu belegen, dann rufen Sie sich wieder besagten Lehrer ins Gedächtnis, der Ihnen Algebra oder Chemie nahegebracht hat. War es nicht vielleicht so, dass er Ihnen das notwendige Wissen in Form von Geschichten verständlich gemacht hat, die die „tote Materie” mit Leben gefüllt und einen Bezug zur Praxis hergestellt haben? Keiner mag Belehrungen, aber jeder liebt Geschichten. Und je besser man die Protagonisten kennt, desto leichter ist der Zugang zur Botschaft. Sie haben keine Lust auf Thesen, Statistiken und Theorie? Dann haben Sie schon etwas gemeinsam mit dem Helden der nachfolgenden Geschichte, die wir Ihnen erzählen möchten. Auch für ihn ist das Thema Personalführung zunächst vor allen Dingen ein Abenteuer. Und da wir Geschichten, aber keine Märchen erzählen, wird auch nicht automatisch alles gut. Dieses Buch liefert keine Zauberformeln und Sie haben auch nicht drei Wünsche frei. Dafür öffnet es die Türen zu einer Zahnarztpraxis, die Ihnen möglicherweise bekannt vorkommt – genauso wie der ein oder andere Arzt, Helferin oder Praxismanagerin, die Ihnen in den Kapiteln begegnen. Hier stehen erfundene Figuren vor lebensechten Herausforderungen. Wenn Sie das ermutigt, in der Mitarbeitermotivation Ihre eigenen Wege zu gehen, hat die Geschichte für alle ein Happy End.

Der Autor

1

„Als das Wünschen noch geholfen hat” – Eskapismus im Haifischbecken

„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.”

(Aus China)

Was?!” Dr. Rudi Degen schreckt aus seinen Gedanken hoch, weil ein Lufthauch unerwartet sein Gesicht streift. Seine Augen folgen einem Blatt Papier, das wie ein Segel im Wind vor seinem Konterfei hin und her flattert. Erst jetzt nimmt er wahr, dass zwei Hände das vermeintliche Großsegel schwenken – genau genommen gehören die Hände seiner Praxishelferin Susi, was unschwer an den magentafarbenen Fingernägeln zu erkennen ist. Die Blondine steht vor seinem Schreibtisch und wippt ungeduldig auf den Füßen vor und zurück. Sein Blick wandert zögerlich nach oben. Sie scheint irgendetwas zu sagen. Der Zahnarzt starrt auf die Überdosis Pink auf ihren Lippen und schnappt dabei nur die Worte „angeklopft” und „Unterschrift” auf. Er schüttelt sich kurz, als hätte er Wasser in den Ohren und fragt dann nach einem Räuspern: „Was genau ist das, Fräulein Susi?” „Handwerkerrechnung”, antwortet Susi in schnarrendem Tonfall. Der Zahnarzt dreht sich in seinem Bürostuhl abrupt in ihre Richtung und stößt dabei gegen die Tischkante. Ein Stapel aus Patientenakten, Produktbroschüren sowie Heil- und Kostenplänen gerät gefährlichins Wanken, doch Dr. Degen verhindert mit einem reflexartigen Griff den Einsturz. „Könnten Sie mir freundlicherweise in ganzen Sätzen antworten?”, entgegnet er seiner Praxishelferin gereizt. Susi rollt mit den Augen und atmet hörbar aus.

In die Stille hinein klingelt draußen an der Anmeldung zum gefühlt sechzigsten Mal in der letzten halben Stunde das Telefon. „Tut mir leid, Doktor keine Zeit”, vernimmt er die Stimme seiner Helferin Gülay durch die Tür. Den Rest der Konversation verschluckt eine Welle von hämmernden Geräuschen aus der Teeküche. Ein Klempner fräst dort gerade die Wand auf – er sucht nach einer undichten Stelle in einem Rohr, das den Aufenthaltsraum des Personals vor drei Tagen in einen Wasserspielplatz verwandelt hat. Dr. Degen zählt stumm von zehn auf null bis der Lärm verstummt. „Morgen Nachmittag leider kein Termin mehr frei”, flötet Gülay höflich aber bestimmt in den Hörer. Dr. Degen seufzt: „Sie macht das ja eigentlich schon ganz gut”, beruhigt er sich innerlich. Normalerweise ist Gülay nämlich gar nicht für die Anmeldung zuständig, da aber Gabi, seine Fachkraft für den Empfangsbereich, zum wiederholten Male an einem Freitag auf mysteriöse Weise erkrankt ist, sind ihm die Alternativen ausgegangen. „Was soll ich denn jetzt damit machen?”, meldet sich Susi mit einem Augenaufschlag wieder zu Wort. Als sie den fragenden Blick ihres Chefs bemerkt, ergänzt sie schnell: „Ich meine, mit der Handwerkerrechnung wegen des Wasserrohrbruchs?” Diesmal schwenkt sie das Papier wie einen Fächer. „Bin ich denn für alles zuständig!? Warum legen Sie die nicht einfach in den Ablagekorb von Frau Redlich?”, entgegnet Dr. Degen konsterniert. In diesem Moment fällt ihm auf, dass er seine Praxismanagerin, die ihn an zwei Tagen in der Woche bei der Buchhaltung unterstützt, heute noch gar nicht gesehen hat. „Die Redlich hat heute einen Urlaubstag, weil Sie die letzten zwei Wochen für Gabi am Empfang eingesprungen ist. Haben Sie das etwa vergessen?”, antwortet Susi mit leicht vorwurfsvollem Tonfall. Langsam erinnert sich Dr. Degen an den Urlaubsantrag von Frau Redlich, den er zwischen einer Kunststofffüllung und einer Zahnfarbnahme genehmigt hat. Plötzlich hört er ein Klopfen und sieht, wie Gülay zögerlich ihren Kopf durch den Türspalt schiebt. „Doktor”, setze sie an, „Frau Müller schon wieder nicht zu Termin gekommen” Dem Zahnarzt fällt es schwer, seinen Unmut darüber vor seiner Mitarbeiterin zu verbergen: „Schon das vierte Mal im letzten halben Jahr!”, flucht er leise vor sich hin. In seiner Nachmittagsplanung klafft nun wieder einmal ein Loch, wodurch der Praxis zum wiederholten Male bares Geld verloren geht. „Zumindest kann ich mich jetzt in Ruhe auf den Patienten mit der Wurzelkanalbehandlung vorbereiten”, versucht er sich zu trösten. Susi räuspert sich, um sich bemerkbar zu machen und Gülays fragendes Gesicht ist ebenfalls noch nicht aus dem Türspalt verschwunden. Draußen klingelt wieder das Telefon. Ein Patient schaut durch die Tür und fragt, warum der Empfang nicht besetzt ist. Dr. Degen verspürt das dringende Bedürfnis, allein zu sein. Einfach nur Zahnarzt sein, ohne Papierkram, personelle Engpässe, unmotivierte Mitarbeiter und unzuverlässige Patienten. „Danke Gülay, ich sehe später in das Terminbuch”, sagt er matt. „Kümmern Sie sich um den Empfang.” Mit einer fahrigen Bewegung zeigt er gleichzeitig auf das Blatt Papier in Susis Hand. „Das können Sie bei mir lassen”, fügt er gereizt hinzu. Während Susi im Eiltempo das Zimmer verlässt, beginnt in der Teeküche der nächste Satz der Presslufthammersinfonie. Dr. Degen hat das Gefühl, dass das Dröhnen in seinem Schädel widerhallt. Er hält die Luft an bis der Lärm endet. Stille. Mit der flachen Hand streicht er sich über die müden Augen, stützt schließlich seine Stirn auf die geballte Faust und versucht einen klaren Gedanken zu fassen. Als er den Kopf hebt, bleibt sein Blick an einem gerahmten Foto hängen, das auf der linken Seite des Aktenschranks Staub ansetzt. Der Messingrahmen glänzt nicht mehr, aber die Zeit, aus der es stammt, schillert in seiner Erinnerung in den rosigsten Farben. Er streckt sich nach dem Bild, greift danach und blickt gedankenverloren auf die inzwischen leicht gewellte Fotografie. Ein junger Mann im weißen Arztkittel lächelt ihn stolz an. In seiner rechten Hand hält er einen Schraubenzieher, mit dem er kurz zuvor das Schild für seine erste eigene Praxis neben der Eingangstür festgeschraubt hat. War das wirklich er? Er sah damals so zuversichtlich aus, und irgendwie so, als könne ihn nichts erschüttern. Das ist jetzt über dreißig Jahre her. Kaum zu glauben. „Damals war alles besser”, denkt er bei sich, „damals hatte ich noch Grund, optimistisch zu sein: Kein überflüssiger Admin-Kram, keine Hygienepläne, keine Konkurrenz aus dem Ausland. Dafür klare Hierarchien im Praxisteam und Patienten, denen man noch sagen konnte, was gut für sie ist. Außerdem waren die zahnmedizinischen Leistungen noch etwas wert! Jetzt höre ich mich schon an wie meine Tante Gerlinde, die ständig der guten alten Zeit nachtrauert”, ermahnt er sich innerlich, während er an einem Bleistift kaut. Heute, am Ende seiner beruflichen Laufbahn, fühlt er sich müde und erschöpft angesichts des täglichen Kleinkriegs mit Erstattungsstellen, Patienten und vor allem seinen Mitarbeitern. Eigentlich sollte sein Personal ihn doch unterstützen und ihm nicht den letzten Nerv rauben. Wie gut, dass es nicht mehr lange bis zum wohlverdienten Ruhestand ist.

Zum Glück hat Dr. Degen auch bereits einen jungen Kollegen gefunden, der bereit ist, die Praxis zu übernehmen – Dr. Felix Sommer, frisch von der Uni und voller Tatendrang. Zunächst muss er seinen Nachfolger in spe aber erst einmal einarbeiten – fast wie damals, als sein Vorgänger ihn selbst auf den Start ins Berufsleben vorbereitet hat – mit dem Unterschied, dass Dr. Sommer gleich mit einem Sprung ins kalte Wasser beginnen würde. „Armer Tropf”, bedauert ihn Dr. Degen insgeheim. Er lehnt sich zurück und atmet tief durch. „Andererseits denken die jungen Kollegen sowieso immer, sie wissen alles besser. Er wird sich die Zähne schon ausbeißen”, schmunzelt der Praxischef verschmitzt in sich hinein. „Vielleicht hat der ‚Neue’ aber auch tatsächlich ein paar gute Ideen. Eine Chance muss man ihm geben”, murmelt er und nestelt das oberste Blatt vom Papierstapel auf seinem Schreibtisch…

Soweit der Anfang der Geschichte. Zugegeben, ihre Inhalte sind frei erfunden und ein wenig überspitzt. Sie soll niemanden an den Pranger stellen und erst recht nicht verspotten, sondern nur ein wenig zum Nachdenken und zur Selbstreflektion anregen – stets mit einem Augenzwinkern, versteht sich. Vielleicht mussten Sie ja bereits an der einen oder anderen Stelle schmunzeln und haben insgeheim bei sich gedacht: „Das ist ja fast wie bei uns in der Praxis.” Wundern würde mich das nicht, denn sind wir ehrlich: Der Praxisalltag liefert doch die besten Anekdoten. Manchmal sind sie eher belastend, oft aber auch amüsant, gelegentlich etwas skurril, nicht selten banal, aber immer einzigartig. Es „menschelt” eben überall. Die große Herausforderung für Sie als Zahnarzt und Praxisinhaber ist es, damit umzugehen und Ihr „Unternehmen” trotz allem auf Erfolgskurs zu halten. Hinzu kommen äußere Rahmenbedingungen, wie politische und gesetzliche Veränderungen, neue Regelungen und Vorschriften, zunehmender Wettbewerbsdruck, steigende Fixkosten und unzureichende Honorierungssysteme, die Ihnen diese Aufgabe nicht gerade leichter machen. Die Zeiten sind zweifellos härter geworden und der Arbeitsalltag wird zur täglichen Belastungsprobe – sowohl für junge Zahnärzte als auch für erfahrene Kollegen. Vieles hat sich geändert im Vergleich zu früher – den „guten alten Zeiten”. Aber waren diese Zeiten wirklich gut? In wirtschaftlicher Hinsicht sicher. Denn vor 30 Jahren waren zahnärztliche Leistungen noch etwas wert, der zahnärztliche Beruf ein Garant für Wohlstand und Anerkennung bis ins hohe Alter. Es gab keine Konkurrenz aus dem Ausland, die Patienten waren zufrieden mit den Leistungen und die Mitarbeiter taten das, was der Chef ihnen sagte – ohne wenn und aber. Um Qualitätsmanagement und Praxiskennzahlen scherte sich niemand. Und die Frage, ob die Zahnarzthelferin zufrieden mit ihrem Gehalt und ihrem Verantwortungsbereich ist, stellte sich einfach nicht. Sie hatte zufrieden zu sein. Punkt. „Wo komme ich denn hin, wenn ich mich bei jedem schlecht gelaunten Gesichtsausdruck einer Helferin frage, was ich tun kann, um das zu ändern?” So argumentieren manche „Praxis-Patriarchen” auch heute noch. Die Idee, dass Arbeit Freude machen kann und soll, und dass davon nicht nur der Einzelne, sondern auch die gesamte Zahnarztpraxis und die Patienten profitieren, ist ihnen fremd. Bei anderen Kollegen hat bereits ein Umdenken stattgefunden. Sie haben gemerkt, dass eine neue Art von Zahnarztpersönlichkeit gefragt ist: Der Fachmediziner und Unternehmer, der sowohl die „Hard Skills” als auch die „Soft Skills” beherrscht und für den seine Mitarbeiter mehr als „Erfüllungsgehilfen” sind, die Dienst nach Vorschrift machen. Ihm ist klar:

!Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen Kollegen entstehen auch durch die Auswahl des richtigen Personals.

Denn um seiner „Doppelrolle” als Zahnarzt und Unternehmer gerecht werden zu können und wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten, muss sich der Praxischef von heute um viel mehr kümmern als sein Kollege vor 30 Jahren – und ist deswegen umso mehr auf qualifiziertes und motiviertes Personal angewiesen. Doch wie lässt sich eine kontinuierlich hohe Leistungsbereitschaft mit einem vergleichsweise geringen Helferinnen-Gehalt in Einklang bringen? Fest steht: Neue Zeiten erfordern neue Wege. Um diese zu gehen, braucht es Mut, Einsicht und Lernbereitschaft – aber vor allem auch ein professionelles Praxismanagement. Ein solches möchte ich Ihnen nachfolgend vorstellen. Es basiert auf leistungsgerechter Entlohnung, Fairness, Teamspirit, Transparenz und Respekt. Mit „Kuschelkurs” hat das alles nichts zu tun, es ist vielmehr eine neue Art der Personalführung und -bindung, die letztendlich allen zugutekommt. Doch bevor ich tiefer in die Materie eindringe, schauen wir erst einmal, wie es in der Geschichte weitergeht…

2

„Der Lauscher an der Wand” oder: Start mit unerwarteten Einblicken

„Wenn wir irgendetwas unterschätzen in unserem Leben – dann ist es die Wirkung der Freundlichkeit.”

(Marc Aurel)

Der erste Tag in der neuen Praxis!” Dr. Felix Sommer jubeltinnerlich bei dem Gedanken. Er nimmt zwei Stufen auf einmal, während er die kleine Treppe bis zur Eingangstür hinaufsteigt. Sein Blick fällt auf das angelaufene Messingschild mit den inzwischen rostigen Schrauben und den leicht verblassten Buchstaben. „Dieser Teil der Praxis hat seine besten Zeiten wohl hinter sich”, denkt er amüsiert, als er den Klingelknopf anvisiert. Dass am Wirkungsort von Dr. Degen, dessen Nachfolge er antreten soll, einiges einer „Frischzellenkur” bedarf, war ihm schon nach seinem ersten Besuch klar gewesen. Dennoch – er freut sich auf diese Herausforderung. Nach Jahren der Theorie im Hörsaal und seiner Approbation als Zahnarzt hatte er in einer Klinik an der „Wirklichkeit” geschnuppert und beschlossen, dass ihm diese Variante der Berufsausübung deutlich zu anonym war. Also verbrachte er seine Assistenzzeit in einer Gemeinschaftspraxis. Die beiden Fachzahnärzte wussten nicht nur am Behandlungsstuhl zu überzeugen. Sie setzten auf motivierte Mitarbeiter und solide ökonomische Planung. Die Arbeit in diesem engagierten Team hatte ihm Spaß gemacht – und frühzeitig einen Entschluss in ihm reifen lassen: Er wollte sich in das Abenteuer der eigenen Praxis stürzen, sich selbst etwas aufbauen und sehen, ob er ebenfalls ein Team führen konnte. Was für ein Glücksfall, dass er direkt nach dem Auslaufen seines Vertrags auf die Annonce von Dr. Degen gestoßen war. Ganz nach der alten Schule, als Anzeige in einer zahnärztlichen Wochenzeitung. Dr. Sommer schmunzelt, als er sich erinnert. Von Internet und neuen Medien hatte sein Vorgänger in spe wohl nur von seinen Enkeln gehört. „Noch einmal durchatmen und den Augenblick genießen”, denkt er. Nicht viele seiner Freunde von der Universität hatten das Glück gehabt, so schnell eine passende Praxis zu finden. Viele wollten dies auch gar nicht und hatten sich stattdessen für die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses entschieden. Die meisten erhofften sich davon, Familie und Beruf besser in Einklang bringen zu können und geregeltere Arbeitszeiten zu haben. Auch die Verantwortung für eine eigene Praxis mit all dem administrativen Aufwand wollten sie alleine nicht schultern. Doch er, Felix Sommer, dachte nicht so. Er freute sich auf seinen ersten Tag als niedergelassener Zahnarzt.