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© 2020 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München

Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten

Text: Mark Stichler

»Lassie – Eine abenteuerliche Reise« Film

© 2019 LCH Film UG / Henning Ferber Filmproduktions GmbH / Suedstern Film GmbH & Co KG / Traumfabrik Babelsberg GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH

Fotos: © 2019 LCH Film UG / Warner Bros. Ent. / Tom Trambow

© 2019 LCH Film UG / Warner Bros. Ent. / Stanislav Honzík

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung des Filmplakats

ISBN Printausgabe 978-3-8458-3769-7

ISBN eBook 978-3-8458-3813-7

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Kapitel 1
Ein Unglück kommt selten allein

Kapitel 2
Wirbel um Lassie

Kapitel 3
Priscilla kommt an

Kapitel 4
Eine schwere Trennung

Kapitel 5
Ein unfreiwilliger Ausflug

Kapitel 6
Familiengeschichten

Kapitel 7
Die Wahrheit kommt ans Licht

Kapitel 8
Der Weg nach Hause

Kapitel 9
Lebensretter und Dieb

Kapitel 10
Auf Lassies Spuren

Kapitel 11
Überraschung an der Imbissbude

Kapitel 12
Bühne frei für Lassie

Kapitel 13
Vermisst

Kapitel 14
Lassie in höchster Gefahr

Kapitel 15
Das Wunder in der Glasfabrik

Kapitel 16
Lassie kommt heim

Die Darsteller und ihre Rollen

Bildband

Kapitel 1

Ein Unglück kommt selten allein

Die Sonne strahlte vom blauen Himmel auf die Giebel des kleinen Städtchens. Es war beinahe Mittag, der große Zeiger der Kirchturmuhr stand kurz vor der Zwölf. Rings um die Stadt war es still, nur ab und zu war auf den Wiesen und zwischen den Obstbäumen das Zwitschern von Vögeln und das Summen von Bienen zu hören. Doch dann rückte der Uhrzeiger vor und die Mittagsglocken begannen laut zu schlagen. Ihr Geläut schallte über die Wiesen, hinüber bis zum Wald und drang in jede Wohnung und jedes Zimmer des kleinen Städtchens.

In einer dieser Wohnungen stapelten sich eine Menge nicht ausgepackter Umzugskartons. In einem der Zimmer stand ein Korb, in dem ein braun-weiß gescheckter Hund vor sich hin träumte. Er atmete leicht und hatte die Augen geschlossen. Trotzdem war er aufmerksam, und als die Glocken anfingen zu läuten, war er mit einem Schlag hellwach und blickte aus klugen Augen um sich. Er schnellte auf und eilte zur Wohnungstür.

Dort hüpfte er an der Tür hoch und drückte die Klinke mit seinen Pfoten herunter. Mit einem leisen Klacken sprang sie auf. Er huschte die Treppen hinunter. Unglücklicherweise stieß er schon am nächsten Treppenabsatz mit der Vermieterin Frau Möller zusammen, die unter Keuchen und Stöhnen eine große Tüte mit ihren Einkäufen nach oben schleppte. Der Hund hatte sie kaum berührt, doch Frau Möller schreckte bei seinem Auftauchen zusammen und wich aus. Dabei riss der Griff ihrer vollgepackten Tragetasche. Der gesamte Inhalt kullerte über die Treppe. Eier, Tomaten, Dosen, eine Tüte Chips …

Erschrocken hielt der Hund inne und blickte Frau Möller schuldbewusst an, fast so, als wolle er sich für seine Ungeschicklichkeit entschuldigen. Er schnappte vorsichtig die Tüte Chips und legte sie der Vermieterin zu Füßen. Doch von solch gut gemeinten Gesten ließ Frau Möller sich nicht besänftigen.

»Verdammter Mistköter!«, rief sie ärgerlich. Mit einem Ächzen bückte sie sich, nahm eine Tomate und warf sie nach ihm.

Der Hund wich geschickt aus und die Tomate zerplatzte an der Wand. Dort hinterließ sie einen hässlichen Fleck auf der grauen Tapete, was Frau Möller noch mehr auf die Palme brachte. Erstaunt blickte der Hund sie an. Doch so gern er weiter mit ihr gespielt hätte: Er hatte keine Zeit mehr. Mit einem Satz sprang er die restlichen Stufen hinunter und huschte durch die Haustür.

Unter dem Läuten der Kirchturmglocken rannte er die Straße entlang, über den Marktplatz und in eine angrenzende Gasse. Eine Sperre und das Schild ›Frisch gestrichen‹ konnten ihn nicht aufhalten. Mit einem riesigen Satz sprang er darüber.

Auf der anderen Seite saßen zwei Arbeiter, die in diesem Moment mit großen Pinseln einen leuchtend weißen Zebrastreifen strichen. Ohne sich darum zu kümmern, rannte der Hund durch die nasse Farbe und hinterließ auf der Straße eine deutliche Spur seiner Pfoten. Die Arbeiter starrten ihm fassungslos hinterher.

Er rannte vorbei an der alten, von außen etwas heruntergekommenen Glasfabrik und erreichte endlich das Stadttor. Dort raste er mit wehendem Fell über eine große Wiese auf das Schulgelände zu.

Zur gleichen Zeit saß Flo – eigentlich hieß er ja Florian, aber so nannte ihn kaum jemand – in seinem Klassenzimmer und starrte sehnsüchtig nach draußen. Auch er hörte die Kirchenglocken und schien auf etwas Bestimmtes zu warten. Dabei war er so in Gedanken versunken, dass er nicht einmal die Stimme seiner Klassenlehrerin Frau Haberl wahrnahm.

»Wie ihr seht, kann eine korrekte Zeichensetzung Leben retten«, sagte sie und zeigte auf die Tafel. Dort hatte sie zwei Sätze angeschrieben, die bis auf einen kleinen Unterschied genau gleich lauteten: ›Komm, wir essen Oma‹, und ›Komm, wir essen, Oma‹.

Flos Klassenkameraden kicherten. Was so ein Komma doch für einen Unterschied machen konnte …

Der Einzige, der von Frau Haberls gelungenem Scherz nichts mitbekam, war Flo. Immer noch schaute er aus dem Fenster und träumte vor sich hin. Doch plötzlich fuhr er auf und fasste sich an den Hals. Irgendetwas hatte ihn getroffen. Als er sich umblickte, entdeckte er Tino, der ihm mit einem frechen Grinsen sein Blasrohr zeigte. Flo verdrehte genervt die Augen. Tino … Nur weil er größer und stärker als die anderen Jungs war, meinte er, sich alles erlauben zu können. Flo beachtete ihn nicht weiter und wandte sich wieder um.

Nur wenige Augenblicke später erlöste ihn das Schrillen der Schulklingel. Und nachdem Frau Haberl es ihnen mit einem schicksalsergebenen Nicken erlaubt hatte, sprangen alle auf und stürmten nach draußen. Flo war als Erster auf dem Hof. Er blickte sich um und blieb dann enttäuscht stehen. Doch plötzlich war beim Klang der letzten Glockenschläge ein fröhliches Bellen zu vernehmen und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Auf der an den Schulhof grenzenden Wiese tauchte der Hund auf. Mit wehendem Fell kam er angerannt und sprang fröhlich an Flo hoch. Ganz nebenbei landeten so ein paar Farbreste vom Zebrastreifen auf dessen T-Shirt. Flo lachte und streichelte den Hund.

»Lassie!«, rief er glücklich. »Wo hast du dich nur herumgetrieben?«

Als Antwort leckte Lassie ihm eifrig übers Gesicht.

»Und du hast den Weg ganz alleine gefunden, obwohl wir erst umgezogen sind.« Flo streichelte sie stolz. »Du bist die Beste, Lassie.«

»Ganz alleine den Weg gefunden …«, hörte er auf einmal eine hämische Stimme hinter sich. Das konnte nur Tino sein, der zu allem und jedem seinen Senf dazugeben musste. »Na toll«, fuhr er fort. »Der blöde Köter kreuzt doch jeden Tag hier auf. Was soll daran Besonderes sein?« Tino kam mit zwei seiner Kumpels näher.

Unwillkürlich wurde Flo rot. Aber er war entschlossen, sich von Tino nichts gefallen zu lassen.

»Es ist doch was Besonderes«, murmelte er.

»Was hast du gesagt?«, fragte Tino und rückte Flo weiter auf die Pelle. Seinen Rucksack legte er neben sich.

Flo fasste sich ein Herz.

»Es ist wohl was Besonderes«, sagte er lauter. »Wir sind gerade erst umgezogen und Lassie ist die neue Strecke zur Schule zum ersten Mal alleine gelaufen.«

»Wie süß«, sagte Tino abfällig. Als ob ihn das interessieren würde. Er war sowieso nur auf Ärger aus. Und da war ihm jeder Anlass recht. »Das Baby braucht einen Hund, der ihn von der Schule abholt –«

»Ich bin kein Baby!«, erwiderte Flo wütend.

»Nicht?« Tino kam ganz nah an Flo heran und schubste ihn. »Dann beweise es doch. Baby!«

Lassies Blick wanderte zwischen den beiden Jungen hin und her. Flo ging es gar nicht gut, das spürte sie sofort. Plötzlich schien ihr eine Idee zu kommen. Sie verzog die Lefzen, als würde sie ein bisschen in sich hineinlachen. Dann packte sie mit ihrer Schnauze Tinos Rucksack und lief davon.

»Hey!«, rief Tino überrascht und wollte ihr den Rucksack entreißen. »Gib ihn sofort wieder her!«

Doch Lassie dachte nicht daran. Mit wenigen Sätzen brachte sie ein paar Meter zwischen sich und Tino. Dann blieb sie stehen und betrachtete ihn aufmerksam, als wollte sie sagen: ›Mal sehen, wer jetzt das Baby ist.‹

Flo grinste und Tinos Freunde lachten lauthals. Sie sahen zu, wie er hinter Lassie herjagte, die ihn immer wieder herankommen ließ und dann im letzten Moment davonsprang.

Flo sah sich das eine Weile an. Dann stieß er einen lauten Pfiff aus. Sofort ließ Lassie den Rucksack fallen und eilte zu ihm. Gemeinsam rannten sie davon und ließen Tino und seine Freunde einfach stehen. Tino nahm seinen Rucksack und blickte ihnen wütend hinterher.

Während Flo und Lassie fröhlich über die Wiesen liefen, herrschte nicht weit entfernt ziemlich dicke Luft. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Andreas Maurer, Flos Vater und von Beruf Glasbläsermeister, stand mit verschwitztem Gesicht im Dampf und der Hitze des Brennofens in der Glasfabrik und hielt einen rot glühenden Klumpen an der Glasbläserstange ins Feuer. Nach einer Weile nahm er ihn heraus und trug ihn zu einer großen Werkbank inmitten der hohen Industriehalle. Unter langsamem Drehen formte er zusammen mit einem seiner Kollegen eine große, wunderschöne Vase. Beide arbeiteten konzentriert und bekamen kaum mit, dass um sie herum alle Werkzeuge aufgeräumt wurden. Einige Arbeiter sammelten die Glasbläserstäbe ein, andere packten Holzformen verschiedenster Größen in Gitterkörbe. Sogar das große Banner mit dem historischen Wappen der Grafen von Sprengel, in dessen Besitz sich die Glasbläserei seit Generationen befand, wurde abgehängt.

Als hätte er es geahnt und wollte das Abnehmen des Wappens mit eigenen Augen verfolgen, betrat der alte Graf von Sprengel die Werkhalle. Eine Weile sah er dem Treiben mit unbewegter Miene zu. Sein Tweedjackett machte einen gepflegten, aber schon abgenutzten Eindruck.

Schließlich trat er zu Andreas, betrachtete die Vase und nickte anerkennend. Andreas begrüßte ihn und stellte die Vase ab. Er ging zum Ofen hinüber und drehte den Gashahn zu. Mit einem leisen Zischen erstarb die Flamme. Andreas nahm ein paar schwere Platten und verschloss die Luke des Ofens damit. Es hatte etwas Endgültiges, und alle, Andreas, der Graf und die Arbeiter, blickten dabei sehr ernst.

Andreas seufzte. Als er fertig war, folgte er Graf von Sprengel und den anderen hinaus auf den Hof. Vor dem Lager der Glasbläserei waren Holzkisten übereinandergeschichtet, in denen Vasen in den verschiedensten Farben und Formen in der Sonne funkelten. Der Graf stellte sich auf einen Stapel Paletten. Die Arbeiter und Andreas blickten ihn erwartungsvoll an.

»Zunächst möchte ich jedem Einzelnen von Ihnen herzlich danken«, begann der Graf mit brüchiger Stimme. Er räusperte sich. Seine Worte fielen ihm offensichtlich nicht leicht. »Sie haben in den letzten Jahren unermüdlich für den Erhalt der Fabrik gekämpft …« Trotz der traurigen Nachrichten, die er verkünden musste, gewann seine Stimme an Sicherheit. »Überstunden und Lohnkürzungen … Ich weiß, dass Sie und Ihre Familien große Opfer gebracht haben.«

»Und was haben wir jetzt davon?«, fragte ein Kollege leise, der neben Andreas stand.

»Psst.« Andreas legte den Finger an die Lippen. »Lass ihn doch ausreden.«

Graf von Sprengel warf ihm dafür einen dankbaren Blick zu.

»All das«, sagte er bedrückt, »macht diesen Tag, an dem wir die Glasbläserei meiner Familie nach sechshundert Jahren endgültig schließen müssen, noch bitterer.«

Es fiel dem Grafen sichtlich schwer, mit dieser Nachricht vor seine Leute treten zu müssen. Niemand sagte etwas. Manche blickten betreten zu Boden, andere sahen den Grafen erwartungsvoll an, als würde er jeden Augenblick noch eine rettende Lösung aus dem Hut zaubern, wie er es in den vergangenen Jahren so oft getan hatte. Aber nicht dieses Mal …

»Also, ich danke Ihnen nochmals«, murmelte er plötzlich hastig. »Für alles.« Er kletterte vom Podest und eilte ohne ein weiteres Wort davon. Andreas blickte ihm traurig hinterher. Er wusste, wie schwer dem Grafen diese Ansprache gefallen war. Doch er musste auch an sich und seine Familie, an Flo, an seine schwangere Frau Sandra und an ihr ungeborenes Kind denken. Was sollte jetzt nur aus ihnen werden?

Kapitel 2

Wirbel um Lassie

Müde trat Andreas in den Flur ihrer neuen kleinen Wohnung. Das Häuschen vor der Stadt, in dem sie zuvor gewohnt hatten, hatten sie sich eigentlich schon lange nicht mehr leisten können. Der Umzug war also mehr als überfällig gewesen.

Nachlässig warf Andreas seinen Schlüsselbund auf einen Umzugskarton. Sein Blick fiel auf ein gerahmtes Foto, auf dem Flo als kleines Kind mit Lassie zu sehen war. Auch sie war damals noch fast ein Welpe gewesen. Andreas seufzte. Er nahm eine angebrochene Tüte Chips von einem der Kartons und ging hinüber ins Wohnzimmer. Auf dem Boden lagen die Teile eines Regals, ein halb ausgepackter Umzugskarton und ein Akkuschrauber. Er setzte sich und begann, das Regal zusammenzuschrauben. Bald war er vertieft in seine Arbeit und bemerkte gar nicht, dass Sandra das Zimmer betrat.

»Hey, das wollte ich doch machen.«

Überrascht wandte Andreas sich um. Sandra rubbelte sich ihre blonden, von der Dusche noch feuchten Haare trocken.

»Vergiss es«, sagte Andreas und lachte. »Leg lieber mal die Füße hoch.« Er deutete auf ihren dicken Bauch, den man unter dem weiten Sweatshirt allerdings kaum sehen konnte.

Sandra trat zu ihm und gab ihm einen Kuss. Andreas hielt ihr die Tüte Chips hin.

»Los, hinsetzen«, befahl er. »Essen.«

Sandra zögerte einen Augenblick.

»Na gut«, sagte sie dann. Sie nahm die Tüte und setzte sich auf die Couch. »Ich gebe dir von hier aus Anweisungen.«

»Na prima.« Andreas lachte wieder. »Das liebe ich besonders.«

Sandra schob sich ein paar Chips in den Mund.

»Wie war’s denn?«, fragte sie nach einer Weile.

»Traurig«, sagte Andreas nachdenklich und ließ den Akkuschrauber sinken. »Der Graf hat noch ein paar Worte gesagt.« Er zuckte mit den Achseln. »Du weißt schon …«

Sandra nickte bedauernd. Das war sicher für keinen leicht gewesen, aber am allerwenigsten für Andreas. Er hing sehr an dem Grafen und an der Glasbläserei und hatte sich schwer für sie ins Zeug gelegt. Doch am Ende hatte alles nichts genutzt. Mit einem Ruck erhob sie sich und setzte sich neben ihn.

»Du findest bestimmt wieder was«, flüsterte sie sanft, als sie nah bei ihm war, und hielt ihm die Tüte Chips hin. »Ganz sicher.«

Andreas nickte und holte tief Luft. Als er das fertige Regal aufstellen wollte, krachte es mit viel Getöse in sich zusammen. Erschrocken blickte er Sandra an.

»Vielleicht suchst du nicht gerade was als Gerüstbauer«, meinte sie trocken und kicherte.

Auch Andreas lachte. Was würde er nur ohne Sandra machen?

Die Türklingel unterbrach die beiden. Sie blickten überrascht auf. Wer konnte das sein? Flo hatte doch einen Schlüssel …

Während Sandra und Andreas sich Sorgen um die Zukunft machten, saß Flo mit Lassie am Ufer des nahe gelegenen Waldsees. Hätten die beiden davon gewusst, hätten sie sich bestimmt mehr beeilt, nach Hause zu kommen. Doch sie ahnten nichts und Flo versuchte, Lassies Pfoten mit Wasser von der restlichen Farbe zu befreien. Das war allerdings gar nicht so leicht: Die Farbe war schon angetrocknet und außerdem zog Lassie ihre Pfote immer wieder weg.

»Das ist doch nur Wasser«, sagte Flo zunehmend ungeduldig und schrubbte weiter. In Gedanken war er immer noch bei dem Vorfall auf dem Schulhof. »Bescheuerter Tino«, murmelte er. »Nur weil er ein bisschen größer ist …« Er zog ein Wurstbrötchen aus seiner Schultasche und gab eine Hälfte davon Lassie. Von der anderen biss er herzhaft ab.

»Jonas und Fritz sind nur seine Kumpels, weil sie Angst vor ihm haben«, fuhr er fort und sah Lassie zu, die genüsslich an ihrem Brötchen kaute. »Der hat doch gar keine echten Freunde.«

Lassie blickte ihn schief an. Flo strich ihr liebevoll durchs Fell.

»Ich brauche keine Freunde«, sagte er. »Ich hab ja dich.« Er schob sich den letzten Bissen in den Mund und erhob sich. »Okay, wo sind wir gestern stehen geblieben? Ach ja …«

Er nahm ein paar Leckerlis aus der Tasche und ging langsam vor Lassie her. Abwechselnd hielt er den linken und den rechten Arm hoch. Lassie sprang bei jeder seiner Bewegungen in die Luft und stupste Flos Hand mit der Schnauze an.

»Fein gemacht«, sagte er nach ein paar Metern. Lassie bellte fröhlich.

Flo ging in die Hocke und hielt die Hand flach über den Boden. Lassie blickte ihn aufmerksam an. Und nach kurzer Zeit wusste sie, was er von ihr wollte. Sie legte sich hin und robbte auf allen vieren zu ihm, als würde sie sich anschleichen.

»Braver Hund«, rief Flo stolz, gab ihr ein Leckerli und kraulte ihr dichtes Fell. Lassie wälzte sich genüsslich im Gras.

Flos Blick schweifte über den See. Er überlegte kurz, dann nickte er entschlossen. Heute würde er es wieder versuchen. Er kramte ein altes, zerkautes Gummihuhn aus seiner Schultasche.

»So«, murmelte er und sagte laut: »Mal sehen, ob du dich heute traust.«

Lassie blickte ihn aufmerksam an. Sie spürte sofort, dass etwas Unangenehmes auf sie zukam, und winselte leise.

»Los!«, rief Flo. »Fang das Huhn.« Er holte aus und schleuderte es in den See. Mit einem leisen Platschen landete es im Wasser.

Lassie rührte sich nicht. Sie gab nur ein leises Winseln von sich und sah dem Huhn besorgt nach. So brav sie Flo gehorchte und so eifrig sie alle Kunststücke ausgeführt hatte, keine zehn Pferde würden sie ins Wasser bringen.

»Wie oft denn noch?«, rief Flo verärgert. »Du musst keine Angst haben. Los, hol das Hühnchen!«

Lassie lief nervös am Ufer entlang und bellte. Aber sie konnte sich einfach nicht überwinden, ins Wasser zu springen. Schließlich legte sie sich einfach hin und winselte, den Kopf zwischen den Pfoten versteckt.

»Pass auf. Es ist ganz einfach.« Flo krempelte seine Hosenbeine hoch, zog seine Schuhe aus und stiefelte ins Wasser. Er fischte das Gummihuhn heraus und schwenkte es triumphierend über dem Kopf.

»Siehst du?«, rief er Lassie zu. »Es ist kinderleicht. Jetzt kommst du dir ganz schön blöd vor, oder?«

Doch als er zurück ans Ufer waten wollte, rutschte er auf den glitschigen Steinen aus. Er ruderte mit den Händen in der Luft, dann verlor er das Gleichgewicht und plumpste einfach nach hinten ins Wasser. Wie ein begossener Pudel tauchte er wieder auf, das Huhn immer noch in der Hand.

Lassie sprang hoch, drehte sich im Kreis und rannte schwanzwedelnd und mit fröhlichem Gebell am Ufer auf und ab.

»Sehr witzig«, bemerkte Flo und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.

An der Wohnungstür der Maurers klingelte es noch einmal. Sandra und Andreas gingen gemeinsam zur Tür und öffneten. Erschrocken zuckten sie zurück, als sie sich Nase an Nase mit ihrer Vermieterin Frau Möller sahen, die wütend mit dem Mietvertrag in der Luft wedelte.

»Der Hundsköter muss weg, aber ruckzuck!«, rief sie aufgebracht, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

Sandra und Andreas blickten sich an. Was hatte Frau Möller nur so in Rage gebracht? Lassie war mit Sicherheit der wohlerzogenste Hund der Welt.

»Als ich Ihnen die Wohnung gezeigt habe, war nie die Rede von einem wilden Vieh.« Frau Möller war kaum zu bremsen.

»Wildes Vieh?« Sandra runzelte die Stirn. »Lassie tut keiner Fliege etwas zuleide.«

»Ha!«, rief Frau Möller empört. »Er hat mich umgerannt, der Sauköter.« Vor Aufregung schnappte sie nach Luft. »Mein Wocheneinkauf … Eier … Milch … Alles kaputt! Ich hätte stürzen können. Wenn mein Mann noch leben würde … Der hätte nicht lange gefackelt mit dem Viech.«

»Es tut mir leid«, sagte Andreas besänftigend. »Es ist bestimmt nicht einfach für Sie, so allein und …« Weiter kam er nicht.

»Sparen Sie sich Ihr Mitleid!«, rief Frau Möller hysterisch. »Ich kann allein auf mich aufpassen.«

»Natürlich«, nickte Sandra eilig, um sie zu beschwichtigen. »Andreas meinte, ohne Ihren Mann –« Doch auch sie kam nicht weit.

»Jetzt reicht es mir aber!«, keifte Frau Möller. Ihre Stimme bekam einen schrillen Klang. »Herrschaftszeiten. Arbeitslose. Das gibt immer nur Ärger.«

»Was?« Andreas fuhr auf. Jetzt hatte er bald genug. Doch er beherrschte sich und blieb ruhig. »Wir sind ja nicht beide arbeitslos. Meine Frau hat ihren Job noch.«

Die Vermieterin nickte grimmig.

»Ja, sauber«, sagte sie. »Darauf können Sie mächtig stolz sein, Ihre hochschwangere Frau jeden Tag in der Bäckerei rumstehen zu lassen.«

Jetzt platzte Sandra der Kragen.

»Hören Sie mal zu, Frau Möller«, rief sie aufgebracht. »Ich bin schwanger und nicht etwa angeschossen.«

Frau Möller fuchtelte wieder mit dem Mietvertrag herum und schüttelte den Kopf. Sie wollte einfach nichts hören.

»Nein!«, rief sie laut, um Sandra zu übertönen. »Sie hören zu. Sie haben einen Mietvertrag unterschrieben, in dem nur Kleintiere erlaubt sind. Morgen ist das Hundstier weg oder Sie fliegen raus.«

Einen Augenblick starrte sie Andreas wild an. Dann drückte sie ihm den Mietvertrag in die Hand, schlug die Tür mit einem lauten Knall zu und machte auf dem Absatz kehrt. Aber da kannte sie ihre Mieterin schlecht. Sandra war ja eine wahrlich gutmütige Person, aber so etwas konnte sie unmöglich auf sich sitzen lassen. Sie riss die Tür wieder auf.

»Sie können uns nicht so einfach rausschmeißen!«, schrie sie Frau Möller hinterher und stieß die Tür mit einem noch lauteren Knall wieder zu. Dann herrschte Stille. Sandra blickte Andreas betroffen an. Der war bereits in den Mietvertrag vertieft.

»Kann sie doch nicht, oder?«, fragte Sandra sorgenvoll.

Andreas seufzte und reichte ihr den Vertrag.

»Keine Sorge. Die wird sich schon wieder einkriegen.« Besonders zuversichtlich klang er allerdings nicht.

Sandra nahm den Akkuschrauber, den Andreas auf einem der Kartons abgelegt hatte. Sie ließ ihn aufheulen.

»Hol sie zurück«, sagte sie in kalter Wut. »Ich zeige ihr, wozu schwangere Frauen fähig sind.«

Andreas hob beschwichtigend die Hände.

»Langsam, langsam, Sheriff«, sagte er und lachte. Auch Sandra musste plötzlich lachen und schüttelte den Kopf.