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Patrimonium-Verlag

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Printed in Germany

 

Erschienen in der Edition »Patrimonium Theologicum«

 

 

Patrimonium-Verlagsbüro Abtei Mariawald

52396 Heimbach/Eifel

www.patrimonium-verlag.de

 

Gestaltung, Druck und Herstellung:

Druck & Verlagshaus Mainz GmbH

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

 

Abbildungsnachweis Umschlag:

»Lucas Cranach d.Ä. - Porträt des Martin Luther, 1525 (Bristol)« by Lucas Cranach the Elder - The Bridgeman Art Library, Object 13642. Licensed under Public Domain via Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lucas_Cranach_d.%C3%84._-_Portr%C3%A4t_des_Martin_Luther,_1525_(Bristol).jpg#

 

 

ISBN: 978-3-86417-066-9

 

Vorwort

 

 

 

Kein Theologe hat so sehr die enge Beziehung zwischen seinem Denken und seinem Leben betont wie Martin Luther. Er selber hat die »reformatorische Entdeckung« immer wieder in Zusammenhang gebracht mit der Gewissensqual, die ihm erst durch die befreiende Einsicht in die Alleinwirksamkeit des Glaubens und damit ein für allemal genommen war. Scheitern und Verzweiflung angesichts der Unerfüllbarkeit des göttlichen Willens versteht er nicht bloß als zufällige persönliche Erfahrungen. Vielmehr sind theologische Einsicht und endgültige Befreiung von der Gewissensnot für jeden Glaubenden nur im Durchgang durch eben diese Erfahrung des Scheiterns zu haben. Indem Luther den Ausgangspunkt der Theologie strikt an die eigene Erfahrung bindet, ist er genötigt, die überlieferte Christologie und Anthropologie in ihren Grundzügen zu verändern. Und weil diese Veränderung das Gottesverhältnis und Selbstverhältnis betrifft, darum konnte deren Wirkung auf Dauer keine innertheologische Angelegenheit bleiben. Für Hegel markiert der Durchbruch der reformatorischen Erfahrung den Beginn einer Entwicklung, die in der Selbstvergewisserung des Ich den Schlüssel zum Welt- und Gottesverhältnis zu besitzen meint.

Die beiden hier vorgelegten Untersuchungen kreisen um die Christologie und die Anthropologie als Gravitationszentren der Theologie Martin Luthers. Im Mittelpunkt von Theobald Beers Schrift steht Luthers Christologie in ihrer Abhängigkeit vom konstitutiven Erfahrungsbezug seiner Theologie. Im Mittelpunkt meines Beitrags steht die theologische Anthropologie Luthers im Zusammenhang mit der konstitutiven Funktion des Glaubens für das Sein der Person und den Sinn des moralischen Handelns, ursprünglich der II. Teil meiner philosophischen Dissertation »Genitrix virtutum – gubernatrix artium. Zum Wandel des aristotelischen Begriffs praktischer Vernunft« (Münster 1986). Beide Texte sind schon einmal als Veröffentlichungen der Gustav-Siewerth-Akademie erschienen, 1992 zunächst mein Beitrag über »Person und Handlung bei Martin Luther« und dann 1995 Theobald Beers Beitrag »Luthers Theologie – eine Autobiographie«. Die zeitliche Reihenfolge kehrt allerdings das sachliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Texten um. Ohne die persönliche Begegnung mit Theobald Beer wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mich mit Martin Luther im Rahmen meiner philosophischen Dissertation zu befassen. Ich wollte verstehen, weshalb die Tugend der Klugheit im Übergang zur Neuzeit ihre Stellung als »Gebärerin der Tugend« (genitrix virtutum – Thomas von Aquin) eingebüßt hat und als instrumentelle Vernunft (gubernatrix artium – Martin Luther) zur Gegenspielerin moralischen Handelns geworden ist. Wer es versteht, seine Vernunft im eigenen Interesse für beliebige Zwecke zu gebrauchen, der handelt klug. Zwar wiesen die spätmittelalterlichen Veränderungen im Verständnis der Klugheit als Tugend schon eine merkliche Schwächung ihres moralischen Charakters auf. Doch war die Kontinuität mit der aristotelischen Tugendlehre immer noch größer als die bei den neuzeitlichen Philosophen Thomas Hobbes, John Locke, David Hume und Immanuel Kant offenkundig werdende Differenz. Diese lag vor allem auf dem Gebiet der Anthropologie in der allgemein geteilten Überzeugung, dass die Ethik dazu da ist, den Menschen vor den schlimmen Folgen seiner naturhaften Selbstsucht zu bewahren, welche die Klugheit anzurichten im Stande ist. Mit der Beschränkung meiner Arbeit auf die nach Thomas einsetzenden Veränderungen in der Aristoteles-Rezeption ließ sich dieser tiefgreifende Wandel im Verständnis der Klugheit nicht verstehen.

Als ich dann durch Theobald Beer auf Martin Luther aufmerksam wurde und mich in Luthers Streitschriften gegen die »scholastische Theologie« einlas, ging mir ein Licht auf. Mir wurde schlagartig klar, dass aus Luthers Deutung der Sünde und seiner These von der Unfreiheit des Willens notwendigerweise nicht bloß ein anderer Begriff des Glaubens, sondern auch ein anderer Begriff des moralischen Handelns folgen musste. Das bestätigte sich auch im Studium der Lutherforschung zu den Auswirkungen seiner Theologie für die Ethik. Luthers Beitrag zur Etablierung eines neuen Moralprinzips wird da meist als Befreiung der praktischen Vernunft zu »echter Säkularität« verstanden. Doch ist die von ihm heraufgeführte Sichtweise des Moralischen kaum zureichend beschrieben durch die Formel von der »soteriologischen Entlastung« der Ethik. Die Rede von der Befreiung verdeckt im Gegenteil ein zentrales Problem, das in einer anderen und berühmteren Formel von Sokrates auf den Punkt gebracht ist: Es sei schlimmer, Unrecht zu tun als Unrecht zu leiden.

Was Luthers Theologie und Anthropologie demgegenüber tatsächlich nahelegt, ist nicht die Befreiung der Ethik von einem falschen Heilsanspruch, sondern die Konstituierung eines neuen Moralprinzips unter der Herrschaft der instrumentellen Vernunft. Als Zerrbild der Klugheit und Gegenspieler der praktischen Vernunft wird das utilitaristische Moralprinzip durch Luthers Anthropologie vor allem in zwei Punkten nahegelegt: dass es beim sittlich guten wie bösen Handeln nicht um die Person und die Moralität des Handelnden gehen kann, sondern allein um die Folgen des Handelns für andere, und dass das alleinige Kriterium für die sittliche Richtigkeit einer Handlung in der Abwägung der Handlungsfolgen besteht. Schon bei Luther selbst kommt es zu dem sittlichen Paradox, dass es zuweilen besser sein kann, Unrecht zu tun (das somit auch seinen Unrechtscharakter »verliert«), um größeres Unrecht zu verhindern. Von der Unbedingtheit in der Beanspruchung durch das sittlich Gute gibt es jedoch nach einhelliger Meinung von Platon bis Kant keine Entlastung, die selbst »ethisch« zu nennen wäre. Dies gilt auch und gerade dann, wenn das Gute weiter reicht als das sittlich Gute und den Bereich des menschlichen Gerechtigkeitswillens transzendiert.

Luthers theologische Revolution ist am folgenreichsten in seiner Christologie zu fassen. Theobald Beer hat diesem Herzstück aller Theologie bereits 1980 eine bahnbrechende Untersuchung gewidmet mit seinem Buch »Der fröhliche Wechsel und Streit. Grundzüge der Theologie Martin Luthers«. Seine hier erneut vorgelegte kleine Schrift von 1995 kann als Nachtrag wie als Einführung dazu gelesen werden. Und sie gibt mir persönlich Gelegenheit, in Dankbarkeit des am 17. April 2000 im Alter von 98 Jahren verstorbenen großen Lutherforschers zu gedenken für seine inspirierende Hinführung zu Martin Luther. Ohne ihn hätte es keinen II. Teil meiner Dissertation gegeben, worin ich erst zum Verständnis der folgenreichen Sinnverschiebung des moralischen Anspruchs an die handelnde Person gelangt bin. Zu danken habe ich auch dem Patrimonium Verlag für die Neuauflage meiner Schrift über »Person und Handlung bei Martin Luther« und Herrn Dr. Johannes Hattler für die umsichtige Neubearbeitung des Textes.

 

Berthold Wald

August 2015