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JULIA E. SCHULTZ

In Ringelsocken aufs Dach der Welt

AUF DIE HÖCHSTEN GIPFEL ALLER KONTINENTE

Die Autorin

Julia E. Schultz ist Deutschlands erste Explorers Grand Slammerin. Nun öffnet sie ihre Tagebücher und entführt dabei auf ihre abenteuerliche Reise. Sie zeigt, wie aus einem Bergmuffel ein leidenschaftlicher Bergfloh wird. Wie sie immer weiter, höher und sich selbst näherkommt.

Als Julia erstmals von der Bergsteiger-Challenge »Explorers Grand Slam« hört, hat sie bereits fünf der neun Ziele erreicht. Die Abenteuerlust ist sofort geweckt.

Innerhalb von 14 Jahren lernt sie alle Kontinente kennen, erklimmt deren höchste Gipfel und läuft auf Skiern den letzten Breitengrad zum Süd- und Nordpol. In Chile entkommt sie nur knapp einer Lawine, am Aconcagua frieren ihr die Zehen an. Im Himalaya erlebt sie das Jahrhundertbeben, in der Antarktis verliert sie beinah das Zelt durch einen brennenden Kocher und im Dschungel Papuas kämpft sie mit einer Riesenmaus.

Ungeschminkt und mit viel Humor erzählt die lebenslustige Allgäuerin von ihren Erlebnissen, von ihren Höhen und Tiefen und davon, wie melodiös das Abziehen von Klopapier klingen kann …

Inhalt

Die Autorin

Impressum

Inhalt

Erste Schritte in Peru, Chile und Nepal

Peru

Chile

Nepal

Afrika: Kenia & Tansania

Summit 1: Kibo

Europa: Russland

Summit 2a: Elbrus

Von Höhenflügen und Talfahrten

Ararat, Damavand, Jakobsweg, Straße der Vulkane

Ararat (Türkei, 5.165 Meter)

Damavand (Iran, 5.671 Meter)

Jakobsweg (Spanien, 1.000 Kilometer)

Straße der Vulkane (Ecuador)

Europa: Frankreich & Italien

Summit 2b: Mont Blanc (& Gran Paradiso)

Höhentraining in (fast) heimischen Gefilden

Schweiz & Italien: Spaghetti-Tour im Monte-Rosa-Massiv

Südamerika: Argentinien

Summit 3: Aconcagua (& Llulliallaco)

Zum Scheitern verurteilt? – 7.000er in Asien

Everest North Col, Kun, Himlung Himal

Everest North Col (Tibet, 7.020 Meter)

Kun ( Indien, 7.077 Meter)

Himlung Himal (Nepal, 7.126 Meter)

Antarktis

Summit 4: Mount Vinson & Südpol

Arktis

Nordpol

Nordamerika: Alaska

Summit 5: Denali

Australien & Ozeanien: New South Wales & Westneuguinea

Summit 6a & 6b: Mount Kosciuszko & Carstensz-Pyramide

Asien: Tibet & Nepal

Summit 7: Mount Everest

Nachwort

Ein herzliches Dankeschön

Bildnachweise

Erste Schritte in Peru, Chile und Nepal

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Einfach mal raus und weiter weg. Nicht nur die Allgäuer Berge und Täler durchforsten. Wie wär’s mit einer Trekkingtour in Südamerika?

So fing alles an. Mir stand der Sinn überhaupt nicht nach hohen Bergen. Ich wanderte mit Freude, doch ging es mir nicht um die Höhe. Im Gegenteil: Ich schnupperte zwar gerne Bergluft, aber das Erklimmen eines Berges war eher lästige Begleiterscheinung. Den heimischen Hirschberg hochzuschnaufen, ließ mich oft fluchen; oben zu sein, war allerdings wunderschön.

Bei meinen ersten Trekkingtouren in Peru, Chile und Nepal ging es mir deshalb auch nicht ums Bergsteigen, sondern darum, Schritt für Schritt andere Landschaften zu erkunden – das fand ich extrem spannend. Und diese Touren weckten wider Erwarten die Neugier auf Höhe. Auf dem Surya Peak in Nepal, 5.000 Meter über dem Meeresspiegel, merkte ich erstmals: Das ist meins! Davon will ich mehr!

Würde ich es schaffen, weitere große Herausforderungen zu meistern?

In Peru, Chile und Nepal machte ich, ohne es zu ahnen, meine ersten Schritte auf dem Weg zum Explorers Grand Slam, einer Extrembergsteiger-Challenge, bei der es darum geht, die sieben höchsten Gipfel aller Kontinente – die Seven Summits – sowie den jeweils letzten Breitengrad zum Süd- und Nordpol zu Fuß zu erreichen.

Peru

28. März bis 19. April 2003

Es ist so weit. Das erste Mal.

Bin ich wirklich bereit? Was könnte alles passieren! Man hört so viel Spannendes, aber auch Abschreckendes. Ganz zu schweigen von dem Ungeziefer … Was ich mir alles einfangen kann! Magenverstimmung wird noch das Angenehmste sein. Was ist, wenn ich mich ernsthaft verletze? K. o. durch Zeltstange, die aus der Öse rutscht und zur Peitsche wird … Soll es alles schon gegeben haben.

Aber entschieden ist entschieden: Es geht auf große Fahrt! Trekkingtouren bringen den Wandernden Land und Leute auf einfachste Art und Weise näher. Ich bin gespannt …

Bereits das Packen zu Hause bedeutet totales Chaos in der Komfortzone und nimmt Wochen in Anspruch! Weiß ja nicht, was ich wirklich brauche und was völliger Unsinn ist – Lockenstab und Co lassen grüßen. Ich werfe alles kunterbunt ins Zimmer, von dem ich glaube, es unbedingt dabeihaben zu müssen. Auf jeden Fall ein extra Nackenkissen, meinen ein Meter großen Schnuffelteddy Bob, drei 1.000-Seiten-Romane, diverse Brettspiele für schlechtes Wetter, zu der geplanten Anzahl von Blusen noch meine zwei Lieblingsblusen, dazu eine Reservebluse und zur Reservebluse noch eine Reservebluse. Puh, ist das viel, was mach ich denn jetzt? Ach, ich nehm einfach noch meinen Trolley mit! Dank seiner Rollen lässt der sich bestimmt prima hinterherziehen …

Nein, auch nicht gut, so funktioniert das nicht!

Resigniert stopfe ich nach und nach fast alle Sachen wieder zurück in den Schrank. Was brauche ich da draußen wirklich? Haben die im peruanischen Hinterland Zahnpasta, wenn meine alle ist? Oder nehm ich doch besser zwei Tuben mit? Durchlaufe Phasen der Euphorie und Verwunderung bis hin zur Verzweiflung und Wut – vor allem auf den Verkäufer meines extra angeschafften Backpacker-Rucksackes. Er pries diesen als echtes Raumwunder! Ich will nicht akzeptieren, dass er bereits ab der Hälfte meines sowieso schon mageren Haufens streikt! Man kann doch unterwegs bestimmt nicht waschen. Also besser noch einen Schwung Ersatzschlüppis einpacken.

Irgendwann gebe ich auf und stelle ernüchtert fest: Für alles kann ich nicht gewappnet sein. Ich sehe sogar davon ab, auf dem Hinflug alles Restliche, was nicht mehr reinpasst, in Schichten übereinander anzuziehen. Soviel zum Materiellen.

Das immaterielle Gepäck ist hingegen nicht begrenzt. Gedanken kann ich einpacken, so viel ich will. Und das Karussell in meinem Kopf rotiert und produziert eine Menge. Was wird mir begegnen? Wie wird es sein, in die Fremde zu starten? Klar, ich werde unterwegs nicht allein sein, ein Kumpel von mir begleitet mich auf der Reise und bestimmt treffe ich auch den ein oder anderen Weltenbummler. Kannst einem Menschen aber auch nur bis vor die Stirn gucken. »Vertraue allein deinem Hintern, denn nur der steht wirklich hinter dir«, lese ich in der Woche vor Abflug in einer Zeitschrift. Grüble kurz. Ach, papperlapapp. Ich lass mich jetzt auf das kommende Abenteuer ein. Wird schon schiefgehen.

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Von Frankfurt geht es über Caracas und Lima nach Cusco, im Süden von Peru. Ich könnte heulen vor Glück, als nach gut 30 Stunden Unterwegssein in der Morgendämmerung die Anden vor uns aus den Wolken auftauchen. Endlich!

Die Reise war bisher chaotisch verlaufen. Die riesigen Flughäfen, auf denen wir, mein Kumpel und ich, Stunden mühsam absitzen mussten, waren für uns Neu-Abenteurer ne echte Herausforderung. Auch die Sprache ist ein Riesenhindernis, und dummerweise ließen wir prompt das Spanisch-Wörterbuch im ersten Flieger liegen.

Dann der Zwischenstopp in Caracas im Norden Venezuelas: der reine Nervenkitzel. Vor der Reise hatten mir Bekannte meiner Eltern erzählt, dass es dort eingespielte Räuberbanden gebe. Unter dem Vorwand, weiterhelfen zu wollen, sprechen sie Touristen an. Während man gutgläubig ins Gespräch kommt, werden einem hinter dem Rücken die Taschen ausgeräumt. Freuten uns deshalb über die Security-Begleitung auf der Fahrt zwischen Hotel und Flughafen, mit dem Hinweis, so wenig wie möglich draußen zu erkunden. Caracas sei eine sehr gefährliche Stadt mit der höchsten Mordrate der Welt, bezogen auf die Einwohnerzahl. Nach den ganzen Geschichten und Informationen war uns eh nicht mehr danach, rauszugehen, vor allem, als wir sahen, in welcher Seitengasse das im Netz so nett anmutende Hotel tatsächlich lag. Sollten wir hier einen Fuß vor die Tür setzen, würden wir vermutlich direkt im nächsten abgedunkelten Lieferwagen auf Nimmerwiedersehen verschwinden! Bis zum nächsten Morgen verbarrikadierten wir uns mit ner Tüte Chips und Dosenbier im Zimmer. Erst bei Tageslicht konnten wir über den mit der Lehne unter die Türklinke geklemmten Stuhl breit grinsen.

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Das 30-Stunden-Anreise-Chaos liegt nun hinter uns, meinen wir, als wir endlich in Cusco landen. Kaum selig dem Flieger entstiegen, überfordert uns jedoch der ohrenbetäubende Lärm in der Ankunftshalle. An- wie Abreisende tauschen sich lauthals mit ihren Lieben aus. Hier fehlt jemandem das Gepäck, dort kreischen und rennen Kinder durcheinander. Hunde jagen nach Beute durch die Reisenden, und mitten im größten Tumult steht seelenruhig eine alte Frau mit ihrer Ziege am Strick und scheint auf jemanden zu warten.

Wir sind von diesen ersten Eindrücken noch völlig verdattert, als uns ein junger Taxifahrer überrumpelt. Gerade mal 1,60 Meter hoch, schnappt er sich unsere zentnerschweren Riesenrucksäcke und winkt uns wild gestikulierend, zudem für uns Unverständliches rufend, hinter sich her. Staunen uns an, nehmen die Füße in die Hand – das Kerlchen ist mitsamt unserem Gepäck schon fast am Ausgang! –, lassen uns auf die Mentalität ein und sitzen kurz drauf erleichtert in seinem Taxi. Das ist hier wohl deren Art, sich die Fahrgäste zu sichern. Man schnappe sich energisch das Gepäck der geschafften und irritierten Neuankömmlinge, lächle freundlich und locke sie so zum eigenen Gefährt.

Auf der 20-minütigen Fahrt durch das Getümmel werden wir ordentlich durchgeschaukelt. Zum einen erinnern die Straßen an besonders löchrigen Allgäuer Emmentaler und unser Gustavo muss immer wieder Autos oder Eselskarren auf der Hauptstraße ausweichen. Zum anderen ist sein Taxi ein echtes Wunder. Alles ziemlich durchgesessen, die Türgriffe sind, wenn noch nicht ganz ab, mit Paketband festgeklebt. Die Scheiben gleichen Milchglas und da, wo sie vermutlich zu trübe waren, wurden sie entfernt. Herrschaft! Würde uns Gustavo nicht immer wieder über seinen windschiefen Rückspiegel aufmunternd zunicken – ich würd mich direkt auf den nächsten Esel schwingen, komme, was wolle. Als wir in unserem Hostal an der Plaza del Armas direkt im Zentrum ankommen, entspannt sich alles schlagartig – die erste Etappe ist geschafft!

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Nach einer kurzen, aber nötigen Schlummerpause starten wir in die verwinkelten Gassen der Stadt und lassen uns von der Stimmung zwischen den Häusern auffangen. Immer wieder passieren wir kleine versteckte Kirchen, aber auch große Plätze mit kathedralähnlichen Bauten. Museen aller Art versprechen ein interessantes Programm für die nächsten drei Tage. Der Plan ist, uns hier in Ruhe auf die Höhe einzustellen. Cusco, historische Hauptstadt des Inkareiches und UNESCO-Welterbestätte, liegt auf fast 3.500 Metern im Andenhochland, da wird vor allem in den ersten Tagen selbst ein Spaziergang zum Hochleistungssport.

Der Nase nach schnabulieren wir uns hier durch gerösteten Mais, kosten da ein paar lecker gewürzte und saftige Albondigas (kleine Fleischbällchen) – aber alles gut durch, bitte! Nach dem Motto »Schäl es, koch es oder vergiss es!« versuchen wir, unseren Magen in den ersten Stunden nicht zu sehr zu strapazieren.

In den nächsten Tagen locken die farbenfrohen Obst-, Gemüse- sowie Viehmärkte zwischen Cusco, Chinchero bis hoch nach Ollantaytambo. Mit einem Mietauto besuchen wir einige davon. Auf den Märkten geht es ähnlich lebendig zu wie am Flughafen, nur dass noch viel mehr Kinder und Tiere umhertollen. Die Marketender feilschen lauthals mit ihren Kunden um die Wette und wir Touristen werden selbst zur Attraktion – was Blondes wirkt hier wohl exotisch, auch wenn die Region Anziehungspunkt für viele ausländische Gäste ist. Ein paar eigene Landsleute sind ebenfalls unterwegs, wir beobachten sie schmunzelnd. Wie sie mit Kniestrümpfen in Sandalen und der Kamera vor dem Bauch baumelnd die Märkte erkunden und dabei versuchen, sich mehr oder weniger enthusiastisch auf das fremde Land einzulassen. Natürlich geht man selbst stets davon aus, ein weitaus weltoffeneres Bild abzugeben …

Ich kann mich außerdem überhaupt nicht an den eindrucksvollen Einheimischen in ihrer Landestracht (vereinzelt mit Bowler-Hut) sattsehen. Kräftige Farben ergänzen die typischen Muster und jedes Teil sieht anders aus. Die herrlich bunt gestreiften Decken, mit welchen sie ihre Kinder auf den Rücken binden, lassen mein Deko-Herz höher schlagen und gleich zu Beginn der Reise meine Taschen dicker werden.

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An den Fleischständen bin ich allerdings schnell vorbei. Offen liegt und modert eine halbe Kuh ungekühlt in der prallen Sonne. Eine dicke, klebrig-glänzende Brummsummsel steuert auf mich zu. Meine Fantasie schlägt Kapriolen – wo saß die heut schon überall drauf? – und löst einen Fluchtreflex in meinen Beinen aus, direkt zurück in die Obstabteilung. Da darf und will ich gerne probieren! Wie herrlich ist es, die Zähne in die saftig-süßen Mangos, Papayas oder Guaven zu graben. Das hier ist ein Schlaraffenland! Kein Vergleich zu dem Supermarkt-Obst zu Hause, unsere lecker-saftigen Bodensee-Äpfel ausgenommen!

Satt und souvenirträchtig kehren wir zurück in die Stadt. Lachkrampf inklusive, als mein Kumpel in unserem zerknautschten stickigen Mietauto kurz die Lüftung auf Vollgas stellt und gleich darauf in einem Regen aus Kakerlaken und sonstigem Getier sitzt.

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Cusco haben wir als Mittelpunkt der Peru-Reise und Ausgangsort für unsere Touren ins Umland auserkoren. Bis auf die Flüge und die Unterkunft in Cusco hatten wir nichts vom heimatlichen Allgäu aus geplant. Da erleichtert es ungemein, dass sich an den Hauptstraßen Dutzende kleine Einzimmer-Reiseagenturen reihen. Mit dem Titicacasee wollen wir beginnen, und zwar übermorgen. Und schon stehen wir vor der nächsten Herausforderung: Wie sollen wir bei diesem Überangebot an Reiseagenturen die für uns richtige finden? Statt langwierig die Aushänge zu studieren und die Preise miteinander zu vergleichen, entscheiden wir uns für eine schnellere Variante: Beim Wein bestimmt das schönste Etikett über meinen Kauf, und so wird nun die schönste Markise zum Auswahlkriterium für unser Reisebüro.

Bei Fernando buchen wir die Titicacaseetour, die eine gute Akklimatisation an die Höhe verspricht. Für den im Anschluss geplanten Trip nach Machu Picchu kann das nur von Vorteil sein. Und da uns Fernando auf Anhieb sympathisch, sein gebrochenes Englisch zudem um Welten besser als unser nicht vorhandenes Spanisch ist, entschließen wir uns, in seinem Reisebüro das komplette Inka-Paket zu buchen. Neben dem Zweitages-Trip zum See, dem viertägigen Inka-Trail, diversen Museumseintritten und Ruinenbesuchen springt sogar noch ein Cusco-Knirps inklusive Aufkleber raus – das freut das Schwabenherz. Außerdem empfiehlt er uns wärmstens einen Dschungel-Trip im Nationalpark Tambopata bei Puerto Maldonado, den wir bitte bei seinem Neffen drei Straßen weiter buchen sollen. Dieser kenne sich besser aus und man helfe sich gerne gegenseitig. La familia müsse schließlich zusammenhalten. Gesagt, getan.

Mit der Bustour nach Puno am Titicacasee wartet die nächste Herausforderung. Schon im strömenden Dauerregen unterwegs zum Busbahnhof stelle ich fest, dass meine neuen Trekkingschuhe, anders als angepriesen, nicht wasserdicht sind. Genauso wenig wie der ausgebuchte Bus. Das Wasser rinnt innen am Fenster runter und sammelt sich, scheinbar schon seit gestern, in meinem reservierten Sitz. Dolle Wurst. Doch was solls, bin ja eh schon nass. Also suhle ich mich im aufgeweichten Plüsch der immerhin verstellbaren Sessel. Blöd nur, dass mir die Klimaanlage dauernd in den Nacken bläst, der Busfahrer mein genervtes »Perdón! Mui frio!« aber einfach nicht hören oder verstehen will! Resigniert stöpsel ich mir die Dudelkiste an, roll mich auf dem schmatzenden Sitz zusammen und wünsch mich zusammen mit »Sting« ins Wunderland.

Die ersten fünf Stunden verbringe ich halbwegs dösend. Als wir eine Passhöhe mit knapp 4.500 Metern überwinden, machen wir endlich Halt. Mein Schädel kollabiert fast, lässt mich dafür aber den nassen Hintern vergessen. Die feuchtkalten, nebeligen sieben Grad heben die Stimmung auch nicht. Aber hurra, die Hälfte ist geschafft! Bleiben nur … noch mal fünf Stunden bis zum Ziel. Der Blick zu den nahe liegenden verschneiten Anden-Gipfeln ist allerdings einmalig!

Die Weiterfahrt versüßt uns eine zugestiegene, dank ausgiebigen Biergenusses fröhlich lärmende Truppe Engländer. Anfänglich sind sie, inklusive diverser schräger Parodien über ihre Queen, noch witzig. Als ich aber irgendwann nicht mehr unterscheiden kann, ob mein »Big Ben« im Kopf von der Höhe oder ihrem Gejohle herrührt, helfen mir »Die drei ???«. Während Peter, Bob und Justus ihre Kriminalfälle in meinen Kopfhörern lösen, entschlummere ich langsam. Der Sitz ist inzwischen auch fast trocken.

Als wir abends in Puno direkt am Titicacasee ankommen, bin ich zwar ziemlich geschafft, aber schwer beeindruckt. Der Titicacasee liegt auf über 3.800 Metern und soll 13-mal so groß wie der Bodensee sein. Unvorstellbar für mich, gilt dieser doch schon als »Meer«, als »Schwäbisches Meer«!

Puno ist bekannt für sein relativ kaltes Klima, die Durchschnittstemperaturen betragen hier zwischen 14 und 3 Grad. Mit Anfang April haben wir uns aber die beste Reisezeit für Peru ausgesucht: Der südamerikanische Winter und damit die Trockenzeit haben gerade erst begonnen. Wenn alles gut läuft, stehen uns wenig Niederschlag und viele Sonnenstunden bevor. Schlechtes Wetter wäre zwar ärgerlich, im Hotel aber ganz gut auszuhalten. Anders beim Viertagesmarsch auf dem Inka-Trail. Da kann es bitte trocken bleiben, denn unser Nachtquartier werden Zelte sein.

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Der erste Morgen in Puno: Ich strecke meine Nase aus dem Fenster und atme die kühle, klare und sehr geschmackvolle Luft tief in meine Lungen. Herrlich! In der Nacht hat es geregnet und nun wirkt alles wie frisch gewaschen. Saftig grün wogt das Schilfgras und schimmernd liegt der See in der Morgensonne. Mit gepacktem Rucksack genießen wir das für Peru typische Frühstück – labbriges Maisbrot, Butter, Marmelade, Koka-Tee oder Café con leche (Milchkaffee) – und ziehen los zu den Floating Islands.

Ein kleines Motorboot bringt uns vom Festland zu den schwimmenden, teilweise miteinander verbundenen Inseln. Die Einwohner, das Volk der Uros, fertigen diese als riesige Flöße aus Schilfgras und Rohr, ähnlich wie ihre Häuser. Mit einem mulmigen Gefühl gehen wir über die weichen Grasmatten, die alle zwei Jahre erneuert werden müssen, da sie durch die Feuchtigkeit faulen. Der Gedanke an das tiefe Wasser unter unseren Füßen wird zum Glück bald vom Treiben auf dem »Dorfplatz« der Hauptinsel verscheucht. Eine Frau mahlt per Steinwalze Maiskörner zu Mehl, um daraus ihr Brot zu backen. Ein kleiner Junge steht daneben und nagt an einem Schilfstengel, was laut unserem Reiseführer der Zahnhygiene dienen soll. Scheint wirklich multifunktionell einsetzbar zu sein!

Mit dem Motorboot fahren wir weiter zur Isla de Taquile, einer größeren, natürlich entstandenen Insel mitten im Titicacasee. Muss grinsen, als wir zum Dorfplatz kommen. Sitzen hier doch tatsächlich die Männer und stricken ihre Mützen selber. Denke an Stine, meine beste Freundin aus dem Allgäu, die das auch famos gut kann. Die Jungs zu Hause finden das allerdings wenig sexy, wenn die Freundin neben ihnen sitzt und strickt.

Die Sonne kommt allmählich hinter den Wolken hervor und wir genießen eine kleine Wanderung auf der Insel. Nur an dieses äquatornahe Klima und die Kraft der Sonne sind wir Europäer nicht gewöhnt. Die Höhe hingegen scheint mir inzwischen nichts mehr auszumachen, der Kopf gibt endlich Ruhe.

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Nach der kommoden Fahrt mit der Andenbahn und wieder zurück in Cusco frönen wir der traditionellen Küche. Das hier typische Meerschweinchen vom Grill lass ich aber aus Prinzip aus – erinnert mich zu sehr an Bazi, den ersten Hamster aus Kindertagen. Bisher waren wir sowieso vorsichtig, was undefinierbare Speisen angeht. Alles andere, beispielsweise die Gemüse-Reisgerichte oder die peruanisch angehauchte Pizza, riecht und schmeckt dafür ausgezeichnet, auch wenn mein Magen anderer Meinung ist und mit unschöner Langzeitwirkung zurückgrüßt. Den Besuch am See und die Zugfahrt habe ich noch gut überstanden, dafür erwischt es mich jetzt in der Stadt. Super. Dabei wollten wir uns doch für den bevorstehenden anstrengenden Viertagesmarsch auf dem Inka-Trail stärken! Hätte heute Nachmittag die Finger von den frischen Smoothies lassen sollen.

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Dennoch, wir wollen unbedingt die heilige Stätte Machu Picchu sehen! Ich nehme trotz meines lautstark rebellierenden Verdauungstraktes in Kauf, dass die Etappen, angefangen bei Kilometer 82 in der Nähe von Ollantaytambo, zäh sind und wir nachts ziemlich frieren werden – ist halt Hochland! Los, Prinzesschen, auf gehts!

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Verschlafen fast am Abmarschtag und schließen uns gerade noch rechtzeitig der kleinen internationalen Gruppe mit einheimischen Guides an. Dass wir zwar inzwischen ein bisschen Spanisch verstehen, aber immer noch so gut wie keines sprechen, ist kein großes Hindernis.

Der Inka-Trail wurde einst von den Inka, den Ureinwohnern Südamerikas, angelegt. Die verschiedenen heiligen Stätten der Inka sind durch Wege und Pfade, teils im Verborgenen, teils gut sichtbar, miteinander verbunden. »Qhapac ñan« wird dieses Straßennetz genannt, das insgesamt 30.000 Kilometer lang ist und sich durch Ecuador, Peru, Bolivien, Chile und Argentinien zieht. Der viertägige Inka-Trail in Peru ist ein Streckenabschnitt des »Qhapac ñan«. Der im Laufe der Zeit von vielen Pilgerfüßen ausgetretene Pfad führt entlang der Anden durch Wälder und über Pässe bis Machu Picchu, der gut erhaltenen, im 15. Jahrhundert erbauten terrassenförmigen Ruinenstadt der Inka auf 2.430 Metern. Die Stadt liegt auf einem Bergrücken und ist bis heute über Pfade mit der damaligen Inka-Hauptstadt Cusco verbunden.

Die erste Etappe bringt uns von Kilometer 82 (der Start heißt tatsächlich so) 13 Kilometer nach Wayllabamba. Hier haben die Mitarbeiter von Fernandos Agentur die Zelte bereits aufgebaut, den obligatorischen Kokablättertee und das Abendessen zubereitet.

Und da ist der Moment: Wir haben den Trip mit Trägern gebucht. War das richtig? Ich habe bereits zu Hause kritische Stimmen zum Umgang mit Trägern auf Trekkingtouren gehört. Aber erst hier wird mir bewusst, welchen Wahnsinnsjob die Menschen leisten. Sie tragen ein enormes Gewicht, haben die Logistik perfektioniert und sind dabei selten gut ausgerüstet. Und das alles, damit wir Gäste größtmöglichen Komfort haben. Irgendwie paradox: Sie sind die Nachkommen des Volkes, deren uralte Pfade und Bauten touristisch vermarktet werden, aber nicht von ihnen. Sie machen den Knochenjob – das große Geld verdienen andere. Und auch ich nehme ihre Hilfe in Anspruch …

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Die zweite Etappe zum gefürchteten »Dead Woman’s Pass« hat’s in sich. Der Pass ist mit 4.215 Metern der höchste Punkt auf dem Inka-Trail.

Ein felsiger und spärlich bewachsener, dadurch anspruchsvoller Abschnitt führt uns nach oben. Wetterumschwünge von kalt und windig über regnerisch bis hin zu glühend heiß um die Mittagszeit machen uns ordentlich zu schaffen. Lunge und Hirn gehen gefühlt nacheinander flöten und ich kann kaum mehr meinen Rucksack schleppen. Ist Nomen hier Omen? Es heißt, der Name des Passes rühre daher, dass sein Grat wie der Körper einer begrabenen Frau aussieht. Doch wer weiß … Vielleicht ließ hier wirklich schon die eine oder andere Frau ihr Leben … Will auf der Stelle nach Hause!! Wünsch mir meine Allgäuer Alpen herbei! Die heiße trockene Luft atmet sich schwer wie Sirup und kratzt gleichzeitig im Hals. Mist, hab wieder nicht genug zu trinken dabei. Egal, weiter geht’s, einfach stramm drauflos, du kannst es doch, wie oft bist du schon auf den Hirschberg hoch! Aber mein Hausberg im Allgäu ist höhentechnisch etwas ganz anderes als die Anden. Unerfahren, wie wir sind, erklimmen wir viel zu schnell die Passhöhe auf 4.215 Metern. Ergebnis? Oben am Mittagspausenplatz angekommen, begrüßen mich starke Kopfschmerzen. Da das prophylaktische stundenlange Kauen auf Koka-Blättern (worauf die Einheimischen bei Höhenanpassungsproblemen schwören) weder den Kopfschmerz vertreibt noch mich vor Hochgenuss aus der Hose hüpfen lässt, spucke ich den Brei herzhaft aus. Bin doch kein Koala … Das war das letzte Mal! Der Tee ist schon streng genug. Schmollend werfe ich einen Blick zurück ins Tal – und bin augenblicklich jeglichen Frust los!

Auf der kleinen Felsterrasse der Passhöhe fühle ich mich wie eine Opernbesucherin. In der Ferne höre ich den Fluss Urubamba rauschen, dazwischen das Plaudern und Lachen unserer Gruppe, und diese Aussicht – unbeschreiblich, man muss es selbst erleben! Mei, wie schön ist es, hier zu sein, den Pass geschafft zu haben! Stehe da und blicke hinab auf das farbenprächtige Bühnenbild der peruanischen Anden. Ein großartiger Moment!

Ob es an diesem Highlight liegt oder an der Akklimatisation, kann ich nicht sagen, doch ich fühle mich viel besser und gewöhne mich an die Gehstrecken untertags. Auch die Übernachtung im Zelt ist für mich schon gerne weich Liegende beim dritten Mal kein großes Problem mehr. In der ersten Nacht hingegen sehnte ich mich nach der Federkernmatratze von Cusco und war ständig damit beschäftigt, zwischen den kleinen Steinchen eine möglichst bequeme Mulde für meine vier Buchstaben zu finden. Einer kleinen Mutprobe gleich kommt aber noch immer, nachts raus zu müssen. Mit gefühlt 1.000 Augenpaaren gruseliger Inka-Geister im Nacken versuche ich ein geeignetes stilles Örtchen zu finden. Vermutlich liegt die überschäumende Fantasie auch nur an dem abends genossenen Chicha, dem typisch peruanischen Bier aus vergorenen Maiskörnern.

Der vierte und letzte Tag steht an und damit der Höhepunkt des Trails: Machu Picchu. Noch vor Sonnenaufgang ziehen wir um 4 Uhr los. Im morgendlichen Erwachen erreichen wir Inti Punku, das sogenannte Sonnentor. Das Steintor steht auf einer kleinen Anhöhe, die wir voller Vorfreude auf den Ausblick erklimmen. Als wir oben ankommen und durch die alte Pforte steigen, liegt sie vor uns: die heilige Stätte der Inka. Von hier aus müssen die bekannten Fotos von Machu Picchu entstanden sein, genau diese Perspektive kenne ich aus den Reiseprospekten. Den Anblick mit eigenen Augen zu genießen, ist einfach grandios! Die aufgehende Sonne taucht die blassrosa Landschaft allmählich in ein kräftiges Gelbgold und verleiht der Stätte einen magischen Glanz.

Ganz ergriffen machen wir uns an den Abstieg zu den Ruinen. Ich habe es geschafft! Alle Mühe ist vergessen und ein Kribbeln macht sich breit. Wir sind die Ersten an diesem Tag und können völlig ungestört noch vor allen anderen Ausflüglern durch die Ruinen streifen, die mich unwillkürlich in ihren Bann ziehen. Ich würde vieles dafür geben, dass uns diese alten Steine in ihre Geschichten und Geheimnisse einweihen! Fast fühle ich mich wie eine Zeitreisende, wären da nicht die feinen Markierungen der Archäologen. Man nimmt an, dass der Hang eines Tages abrutschen wird. Die Nummerierungen sollen dann helfen, die Stätte wie ein Puzzle wieder zusammenzusetzen.

Ehe es über Hunderte von Treppenstufen an den Abstieg ins Tal nach Aguas Calientes geht, besteigen wir noch den etwas ausgesetzten Huayna Picchu. Der Gipfel ragt auf den bekannten Fotos von Machu Picchu im Hintergrund auf. Wehmütig nehmen wir dort oben mit herrlichem Rückblick zum Inti Punku und hinunter auf Machu Picchu von diesem Abenteuer Abschied.

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Der Zug schaukelt uns durchs Urubamba-Tal zurück nach Cusco.

Wir genießen die Pause in der Stadt. Auf der Plaza del Armas (diesen Platz gibt es nahezu in jeder südamerikanischen Ortschaft) zu sitzen, das Licht und die Menschen um dich herum zu genießen, entschleunigt total. Doch mit der Ruhe ist es schlagartig vorbei, als wir uns plötzlich mitten in einer Prozession für den Patrón Jurado Señor de los Temblores befinden. Weiß nicht, was er genau fabrizierte, jedenfalls wird er sehr eindrucksvoll als »Lord der Erdbeben«, eine Art Schutzpatron, verehrt. Umringt von Tausenden folkloristisch gekleideten Einheimischen sowie ein paar verirrten Touristen wie uns, wandern wir der Statue bedächtig hinterher. Auf dem Weg zur Kirche lassen wir uns von dieser besonderen Stimmung in der Stadt verzaubern. Die verzückten, teilweise entrückten Gesichter um mich herum zeigen, wie gläubig die Menschen sind.

Am Ende der Zeremonie kommt jedoch auf einmal Panik auf und die Ausgangsgassen sind zu eng für diese Menschenmassen. Wir zwei recht großen Europäer schauen ziemlich hilflos über die Köpfe hinweg nach einem Ausweg, werden aber einfach mitgeschoben und geschubst. Vor mir wird eine zierliche peruanische Omi einfach umgeworfen – und dann ist das Chaos kurzzeitig perfekt. Wir wollen helfen, können uns aber nur schwer verständigen, befinden uns unvermittelt selbst im größten Gewühl und fühlen uns verloren. Menschen fallen, auch übereinander, schreien, weinen, wollen weg und können nicht. Heule mit, bin so machtlos! Will das gar nicht glauben, aber ich hab null Chance, in der pulsierenden Menge eine selbstbestimmte Regung zu machen.

Irgendwie beruhigt es sich nach einiger Zeit aber doch, wir schaffen es, an den Rand der Menge zu gelangen, und retten uns in die nächste Spelunke. Das alkoholische Nationalgetränk Pisco fand ich bisher gar nicht so lecker, aber nach diesem Erlebnis greif ich dankbar zu, den Traubenmost kann ich jetzt gebrauchen!

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Der letzte Trip steht an – die Dschungeltour. Inlandsflug nach Puerto Maldonado, ein Bus bringt uns zum Nationalpark Tambopata und im Einbaumboot erreichen wir nach zwei Stunden unsere Lodge flussaufwärts mitten im Wald. Tiere sehen wir noch keine, hören sie aber umso lauter. Es ist drückend warm, sehr feucht und die Moskitos haben ihren Spaß mit uns frisch eingetroffenen Warmblütern. Die Lodge ist dafür der Hammer. Superschöne Gästehäuser auf Stelzen mit eigener Outdoor-Dusche (das Dschungeldickicht schützt vor Nachbars Blicken) und einer Hängematte auf der Veranda. Der wildromantische Urlaubsausklang hat begonnen.

Sehe zum ersten Mal in meinem Leben eine echte Tarantel. Sie hat ihr Nest direkt unter unserer Terrasse gebaut. Kein sehr gutes Gefühl. Wir sollen die Schuhe vor dem Anziehen ausschütteln und nachts das Moskitonetz ums Bett sorgfältig zuziehen, dann würde schon nix passieren …

Als wäre das nicht genug Gruselstoff für die erste Nacht, entwickelt der Urwald zu später Stunde ein ohrenbetäubendes Eigenleben. À la »Wer hat die Kokosnuss geklaut« toben die Affen durch den Wald, es raschelt, knackt, rüttelt, schreit, knurrt, ächzt … Und ich hab doch so Schiss im Dunkeln! Im Vergleich zu dieser Urwaldgeräuschkulisse sind die Allgäuer Kuhglocken Balsam für die Ohren! Zu Hause haben wir immer wieder Gejammer von kuhglockenlärmgeplagten Touristen … Pfff … Die sollen hier mal Urlaub machen!

Die nächsten zwei Tage gewöhnen wir uns an das Gefauche im Gebüsch, findens sogar spannend. Beim ersten Schmetterling geh ich allerdings aus Reflex in Deckung, denn der hat eine Spannweite von 30 Zentimetern und brummt wie ein kleiner Hubschrauber. Wir streifen in Gummistiefeln durchs Unterholz, waten durch kleine Bachläufe, die größeren überqueren wir im Einbaum und halten im trüb-braunen Wasser nach kleinen Kaimanen Ausschau. Als mir ein Salzcracker versehentlich ins Wasser fällt, brodelt die Oberfläche kurzzeitig wie in einem Whirlpool und ich finde mich in Joe Dantes Film »Piranhas« wieder! Hier wimmelt’s nur so von diesen gruseligen Viechern! Als sechs dicke Otter genüsslich auf dem Rücken paddelnd unsern Weg kreuzen, staune ich nicht schlecht über ihre Gelassenheit, wo doch im undurchsichtigen Wasser einiges geboten ist …

Im nahe gelegenen kleinen Dorf besuchen wir abschließend die riesigen Bananen- und Papaya-Plantagen. Jetzt bin ich nicht mehr zu halten. Jede mir angebotene Naschprobe ist in Nullkommanix verschlungen. Leute! Das ist wirklich Obst vom Feinsten! Das knubbelige Hausschweinchen Mercedes hat anschließend mich zum Fressen gern, denn ich klebe nur so vom süßen Saft der Früchte. Es weicht mir gar nicht mehr von der Seite, am liebsten würde ich es mitnehmen. Ich belasse es aber bei ein paar süßen Früchtchen. Die passen wesentlich besser in den Rucksack und geben weniger Diskussion mit meinem Kumpel …

Viel zu schnell, dafür mit unzähligen Erlebnissen im Sinn, kommt der letzte Abend. In unserer Lodge leuchten überall Kerzen und gemütliche Kissen laden zum Verweilen ein. Ich erwische mich beim wehmütigen Gedanken, einfach hierzubleiben.

Aber: Nach dem Abenteuer heißt vor dem Abenteuer! Meine Reiseleidenschaft ist geweckt und so tollpatschig, wie zunächst gedacht, habe ich mich gar nicht angestellt. Während der Vollmond durchs hohe Blätterdach linst, hänge ich bereits meinen Träumen und Ideen für neue Ziele nach. Hab vor Kurzem gehört, Feuerland soll ganz schön sein …

Orte

Lima, Cusco, Titicacasee, Machu Picchu, Puerto Maldonado

Highlights

Floating Islands; »Dead Woman’s Pass«; Blick vom Inti Punku auf Machu Picchu; Riesenschmetterling und Piranhas im Dschungel des Nationalparks Tambopata

Zahlen

23 Tage – 2.000 Aufwärts-Höhenmeter, 75 Kilometer zu Fuß, 1.100 Kilometer per Bus & Bahn

Herausforderungen

das erste Mal Urlaub in der Ferne, fast alleine; fremde Sprache, Küche, Sitten und Gebräuche; draußen schlafen; Zelt-Eskapaden; Krabbelviecher; Massenpanik auf Peruanisch

Doping

2 Großpackungen Kopfschmerztabletten, 23 Blasenpflaster, 1 Kilogramm Kokablätter als Tee oder zum Kauen (soll die Höhenanpassung positiv beeinflussen – half nix, schmeckte mies), ab der zweiten Woche täglich mehrere Schoko-Erdnuss-Riegel (soll den Dauerdurchfall stopfen – stopfte nix, schmeckte dafür richtig gut)