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Albert Mößmer

101 Dinge
die man über die
Raumfahrt
wissen muss

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Inhalt

Vorwort | Raketen und das Universum

1Leuchten und Himmelswagen | Visionen vom Sternenhimmel

2Kosmische Weltbilder | Die Geburt der Astronomie

3Träume von der Raumfahrt | Frühe Raketen

4Amerikas Raketenpionier | Robert H. Goddard

5Unternehmen Büroklammer | Von Peenemünde nach Redstone

6Signale aus der Umlaufbahn | Der Sputnik-Schock

7Explorer und Vanguard | Amerikas Start ins All

8Die Grenze zu den Sternen | Wo fängt der Weltraum an?

9Die Gründung der NASA | Von der Luft- zur Raumfahrt

10Warum eine Rakete fliegt | Newtons Gesetze der Bewegung

11Genossen im All | Die ersten Kosmonauten

12Ein sowjetischer Visionär | Sergei Koroljow

13Das Mercury-Programm | Astronauten in der Umlaufbahn

14Startschuss | Der Wettlauf zum Mond

15Einflussreicher Begleiter | Der Mond

16Auf Crash-Kurs | Die Ranger-Sonden

17Meilensteine im All | Das Woschod-Programm

18Zwillinge auf Überholspur | Das Gemini-Programm

19Ein Schuss ins All | Die Weltraumkanone

20Der Weltraumlift | Per Aufzug in die Umlaufbahn

21Kopfrechner | Frühe Computer

22Die passende Kleidung | Raumanzüge

23Die Atlas-Rakete | Ein Arbeitspferd der Raumfahrt

24The Right Stuff | Wie man Astronaut wird

25Die Mondvermesser | Lunar Orbiter, Surveyor und Luna

26Vorbereitung zum Mondflug | Das Apollo-Programm

27Reise zum Mond … | … und zurück

28Apollo 11 | Ein großer Sprung für die Menschheit

29Glück im Unglück | Apollo 12 und 13

30Mondraketen | Saturn V und N1

31Abschied vom Mond | Die letzten Apollo-Missionen

32Ein Labor im Orbit | Skylab

33Satelliten im Orbit | Umlaufbahnen

34Europa im Weltraum | Die ESA

35Europas Trägerraketen | Ariane

36Frauen im Weltraum | Kosmonautinnen und Astronautinnen

37Planetenschiffer | Die Mariner-Missionen

38Interplanetare Pioniere | Die Pioneer-Missionen

39Mit der Fähre ins All | Das Space Shuttle

40Das Spacelab | Forschung in der Schwerelosigkeit

41Ein riskanter Beruf | Die Gefahren der Raumfahrt

42Raumstationen des Ostens | Saljut und Mir

43Kooperation im Weltraum | Die Internationale Raumstation

44Blick auf ferne Welten | Hubble und Co.

45Warum der Apfel fällt | Die Gravitation

46Zentren der Raumfahrt | Raketenstartplätze

47Eine zuverlässige Familie | Die Delta-Raketen

48Ionen, Licht und Sonnensegel | Alternative Antriebe

49Raketen vom Subkontinent | Indiens Weg in den Weltraum

50Ein aufstrebender Stern | Chinas Raumfahrt

51Japans Raumfahrt | Von der Bleistiftrakete zur Sonde

52Der verhüllte Planet | Venus

53Sowjetische Venus-Sonden | Die Venera-Missionen

54Pioneer Venus und Magellan | Die Venus-Sonden der NASA

55Ein felsiger Zwerg | Merkur

56Der Rote Planet | Mars

57Schwierige Missionen | Die frühen Mars-Sonden

58Wikinger auf dem Mars | Die Viking-Missionen

59Mobil auf dem Mars | Die Zeit der Rover

60Zwischen Mars und Jupiter | Der Asteroidengürtel

61Kurs auf Kleinplaneten | NEAR und Dawn

62Japans Wanderfalken | Hayabusa

63Besuch bei Bennu | OSIRIS-REx

64Potenziell gefährlich | Einschlagrisiko

65Besucher von weit draußen | Die Kometen

66Jagd nach dem Kometen | Halleys Wiederkehr

67Sternenstaub | Direktkontakt mit Kometen

68Gefahr aus dem All | Asteroiden, Meteoroiden und Meteore

69Planetenverteidigung | Mission zum Zwillingsasteroiden

70Gigant unter den Planeten | Jupiter

71Eine lange Reise | Die Voyager-Missionen

72Reise zum Gasriesen | Die Galileo-Mission

73Die zweite Jupiter-Mission | Juno

74Eine bunte Familie | Die Jupitermonde

75Der Ringplanet | Saturn

76Eine Doppelsonde zum Saturn | Die Cassini-Huygens-Mission

77Die Lagrange-Punkte | Sammelstellen für kleine Körper

78Gravitationshilfe | Swing-by-Manöver

79Krank im All | Folgen der Schwerelosigkeit

80Der gekippte Riese | Uranus

81Der Sturmplanet | Neptun

82Ein vermeintlicher Planet | Pluto

83Planeteninflation | Was ist ein Planet?

84Jenseits des Neptun | Der Kuipergürtel

85New Horizons | Zum Pluto und noch weiter

86Kosmische Distanzen | Maße und Abstände im All

87Das Zentralgestirn | Die Sonne

88Der äußerste Rand | Die Oortsche Wolke

89Die interstellare Grenze | Wo endet das Sonnensystem?

90Botschaften an Außerirdische | Reisen in den interstellaren Raum

91Eine blaue Murmel | Die einzigartige Erde

92Raumfahrtvereine | Enthusiasten, Visionäre und Förderer

93Große Ziele | SpaceX

94Die Zukunft bei den Sternen | Blue Origin

95Neuseelands Senkrechtstarter | Rocket Lab

96Orion | Amerikanisch-europäische Kooperation

97Ein multinationales Ziel | Rückkehr zum Mond

98Hyperraum | Träume von Überlicht

99Fantasieprodukte | Raumfahrt und Science-Fiction

100Sind wir allein? | Leben auf anderen Planeten

101Die Zukunft im All | Raumstationen und Terraforming

Vorwort

Raketen und das Universum

„Diese törichte Idee, auf den Mond zu schießen, ist ein Beispiel dafür, wie absurd weit eine verderbliche Spezialisierung Wissenschaftler gehen lässt, die in gedankenundurchlässigen Abteilungen arbeiten.“ Diese bekannte Äußerung des englischen Chemikers Alexander William Bickerton (1842–1929) ist ein Beispiel für die Skepsis, die denen entgegenschlug, die über mögliche Reisen zu anderen Himmelskörpern spekulierten. Die Erfinder, Tüftler und Visionäre ließen sich jedoch kaum von ihren Zielen abbringen. 1926, als Bickerton diese Meinung von sich gab, startete in den USA ein gewisser Robert H. Goddard zum ersten Mal eine Rakete mit flüssigem Treibstoff. Theoretische Abhandlungen über den Raketenbau hatte es schon vorher gegeben, und auch in der Belletristik war der Flug zu fremden Welten immer wieder ein Thema.

1957 schickte die Sowjetunion ihren ersten Satelliten in den Weltraum. Durch diesen „Sputnik-Schock“ erhielt die Weltraumfahrt einen entscheidenden Impuls. Es dauerte nur zwölf Jahre, bis der erste Mensch auf dem Mond war. Zwei Jahre später gelang einer Sonde erstmals eine weiche Landung auf dem Mars, und zwei Jahre nach diesem Ereignis flog zum ersten Mal eine Sonde an dem Gasriesen Jupiter vorbei.

„Aber, was bringt uns die Raumfahrt?“, ist eine Frage, die man nicht selten hört. „Wofür Geld für Raketen und Sonden ausgeben, wenn wir so viele Probleme auf der Erde haben?“

Zu den direkten Nutzen der Raumfahrt zählen die zahlreichen Satelliten, die um die Erde kreisen und eine globale Kommunikation, Wettervorhersagen und Navigationssysteme ermöglichen. Sie warnen vor Stürmen und anderen Naturkräften, sie liefern Informationen über Grünhausgase, die Beschädigung der Ozonschicht, Abholzungen und die Ausbreitung von Wüsten.

Abgesehen von dem praktischen Nutzen bietet die Raumfahrt mehr: Sie befriedigt die menschliche Neugierde und den Forscherdrang. Sie hilft uns, die Welt zu verstehen, in der wir leben; sie zeigt uns, wie unser Planet entstand und wohin er sich entwickeln wird; und sie gibt uns möglicherweise eine Antwort darauf, was die Zukunft der Menschheit sein wird.

Beim Lesen dieses Buches wünsche ich viel Freude

Albert Mößmer

1 Leuchten und Himmelswagen

Visionen vom Sternenhimmel

Wer einmal eine Nacht in der Wüste verbracht hat, bekommt eine Vorstellung davon, was unsere Vorfahren am wolkenlosen Himmel sahen, bevor Straßenbeleuchtungen und andere Lichtquellen den Sternenglanz ausblendeten. Das helle Band der Milchstraße ist für die Menschen in den dicht besiedelten industrialisierten Ländern heute weithin unsichtbar. Hat man aber eine ungehinderte Sicht auf den Nachthimmel, bekommt die Redewendung von „unzähligen Sternen“ eine neue Bedeutung, und man kommt nicht umhin, zutiefst beeindruckt zu sein. Es wird dann verständlich, was der Psalmist meinte, wenn er vor etwa 2.500 Jahren sang: „Wenn ich deine Himmel sehe, das Werk deiner Finger, den Mond und die Sterne …“ Auch als Erich Knauf 1941 den Text zu dem Lied „Heimat deine Sterne“ verfasste, konnte er noch davon schwärmen, dass der Himmel wie ein Diamant ist – was heute im Lichtsmog nur noch schwer nachvollziehbar ist.

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Antike Kosmologien

Aber was waren der Himmel und seine Gestirne? Lange Zeit glaubten die Menschen, dass die Erde von einem festen Gewölbe überdacht sei, Die Sterne an diesem Firmament waren für sie Leuchten, Götter, Engel oder die Köpfe goldener Nägel. In manchen Kulturkreisen glaubte man, dass die Himmelsgestirne das Schicksal und das Wesen der Menschen beeinflussen könnten. Sterne konnten auch vom Himmel fallen oder – wie in der Weihnachtsgeschichte – vor Wandernden herziehen, um ihnen den Weg zu weisen. Gemäß dem astronomischen Teil des Buches Henoch befinden sich im Firmament Öffnungen. Sechs dieser Tore im Osten und sechs im Westen werden von der Sonne und dem Mond beim Auf- und Untergehen benutzt, und durch zwölf bläst der Wind. Immerhin wusste der Autor dieser Schrift bereits, dass der Mond das Licht der Sonne reflektiert und die Mondphasen davon abhängen, von welcher Position aus das Sonnenlicht auf ihn trifft. Der Mond wurde aber in dieser kosmologischen Vorstellung auf seinem Wagen vom Wind über das Gewölbe getrieben.

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Ein Wanderer hat in diesem berühmten mittelalterlichen Holzschnitt den Rand der Welt erreicht und entdeckt die Himmelsmechanik, die sich hinter dem Firmament befindet. Bild: Houston Physicist / CC BY-SA 4.0

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Ikaros kam der Sonne zu nahe und stürzte deswegen in den Abgrund. Für manche dient die Geschichte als Warnung, andere sehen in Ikaros ein Vorbild, das einfach Pech hatte. Bild: Jacob Peter Gouwi

Während Henoch für seine kosmologischen Erkenntnisse auf die Hilfe himmlischer Wesen angewiesen war, wusste die griechische Mythologie von Himmelsfahrern, die mit Hilfe einer eigenen Erfindung in die Höhe stiegen. Nach einer weit verbreiteten Geschichte erfand der Baumeister und Künstler Daidalos Flügel, um mit seinem Sohn Ikaros aus ihrem Gefängnis auf der Insel Kreta zu entkommen. Ikaros jedoch flog zu nahe an die Sonne, was zur Folge hatte, dass das Wachs an seinen Flügeln schmolz und er zu Tode stürzte.

Ikaros gewann im Laufe der Zeit in der europäischen Kultur einen sinnbildlichen Charakter. Manche fassten ihn als ein Symbol der menschlichen Überheblichkeit auf, für andere ist er der Archetyp des vorwärtsstrebenden, keine Risiken scheuenden Pioniers – vielleicht der erste Testpilot.

2 Kosmische Weltbilder

Die Geburt der Astronomie

Während die astronomischen Beschreibungen im Buch Henoch auf dem nahöstlichen Weltbild beruhten, erlebte die wissenschaftliche Astronomie ihre Geburt im griechischen Kulturkreis. Über die Form der Erde wurde unter den griechischen Philosophen schon früh spekuliert. Als wirklicher Beweis für deren Kugelgestalt kann die Feststellung des Aristoteles (384–322 v. Chr.) gelten, dass bei einer Mondfinsternis der Schatten der Erde kreisrund sei. Den Erdschatten auf dem Mond beobachtete auch Aristarchos von Samos (circa 300 v. Chr.) und berechnete daraus den Durchmesser der Erde. Aristarchos lag mit seiner Kalkulation noch etwas daneben. Aber Eratosthenes von Kyrene (circa 275–194 v. Chr.) gelang eine genauere Berechnung. Auf seinen Reisen bemerkte er, dass die Sonne in Alexandrien zur Mittagszeit etwas tiefer stand als im oberägyptischen Syene. Den Unterschied erklärte er sich mit der Krümmung der Erdoberfläche. Den Abstand zwischen den beiden Städten berechnete er auf ein Fünfzigstel eines Vollkreises. Nachdem er den Abstand zwischen Alexandrien und Syene ermittelt hatte, konnte er den gesamten Erdumfang ausrechnen. Das Ergebnis war ein Umfang von 250.000 Stadien, was ungefähr dem tatsächlichen Wert von 40.008 Kilometern entlang eines Längenkreises entspricht.

Den Abschluss fand die antike Astronomie etwa 140 n. Chr. Mit Claudius Ptolemäus (Ptolemaios), der die damaligen Erkenntnisse über die Erde und die Gestirne in einem Werk zusammenfasste. Dieses Opus, später unter dem Titel „Almagest“ bekannt, galt für die folgenden eineinhalbtausend Jahre als eine Art „Bibel der Astronomen“. Die Erde befand sich nach dem ptolemäischen Weltbild in der Mitte des Universums und wurde von den anderen Himmelskörpern umkreist. Die geozentrische Weltvorstellung wurde noch kaum von jemandem angezweifelt.

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Das heliozentrische Weltbild

Als eine Reformation der Astronomie kann das bezeichnet werden, was Nikolaus Kopernikus (1473–1543) in Bewegung brachte. Der Astronom, Arzt und Domherr war sich der Ungereimtheiten des ptolemäischen Weltsystems bewusst und schlug einen anderen Aufbau des Weltalls vor: In der Mitte befand sich die Sonne, und um dieses Zentrum kreisten die Planeten, einschließlich der Erde. Nur der Mond kreiste um die Erde. Außerdem drehte sich die Erde alle 24 Stunden um die eigene Achse. Das Werk mit dem Titel „Über die Umdrehungen der himmlischen Kreise“ erschien erst 1543, als der Verfasser bereits auf dem Totenbett lag. Möglicherweise blieben ihm damit einige Unannehmlichkeiten erspart. Martin Luther bezeichnete Kopernikus als Narren, der die ganze Kunst der Astronomie umkehren wolle.

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Kopernikus, wie ihn sich der Maler Jan Matejko vorstellte. Auf der Tafel neben dem Astronomen sind die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne eingezeichnet. Bild: Jan Matejko

Der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler (1571–1630) präzisierte das kopernikanische Weltbild: Die Planeten bewegen sich um die Sonne nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen. Diese Erkenntnis wird als das erste Keplersche Planetengesetz bezeichnet. Ein zweites Gesetz lautete: Der Radiusvektor (Fahrstrahl) eines Planeten beschreibt bei dessen Bewegung um die Sonne in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich der Planet in Sonnennähe schneller bewegt als in Sonnenferne. 1609 erschienen diese beiden Gesetze in Keplers Werk „Astronomia Nova“ (Neue Astronomie).

Als dritter im Bunde derjenigen, die der Erde ihre zentrale Stellung nahmen, soll noch der Mathematiker Galileo Galilei (1564–1642) erwähnt werden. Er gilt als der Begründer der modernen Physik. Galilei lehrte nicht nur das heliozentrische Weltbild, sondern baute sich auch ein Fernrohr, mit dem er vier Jupitermonde entdeckte. Er stellte damit fest, dass nicht nur die Planeten um die Sonne kreisten, sondern dass sogar manche dieser Planeten eigene Trabanten besaßen.

3 Träume von der Raumfahrt

Frühe Raketen

An Flüge zu einem der Himmelskörper dachte noch niemand, als man die Rakete erfand. Stattdessen erwies sich wieder einmal das Militär als Geburtshelfer. 1161 verwendete ein chinesischer General sogenannte „Feuerpfeile“ zur Abschreckung seiner Gegner, und 1232 beschossen chinesische Verteidiger in einer Schlacht gegen mongolische Invasoren die Angreifer mit „Feuerlanzen“. Dabei handelte es sich um Röhrchen, die mit Sprengpulver aus Salpeter, Schwefel und Holzkohle gefüllt waren. In China hatte man Sprengpulver schon früher eingesetzt, und zwar für Knalleffekte vor allem bei religiösen Festen und Feierlichkeiten.

Die Mongolen übernahmen die Erfindung und brachten sie wahrscheinlich nach Europa. Roger Bacon (circa 1220–ca. 1292) erwähnte bereits 1242 die Verwendung von Schwarzpulver in Feuerwerkszeug für Kinder. 1270 war das Wissen über den Sprengstoff bereits in ganz Europa verbreitet. Zugleich entstanden Raketen, die sowohl in Feuerwerken als auch bei militärischen Auseinandersetzungen Verwendung fanden. Im 16. Jahrhundert konstruierte ein gewisser Johannes Schmidlap eine zweistufige Feuerwerksrakete. Wenn die erste Stufe ausgebrannt war, sollte sich die zweite entzünden, um das Projektil in eine größere Höhe zu bringen.

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Visionäre und Theoretiker

Der in Berlin lebende Erfinder Hermann Ganswindt (1856–1934) wollte weiter hinaus. In einem Vortrag erklärte er 1891, wie er mit einem „Weltenfahrzeug“ die Erde verlassen und innerhalb von 22 Stunden den Mars oder die Venus erreichen wollte. Die Antriebseinheit seines Raumfahrzeugs bestand aus einem Stahlrohr, das mit Dynamit gefüllt war. Die Schubkraft sollte durch eine Serie von Explosionen erzeugt werden. Von Reisen in den Weltraum träumte auch der russische Lehrer Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski (1857–1935). Von ihm stammt der Spruch: „Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber die Menschheit kann nicht für immer in der Wiege bleiben.“ Von den Raketen hatte auch er durch den Krieg erfahren. In einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich hatten russische Truppen die Schwarzmeerfestung Warna mit Raketen beschossen. Während seines Studiums an der Moskauer Universität durchforschte Ziolkowski das Militärarchiv, um möglichst viel über die Raketentechnik zu erfahren. In einer Abhandlung schlug er die Verwendung von flüssigem Treibstoff vor. Während sich bei der Verwendung von pulverförmigem Treibstoff der Brand in der Pulverladung voranfraß, würde aber bei der Zündung des flüssigen Treibstoffes die Rakete explodieren. Als Lösung entwarf er eine Brennkammer, in die der Treibstoff fortlaufend eingespritzt werden sollte. Um eine größere Schubkraft zu erzielen, schlug er bereits die Verwendung mehrstufiger Raketen vor. Für seine theoretischen Leistungen wird Ziolkowski manchmal als „Vater der Raumfahrt“ bezeichnet.

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Hermann Oberth schuf einige der Grundlagen der Raketentechnik in Deutschland. Bild: NASA

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Konstantin Ziolkowski entwarf bereits Raketen mit flüssigem Brennstoff, der in einer Brennkammer entzündet werden sollte. Bild: Konstantin Ziolkowski

Einen ähnlichen Ruf erwarb sich auch der in Siebenbürgen geborene Hermann Oberth (1894–1989). Bereits 1917 entwarf er eine mit Ethanol und Sauerstoff betriebene Rakete. 1922 bot er dem Verleger Rudolf Oldenbourg ein Manuskript mit dem Titel „Die Rakete zu den Planetenräumen“ an. Darin stellte er die These auf, dass es mit Maschinen möglich sei, über die Erdatmosphäre hinaus zu steigen und dass bei einer Vervollkommnung der Technik eine Flugmaschine die Erdanziehung verlassen und sogar Menschen mitnehmen könne. Diese Schrift gilt als Anfang der wissenschaftlichen Theorie der Raumfahrt in Deutschland. 1930 erweiterte Oberth sein Erstlingswerk und veröffentlichte es unter dem Titel „Wege zur Raumschiffahrt“.

4 Amerikas Raketenpionier

Robert H. Goddard

Am Anfang der amerikanischen Raumfahrtgeschichte steht als herausragendste Persönlichkeit Robert H. Goddard (1882–1945). Er gilt als der Mann, der das Weltraumzeitalter einleitete, und als „Vater des modernen Raketenantriebs“. Nach ihm ist das Goddard Space Flight Center der NASA benannt.

Robert Goddard wuchs im Nordosten der Vereinigten Staaten auf. Er interessierte sich schon früh für Naturwissenschaften und führte bereits als Kind eigene Experimente durch. 1914 bekam er seine beiden ersten Patente: eine Rakete mit flüssigem Treibstoff und eine mehrstufige Rakete mit festem Treibstoff. 1919 – mittlerweile hatte er es zum Physikprofessor gebracht – veröffentlichte er eine Abhandlung mit dem Titel „Eine Methode zum Erreichen extremer Höhen“. Seinen ersten Versuch mit einer Flüssigkeitsrakete unternahm er am 16. März 1926. Als Treibstoff dienten flüssiger Sauerstoff und Benzin. Die Rakete flog nur zweieinhalb Sekunden und erreichte eine Höhe von 12,5 Metern. Aber es war der erste erfolgreiche Flug einer Rakete mit flüssigem Treibstoff. Dieses Ereignis wurde hinsichtlich seiner Bedeutung oft mit dem ersten Flug der Wright-Brüder 1903 verglichen.

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Robert Goddards Arbeit blieb von der US-Regierung weitgehend unbeachtet. So ging technischer Vorsprung in der Raketentechnik verloren. Bild: NASA

Im Laufe der Zeit wurden Goddards Flugkörper immer stärker und erreichten zunehmend größere Höhen. 1930 verlagerte er seine Versuchsanlage nach Roswell in New Mexico, wo er mit einem Technikerteam und mit der finanziellen Unterstützung der Guggenheim-Familie eine Versuchsanlage aufbaute. 1935 durchbrach eine seiner Raketen die Schallmauer. Er entwickelte ein Kreiselinstrument zur Flugkontrolle und startete bereits 1929 eine Rakete mit wissenschaftlichen Instrumenten an Bord. Schon 1904 hatte Goddard anlässlich der Abschlussfeier seiner High-School geäußert: „Es hat sich oft gezeigt, dass der Traum von gestern die Hoffnung von heute und die Wirklichkeit von morgen ist.“ Die Verwirklichung seines Traums vom Flug in den Weltraum konnte er aufgrund seines frühen Todes 1945 allerdings nicht mehr miterleben.

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Robert Goddard erhielt auf seine Erfindungen 214 Patente, zum Beispiel 1914 auf eine mehrstufige Rakete. Bild: Robert H. Goddard

Inspiration

Wie viele andere Raumfahrtpioniere, ließ sich auch Goddard von Science-Fiction-Erzählungen inspirieren. In seinem Fall war es der Roman „Der Krieg der Welten“, der 1898 von H. G. Wells veröffentlicht worden war. „Er hinterließ einen tiefen Eindruck“, schrieb er 1932 in einem Brief. „Ein Jahr später war der Bann vollständig, und ich entschied, dass das, was man vorsichtig formuliert, als ‚Höhenforschung‘ bezeichnen könnte, das faszinierendste Problem überhaupt war.“ 1

1vgl. Bolden, Charles: The Stuff of Goddard‘s Dreams. Robert H. Goddard Memorial Symposium. Greenbelt Maryland, February 9, 2016. Seite 2

5 Unternehmen Büroklammer

Von Peenemünde nach Redstone

„Kennt ihr nicht euren eigenen Raketenpionier?“, wollte Wernher von Braun wissen, als er nach dem Zweiten Weltkrieg über seine Tätigkeit befragt wurde. „Dr. Goddard war uns voraus.“ 2

Während Goddard von der amerikanischen Regierung weitgehend unbeachtet seine Raketenversuche unternahm, gewann in Deutschland – allerdings unter militärischer Regie – die Entwicklung dieser Flugkörper an Fahrt. 1936 erfolgte in der Gemeinde Peenemünde, an der Nordspitze der Insel Usedom, der Spatenstich für das damals größte Raketenversuchszentrum der Welt. Weitgehende Beachtung im In- und Ausland fanden die in Peenemünde stattgefundenen Entwicklungen allerdings erst während des Zweiten Weltkriegs. Der Marschflugkörper Fieseler Fi 103 – von der Nazipropaganda als „Vergeltungswaffe 1“ (V1) bezeichnet – wurde vor allem gegen Ziele in England abgeschossen. Noch gefährlicher war das Geschoss mit der Bezeichnung „Aggregat 4“ (A4) beziehungsweise „Vergeltungswaffe 2“ (V2). Dabei handelte es sich um eine Rakete mit flüssigem Treibstoff, die eine Reichweite von 250 bis 300 Kilometern besaß und ungefähr 738 Kilogramm Sprengstoff ins Ziel tragen konnte.

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Seitenwechsel

Als sich der Zweite Weltkrieg dem Ende zuneigte, bestanden bei den Alliierten keine Zweifel darüber, dass die deutsche Seite über ein raketentechnisches Know-how verfügte, das man für eigene Zwecke nutzen konnte und nicht in die Hände der Sowjets fallen lassen wollte. „Operation Paperclip“ (Unternehmen Büroklammer) hieß die Geheimmission, die deutsche Raketenspezialisten rekrutieren und in die USA bringen sollte. Die Techniker ließen sich in der Regel schnell überzeugen, da ihnen nicht nur die Möglichkeit geboten wurde, ihre wissenschaftliche Arbeit auf der anderen Seite des Atlantiks fortzusetzen, sondern ihnen zugleich auch Konsequenzen für ihre Rolle während des Krieges erspart blieben. Einige von ihnen – dazu gehörte Wernher von Braun, der technische Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde – waren nach dem Umzug in die USA an der Entwicklung der ersten Boden-Boden-Rakete auf dem Redstone-Arsenal der US-Armee in Alabama entscheidend beteiligt. Eine Variante der Redstone-Rakete diente zum Transport des ersten amerikanischen Satelliten ins All und stellte damit den Anfang des amerikanischen Raumfahrtprogramms dar.

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Pioniere der US-Raumfahrt: Ernst Stuhlinger, Major General Holger Toftoy, Herman Oberth, Wernher von Braun, Robert Lusser (von links). Bild: NASA/Hank Walker

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Wernher von Braun (mit Gipsarm) ergab sich am 2. Mai 1945 der Spionageabwehr der US-Armee. Zweiter von rechts: Magnus von Braun, Wernhers Bruder. Bild: NASA

Übrigens …

Wernher von Braun (1912–1977) arbeitete bereits ab Herbst 1932 als Zivilangestellter für das Raketenprogramm des Heereswaffenamtes. Von Braun hatte sich als Jugendlicher – von Science-Fiction-Romanen und später durch Herman Oberths Buch inspiriert – für die Raumfahrt begeistert. Aufgrund seiner durch die Armee finanzierten Forschung konnte er am 27. Juli 1934 in Physik promovieren. Während der Nazi-Herrschaft war er Mitglied der NSDAP und der SS. Von 1960 bis 1970 war er als Direktor des Marshall Space Flight Center tätig und leitete als Chefarchitekt die Entwicklung der Saturn V. Er popularisierte darüber hinaus die Raumfahrt durch Fernsehproduktionen mit Walt Disney und durch das Verfassen von Büchern.

2Vgl. Wilford, John Noble, „A Salute to long Neglected ‚Father of American Rocketry‘“, in: The New York Times, 5. Oktober 1982

6 Signale aus der Umlaufbahn

Der Sputnik-Schock

Am 4. Oktober 1957 versetzte eine Eilmeldung die Zeitungsund Rundfunkredaktionen der ganzen Welt in Aufregung: Die Sowjetunion hatte einen Satelliten ins All geschossen. Die Erde hatte damit erstmals einen künstlichen Begleiter erhalten. „Sputnik“, russisch für „Satellit“ oder „Trabant“, war der offizielle Name des 83,5 Kilogramm schweren kugelförmigen Apparats, der an der Spitze einer Interkontinentalrakete vom Typ R-7 ins All flog. Der Satellit bewegte sich, laut einer Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS, in einer Höhe von 900 Kilometern über der Erdoberfläche und umkreiste den Globus in einer Stunde und 35 Minuten.

Fachleute bekamen auch von einer anderen Quelle Informationen. Ende September 1957 hatte in Washington eine internationale Konferenz über Weltraumforschung und Raketentechnik begonnen. Unter anderem ging es bei der Zusammenkunft um die Frage, wie man in die oberen Schichten der Atmosphäre gelangen könne. Die sowjetische Delegation unter der Leitung von Anatoli Blagonrawow, Professor für Ballistik und Generalleutnant der Roten Armee, hielt sich zunächst zurück. Am letzten Tag der Konferenz, dem 4. Oktober, kam von der sowjetischen Seite der sensationellste Beitrag der Veranstaltung, ein Bericht über den erfolgreichen Start des Sputnik.

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Mit dem Start des Sputnik 2 wurde erstmals ein Lebewesen ins All geschickt. Die Hündin Laika überlebte jedoch nur wenige Stunden. Bild: NASA

Das Sputnik-Unternehmen hatte mehrere Ziele:

1. Test der Technik, mit der Satelliten in die Erdumlaufbahn geschickt werden können.

2. Die Dichte der Atmosphäre sollte aus der Lebensdauer des Satelliten berechnet werden.

3. Test der Techniken zur Verfolgung von Satelliten in der Umlaufbahn.

4. Test der Prinzipien der Druckregelung bei Satelliten.

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Modell des Sputnik 1, das 1975 auf der Pariser Luftfahrtschau ausgestellt wurde. Nach 92 Tagen Umlaufzeit drang er in dichtere Luftschichten ein und verglühte. Bild: NASA

Der erfolgreiche Start des Sputnik war nicht nur sensationell, er löste in der westlichen Welt auch eine Reaktion aus, die oft als „Sputnik-Schock“ bezeichnet wird. Die Sowjetunion war den westlichen Ländern in der Raketentechnik und in der Raumfahrt offensichtlich voraus. In den USA sprach man auch vom „Pearl-Harbor-Effekt“, in Anspielung auf den japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941, der den amerikanischen Kriegseintritt in den Zweiten Weltkrieg und die Aufrüstung der USA zur Folge hatte. Das Gefühl, ins Hintertreffen geraten zu sein, führte in den USA zu erhöhten Ausgaben für die Forschung und Raumfahrttechnik, zur Gründung der NASA und schließlich zur Mondlandung.

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Weitere Sputniks

Dem ersten sowjetischen Satelliten folgte am 3. November 1957 ein zweites Raumfahrzeug mit der Bezeichnung „Sputnik 2“. Damit stellten die Sowjets unter Beweis, dass ihr erster Erfolg kein Zufall gewesen war. Zudem wurde mit diesem fast 504 Kilogramm schweren Raumflugobjekt erstmals ein Lebewesen ins All geschossen, nämlich eine Eskimohündin namens Laika. In dem kegelförmigen Körper des Satelliten befand sich eine luftdicht abgeschlossene Kabine mit einem Nahrungsvorrat sowie Instrumenten, die Herzschlag, Puls, Atmung und Blutdruck des Tieres messen und die Werte zur Erde funken sollten. Ursprünglich hieß es, Laika habe in der Kapsel sechs oder sieben Tage lang überlebt und sei eingeschläfert worden, als der Sauerstoff zu Ende ging. 2002 wurde jedoch bekannt, dass das Tier bereits wenige Stunden nach dem Start vermutlich an Überhitzung und Stress zugrunde gegangen war. Kein Hund musste dagegen für die Mission des Sputnik 3 sterben. Nach einem Fehlstart am 27. April 1958 schickte die sowjetische Weltraumbehörde am 15. Mai einen 1.327 Kilogramm wiegenden Ersatzsatelliten ins Weltall. Unter anderem sollten damit Messungen der kosmischen Strahlung vorgenommen werden.

7 Explorer und Vanguard

Amerikas Start ins All

Am 4. Oktober 1957 befand sich Wernher von Braun bei einem Dinner zu Ehren des angehenden Verteidigungsministers Neil McElroy, als er von einem Reporter der New York Times angerufen wurde.

„Nun, was halten Sie davon?“, fragte ihn der Reporter.

„Von was?“, wollte von Braun wissen.

„Von dem russischen Satelliten, den sie gerade in die Umlaufbahn gebracht haben.“

An den Esstisch zurückgekehrt, informierte von Braun die Anwesenden über das Ereignis. An den zukünftigen Verteidigungsminister gewandt sagte er: „Sir, wenn Sie nach Washington zurückkehren, werden Sie feststellen, dass die Hölle los ist. Ich wünschte, Sie würden bei all dem Lärm und der Verwirrung einen Gedanken behalten: Wir können einen Satelliten 60 Tage nach dem Augenblick, in dem Sie uns grünes Licht geben, in den Orbit schießen.“ 3

Das grüne Licht ließ allerdings noch auf sich warten. Zuerst sollte die Marine zum Zuge kommen. Am 6. Dezember 1957 erfolgte der Start der dreistufigen Rakete Vanguard TV3, die einen kleinen Satelliten ins All schicken sollte. Der übers Fernsehen übertragene Start erwies sich jedoch als spektakulärer Fehlschlag. Zwei Sekunden nach dem Abheben hüllte sich die Rakete in Feuer und explodierte.

Die ersten Satelliten im Vergleich

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Mit dem erfolgreichen Start der Juno I im Februar 1958 gelang es den USA zum ersten Mal, einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu befördern. Bild: NASA

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Redstones Stunde