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GERHARD ZALLINGER

DIE MACHT
IN DIR

WIE DER KÖRPER SICH SELBST HEILT

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

VEGETATIVES TRAINING ist eine eingetragene Marke.

Gendererklärung

Der besseren Lesbarkeit wegen verwende ich im nachfolgenden Text zumeist die Sprachform des generischen Maskulinums. Personenbezogene Aussagen beziehen sich auf alle Geschlechter.

1. Auflage

© 2020 Ecowin bei Benevento Publishing Salzburg – München,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesetzt aus der Palatino, Neutra

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie

ISBN: 978-3-7110-0244-0
eISBN 978-3-7110-5268-1

INHALT

Prolog

Body talks – wenn der Körper spricht

Körpergeschichten

Diagnose: Multiple Regulation

Emotions run the show

Daseinssicherung – Mission Possible?

Wilhelm Reichs Vermächtnis

Norwegische Richtung

Heilung als Rhythmus

Gene – what else?

Placebo – ein Glaubensbekenntnis

Frohe Botschaften

24 Stunden immun

Moleküle der Kommunikation

Zwei Pole

Konflikt und Widerspruch

Kraftvolle Integration

Regulation statt Religion

Einvernehmliche Trennung

Geheime Pforten

Glaube hilft

Verkörperter Stress

Kleine Überladungslehre

Ein Balanceakt

Vegetativ trainieren

Warm-up

Ruhe

Spontane Wirksamkeit

Kernkompetenzen

Transformation und Integration

Dialog mit meinem Mentor

Protokoll einer Trainingsbesprechung

Gesünder als gesund?

Intuitive Beschreibungen

Was macht die Macht?

Neue Strömungen

»Heilendes« Gegenüber

Gerechtigkeit siegt

Glossar

Literatur

Danke

Meiner Familie gewidmet.

ZU DEN ERFAHRUNGSBERICHTEN UND NAMENSNENNUNGEN

Die Erfahrungsberichte stammen von meinen Klienten. Mit ihrem Einverständnis wurden ihre Wahrnehmungen und ihr Erleben entweder direkt von mir aufgezeichnet oder mir von den Klienten als Aufnahme übermittelt. Die Aufzeichnungen wurden transkribiert, und deren Abdruck in meinem Buch findet ebenfalls mit dem Einverständnis meiner Klienten statt.

Dasselbe gilt für das Interview mit Inge Jarl Clausen.

PROLOG

Es gibt sie, jene tipping points – Wendepunkte, Momente, die richtunggebend sind und in denen sich das Bauchgefühl entscheidend zuschaltet. Bauchgefühl, ein viel strapazierter Begriff, mit dem wohl die meisten Menschen spontan etwas anfangen können, aber sehr Unterschiedliches darunter verstehen. Wenn ich von Bauchgefühl spreche, meine ich Vertrauen: Vertrauen gleichermaßen in meinen Geist und in meinen Körper. Ich verstehe diese beiden als eine Einheit, die sich zu verschiedenen Fragen des Lebens abwechselnd stark bemerkbar machen. Wenn sich mein Bauchgefühl zuschaltet, ist es mein Körper, der mir mit seinen Signalen seine Meinung zu richtig oder falsch, zu ja oder nein, zu Rückzug oder Bleiben vermittelt.

Jeder, der sich mit seiner Biografie auseinandersetzt, kann Wegweiser identifizieren, vielleicht sogar mehrere, die plötzlich einen Weg sichtbar gemacht haben, der bisher verborgen geblieben war. Ein derartiges Erlebnis im beruflichen Sinne und weit darüber hinaus zeichnete sich bei mir vor mittlerweile mehr als acht Jahren im Frühling 2012 ab.

Es war ein typischer Aprilnachmittag, einmal regnete es, einmal schien die Sonne, die Temperaturen waren durchwachsen: Wenn die Sonne schien, wurde es schnell zu warm, sobald sich eine Wolke am Himmel besonders breitmachte, war es zu kalt. Pullover aus, Pullover wieder übers Hemd.

Ich war mit jemandem verabredet, mit dem ich nur einmal kurz telefoniert hatte:

Tags zuvor war mir im Büro des österreichischen Fußballverbandes ein handgeschriebener, etwas schwierig zu entziffernder Brief mit den Worten überreicht worden: »Eine Anfrage, die wir erhalten haben – wenn du willst, antworte, sonst wirf sie weg!« Alles konnte ich nicht lesen, aber ein paar Schlüsselwörter stachen mir ins Auge, und die reichten aus, um mich neugierig zu machen: Ich bin Inge – arbeite mit Premier-League-Spielern – kenne eine Methode, die das vegetative Nervensystem entlastet und die euch zu mehr Leistung verhelfen kann.

Aus fachlicher Sicht und etwas arrogant dachte ich, dass ich da wohl nicht viel versäumen könnte, würde ich den Brief einfach in den Aktenvernichter fallen lassen. Die Art der Anfrage war ungewöhnlich, und zudem ist der Begriff »Leistungssteigerung« einer, der uns im Sport Tätigen tendenziell auf Abstand hält und mehr unser Misstrauen denn unser Interesse weckt. Dennoch sagte mir meine Intuition, es wäre nicht richtig, würde ich das Schreiben einfach ignorieren. Das Interesse kam sehr deutlich wahrnehmbar aus meiner Körpermitte, aus meinem Bauch heraus, und es war stärker als die klar strukturierten Pro- und Kontraüberlegungen mit einem sehr eindeutigen Überhang an Kontras.

Also wählte ich die Nummer, die im Brief angegeben war. Inge stellte sich mit tiefer Stimme vor, was mich kurz beschäftigte: Inge, ein Mann …? Er stamme aus Norwegen, erzählte er mir: Ah, Inge, ein Wikinger …

Fast noch neugieriger machte mich der nunmehrige Anblick jenes Briefverfassers hier am Parkplatz vor dem Schnellimbiss: Er war bei einem Autounfall schwer verletzt und versehrt worden, und er konnte vermutlich kein Trainer oder Therapeut im klassischen Verständnis sein, denn sein linker Arm war knapp unter der Schulter abgetrennt worden.

Selbstbewusst und euphorisch erzählte er mir von seiner Methode, einer »Revolution im Umgang mit dem menschlichen Organismus« und dessen innewohnenden Fähigkeiten. Ich versuchte diesem schwer greifbaren und einzuordnenden Thema zuerst mit meiner Vita entgegenzuhalten, immerhin hatte ich viele universitäre Jahre in Forschung und Lehre verbracht, war und bin Sportwissenschaftler des österreichischen Fußballnationalteams.

Wissenschaft gegen neuen Weg, der ein Weltbild stürzen möchte. Doch zunehmend verlagerte sich meine Rolle vom Konterpart in die des Zuhörers.

Natürlich konnte ich akzeptieren, dass es Trainingsmethoden gibt, die noch niemand in unseren Breitengraden kennt und von denen auch ich noch nie gehört hatte. Dass es zu einer enorm gesteigerten Belastbarkeit der Spitzensportler kommt, die mit ihm arbeiten, mochte wohl sein, aber würde das rechnerisch zu erfassen sein?

Irgendwann wollte ich nicht mehr nur zuhören.

In der Trainingswissenschaft versucht man seit Jahrzehnten, jedes kleinste Prozent an Leistungssteigerung über neue Methoden zu eröffnen, und dass seine Methode leistungssteigernd sei, hatte Inge mehrfach mit einer sehr großen Selbstverständlichkeit erwähnt. Da ich als Sportwissenschaftler, aber auch als ehemaliger Zehnkämpfer weiß, wie schwierig es ist, innerhalb und außerhalb des Trainings seine Leistung zu steigern, war ich einerseits sehr interessiert, andererseits sehr vorsichtig und zurückhaltend. Was gibt es nicht alles, und was wird nicht alles angeboten, das im Endeffekt überhaupt nicht funktioniert. Selbst mit einem optimalen Verhältnis an Belastung und Erholung ist es manchmal nicht vorhersehbar, wie gut sich Leistung steigern lässt. Trotz intensivstem Trainingsplan gepaart mit perfekt abgestimmten Regenerationsmaßnahmen über Wochen und Monate hinweg kommt es immer wieder dem Input einer Blackbox gleich: Was beim Sportler ankommt, wie es verarbeitet wird und wie sich die Eingaben dann letztendlich im Wettkampf in Gestalt von Leistung entfalten, lässt sich schlichtweg nicht am Reißbrett eines Sportwissenschaftlers konzipieren, schon gar nicht ergebnissicher. In Spitzenbereichen ist in Sachen Leistung ein Plateau entstanden, auf dem sich die Elite einer Sportart tummelt, und nur wenigen gelingt es, sich von da oben noch ein Stück weiter abzustoßen. Auch im Spitzensport gibt es neben dem Tagesgeschäft des optimalen Trainings in Kombination mit genauen Regenerationsplänen viele andere leistungsbestimmende Faktoren, wie das richtige Essen und emotionale sowie mentale Einflüsse.

Ich wollte es spüren.

Am besten gleich. Ich wollte an Ort und Stelle sehen, ob Inges Methode funktioniert – das war mein Anspruch an die vielversprechenden Informationen, die er mir an diesem Aprilnachmittag vermittelte.

Mein Verstand wollte Beweise.

Wir hatten uns inzwischen unter die schützende Terrassenabdeckung des Restaurants gesetzt, und es war noch keine Stunde vergangen. Spontan sprang der Norweger auf, klopfte mir kräftig auf die Schulter und sagte: »I’ll show you. You got time?« Klar hatte ich Zeit – ich dachte gar nicht mehr an meinen Folgetermin zwei Stunden später und 200 Kilometer weiter –, und wir starteten getrennt in unseren Pkws.

Ich folgte ihm in eine romantische Schlucht im Bayerischen Wald. Die Romantik war aber bei mir schnell verflogen, als er eine Matte aus seinem Kofferraum zog, mich anwies, mein Hemd zu öffnen und den Gürtel zu lockern. Meine Verwunderung war mir wohl so offensichtlich anzusehen, dass Inge lachte und mir sofort das Setting der nun folgenden Session erklärte. Ich sollte mich auf die Matte legen. Becken und Beine würden Bewegungsfreiheit brauchen, meine Atembewegungen sollten für Inge sichtbar sein, und da wäre das Hemd störend. Die Ruhe, die wir in der wunderbaren Umgebung hatten, sei ebenfalls zwingend notwendig.

Da lag ich.

Inzwischen entfaltete die Aprilsonne ihre volle Wirkung, und ich atmete tief und angestrengt nach Inges Anweisungen. Nach wechselnden Ruhephasen und weiteren Atemphasen durfte ich mich wieder langsam aus der Rückenlage erheben. Was war da gerade passiert? Eine ungewohnte Leichtigkeit war auf einmal in mir, mein Rücken, den ich von der langen Autofahrt etwas schmerzhaft in Erinnerung hatte, war nun völlig unauffällig. Der Blick auf die Uhr ließ mich noch mehr staunen – hatte ich wirklich fast eine Stunde hier gelegen? War ich etwa eingeschlafen? Mein zeitliches Empfinden ging eher Richtung zehn Minuten.

Inge entlockte meine Reaktion nur ein brummiges Lächeln. »Your vegetative system got rid of some stress!«, und so fühlte es sich auch an: entstresst und entschmerzt. Rückenprobleme hatten mich seit langer Zeit begleitet, mit 18 Jahren erhielt ich die Diagnose eines beginnenden Bandscheibenvorfalles, und durch einen doppelten Oberarmbruch war meine Schulterbeweglichkeit eingeschränkt. Keine weltbewegenden Dinge, aber trotzdem immanent geworden, in unterschiedlicher Ausprägung, aber immer da. Jetzt waren sie weg.

Ich spürte aber, dass noch etwas bei mir passiert war, etwas, das ich nicht erklären konnte.

In einem Spitzensportverband kann der Trainer bei einer neuen Methode nicht einfach sagen »Das probieren wir einmal aus«, denn derart professionelle Einrichtungen beschäftigen ohnehin die oberste Liga an Personal, und in einem geschlossenen System wie der Fußballnationalmannschaft ist die Verantwortung einfach enorm und das Risiko viel zu groß, »von draußen« jemanden hereinzuholen, der mit völlig unbekannten Maßnahmen arbeitet. Das ging mir nach der Session mit Inge sofort durch den Kopf und dass es schwer bis unmöglich sein würde, ihn als freien Mitarbeiter im Team zu beschäftigen. Wir unterhielten uns lange, und irgendwann fragte ich ihn, ob es denn möglich sei, dass ich diese Praktik erlerne. Der Norweger lächelte, und nachdem er mir seinen Ausbildungsweg geschildert hatte, war ich überzeugt, dass das wohl allein aus zeitlichen und aufwandstechnischen Überlegungen heraus keine Option für mich sein würde: Inge hatte viele Jahre studiert und begonnen, sich mit dieser Trainingsform intensiv auseinanderzusetzen. In Indien hatte er sich über ein Jahr lang zweimal täglich selbst mit der Methode konfrontiert, und zum Zeitpunkt, als wir uns trafen, hatte er sie bereits seit fünf Jahren für den Sport – und in Englands Premier League offensichtlich auch sehr erfolgreich – anwendbar und nutzbar gemacht. Wilhelm Reich und die Reich’sche Vegetotherapie waren mir zwar ein Begriff, aber ich war überrascht, dass es da eine Trainingsform gab, die in Richtung Leistungssteigerung wirkte. Sie selbst zu erlernen war also keine Option, allerdings war mir klar, dass ich das gern selbst weitermachen und noch ein paarmal bei Inge trainieren wollte. Sechs Wochen und einige Skypecalls später sah alles ganz anders aus. »We can start to work!«, lautete meine Eintrittskarte in eine neue Welt der Selbsterfahrung, der beruflichen Ausrichtung, der Arbeit mit Personen innerhalb und außerhalb des Sportes:

Inge begann, mich auszubilden.

Meine Vorsicht muss ihn anfangs amüsiert haben, aber er hat mich sorgfältig und behutsam über homöopathische Dosen an das Training herangeführt, bis ich mich irgendwann bereit fühlte, andere zu trainieren.

Da haben die Klienten erst einmal eine Viertelstunde bei mir auf der Matte gelegen, ich habe sie in Atmung und Position angewiesen, so wie ich das gelernt hatte, und ich war der Ansicht, ich würde schon vegetativ arbeiten, ganz sicher war ich ehrlich gesagt nicht, aber zumindest ausgeruht waren die Menschen beim Verlassen meines Trainingsraums.

Ich war sehr vorsichtig, und Inge hatte mir auch vermittelt, dass ich mit diesem Training und mit dieser Methode sehr achtsam und demütig umgehen müsse, und ich selbst habe bei meiner ersten Session ebenfalls sofort gespürt: Da steckt viel dahinter, auch wenn bei einer Sitzung augenscheinlich nichts passiert, war mir klar, ich würde nichts forcieren dürfen.

Irgendwann schickte mir Inge eine Videoaufnahme eines seiner Klienten: ein übergewichtiger Mann auf der Liege in Inges Trainingsraum, den es während des Trainings so durchschüttelte, dass ich mich fragte, wie das angesichts der vorhandenen Masse überhaupt möglich sei – ich habe sogar das Knirschen der Massageliege hören können. Ich rief Inge an und fragte, was da passiert sei, und er antwortete: »Ein vegetativer Durchbruch, im Sinn von ›zurück auf Werkseinstellung‹, wie bei deinem Mobiltelefon, die Regulation ist ganzheitlich.«

»Bei meinen Klienten sieht das anders aus«, sagte ich ihm. Ich war ernsthaft verunsichert, denn ich konnte keinen Zusammenhang erkennen zwischen dem, was ich machte, und dem, was auf der Videoaufnahme von Inges Klienten zu sehen war. Und selbst mein erstes Training bei Inge war nicht annähernd so spektakulär verlaufen. Die nach außen hin sichtbaren körperlichen Reaktionen würden bei jedem Menschen unterschiedlich sein, und man könne daraus nicht unbedingt auf den Wirksamkeitsgrad des Trainings schließen, erklärte mir Inge.

Einen Tag später kam ein guter Bekannter mit Leistenbeschwerden zu mir, ein Amateurkicker. Ich schlug ihm vor, eine neue Methode auszuprobieren, und wies ihn an, sich zu positionieren und zu atmen. Er konnte sein anfängliches Staunen überwinden, ließ sich darauf ein und hatte eine Dreiviertelstunde lang einen vergleichbaren Durchbruch mit sofortigen positiven Resultaten.

Ich durfte in den letzten Jahren mit dem Vegetativen Training vielen Menschen zu einer neu gewonnenen Vitalität verhelfen. Dieses Buch erzählt von einigen dieser zahlreichen Geschichten.

Die Begegnung mit Inge und der Zugang zu dieser Methode haben mich beruflich und auch als Mensch komplett verändert. Ich habe hinterfragt – und tue das noch –, auf welcher Oberfläche ich bisher unterwegs gewesen war. Der Gedanke beschämte mich, gedacht zu haben, jemanden coachen zu können, und nun mit dem Vegetativen Training zu sehen, welch tiefgründige Prozesse in meinen Klienten schwelen, sich offenbaren und mich als Wissenschaftler regelmäßig aus den Angeln heben.

All das hat auch mein Bild von einem Sportler komplett erweitert. Mir ist bewusst geworden, dass hier niemand vor mir liegt, dessen organische Grenzen ich verschieben muss, sondern ein Mensch mit ganz unterschiedlichen Geschichten, der vielleicht im Verborgenen die Handbremse angezogen hat und davon selbst gar nichts weiß.

Zu sehen, wie mithilfe des Vegetativen Trainings diese Handbremsen gelöst werden und sich positiv auf die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit des Athleten auswirken, macht mich täglich demütig. Diese Aussage hat einen emotionalen/mentalen Hintergrund, aber auch einen biomechanischen, denn ich habe festgestellt, dass sich mit dem Vegetativen Training sogar dort schnell optimieren lässt, wo nach meiner Meinung die klassischen Methoden einer Bewegungslehre ausgeschöpft sind.

Meine Ausbildung ist bis heute nicht abgeschlossen, und sie wird es auch nie sein.

BODY TALKS – WENN DER KÖRPER SPRICHT

Nie zuvor in der Geschichte wussten wir so viel über den menschlichen Körper wie heute. »Der Wille zum Wissen«, um eine bekannte Formulierung des französischen Denkers Michel Foucault zu verwenden, scheint unendlich und erst dann ausreichend bedient, wenn selbst die kleinste Zelle durchleuchtet ist. Das zeigt sich insbesondere dann, wenn der Körper krank wird oder nicht funktioniert, wie er nach unserer Ansicht soll, oder wenn ein sonstiges Phänomen oder ein besonderer Umstand unsere Leistungsfähigkeit einschränkt.

Waren Sie schon einmal auf der Suche nach der Ursache für eine Erkrankung, sind nicht sofort fündig geworden und haben deshalb mehrere Spezialisten zurate gezogen? Haben Sie schon einmal eine Vorsorgeuntersuchung gemacht oder einen sportmedizinischen Leistungstest? Was Sie danach alles über Ihren Körper wissen, ist erstaunlich. Aber lässt sich unser Organismus, mit dem wir geboren wurden und der uns durch das Leben trägt, wirklich in Zahlen und Kurven darstellen, oder greift das bedeutend zu kurz?

Descartes gilt als Begründer des Rationalismus und als geistiger Vater der Zweiteilung von Körper und Seele in getrennte Entitäten, die jedoch miteinander wechselwirken. Ein Bild, das bis heute im Sprachgebrauch und im Denken vieler Menschen fortbesteht, etwa wenn Ärzte nach psychischen und physischen Beschwerden untergliedern und den wechselseitigen Einfluss als »psychosomatisch« bezeichnen. Auch geläufigen Redewendungen wohnt das dualistische Verständnis inne: Wir reden uns beispielsweise etwas von der Seele, oder es lastet uns etwas auf der Seele, ohne dass es dafür eine körperliche Entsprechung gäbe.

Ist es angemessen, wenn wir den Körper als schlichten Funktionsträger betrachten, den es von Zeit zu Zeit zu reparieren, zu verbessern gilt – oder unterschätzen wir ihn? Schon im vergangenen Jahrhundert haben Phänomenologen hervorgehoben, wie unvollständig diese Betrachtungsweise ist, und sich damit deutlich entgegen dem traditionellen Leib-Seele-Dualismus positioniert. Wir haben nicht nur einen Körper, der sich beobachten, verbessern, ausmessen, benutzen lässt, sondern wir sind dieser Körper. Durch ihn sind wir in der Lage, durch die Welt zu gehen und nicht nur das, sondern auch die Welt zu sehen, zu riechen, mit allen unseren Sinnen zu erfassen. Die Atmosphäre im Raum, Farben und Gerüche, Hände, die wir mögen oder nicht. Nicht zuletzt nehmen wir durch unseren Körper auch uns selbst wahr.

Im Alltag überspielen wir häufig dieses allumfassende Sein. Es entzieht sich unserer totalen Erfassung, und deshalb ignorieren und negieren wir es manchmal sogar, versuchen es zu beugen, indem wir es unterschiedlichen Zwecken unterordnen. Wir schneiden weg, was krank ist oder was uns nicht gefällt, wir fügen Optimierendes wie Medikamente hinzu, um unseren Körper zum Gehorchen zu bringen, und müssen doch immer wieder zur Kenntnis nehmen, dass er nicht – zumindest nicht dauerhaft – zu manipulieren und weitaus Größeres als reine Materie ist. Die Verantwortlichkeit für die zwei Entitäten – Körper und Geist – geht stark verloren, weil wir lieber auslagern, als uns auf unsere innewohnenden Kräfte zu besinnen. Unser Körper ist nicht nur Hülle und Forschungsgegenstand, in ihm ist tiefes Wissen gespeichert. Abgesehen davon, dass auch das Gehirn Teil des Körpers ist und die vermeintlichen speichernden Eigenschaften sprichwörtlich verkörpert, kommen weitere Strukturen infrage. Eine große Speicherfähigkeit könnte man dem Medium Wasser zuordnen. Nachdem der Anteil des Wassers im Organismus zwischen 70 und 90 Prozent schwankt, wäre die Speicherfähigkeit volumenseitig sehr ausgedehnt und auch nicht auf ein Organ begrenzt. Während vor 30 Jahren noch große Skepsis über den Charakter von Wassermolekülen als Informationsträger herrschte, nähren aktuelle Forschungen diese Annahme. An hydrophilen Oberflächen wie der Zellmembran zeigen die umliegenden Wassermoleküle gewisse strukturelle Veränderungen, die mit elektrischen Potenzialverschiebungen verbunden sind. Wie und wie lange eine etwaige Speicherfähigkeit von Wasser genau funktionieren kann und welchen Einfluss mechanische oder elektromagnetische Schwingungen haben, wird weiter intensiv beforscht.

KÖRPERGESCHICHTEN

Alles an und in uns trägt eine Geschichte in sich und eine große Eigensinnigkeit. Das verdeckt allzu häufig den Blick auf die wahren Ursachen von Unwohlsein. Schmerz und verursachende Problematik sind nämlich nicht annähernd an derselben Stelle lokalisiert, und schon steht man mit der Diagnose vor einer möglichen Wahrnehmungsverzerrung. Sucht man dort, wo der Schmerz aus dem Dunkeln hervortritt, läuft man Gefahr, nicht nur nichts zu finden, sondern auch das eigene subjektive Empfinden oder das subjektive Empfinden des Klienten zu hinterfragen. Wo man nichts sieht, vermutet man nichts.

Stellen Sie sich folgende Situation vor: In einem stockdunklen Raum verlieren Sie einen Gegenstand, den sie nicht mehr ertasten können. Da es in diesem Raum kein Licht gibt, gehen Sie in einen anderen Raum mit Licht und beginnen dort zu suchen. Eine weitere Person hilft Ihnen bei Ihrer Suche und fragt Sie, was Sie denn eigentlich suchen würden und wo Sie es verloren haben. Sie beschreiben den Gegenstand und antworten: »Verloren habe ich es nicht hier, aber hier habe ich Licht!«

»Verrückt« werden Sie vielleicht denken, denn die Sachlage mit den unterschiedlichen Räumen ist eigentlich zu klar, um in so eine Wahrnehmungsfalle zu tappen. Das nachfolgende Beispiel von Hans zeigt aber, dass die Suche nach Ursachen zwar oft nachvollziehbare, aber auch skurrile Wege nehmen kann. Seine ausführlichen Schilderungen haben wir nach seinem Vegetativen Training aufgezeichnet, nach der dritten Sitzung, wo er die umfassende Veränderung vom Beginn bis zum Verschwinden seiner Problematik umreißt:

»Plötzlich habe ich auf beiden Fußsohlen ein Gefühl wie auf Wattepads verspürt, es war sehr unangenehm, aber nicht schmerzhaft. Ich dachte, das vergeht wieder, was aber nicht der Fall war. Beim Gehen fühlte es sich an wie auf Watte, aber das Gefühl war nicht wohlig, wie man vielleicht denken könnte. Ich habe mich daran gewöhnt, mir aber gedacht, das kann nicht von Dauer sein, das muss ich wegbringen. Ich bin also in diese Spezialklinik gefahren, wo sie besondere Nervenspezialisten haben. Dort haben sie mit Stromstößen die Nervenleitgeschwindigkeit geprüft, um zu sehen, ob die vielleicht gestört ist. Der Oberarzt sagte zu mir: ›Ich sehe nichts, Sie haben nichts. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist in Ordnung.‹ Das musste ich vorerst zur Kenntnis nehmen, das unangenehme Gefühl an den Füßen ist aber geblieben. Wenn das totes Feld wird, hieß es, würde das schmerzhaft werden, man könne es zwar schmerzfrei halten und mit Schmerzmitteln bekämpfen, aber nicht heilen. Sie haben mir empfohlen, aus der Fußsohle etwas herauszwicken und mit dem Mikroskop anschauen zu lassen unter dem Aspekt, ob die Nervenenden etwas zeigen, das nicht in Ordnung oder etwas, das vielleicht im Anmarsch ist. Das wollte ich nicht, und so bin ich dann zu Gerhard Zallinger gekommen. Wir hatten insgesamt drei Sitzungen. Nach der ersten war es aber eh schon weg, ich bin nach 50 Minuten aufgestanden, und es war weg. Es war auch auf der Handinnenfläche schon aufgetaucht. Seither ist es nicht mehr gekommen.

Die Sitzung ist spannend. Man arbeitet indirekt mit, weiß aber, dass man nichts tun kann, und das ist irgendwie faszinierend.

Bei mir gab es übrigens noch einen zweiten Effekt: Ich hatte mich in Valencia, in Spanien, auf einen Designersessel gesetzt, der hat nachgegeben, ich bin zusammengesackt, zwar nicht hinuntergefallen, aber ich habe mir den Rücken gestaucht. Ich hatte extreme Schmerzen und konnte mich nicht bewegen. Die Schmerztherapie hat nicht geholfen, die darauffolgende Kur ebenfalls nicht, die Schmerzen bin ich nicht wirklich losgeworden. Ich konnte mich nicht einmal aus dem Bett herausdrehen, aber jetzt ist alles weg. Ich weiß nicht, ob das zusammenhängt. Denn es wird ja nicht angesprochen in der Sitzung, aber alles wird behandelt, ohne dass man es weiß. Wir gehen jetzt Stockwerk für Stockwerk nach oben, so fühlt es sich an. Gerade wenn im Rücken etwas nicht in Ordnung ist, ist diese unwillkürliche Beckenbewegung sehr hilfreich, so empfinde ich das.

Ich bin sehr überrascht. Ich habe immer noch die Diagnose im Hinterkopf, man könne die Schmerzen bekämpfen, aber nicht das Phänomen, und das hat mir natürlich nicht gefallen …«

(Hans)

Bereits nach der ersten Sitzung war das unangenehme Gefühl in den Fußsohlen beinahe verschwunden, welches Hans seit Monaten begleitet hatte. Im Falle von Hans haben wir es einerseits mit einem konkreten Unfall zu tun (das unglückliche Aufkommen auf dem Sessel) und andererseits mit dem Auftauchen eines Phänomens, das man nicht ursächlich hatte klären können – es fand sich kein Zimmer, in dem ausreichend Licht gewesen wäre, keine Spezialisten-Ordination, in der man fündig wurde auf der Suche nach der Ursache. Aber das bedeutet nicht, dass es dieses Zimmer nicht gibt. Selbst modernste Diagnoseinstrumentarien, dort eingesetzt, wo das Problem nach außen tritt, sind nicht immer hilfreich, wie das Beispiel von Hans zeigt. Wir erwarten die Sichtbarmachung eines Schmerzes, eines Phänomens anhand von Bildern oder Tabellen, und unser Anspruch an einen medizinischen Spezialisten ist es, dass er uns die Abweichung von einer Norm plastisch machen kann. Was aber, wenn die Ursachen für spürbare Probleme nicht messbar sind?

DIAGNOSE: MULTIPLE REGULATION