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Martin Apolin

Himmels-
Körper

Der Mensch,
das Universum und
der ganze Rest

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2020 Ecowin bei Benevento Publishing Salzburg – München,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Innenteilbilder: S. 17, Abb. 2: © Shahid Mehmood / Alamy Stock Photo,

S. 20, Abb. 3: © Joe Munroe / Kontributor / Getty Images

Illustrationen: Janosch A. Slama, Hausbrunn, Österreich

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Palatino, Abril Fatface

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

ISBN: 978-3-7110-0255-6
eISBN: 978-3-7110-5279-7

Für meinen Vater, der mir die Sterne gezeigt hat

Inhalt

Vorwort

Teil A

Die »großen Fragen«

1Die Bausteine des Lebens

2Big Bang: der erste Baustein entsteht

3Sternenstaub: die restlichen Bausteine entstehen

4Was die Welt im Innersten zusammenhält

5Das Wunder Leben

Teil B

Die Biophysik Ihres Körpers

6Was Sie bewegt

7Koordination und Gleichgewicht

8Vom Kältezittern zum Schweißausbruch

9Das Fenster zur Welt

10Sprache und Gehör

11Das komplexeste Gebilde im Sonnensystem

Teil C

Sind wir allein?

12Das Fermi-Paradoxon

Dank

VORWORT

Sie halten dieses Buch in Ihren Händen und lesen diese Zeilen. Ihre Augen tasten in Sprüngen die Wörter ab, Ihre Netzhaut fängt die Photonen auf und liefert elektrische Signale ans Gehirn, wo diese durch komplexe elektrochemische Kaskaden mit Sinn erfüllt werden. Sie spüren den Druck des Buches auf Ihren Händen, und wenn Sie mit den Fingerkuppen über die Seiten streichen, dann können Sie die filigrane Oberflächenstruktur erspüren, nur Bruchteile von Millimetern hoch, während Sie die Geräusche der Umgebung wahrnehmen. Wenn Sie stehen, hält unterdessen Ihr Körper das Gleichgewicht, indem er ständig seine Position ermittelt und durch winzige Ausgleichsbewegungen den Schwerpunkt schön über der Mitte seiner Standfläche behält. Ihre Muskeln entwickeln die dazu erforderlichen Kräfte elektrisch, und sie erhalten die benötigte Energie, indem Moleküle wie Traubenzucker zu anderen Molekülen umgruppiert werden.

Alle eben beschriebenen Vorgänge sind auf unterster Ebene physikalisch, denn Biologie ist letztlich nichts anderes als angewandte Physik! Auch bei der Evolution, die uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind, hatte die Physik ebenfalls dick ihre Finger im Spiel. Nichts entkommt den Naturgesetzen des Universums, auch nicht Ihr Organismus! Ich bin seit Jahrzehnten von Physik fasziniert. Besonders packend wird sie für mich unter anderem dort, wo sie mir ganz konkret etwas erklären kann, zum Beispiel eben das Wunder Mensch. Sie leben tagein, tagaus mit Ihrem Organismus, er ist Ihnen so sehr vertraut, dass Sie gar nicht darüber nachdenken, was alles nötig ist, damit er scheinbar mühelos die Aufgaben des Alltags bewältigen kann. Es ist aber absolut lohnend, darüber einmal nachzudenken. Diesen physikalisch-biologischen Blick auf den Körper werfen wir gemeinsam in Teil B des Buches.

Dieses Buch ist aber der Versuch meinerseits, möglichst umfassend jene Physik einzufangen, die mit unserem Körper verbunden ist. Und wenn man großräumig darüber nachdenkt und einige Schritte zurücktritt, um nicht nur die einzelnen Steine, sondern das ganze Puzzle zu sehen, dann kommt man zwangsläufig auch zu den großen und fundamentalen physikalischen Fragen, und um diese geht es vorab in Teil A. Es geht darum, aus welchen Bausteinen Ihr Körper besteht und was es alles an »kosmologischer Vorbereitung« gebraucht hat, um jene Bausteine überhaupt erst mal zu erzeugen. Ihr Körper setzt sich nämlich ausnahmslos aus Urknallresten und Sternenstaub zusammen! Ist das nicht fantastisch?!

Auf diese kosmologische Verwandtschaft spielt auch der Titel des Buches an. Wenn Sie in den Nachthimmel schauen, dann sehen Sie, woher Ihre Atome gekommen sind, nämlich von den Sternen am Himmel. Über diese Vorgeschichte der Körperbausteine ist Ihre Existenz untrennbar mit dem ganzen Kosmos verbunden. Und es ist nicht esoterisch, sondern zutiefst physikalisch, zu behaupten, dass wir Kinder des Kosmos sind! Wir werfen in Teil A aber auch einen physikalischen Blick auf das Wunder Leben. Wie gelingt es so einem Riesenhaufen von Atomen, also Ihnen und mir, zeit seines Lebens scheinbar gegen die Naturgesetze die Ordnung in seinem Inneren aufrechtzuerhalten?

In Teil C schließen wir den Kreis und kehren noch mal zum Kosmos zurück. Wir stellen uns die faszinierende Frage, ob sich das Wunder Leben auch noch woanders entwickelt haben könnte. Das Buch ist also eine physikalisch-biologische Cross-over-Reise vom ganzen Kosmos zu Ihrem Körper und wieder zurück. Normalerweise werden diese Themen so nicht kombiniert, wodurch das Buch sicherlich einigermaßen unkonventionell geraten ist. Ich steh’ auf so was! Das kosmologische Sandwich rund um die angewandte Biophysik ist meiner Meinung nach auch unabdingbar, um das Wunder Mensch in seiner buchstäblichen All-umfassenden Tragweite besser verstehen und würdigen zu können.

Martin Apolin

Wien im November 2019

TEIL A
DIE »GROSSEN FRAGEN«

1 Die Bausteine des Lebens

Prolog

Ich bin mir sicher, dass alle Kinder gern mit Bausteinen spielen! Auch ich habe als Dreikäsehoch stundenlang mit den Steinen des bekannten dänischen Herstellers herumgebaut, vor allem dann, wenn ich krank das Bett hüten musste. Damals gab es nicht, so wie heute, eine unüberschaubare Anzahl von verschiedenen Steinen in allen möglichen und unmöglichen Formen. Mit wenigen Ausnahmen waren die Teile quaderförmig und unterschieden sich nur in Länge, Breite und Farbe.

Stellen Sie sich eine wirklich seeehr große Kiste mit Myriaden einfacher Bausteine vor. Es soll nur rund 20 verschiedene Typen geben. Malen Sie sich aus, dass Sie damit eine Art Homunkulus zusammenbauen, quasi einen Lego-Golem. Es wäre ein äußerst abwegiger und befremdlicher Gedanke, dass dieses zusammengefügte Ding auf einmal lebendig wird, lacht und weint, aus dem Fläschchen trinkt, pinkelt und kackt, größer wird und lesen lernt, in die Pubertät kommt und sich auch noch fortpflanzt. Es wäre bizarr, absurd und unlogisch, dass ein Ding, bloß weil es aus sehr vielen und in spezieller Anordnung zusammengesetzten Bausteinen besteht, auf einmal zum Leben erwachen sollte.

Aber genau das passiert im Prinzip mit Ihrem Körper. Sie bestehen, wie alle Menschen auf dieser Welt, ausnahmslos aus rund 20 Bausteinen, nämlich aus den verschiedenen Arten von Atomen: Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und so weiter. Ihr Körper setzt sich aus der unvorstellbaren Anzahl von 1028 Atomen zusammen. Das ist ein Einser mit 28 Nullen! 28!!! Wenn man sagt, das wären dann 10 Quadrilliarden, macht das die Sache nicht wirklich begreiflicher.

Sie bestehen also aus einem Bausatz von unpackbar vielen Teilchen, die aber nur in wenigen verschiedenen Varianten vorkommen (Abb. 1). Und sehen Sie sich mal an, was man daraus alles zusammenbauen kann. Alles, was Sie jemals in Ihrem Leben gemacht haben, alle Ihre Gefühle, Wünsche und Träume sind Produkte dieser Bausteine. Und wie unterschiedlich wir Menschen sind! Nirgendwo bekommt die Weisheit des Aristoteles, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, eine so gewichtige und nachdrückliche Bedeutung wie hier. Wenn man über den Menschen und das Leben nachdenkt, gehen einem schnell mal die Superlative aus.

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Abb. 1 Jeder Mensch besteht aus unglaublich vielen Atomen, die aber nur in rund 20 Variationen vorkommen. Es ist so, als hätte man einen Baukasten mit 20 verschiedenen Typen von Steinen.

Von Mikrowellenherden und Atommodellen

Sie haben ja irgendwie eine Vorstellung von diesen Atomen. Schließlich sind die Dinger auch oft irgendwo abgebildet. Zwischen den einzelnen Szenen der beliebten Sitcom »The Big Bang Theory« eiert zum Beispiel ganz kurz ein Atom herum – achten Sie bei Gelegenheit einmal darauf –, und Sie sehen auch eines auf der Flagge der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO (Abb. 2). Bei allen diesen Darstellungen sehen Sie einen Kern, um den was herumfliegt, ähnlich wie Planeten um die Sonne. Wenn Sie so ein Ding sehen, dann wissen Sie sofort: »Ah, ein Atom!« Das ist einerseits ein supergutes Branding, denn der Wiedererkennungswert ist verdammt hoch. Andererseits hat diese Darstellung aber einen riesengroßen Haken: Sie ist falsch.

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Abb. 2 Die Flagge der IAEO: Um den Atomkern fliegt was herum. Sieht cool aus, ist aber falsch! Das Ding außen herum gehört nicht zum Atom, sondern stellt zwei Olivenzweige dar.

Solche Planetenmodell-Atome kann es nämlich gar nicht geben! Um das zu verstehen, muss ich ein bisschen ausholen. Immer wenn man eine Kurve macht, wenn man also seine Bewegungsrichtung ändert, tritt eine Beschleunigung auf. Sie brauchen nur daran zu denken, was passiert, wenn Sie mit einem Auto um eine scharfe Kurve fahren. In diesem Fall können Sie die Beschleunigung sogar spüren. Noch drastischer ist es, wenn Sie auf einer wilden Achterbahnfahrt durch die erste Senke brettern. Die Beschleunigung schlägt sich dann sogar auf Ihr Gedärm. Nicht nur die Liebe, sondern auch die Achterbahn geht durch den Magen!

Bei einer Kurvenbahn tritt also immer eine Beschleunigung auf. Bei elektrisch geladenen Teilchen kommt jetzt aber noch ein zweiter Aspekt dazu. Beschleunigte Ladungen senden nämlich immer elektromagnetische Wellen aus, sie strahlen also. Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie ein Mikrowellenherd die Mikrowellen macht? Wahrscheinlich nicht. Auf solche Fragen kommen nur Kinder, Physiker und technikaffine Nerds. Im Mikrowellenherd lässt man Elektronen, die ja negativ geladen sind, durch ein Magnetfeld fliegen und zwingt sie so auf Kurvenbahnen. Dadurch sind sie aber beschleunigt und strahlen, und diese Strahlung sind die Mikrowellen. Dass Ihr Mikrowellenherd die Speisen erwärmen kann, ist also eine direkte Folge davon, dass im Inneren die Elektronen die Kurve kratzen.

Und das bringt uns wieder zum Atom zurück. Die angeblich um den Kern kreisenden Dinger sind nämlich Elektronen. Wie im Mikrowellenherd müssten diese Elektronen daher strahlen. Die Strahlung wäre in diesem Fall sogar sichtbar, und alle Atome müssten daher leuchten. Das würde vielleicht ganz nett aussehen, aber durch das Aussenden des Lichtes würden die Elektronen stetig an Energie verlieren und spiralförmig in den Atomkern fallen, ähnlich wie ein auf die Erde stürzender Satellit. Der ganze Spuk wäre nach rund einer milliardstel Sekunde vorbei. Poff, und das Atom wäre kollabiert! Deshalb kann dieses Planetenmodell nicht richtig sein. Eine neue Erkenntnis? Ach woher, das weiß man seit Beginn des 20. Jahrhunderts, als dieses Modell noch State of the Art war. Warum werden dann Atome aber immer noch falsch dargestellt? Weil dieses Modell anschaulich ist und leicht darzustellen! Und weil es einen enormen Wiedererkennungswert hat!

Aber wie sehen Atome und somit die Bausteine unseres Körpers nun wirklich aus? Die Beantwortung dieser Frage führt uns in den mit Abstand kontra-intuitivsten Bereich der Physik, nämlich in die Quantenmechanik. Keine Angst, ich will mich dort nicht allzu lange aufhalten. Ein kurzer Besuch ist aber aus zwei Gründen interessant: Erstens, weil es sehr spannend und auch wichtig ist, die Bausteine des Lebens ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und zweitens, weil es faszinierend ist, wie uns die Quantenwelt schmerzlich die Grenzen unseres eigenen Vorstellungsvermögens demonstriert. Und dieser zweite Aspekt bringt uns zu einem berühmten und – wie ich meine – letztendlich auch sehr beruhigenden Zitat.

Shut up and calculate!

Richard Feynman (Abb. 3, S. 20) war nicht nur ein charismatischer Spaßvogel, Bongospieler und Hobby-Safeknacker, sondern auch einer der ganz großen Physiker des 20. Jahrhunderts. Er war ein grandioser Denker und Didaktiker und bekam den Physiknobelpreis für seine weiterführenden Theorien zur Quantenmechanik verliehen. Ich persönlich finde es sehr schade, dass er heutzutage in puncto Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit ein Stiefmütterchendasein führt. Eines seiner berühmtesten Zitate lautet: »I think I can safely say that nobody understands quantum mechanics.«

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Abb. 3 Der Bongospieler und Nobelpreisträger Richard Feynman – einer meiner absoluten Lieblingsphysiker.

Moment mal: Der Typ bekommt also den Nobelpreis für seine Arbeiten im Bereich Quantenmechanik und sagt dann, dass diese gar niemand versteht? Na ja, man muss in diesem Zitat das Wort »verstehen« verstehen. Die Quantenphysik, die die Vorgänge in atomaren Größenordnungen beschreibt, widerspricht auf teilweise wahnwitzige Art und Weise unseren Alltagsvorstellungen. Da entstehen Teilchen aus dem Nichts, weil sie sich Energie vom Universum ausborgen können, ein eigentlich unteilbares Teilchen kann scheinbar gleichzeitig durch zwei Spalten schlüpfen und Schrödingers berühmte Katze ist gleichzeitig lebendig und tot. Das ist alles sehr absurd und auch ziemlich verstörend, und niemand weiß, wie man sich das vorstellen soll. Wir haben also in den meisten Fällen keine Bilder, oder diese sind mangelhafte Behelfskonstruktionen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet verstehen wir die Quantenphysik also tatsächlich nicht. Und genau diesen Aspekt spricht Feynman in seinem Zitat an.

Es gibt aber auch eine zweite Seite der Medaille. Die Quantenmechanik gehört nämlich zu jenen Theorien, die experimentell am besten bestätigt sind. Und weil sie mithilfe von – zugegeben hoch komplizierter – Mathematik so hervorragende Vorhersagen trifft, die alle exakt so eintreffen, ist in Physikerkreisen auch der Spruch »Shut up and calculate!« sehr populär. Soll heißen: Wen kümmert es schon, dass das alles so abstrus ist, wenn man es doch so superexakt vorausberechnen kann?! Dieses zweite Zitat wird übrigens auch oft Feynman zugeschrieben, und es wäre auch ganz sein Stil gewesen, bloß hat er es niemals gesagt.

Was bedeutet das jetzt aber? Je nach Betrachtungswinkel kann man die Quantenmechanik einerseits gar nicht verstehen (= wir haben kein Bild davon), andererseits aber supergut (= man kann sie astrein berechnen). Sie sehen also: Man muss im einleitenden Zitat das Wort »verstehen« richtig deuten, sonst bekommt man völlig falsche Vorstellungen von dem, was Feynman eigentlich damit gemeint hat.

Nach diesem episch gehaltenen Intro ist jetzt natürlich spannend, wie die Atome aus Sicht der Quantenmechanik aussehen. Der Unterschied zum falschen Planetenmodell ist der, dass die Elektronen eben nicht kreisen – das können sie ja nicht –, sondern den Kern wie eine Wolke umgeben (Abb. 4, S. 22). Diese Wolke ist im einfachsten Fall kugelrund, kann aber auch bizarre Formen annehmen. Das Irritierende dabei ist, dass der Aufenthaltsort der Elektronen dadurch völlig unscharf wird. Die Dinger sind quasi auf geisterhafte Weise überall und nirgends zugleich. Die Physik beginnt, salopp gesagt, immer mehr zu verschwimmen, je tiefer man in den Mikrokosmos eintaucht. Sie sehen schon: Diese Elektronenwolken-Darstellung ist bei Weitem nicht so knackig wie das Planetenmodell, ziemlich knifflig darzustellen und viel schwerer oder gar nicht vorstellbar – aber sie entspricht nun mal der Realität. Und aus diesen absurden Bausteinen ist Ihr Körper aufgebaut!

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Abb. 4 Das quantenmechanische Atommodell: Der Atomkern ist zur besseren Darstellung um einiges größer gezeichnet. Die Elektronen befinden sich als »Wolken« um den Kern herum. Die Wolke ist innen dichter als außen. Dieses reale Modell ist leider nicht so knackig wie das falsche. Sorry!

Wenn man das Atom in Ruhe lässt, sind die Elektronen überall und nirgends gleichzeitig. Man kann nur eine Wahrscheinlichkeit angeben, wo man sie bei einer Messung finden könnte. Durch eine solche Messung kann man ein Elektron gewissermaßen dazu zwingen, sich kurz für einen Ort zu entscheiden. Es hebt dann, bildlich gesehen, die Hand und sagt: »Hier bin ich!« Unmittelbar nach dieser Messung ist aber der Ort sofort wieder unscharf. Wo man das Elektron bei einer nächsten Messung findet, ist somit wieder komplett dem Zufall überlassen. Sehr schwer vorstellbar! Es gibt aber etwas im Alltag, das sich ähnlich verhält und intuitiv gut zugänglich ist, nämlich ein Würfel. Vor dem Wurf können Sie nur sagen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Zahl bei 1 zu 6 liegt. Erst beim Wurf »entscheidet« sich der Würfel für eine Variante. Beim nächsten Wurf ist aber der Ausgang wieder völlig zufällig und wird vom ersten nicht beeinflusst.

Wie kann es aber sein, dass Elektronen einerseits winzig kleine Teilchen sind – eventuell haben sie sogar überhaupt keine Ausdehnung, sind also punktförmig – und andererseits wie eine Wolke um den Atomkern schweben? Im Alltag ist es ja auch nicht so, dass ein Keks, den Sie in eine Lade legen, dort auf einmal überall und nirgends ist, und sich nur beim Nachsehen kurz wieder an einer einzigen Stelle materialisiert. Das muss ich jetzt kurz und bündig aus der kalten Hose heraus erklären. Um es profunder darzulegen, müsste ich sehr weit ausholen und zu tief gehen, und ich will ja eigentlich in eine andere Richtung. Ich will die Bausteine des Lebens, aus denen Sie und ich bestehen, so zeigen, wie sie dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen und keine Vorlesung über Quantenmechanik halten.

Semantisch zusammengestaucht ist die unscharfe Atomhülle beziehungsweise die gesamte Quantenmechanik eine Folge davon, dass alle kleinen Teilchen auch Welleneigenschaften aufweisen. Also eigentlich auch die großen. Auch ein Keks, ein Fußball oder ein ganzer Mensch haben rein theoretisch Welleneigenschaften, aber nur bei kleinsten Teilchen machen sich diese auch bemerkbar. Weil hier zwei scheinbar unvereinbare Eigenschaften gleichzeitig auftreten, spricht man vom Welle-Teilchen-Dualismus. Aus dieser nicht oder nur sehr schwer bildlich zu erfassenden Tatsache folgen letztlich alle absurden Quanten-Eigenschaften. Zum Beispiel eben jene, dass sich Elektronen um den Atomkern wolkenförmig herumlegen und trotzdem irgendwie auch gleichzeitig Teilchen bleiben. Dieser scheinbare Widerspruch ist berechenbar und messbar – aber nicht vorstellbar. Auch nicht für die allerschlausten Physiknobelpreisträger. Bedenken Sie: Niemand versteht die Quantenmechanik! Irgendwie ist das doch sehr beruhigend, oder?!

Wie schmeckt ein Elementarteilchen?

Ich habe einleitend geschrieben, dass wir Menschen aus nur rund 20 verschiedenen Bausteinen bestehen, nämlich den Atomsorten oder Elementen. Diese Einteilung ist ziemlich praktikabel, und ich werde sie daher im Buch auch beibehalten. Trotzdem möchte ich mit Ihnen hier noch kurz ein Stockwerk tiefer gehen – wir Physiker sind ja immer dann besonders glücklich, wenn wir die Dinge möglichst ebenerdig und elementar erklären können. Deshalb schlendern wir, bildlich gesprochen, ins Erdgeschoss und werden das moderne Bild vom Atom dort komplettieren. Ich zeige Ihnen dabei in einem Aufwasch, dass Sie eigentlich sogar nur aus drei verschiedenen Bausteinen bestehen – was natürlich noch viel abgefahrener ist!

Seit der Antike dachte man, dass Atome salopp gesagt klitzekleine unteilbare Kügelchen sind. Der Name »Atom« war sehr stringent gewählt, weil er sich vom griechischen Wort átomos ableitet, was so viel wie unteilbar bedeutet. Dann wurde aber 1897 das Elektron entdeckt, gewissermaßen ein Unterteilchen des Atoms. Dadurch wurde der Begriff Atom natürlich zum Etikettenschwindel, aber man hat die Bezeichnung wohl aus einer Mischung von Nostalgie, Faulheit und Praktikabilität niemals geändert. Daran sehen Sie sehr schön, dass auch Physiker nur Menschen sind! Das Proton wurde 1919 entdeckt und das Neutron 1932. Diese Unterteilung des Atoms entspricht der in Abbildung 4.

Das Elektron ist auch noch aus heutiger Sicht ein Elementarteilchen, lässt sich also nicht mehr weiter unterteilen. Protonen und Neutronen lassen sich aber noch weiter in Quarks unterteilen (Abb. 5), wie man 1969 experimentell belegen konnte. Man spricht den Namen Quark nicht so aus wie das gleich geschriebene Milchprodukt (das in Österreich nebenbei bemerkt den Namen Topfen hat), sondern eher so wie ein englisch ausgesprochenes »kwork«. Heute weiß man, dass es sechs verschiedene Quark-Arten gibt. In Protonen und Neutronen kommen aber nur zwei Varianten vor, nämlich die Up- und die Down-Quarks. Bei den Quarks ist Endstation. Diese sind, wie die Elektronen, aus heutiger Sicht elementar.

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Abb. 5 Protonen und Neutronen sind keine Elementarteilchen, sondern setzen sich aus drei Quarks zusammen. Es kommen zwei Varianten vor, nämlich die Up-Quarks (u) und die Down-Quarks (d). Diese sind hier übertrieben groß dargestellt. Quarks haben übrigens gedrittelte Ladungen – ziemlich schräg! In Summe hat das Proton dadurch die Ladung +1 und das Neutron gar keine.

Die unterschiedlichen Quark-Arten bezeichnet man auch als »flavors«, also als Geschmacksrichtungen. Hm, schon Quark ist ein eigenartiges Wort, aber Geschmacksrichtungen?! Das passt doch eher zu Vanille- oder Erdbeereis?! An diesen Bezeichnungen sehen Sie, dass moderne Physiker in der Namensgebung einfach viel kreativer sind als früher, als man ausschließlich verstaubte lateinische oder griechische Ausdrücke verwendete. Der Amerikaner Murray Gell-Mann, der die Existenz der Quarks 1964 vorhersagte und dafür auch später mit dem Physiknobelpreis belohnt wurde, hatte den Klang »kwork« für seine neuen Teilchen schon irgendwie im Ohr, als er im Buch Finnegans Wake von James Joyce den Satz »Three quarks for muster Mark.« las – übrigens ein Nonsenssatz, der eigentlich gar nichts bedeutet. Auf jeden Fall fand Gell-Mann gewissermaßen ein literarisches Pendant zu seiner Lautfolge, und das Wort Quarks war endgültig geboren.

Die Bezeichnung »flavor« für die Arten der Quarks soll von Murray Gell-Mann und seinem deutschen Kollegen Harald Fritzsch erfunden worden sein, als sie auf dem Weg zum Mittagessen an einem Eisgeschäft vorbeigingen, in dem verschiedene Geschmackssorten angeboten wurden. Also doch Eissorten! Übrigens auch sehr nett: Die Quarks in den Neutronen und Protonen werden von Gluonen zusammengehalten, was sich vom englischen »glue« ableitet. Gluonen sind also Klebstoffteilchen! Sie sehen an diesen Beispielen, dass in der modernen Teilchenphysik der Zugang zur Namensgebung kreativ und entspannt ist.

Kommen wir aber wieder zu den Bausteinen des Lebens zurück, aus denen Ihr Körper besteht. Entweder argumentiert man, dass Atome aus Elektronen, Protonen und Neutronen bestehen. Oder man legt die Sache ebenerdig an und sagt, Atome bestehen aus den Elementarteilchen Elektronen, Up-Quarks und Down-Quarks. Sie merken schon: Egal wie man es dreht und wendet, alle Atome und somit auch Ihr Körper bestehen auf unterster Ebene aus bloß drei verschiedenen Teilchen! Und schauen Sie sich einmal um! Schauen Sie alles genau an, was Sie in Ihrer Umgebung sehen können. All das setzt sich aus nur drei verschiedenen Teilchen zusammen. Und zwar nicht nur die leblosen Gegenstände wie Tisch, Sessel und dieses Buch, sondern auch belebte Dinge wie der Gummibaum, der Zwerghamster und auch Sie selbst. In meinen Augen ist das Faktum, dass alles nur aus drei Teilchen besteht, so aberwitzig, dass ich es überhaupt nicht in Worte fassen kann. Und deshalb halte ich lieber meinen Mund!

Das Universum im Setzkasten

Nach dieser Gedankenexkursion zu den Bestandteilen des Atoms bleiben wir ab jetzt bei den ganzen Dingern. Die einzelnen Atomsorten nennt man chemische Elemente. Oft ist man aber faul und sagt bloß lapidar Elemente. Diese sind im Periodensystem (Abb. 6), das stark an einen Setzkasten erinnert, sehr übersichtlich einsortiert. Sie kennen sicherlich Menschen mit einer Ordnungsneurose, die gern Bücher und Putzmittel nach Farben sortieren oder Bleistifte parallel nach Länge ordnen?! Diese müssen angesichts des Periodensystems in Entzücken geraten. Warum? Damit kann man nicht nur Bücher oder Bleistifte, sondern alles im gesamten Universum fein säuberlich sortieren. Jedes Atom, das Sie irgendwo in den Weiten des Alls finden, egal ob in der Sockenlade, in Ihrer Piña colada, in der Sonne oder in der Andromedagalaxie, passt in dieses Raster. Das gilt natürlich auch für alles, was Sie an und in Ihrem Körper finden. Das Periodensystem ist die Königsklasse aller Setzkästen!

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Abb. 6 Das ganze Universum lässt sich in das Periodensystem der Elemente einordnen. Die Atomsorten sind mit der Ordnungszahl Z durchnummeriert. Die relative Massenzahl gibt, auf eine ganze Zahl gerundet, die Anzahl der Protonen und Neutronen im Kern an. Die beiden untersten Zeilen gehören – wie ein senkrecht herausstehendes Pop-up – zwischen Nr. 57 und 72 beziehungsweise 89 und 104 hineingesteckt. Die grau unterlegten 21 Elemente sind für den Menschen essenziell.

Alle Atome sind mit Kern und wolkenartiger Hülle völlig gleich aufgebaut (Abb. 4). Sie unterscheiden sich bloß durch die Anzahl ihrer Bestandteile. Praktischerweise sind die Elemente im Periodensystem durchnummeriert. Man nennt diese Nummer auch die Ordnungszahl und sie trägt den ziemlich kontextlosen Buchstaben Z – fragen Sie mich bitte nicht, warum! Die Ordnungszahl Z entspricht der Zahl der Elektronen und Protonen. Es muss von beiden ja immer gleich viel in einem Atom geben, weil sich die Ladungen nach außen hin neutralisieren müssen. Sonst würden Sie immer einen Elektroschock bekommen, wenn Sie was berühren.

Wasserstoff ist das einfachste aller Elemente. Er hat nur ein Elektron und ein Proton – und als einziges Atom gar kein Neutron. Natürlichen Ursprungs sind nur Elemente bis einschließlich des Plutoniums (Pu; Z = 94) in der untersten Zeile im Setzkasten. Alle Elemente darüber können nur künstlich erzeugt werden und sind für unser Thema eigentlich schnuppe. Plutonium besitzt jeweils 94 Elektronen, 94 Protonen und satte 150 Neutronen. Und das auf einem Raum von bloß etwa 10−14 m. Gruppenkuscheln ist nichts dagegen!

Noch ein kurzes Wort zu den Isotopen, weil wir diesen Begriff später noch brauchen werden. So nennt man Atome, die gleich viele Protonen, aber unterschiedlich viele Neutronen besitzen. Zum Beispiel hat der »normale« am häufigsten vorkommende Wasserstoff wie oben erwähnt ein Proton und kein Neutron. Man würde in diesem Fall H-1 schreiben, wobei der Einser für die relative Masse steht. Neben dem normalen Wasserstoff gibt es aber auch noch die Isotope H-2 (ein Proton, ein Neutron) und H-3 (ein Proton, zwei Neutronen). Ein anderes Beispiel wäre der Kohlenstoff. Der normale Kohlenstoff ist das C-12. Er hat im Kern sechs Protonen und sechs Neutronen. Das Kohlenstoffisotop C-13 hat sechs Protonen und sieben Neutronen, C-14 hat sechs Protonen und acht Neutronen. Letzteres ist relativ prominent, weil es zur Altersbestimmung herangezogen wird. Mit der C-14-Methode hat man zum Beispiel das Todesjahr der Gletschermumie Ötzi auf um etwa 3230 v. Chr. bestimmt und das Turiner Leichentuch als Mittelalterfake entlarvt.

Isotop bedeutet wörtlich aus dem Griechischen übersetzt »gleicher Ort«. Der Begriff ist schlau gewählt, weil sich nämlich alle Isotope eines Elements am gleichen Ort im Periodensystem befinden. Sie haben daher auch alle die gleichen chemischen Eigenschaften. Das mit den Isotopen können Sie sich wie Laden im Setzkasten vorstellen, die man an den entsprechenden Stellen herauszieht und in denen sich dann zum Beispiel H-1 bis H-3 oder C-12 bis C-14 fein säuberlich sortiert befinden. Das Periodensystem wird durch die Laden dreidimensional. Es gibt zwar im Universum nur 94 natürliche Elemente, diese kommen aber als rund 3300 Isotope vor. Der ultimative Jackpot für Ordnungsfreaks!

Aus welchen Bausteinen besteht der Mensch?

Wie ist es jetzt nun mit den Bausteinen des Lebens? Ich habe ja schon im Prolog verraten, dass ein Mensch aus der Wahnsinnszahl von etwa 1028 Atomen besteht, aber bloß aus rund 20 verschiedenen Elementen. Genau sind es 21 Atomsorten, und diese sind in Abbildung 6 grau unterlegt. Von all den 94 natürlich vorkommenden Elementen im Universum hat es also ein knappes Viertel geschafft, im Zuge der Evolution zum Zuge zu kommen. Natürlich haben Sie auch viele Isotope im Körper, aber die verhalten sich chemisch ja genauso wie das »Original«. Das Einbauen der verschiedenen Atomsorten ist nach und nach passiert, weil archaische Lebensformen wie etwa Bakterien mit einer Handvoll verschiedener Elemente auskommen.

In Tabelle 1 sind die sechs am häufigsten im menschlichen Körper vorkommenden Elemente zusammengefasst, quasi die big six. Der in Ihrem Körper mit Abstand am häufigsten vorkommende Baustein ist der Wasserstoff. Das ist aus zwei Gründen keine große Überraschung: Einerseits kommen Wasserstoffatome im Universum mit über 90 % mit Abstand am häufigsten vor, und Sie sind ja wiederum aus den im All herumschwirrenden Bausteinen zusammengesetzt. Andererseits ist wohlbekannt, dass der Mensch zum Großteil aus Wasser besteht, also aus H2O, in dem der Wasserstoff gleich doppelt vertreten ist.

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Tab. 1 Übersicht über die sechs häufigsten Bausteine in Ihrem Körper. Von der Atomanzahl her ist der Wasserstoff die Nummer eins, von der Masse her der Sauerstoff. Die Zahlen sind als Richtwerte zu sehen. Die rechte Spalte könnte man natürlich ad libitum erweitern.

Aus wie viel Wasser besteht der Mensch, also zum Beispiel Sie? Wenn man so fragt, ist immer der Massenanteil gemeint. Die Antwort lässt sich allerdings nicht mit einer Zahl über den Kamm scheren, deshalb können Sie hier auch ständig etwas anderes lesen – falls Sie sich schon mal darüber gewundert haben. Zum Beispiel haben jüngere Menschen mehr Wasseranteil als ältere. Männer haben mehr Wasser als Frauen, weil sie mehr Muskelmasse haben, die wiederum sehr wasserhaltig ist. Und Schlanke haben mehr Wasseranteil als Rundliche. Man kann daher mit 45 bis 75 % nur eine ungefähre Spannweite angeben. Mit dem unterschiedlichen Wasseranteil verschieben sich aber auch alle anderen Werte. Generell sind Zahlen, die sich auf den menschlichen Körper beziehen, immer nur als Richtwerte zu sehen, also auch jene in Tabelle 1.

Über den Daumen gepeilt kann man aber sagen, dass mit dem Wasserstoff knapp zwei Drittel Ihrer Bausteine von der einfachsten und zugleich leichtesten Sorte sind, die das Universum so auf Lager hat. Außerdem kann man festhalten, dass die big six über 99 % aller Bausteine Ihres Körpers ausmachen! Sie bestehen also vor allem aus bloß sechs verschiedenen Bausteinen, und die restlichen 15 Elemente machen weniger als 1 % aus. Trotzdem ist jede einzelne Atomsorte davon für das reibungslose Funktionieren Ihres Körpers essenziell, egal wie selten sie vorkommt. Um es ganz plakativ zu machen: Würden Sie mit einem Fingerschnippen ein Element Ihrer Wahl komplett aus dem Körper entfernen, hätten Sie im besten Fall nach einer gewissen Zeit gröbere körperliche Probleme und wären im schlimmsten Fall sofort tot.

Es wäre ein wenig langatmig, alle Elemente und ihre genaue Funktion im Körper durchzuexerzieren. Außerdem können Sie so etwas in der einschlägigen medizinischen Literatur nachlesen. Mir geht es hier darum zu zeigen, dass jedes der 21 essenziellen Elemente im Körper natürlich eine wichtige Rolle spielt – sonst wäre es ja nicht essenziell. Ich möchte neben den big six exemplarisch drei weitere Stoffe herausgreifen, nämlich Eisen, Iod und Cobalt.

Eisen (Fe; Z = 26) ist, wie ich noch genauer erzählen werde, das schwerste durch Kernfusion in einem Stern entstehende Element. Kernfusion bedeutet, dass zwei leichtere Atomkerne zu einem schweren gewissermaßen zusammengebacken werden. Das hören Sie später noch genauer. Praktisch das gesamte Eisen in Ihrem Körper ist aus dem Innersten von Sternen, die vor Milliarden von Jahren ihr Leben ausgehaucht haben. Im Körper ist es unter anderem für den Sauerstofftransport mitverantwortlich. Ohne Eisen ersticken Sie nach kurzer Zeit.

Iod (I; Z = 53) ist das mit Abstand schwerste Element in Ihrem Körper, also das mit der höchsten Ordnungszahl. Bei seiner Entstehungsgeschichte spielen überraschenderweise Neutronensterne und Schwarze Löcher eine Rolle, aber das erzähle ich ebenfalls später noch genauer. Ohne Iod kann Ihre Schilddrüse nicht richtig arbeiten und Sie bekommen über kurz oder lang den sprichwörtlichen Kropf.

Der seltenste essenzielle Stoff in Ihrem Körper ist Cobalt (Co; Z = 27), ein Bestandteil der Vitamingruppe B12. Der wichtigste Vertreter aus dieser Gruppe, das Coenzym B12, hat die Summenformel C63H88CoN14O14P. Keine Sorge, ich will Sie damit nicht abschrecken, sondern Ihnen nur zeigen, dass in diesem Riesenmolekül mit 181 Atomen nur ein einziges Cobalt-Atom vertreten ist! Kein Wunder also, dass Cobalt in Ihrem Körper mit drei tausendstel Gramm im wahrsten Sinn des Wortes überschaubar ist. Auf Würfelform gebracht hätte diese Menge eine Seitenlänge von bloß 0,7 mm (Abb. 7) und wäre für mich, zumindest ohne Lesebrille, wahrscheinlich komplett unsichtbar.

Und jetzt das Fingerschnippen. Kein Cobalt, kein Vitamin B12. Extremer Vitamin-B12-Mangel kann sich durch Nervenschmerzen, Koordinationsstörungen, Blutarmut, Depressionen, Lähmungen und Demenz äußern. Beeindruckend, oder?! Damit Ihnen das alles nicht blüht, ist jene winzige Cobalt-Menge in Ihrem Körper nötig. Für mich ist das ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür, wie der Mikrokosmos Mensch vom Makrokosmos Universum beeinflusst wird, und dass es in unserem Körper auch klitzekleine, aber trotzdem hochbedeutsame Rädchen gibt, die das Zünglein an der Waage sind.

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Abb. 7 Die Menge von Phosphor, Eisen, Iod und Cobalt in Ihrem Körper auf Würfelform gebracht im Vergleich mit der Größe eines Cents.. Phosphor ist der leichteste Vertreter der big six (siehe Tab. 1), Cobalt das seltenste essenzielle Element in Ihrem Körper.

Neben den lebensnotwendigen 21 Bausteinen befinden sich noch mindestens 40 weitere Elemente in Ihrem Körper. Bei einigen davon ist nicht ganz klar, ob sie der Körper braucht, oder ob sie bloß praktisch sind, etwa bei Fluor (F; Z = 9). Der Großteil der weiteren Bausteine ist aber wohl für unseren Körper überflüssig. Diese Atome stellen gewissermaßen eine Verunreinigung des Organismus dar, weil sie keine Aufgabe erfüllen. In manchen Fällen sind sie nicht nur überflüssig, sondern sogar ungesund. So befinden sich auch einige tausendstel Gramm Quecksilber in Ihrem Körper, die definitiv dort nichts zu suchen haben und in größeren Mengen hochgiftig sind. Es befinden sich in Ihrem Organismus aber zum Beispiel auch die überflüssigen Stoffe Silber, Gold und Uran, allerdings ebenfalls in winzigen Mengen von tausendstel Gramm oder weniger. Eine Extraktion rentiert sich daher ganz eindeutig nicht – selbst bei extrem hochfliegenden Kursen. Der Wert eines Menschen ist definitiv anderswo zu suchen.

Poetisch formuliert, sind wir Kinder des Kosmos, weil unsere eigenen Bausteine von den Atomen des Universums kommen. Viele davon haben bereits einen ganz langen Weg zurückgelegt und zwar sowohl zeitlich als auch räumlich. Was es damit auf sich hat, werde ich in den nächsten beiden Kapiteln in voller epischer Breite erklären.

2 Big Bang: der erste Baustein entsteht

Prolog

Ihre 21 Bausteine sind genauer gesagt nicht kleine harte Kugeln, sondern sie haben eine wolkenartige Hülle, die sich nach und nach ausdünnt. In diesem und dem nächsten Kapitel werfen wir einen Blick darauf, wann und wie diese kuriosen Bausteine entstanden sind. Die spannende Spurensuche führt uns auf eine Reise durch das ganze All, und zwar buchstäblich von den allerersten Anfängen bis zum Leben und Tod der Sterne. Denn so viel kann ich vorweg schon mal verraten – oder spoilern, wie man heutzutage sagt: Ihr Körper besteht ausschließlich aus Urknallresten und Sternenstaub!