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GEORGE FRIEDMAN

DER STURM
VOR DER RUHE

Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Copyright der Originalausgabe 2020:

The translation published by arrangement with Doubleday, an imprint of The Knopf Doubleday Group, a division of Penguin Random House, LLC.

DOUBLEDAY and the portrayal of an anchor with a dolphin are registered trademarks of Penguin Random House LLC. Illustrations created by Stacy Haren from Geopolitical Futures. Maps and charts created by Geopolitical Futures. Jacket photographs: flag by Andrew Lundquist, lightning by FIMP; both Shutterstock, Jacket design by Michael J. Windsor.

Copyright der deutschen Ausgabe 2020:

Übersetzung: Philipp Seedorf

ISBN 978-3-86470-690-5

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 image 95305 Kulmbach

Gewidmet der Zukunft Amerikas, meinen Enkeln: Ethan, Austin, Mira, Asher, Ari, Kathryn, Nicholas und Douglass

Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Torheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens, es war die Jahreszeit des Lichts, es war die Jahreszeit der Dunkelheit, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung. Alles lag vor uns, nichts lag vor uns. Wir steuerten alle direkt auf den Himmel zu, wir steuerten alle direkt in die andere Richtung – kurz gesagt, die Zeit entsprach so sehr der heutigen, dass einige der stimmgewaltigsten Autoritäten darauf bestanden, man müsse sie für gut oder böse halten, aber nur mit den Superlativen eines Vergleichs.

– Charles Dickens

INHALT

LISTE DER ABBILDUNGEN

EINFÜHRUNG

TEIL 1DIE ERFINDUNG AMERIKAS

1.Das amerikanische Regierungssystem und eine ruhelose Nation

2.Das Land – ein Ort namens Amerika

3.Das amerikanische Volk

TEIL 2AMERIKANISCHE ZYKLEN

4.Wie sich Amerika verändert

5.Wie Geopolitik die 2020er-Jahre definiert

6.Die institutionellen Zyklen und Krieg

7.Die sozioökonomischen Zyklen

TEIL 3DIE KRISE UND DIE RUHE

8.Die Ausläufer des kommenden Sturms

9.Die Krise der 2020er – der Zusammenstoß der Zyklen

10.Die Krise der Technologie und der Bildung in den 2020er-Jahren

11.Nach dem Sturm

FAZITDas amerikanische Zeitalter

DANKSAGUNGEN

LISTE DER ABBILDUNGEN

Die ursprüngliche Seidenstraße

Atlantische Winde und Strömungen

Das Great Appalachian Valley

Die amerikanischen Kolonien, 1775

Die Ursprünge der Vereinigten Staaten

Amerikanische Flüsse

Verteilung der indianischen Völker, 1800

Comanchen-Reich

Durchschnittlicher jährlicher Niederschlag, 1961-1990

Waldbestand in den USA

Bevölkerungsdichte, 2010

Berge und Flüsse

Die USA nach 1836

Verhältnis der US-Schulden zum BIP

Gesamtvermögen und -verbindlichkeiten USA

Haushaltseinkommen bleibt niedrig

Die Schere geht auseinander

Staatsbedienstete

Arbeitsproduktivität: Reale Produktion pro Stunde

Wachstum US-BIP

EINFÜHRUNG

Die Vereinigten Staaten durchleben schwere Zeiten. Die Amerikaner beschäftigen sich hauptsächlich mit der Präsidentschaft von Donald Trump. Seine Gegner glauben, er sei korrupt und inkompetent. Seine Unterstützer glauben, er sei das Opfer einer abgeschotteten Elite, die ihn zerstören will. Ein Großteil der Spannungen konzentriert sich auf Trump, als wäre er allein das Problem oder die Lösung.

Das ist nichts Neues. Der Zorn aufeinander und die Spaltung, die wir heute in Amerika sehen, ist trivial, verglichen mit anderen Zeiten der US-Geschichte – dem Bürgerkrieg, in dem 650.000 Menschen gestorben sind, oder den 1960er-Jahren, als die 82. Airborne-Division eingesetzt wurde, um Heckenschützen in Detroit zu bekämpfen. Abraham Lincoln hat man einen Analphabeten und Affen geschimpft. Richard Nixon wurde ein Krimineller genannt und als solcher hat er sich auch erwiesen, obwohl er alles auf die Medien geschoben hat. Einige Präsidenten, wie Lincoln, Nixon und Trump, werden von manchen verabscheut und anderen geliebt, aber die Realität ist, dass sie nicht mächtig genug sind, um die Probleme zu verursachen – und auch nicht die zugrunde liegenden Strömungen kontrollieren, auf denen sie nach oben schwimmen.

Amerikaner betonen immer die Bedeutung des Präsidenten, was bis auf Washington, Jackson oder Lincoln zurückreicht. Das hat etwas Ironisches, denn der amerikanische Präsident besitzt im Vergleich zu einem europäischen Premierminister wenig Macht. Die Gründerväter haben das absichtlich so festgelegt und dieses Arrangement hat sich über die Zeit bewährt. Ein Präsident sieht sich zwei Parlamenten gegenüber, unzähligen Bundesrichtern und 50 souveränen Staaten. Er kann kaum etwas erreichen, aber er bildet eine Art Brennpunkt für den Geist der Nation. Wenn also die Nation wieder eine ihrer periodischen und vorhersehbaren Krisen durchlebt, dann beschuldigen oder loben die Amerikaner den Präsidenten, statt die sachlichen Kräfte zu verstehen, welche die Ereignisse antreiben.

Dieses Buch konzentriert sich auf die zugrunde liegenden Prozesse innerhalb der amerikanischen Geschichte, erklärt unseren momentanen Zustand im Kontext unserer allgemeinen Geschichte und stellt die gegenwärtigen leidenschaftlichen Ausbrüche in einen Zusammenhang. Es wird auch die sehr reale, kommende Krise der 2020er- bis 2030er-Jahre erklären und letztlich aufzeigen, wie die Vereinigten Staaten mit dem Leid und dem Durcheinander fertig werden und am Ende stärker und dynamischer daraus hervorgehen.

Im Moment finden eine Reihe tiefer, struktureller Veränderungen in den Vereinigten Staaten statt und diese Veränderungen schaffen tiefgehende Spannungen. Die Bundesregierung durchlebt eine periodische Transformation, in der sich ihre Vorgehensweisen und ihre traditionelle Beziehung zur Gesellschaft verändern. Diese Veränderung wird durch ein zunehmendes Versagen des Systems vorangetrieben. Gleichzeitig durchlebt das Wirtschaftssystem einen fundamentalen Wandel, der zum Teil von einem Geldüberschuss und begrenzten Investitionsmöglichkeiten angetrieben wird. Das führt wiederum zu einem massiven Nachlassen des Produktionswachstums, weil es zu einem Rückgang der Innovationen führt. Unter diesen beiden Belastungen und dem Druck, der entstand, weil die Vereinigten Staaten ihre Balance im globalen System finden wollten, ist der Kitt, der die amerikanische Gesellschaft zusammenhält, brüchig geworden und wird im Verlauf der 2020er-Jahre weiter dahinschwinden. Und unabhängig davon, wer Präsident ist, werden Angst und Hass das Land noch ein weiteres Jahrzehnt heimsuchen.

Das ist keineswegs das erste Mal, dass etwas Derartiges stattfindet. Wenn wir einen Schritt zurücktreten und eine breitere Perspektive einnehmen, sehen wir zwei Hauptzyklen in der amerikanischen Geschichte, und indem wir diese Zyklen verstehen, können wir die derzeitige Situation der Vereinigten Staaten verstehen. Einer ist der „institutionelle Zyklus“, der sich ungefähr alle achtzig Jahre wiederholt. Der erste institutionelle Zyklus begann mit dem Ende der Amerikanischen Revolution und dem Entwurf der Verfassung Mitte der 1780er-Jahre und endete 1865 mit dem Bürgerkrieg. Der zweite institutionelle Zyklus endete 80 Jahre später mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Anspannungen des nächsten Übergangs werden heute sichtbar und etwa um das Jahr 2025 stattfinden.

Der zweite wichtige Zyklus ist der „sozioökonomische“, der ungefähr 50 Jahre dauert. Die letzte Veränderung fand etwa 1980 statt, als die ökonomischen und sozialen Störungen, die in den späten 1960er-Jahren begannen, in einem fundamentalen Wandel der Funktionsweise unserer ökonomischen und sozialen Systeme ihren Höhepunkt fanden. Wie ich in späteren Kapiteln detailliert erklären werde, gelangte der letzte sozioökonomische Zyklus in den frühen 1930er-Jahren nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise an einen Wendepunkt und davor in den 1880er-Jahren, als das Land sich nach dem Bürgerkrieg neu ausrichtete. Wir sehen uns erneut einer Periode der sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheit gegenüber, die in den späten 2020er-Jahren zum Ende kommen wird.

Wenn wir diese beiden bedeutenden Zyklen betrachten, dann sehen wir etwas, das es vorher noch nicht gab. Der gegenwärtige institutionelle Zyklus wird mit einer Krise etwa Mitte der 2020er-Jahre zum Abschluss kommen und der sozioökonomische Zyklus wird mit einer Krise ein paar Jahre später enden. Das ist das erste Mal in der amerikanischen Geschichte, dass die beiden Zyklen so kurz nacheinander ihren Höhepunkt finden und sich praktisch überlappen. Das bedeutet offensichtlich, dass die 2020er-Jahre eine der schwierigeren Perioden der amerikanischen Geschichte werden, besonders, wenn wir die neue und komplexe Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt bedenken – etwas, das während fast aller früheren Zyklen kein Faktor gewesen war. Die Trump-Administration ist daher nur der Vorläufer dieser Periode und dessen, was kommen wird. Dabei geht es nicht um Donald Trump, weder im Positiven noch im Negativen. Er kann entweder als kühn und direkt angesehen werden oder als inkompetent und taktlos, aber wenn wir die Details außer Acht lassen, dann sind er – und wir – nur Fahrgäste in der amerikanischen Achterbahn.

Man darf nicht vergessen, dass jeder dieser amerikanischen sozioökonomischen Zyklen mit einer Periode der Zuversicht und des Wohlstands endete. Auf den Bürgerkrieg folgte eine beachtliche Wachstumsperiode, während der 35 Jahre später die Vereinigten Staaten die Hälfte aller Handelsgüter der Welt produzierten. Auf den Zweiten Weltkrieg folgte ein beispielloses Wachstum der berufstätigen Klasse. Und auf den Kalten Krieg folgte der Tech-Boom, der die Welt verändert hat. Ich sage keinen Weltuntergang vorher. Ich sage eine extrem schwierige Periode vorher, zwischen dem Heute und dem Beginn der nächsten Phase der amerikanischen Geschichte in den 2030er-Jahren – und die Periode von Zuversicht und Wohlstand, die darauf folgen wird.

Es ist wichtig, festzuhalten, dass im Unterschied zu dem, was manchmal in anderen Ländern passiert, diese Zyklen die Vereinigten Staaten nicht zerstören werden. Stattdessen bringen sie sie voran. Die Zyklen repräsentieren den Motor, der die Vereinigten Staaten antreibt. Jede Periode beginnt mit einem Problem, das vom vorherigen Zyklus verursacht wurde, schafft ein neues Modell, das die amerikanischen Stärken nutzt, und findet seinen Höhepunkt darin, dass die Lösung des Problems übermäßig ausgereizt und zum neuen Problem wird, das gelöst werden muss.

Die Gleichmäßigkeit und Schnelligkeit dieser Zyklen ist beeindruckend. In anderen Ländern sind Auftreten und Intensität dieser Zyklen sehr viel weniger leicht vorherzusagen, aber die amerikanischen Zyklen sind vorhersehbar und häufig. Das hat mit der Schnelligkeit und Beweglichkeit zu tun, mit der sich Amerika entwickelt hat, und das war wiederum die Folge der Struktur der Vereinigten Staaten: ihrer Regierung, ihrer Bevölkerung und ihrem Land. All das schuf eine Plattform nicht nur für ein schnelles Wachstum, sondern auch dafür, dieses Wachstum zu managen. Das Wachstum einer Nation kann nicht linear sein. Alte Systeme, die ihre Nützlichkeit überlebt haben, müssen zerstört und neue Systeme geschaffen werden. Die Natur der Vereinigten Staaten hat das immer begünstigt, und wie ich in den kommenden Kapiteln untersuchen werde, wird sie das auch weiterhin tun.

Die wichtigste Tatsache, die man im Hinterkopf behalten muss, ist, dass die Vereinigten Staaten eine erfundene Nation sind; sie haben sich nicht aus einer begrenzten Zahl an Menschen über Tausende Jahre in ihrem angestammten Land natürlich entwickelt, so wie es etwa in China oder Russland der Fall war. Darüber hinaus waren die Vereinigten Staaten eine zielstrebig und schnell entworfene Nation. Das amerikanische Regierungssystem wurde das erste Mal in der Unabhängigkeitserklärung konzipiert und in der Verfassung institutionalisiert. Das amerikanische Volk setzt sich aus Menschen aus verschiedenen Ländern und mit verschiedenen Sprachen zusammen, die unterschiedliche Gründe hatten, um nach Amerika zu kommen – die meisten freiwillig, einige durch Gewalt.

Das Volk der Vereinigten Staaten hat sich selbst quasi auf einem unbeschriebenen Blatt entworfen. Und das Land Amerika hat sich in bedeutendem Umfang selbst erfunden. Es hat den Amerikanern Möglichkeiten geboten, die den meisten unvorstellbar erschienen und in einer Weise genutzt werden konnten, die niemand vorhersah.

Die Kombination aus Staatsform, Menschen und Land verleiht der Nation eine Agilität, die den meisten anderen Ländern fehlt. Das Regierungssystem sollte flexibel sein und dem Volk die Möglichkeit geben, sich so schnell zu entfalten, wie die Menschen sich das Land zunutze machen konnten. Es erlaubt den Vereinigten Staaten, sich mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit zu entwickeln. Und weil alle Dinge sich irgendwann erschöpfen, führt es auch zu häufigen Krisen, die wirken, als würden sie die Nation dem Untergang weihen. Doch stattdessen schöpft Amerika tatsächlich Kraft aus den Krisen und reformiert sich mit erstaunlicher Agilität.

Ich habe dieses Buch in drei Teile aufgeteilt. Teil 1 versucht, den amerikanischen Charakter, die amerikanischen Werte und die Geschichte zu erklären, die zur Bildung des „amerikanischen Volks“ geführt hat. Er zeigt auch, warum die Vereinigten Staaten so widerstandsfähig sind und warum sie extreme Perioden überleben können. Teil 2 beschreibt detailliert die beiden wichtigen Zyklen und die Realitäten, die die amerikanische Geschichte bestimmen, insbesondere, was zu der Krise geführt hat, die die Vereinigten Staaten augenblicklich erleben. Teil 3 ist eine Zukunftsvorhersage und schildert die Krisen, die auftreten, wenn die massiven Kräfte dieser beiden Zyklen im Jahrzehnt zwischen 2020 und 2030 kulminieren – etwas, das vorher noch nie passiert ist –, und wirft dann einen Blick darauf, was folgen wird und wie die Zukunft Amerikas aussieht, wenn der Sturm vorübergezogen ist.

Dieses Buch erläutert, wie die Vereinigten Staaten unter der Oberfläche funktionieren. Um das zu verstehen, müssen wir als Erstes die Beschaffenheit des amerikanischen Systems verstehen, die Menschen und das Land. Die wahre Geschichte der Vereinigten Staaten ist eine Geschichte dessen, wie sie systematisch ihre Form ändern, um weiter zu wachsen. Und das bedeutet, wir müssen die Form der Vereinigten Staaten von ihrer Gründung ausgehend verstehen und uns dann ansehen, wie die Zyklen funktionieren und was sie für die Zukunft bedeuten.

TEIL 1

DIE ERFINDUNG
AMERIKAS

1

KAPITEL

DAS AMERIKANISCHE REGIERUNGSSYSTEM UND EINE RUHELOSE NATION

Am letzten Tag der verfassungsgebenden Versammlung, direkt nachdem die Verfassung angenommen wurde, fragte eine Frau, die vor dem alten Pennsylvania State House gewartet hatte, Benjamin Franklin, ob die Nation eine Monarchie oder eine Republik werden würde. Seine Antwort war: „Eine Republik, wenn Sie dafür sorgen, dass es so bleibt.“ Die verfassungsgebende Versammlung erfand die amerikanische Regierung. Und das auf zweierlei Weise: Zuerst schuf sie eine Regierung, wo es vorher keine gegeben hatte. Zweitens schuf sie eine Maschine, die Maschinerie der Regierung, die dem Geist der Gründerväter entsprungen war. Anders als andere Regierungen hatte sie keine Vergangenheit. Diese Regierung wurde durch einen Entwurf, eine Architektur und durch Planung geschaffen.

Die Maschine basierte auf zwei Prinzipien. Erstens fürchteten die Gründungsväter eine Regierung, denn Regierungen neigen dazu, Macht anzuhäufen und sich in Gewaltherrschaften zu verwandeln. Zweitens misstrauten sie dem Volk, denn das Volk – das seine eigenen Interessen verfolgt – könnte die Regierung davon abbringen, sich um das Gemeinwohl zu kümmern. Eine Regierung und natürlich auch die Bürger waren notwendig, aber beide mussten im Zaum gehalten werden, und zwar, indem die Regierung beider Fähigkeit begrenzte, Macht anzuhäufen. Die Gründerväter hatten eine solche Maschine geschaffen.

Sie versuchten, eine Maschinerie zu entwerfen, die sich selbst Grenzen setzte, und hatten damit im amerikanischen Leben einen großen Bereich geschaffen, der frei von Regierung oder Politik war. Sie versuchten, eine Sphäre des Privatlebens zu schaffen, in der die Bürger dem Glück nachjagen konnten, das ihnen in der Unabhängigkeitserklärung versprochen worden war. Die private Sphäre würde den Handel, die Industrie, Religion und die endlosen Vergnügungen im Bereich des Privatlebens umfassen. Das Wichtigste an der von ihnen erfundenen Maschine war, inwieweit man sie in Schach halten konnte, damit sie nicht in die Angelegenheiten eindrang, die man für wirklich wichtig hielt – die nichts mit Politik zu tun hatten.

Es ist das eine, die Maschine zu erfinden, und etwas anderes, dafür zu sorgen, dass sie ohne intensive Wartung funktioniert. Die Lösung für diese Erfindung war, sie ineffizient zu machen. Das Machtgleichgewicht, das geschaffen wurde, erreichte drei wichtige Dinge: Erstens machte es die Verabschiedung von Gesetzen enorm schwierig; zweitens wurde verhindert, dass sich der Präsident zum Diktator aufschwingen kann; und drittens wurden dem Kongress durch die Gerichte Grenzen des Machbaren gesetzt. Das bemerkenswert ineffiziente Regierungssystem der Gründerväter tat, wozu es entworfen war; es tat wenig, und das Wenige, das es tat, erledigte es schlecht. Die Regierung musste die Nation schützen und in gewissem Umfang den freien Inlandshandel. Aber es war das Privatleben, das einen Kreislauf der Kreativität schaffen sollte, der es der Gesellschaft, der Wirtschaft und den Institutionen erlaubte, sich mit bemerkenswerter Geschwindigkeit zu entwickeln, ohne das Land auseinanderzureißen, wenn es auch ein paar Mal knapp war. Deswegen hat Benjamin Franklin das Pennsylvania State House in Philadelphia sowohl mit einer gewissen Zuversicht als auch Vorsicht verlassen. Er wusste, das Regierungssystem war entworfen worden, um mächtige und gefährliche Kräfte auszubalancieren, und er wusste, dass es eine neue und nicht erprobte Regierungsform war.

Das war nicht einfach nur eine Sache der gesetzgeberischen Formulierungen, die in der Verfassung standen. Es ging vielmehr darum, moralische Prinzipien zu schaffen und zu schützen, von denen einige nur implizit, andere eindeutig ausbuchstabiert waren. Sowohl die öffentlichen als auch die privaten Grenzen der Gesellschaft können nicht von einem politischen Willen oder von Dokumenten aufgezwungen werden, sondern, indem man die außergewöhnliche moralische Vision schlicht als den gesunden Menschenverstand der Nation darstellt. Die moralischen Prinzipien waren komplex und manchmal widersprüchlich, aber sie hatten einen gemeinsamen Kern: Jeder Amerikaner sollte die Freiheit haben, bei dem, was er sich vorgenommen hatte, erfolgreich zu sein oder zu scheitern.

Darum ging es beim Recht auf Streben nach Glück. Der Staat würde niemanden davon abhalten. Das Schicksal einer Person würde nur von seinem Charakter und seinen Talenten bestimmt werden. Die Gründerväter taten mehr, als nur den Staat und das Privatleben zu trennen. Sie schufen eine andauernde Spannung zwischen beiden. Besuchen Sie ein Meeting irgendeiner kommunalen Schulleitung, wo die Realitäten der Regierung auf die Bedürfnisse der Menschen treffen. Der Wunsch, die Steuern nicht zu erhöhen, sondern mehr Dienstleistungen zu erbringen, kollidiert mit einer Regierung, die ständig versucht, ihre Macht und ihre Finanzbasis auszubauen, ohne sich selbst zu irgendwelchen Verbesserungen zu verpflichten. Der Druck auf die demokratisch gewählten Mitglieder des Schulaufsichtsrats steigt, und sie sitzen zwischen allen Stühlen. Das ist der Mikrokosmos der Spannung zwischen der kommunalen Ebene und Washington.

Die Republik war im Prinzip nicht an einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Volk gebunden. Die Gründerväter sahen sie als die natürlichste und moralischste Form der Regierung und der Gesellschaft an. Sie hätte als Idealform einer beliebigen Regierung gelten können. Die Republik hätte in den Vereinigten Staaten auch scheitern können, aber egal ob sie irgendwo oder nirgendwo existierte, sie wäre in den Augen der Gründerväter immer noch die gerechteste aller politischen Ordnungen.

Das bedeutet, das Regierungssystem war einzigartig. Es war nicht allein an die Menschen gebunden, die in Amerika lebten. Es war ihres, wenn sie daran festhielten, und gehörte anderen, wenn sie sich eine solche Regierungsform wählten. Das unterschied die Vereinigten Staaten radikal von anderen Ländern, die in einer gemeinsamen Geschichte, Sprache, Kultur und an einem gemeinsamen Ort verwurzelt sind. Zum Beispiel sind Frankreich und Japan zutiefst mit ihrer Vergangenheit verbunden. Amerika fußt auf einer Erfindung, einer Regierungsform, die unter moralischen und praktischen Erwägungen entworfen wurde, aber im Prinzip nicht im amerikanischen Volk verwurzelt ist. Daher die Warnung von Franklin. Das gesamte Konzept der amerikanischen Republik ist künstlich und losgelöst von der Vergangenheit.

Das Regierungssystem heißt Vereinigte Staaten. Das Land heißt Amerika. Das System und das Land sind verbunden, weil das Land die Prinzipien des Systems akzeptiert. Das muss es nicht, damit Amerika, das Land, existiert. Die Amerikaner hätten beschließen können, zu einer anderen Regierungsform zu wechseln – zum Beispiel zu einer Monarchie –, und das Land wäre immer noch Amerika geblieben. Aber wir wären nicht länger die Vereinigten Staaten in der vollen institutionellen und moralischen Bedeutung des Begriffs gewesen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind der Ort, wo die Prinzipien dieses Herrschaftssystems das Land regieren. Das ist eine grundlegend andere Auffassung im Vergleich zu den meisten anderen Ländern und sie hat tiefgehende und manchmal unerkannte Konsequenzen.

Man kann sagen, dass man ein Bürger der Vereinigten Staaten ist, aber man kann nicht sagen, dass man ein „Vereinigter Staatler“ ist. Das lässt die Sprache nicht zu. Die natürliche Beziehung besteht zu Amerika, dem eigenen Heimatland. Zu sagen, dass man Amerikaner ist, ist einfach. Aber die Liebe zum Land und zum Volk und die eigene Beziehung zu den Vereinigten Staaten sind sehr verschiedene Dinge. Eine der ständigen Herausforderungen der Republik ist, dass man die beiden im Einklang hält, denn unsere natürliche Neigung besteht darin, die eigene Heimat zu lieben, aber die Republik zu lieben erfordert eine intellektuelle Anstrengung. Die beiden müssen nicht eins sein, aber die Gründung Amerikas sollte sicherstellen, dass es keine unüberbrückbare Trennung zwischen den beiden gibt. Meistens funktioniert es. Wenn nicht, gibt es Spannungen.

Kurz nachdem die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde, bildeten Thomas Jefferson, John Adams und Benjamin Franklin ein Komitee, um ein Staatssiegel für die Vereinigten Staaten zu entwerfen. Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten durch die Unterzeichnung der Erklärung in einen Krieg gestürzt worden waren, erschien das nicht gerade als Priorität. Diese drei Männer wussten jedoch, dass die Vereinigten Staaten ein moralisches Projekt waren, und moralische Projekte brauchen Ikonen, Dinge, die die moralische Mission definieren und ein Gefühl des Heiligen vermitteln. Es brauchte Jahre, um das große Staatssiegel zu entwerfen. 1782 wurde Charles Thomson, der Sekretär des Kontinentalkongresses, gebeten, dieses Projekt abzuschließen. Er tat wie geheißen, und das Endprodukt findet sich nun an verschiedenen Orten und wird für ebenso heilig für das amerikanische Leben gehalten wie die Prinzipien der Republik. Der wichtigste Ort, an dem man es antrifft, ist dem Herzen der Amerikaner am nächsten: der Dollarschein.

Eine Regierung zu erfinden war der Auftakt zur Erfindung einer ganzen Nation. Regierungen können Maschinen sein, aber Nationen müssen Raum für das tatsächliche Leben der Menschen bieten. Menschen leben ihr Leben nicht im Abstrakten. Sie leben ein reales Leben, innerhalb von Nationen, und diese Nationen geben ihnen ein Gespür dafür, wer sie sind. Zum Teil hat das mit der Regierung zu tun, zum Teil mit den Prinzipien der Nation, mit dem, was uns sagt, welche Menschen wir sind und sein sollten. Darüber lassen sich dicke Bücher schreiben, aber Jefferson, Adams und Franklin haben der Nation ein großes Staatssiegel geboten, das als Prisma dienen sollte, durch das wir uns selbst betrachten konnten und das erklärt, wieso wir uns so verhalten, wie wir es tun. Das Große Siegel ist symbolisch und Symbole müssen entschlüsselt werden. Aber in diesen Symbolen finden wir ihre Ansichten darüber, wie Amerikaner sein sollten und was zwingend dazugehört, Bürger der Vereinigten Staaten zu sein.

Wir sollten das Große Siegel aufgrund der drei Männer, die es ins Leben riefen, ernst nehmen. Sie gehörten nicht nur zu den außergewöhnlichsten Männern einer ganzen Gruppe außergewöhnlicher Männer, sondern repräsentierten auch alle wichtigen Fraktionen der Revolution. Jefferson war Demokrat. Adams war Föderalist. Franklin war Bilderstürmer und repräsentierte den amerikanischen Geist vielleicht am besten. Er war ein ernsthafter, aber nicht unbedingt sachlicher Mann. Franklin war eine Einmannpartei und repräsentierte die Menschen, die ihr Land liebten, jedoch verstand er, dass Anständigkeit auch Humor erforderte. Es ist erstaunlich, dass drei kluge Köpfe wie diese – ein philosophisches Genie, ein juristisches Genie und ein Genie des guten Lebens – eine gemeinsame Vision entwickelten, wer wir sind und bleiben müssen.

Auf der Vorderseite des Siegels befindet sich der Adler, der die Stärke Amerikas repräsentieren soll. Benjamin Franklin hat sich tatsächlich gegen die Wahl des Adlers gesträubt und seine Gründe in einem Brief an seine Tochter dargelegt:

Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass der Weißkopfseeadler nicht als Repräsentant unseres Landes gewählt worden wäre. Er ist ein Vogel mit einem schlechten moralischen Charakter. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt nicht ehrlich. Man hat ihn schon gelegentlich auf irgendeinem toten Baum am Fluss gesehen, wo er, zu faul, um selbst zu fischen, die Mühen des Fischadlers beobachtet; und wenn dieser fleißige Vogel endlich einen Fisch gefangen hat und ihn zu seinem Nest bringt, um seinen Partner und seine Kinder zu versorgen, dann verfolgt ihn der Weißkopfseeadler und raubt ihm seine Beute.

Franklin soll angeblich den Truthahn bevorzugt haben, einen ehrlicheren Vogel. Er konnte vermutlich das Klischee eines Adlers nicht ertragen. Franklin scherzte, aber er wies auch auf einen ernsten Punkt hin – Symbole sind wichtig.

Auf dem Banner neben dem Adler stehen die Worte E pluribus unum, was „aus vielen eines“ bedeutet. Es hieß damals, es solle sich auf die 13 Kolonien beziehen, die vielen, die sich zusammenschlossen und eines wurden. Im Lauf der Zeit hat die Geschichte der Formulierung jedoch eine andere Bedeutung gegeben. Als die Wellen der Immigration über die Vereinigten Staaten hinwegspülten, wurde das Motto darauf bezogen, wie die vielen Kulturen, die nach Amerika gekommen waren, zu einer Nation wurden. Es ist unwahrscheinlich, dass die Gründerväter sich jemals die Vielfalt der Immigration vorstellen konnten, auch wenn die Verfassung sie ganz klar antizipiert hat, denn sie legte die Regeln für die Einbürgerung fest. Die „Ulster-Schotten“ – protestantische Schotten aus Irland, die nach den Engländern ankamen – wurden als gewalttätig verabscheut und man glaubte, sie konnten nicht assimiliert werden. In der Geschichte der amerikanischen Immigration ist das Schnee von gestern. Das Große Siegel ist im Prinzip verankert. In der Praxis gewinnt es seine Gestalt. „Aus vielen eines“ erwies sich als das Fundament, auf dem das amerikanische Volk sich gründete, aber das war nie einfach. 250 Jahre sind seitdem vergangen und das Prinzip der Immigration spaltet die Nation immer noch.

Aber die ursprüngliche Bedeutung von E pluribus unum wies auf ein anderes, fatales Problem, das zum Bürgerkrieg führte. Man kann leicht vergessen, wie sehr sich die Kolonien voneinander unterschieden und wie bewusst sie sich dieser Unterschiede waren. Rhode Island unterschied sich von South Carolina in Bezug auf Geografie, Bräuche und die soziale Ordnung. Diese Unterschiede dauern bis heute an, aber nur noch als Schatten dessen, was sie einst waren. E pluribus unum wurde nicht als Motto gewählt, weil die neuen Staaten so viel gemeinsam hatten, sondern weil sie sich gegenseitig in gewissem Maß als fremde und exotische Ausländer sahen. Heute sind wir vielleicht keine Fremden mehr, aber ein New Yorker kommt einem Texaner häufig exotisch vor und umgekehrt. Die Spannungen bleiben.

Auf der Rückseite des Siegels ist eine unfertige Pyramide zu sehen, eine interessante Wahl für ein neu entstehendes modernes Land, zu einer Zeit, als man schon seit Jahrhunderten keine Pyramiden mehr baute. Aber der Symbolismus ist bedeutend. Eine Pyramide ist ein enormes Unterfangen, das den Reichtum, die Ressourcen und die Anstrengung einer ganzen Nation erfordert. Sie ist ein vereinigendes Prinzip. Die Pyramide verbindet die Republik, für die sie steht, und die Menschen, die sie errichten, und macht sie zu einem. Sie sagt uns, dass die Republik nicht nur ein Konzept ist, sondern das Produkt eines Volkes, und das verbindet die Republik mit einer Nation.

Das Siegel sagt auch aus, dass die Republik ein nicht abgeschlossenes Unternehmen ist und sich durch die Schwerstarbeit der Amerikaner entwickeln muss. Die Menschen errichten die Pyramide in endlosem Bemühen auf dem Boden. Eine Pyramide hat eine Form, die dafür sorgt, dass die Arbeit auf eine bestimmte Weise vonstattengeht. Man macht einen Ziegel, man rührt den Mörtel an und man legt die Ziegel in einer endlosen Spirale. Die Pyramide gibt der Arbeit eine Form und Vorhersagbarkeit. Arbeit beinhaltet außerdem Momente der Krise und des Erfolgs. Das beschreibt, wie das amerikanische Leben aussehen wird.

Über der Pyramide stehen die Worte Annuit coeptis, was bedeutet: „Er war unserem Unternehmen gnädig“. „Er“ wird normalerweise mit Gott gleichgesetzt. Aber man hat beschlossen, das Wort „Gott“ nicht zu verwenden. Es gibt eine große Kontroverse in Amerika zwischen denen, die argumentieren, dass die Vereinigten Staaten ein christliches Land sind und anderen, die behaupten, es wäre völlig säkular. Die Schöpfer des Siegels verstanden dieses Problem eindeutig. Ob sie einen Kompromiss eingingen oder einer Meinung waren, es wird weder Christus noch Gott in der Unabhängigkeitserklärung oder der Verfassung erwähnt. Aber es gibt einen klaren Verweis auf etwas, das über der Menschheit steht und das Unternehmen segnet und begünstigt, eine Vorsehung, wie man es in der Unabhängigkeitserklärung nennt. Die Gründerväter hätten sich auch direkt auf Christus beziehen oder jede Erwähnung des Göttlichen unterlassen können. Sie taten beides nicht. Sie übernahmen nicht einfach den Säkularismus der Aufklärung oder die Religiosität Englands. Sie weigerten sich, die Kraft der Vorsehung beim Namen zu nennen, aber sie stellten klar, dass es eine gab. Die Doppeldeutigkeit war meiner Meinung nach Absicht. Sie schuf eine kreative Spannung, die noch immer anhält.

Unter der Pyramide steht das dritte Motto des Siegels: Novus ordo seclorum, was „eine neue Ordnung der Zeitalter“ bedeutet. So sahen die Gründerväter die Gründung der Vereinigten Staaten. Es ging nicht einfach nur um eine neue Regierungsform, sondern um eine dramatische Veränderung in der Geschichte der Menschheit. Das war bereits radikal genug. Aber Charles Thomson, der den Satz geprägt hat, sagte, dieser repräsentiere „den Beginn der neuen amerikanischen Ära“. Die vernünftigste Interpretation ist, dass ein neues Zeitalter begonnen hat und Amerika im Zentrum dieses neuen Zeitalters stehen würde. Damals erschien diese Annahme nicht im Geringsten vernünftig. Sie war durchaus anmaßend. Amerika steckte in den Kinderschuhen und teilte sich eine Welt mit Ländern, die seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden existiert und sich entwickelt hatten. Das Zeitalter, das Europa dominiert hatte, war noch lange nicht vorbei und ein neues Zeitalter über das europäische Zeitalter hinaus war noch nicht sichtbar. Dennoch sahen die Gründerväter ein neues Zeitalter heraufziehen, das amerikanische Zeitalter, und sie verewigten diesen Gedanken auf dem Großen Siegel.

Das Große Siegel gibt uns ein erstklassiges Gespür dafür, was sich die Gründerväter vorgestellt hatten, auch wenn diese Vorstellung durch die Sklaverei korrumpiert war, worauf ich später noch eingehen werde. Sie sahen die Gründung der Vereinigten Staaten als eine neue Ära, voll von nie endenden Anstrengungen, aber Anstrengungen, die zu einem vorhergesehenen und logischen Ziel führten. Es sollte eine Ära sein, die etwas Göttliches anerkennt, aber nur eine unspezifizierte Gottheit. Sie stellten sich Größe, das Heilige, und eine Nation vor, die auf Arbeit gegründet war. Das Siegel gibt uns ein Gespür dafür, was die Gründerväter wollten, aber präzisiert es nicht. Die Mottos geben uns einen Eindruck vom Weg und Ziel Amerikas. Wenn man das Ziel kennt, dann kann man seine Route berechnen und die Gefahren vorhersagen, denen wir uns gegenübersehen, und die Möglichkeiten, die uns geschenkt werden.

Die Gründerväter glaubten, eine Handvoll Leute, die am westlichen Rand des Atlantischen Ozeans saßen, konnten nicht nur ein großes, weltumspannendes Reich wie Großbritannien besiegen, sondern auch eine Nation aufbauen, die der Welt eine neue Form gab. Daher führt die Diskussion wie selbstverständlich vom Großen Siegel zur Revolution. In gewisser Weise war die Amerikanische Revolution nicht allein gegen England gerichtet. Sie war gegen das europäische Zeitalter gerichtet, das 1492 begann. Die Amerikaner sahen das europäische Zeitalter als auf Unterdrückung und Ungleichheit gegründet an. Europäische Nationen glaubten, dass diese Werte der natürlichen Ordnung entsprachen. Gegen diese Ordnung stellten die Gründerväter nicht nur Freiheit und Gleichheit, sondern auch die Beherrschung der Natur. Die industrielle Revolution steckte noch in den Kinderschuhen, aber ihre Grundprinzipien waren bereits sichtbar. Es war die Beherrschung der Natur durch Vernunft und Technologie. Ein Großteil der amerikanischen Geschichte dreht sich um Wissenschaft und ihren Spross Technologie. Wenn wir uns Ben Franklin oder Thomas Jefferson ansehen, dann wissen wir, dass die Gründerväter eine Vision hatten, die über die Nation hinausreichte.

Man sollte sich einen Moment daran erinnern, dass zwei der drei Männer, die die Gestaltung des Siegels in Auftrag gaben, Erfinder waren. Sowohl Jefferson als auch Franklin erfanden viele Dinge, von einem leichtgewichtigen Pflug bis zum Blitzableiter. Jefferson war ein exzellenter Architekt, der das Monticello in Virginia hinterließ, das außergewöhnliche Haus, das er geschaffen hat – das Zuhause, das auch über eine seiner Erfindungen verfügte, den Speisenaufzug. Wenn ich sage, dass das Regierungssystem eine Erfindung war, dann sage ich damit auch, dass es von Männern erfunden wurde, die ihr ganzes Leben lang Erfinder waren. Sie waren Technologen. Sie versuchten, Dinge zu schaffen, mit denen man die Natur beherrschen und die menschliche Existenz einfacher machen konnte. Erfindung war nicht nur ein Teil des Systems. Die amerikanische Kultur hatte sie zutiefst verinnerlicht. Jefferson und Franklin stellten sämtliche politischen Vorannahmen infrage. Sie stellten auch alle geschaffenen Dinge infrage und versuchten, sie zu verbessern. Dieser Erfindergeist kann auch während der gesamten amerikanischen Geschichte beobachtet werden, von Erntegeräten bis zu Smartphones.

Dieser Erfindergeist war auch mit einem Gefühl der Dringlichkeit verbunden. Die Menschen kamen in die Vereinigten Staaten, um ein besseres Leben zu führen als in ihrer Heimat. Ein Immigrant, der sich in New York oder Minnesota mit leeren Taschen niederließ, musste und wollte sich schnell von einem Ort zum anderen bewegen. Zeit war Geld und ist es in der amerikanischen Kultur immer noch.

Es war die Kombination aus Dringlichkeit und Technologie, welche die Vereinigten Staaten vorantrieb. In jeder Generation veränderten Erfindungen das Leben der Menschen und das schuf einen Kreislauf der Transformation für die Gesellschaft als Ganzes. Dieser Kreislauf beinhaltete auch die unvermeidlichen Fehlschläge und Enttäuschungen, die der Technologie innewohnen, ob es die Gestaltung von Häusern ist, das Betreiben eines Stromnetzes oder die Erfindung einer Regierung. Sobald etwas erfunden war, mussten die Erfindungen neu erfunden werden, um mit neuen Herausforderungen und Möglichkeiten umzugehen.

Lassen Sie uns eine Formulierung näher betrachten, die in der Unabhängigkeitserklärung steht und dem amerikanischen Denken so eingeprägt ist, dass ihre unglaubliche Eigenart ignoriert wird. Die Gründerväter sprachen von drei Rechten: dem Recht auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück. Die Quelle dieser Formulierung war John Locke, ein britischer Philosoph, der vom „Recht auf Leben, Freiheit und Besitz“ sprach. Die Gründerväter änderten „Besitz“ in „Streben nach Glück“. Sie wählten absichtlich diesen Begriff, der einerseits schwer zu verstehen ist, aber andererseits im Mittelpunkt der amerikanischen Kultur steht.

Technologie und Erfindungen sind in gewisser Weise an Glück gebunden. Der Computer, das Automobil, das Telefon und so weiter machten Arbeiten, Reisen und Kommunizieren einfacher. Sie eröffneten Möglichkeiten, die es vorher nicht gegeben hatte. Denken Sie an die Fortschritte in der Medizin. Medizinische Durchbrüche eliminieren nicht den Tod, aber sie halten ihn eine Weile in Schach und das macht uns glücklich. Daher sind Technologie und Glück im amerikanischen Leben aufs Engste verknüpft, bis zu dem Punkt, an dem Technologie zu einem Ersatz für andere Formen des Glücks wird, wie Liebe und das Göttliche. Amerikaner schätzen diese Dinge, aber sie lieben topaktuelle Technologie mit einer andersgearteten, jedoch ebenso realen Leidenschaft.

Jede Erläuterung der Erfindung der amerikanischen Regierung muss sich daher Erfindungen im Allgemeinen zuwenden und von dort zum Glück kommen. Die Gründerväter wussten das, deshalb verkündete die Unabhängigkeitserklärung das Streben nach Glück als ein unveräußerliches Recht. Und das führt zu einem Rätsel.

Das Streben nach Glück definiert die amerikanische Kultur. Es ist nicht so, dass es nicht auch andere Pfade gäbe, die man beschreiten kann, wie Pflichtbewusstsein und Liebe und Wohltätigkeit. Aber sie drehen sich alle um den zentralen Kern, ein Ziel zu verfolgen – das Glück, das ein zutiefst persönliches Konzept ist und auf so viele Weisen definiert werden kann, wie es Menschen gibt. Alle können ihre eigene Definition von Glück beisteuern. Wenn wir es uns auf diese Weise vorstellen, dann wird die Bedeutung von Freiheit ebenfalls klar. Freiheit ist die Vorbedingung für das Streben nach Glück. Freiheit ist die Freiheit, sein Glück selbst zu definieren.

Glück ist der emotionale Motor, der die Vereinigten Staaten antreibt. Es ist das einzige Land, in dem das Streben nach Glück zu einem fundamentalen Recht erklärt wurde. Aber mit dem Glück kommt auch die Enttäuschung, so wie mit der Technologie deren Veralten einhergeht. Das Regierungssystem ist eine Maschine, ein neues Werkzeug zur Erledigung von Angelegenheiten. Aber so wie sich ändert, was erledigt werden soll, muss sich auch die Struktur des Systems ändern. Und staatliche Institutionen zu verändern, war traditionell schmerzhaft und engstens mit Krieg verknüpft. Damit werden wir uns in Teil 2 beschäftigen. Zuerst müssen wir Amerika als Land genauer unter die Lupe nehmen. Das Land als solches ist eine Konstante, hat sich aber in den Vereinigten Staaten verändert und wurde viele Male neu erfunden.

2

KAPITEL

DAS LAND – EIN ORT NAMENS AMERIKA

Martin Waldseemüller war der Mann, der der westlichen Hemisphäre den Namen gab. Er war ein deutscher Kartograf, der 1507 eine Karte der Neuen Welt zeichnete. Amerigo Vespucci, ein italienischer Entdecker, der unter portugiesischer Flagge fuhr, realisierte als Erster, dass Kolumbus nicht Indien besucht, sondern eine neue Landmasse entdeckt hatte. Vespucci schickte seine Aufzeichnungen an Waldseemüller, von dem er wusste, dass er dabei war, eine Karte zu entwerfen. Waldseemüller musste dem Ort einen Namen geben, der auf der Karte dargestellt war, und der Name konnte nicht Indien sein, egal was Kolumbus geglaubt hatte. Waldseemüller beschloss daher, die Hemisphäre zu Ehren von Amerigo Vespucci „Amerika“ zu nennen.

Die Hemisphäre hatte keinen Namen, bevor sie Amerika genannt wurde. Diejenigen, die dort gelebt hatten, hatten Namen für sich selbst und für andere, von denen sie wussten, aber sie hatten es nicht nötig, einer Hemisphäre einen Namen zu geben, die für sie ihre gesamte Welt war. Die Eingeborenen der östlichen Hemisphäre hatten ebenfalls keinen Namen für diese. Indem er der westlichen Hemisphäre einen Namen gab, erfand Waldseemüller die Welt neu. Er setzte durch, dass die Welt aus zwei Hemisphären bestand, und indem er sie nach einem Italiener benannte – ein Name, der bis heute verwendet wird –, verlieh er ihr eine europäische Identität.

Der Name Amerika definierte die Hemisphäre und mit dieser Neudefinition wurde sie zunehmend europäisch und gehörte nicht mehr allein den Ureinwohnern. Die Geografie blieb die gleiche; Berge und Flüsse bewegen sich immer noch über Äonen hinweg, aber die Beziehung zwischen jener Geografie und denjenigen, die sie bewohnten, wurde verändert. Als die Eisenbahn sich ausbreitete und große Städte entstanden, veränderten sie nicht nur die Landschaft, sondern auch, wie die Menschen die Geografie des Landes wahrnahmen. Flüsse umzuleiten, um Feldfrüchte in der Wüste anzubauen, verändert nicht nur das Verständnis von Geografie, sondern auch die Auffassung davon, was möglich ist. Deswegen komme ich zu dem Schluss, dass zwar alle Menschen die Geografie auf gewisse Weise neu erfinden, aber die Amerikaner weit ambitionierter (oder maßloser) darin waren, die amerikanische Geografie zu formen und neu zu erfinden. Diese Neuerfindung hat den Vereinigten Staaten die Möglichkeit gegeben, sich explosiv zu entwickeln und sich so schnell als mächtiges Land zu etablieren.

So wie das Regierungssystem erfunden wurde, wurde auch das Land erfunden – oder zumindest die Beziehung des Landes zu denen, die dorthin kamen, um sich anzusiedeln. Mit jeder Generation und mit jeder Einwanderungswelle hat sich die Bedeutung von Bergen, Land und Flüssen verändert. Es war ein riesiges Land und verglichen mit Europa oder Asien wenig besiedelt. Die Europäer wurden Amerikaner und verdrängten die Ureinwohner. Indem sie das taten, schufen sie die Möglichkeit, das Land zu formen und neu zu erfinden. Auf gewisse Weise war das Land genauso künstlich wie das Regierungssystem.

Die Besiedlung Nordamerikas

Amerika besteht aus zwei großen Inseln, die nur an einer schmalen Stelle an der Landbrücke von Panama verbunden sind. Die beiden Inseln haben eine sehr unterschiedliche Geografie. Die hervorstechendsten Merkmale der südlichen Insel sind die großen Regenwälder am Amazonas und die Bergkette im Westen, die Anden. Das hervorstechendste Merkmal der nördlichen Insel sind die großen Ebenen zwischen zwei Bergketten, den Rocky Mountains und den Appalachen, und das Flussnetz, das aus den Bergen zum Golf von Mexico fließt. Die südliche Insel war reich an Gold und Silber. Die nördliche, abgesehen von Mexico, war reich an Land, das man bewirtschaften konnte.

Der Grund, warum die Europäer überhaupt kamen und wann sie das taten, war das Bedürfnis, Indien und die Ostindischen Inseln zu erreichen. Die berühmte Seidenstraße verlief von Indien und China aus in westlicher Richtung und brachte Handelsgüter durch das Mittelmeergebiet nach Europa. Mitte des 15. Jahrhunderts wurde die Route unterbrochen durch den Aufstieg eines islamischen Imperiums, des Osmanischen Reiches, das seinen Mittelpunkt in der Türkei hatte. Zuerst blockierten sie die Route und verteuerten dann massiv die Zölle auf Güter, die darüber transportiert wurden. Die Europäer waren von den Handelsgütern abhängig, die über die Seidenstraße transportiert wurden, aber die Osmanen hatten die Preise bis zur Schmerzgrenze erhöht.

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Wer eine Route nach Indien fand, mit der man die Osmanen umgehen konnte, würde das Problem Europas lösen und reich werden. Die Portugiesen waren zuerst erfolgreich und umrundeten Afrika. Die Spanier, die durch ihren Krieg mit den Muslimen im Hintertreffen waren, suchten eine Route nach Westen. Theoretisch eine gute Idee. Praktisch aber ein Fehlschlag, da die Spanier nicht wussten, dass die westliche Hemisphäre ihnen den Weg versperrte.

Was zuerst wie ein Fehlschlag aussah, erwies sich als großartiger Erfolg, zumindest für Spanien. Die Strömungen und Winde, die von Iberien wegführten, wirkten wie eine Schnellstraße in die Karibik und von der Karibik an die Ostküste Südamerikas und später an die Westküste. Die Portugiesen kamen als erste mit einer Streitmacht dort an und beanspruchten daher Brasilien für sich, wo sie große Plantagen errichteten, auf denen versklavte Indianer und aus Afrika nach Amerika gebrachte Sklaven arbeiteten. Aber es waren die Spanier, die den Portugiesen folgten und an Brasilien vorbei die Westküste entlangsegelten, die den Hauptpreis zogen. Das Inkareich im heutigen Peru kontrollierte sagenhaft ertragreiche Gold- und Silberminen und hatte bereits große Mengen davon abgebaut, auf die die Spanier ein Auge geworfen hatten.

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Die Strömungen und Winde machten es schwerer, nach Nordamerika zu gelangen, und es gab weniger offensichtliche Reichtümer, die man sich aneignen konnte. Es schien, dass Nordamerika von geringem Wert war. Besonders die Spanier kamen nicht, um sich niederzulassen, sondern um zu stehlen, daher konzentrierten sich die Spanier auf Südamerika, das reich an Gold und Silber war. Spanien lag in Europa und Europa beherbergte eine Menge feindlicher Nationen. Die Spanier brauchten große Armeen und konnten es sich nicht leisten, dass ihre Einwohner emigrierten. Dasselbe galt für Portugal. Sie gaben sich damit zufrieden, die Reiche der Ureinwohner zu zerstören und zu versklaven und ihr Gold und Silber zu plündern. Zurück blieb eine dünne Oberschicht aus Regierungsoffiziellen und Abenteurern, die die Ureinwohner beherrschten. Es war außergewöhnlich, dass eine Handvoll Abenteurer ganze Nationen eroberten. Sie hatten überlegene Technologie, aber in Wahrheit standen hinter dem Sieg die Krankheiten, die sie aus Europa mitbrachten.