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Nr. 3064

 

Ferrol

 

Die Festung auf Rofus – Terraner und Topsider im gemeinsamen Einsatz

 

Christian Montillon / Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1. Die Wega

2. Zusammenarbeit

3. Zwei Teams, ein Ziel

4. Stille

5. Die Festung

6. Ermattung

7. Apathie

8. Vertrauen gegen Vertrauen

9. Die Suche

10. Eine Spur

11. Wiedersehen

12. Weiterflug

Epilog

Leseprobe SB 150 – Stalker

Vorwort

1. Fernweh

2. Selbstanklage

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

In der Milchstraße spielen die Cairaner eine maßgebliche Rolle; die Liga Freier Galaktiker und die Arkoniden sind nur noch von untergeordneter Bedeutung. Der unsterbliche Arkonide Atlan hat beschlossen, an dieser Situation etwas zu ändern. Vor allem versucht er dem Geheimnis des hermetisch abgeschlossenen Arkonsystems auf den Grund zu gehen, das nur noch als die »Bleisphäre« bekannt ist.

Perry Rhodan hat mittlerweile die Erde wiedergefunden – in einem Zwillingsuniversum, das mit unserem durch die sogenannte Zerozone verbunden ist. Dort befindet sich die Menschheit im Konflikt mit den Topsidern. Auf dem Weg zu Friedensverhandlungen macht Rhodan allerdings zunächst Station auf FERROL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begegnet den Ferranern.

Ghizlane Madouni – Die Kommandantin des Liga-Flaggschiffs begibt sich selbst in den Einsatz.

Phylax – Der Okrill erweist sich als resistent.

Kechkut-Shei – Die topsidische Kommandantin beweist Mut und Vertrauen.

Ferenice Mellner – Eine ferranische Wissenschaftlerin handelt gegen Recht und Gesetz.

Man hofft, alt zu werden,

und fürchtet sich doch davor.

(Anonyme Sammlung

altterranischer Weisheiten,

Kapitel 3 »Jean de La Bruyère«)

 

Prolog

 

Es ist so schwer, sich aufrecht zu halten. Die Müdigkeit überflutet alles. Meine Zunge ist taub. Ich rieche nichts mehr. Und die Sterne dort draußen, sie sind ...

Jemand ruft mich!

Wie ist das möglich? Ich dachte, ich wäre der Letzte.

Es hämmert gegen die Tür des Labors.

Ich öffne, und eine Frau schleppt sich über die Schwelle. Ich habe sie schon gesehen, da bin ich mir sicher, aber ich kenne ihren Namen nicht. Vielleicht kannte ich ihn einmal. Meine Gedanken schweben davon, ich kann mich nicht konzentrieren.

»Hilf mir!«, bittet sie.

»Wie?«, frage ich.

Sie schweigt. Natürlich. Es gibt keine Antwort. Niemand vermag uns zu helfen. Die meisten sind ... eingeschlafen, einfach so, und ich beneide sie. Es wäre besser als diese Quälerei, dieses langsame Herannahen des Endes.

Keine Armee überrollt uns, es sind nicht Soldaten, die angreifen und uns das Leben rauben. Wir hatten Schutzschirme, Waffen, Roboter zur Verteidigung. Wir fühlten uns sicher, aber das, was jeden ... schlafen lässt, was uns umbringt, ist nicht mit Gewalt aufzuhalten.

»Was ist es?«, fragt mich die Besucherin. »Was tötet uns?«

Die Worte klingen verwaschen, schwach, die Zunge gehorcht ihr nicht völlig.

Was soll ich antworten? Ich weiß es nicht. Auch hier im Labor haben wir keine Lösung gefunden. Wir waren zu müde. Wie könnte jemand, der so ... alt scheint wie wir, ein schwieriges Problem erforschen? Unsere Schuppen sind grau geworden und stumpf.

Ich sehe nicht mehr gut, und ausgerechnet in diesen Stunden wird es schlimmer. Die Welt verschwimmt vor meinen Augen. Alles dreht sich: die Wände. Die Instrumente. Mein Kopf.

Plötzlich liege ich auf dem Boden.

»Du bist gestürzt«, höre ich die Stimme, und dann erst spüre ich den Schmerz.

Ich bin auf den Rücken gefallen. Mein Stützschwanz ist in einem unmöglichen Winkel geknickt, die Spitze ragt unter dem Arm heraus. Ich will atmen. Es ist schwer.

Der Versuch aufzustehen scheitert kläglich. Ich muss mich in die Höhe stemmen, aber die Arme tragen mein Gewicht nicht. Die Muskeln zittern. Ich sehe, wie eine Schuppe in Schulterhöhe bricht.

»Ich kann dir nicht helfen, ich hole einen Roboter«, sagt die Besucherin. Sie geht davon, zwei Schritte, drei, dann bleibt es leise.

Höre ich endgültig nichts mehr? Versagen meine Ohren? Als ich mich umdrehe, vernehme ich das Schleifen auf dem Boden. Ich bin nicht taub.

Die andere hat sich auf einen Stuhl gesetzt. Ihr Oberkörper hängt seitlich über die Lehne und liegt auf dem Tisch, nahe der Eingabekonsole. Die Augen stehen offen. Sie sind rot, aber zugleich ... matt. Gebrochen. Ich habe es in letzter Zeit zu oft gesehen, um nicht zu wissen, dass sie tot ist.

Sie ist heimlich, leise und still gestorben. Zu früh, doch das würde man nicht glauben, wenn man sie ansieht. Sie sieht alt aus, ihres Lebens satt.

Das war sie nicht.

Und das bin ich ebenfalls nicht.

Ich ziehe mich über den Boden, Stück für Stück. Warum reagieren die automatischen Rettungssysteme nicht? Ich müsste sie aktivieren, das Codewort lautet ... es ... ich – weiß es nicht.

Wieso denke ich überhaupt noch nach? Wo will ich hin?

Ich bin so müde, also lege ich mich. Es ist unbequem auf dem Boden, aber das wird mich nicht mehr lange stören.

Die Toten liegen gut.

Wie hieß der Dichter, der das gesagt hat?

Wieso weiß ich das nicht?

Und welche Rolle spielt es?

Ein leises Rasseln in meinem Atem. Die Luft rauscht über meine lange Zunge, aus dem Mund, vorbei an den Zähnen und Hornlippen. Es hört sich friedlich an.

Gleichmäßig.

Beruhigend.

Ich genieße es und denke an meine Nachkommen. Ich weiß noch, wie sie aus dem Gelege geschlüpft sind. Ich trage ein Stück der Eierschale unter eine Schuppe implantiert. Es ist tröstlich zu wissen, dass sie fortbestehen.

Die Wand vor mir ist blau, aber ein grauer Schatten schiebt sich darüber. Blenden meine Augen alles aus oder mein Verstand?

Es ist so belastend, sich Fragen zu stellen. Und dumm. Wieso nicht einfach nur den Atem hören? Die Stille sehen. Die Farben verblassen lassen im Geschmack der Erinnerung.

Und dort draußen ...

... dort draußen ...

... die fahlen Sterne.

1.

Die Wega

 

Perry Rhodan genoss es. Der Flug in einem Raumschiff, mit einer eingespielten Mannschaft, war ein Stück Normalität.

Er war nur Gast in der ORATIO ANDOLFI, aber das fühlte sich gut an. Seit seiner Ankunft im anderen Teil des Dyoversums hatte er Unterstützung gefunden – womöglich sogar Freunde. Er sah Ghizlane Madouni an, die Kommandantin des Flaggschiffs der hiesigen Liga.

Sie hatte ihren Platz auf dem Kommandantensessel eingenommen und wirkte ruhig und gelassen. Gerade lag die erste Linearetappe auf dem Weg ins Wegasystem hinter ihnen. Die LOOKOUT-Sonden der ANDOLFI schwärmten aus, um den umgebenden Linearraum zu kartografieren.

Das gehörte zu den markanten Unterschieden, was Reisen durch den Weltraum in den beiden Zweigen des Dyoversums anging: In jenem Zweig, in den es die Erde verschlagen hatte, wucherte ein Netz aus Hindernissen im Linearraum, das lapidar als Eisberge bezeichnet wurde, die zu allem Überfluss beweglich blieben und darum vor jeder Etappe neu aufgenommen werden mussten. Ganz zu schweigen davon, dass wegen der extrem erhöhten Hyperimpedanz eine Linearetappe mit dem neuesten Stand der terranischen Technologie höchstens über gerade einmal 25 Lichtjahre führte.

Die Reise zum Wegasystem erforderte deshalb einen Zwischenstopp, während dessen die Techniker und Piloten in fieberhafte Arbeit verfielen.

Als Kommandantin verließ sich Ghizlane voll auf ihre Offiziere; kein Wunder also, dass sie gelassen bleiben konnte. Rhodan kannte das gut – man musste seiner Mannschaft vertrauen, sonst ging man als Kommandant kaputt. Er hatte in den vergangenen Jahrtausenden auf zahllosen Schiffen Madounis Rolle ausgefüllt und genoss es, zurzeit keine Verantwortung zu tragen.

Zumindest nicht offiziell.

Hinter den Kulissen sah das völlig anders aus.

Eine Menge hing von ihm ab, und das nicht nur, weil es viele Menschen schlicht von ihm erwarteten – einfach aufgrund der Tatsache, dass er Perry Rhodan war. Die Topsider hatten außerdem seine Auslieferung gefordert, was Residentin Flaccu im Namen der Liga verweigert hatte. Das wiederum hatte einen Krieg im Solsystem entzündet, den Rhodan mit einem gigantischen Bluff beenden konnte.

Nun standen diplomatische Gespräche mit den Topsidern an – aber die Residentin wollte einen Zwischenstopp auf Ferrol einlegen, dem Planeten, dessen Ebenbild im heimischen Universum die Hauptwelt des Wegasystems bildete, die Heimat der Ferronen. In dieser Hälfte des Dyoversums jedoch war Ferrol bei der Entdeckung eine Welt ohne einheimische höher entwickelte Lebensform gewesen.

Die Zwillingsuniversen des Dyoversums glichen sich teilweise auf erstaunliche, geradezu unerklärliche Art, die nahelegte, dass es ein Geheimnis dahinter geben musste ... dann wieder unterschieden sie sich stark. Vor allem schien auf dieser Seite weit weniger intelligentes Leben zu existieren.

Den Sinn dieses geplanten Zwischenstopps kannte Perry Rhodan nicht, vertraute jedoch darauf, dass sich das bald änderte. Die Residentin hatte angekündigt, während der zweiten kurzen Linearetappe ein Gespräch führen zu wollen.

Rhodan saß auf dem ihm zugewiesenen, vor Abflug extra rasch montierten Gästeplatz am Rand der Zentrale. Sein Sitz stand nah beim Ausgang, direkt an einer schmucklos-metallischen Wand, am Ende der Reihe der verschiedenen Offiziersplätze, neben dem Kommunikationspult.

Dort hockte ein junger Mann, etwa 40 Jahre alt, mit schulterlangen hellbraunen Haaren, der sich als Franko Tueran vorgestellt hatte. Daraufhin hatte Rhodan ebenfalls seinen Namen genannt – die Reaktion darauf war ein stummes, schmallippiges Lächeln gewesen, gefolgt von einem »Ach ja?«

Seitdem warf Tueran ihm hin und wieder einen verstohlenen Blick zu, wenn er nicht gerade fieberhaft die diversen Holos im Auge behielt und Schaltflächen bearbeitete. Was immer er glaubte tun zu müssen in dieser Phase, in der es keinerlei Kontaktgespräche auf den offiziellen Schiffskanälen gab, weder intern noch nach außen.

Über seinen eigenen Armbandkommunikator erhielt Rhodan eine Funkanfrage. Er prüfte sie, sah, wer ihn zu erreichen versuchte, und nahm das Gespräch an.

»Kommandantin?«, sagte er und sah zugleich in ihre Richtung.

Sie nickte ihm zu. »Meine Leute haben alles im Griff. Die Techniker geben voraussichtlich in wenigen Minuten grünes Licht für die zweite Etappe. Die LOOKOUT-Sonden benötigen noch etwa eine Stunde, um die Vorgaben für eine sichere Passage durch den Linearraum zu gewährleisten, dann können die Piloten den besten Kurs berechnen.«

»Mit anderen Worten«, sagte Rhodan, »wir beide sind entbehrlich.«

»So hätte ich es nicht formuliert, aber ich verstehe deinen Gedankengang.« Man hörte das Schmunzeln in ihrer Stimme. »Allerdings würde ich uns bei aller gebotenen Bescheidenheit nicht als entbehrlich bezeichnen. Zumindest dich nicht. So eine unsterbliche Legende mag durchaus in der einen oder anderen Situation nützlich sein.«

Er mochte sie immer mehr und war froh, eine so kompetente und zugleich menschliche Person auf einem derart wichtigen Posten zu wissen. Kommandantin des Liga-Flaggschiffs – gerade in angespannten Zeiten wie diesen eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, die Können und Durchhaltevermögen verlangte.

»Wie kann ich dir helfen?«, fragte er.

»Die Residentin erwartet uns im Besprechungsraum.« Sie unterbrach die Verbindung.

Rhodan blickte auf und sah, wie sie aufstand und die wenigen Schritte zum Durchgang in das genannte Zimmer ging, der sich automatisch vor ihr öffnete. Er erhob sich ebenfalls.

»Wir sehen uns, Franko.«

»Äh ...«, hörte er noch, während er sich auf den Weg durch die Zentrale machte.

 

*

 

In dem kleinen Raum erwarteten ihn die beiden wohl mächtigsten Frauen der Liga – Kommandantin Ghizlane Madouni und Residentin Orfea Flaccu.

Neben den beiden stand ein gesetzter Herr mit grauen Haaren, Falten um den Mund und einer gut genährten Statur, die man gerade noch als Bäuchlein bezeichnen konnte. Zumindest, wenn man seine Mitmenschen gnädig beurteilte und positive Blicke auf sie warf.

Alle drei warteten vor einem wuchtigen, runden Schreibtisch und sahen ihm entgegen.

»Darf ich vorstellen?«, sagte Orfea Flaccu. »Dies ist Nevio Torwesten.« Ein kurzes Zögern, dann ergänzte sie mit einem Wink zu dem Neuankömmling: »Und das hier ist Perry Rhodan.«

»Das dachte ich mir«, meinte Torwesten. Der Blick seiner strahlend blauen Augen hatte fast etwas Hypnotisches. »Dein Gesicht ist wohlbekannt. Es hat deiner Popularität nicht geschadet, ein halbes Jahrtausend abwesend zu sein.«

Rhodan hob die Schultern. »Das kann Segen und Fluch sein.«

»Mein Vorschlag: Halten wir uns an den Segen.« Der grauhaarige Mann schmunzelte, und die Kerben um seinen Mund entpuppten sich als Lachfältchen. In seinen Augen schien die Sonne aufzugehen, doch nur für einen Augenblick, fast wie ein Schauspiel, dann kehrte der Ernst zurück. »Ich werde für Terra die diplomatischen Bemühungen auf dem Planeten der Yura leiten. Ist dir bereits das hiesige Sprichwort Da müssen wir wohl Neto fragen untergekommen?«

»Nein«, sagte Rhodan, leicht verwirrt.

»Es bezieht sich auf mich. Nevio Torwesten. Und das sage ich nicht, um anzugeben, sondern um dir klarzumachen, dass ich ebenfalls eine gewisse Popularität genieße. Zumindest in dieser Liga.«

»Und das kann Segen und Fluch sein, nicht wahr?«, fragte Rhodan.

Torwesten nickte. »Ich habe es mir nicht ausgesucht. Aber hart dafür gearbeitet.«

Rhodan wusste diese Äußerung nicht recht einzuschätzen. Er schwankte noch, ob er dem Diplomaten ein gutes Selbstbewusstsein oder leichte Egomanie unterstellen sollte. Die Zukunft musste es zeigen. Wahrscheinlich würden sie eine Zeit lang eng zusammenarbeiten, während die Gespräche mit den Topsidern im Beteigeuzesystem liefen.

»Nehmen wir erst einmal Platz«, schlug Ghizlane Madouni vor.

Wenig später saßen sie einander am Tisch gegenüber. In der Tischmitte öffnete sich eine Klappe, vier Gläser und zwei Karaffen – eine mit Wasser, eine mit einem bläulichen Saft – fuhren auf einem Tablett in die Höhe. Niemand bediente sich.

»Zur Gesamtlage«, sagte die Residentin. »Die Wega liegt mit 835 Lichtjahren Entfernung weit abseits des topsidischen Kerngebiets. Trotzdem hat das Sternengelege den neunten Planeten seit Langem für sich reklamiert. Was wir damals schmerzhaft spüren mussten, als wir das Wegasystem zum ersten Mal erreichten. Von der dortigen Patronatssonde wussten wir nichts, doch wenig später sind die Echsen über dem Mars aufgetaucht, um und zu verwarnen – der Ablauf der Dinge ist allseits bekannt. Es kam nicht zur Katastrophe, aber sie stand dicht bevor.

Seitdem gab es über Jahrhunderte eine einzige Abfolge diplomatischer Bemühungen, um das Konfliktpotenzial zwischen unseren beiden Völkern gering zu halten. Die jüngste Blüte – wenn wir das Desaster so bezeichnen wollen – bildete der Kampf im Solsystem, der dank Perry Rhodans Einsatz beigelegt werden konnte.«

Nevio Torwesten räusperte sich. »Derselbe Rhodan, übrigens, der durch sein Auftauchen überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass es zu der Schlacht kam.«

»Ernsthaft?«, fragte Ghizlane Madouni. »Ist dir dieses Argument nicht zu billig?«

»Es ist weder billig noch teuer«, sagte der Diplomat gelassen. »Genau genommen, ist es nicht einmal ein Argument, sondern eine bloße Feststellung. Wirf mich nicht in einen Topf mit den Vanothen, Kommandantin! Denn das, entschuldige die Spitze, wäre nun wirklich billig. Diese Gruppierung mag aus einer solchen Tatsache diverse Schlussfolgerungen ziehen – manche ein wenig begründet, viele pure Phantasie. Aber ich begebe mich nicht auf dieses Niveau.«

Reden und eine Situation messerscharf analysieren konnte er, das hatte er soeben eindrücklich bewiesen. Andererseits war das das tägliche Brot des Diplomaten.

»Verstanden«, sagte Rhodan. »Ich fühle mich nicht angegriffen. Wir ziehen alle am selben Strang. Residentin, fahr bitte fort!«

Orfea Flaccu warf einen Blick in die Runde, musterte jeden eine Zeit lang und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Die Lehne gab flexibel nach und quietschte etwas im Gelenk. »Ich habe auf dem Weg zur Verhandlung mit den Topsidern auf dem Planeten der Yura um einen Umweg gebeten. Eben den Besuch auf Ferrol, wo wir in wenigen Stunden ankommen werden. Bislang kennt nur die Kommandantin die Gründe. Ich freue mich über euer Vertrauen, dass ihr so lange gewartet habt. Und dir, Ghizlane, danke ich, dass du schnell und unkompliziert zugestimmt hast. Es geht nicht um große Geheimnisse, ich wollte lediglich von Angesicht zu Angesicht mit euch darüber reden. Aber zunächst etwas anderes: Rhodan, ein Team hat dich an Bord der ORATIO ANDOLFI begleitet.«

Der fragende Tonfall bei den letzten Worten stellte klar, dass sie eine Vorstellung erwartete.

Dieser unausgesprochenen Aufforderung kam er gerne nach. »Ich habe versucht, mit wenigen Leuten ein breites Bündel an Fähigkeiten um mich zu scharen. Neben euch ...« Er machte eine umfassende Handbewegung. »... und deiner Mannschaft, Kommandantin, begleiten mich deshalb vier Personen, denen ich vollständig vertraue – und das nicht nur, weil die Hälfte von ihnen zu meiner engeren Familie gehört. Sichu Dorksteiger, meine Ehefrau, war in der anderen Liga, also im Heimatuniversum, unsere Chefwissenschaftlerin. Farye Sepheroa ist meine Enkelin und sowohl in Militärfragen als auch als Pilotin in etlichen Einsätzen erprobt und bewährt. Mulholland verfügt über besondere Paragaben und kennt die Zerozone wie kein anderer. Der Vierte ist Donn Yaradua, ebenfalls ein Mutant, allerdings mit einer sehr spezifischen Fähigkeit. Kurz gefasst vermag er in die körperlichen Abläufe von Lebewesen einzugreifen und sie damit in begrenztem Maß zu manipulieren.«

Dass darüber hinaus der Okrill Phylax ihn begleitete, verschwieg er ... man mochte ihn als exzentrisches und gefährliches Haustier einschätzen. Was er im Grunde genommen auch war. Ebenso wenig erwähnte Rhodan den Paau, jenen erstaunlichen Koffer von Zemina Paath, der weit mehr war als ein Möbelstück, aber für den unwissenden Betrachter als solches durchgehen konnte.

»Danke«, sagte die Residentin. »Nun, zurück zum Wegasystem. Es gibt dort ein Problem, das die Verhandlungen mit den Topsidern erheblich erschweren könnte. Ich glaube an die prinzipielle Bereitschaft der Gelegemutter zu sinnvollen und zielführenden diplomatischen Gesprächen. Und ebenso an deine Fähigkeiten, Nevio. Aber wenn sich die Lage auf Ferrol entzündet, besteht die Gefahr, dass es von vorneherein alles sabotiert.«

Torwesten beugte sich über den Tisch, griff ein Glas und schenkte es halb voll mit dem bläulichen Saft. Kohlensäure – oder etwas Ähnliches – perlte an den Rändern in die Höhe. Ein intensiv süßlicher Geruch ging davon aus.

»Wir gehen also ins Wegasystem, um einen potenziellen Krisenherd prophylaktisch zu entschärfen?«, fragte Torwesten.

Wie aufs Stichwort erschien ein Holo des Wegasystems, das Rhodan schmerzlich bekannt und doch fremd erschien. Es war die Wega und war sie nicht.

»Genau das. Nach den anfänglichen Problemen in Sachen Patronatssonde haben die Topsider damals die Besiedlung von Ferrol nicht ernsthaft behindert. Das beurteilen wir im Nachhinein als den ersten großen diplomatischen Erfolg infolge des Austauschs von Botschaftern unserer beider Völker. Der Planet wurde kurz nach dem Beteigeuze-Zwischenfall für uns freigegeben. Unser Botschafter war zu der Zeit übrigens ...«

»... mein Vorfahr Volkmar Torwesten«, fiel Nevio Torwesten der Residentin ins Wort. »Seitdem wird die Familientradition weitergegeben, dass eines der Kinder die Diplomatenkarriere anstrebt. Eine Sitte, die mit meiner Generation aussterben wird. Ich pflege keine Beziehungen zu Frauen.« Eine kurze Pause, dann: »Und auch nicht zu Männern, das nur zur Erklärung. Ich verbringe tagtäglich Zeit mit zu vielen Intelligenzwesen und Gesprächen. Meine Freizeit genieße ich gerne allein.«

»Der letzte Torwesten«, murmelte Ghizlane Madouni.

»Jedenfalls hat die Liga Ferrol besiedelt«, fuhr Residentin Flaccu fort. »Der Planet ist mit 16.002 Kilometer Durchmesser ein wenig kleiner als in der anderen Hälfte des Dyoversums, also als die Welt, die du kennst, Perry. Er wird von zwei Monden umlaufen – Ferrolia und Ferr. Auf beiden gibt es Abwehrforts der Liga. Die Hauptstadt trägt den Namen Koonwalden, dort lebt auch der Resident des Planeten. Tarun Katruk ist unter Ferranern mit seinen etwas über anderthalb Metern ein wahrer Hüne. Ihr werdet ihn zweifellos kennenlernen. Ich halte ihn für einen fähigen Mann, habe ihn aber nie persönlich getroffen.«

»Ferraner?«, fragte Rhodan und lächelte.

»Von Terranern abstammende Bewohner Ferrols«, sagte Orfea Flaccu. »Damit keiner sie mit den Ferronen aus der alten Heimat verwechselt.«

»Die Wortschöpfung gefällt mir gut. – Und worin besteht nun der Konflikt?«, fragte Rhodan.

»Ferrol ist die achte Welt des Systems – die neunte ist Rofus.«

Auch diese Namensgebung entsprach jener des Heimatuniversums. Dort hatte sich zwischen Rofus und dem zehnten Planeten einst Wanderer befunden. Die Superintelligenz ES hatte die Kunstwelt um 10.000 Jahre in die Vergangenheit an diesen Platz versetzt, um die erste Spur für das Galaktische Rätsel zu legen. Diese Erinnerungen an die Anfangszeit seiner Abenteuer im All brachten Rhodan fast in eine nostalgische Stimmung. Nur dass für derlei Gefühle keine Zeit blieb.

»Auf Rofus wiederum«, fuhr die Residentin fort, »haben die Topsider eine Festung errichtet. Eine kleine, wehrhafte Siedlung. Das akzeptieren wir im Sinne der guten Beziehungen.«

Nevio Torwesten grinste. »Eine Festung für die Diplomatie. Sehr hintersinnig.« Er trank von seinem Saft, verzog das Gesicht und stellte das Glas zurück. Kurz huschte die Zunge über die Lippen. »Zu süß.«

Rhodan griff sich ein Glas und schenkte etwas ein. Der aufsteigende Duft ließ ihn das nicht einmal halbvolle Glas mit Wasser auffüllen.

»Die topsidische Festung liegt in einer etwa zehn Kilometer durchmessenen Oase auf Rofus, unter einer Panzertroplonkuppel. Darin haben sich die Echsen ideale Lebensbedingungen geschaffen: trocken und warm. Womit wir beim Problem angekommen sind. Die Verbindung mit der Festung ist abgeschnitten. Niemand weiß, was dort vorgeht. Es gab ständigen Hyperfunkverkehr – doch seit einiger Zeit: nur noch Schweigen!«

Die Residentin lieferte genauere Informationen: Demnach hatte die Festung den Kontakt mit der Heimatwelt der Topsider im Orion-Deltasystem eingestellt – am 2. Dezember, also einen Tag, nachdem Rhodans Gäonauten-Einsatz auf Zeut begonnen hatte. Gleichzeitig war der ständige Austausch mit Ferrol abgebrochen, der allerdings ohnehin nur aus Routinemeldungen bestanden hatte.

»Seit drei Tagen kommt kein Sterbenswörtchen mehr«, übernahm nun Kommandantin Madouni. »Natürlich antworten sie ebenfalls nicht auf Anrufe von außen. Und was uns noch mehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass gestern, um ...« Sie sah kurz auf ihren Armbandkommunikator. »... um exakt 11.25 Uhr am 4. Dezember 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, topsidische Schiffe in der Nähe des Wegasystems aufgetaucht sind. Sie stehen seitdem im freien Raum, reagieren allerdings auf keine Funkanrufe.«

»Das kann ein Zufall sein«, sagte Nevio Torwesten.

»Muss es aber nicht«, sagte die Kommandantin.

»Ich glaube ohnehin nicht an Zufälle«, ergänzte der Diplomat, »außer daran, dass der Sieg demjenigen zufällt, der schlau ist und die richtigen Worte findet.«

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Illustration: Dirk Schulz