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Walter Hettche, »Irrungen, Wirrungen – Sprachbewußtsein und Menschlichkeit. Die Sehnsucht nach den ›einfachen Formen‹«, in: Interpretationen. Fontanes Novellen und Romane, hrsg. von Christian Grawe, Stuttgart 2008, S. 143.
Katharina Grätz, Alles kommt auf die Beleuchtung an. Theodor Fontane – Leben und Werk, Stuttgart 2015, S. 174.
Hettche (s. Anm. 1), S. 152.
Grätz (s. Anm. 2), S. 175
Paul Heyse, »Einleitung zu Deutscher Novellenschatz«, in: Theorie der Novelle, hrsg. von Herbert Krämer, Stuttgart 1983, S. 38 f.
Franz K. Stanzel, Typische Formen des Romans, Göttingen 101981, S. 43.
Theodor Fontane, »Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848«, in: Die deutsche Literatur in Text und Darstellung, Bd. 11, Bürgerlicher Realismus, hrsg. von Andreas Huyssen, Stuttgart 1977, S. 56 f.
Max Weber, Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 51988, S. 7.
Von Michael Meyer-Blanck für diese Ausgabe verfasst.
Peter von Matt, Liebesverrat. Die Treulosen in der Literatur, München 1989, S. 137.
von Matt (s. Anm. 10), S. 141 f.
Hans-Heinrich Reuter, Fontane, Bd. 2, Berlin/München 1968, S. 669.
Carin Liesenhoff, Fontane und das literarische Leben seiner Zeit – Eine literatursoziologische Studie, Bonn 1976, S. 69.
von Matt (s. Anm. 10), S. 143.
Hettche (s. Anm. 1), S. 154.
Im Mittelpunkt des Romans steht ein Liebespaar: die Kleinbürgerin Magdalene (Lene) Nimptsch und der adelige Offizier Botho von Rienäcker. Ihre Liaison ist skandalträchtig, weil sie alles andere als standesgemäß ist. Das Liebespaar genießt ein paar Monate seine erotischen Abenteuer und sein Glück, aber dann trennt sich Botho von Lene, weil seine Familie finanziell bankrott ist und nur die Heirat mit seiner vermögenden Kusine Käthe von Sellenthin Rettung verspricht.
Botho könnte zwar auch eine Mesalliance, eine sogenannte Missheirat, mit Lene eingehen, aber er ist zu feige und fügt sich in die Gesellschaftsordnung ein, um seine Familie zu retten. Er Liebesverzicht verzichtet auf die Liebe seines Lebens: »Ob ich nun frei bin? … Will ich’s denn? Ich will es nicht.« (S. 158) Nicht die freie Entscheidung – die möglich war – und Zuneigung bestimmen sein Handeln, sondern Konventionen und ökonomische Zweckmäßigkeit: Botho will gar nicht frei sein, sondern sozial reüssieren. Sein Leben scheitert nicht an der Gesellschaft, sondern an seinem Unwillen, die durchaus mögliche, aber unbequeme Freiheit zu wählen. Schließlich heiratet er seine Kusine, die »[w]undervolle Flachsblondine mit Vergissmeinicht-Augen« (S. 52 f.). Sie ist die lebendig gewordene Kopie der gesellschaftlichen Konventionen, die sie perfekt mit ihrer oberflächlichen Art und ihren Redensarten verkörpert.
Die Heldin des Romans ist Lene. Sie bleibt realistisch, sie erwartet keine langfristige Beziehung oder gar Heirat, die ihr, so erklärt sie selbst, standesgemäß nicht zustehe. Aber sie liebt innig: »Wenn ich einen liebe, dann lieb ich ihn. Und das ist mir genug.« (S. 20) Als Botho sich von ihr trennt, bleibt sie tapfer und Lene ist authentisch und souverän authentisch, gleichwohl ist dieser Verlust traumatisch für sie, aber ihr gelingt es, sich wieder neu in die Gesellschaft einzugliedern: »Wenn man schön geträumt hat, so muss man Gott dafür danken und darf nicht klagen, dass der Traum aufhört und die Wirklichkeit wieder anfängt.« (S. 105) Sie heiratet schließlich Gideon Franke, einen braven und etwas kauzigen Mann, der aber untadelig ist und seine Prinzipien selbstbewusst vertritt.
Als Käthe die Heiratsannonce vorliest, die Lenes und Frankes Verehelichung kundtut, spöttelt sie über den befremdlichen Vornamen »Gideon«. Ihr geschockter Ehemann Botho erklärt daraufhin – im letzten Satz des Romans – seine zweideutige Bankrotterklärung: »Gideon ist besser als Botho.« (S. 180)
Der Roman lässt sich in zwei Teile gliedern: Der erste Teil umfasst die Kapitel 1–16 und beschreibt Anfang, Verlauf und Auflösung der Liaison zwischen Botho von Rienäcker und Magdalene Nimptsch. Der zweite Teil umfasst die Kapitel 17–26 und erzählt von der Verlobung, Heirat und Ehe Bothos und Käthes.
Der Roman beginnt mit der Vorstellung des künftigen Der Schauplatz Schauplatzes, Berlin, genauer: Wilmersdorf, in der Nähe des Zoologischen Gartens, wo sich eine Gärtnerei und nebenan ein recht ärmliches Anwesen befindet. Die Handlung trägt sich »Mitte der 70er Jahre« (S. 5) des 19. Jahrhunderts zu; die Erzählung setzt »die Woche nach Pfingsten« (S. 5) ein.
Abb. 1: Schauplätze des Romans
Der nächste Abschnitt stellt die Die Hauptfiguren Hauptfiguren vor, die alte, etwas kränkliche Frau Nimptsch sowie die Nachbarin, die Frau des Gärtners Dörr, eine »robuste […] vor allem auch eine sehr stattlich aussehende Frau«, die nicht nur den »Eindruck des Gütigen und Zuverlässigen«, sondern auch »einer besonderen Beschränktheit machte« (S. 6). Frau Nimptsch und ihre Nachbarin Dörr reden über die Hauptfiguren des Romans: Frau Nimptschs »Pflegetochter« Lene und ihren Freund Botho. Viele kleine Hinweise deuten darauf hin, dass sowohl Frau Dörr wie auch Frau Nimptsch die Liaison zwischen Lene und dem Baron für problematisch halten. Offensichtlich geht es darum, ob sich aus der Liebschaft eine Heirat ergeben könnte. Frau Dörr, die vor vielen Jahren eine sexuelle Beziehung mit einem Grafen hatte, fragt unverblümt: »Und wie steht es denn?« (S. 7)
Das nächste Kapitel stellt hauptsächlich die Wohnsituation, die »Welt von Baulichkeiten« (S. 9) von Frau Nimptsch und den Dörrs vor, und damit den Der psychosoziale Hintergrund psychosozialen Hintergrund Lenes: Sie wohnen in einer »höchst primitive[n] Herrichtung« (S. 9). Im Winter muss das Ehepaar Dörr sogar in zwei Treibhäusern neben der Gärtnerei leben, weil es dort wärmer ist.
Herr »Trivialerscheinung«: Herr Dörr Dörr ist »eine vollkommene Trivialerscheinung« (S. 11) mit diversen Macken. Mit im Haushalt lebt sein aus erster Ehe stammender, »etwas geistesschwache[r] Sohn« (S. 9).
Der Autor stellt die Lebensumstände und Charaktereigenschaften des Ehepaars Dörr vor: Einfache, aber rechtschaffene Besitzer einer kleinen Gärtnerei – wobei Herr Dörr als jemand erscheint, der ein klein wenig zu Boshaftigkeiten und kleinen Schummeleien neigt, um mehr Geld zu verdienen.
Später plaudern Lene und Frau Dörr ein wenig, wobei sie schnell auf Lenes Liebschaft zu Botho zu sprechen kommen. Botho und Lene, die Vorgeschichte Lene erzählt, wie es am »zweiten Ostertag« (S. 17) zu ihrer ersten Begegnung kam: Sie war mit ihrer Freundin Lina Gansauge und ihrem Bruder Rudolf auf dem See bei Stralau, als sie durch ungeschicktes Rudern in eine bedrohliche Lage gerieten. Zwei beherzte junge Männer, die von einem anderen Ruderboot aus schon dezent Kontakt mit der Dreiergruppe aufgenommen hatten, retteten sie. Am Abend brachten die beiden adeligen Retter die beiden Mädchen mitsamt Bruder nach Hause. »Und seitdem ist er oft gekommen« (S. 19).
Frau Dörr erspürt, dass sich hier schnell Schwierigkeiten und Enttäuschungen ergeben könnten und empfiehlt Realismus und Duldsamkeit: »Un natürlich, was denn kommt, das muss man aushalten un darf sich nicht wundern.« (S. 19) Tatsächlich bleibt Lene Lene weiß um ihr befristetes Liebesglück realistisch, sie erwarte keine langfristige Beziehung oder gar Heirat, die ihr ohnehin nicht zustehe. Aber: »Wenn ich einen liebe, dann lieb ich ihn. Und das ist mir genug.« (S. 20)
An einem schönen Abend besucht Botho Lene, Frau Nimptsch und die drei Dörrs. Man will dem Baron schon bei der Platzwahl alle Ehre erweisen, was er aber leutselig ablehnt. Er führt etwas übertrieben aus, dass das bescheidene Leben einfacher Menschen seine besonderen Reize habe: »Jeder Stand hat seine Ehre.« (S. 22) Als kleine Aufmerksamkeit hat er Knallbonbons mitgebracht, die nun geöffnet werden und zwei Spruchweisheiten mit vorausdeutender Botschaft enthalten: »In Liebe selbstvergessen sein, / Freut Gott und die lieben Engelein« und »Wo Amors Pfeil recht tief getroffen, / Da stehen Himmel und Hölle offen« (S. 24).
Um zu zeigen, wie man sich in seinen Kreisen unterhält, führt er ein Bothos adelige Rollenspiele Rollenspiel vor. Er inszeniert ein Gespräch darüber, welche Sehenswürdigkeiten es in Dresden gibt, und berichtet zudem über das Elend eines verarmten Adeligen. Bei diesen Tischgesprächen erklärt er, sei alles Gerede »ganz gleich« (S. 27) und nahezu bedeutungslos. Als die kleine Abendgesellschaft von weither Musik erklingen hört, beschließt man nach adeliger Etikette zu tanzen. Schließlich geht man zu einer kleinen Familienfeier mit Kirschwasser, eher ein proletarisches Getränk, über.
Nach der kleinen Familienfeier spazieren Botho und Lene im Mondschein durch die Gärtnerei. Lene weiß, ihre Beziehung wird keine Zukunft haben. Ihr ist bewusst, dass er durch seine »Mutter, oder das Gerede der Menschen, oder die Verhältnisse, oder vielleicht alles drei …« (S. 34) gezwungen sei, standesgemäß zu heiraten. Botho stellt dies energisch in Abrede, ohne sie jedoch überzeugen zu können. Lene erklärt, sie Lene akzeptiert ihr Schicksal akzeptiere den jetzigen Zustand; der erlebte Moment sei ihr Glück. Allerdings müsse man »allem ehrlich ins Gesicht sehn und sich nichts weis machen lassen und vor allem sich selber nichts weis machen.« (S. 35)
Eine Woche später: Botho sitzt in seiner Wohnung in der Bellevuestraße, die ein wenig über seine derzeitigen finanziellen Möglichkeiten ausgestattet ist. Die Post bringt ihm Briefe für Botho drei Briefe: Neben einer Briefwerbung eine Nachricht seines Onkels Kurt Anton Osten, der ihn zu einem Treffen einlädt. Botho ahnt, dass ihm der Onkel – vielleicht im Auftrag von Bothos Mutter – bei dieser Gelegenheit »Pläne« (S. 39) unterbreiten wird. Der dritte Brief ist von Lene, die ihre Sehnsucht nach einem Treffen äußert und zugleich wieder auf das irgendwann zu erwartende Ende der Beziehung hinweist, das ihr einen »Stich ins Herz« (S. 38) geben würde. Auch berichtet sie, dass sie Botho mit einer »schöne[n] Blondine« (S. 38) gesehen habe. Beide hätten offenbar Gefallen aneinander gefunden, was die Mutter wohlwollend beobachtet habe. Botho kommentiert die Briefe und kleidet sich für das Treffen mit seinem Onkel an.
Botho begibt sich zum Treffen mit seinem Onkel Kurt Anton von Osten, nicht ohne vorher seine Dienstpflichten zu erfüllen und danach erfreut Gemälde in Kunsthandlungen zu betrachten. Auf dem Weg zum verabredeten Ort trifft er Leutnant von Wedell, den er kurzerhand einlädt, mit ihm zu kommen. Sein Onkel freut sich über den zusätzlichen Gast. Aber während man anfangs über die preußische Geschichte plaudert, wird der Onkel zusehends unruhig. Der Grund hierfür stellt sich schnell heraus: Er will seinem Neffen Nachdrückliche Erinnerung an die verabredete Heirat mitteilen, dass dieser innerhalb eines Jahres endlich wahrmacht, was von den »Eltern schon verabredet« (S. 48) war, nämlich Käthe von Sellenthin zu heiraten. Schließlich sei sie immer fröhlich und besitze jene finanziellen Möglichkeiten, die Botho dringend zum Erhalt seines Lebensstandards brauche, denn seine Güter sind so gut wie wertlos.
Im Klub vertreiben sich Bothos Kameraden Serge und Pitt beim Kartenspielen gelangweilt die Zeit, als Wedell hinzukommt und Bericht erstattet. Die drei sind der Freunde befürworten die arrangierte Heirat Auffassung, dass Botho die »[w]undervolle Flachsblondine mit Vergissmeinicht-Augen« (S. 52 f.) heiraten solle, da er schon jetzt finanziell ruiniert ist: »Heiraten ist […] die Rettung«. (S. 52) Dem Einwand, dass Botho »in manchem seinen eignen Weg geht«, wird zwar stattgegeben: »Aber die Verhältnisse werden ihn zwingen« (S. 53).
Lene und Botho laden Frau Dörr zu einem Spaziergang durch die Wilmersdorfer Landschaft ein. Es scheint, als alberten die drei nur ausgelassen herum, aber alle Bemerkungen von Frau Dörr sind Anspielungen auf Liebe und Sexualität Anspielungen auf Liebe, Sexualität oder Schwangerschaft, so dass Lene aus den »kleinen Verlegenheiten gar nicht heraus zu kommen« (S. 57575960