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Nr. 3029

 

Angriff der Signaten

 

Atlan und Arkon – eine Expedition in eine fremde Welt

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Das Aufblitzen

1. Die Bleisphäre

2. Die fremde Welt

3. Die objektive Halluzination

4. Die Realitätsgezeiten

5. Der Robotraumer

6. Die Transzendenz

7. Das Forschungsschiff

Zwischenspiel: Verbrechen und Bestrafung

8. Die gläsernen Würfel

9. Die Futuroskope

10. Das asymmetrische Schiff

Epilog: Die Vorahnung

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Während sich Perry Rhodan auf die Spur der Cairaner setzt und ins geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufbricht, bleibt der unsterbliche Arkonide Atlan in der Milchstraße. Insbesondere will er herausfinden, was sich auf Arkon und bei den Arkoniden verändert hat. Im Arkonsystem kommt es dann aber zum ANGRIFF DER SIGNATEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide will das Gestirn seiner Heimat mit eigenen Augen sehen.

Kondayk-A1 – Der barnitische Händler nimmt Kontakt zu einem Robotschiff auf.

Mahu Zakara – Die Wissenschaftlerin polarisiert.

Laetitio Goshin – Der Signaturstreiter erlebt mehrmals ein Aufblitzen.

Prolog

Das Aufblitzen

20. Januar 2046 NGZ

 

Ich sehe das Schiff.

Es ist die EP-856, ein 500-Meter-Raumer der altbekannten EPPRIK-Klasse. Voll automatisiert zieht das Schiff seine Bahn durch das All.

Beinahe glaube ich, Tormanac da Hozarius zu hören, den Gründer des Ewigen Imperiums. »Ich werde nicht in diesen Schiffen sein, ich werde diese Schiffe sein«, weht seine Stimme leise zu mir herüber. »Für das neue Reich der Arkoniden wird eure Wirklichkeit nur eine kosmische Provinz sein.« Die Stimme ist ein Hauch, eine bloße Ahnung, aber sie ist da.

Sehe ich nicht nur das Robotschiff, sondern auch den Imperator, ja das Ewige Imperium selbst? Ich weiß es nicht; so weit reicht mein Blick nicht in die Ferne.

Doch ich weiß, dass sich Passagiere an Bord der EP-856 befinden. Ich sehe sie nicht zum ersten Mal.

Ich sehe nur, was es zu sehen gibt. Ich kann nichts an dem ändern, was ich sehe. Es ist determiniert, festgeschrieben, liegt für mich bis auf wenige Ausnahmen genauso starr da wie die Vergangenheit.

Manchmal frage ich mich, ob es ein Segen oder ein Fluch ist, die Zukunft sehen zu können. Sie zu sehen und dann zu erleben, wie sie eintritt.

Das Schiff ist, was es ist, wo es ist und wann es ist.

Ich kann es nicht versetzen, nicht bewegen, selbst wenn ich mir das wünschte. Um keinen Zentimeter, um keine Sekunde. Es ist dort, und für mich gibt es nur diese eine Zukunft. Ich habe keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Was ich sehe, wird sich vollziehen.

Das empfinde ich als Fluch. Irgendwann werde ich vielleicht sehen, wie ein Impulsstrahl meine Brust zerfetzt oder wie ein Thermostrahl in meine Stirn eindringt. Oder, wenn ich Glück habe, wie ich in hohem Alter auf einem Medobett liege und meinen letzten Atemzug tue. Vielleicht in Frieden, vielleicht in grausamer Qual, womöglich sogar der größten überhaupt, durchdrungen von der Erkenntnis der Sinnlosigkeit allen Seins.

Und wenn ich das einmal sehe, wird es in Kürze geschehen. Ich kann nichts daran ändern.

Es gibt Ausnahmen, aber meistens kommt es so.

Danach werde ich gar nichts mehr sehen.

Das, was ich sehe, bringt mir aber auch Vorteile. Ein altes Kinderspiel kommt mir in den Sinn. Ich sehe was, was du nicht siehst.

Das, was ich sehe, ist viel mehr. Es ist einzigartig und versetzt mich in die Lage, als Einziger auf Dinge zu reagieren, die für alle anderen noch nicht eingetroffen sind, nur für mich. Wenn auch nur für ein paar Stunden.

Das empfinde ich als Segen.

Ich sehe das Schiff.

Und weiß, wer sich darin befindet. Das ist zumindest eine große Hilfe, die sich als nützlich für meine Pläne erweisen wird.

Ich kann meinen getreuen Gefolgsleuten die genauen Koordinaten geben und sie anweisen, mir die Passagiere zu bringen.

1.

Die Bleisphäre

19. Januar 2046 NGZ

 

Meine Augen tränten stark vor Erregung.

Es war totenstill in der Zentrale der TREU & GLAUBEN. Niemand bewegte sich, niemand gab auch nur einen Laut von sich. Alle starrten auf die dreidimensionalen Darstellungen, die in mehreren unterschiedlichen Perspektiven zeigten, was sich in diesem Augenblick vor uns befand.

Ich stand reglos da, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Aber ich wusste, dass mir das nicht gelang. Ich war emotional sehr berührt, so aufgewühlt wie selten zuvor.

Zum ersten Mal sah ich die Bleisphäre mit eigenen Augen, nicht nur als Holoaufzeichnung.

Was ich von Reginald Bull über das Arkonsystem gehört hatte, war wenig und gar nicht erfreulich. Larsav da Ariga hatte mir ein Holo des Systems gezeigt, nur ein einziges Bild, aber es war erschreckend genug.

Kaum etwas hatte mich auf das vorbereiten können, was ich nun leibhaftig vor mir sah.

Die Fakten kannte ich genau. Ich hatte sie verinnerlicht, rational verarbeitet. Es fiel dem Verstand zwar schwer, sie zu akzeptieren, doch das war mir gelungen.

Nachdem das Atopische Tribunal sich zurückgezogen hatte, war ein völlig verändertes Arkonsystem zurückgeblieben. Optisch erschien es dem Betrachter wie ein abgrundtiefes, aber undurchdringliches silbrig-bleigraues Wabern, wie ein riesiges diskusförmiges Etwas von ungefähr 35 Milliarden Kilometern Durchmesser. Mit 137 Millionen Kilometern Dicke war es aber relativ flach.

Der Diskus umschloss das gesamte System bis zur Bahn des äußersten Planeten Mutral, der die Sonne in einer mittleren Entfernung von 16,96 Milliarden Kilometer umkreiste. Die Oortsche Wolke des Arkonsystems hingegen umfasste der Diskus nicht mehr. Trotzdem schien die Wolke von dem System stabil gehalten zu werden, als wäre das ominöse Wabern und Wogen gar nicht vorhanden.

Ich hatte das Zentrum des ehemaligen arkonidischen Imperiums selbst seit seiner Verwandlung nicht gesehen, nur von den Veränderungen gehört. Mir war keine Zeit geblieben, mich näher damit zu beschäftigen.

Das war ein Fehler gewesen. Umso härter traf es mich in diesem Augenblick. Ich war auf den Anblick so gut vorbereitet, wie ich es nur sein konnte, aber richtig verkraften konnte ich ihn nicht.

Das war einmal meine Heimat gewesen.

Dort war ich geboren worden. Von dort hatte ich fliehen müssen, dorthin war ich zurückgekehrt. Dort erhob man mich zum Flottenkommandanten und schließlich zum Admiral.

Und Jahrhunderte später zum Imperator.

Und nun?

Nur ein Diskus, bleigrau, bleischwer.

Tot wie Blei.

Das Arkonsystem war einst der Glanz des Imperiums gewesen, der leuchtende Mittelpunkt der arkonidischen Zivilisation. Das astronomische Juwel von Thantur-Lok, das bei den Terranern die profane Kennzeichnung M 13 trug.

Nun war es zu einem unkalkulierbaren Ort geworden.

Ich starrte auf das Holo. Alles in mir war leer. Für einen langen Augenblick dachte ich ...

... gar nichts.

 

*

 

Irgendwie musste es mir gelingen, die geistige Erstarrung abzuschütteln, die mich durchdrang, sonst würde ich auch in ein paar Stunden noch an dieser Stelle stehen und das Holo betrachten.

Der Extrasinn würde mir keine große Hilfe sein. Er war genauso betroffen wie ich. Aber es gab eine andere Möglichkeit.

Ich holte aus eigener Kraft Erinnerungen hervor. Nicht aus den Tiefen meines fotografischen Gedächtnisses, keine Reminiszenzen an Fartuloon, den Bauchaufschneider meines Vaters, oder Farnathia Declanter, meine Jugendliebe, die ich vor 13.000 Jahren gekannt und verloren hatte.

Diese Vergangenheit hatte mich am vorigen Tag eingeholt und war mir nicht besonders zuträglich gewesen. Das vermeintliche Wiedersehen mit Farnathia hatte mich so überrascht und schockiert, dass ich einige Minuten völlig blockiert gewesen war.

Nun ging ich in Gedanken keine 13.000 Jahre, sondern nur knapp eine Stunde zurück.

Ich hatte an genau derselben Stelle in der Zentrale der TREU & GLAUBEN gestanden, war jedoch emotional noch einigermaßen ausgeglichen gewesen. Kondayk-A1 war zu mir getreten, der Barniter, der zwar der Eigner des Raumschiffs war, aber nicht der Chef des Agentenpaars des NDE, das er mit seinem angeblichen Buchhalter Cyprian Okri bildete. Der Boss war der Terraner.

»Es geht dir nicht schnell genug, nicht wahr?«, sagte der Barniter leise. »Du hast den Eindruck, in Treibsand geraten zu sein, nicht voranzukommen, auf der Stelle zu treten.«

Ich war ihm dankbar für seine Rücksichtnahme bei dieser doch sehr persönlichen Unterhaltung. Normalerweise sprach er mit dröhnender Stimme.

»Schon seit geraumer Weile«, gestand ich ein. »Ich will zum Arkonsystem. Ich will es mit eigenen Augen sehen und mir selbst ein Bild machen.«

»Zur Bleisphäre«, verbesserte der geschäftstüchtige Händler. »Zu einem Ort, an dem die Wirklichkeit verschwimmt. Du weißt, dass an der Grenzschicht der Bleisphäre Realitätssprünge auftreten, die den Begriff der Singularität untermauern?«

»Den Begriff der Singularität«, echote ich. »Ich kenne die gängigen Annahmen, Hypothesen und Theorien. Das Arkonsystem wäre aus diesem Universum gerissen worden, nur noch als gravitativer Schatten vorhanden, somit zu einer post-transvektiven Singularität geworden. Das sind doch nur nicht einmal besonders wohlklingende Worte, die das Unwissen und die Ratlosigkeit der Wissenschaftler ummantelten.«

»Nicht unbedingt«, widersprach der Barniter. »Ausdrücke wie gravitativer Schatten sind mittlerweile Allgemeingut. Tatsächlich übt dieser Ort eine systemadäquate Gravitation aus, ohne dass sonstige Eigenschaften eines realen, im Normaluniversum lokalisierbaren materiellen Systems zuträfen.«

»Genau deshalb fliegen wir dorthin. Wir werden die Ursache für dieses und andere Phänomene herausfinden.«

»Warten wir ab«, sagte der Barniter zurückhaltend. »Fest steht, dass das Arkonsystem noch immer isoliert ist. Die Hoffnung der Arkoniden, dass sich mit dem Abzug des Atopischen Tribunals die Lage dort normalisiert, hat sich bislang nicht erfüllt.«

Ich erwiderte nichts darauf.

Kondayk-A1 mochte skrupellos, eigensüchtig, schillernd, käuflich, gewinnsüchtig und verschlagen sein und sogar mit den Ladhonischen Scharen Geschäfte treiben, wenn der zu erwartende Gewinn nur groß genug war. Aber er war nicht dumm. Er bemerkte, dass ich nicht gewillt war, mit ihm einen kleinen Plausch über mein Heimatsystem zu halten, und wechselte das Thema. »Hast du dich vom Thantur-Baron verabschiedet?«

»Ja. Per Hyperfunk. Von Larsav da Ariga und seinem Lebensgefährten Zaro da Gnotor, der ihm bis auf Weiteres helfen wird, die Vereinigten Sternenbaronien zu regieren.«

»Ausgezeichnet. Wir werden jeden Augenblick starten. Dann geht es endlich voran, Atlan.« Der Ausdruck seines Lächelns schwankte zwischen aufmunternd und abfällig. Konnte ich es ihm verübeln? Da kam ich aus der Vergangenheit und stellte mich als Besserwisser der Gegenwart dar. Das würde mir nicht zwangsläufig nur Sympathien bescheren.

Ich ging nicht weiter darauf ein. »Und auch von Kommandantin Gesa Wisman. Die CAI CHEUNG bleibt vorläufig im Vogasystem zurück, damit die Besatzung sich einen weiteren Überblick über die Situation in M 13 verschaffen kann.«

Der angebliche Händler schaute kurz auf ein Holo. »Die TREU & GLAUBEN verlässt soeben den Orbit um Zalit. Das Arkonsystem ist nur etwas mehr als drei Lichtjahre entfernt. Der Überlichtflug wird also nicht länger als eine Viertelstunde dauern. Wir beenden ihn wenige Lichtminuten außerhalb der Bleisphäre. Näher heran geht es dann nur mit Unterlicht. Das System ist immer noch unzugänglich, wie ich bereits erwähnte.«

Ja, das und alles andere hat er längst mehrmals erwähnt, dachte ich. Und das beweist, dass er eigentlich nicht viel mehr wissen kann.

Es fiel mir schwer zu akzeptieren, dass niemand mehr gerne den Namen Arkonsystem verwendete, sondern alle den Begriff Bleisphäre im Mund führten. War es wie bei der Erde, bei der allein der Gedanke daran angeblich unangenehme Gefühle hervorrief?

Ja, es erinnert an das terranische Odium, meldete sich der Extrasinn. Dessen Ursache ist bislang ebenfalls ungeklärt.

»Das Odium«, murmelte ich. Der Einfluss, der sich seit dem Raptus im Jahr 1615 NGZ vom Solsystem aus ausbreitete und dafür sorgte, dass Terra als Mythos gesehen wurde und man nicht gerne über die Ursprungswelt der Menschheit sprach. Ja, da gab es vielleicht einen Zusammenhang.

Wir würden dem nachgehen.

Wie so vielem, das wir überprüfen oder auch erst herausfinden wollten, sobald wir unser Ziel erreicht hatten.

 

*

 

Nach kurzem Flug erreichten wir das Arkonsystem.

Ich hatte meinen Gefühlsaufruhr – zumindest vorerst – überwunden und mich wieder in der Gewalt.

Ich wandte mich von dem Holo ab und an die Besatzung der Zentrale.

»Thantur-Baron Larsav da Ariga hat mir einen Datenspeicher mit sämtlichen Informationen übergeben, die die Vereinigten Sternenbaronien Thantur über diesen Bereich gesammelt haben«, sagte ich einleitend. »Diese Daten sind mittlerweile von der Bordpositronik aufbereitet worden, doch wir werden sie vorerst vollständig ignorieren. Ihr habt momentan keinen Zugriff auf sie. Später werden wir sie gegebenenfalls mit denen vergleichen, die wir gesammelt haben, doch ich möchte zuerst einen völlig unvoreingenommenen Blick auf die Bleisphäre werfen.

Ich möchte damit verhindern, dass wir eingefahrenen Gleisen folgen und etwas als gegeben voraussetzen, das so vielleicht gar nicht gegeben ist. Es gibt Dutzende Hypothesen und Theorien über das, was sich uns an diesem Ort präsentiert, doch sie widersprechen sich teilweise. Lassen wir uns davon nicht beeinflussen!

Wir sammeln die Fakten, schätzen sie selbst ein und entwickeln unser eigenes Bild von den Gegebenheiten im Arkonsystem. Worauf warten wir? An die Arbeit!«

Der Ortungschef der TREU & GLAUBEN senkte mit einer theatralischen Geste die Hand auf eine Schaltfläche und aktivierte die Instrumente der Hyperortung.

Und wir sahen ...

... gar nichts.

2.

Die fremde Welt

 

Die Bleisphäre lag weiterhin vor uns. Die Ortungsinstrumente erfassten sie auf der Ebene der drei- und vierdimensionalen Physik – auf der, die die Holos der Nahortung uns auch zeigten.

Aber auf höherdimensionaler Ebene lief die Ortung völlig ins Leere. Die Geräte, die in Erweiterung der traditionellen Physik unter dem Gesichtspunkt des Hyperraums die ganz anderen und andersartigen theoretischen Modelle nutzten, die bezüglich der Hyperphysik erstellt worden waren, griffen nicht.

Was heißt schon traditionelle Physik?, wandte der Extrasinn ein. Als Mascudar da Gonozal den kleinen Kristallprinz Atlan an dessen erstem Schultag ans Händchen nahm und zum exklusiven Bildungsinstitut für Imperatorenkinder brachte, war die Hyperphysik schon längst nichts Neues mehr, sondern normaler Teil der traditionellen Physik. Und das gilt auch für alle Besatzungsmitglieder der TREU & GLAUBEN.

Sagen wir doch einfach, dass die auf fünfdimensionaler Basis arbeitenden Ortungsgeräte sozusagen ins Nichts greifen und lediglich melden, dass vor dem Schiff überhaupt nichts vorhanden ist. Die Hyperortung zeigt einfach keine Messdaten an.

Damit konnte ich leben. Das Ortungsergebnis war gleich null. Es war, als wäre das System nicht mehr vorhanden oder hyperphysikalisch ortungstransparent.

Meine Überraschung hielt sich in Grenzen, im Gegensatz zu jener der Besatzung. Ich befand mich ihr gegenüber auch in einem Vorteil, den man durchaus als unfair bezeichnen konnte.

Ich hatte die Informationen auf dem Datenträger, den ich von Larsav da Ariga erhalten hatte, genau durchgesehen. Dank meines fotografischen Gedächtnisses konnte ich seinen Inhalt nicht vergessen. Ihm hatte ich entnommen, dass die Messdaten der Bleisphäre selbst manchmal überwiegend chaotische und widersprüchliche Werte zeigten, manchmal aber auch gar nichts. Es hatte den Anschein, als würde sich die Bleisphäre von der Realität abwenden.

Die Besatzung wusste das aber nicht.

Hoffte ich.

Ich kannte die Denkmuster, denen Lemurerabkömmlinge nur allzu oft folgten. Sie nahmen Hypothesen als gegeben hin, und selbst bei der Anweisung, genau das nicht zu tun, untersuchten sie sie lediglich kurz, bestätigten sie im Geiste und bauten dann bei den weiteren Untersuchungen darauf auf.

Genau das sollten unsere Wissenschaftler bei der Bleisphäre nicht tun. Sie sollten nicht nur alles infrage stellen, was bislang über sie bekannt war, sie sollten Hypothesen nur aufgrund eigener Untersuchungen erstellen und darauf aufbauen. Vielleicht entsprang diesem Vorgehen die eine oder andere neue Erkenntnis.

Die Bleisphäre befand sich nicht nur dort, wo sich früher meine Heimat befunden hatte. Ich hatte den Eindruck, dass sie viel zu wichtig war oder einmal sein würde, um bei ihr in irgendeiner Hinsicht nachlässig vorzugehen.

Ich räusperte mich, wandte mich dann wieder an die Zentralebesatzung. »Das ist ungewöhnlich, aber wir sollten stets das Unerwartete erwarten. Wertet die Ergebnisse der Normalortung aus! Ich nehme an, dass sich bei der Hyperortung früher oder später etwas ändern wird.«

Ich konnte nur hoffen, dass es eher früher als später geschah. Ich wollte unbedingt erfahren, was es mit diesen Realitätssprüngen auf sich hatte.

 

*

 

Die Normalortung funktionierte einwandfrei. Sie vermittelte einen guten Eindruck von der Umgebung, zeigte allerdings nur wenig Aktivitäten an.

»Es ist verhältnismäßig ruhig hier«, sagte ich zu Kondayk-A1. »Liegt das nur an diesem seltsamen Einfluss, der vom Arkonsystem ausgeht?«

Die Besatzung hatte sich wieder an die Arbeit gemacht, man sondierte und maß. Von der CAI CHEUNG hatte ich mir zwei Besatzungsmitglieder ausgeborgt und auf die TREU & GLAUBEN mitgenommen, die äußerst fähige Hyperphysikerin Mahu Zakara und den Ortungsspezialisten Peer Kauskkatis, die die Arbeiten koordinieren und mich über die Ergebnisse informieren sollten.

Außerdem waren die beiden Mutanten Dancer und Schlafner mit an Bord. Sie hatten sich als sehr fähig und auffassungsschnell erwiesen. Über ihre Loyalität machte ich mir im Augenblick keinerlei Gedanken.

Zudem hatten wir für alle erdenklichen Notfälle den TARA-Psi mit dabei. Aber nicht nur als psionische Wunderwaffe, sondern auch, weil ich ihn im Auge behalten wollte.

Ich traute ihm nicht mehr ganz über den Weg, auch wenn er sich in Einsätzen stets loyal und nie auch nur ansatzweise feindlich verhalten hatte. Ich konnte aber nicht genau sagen, was mich bei dem Roboter mittlerweile so misstrauisch machte.

War es der ungewöhnliche Umstand, dass er sich bei einer Rettungsmission bevorzugt um Kinder gekümmert hatte? Oder seine ebenso seltsame scheinbare Faszination für Hyperkristalle? Oder die Tatsache, dass er mehrfach in kritischen Situationen gezögert hatte? Zwar lediglich sehr kurz, aber für einen Roboter war das seltsam genug ...

Steigerst du dich wieder in etwas hinein?, fragte der Logiksektor. Bei Dancer und Schlafner hattest du ja auch hin und wieder Anwandlungen von Paranoia.

Das ist der völlig falsche Begriff. Ich habe lediglich mental kritische Distanz gewahrt. Ich konzentrierte mich wieder auf unser Gespräch.

Der Barniter hatte kurz nachgedacht. »Ja, du hast recht«, antwortete er. »Zum Teil mag es daran liegen. Aber die Arkoniden meiden die unmittelbare Nähe zum Arkonsystem auch, weil sie sich einreden, von der Bleisphäre ginge weder Gefahr aus, noch sei etwas zu entdecken. Sie beruhigen sich damit, dass an diesem Ort eine Wachflotte operiert, etwa fünfzigtausend robotisierte und ferngesteuerte Einheiten des Ewigen Imperiums.«

Das Ewige oder Messingimperium darfst du nicht aus den Augen verlieren, meldete sich der Extrasinn.