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Inhalt

Geheimer Wunsch

Eine sagenhafte Entdeckung

Ponytraum

Die Flaschenpost

Wie ein Märchen

Ponyflüstern

Heimliches Training

Ellas letzte Chance

Neros Geheimnis

Durch den Algenwald

Der Zauber der Perlenkette

Richtige Freundinnen

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Geheimer Wunsch

Marisa beugte sich über die Kante ihrer Schlafmuschel und zog den alten Koffer hervor. Für einen Moment schloss sie die Augen. Da war es wieder. Dieses zarte Kribbeln im Bauch, das bis hinunter in ihre Schwanzflosse schoss, als würde ein kleiner Fischschwarm durch ihren Körper huschen. Sie war so aufgeregt, dass ihre Finger zitterten und sie keinen Augenblick länger warten konnte.

Vorsichtig schwang Marisa den Koffer aufs Bett und ließ die Schnallen aufspringen.

„Schon wieder“, seufzte Coralie und beobachtete ihre Freundin in dem großen Spiegel. „Hast du keine Angst, dass dich jemand erwischt? Und überhaupt. Was findest du nur an all diesen Menschendingen?“ Coralie deutete mit dem Korallenkamm in Marisas Zimmer umher.

Ein Zimmer war es eigentlich nicht, sondern eine Kajüte. Die Kajüte eines uralten, versunkenen Schiffes. An den Wänden schimmerten hinter Seepocken und Seesternen noch die prunkvollen gold gemusterten Tapeten hindurch. Von Zeit zu Zeit schwebten winzige Leuchtquallen durch das Bullauge herein und umkreisten die prächtigen Wandlampen. Hier und dort hingen verschnörkelte Bilderrahmen und in der Mitte der Kajüte stand ein verzierter Spiegeltisch, an dem sich unzählige Muscheln und Algen niedergelassen hatten.

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„Nun komm schon, Marisa“, drängelte Coralie. „Bald sind die Delfin-Festspiele und wir haben uns immer noch nicht für eine Frisur und den Meeresschmuck entschieden.“

Doch Marisa hörte nicht zu. Sie hatte den Koffer aufgeklappt und da lag er vor ihr: ihr größter und geheimster Schatz. Nur Coralie wusste davon. Und Nero natürlich. Doch das zählte nicht richtig, denn Nero konnte niemandem etwas verraten. Außer Marisa konnte kein Meermensch mit dem Delfin sprechen. Sie hatte es eines Tages herausgefunden, als Nero ihr antwortete und sie jedes Wort verstand. Coralie glaubte es ihr bis heute nicht und bezweifelte, dass irgendjemand Neros Delfin-Quietscher verstehen konnte.

Behutsam, als wäre sie zerbrechlich wie eine hauchdünne Muschel, hob Marisa eine Puppe aus dem Koffer.

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„Sieh sie dir doch nur an“, sagte Coralie leise und starrte auf die Puppe in Marisas Händen. „Keine Flosse weit und breit. Nicht eine klitzekleine. Und was bedeutet das? Keine Schwimmausflüge in die Korallenbucht, keine Tauchloopings durch die zauberhaften Riffe und vor allem keine Delfin-Festspiele. Das Leben der Menschen muss furchtbar langweilig sein.“

„So langweilig sind die Menschen nun auch wieder nicht“, schnatterte es plötzlich von draußen.

Marisa legte die Puppe meermädchenschnell zurück in den Koffer und warf den Deckel hastig zu. Mit einem gekonnten Griff versteckte sie den Schatz wieder unter ihrer Schlafmuschel.

„Nanu? Ist meine Freundin ein bisschen schreckhaft heute?“, ertönte es erneut.

Marisa schwamm zum Bullauge und lachte erleichtert auf. „Ach, du bist es, Nero!“ Sie beugte sich aus dem Bullauge hinaus und rieb ihre Nase sanft an der glatten, feuchten Spitze seiner Schnauze. Das machten sie immer so, wenn sie sich trafen.

„Das Sonnenlicht macht das Meerwasser wunderbar warm. Heute ist kein Tag zum Drinnenhocken. Dafür ist noch genug Zeit, wenn die Herbststürme über die Küste fegen. Lass uns durch die Korallen schwimmen, Marisa.“ Nero quietschte vor Vergnügen und drehte einen Looping. Er schwamm pfeilschnell an der Emeralda vorbei, schoss in einem eleganten Bogen zurück zum Bullauge und kam knapp vor Marisa zum Stehen. „Also, was ist?“, fragte der Delfin und stupste sie liebevoll mit der Schnauze an.

Das Meermädchen lehnte sich noch etwas weiter nach draußen. „Du sagst, die Menschen sind nicht langweilig? Hast du denn schon einmal welche gesehen?“, flüsterte sie neugierig.

„Aber ja“, schnatterte Nero und raunte dann geheimnisvoll: „Drüben an den Felsen. Alles um mich herum war stockfinster. Nur am Strand sah ich ein seltsames Licht. Die Menschen sind im Sand um dieses Flackerlicht herumgetanzt und haben ihr Essen auf Stöcken im Lichtschein gewärmt.“

„Ist das wahr?“, fragte Marisa ungläubig und schwamm durchs Bullauge hinaus zu ihrem Delfinfreund.

„Hey, wo willst du denn hin?“, rief Coralie verärgert.

„Zu den Felsen. Du hast doch gehört, was Nero erzählt hat“, sagte Marisa.

„Nein, das habe ich nicht. Außer quietsch-pfeif-piep! hab ich gar nichts verstanden. Und wir wollten heute doch unseren Meermädchen-Nachmittag machen. Hast du das vergessen? Wir wollten Muschelketten basteln, nach Perlmuscheln tauchen und in den Korallenriffen nach Glitzerblumen für unsere Haarkränze suchen. Aber das scheint dir ja nicht wichtig zu sein!“

„Das kann doch warten. Komm schon, Coralie. Lass uns lieber zu den Felsen schwimmen und nach Menschen Ausschau halten.“ Marisa war ganz aufgeregt. So aufgeregt, dass sie eine Fischhaut bekam.

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„Bist du verrückt geworden?“, platzte es aus Coralie heraus. Sie schlängelte sich durchs Bullauge nach draußen. „Du weißt ganz genau, dass wir nicht zu den Felsen dürfen. Das ist verboten!“ Wütend tippte sie mit dem Korallenkamm bei jedem Wort auf Marisas Brust.

„Das stimmt, Marisa“, lenkte Nero ein und zuckte nervös mit der Flosse. „Es ist sehr gefährlich an den Felsen. Jemand könnte dich dort entdecken. Ach, ich hätte es dir gar nicht erzählen dürfen.“

„Warum musst du immer verbotene Sachen machen? Wenn deine Eltern erfahren, dass du heimlich zu den Felsen schwimmst oder dass du einen Schatz mit lauter Menschendingen unter deiner Schlafmuschel versteckst …“ Coralies Gesicht wurde rot vor Zorn.

„Es muss uns ja niemand verraten“, wisperte Marisa. „Also? Wer ist dabei?“

„Ich sicher nicht!“, schrie Coralie wütend. „Wenn dir unser Meermädchen-Nachmittag nichts bedeutet, schwimme ich jetzt besser nach Hause!“

Ohne sich noch einmal umzusehen, schwamm Coralie an der Emeralda vorbei hinüber zu den Korallenriffen.

Marisa seufzte und ihre Wangen glühten, doch schon im nächsten Moment fiel ihr wieder ein, was Nero soeben erzählt hatte.

„Wer zuerst bei den Felsen ist“, rief Marisa und schoss mit kräftigen Flossenschlägen durchs Meer.

„Ich Trottel“, hörte sie Nero jammern. „Wieso nur kann ich meinen Mund nicht halten?“

„Wo bleibst du denn, Nero? Du wirst doch wohl keine kalten Flossen bekommen?“ Marisa hielt an dem abgebrochenen Mast des Schiffes und sah sich ungeduldig nach ihrem Delfinfreund um.

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Eine sagenhafte Entdeckung

Nero hatte recht. Das Meerwasser war ganz warm und das Sonnenlicht glitzerte im Wasser. Gemeinsam tobten Marisa und der Delfin durch die Bucht. Das Meermädchen winkte den Seesternen zu, die im Sand dösten, und tauchte ausgelassen durch einen farbenfrohen Fischschwarm.

„Halt dich an mir fest!“, schnatterte Nero und Marisa umschlang mit einer Hand seine Rückenflosse.

Vor ihnen lag die hell funkelnde Mondbucht und Nero flog förmlich durchs Wasser. Mal tauchte er so tief hinab, dass Marisa über das weiche grüne Seegras