Ellis Kaut

Meister Eder
und sein

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Mit Illustrationen von Jan Saße

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KOSMOS

Umschlaggestaltung: Weiß-Freiburg GmbH Graphik & Buchgestaltung, Freiburg, unter Verwendung einer Illustration von Jan Saße

Innenillustrationen: Jan Saße

Entwurf der ursprünglichen Pumucklfigur von Barbara von Johnson,
weiterentwickelt von Brian Bagnall

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
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Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2019, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-50074-3

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Einiges über Kobolde

Niemand muss an Kobolde glauben, auch dann nicht, wenn er im Lexikon unter »K« nachschlägt und dort liest: »Kobold, meist unsichtbarer Hausgeist. Alter Volksglaube.« Dieses »meist« allerdings gibt zu denken, denn es heißt so viel wie »nicht immer«. Und wenn ein Kobold nicht immer unsichtbar ist, dann muss ihn jemand gesehen haben. Oder sehen können. Das ist doch klar. Tatsächlich wissen wir, wie so ein Kobold aussieht: Klein ist er und struwwelig. Er neckt die Menschen und freut sich diebisch, wenn ihm ein Schabernack glückt. Alte Seeleute erzählen oft von einer besonderen Art von Kobolden, den Klabautermännern. Diese kleinen Wesen fahren auf großen Segelschiffen mit, treiben allerlei Unsinn, zeigen Gewitter und Sturm an, helfen aber auch Unglück vermeiden, indem sie z. B. Schiffstaue oder Schrauben bewachen, die sich nicht lockern dürfen.

Sagt nicht, dass bei diesen Seeleuten ein paar Schrauben locker seien, erstens wär’s ein billiger Witz, und zweitens – ja, zweitens weiß ich ganz genau, dass es einen Nachkommen, einen Urenkel dieser Klabautermänner noch gibt. Denn von diesem Nachkommen handelt unser Buch. Er heißt Pumuckl.

Wenn ihr die Geschichte lest, dann könnte es sein, dass dem einen oder anderen jäh auffällt: »Bei mir zu Hause geschehen auch solche seltsamen Dinge, wie: Eben habe ich den Hausschlüssel doch auf die Kommode gelegt, und jetzt ist er unauffindbar verschwunden! Oder: Ich habe ganz bestimmt das Licht im Badezimmer ausgeschaltet, und trotzdem brennt es noch! Oder: Ich habe die Vase überhaupt nicht berührt, plötzlich ist sie ganz von allein heruntergefallen«, und Ähnliches. Nun, es könnte sein, dass dieser eine oder andere einfach schlampig und vergesslich ist. Es könnte aber auch sein, dass er – einen Kobold zu Hause hat. Der heißt zwar dann sicher nicht Pumuckl, denn den gibt es nur ein einziges Mal. Aber vielleicht heißt er Zwidaggl oder Fizzibitz oder Schnurgickel. Und ob der dann »meist« oder immer unsichtbar ist – das allerdings ist Glückssache.

Der Pumuckl ist sichtbar. Für wen, wann und warum – das erfahrt ihr in der ersten Geschichte.

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Spuk in der Werkstatt

Der Kobold Pumuckl lebte – und lebt noch! – beim Schreinermeister Eder. Das ist ein netter alter Mann, der seine Werkstatt und eine kleine Wohnung darüber in einem einstöckigen Hinterhaus hat. Wer ihn besuchen will, muss durch einen Hof gehen, der wie tausend andere Hinterhöfe aussieht: Ein Kastanienbaum steht da, der ein etwas klägliches Großstadtdasein führt; ein paar Büschel Gras wachsen zwischen dem Kies; an der Mauer, die den Hof abschließt, stehen Abfalltonnen und daneben eine Stange zum Teppichklopfen, an der dann und wann die Kinder den Bauchaufschwung üben. Die Werkstatt ist nicht groß, denn Meister Eder macht keine ganzen Wohnungseinrichtungen mehr, sondern nur noch kleine Sachen wie Kästchen, Tischchen, Regale und was die Leute zum Reparieren zu ihm bringen. Er hat keinen Gesellen und keinen Lehrbuben. Er lebt ganz allein, nicht einmal ein Hund oder eine Katze oder ein Kanarienvogel leisten ihm Gesellschaft. Nur der Pumuckl. Und von dem wusste er auch lange Zeit nichts. Bis eines Tages die Sache mit dem Leimtopf passierte.

Schon den ganzen Tag war es in der Werkstatt wie verhext zugegangen: Eder sollte ein Kästchen für die Frau Steinhauser im Nachbarhaus machen, aber er wurde und wurde nicht fertig damit. Jedes Werkzeug, jede Schraube musste er suchen. Nicht weil er so schlampig gewesen wäre, sondern weil die Sachen einfach nie an dem Platz lagen, an den er sie eben noch gelegt hatte. Die Feile zum Beispiel, die er auf die Hobelbank gelegt hatte, fand sich auf einem Stuhl wieder; das Schloss, das er einpassen sollte, war spurlos verschwunden; das Scharnier entdeckte er nur durch einen Zufall unter der Hobelbank, als er sich nach Schrauben bückte, die – ohne jeden äußeren Anlass – vom Tisch gerollt waren.

Kurzum, es war zum Davonlaufen.

Meister Eder fing schon an zu glauben, dass er allmählich zu alt und vergesslich und untauglich für jede Arbeit wurde. Als er gerade wieder verzweifelt nach dem Schloss suchte, kam Frau Steinhauser und fragte nach ihrem Kästchen.

»Ich wäre ja schon längst fertig, Frau Steinhauser«, jammerte der Meister, »aber ich finde einfach das Schloss nicht. Was ich in letzter Zeit alles verlege – ich weiß nicht, was mit mir los ist!«

Frau Steinhauser versuchte ihn zu trösten: »Ach, Herr Eder, jeder Mensch verlegt mal was. Aber das Haus verliert nichts, sagt man – das Schloss findet sich bestimmt wieder.« Dabei schaute sie auch ein bisschen herum – und tatsächlich – mitten in einem Haufen Sägespäne sah sie etwas glitzern.

»Da ist ja das Schloss!«, rief Frau Steinhauser und zog es aus dem Holzabfall.

Meister Eder starrte auf das Schloss.

»Wenn’s schon so weit mit mir ist, dass ich das Zeug, das ich dringend brauche, auf den Abfallhaufen werfe, dann … dann …«

»Au!«, schrie Frau Steinhauser.

»Was haben Sie denn?«

»Mich hat etwas gezwickt, hier am Bein – und … und jetzt läuft eine Masche!«

»Gezwickt? Das ist nicht möglich. Sie werden irgendwo hängen geblieben sein. Das tut mir aber leid. Eine Schreinerwerkstatt ist gefährlich für feine Strümpfe.«

»Ja, ich gehe lieber – wann ist denn das Kästchen fertig?«

Meister Eder hielt das wiedergefundene Schloss fest in der Hand, damit er es bestimmt nicht noch einmal verlegen konnte.

»Wenn nichts dazwischenkommt, dann bringe ich’s Ihnen heute Abend.«

Aber es kam etwas dazwischen. Und zwar etwas äußerst Seltsames. Zunächst schien alles gut zu gehen: Das Schloss passte genau, und die Schrauben lagen auch an ihrem Platz. Den Bohrer hatte Meister Eder zwar ganz bestimmt neben das Kästchen gelegt und nicht auf den Holzstapel, aber Eder fand ihn wenigstens gleich. Er bohrte also das erste Loch für die Schrauben vor und wollte gerade eine der Schrauben hineindrehen, da flog in hohem Bogen ein Kistchen voller Nägel auf den Boden. Eder fuhr zusammen.

Ratlos schaute er auf hunderte von Nägeln, die über den Werkstattboden verstreut herumlagen. Das Kistchen hatte doch gut zwei Meter von ihm entfernt auf einem Tisch gestanden. Wie war es möglich, dass es mit solchem Schwung auf den Boden knallte? Seufzend sammelte Eder die Nägel ein und stellte das Kistchen wieder auf den Tisch.

»Wenn das so weitergeht, werde ich nie fertig!«, brummte er und griff nach dem Schraubenzieher. Doch sein Griff ging ins Leere. Der Schraubenzieher war weg! Eder suchte auf der Hobelbank, unter der Hobelbank, im Werkzeugkasten, unter der Säge, auf dem Bretterstapel, ja, zu guter Letzt wühlte er sogar noch die Hobelspäne um und um. Wer weiß, vielleicht hatte er nicht nur das Türschloss zum Abfall geworfen? Doch der Schraubenzieher war auch dort nicht zu finden.

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Eder suchte noch einmal den Boden ab. Dabei fiel sein Blick zufällig auf den Leimtopf. Hatte er sich nicht eben bewegt? Eder fuhr sich über die Augen. Doch – der Topf bewegte sich! Nicht viel, aber ganz deutlich, so, als rüttelte jemand daran. Eder starrte auf den Leimtopf.

Da hörte er ein Piepsen.

Eine Maus!, durchfuhr es Eder, das konnte nur eine Maus sein! Er griff nach einem Holzscheit. Er vertrug allerlei, aber Mäuse in der Werkstatt verabscheute er. Er schlich auf den Leimtopf zu, das Scheit zum Wurf erhoben. Er war nur noch zwei Schritte davon entfernt – da fiel der Leimtopf ganz von allein um. Eder fuhr zusammen und warf das Scheit vor Schreck auf den Topf. Im gleichen Augenblick ertönte ein schriller Schrei.

Dem Meister blieb fast das Herz stehen. Was war das? Das hatte doch geklungen, als hätte der Leimtopf aufgeschrien.

Eder machte einen Schritt auf das Gefäß zu, leise und vorsichtig, als wäre es ein heimtückisches Tier. Da sah er – ja, er sah deutlich etwas Rotes über dem Topfrand erscheinen, so, als zauberte jemand einen Farbklecks in die Luft; es wurde immer deutlicher und deutlicher – aber es war keine Farbe, auch kein Blut, es war ein ungekämmter roter Haarschopf. Aus dem Haarschopf ragten zwei große Ohren, und unter dem Haarschopf glitzerten zwei wutfunkelnde Augen heraus, und eine helle Stimme schrie:

»Jetzt haben wir die Bescherung!«

»Ich werd verrückt!«, murmelte Eder und hielt sich am Schraubstock fest. Das rothaarige Wesen hatte auch noch zwei Arme und zwei Beine, mit denen es verzweifelt zappelte!

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»Mach mich los da! Das klebt so! Pfui! Pfui!«, fauchte die helle Stimme.

Eders Herz klopfte, als hätte er einen Dauerlauf gemacht. Das konnte doch nicht wahr sein! Aber die Stimme fuhr fort:

»Was fällt dir eigentlich ein, mit einem Holzscheit nach mir zu werfen! Fast hätte es mich am Kopf getroffen. Mach mich wenigstens los, du siehst doch, dass ich an deinem dummen Leimtopf klebe.«

Eder rührte sich nicht. Das Kerlchen zerrte und zappelte, dass der Leimtopf kleine Sprünge machte. »Weg will ich! Weg!«, schrie es dazu und stampfte mit seinen dünnen Beinen; und sein Haarschopf stand ihm zu Berg. »Langsam, langsam – ich helfe dir schon!« Eder streckte vorsichtig seine Hand nach dem kleinen Wesen aus, zog sie aber wieder zurück. »Ich habe Angst, dass ich dir etwas breche, wenn ich dich mit meinen großen Händen anrühre.«

»Unsinn! Kobolde zerbrechen nie!«

»Du bist ein …?«

»Ein Kobold, jawohl. Und jetzt mach mich los!«

Der kleine Kerl stampfte befehlend auf, was aber so putzig aussah, dass der Schreiner es ihm nicht verübeln konnte. Mit spitzen Fingern löste er den Kobold vom Leimtopf. »Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume«, sagte Eder.

»Ich kann dich ja zwicken, dann weißt du es!« Und kaum hatte der Kobold das gesagt, bekam der Schreiner es auch schon zu spüren.

»Au!«, rief er.

Der Kobold aber sprang mit einem Satz auf den Werkzeugkasten und krähte von dort, vergnügt von einem Bein auf das andere hüpfend: »Hihi, Pumuckl zwickt, zwickt sehr geschickt!«

Eder musste lachen.

»Hör auf zu lachen! Ich verstecke dir sonst den Bohrer! Auf Nimmerwiederfinden!« Und gleich sprang Pumuckl vom Werkzeugkasten auf den Tisch, packte den Bohrer und warf ihn in hohem Bogen unter die Hobelbank. Da ging dem Schreiner ein Licht auf: War es am Ende gar nicht seine Vergesslichkeit, weshalb er ständig alles Mögliche suchen musste, sondern …

»Sag mal, versteckst du mir immer alles?«

Der Kobold hüpfte wieder vor Vergnügen.

»Pumuckl neckt, Pumuckl versteckt, Eder entdeckt, keiner was meckt!«

»Keiner was me-r-kt«, verbesserte Eder unwillkürlich.

»Ich weiß, aber das reimt sich nicht. Und ich reime nun mal gern!«

»Ich habe aber doch etwas gemerkt!«

Da hörte der kleine Wicht zu hüpfen auf, und sein Gesicht wurde zornig. »Nur weil ich sichtbar geworden bin! Dummer Leim, dummer Topf! Ich könnte mir zwei Haare ausreißen!«

Meister Eder schaute den wuscheligen Haarschopf an. »Hast ja mehr als genug auf deinem Kopf. Hast du dich eigentlich jemals gekämmt?«

Die Augen des Kobolds sprühten vor Verachtung.

»Kämmen – pfui! Sichtbar sein – pfui!« Und dann fing er ganz unvermittelt zu schluchzen an:

»Oooh, ich bin sichtbar! Oh, oh! Koboldschande, oh, oooh!«

Der Schreiner war bestürzt. »Deswegen musst du doch nicht weinen! Ich bin doch auch sichtbar und weine nicht!«

»Du musst sichtbar sein, aber ich – oh, oh, oh!«

»Ich verstehe nicht ganz – bist du denn sonst nicht sichtbar?«

»Aber nein! Nur weil ich kleben geblieben bin!« Und feierlich, fast beschwörend, fügte er hinzu:

»Wenn ein Kobold an einem menschlichen Ding hängen bleibt oder von einem Menschen eingezwickt oder festgehalten wird, dann wird er sichtbar!«

Seine Augen wurden groß und dunkel. »Das ist Koboldsgesetz!«

Meister Eder bekam eine Gänsehaut. »Von mir aus darfst du gern wieder unsichtbar werden«, bot er an.

Doch der kleine Bursche schüttelte seinen Wuschelkopf. »Unsichtbar bin ich nur noch für andere Menschen. Für dich, der mich einmal gesehen hat, werde ich immer sichtbar bleiben. Das ist Koboldsgesetz! Ein dummes Gefühl, sichtbar zu sein, ein sehr dummes Gefühl!«

»Und wenn du einfach davonläufst, fort, weg, und nie mehr hierherkommst? Dann kannst du doch bei den anderen Menschen unsichtbar bleiben! Dann ist uns beiden geholfen.«

Wieder bekam der Kobold seine großen, dunklen Augen. »Ich muss bei dem bleiben, der mich gesehen hat. Koboldsgesetz!«

»Ich weiß nicht, ob mir das recht ist.«

»Weiß ich auch nicht. Ist aber so.«

»Eine schöne Bescherung!« Diesmal war es Eder, der das feststellte. Der Kobold nickte.

»Und überall bin ich noch voller Leim.«

»Ich hole warmes Wasser – damit geht das schon weg!« Eder erhob sich, blieb aber mitten im Schritt stehen.

»Du, jetzt fällt mir etwas ein: Vielleicht ist es doch ganz gut, dass du da bist. Wir haben einmal in der Schule ein Gedicht gelernt, von dem weiß ich zwar nur noch den Anfang, aber der hieß so: Wie war in Köln es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem …«

Kaum hatte der Kobold das Wort Heinzelmännchen gehört, da hielt er sich beide Ohren zu. »Heinzelmännchen! Ich will nichts von Heinzelmännchen hören!«

»Aber –«

»Ich mag keine Heinzelmännchen! Ein dummes Volk – die arbeiten ja alle! Pfui!« Der Kobold verzog sein Gesicht so verächtlich, dass Eder das Gefühl bekam, etwas ganz und gar Ungehöriges gesagt zu haben, und verlegen stotterte: »Ja – ja bist du denn kein Heinzelmännchen?«

Der Kobold bekam rote Ohren vor Empörung.

»Unsinn! Ich bin ein Kobold! Ich tu nur, was mir Spaß macht. Ich bin der Pumuckl, ein Nachkomme der Klabautermänner.«

»Wie bitte? Sag das noch einmal!«

»Pumuckl, Nachkomme der Klabautermänner!« Er seufzte tief. »Hartes Leben für unsereinen! Gibt nur noch wenig Segelschiffe aus Holz, überall Dampfschiffe. Kein Platz mehr für unsereinen!«

»Aber bei mir ist ja auch nicht viel Platz!«