Impressum

Anna Wilken mit Saskia Hirschberg

In der Regel bin ich stark

Endometriose: Warum wir unsere Unterleibsschmerzen ernst nehmen müssen!

eISBN: 978-3-95910-236-0

Eden Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © 2019 Edel Germany GmbH, Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edenbooks.de | www.edel.com

1. Auflage 2019

Die Autorinnen haben dieses Buch nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Dennoch können inhaltliche Fehler nicht komplett ausgeschlossen werden. Der Verlag und die Autorinnen übernehmen hierfür keine Haftung. Dieses Buch ist keine Handlungsempfehlung für den Umgang mit Endometriose und ersetzt niemals einen Arztbesuch.

Projektkoordination: Nina Schumacher und Juliane Noßack

Vermittelt durch: Stephan Strauß, 31Media GmbH

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Covergestaltung: Bianca Domula, affaire populaire

Cover- und Autorinnenfoto: © Arya Shirazi

E-Book-Konvertierung: Datagrafix GSP GmbH, Berlin | www.datagrafix.com

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Anna

Vorwort von Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner

Als Frieda mit dem Zickenterror begann

Erste Beschwerden

2009 : Mit 13 der erste Besuch bei der Gynäkologin

Endlich Erleichterung

2013 : Mit 17 der erste heftige emotionale Tiefpunkt

2013 : Germany’s Next Topmodel

Modelalltag unter Beschwerden

2014 : Mit 18 in die Endometrioseklinik

Sommer 2014 : Berlin ruft

Herbst 2014 : Ich will endlich Klarheit!

Was ist denn jetzt dieses »Endo-was?«?

Der lang ersehnte Termin in der Charité

Und gibt’s da jetzt was von Ratiopharm?

Frieda geht es an den Kragen!

Die Vorbesprechung der OP

Die Laparoskopie

Im Aufwachraum

Die Diagnose

Krankenhauskoller

Die Zeit nach der Bauchspiegelung

Keine echte Erleichterung

Unverständnis im sozialen Umfeld

Ahnungslose Ärzte

Halbwahrheiten und Mythen

Frieda hört nicht auf zu rebellieren

Meine Erfahrungen mit Visanne®

Endometriose ist ein A…

Berufliche Veränderung mit 21

Der Austausch in Online-Communities

Mein Outing im Frühling 2017

Social Media als Plattform für Aufklärungsarbeit

Kampagnen auf Instagram & Co.

Statements setzen mit Merchandiseartikeln

Ab mit Frieda ins Erziehungscamp

Endlich weg von den Hormonen

Wie beantragt man eine Reha?

Die passende Rehaklinik finden

Blasenspiegelung im Juli 2017

Der Rehaaufenthalt

Wissenswertes zur Beantragung eines Schwerbehindertenausweises

Wo bekommt man den Antrag her?

Was ist beim Ausfüllen des Antrags zu beachten?

Die Bestimmung des Schweregrads der Behinderung

Warum ein Schwerbehindertenausweis?

Schwerbehindert mit 21!

Wichtige Infos zum Sozialverband Deutschland im Überblick

Alternative Behandlungsmethoden, Tipps und Tricks

Lavendel in allen Formen und Variationen

Ene meene meck … Heilpflanzen für Kräuterhexen

Physiotherapie

Osteopathen und Heilpraktiker

Akupunktur

Yoga – der Allrounder für Körper, Geist und Seele

Entspannung ist das Thema!

Heiße Tipps zum Schluss

Was wir mit der passenden Ernährung erreichen können

Dos and Don’ts

Mineralien und Vitamine im Überblick

Natürliche Waffen gegen Entzündungen und Krämpfe

Menstruationsbeschwerden lindern

Vitamine und Mineralstoffe gegen PMS

Darmprobleme mildern

Ernährung und ich

Histaminunverträglichkeit und Endometriose

Histaminintolerant – und jetzt?

Histaminarm kochen

Wichtige Fakten zur Laktoseintoleranz

Wie wir mit positivem Mindset unseren Körper beeinflussen können

Wie ich zu mir selbst gefunden habe

Retter auf vier Pfoten

Entscheidungen treffen lernen

Friedas Geburtsstunde

Umdenken ist ein Prozess

Wenn das Drama aus dem Hinterhalt kommt

Rückschläge annehmen

Prioritäten setzen

Sorgen loslassen für mehr Unbeschwertheit

Let’s talk about sex love, Baby!

Inwiefern beeinflusst die Endometriose das sexuelle Erlebnis?

Was können wir tun, um unser Intimleben zu verbessern?

Meine Tipps für weniger Stress und mehr Qualität in der Partnerschaft

Kinderwunsch und Kinderwunschtherapie

Der Tag, der alles veränderte

Kommt Zeit, kommt Rat

Eizellen konservieren – ja oder nein?

Der erste Sammelzyklus

Zweiter Versuch

Stimulationsphase – Klappe, die Dritte!

Und die Moral von der Geschicht’?

Danksagung

Anhang

Linksammlung

Hilfreiche Apps

Quellenangaben

Weiterführende Literatur

In diesem Buch begegnen euch zahlreiche QR-Codes, hinter denen sich Links zu Homepages mit weiterführenden Informationen verstecken. Bei einigen Smartphones muss man nur die Kamera draufhalten, andere benötigen spezielle Apps zum Scannen der QR-Codes. Letztere gibt's in jedem App Store.

Vorwort von Anna

Wie schön, dass du dieses Buch in deinen Händen hältst! Für alle, die mich noch nicht kennen: Ich heiße Anna Wilken, bin 96er Jahrgang und stolze Ostfriesin. Ich liebe die Küste und die Luft dort oben. Und eins ist klar: Egal, wo mein Beruf oder die Liebe mich auch hinführen, meine Heimat bleibt immer der Norden.

Für Germany’s Next Top Model verließ ich im Alter von siebzehn Jahren mein Zuhause, und seither habe ich viel erlebt. Mittlerweile modele ich nicht nur, sondern bin auch eine sogenannte Influencerin – schrecklicher Begriff, oder? Mit anderen Worten, ich blogge auf Instagram, teile mein Leben mit der Öffentlichkeit und werbe für Produkte, die ich prüfe und für gut empfinde. Dabei bleibe ich mir selbst treu. Es ist mir wichtig, authentisch zu sein – auch auf Instagram. Ich zeige mich, wie ich bin. Wer mir folgt, kann das bestätigen. Darum darf auch meine Familie auf Instagram nicht fehlen. Meine Familie ist für mich das Wichtigste in meinem Leben. Ich liebe es, Zeit mit meinen Eltern, meinem Partner und meinen Freunden zu verbringen.

Einen weiteren großen Teil meiner Freizeit widme ich dem Ehrenamt. Neben meiner Herzensangelegenheit, der Aufklärung rund um die Endometriose, spielt die Altenpflege, insbesondere von Alzheimerpatienten, eine große Rolle in meinem Leben. Seit Jahren gehe ich ehrenamtlich ins Seniorenheim, spiele, bastle und rede mit den Mitbewohnern. Ich höre mir ihre faszinierenden Lebensgeschichten an und gehe meistens mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Hause – mit Tiefe und Liebe erfüllt. Für mich gibt es nichts Schöneres, als Liebe zu verteilen. Und genauso viel Liebe findet sich auch in diesem Buch wieder.

In monatelanger Schreibarbeit und unzähligen Stunden am Telefon mit meiner Co-Autorin Saskia Hirschberg ist dieses Buch entstanden. Eine aufregende und vor allem emotionale Zeit, wie ich sie lange nicht erlebt habe. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich meine Geschichte teilen darf, um mehr Bewusstsein für Endometriose zu schaffen. Zumal ich mir vor ein paar Jahren noch nicht wirklich vorstellen konnte, überhaupt je offen über meine Erkrankung zu sprechen.

Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich ein Buch darüber schreiben würde, hätte ich wahrscheinlich laut gelacht. Der Gedanke, mein eigenes Buch in den Händen zu halten, fühlt sich verrückt an. Kann mich bitte jemand kneifen?

Nun gut, jetzt verrate ich euch erst mal, was auf euch zukommt:

Wahrscheinlich hast du dir diesen Titel ausgesucht, weil du selbst betroffen bist und mehr über die Endometriose erfahren möchtest. Vielleicht suchst du aber auch eine Aufklärungslektüre für deine Lieben, damit sie dich endlich besser verstehen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es nicht leicht für dein Umfeld ist, immer Verständnis zu zeigen.

Endometriose auszusprechen ist schon die erste Hürde, ein Zungenbrecher, wie ich finde. Und ein Wort, das kaum einer kennt. Das ärgert mich ganz besonders. Eine von zehn Frauen leidet an Endometriose. Wie kann es bei dieser Quote sein, dass kein Mensch darüber Bescheid weiß? Mein Ärger und ehrlich gesagt auch mein Unverständnis darüber sind nur zwei der Gründe, weshalb ich mich vor einiger Zeit dazu entschlossen habe, meine Reichweite zu nutzen, um mehr Bewusstsein für dieses Leiden zu schaffen.

In meinen Posts und meinen Stories kläre ich über die Krankheit auf, und mit diesem Buch möchte ich euch motivieren, ebenfalls auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Ich möchte euch Endosisters zeigen, dass keine von euch allein ist. Wir sitzen alle im selben Boot, auch wenn die Krankheit bei jeder anders ausgeprägt ist. Aber am Ende des Tages wollen wir alle mehr Verständnis – von unserer Familie, dem Partner, unseren Freunden, dem Arbeitgeber und von manchem Arzt.

Außerdem möchte ich euch die Angst nehmen vor dem Begriff »Kranksein« und Berührungsängste mit Ärzten abbauen, damit ihr eure Endometriose im Idealfall schneller erkennt und nicht sechs bis zehn Jahre auf eine Diagnose warten müsst.

Mir persönlich war der medizinische Teil des Buches und die Unterstützung in diesem Projekt durch eine Fachärztin wichtig. Ich hätte mir niemand Besseren dafür vorstellen und wünschen können als Frau Dr. med. Sylvia Mechsner, Oberärztin der Gynäkologie und Leiterin des Endometriosezentrums der Berliner Charité. Sie hat damals meine Endometriose diagnostiziert, mir viele Zusammenhänge erklärt und begleitet meine Krankengeschichte bis heute mit so viel Herzblut. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt, und ich sehe sie als ein wahres Geschenk in meinem Leben an. Ich möchte ihr Wissen unbedingt mit euch teilen. Frau Dr. Mechsner versteht es wie keine andere, die Endometriose verständlich zu erklären. Immer wieder werdet ihr Kommentare und Beiträge von ihr finden sowie QR-Codes, die euch zu interessanten und hilfreichen Seiten weiterleiten, wie beispielsweise zur Endometriose-Vereinigung Deutschland.

Worauf ich ganz besonders viel Wert lege, ist die Tatsache, dass jeder von uns individuell ist. Bei der Behandlung der Endometriose geht probieren über studieren. Was mir hilft, ist keine Garantie dafür, dass es bei euch anschlägt und umgekehrt. Darum teile ich in diesem Buch Tipps und Tricks, auf die ich schwöre, aber genauso auch Erfahrungen, mit denen ich nicht so glücklich war.

Dieses Buch wird mich so privat zeigen, wie noch nie zuvor. Alle meine Gedanken und Sorgen, in denen ihr euch vielleicht wiederfinden werdet, teile ich mit euch, weil ich hoffe, euch damit eine Hilfestellung zu geben.

Und weil abgesehen von Frau Dr. Mechsner einer meiner ersten hilfreichen Ansprechpartner in Sachen Endometriose die Endometriose-Vereinigung Deutschland war, werde ich einen Teil der Einnahmen aus den Buchverkäufen dem Verein spenden, der uns Endosisters, unsere Eltern und Partner ehrenamtlich berät, damit noch mehr Kampagnen zur Aufklärung gestartet, Beratung und Workshops stattfinden können.

Ich wünschte, ich hätte schon Jahre früher um all die Stellen gewusst, an die ich mich hätte wenden können. Eure Suche möchte ich hiermit abkürzen.

In den letzten Jahren musste ich mich intensiv mit meiner Endometriose auseinandersetzen. Es war oft hart, aber heute bin ich dankbar dafür. Wenn sich jetzt einige von euch fragen, wieso ich dankbar für eine chronische Krankheit bin, dann freue ich mich umso mehr, euch auf den nächsten Seiten mit auf meine Reise zu nehmen – auf die Reise zu mir selbst, mit dem Ziel, meinen Körper besser kennenzulernen, ihn zu verstehen und auf ihn zu hören. Ich hätte es selbst nie für möglich gehalten, dass ich mich irgendwann tatsächlich mit meiner Krankheit »anfreunden« kann. Der Weg dorthin war holprig, aber jeder Rückschlag hat meinen Willen gestärkt.

In diesem Buch nehme ich euch mit – von meiner ersten Periode über die Diagnose, bis zu dem Punkt als aus meinem größten Feind meine beste Freundin wurde und »Frieda« in mein Leben trat. Diejenigen von euch, die mich bei Instagram (@aniybond) begleiten, wissen vielleicht sogar schon, wer Frieda ist und welche Rolle sie in meinem Leben spielt. Alle, die meine beste Freundin noch nicht kennen, müssen sich noch ein bisschen gedulden – ihr werdet sie bald treffen. Ich bin schon ganz gespannt, wie ihre eure besten Freundinnen am Ende unserer gemeinsamen Reise taufen werdet.

Neben der Entwicklung einer positiven Lebenseinstellung trotz und mit der Endometriose wird noch ein anderes Thema Raum in diesem Buch bekommen. Die Frage »Weißt du, ob du Kinder kriegen kannst?« habe ich mehr als nur einmal gehört. Eine Antwort gab’s von mir allerdings nie. All meine Gedanken dazu werdet ihr dafür in diesem Buch finden – und ja, es kostete mich enorm viel Überwindung, denn das Thema setzt mir ganz schön zu. Gerade weil ich noch so jung bin, habe ich mich mit der Thematik nicht auseinandersetzen wollen. Doch dann stolperte ich plötzlich über diese eine Information, die ich nicht ignorieren konnte, und ehe ich mich versah, saß ich in Regensburg im Kinderwunschzentrum … Aber gehen wir die Reise doch lieber Schritt für Schritt, angefangen bei den ersten Beschwerden.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und freue mich auf euer Feedback und eure Geschichten!

Eure Anna

Für meinen Engel G.
Ich vermisse und liebe dich.

Vorwort von
Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner

Was bedeutet Endometriose im Leben einer Frau?

Endometriose ist eine chronisch inflammatorische Erkrankung, die das Leben vieler Frauen über viele Jahre begleitet und beeinflusst. Doch was bedeutet ein Leben mit Endometriose für die betroffenen Frauen? Im Gespräch mit meinen Patientinnen bekomme ich die verschiedensten Antworten, die mich auch nach vielen Jahren in meinem Beruf noch berühren.

»Endometriose bedeutet für mich, mein bisheriges Leben verloren zu haben.«

»Die Zerstörung jeglicher Lebensplanung, eine Zukunft in Ungewissheit.«

»Permanenter Schmerz, harte Arbeit, um die Lust am Leben nicht zu verlieren.«

»Die Endometriose macht das Frausein schwer.«

»Einschränkung der Lebensqualität, aber auch die Chance, Selbstfürsorge zu erlernen und positive Veränderungsprozesse anzustoßen.«

»Neue Freundschaften und Zusammenhalt.«

Eindrücke, die nachdenklich machen, die zeigen, dass wir noch viel zu verbessern haben. Denn anders als andere chronische Erkrankungen wird Endometriose oft erst lange nach Beginn der Beschwerden diagnostiziert. Der Leidensweg beginnt aber, wenn der Schmerz beginnt. Dann sind Veränderungen an den Organen (Gebärmutter oder im kleinen Becken) oft noch nicht »sichtbar«, sie sind mikroskopisch oder rein biochemisch, führen aber dennoch zu Schmerzen. Weil »nicht sichtbar« im Anfangsstadium, werden Beschwerden lange sowohl gesellschaftlich als auch medizinisch ignoriert.

Schöner wäre es, wenn sich im Blut Veränderungen nachweisen ließen, wie zum Beispiel beim Diabetes. Hier ist die Kausalität zwischen hohem Blutzucker und Organzerstörung bekannt. Es ist außerdem bekannt, dass durch gute Einstellung der Stoffwechselsituation und konsequenter Therapie Langzeitfolgen wie Gefäßerkrankungen, Sehstörungen, Nierenfunktionsveränderungen und so weiter verhindert werden können. Wir haben einen Messwert, den »Blutzucker«, der eine Überprüfung möglich macht. Jedem ist klar, dass die betroffenen Patienten/innen eine gute medizinische Versorgung brauchen, eine sehr gute Schulung hinsichtlich der Veränderungen, die sich für ihren Lifestyle ergeben, aber auch in Bezug auf die Einschätzung ihrer Symptome.

Diabetes ist vollkommen etabliert in unserer Gesellschaft, denn die Krankheit ist gefährlich und kann sogar zum Tod führen. Auch das Umfeld reagiert in diesem Fall anders als bei Endometriose. Niemand würde einem Diabetiker einfach einen Zuckerkuchen hinstellen. Mit dem Wort »Diabetes« kann fast jeder etwas anfangen, jeder hat eine Vorstellung. Mit dem Wort »Endometriose« hingegen nicht, dabei sind beide Erkrankungen vergleichbar häufig.

Da es für die Endometriose kein biochemisches Messinstrument gibt, sondern der Schmerz meist lange Zeit erst mal der einzige Anhaltspunkt ist, bleibt sie oftmals unerkannt und unbenannt. Nun kann man sagen: Ja, gut, Endometriose ist ja nicht lebensgefährlich. Nein, das ist sie nicht, es geht »nur« um Lebensqualität und um Fertilität. Dadurch erfolgt allerdings auch keine adäquate Schmerztherapie, die Erkrankung kann fortschreiten, und Schmerzchronifizierungsmechanismen können sich entwickeln. Die Weichen sind gestellt. Und das, obwohl die Mehrzahl der betroffenen Frauen mehrfach bei ihren Ärztinnen/Ärzten vorsprechen. Sie suchen Hilfe und bekommen diese nicht.

Wichtig ist, dass Endometriose-typische Beschwerden auch und besonders bei jungen Frauen ernst genommen werden. Es muss eine Anamnese, Untersuchung und Beratung erfolgen. Vor allem sollte genau erklärt werden, wie die Schmerzen entstehen und wie sie sich im Lauf der Jahre verstärken können. Frauen müssen geschult werden, wie sie mit den Schmerzen umgehen können, und sie müssen Erfahrungen sammeln, welche Maßnahmen ihnen guttun und welche nicht. Es muss ein Behandlungskonzept erarbeitet werden, mit dem die betroffene junge Frau gut leben kann, sie muss sich physisch und psychisch wohlfühlen. Es gibt viele Möglichkeiten der Behandlung, auch unter Berücksichtigung von komplementären Verfahren.

Menschen mit Diabetes müssen gleichfalls lernen, damit zu leben, sonst zerstört der hohe Blutzucker die Organe. Nur, hier ist die Kausalität klar, und ein Messwert im Blut ermöglicht und fördert die Anpassung. Endometrioseschmerzen verändern das Leben mit und ohne »Diagnose«, doch mit Diagnose haben die Frauen die Möglichkeit, sich an die Situation psychisch wie physisch anzupassen. Ändern kann man/frau die Diagnose nicht, aber frau kann viel tun, um besser mit ihr leben zu können.

Solange die Gesellschaft und auch die medizinische Versorgung diese Frauen nicht auffangen können, müssen sie dies selbst tun. Darum unterstütze ich Annas Aufklärungsarbeit gern. Denn sie gibt hier einen wertvollen Einblick in ihre Art der Krankheitsbewältigung, lässt teilhaben an ihren Erfahrungen und zeigt damit verschiedene Wege auf, aktiv mit Endometriose zu leben.

Ich begleite Anna Wilken und ihre Krankheitsgeschichte schon seit vielen Jahren, und sie bringt die Endometriose stellvertretend für viele Frauen wohl ziemlich gut auf den Punkt:

Die Endometriose ist ein Teil von mir, und dennoch hat sie sich viele Jahre meines Lebens wie ein großer unsichtbarer Feind in meinem eigenen Körper angefühlt. Eine seelische und körperliche Behinderung ohne Hoffnung auf Heilung. Sie hat mir meine Jugend genommen und bedeutet bis heute eine Einschränkung meiner Lebensqualität. Im sozialen Umfeld bringt sie mir oft Streitigkeiten. Eigentlich hat sie meine gesamte Lebensplanung zerschlagen. Doch all die Herausforderungen, die sie mit sich bringt, haben mich auch stark gemacht. Mittlerweile sehe ich sie eher als eine manchmal sehr lästige Freundin, durch die ich viel über mich selbst gelernt habe.

Als Frieda mit dem Zickenterror begann

Ich erinnere mich noch genau an den Morgen, an dem ich im Halbschlaf das nasse Laken unter mir spürte. Sofort schlug ich die Bettdecke auf und sah einen riesigen Blutfleck. Erschrocken rief ich nach meiner Großmutter, bei der ich übernachtet hatte. Sie war, wie immer, lange vor mir aufgestanden und kam gleich herbeigeeilt. »Dann hast du jetzt wohl deine Periode, Anna«, sagte sie.

Zugegeben, da hätte ich auch selbst draufkommen können, aber im ersten Moment war ich einfach total überrumpelt gewesen. Meine Oma staunte, dass ich »so früh dran« war. Keine meiner Freundinnen hatte schon ihre Tage. Überhaupt waren wir mit gerade mal zwölf Jahren allesamt noch eher kindlich und beschäftigten uns nicht großartig mit dem, was in unseren Körpern an vorpubertären Prozessen ablief.

Doch wenn ich mich heute mit anderen Endometriosepatientinnen über den Zeitpunkt ihrer ersten Regelblutung unterhalte, reagieren sie oft sogar überrascht: »Was, so alt warst du schon?« Einige Endometrioseerkrankte bekommen ihre Regel sogar noch viel früher. Manche bereits im Alter von acht oder neun Jahren. Was übrigens ein erstes Indiz für eine mögliche Endometriose sein kann. Und ich sage hier bewusst »kann«, denn nicht jedes Mädchen, das schon früh ihre Periode bekommen hat, ist betroffen. Auch ich rannte damals nicht panisch zum Frauenarzt. Meine Oma gab mir einfach eine Binde und damit war »die Gefahr« zunächst gebannt.

Agnieszka M., 26 Jahre:

Als ich zehn Jahre alt war, bekam ich meine Periode. Ich werde diesen Morgen niemals vergessen. Nach dem Aufstehen stellte ich auf der Toilette fest, dass ich blutete. Panisch rief ich meine Mutter an, die bereits das Haus verlassen hatte. Sie sagte mir, wo ich Binden fand und ließ sich dann von der Arbeit befreien – das erste von vielen Malen. In der Grundschule kamen während des Unterrichts ganz starke Schmerzen hinzu, und ich spürte, wie große Mengen Blut aus mir herausschossen. Unter einem Vorwand ging ich wieder nach Hause – ebenfalls das erste von vielen Malen.

Erste Beschwerden

So unbemerkt, wie sich meine erste Regelblutung angeschlichen hatte, verhielt es sich mit den folgenden Zyklen allerdings nicht mehr. Intervallartig tauchten die Beschwerden im Bauchraum auf. Natürlich konnte ich diese weder richtig benennen noch lokalisieren. War es der Magen? Der Darm? Der Unterleib?

Meiner Mutter gegenüber sprach ich immer von »Bauchschmerzen«. Da auch sie an übermäßigen Regelschmerzen leidet, ordneten wir die Ursache zunächst meiner Periode zu. Gerade weil ich wirklich starke Blutungen hatte und die stechenden Krämpfe an den ersten Tagen meiner Menstruation oft so heftig waren, dass ich nicht in die Schule gehen konnte.

Gekrümmt vor Schmerzen lag ich im Bett, konnte mich kaum bewegen. Manchmal half es mir, mich mit einer Wärmflasche unter die Decke zu verziehen, aber es gab auch Tage, da ging ohne Ibuprofen gar nichts mehr. Ab dem dritten Tag ließen die Beschwerden dann meist ein wenig nach, und ich konnte mich unter halbwegs erträglichen Schmerzen zumindest wieder in den Unterricht schleppen.

Trotzdem toppten meine Fehlzeiten in der Schule schon bald die meiner Mitschülerinnen. Auch am Sportunterricht konnte ich nicht regelmäßig teilnehmen, womit ich bei meiner damaligen Sportlehrerin auf totales Unverständnis stieß. Jede Frau hätte schließlich ihre Periode und so schlimm wäre das ja wohl nicht, sagte sie immer.

Selbst wenn ich nicht gerade meine Tage hatte, war ich körperlich nicht sehr belastbar, sodass mir meine Mutter ständig Entschuldigungen schreiben musste. Denn irgendwas war immer. Hatte ich mal keine Unterleibskrämpfe, litt ich unter Rückenschmerzen. War der Rücken wieder okay, dann hatte ich Kopfweh. Das Ganze trieb mich regelrecht in den Wahnsinn! Nicht nur weil ich dadurch Probleme in der Schule bekam, sondern auch weil ich in meiner Freizeit dauernd genervt und eingeschränkt war. Zum Beispiel Freunden absagen musste, da ich mit Krämpfen im Bett lag oder einfach zu erschöpft war, um woanders abzuhängen als auf der Couch.

Um abzuklären, warum ich unabhängig von meinem Zyklus ständig tausend Zipperlein hatte, suchten wir letztendlich unseren Hausarzt auf – nach knapp einem Jahr.

Er tastete meinen Bauch ab und stellte mir viele Fragen. Wo genau ich Schmerzen hätte, wie häufig diese auftreten würden und was ich dagegen täte. Anhand der Symptome und aufgrund der Intensität meiner Schmerzen vermutete er die Ursache tendenziell im Unterleib und überwies mich deshalb zum Gynäkologen. Dort sollte ich nach Zysten und anderen möglichen Auslösern untersucht werden. Bis dato war ich noch nie beim Frauenarzt gewesen. Dementsprechend hatte ich ordentlich Respekt vor »meinem ersten Mal«.

Generell stehe ich Ärzten nicht sonderlich entspannt gegenüber. Seit ich mich erinnern kann, hatte ich Angst vor jedem Arztbesuch. Schon als Kleinkind hatte ich dem Zahnarzt einmal in die Finger gebissen, als er versuchte, in meinen Mund zu schauen. Ich selbst erinnere mich nicht an diesen Vorfall, meine Mutter dafür umso besser. Und weil sie mich nun mal kennt wie niemand sonst, war ihr sofort klar, dass ich nicht gerade scharf darauf war, auf einen gynäkologischen Stuhl zu klettern. Schon gar nicht bei einem fremden Arzt, von dem sie selbst nicht wusste, wie er mit seinen Patientinnen umging. Darum bekniete sie die Sprechstundenhilfe der Frauenarztpraxis, in der sie selbst Patientin war, mich ausnahmsweise noch aufzunehmen. Eigentlich hatte diese nämlich Annahmestopp.

2009 : Mit 13 der erste Besuch bei der Gynäkologin

Frühmorgens, noch vor der Schule, setzte meine Mutter mich dort ab. Während sie das Auto parkte, ging ich schon mal zur Anmeldung und nahm anschließend im Wartezimmer Platz. Ich machte mir fast in die Hosen vor Angst, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Ständig musste ich aufs Klo. Ich kannte niemanden, der so eine schwache Blase hatte wie ich. Und wenn meine Blase richtig voll war, tat es beim Wasserlassen auch weh. Also rannte ich noch mal schnell zur Toilette. Nicht dass ich während der Untersuchung plötzlich musste.

Apropos Untersuchung: Musste das Ganze wirklich sein? Ich wollte einfach nur weg hier …

In der Zwischenzeit war meine Mutter eingetroffen. »Du musst keine Angst haben, Anna. Die Ärztin ist wirklich vorsichtig«, versuchte sie, mich zu beruhigen.

Aber was von ihr bloß nett gemeint war, machte mich nur noch nervöser – und meine Mutter musste als Ventil herhalten.

»Hör auf, mir vorzuschreiben, wovor ich Angst haben darf und wovor nicht!«, fuhr ich sie an. Ungerechterweise, wie mir heute klar ist, aber panische Dreizehnjährige sind nun mal selten gerecht.

Wahrscheinlich war mein Zickenterror letztendlich der Grund dafür, dass sie bei der Untersuchung gar nicht dabei war. In meinem Zorn hatte ich behauptet, ich brauche sie nicht – was ich später im Behandlungszimmer schwer bereute. Denn als mein Blick auf diesen Stuhl fiel, der leider sehr an ein Folterinstrument erinnerte, hätte ich sie schon gern dabeigehabt. Dieser Anblick war zu viel für meine Nerven. Genau in dem Augenblick, in dem die Gynäkologin das Zimmer betrat, brach ich in Tränen aus.

Doch gleich wurde mir klar, warum meine Mutter so viel darangesetzt hatte, dass genau diese Frauenärztin mich untersuchen würde. Sie war sehr einfühlsam und schaffte es schnell, mich zu beruhigen, indem sie mir ganz genau erklärte, wie wir gleich vorgehen würden. Sie zeigte mir, welche Instrumente sie bei der Untersuchung benutzen würde und versicherte, dass ich jederzeit Bescheid geben könnte, wenn mir etwas unangenehm wäre.

Ich wiederum erzählte ihr davon, wie oft ich aufgrund der Schmerzen nicht in die Schule gehen konnte oder Treffen mit Freunden absagen musste.

Nachdem wir also ausführlich miteinander gesprochen hatten, stand der gefürchtete Moment der körperlichen Untersuchung an. Den unteren Teil meines Körpers freigemacht, kletterte ich auf den Stuhl, legte meine Beine rechts und links in die dafür vorgesehenen Stützen, sodass die Frauenärztin mit ihrem Hocker genau zwischen meinen Schenkeln Platz nehmen konnte.

Dass es ein Gerät gibt, mit dem man einen inneren Ultraschall macht, war mir völlig neu. In den ganzen Krankenhausserien im Fernsehen zeigen sie einem ja immer nur den süßen Klassiker: ein bisschen Gel auf einen kugelrunden Schwangerschaftsbauch auftragen, fertig. Niemand käme da auf die Idee, der Patientin einen Ultraschallkopf vaginal einzuführen. Doch genau das musste die Ärztin tun, um meinen Uterus, die Eierstöcke und die Eileiter genau untersuchen zu können.

Zu Beginn war es etwas unangenehm, eine Art Druckgefühl, aber weil ich genau wissen wollte, wie mein Körper funktioniert, konzentrierte ich mich darauf, der Frauenärztin aufmerksam zuzuhören, die mir wirklich jeden einzelnen Schritt erklärte – das lenkte mich ab.

Nachdem sie mich noch abgetastet und einen Abstrich genommen hatte, setzten wir uns wieder an ihren Schreibtisch.

»Es gibt da so was …«, begann sie. »Die Krankheit nennt sich Endometriose.«

Endo-was? Durch meinen Kopf tanzten lauter Fragezeichen. Was sollte das denn sein?

Nur bruchstückhaft drang ihre Erklärung zu mir durch. Irgendwas von wucherndem Gewebe außerhalb des Uterus, das stark der Gebärmutterschleimhaut ähnelt. Was auch immer sie mir damit sagen wollte, sie hätte es auch auf Chinesisch tun können, denn ich verstand kein Wort.

Da man diese Erkrankung nicht per Ultraschall diagnostizieren kann, sondern nur durch eine Bauchspiegelung, sprach die Ärztin zunächst nur von einem Verdacht. Die Symptomatik war ihr nicht eindeutig genug, um einer Dreizehnjährigen zu einem operativen Eingriff unter Vollnarkose zu raten. Stattdessen wollte sie erst einmal versuchen, meine Symptome zu behandeln. Darum verschrieb sie mir die Pille. Die Einnahme der Hormone zielt darauf ab, die Menstruation zu unterdrücken und auf diese Weise die Regelschmerzen auszuschalten. Damit der Zyklus möglichst lange unterbunden wäre, sollte ich nur alle drei Monate eine Pillenpause einlegen.

Mit dem Rezept für die Antibabypille und einem Flyer, der über dieses »Endo-was?« informierte, entließ sie mich.

Auf dem Weg zur Schule erzählte ich meiner Mutter, was unsere Frauenärztin vermutete. Auch sie hatte nie zuvor von dieser Krankheit gehört. Umso beruhigter war sie wohl, zu hören, dass die Ärztin mir etwas verschrieben hatte, was diesen Verdacht im Nirwana verschwinden lassen sollte.

Endlich Erleichterung

Die Pille brachte zunächst tatsächlich eine Linderung der Beschwerden. Ganz schaltete sie sie zwar nicht aus, aber immerhin waren die Schmerzhochphasen rund um den Zeitpunkt meiner Periode deutlich abgemildert. Damit reduzierten sich auch die Fehltage in der Schule. Nur der dämliche Vierer in Sport blieb mir erhalten, obwohl ich viel öfter versuchte, am Unterricht teilzunehmen. Die Pille konnte zwar meinen Regelschmerzen entgegenwirken, aber nicht meiner Unsportlichkeit.

Auf diese Weise war der Alltag zu bewältigen. Weshalb ich die Frage, was genau meine Schmerzen verursachte, nicht sonderlich hartnäckig verfolgte – auch wenn die Erinnerung an dieses »Endo-was?« immer wieder in meinem Hinterstübchen aufflammte. Vor allem dann, wenn mich die Krämpfe alle drei Monate wieder quälten.

Zwar hatte ich mir damals schon mein erstes Buch über Endometriose bestellt – Leben mit einem Chamäleon von Johanna Helen –, doch letztendlich ließ ich mich von der Zurückhaltung der Ärztin, was diesen Verdacht betraf, und den abwiegelnden Worten meiner Mutter immer wieder von der richtigen Fährte abbringen. Obwohl mein Bauchgefühl vom ersten Moment an leise geflüstert hatte: »Da könnte was dran sein …«

Aber wenn man so jung ist, lässt man sich eben von Erwachsenen stark lenken – von den Eltern ebenso wie von den Ärzten. Dazu kommt, dass der Mensch prinzipiell dazu tendiert, seinen Ängsten erst mal aus dem Weg zu gehen. In dieser Hinsicht ging es mir wie den meisten.

So bekam mich meine Gynäkologin auch nur dann zu Gesicht, wenn ich ein neues Pillenrezept brauchte. Sicherlich sprachen wir während dieser Termine die Vermutung »Endometriose« auch immer mal wieder an, doch es blieb bei dem vagen Verdacht.

Andere Symptome, die im Lauf der Zeit hinzukamen, schob ich auf tausend Dinge in meinem Leben, nur nicht auf eine mögliche Endometrioseerkrankung. Der Reizdarm lag demnach am Stress in der Schule und meine psychische Verfassung an der Pubertät.

2013 : Mit 17 der erste heftige emotionale Tiefpunkt

Als meine geliebte Großmutter an Alzheimer und Parkinson erkrankte, ignorierte ich meine persönlichen Befindlichkeiten wieder mal völlig. Für mich brach eine Welt zusammen, denn Oma Gerdi war für mich wie eine zweite Mutter.

Seit meiner Geburt war sie eng in mein Leben eingebunden gewesen. Meine Großeltern hatten damals ganz in unserer Nähe gewohnt und ich fuhr auf meinem türkisfarbenen Hollandrad immer zu ihnen. Sie hatten es mir geschenkt, damit ich sie besuchen konnte, wann immer ich wollte. Ich nannte es »meine Gazelle« – eigentlich war das bloß die Marke, aber es passte auch in anderer Hinsicht gut: Denn damit war ich flink wie eine Gazelle.

Oft blieb ich über Nacht bei meinen Großeltern, manchmal sogar unter der Woche und definitiv immer dann, wenn Oma meine Leibspeise kochte: gestampfte Möhrchen – bis heute mein Lieblingsgericht.

Als ich vierzehn war, zogen meine Eltern und ich um, weil wir ein Haus bauten. Der Weg zu Oma und Opa war nicht mehr mit meiner Gazelle zu bewältigen. Für meine Mutter hätte das bedeutet, jeden Tag eine halbe Stunde zwischen unserem Haus und dem Zuhause meiner Großeltern hin und her zu pendeln, um meine kranke Oma zu pflegen. Darum kam schon während der Bauphase unseres neuen Heims der Gedanke auf, eine Einliegerwohnung für meine Großeltern einzuplanen.

Für die nächsten zwei Jahre führte mein Weg nach der Schule zu Oma und Opa. Mama, meine Großeltern, Omas Pflegerin und ich aßen gemeinsam zu Mittag, anschließend unterhielten wir uns, schauten Bilder an, spielten Mensch ärgere dich nicht oder Rummikub. Meiner Mutter und meinem Opa präsentierte ich ständig die neuesten Ergebnisse meiner Internetrecherchen zum Thema Alzheimer. Doch mit fortschreitendem Verlauf von Omas Krankheit ging es mir irgendwann hauptsächlich darum, einfach noch so viel Zeit wie möglich mit ihr zu verbringen, ihr Gesellschaft zu sein. Auch für meinen Opa war es wichtig, dass ich die beiden viel besuchte und ihm eine Ansprechpartnerin war, während Oma immer mehr verstummte.

Dabei zuzusehen, wie meine Großmutter sich geistig mehr und mehr von uns entfernte, machte mir schwer zu schaffen. In der Zeit war ich oft niedergeschlagen, hatte Bauch- und Kopfschmerzen. Der emotionale Stress setzte mir sehr zu, und ich schob all meine körperlichen Beschwerden auf meine psychische Verfassung. Meiner Mutter gegenüber erwähnte ich meine Beschwerden so gut wie gar nicht. Bei allem, was sie in dieser Zeit durchmachen musste, wollte ich ihr nicht noch zusätzliche Sorgen bereiten.

Daher konnte ich von Glück reden, dass mein damaliger Klassenlehrer äußerst verständnisvoll war. Mich vom Unterricht entschuldigte, wann immer Termine mit Oma anstanden, und beide Augen zudrückte, wenn ich unkonzentriert in der Klasse saß. In den letzten Tagen, bevor meine Oma starb, durfte ich sogar mein Handy im Klassenzimmer angeschaltet lassen, damit ich jederzeit erreichbar war.

Als meine Großmutter schließlich für immer einschlief, war ich sechzehn Jahre alt. Ihr Verlust riss mir den Boden unter den Füßen weg. Auch im Leben meiner Mutter und selbstverständlich meines Großvaters hinterließ ihr Tod eine riesige Lücke, denn alles in diesem Haus erinnerte uns an sie. Daheim zu sein, war für mich zu der Zeit wirklich kaum auszuhalten, weswegen ich viel Ablenkung suchte. Die fand ich vor allem bei meinen Freunden und glücklicherweise auch in einem neuen Projekt: Meine Teilnahme an Germany’s Next Topmodel.

Agnieszka M., 26 Jahre:

Mit sechzehn hatte ich meine erste Panikattacke. Mit dem Reisebus befanden wir uns auf der Rückfahrt von einer Sprachreise in England. Ich saß neben meinem besten Freund am Fenster, als ich mitten in der Nacht von Krämpfen aufwachte. Meine Periode kam zu früh. Ich hatte keine Binden oder Tampons dabei. Deshalb stopfte ich mir in der Bustoilette Klopapier in die Unterhose und hoffte, die Fahrt würde nicht mehr allzu lange dauern. In der Embryonalstellung lag ich auf der Sitzbank im Bus. Meine Mutter holte mich an der Schule ab. Auf dem Nachhauseweg wurde mir auf einmal ganz warm, dann gleich wieder kalt. Alles drehte sich. Meine Mutter hielt das Auto an, damit ich frische Luft schnappen konnte, aber es half nichts. Zum Glück ist sie medizinisch geschult und wusste, wie sie mich beruhigen konnte.

2013 : Germany’s Next Topmodel

Vier Monate nach meinem siebzehnten Geburtstag war die Bewerberrunde für die neue Staffel von Germany’s Next Topmodel angelaufen. Meine Freunde und Mitschüler lagen mir seit Ewigkeiten mit dem Thema in den Ohren, weil ich schon immer so groß und schlank war.

»Mach doch mal bei GNTM mit!«, sagten sie immer.

Mich tatsächlich zu bewerben, war eigentlich eine ganz spontane Idee, hatte aber den positiven Begleiteffekt, dass ich mal auf andere Gedanken kam. Ich hatte schon immer Freude daran gefunden, für Familienaufnahmen beim Fotografen zu posieren oder just for fun Shootings mit meinen Freundinnen zu machen.

Bei meiner Mutter kam mein neuestes Hirngespinst allerdings überhaupt nicht gut an, weil sie sich gleich die Konsequenzen ausmalte. Wochenlanger Schulausfall und so weiter. Sie war strikt dagegen, dass ich meine guten Leistungen in der Schule aufs Spiel setzen wollte, bloß um aus Spaß bei einer Castingshow mitzumachen. Also zog ich das Ding heimlich gemeinsam mit meinem Stiefvater durch. Ein Tag nach dem damaligen GNMT-Finale setzten wir uns gemeinsam an den PC und füllten meine Online-Bewerbung für die nächste Staffel aus.

Für mich war Hannover der nächstgelegene Veranstaltungsort, und obwohl meine Mutter meine Teilnahme nicht gerade befürwortete, begleitete sie mich damals zusammen mit einer Freundin von mir zu dem »Vorlaufen«.

Ehrlich gesagt hatte niemand von uns damit gerechnet, dass ich mich für die Show qualifizieren würde. Als einige Wochen später dann der entscheidende Anruf kam, wurde mir klar: Das nächste Mal, wenn ich einen Laufsteg betreten würde, müsste ich mich vor Heidi beweisen! Bei diesem Gedanken wurde mir ganz anders. Doch zugleich war ich von diesem Moment an richtig angefixt vom dem Projekt – endlich. Ich fühlte mich unsagbar aufgeregt, und gleichzeitig fand ich die Vorstellung erleichternd, mal eine Weile von zu Hause rauszukommen. Wegzukommen aus der Umgebung, in der mich alles an meine Großmutter erinnerte. Darum wünschte ich mir damals sehr, dass ich vor der prominenten Jury bestehen können würde.

Tatsächlich war ich dann aus dieser Castingrunde das erste Mädchen, das weiterkam. Ich war happy! Innerlich verabschiedete ich mich schon mal übermütig von meiner damaligen Klassenlektüre: Tschö Goethe, zum Teufel mit Faust!

Vielleicht ein wenig voreilig, denn immerhin standen mir noch einige Runden bevor, doch genauso war es damals – alles ging plötzlich wahnsinnig schnell. Ich durchlebte eine rasante und aufregende Zeit, die mich nicht nur von der Trauer um meine Großmutter ablenkte, sondern auch von meinen Beschwerden.

Obwohl ich während der Wochen, in denen ich mit Germany’s Next Topmodel unterwegs war, zehnmal häufiger beim Arzt antanzte als meine Mitstreiterinnen: Andauernd kämpfte ich mit Verstopfung, musste hin und wieder sogar Abführmittel nehmen. Damals schob ich die Verdauungsprobleme hauptsächlich auf Stress, unregelmäßige Essenszeiten, wenig Ruhe und mangelnde Privatsphäre für Badezimmerangelegenheiten. Auch der psychische Druck war nicht zu unterschätzen. Tagtäglich abliefern zu müssen, so weit von zu Hause weg zu sein – ich vermisste meine Familie.

Modelalltag unter Beschwerden

All diese emotionalen Stressfaktoren fütterten im Lauf der nächsten sechs Monate meine Beschwerden. Der Leistungsdruck brachte mich an meine Grenzen. Auf Schritt und Tritt von Kameras begleitet zu werden, all meine Emotionen und Erfahrungen im Fernsehen zu teilen, wurde zu einer nervlichen Belastung, die ich nicht länger ertrug. Darum entschied ich mich dazu, die Castingshow freiwillig zu verlassen. Doch selbst als die Dreharbeiten für mich beendet waren, wurde mein Leben nicht ruhiger. Ganz im Gegenteil: Um mein Portfolio zu erweitern, jagte anfangs ein Testshooting das nächste. An manchen Tagen klapperte ich bis zu sechzehn Castings ab und ergatterte natürlich auch den ein oder anderen Modeljob. In der Praxis bedeutete das essen zwischen Tür und Angel, früh aufstehen, spät ins Bett gehen, von einer Stadt in die nächste tingeln, aus dem Flieger in den Flieger, permanent aufgeregt und angespannt sein. Bekomme ich den begehrten Job? Wird der Kunde mit mir zufrieden sein?

Für meinen Darm war das die Hölle. Verstopfung und Durchfälle wechselten sich ab, und auch Unterleibskrämpfe machten mir hin und wieder jobtechnisch einen Strich durch die Rechnung. Vor allem wenn Shootings in der Kälte stattfanden, geriet ich oft an meine Grenzen und stieß damit bei Auftraggebern und meinem damaligen Management nicht gerade auf Verständnis.

Stress, Höchstleistungen vollbringen – es gab sicher genug Gründe, auf die ich meine körperliche Verfassung hätte schieben können. Nichtsdestotrotz poppte der Gedanke »Endometriose« immer mal wieder auf, und im Gegensatz zu früher ließ sich diese Vermutung nicht mehr so leicht abschütteln. Je älter ich wurde, desto mehr entwickelte ich ein Gefühl für meinen Körper, und ich spürte einfach, dass irgendwas mit mir nicht stimmte. Mir wurde klar, dass ich mit jemandem sprechen musste, der mehr Expertise auf dem Gebiet hatte als die Frauenärzte, die ich bisher konsultiert hatte.

2014 : Mit 18 in die Endometrioseklinik

Meine damalige Gynäkologin verwies mich an eine Klinik, die auf Endometriosepatientinnen spezialisiert ist. Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag nutzte ich meine neugewonnene Freiheit, allein mit dem Auto dorthin zu fahren.

Ich war extrem aufgeregt, zum ersten Mal mit Fachärzten über meine mögliche Erkrankung zu sprechen und versprach mir wirklich viel von dem Termin – keine Fragezeichen mehr, endlich ernst genommen werden! Vielleicht könnten die Spezialisten sogar schon anhand diverser Untersuchungen und Berichten meinerseits einschätzen, inwiefern ich wirklich betroffen war?!

Glaubt mir, ich würde euch jetzt an dieser Stelle so gern erzählen, dass der Termin ein Erfolg auf ganzer Linie war, euch die Adresse nennen und zum Oberguru aller Endometriosegurus schicken, doch ich hatte weder das Gefühl bei Experten gelandet zu sein noch interessierte sich jemand dafür, wie es mir ging. So sauer, wie ich damals auch darüber war, im Lauf der Jahre und im Austausch mit anderen Endosisters habe ich leider feststellen müssen, dass es viele solcher enttäuschenden Stationen auf der Suche nach Antworten und Unterstützung gibt, wenn es um die Endometriose geht.

Zum damaligen Zeitpunkt sah ich durch diese Erfahrung einmal mehr meine »bissige« Haltung den meisten Ärzten gegenüber als bestätigt. So schnell würde mich keine Praxis, keine Klinik wieder von innen sehen!

Also schob ich das Thema erneut schön weit weg. Es war vor allem der Ablenkung durch meinen rasanten Alltag geschuldet, dass ich meinen Wehwehchen zudem kaum Aufmerksamkeit schenken konnte.

Sommer 2014 : Berlin ruft