Cover

Kurzbeschreibung:

Der zweite Teil der »Biker Tales«-Reihe!

Nach einem dramatischen Beziehungsende muss Bea wieder einmal neu anfangen. Da sie noch dazu in finanziellen Schwierigkeiten steckt, hat sie keine andere Wahl, als zunächst von New York in das Provinzkaff Wolfville, Nevada, sprich, zu ihrer gleichgültigen, alkoholkranken Mutter zurückzukehren. Dort will sie nur so lange bleiben, bis sie einigermaßen auf die Beine gekommen ist, doch dann trifft sie auf einen alten Schulschwarm. Charlie erinnert noch immer an den Jungen von damals, ist aber inzwischen Vizepräsident des hiesigen Motorradclubs und Ärger steht ihm förmlich auf die Stirn geschrieben. Bea versucht, sich von dem Outlaw fernzuhalten und ihren Plan, Wolfville zu verlassen und ein besseres Leben zu führen, schnellstmöglich durchzuziehen. Sie scheitert jedoch kläglich an Charlies Anziehungskraft und den wieder aufkeimenden Gefühlen aus Schultagen. Schließlich lässt sie sich entgegen aller Vernunft auf ihn und den Club ein – mit schwerwiegenden Folgen ...

Sandra Binder

Biker Tales 2

Gefangen im Feuer

Roman






Edel Elements

Prologue – Charlie

Wir alle treffen Entscheidungen. Jeden Tag. Manche sind leicht, andere kompliziert, und wieder andere bringen uns fast zum Verzweifeln. Aber das Schwierige ist nicht, sie zu fällen, sondern mit ihnen zu leben.

Niemand weiß, ob er die richtige Entscheidung getroffen hat oder nicht, denn wir sind gezwungen, das Leben vorwärts zu leben, obwohl es erst rückwärts Sinn ergibt.

Ich habe in meinem Leben viele Entscheidungen getroffen, und vielleicht waren einige davon falsch, das mag stimmen. Aber ich hatte niemals Angst davor, meinen eigenen Weg zu gehen. Im Gegenteil. Ich selbst zu sein und zu dem zu stehen, was ich tue, ist die einzige Möglichkeit für mich, dem Kerl im Spiegel morgens in die Augen zu sehen.

Angst … Das ist ein Gefühl, das ich mir schon als Kind abgewöhnen musste. Mein Adoptivvater sah es nicht nur als Schwäche an, er nutzte meine Ängste dazu, mich stets an der schmerzhaftesten Stelle zu treffen. ›Abhärten‹, nannte er das. Oder ›impfen‹.

Als Kind hatte ich fürchterliche Höhenangst. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie er mich bei unseren Wanderungen ohne Sicherung von den höchsten und gefährlichsten Felsen klettern ließ und mich verprügelte, wenn er danach nur eine Träne in meinen Augen schimmern sah.

»Schlappschwanz!«, brüllte er mich dann an. »Du willst ein Mann werden – dann heul nicht.«

Die Zeit mit Rektor Brown hätte einen Psychopathen aus mir machen müssen, doch stattdessen lernte ich, jedwede Scheiße zu ertragen und dabei ruhig zu bleiben. Ich lernte, förmlich aus meinem Körper zu gleiten, kurzzeitig nicht mehr da zu sein, und so die Furcht zu umgehen. Manchmal tue ich das heute noch. Aber es gibt Situationen, in denen die Angst stärker ist und diesen Schutzschild niederreißt.

Meine Erinnerung mag mich trügen, ich glaube jedoch, bisher nur zwei Mal in meinem Leben richtige Panik gehabt zu haben. Eine von denen, die dir den Magen umdrehen, dich gedanklich lähmen und dir klarmachen, dass du nur verlieren kannst, egal, was du jetzt tust.

Das erste Mal war es an dem Tag gewesen, an dem ich den Advocates meine Loyalität beweisen sollte. Damals war ich noch Prospect beim Vegas-Chapter und bekam die Aufgabe, unserem Pres die Kutte eines Bribons zu bringen. Das hieß so viel wie: Knall einen unserer Feinde ab, damit wir wissen, dass du weder zu ihnen noch zu den Cops gehörst.

Die Clubs lagen zu der Zeit noch im Clinch, und es war nicht leicht, unbemerkt in ihr Territorium einzudringen, aber ich war schon immer ein guter Planer. Ich wählte einen von ihnen aus, brachte in Erfahrung, wo er lebte, arbeitete und welchen Weg er zu seinem Clubhaus nahm. Ich wusste genau, wie ich es anstellen musste, ohne bemerkt zu werden, doch auch der beste Plan funktioniert nicht, wenn man sich nicht daran hält.

Mein Verstand hatte irgendwo auf dem Weg von Vegas nach Reno ausgesetzt, vermutlich auf Höhe Wolfville, denn ich fand mich urplötzlich im Haus meines Adoptivvaters wieder. Ich war den halben Weg zum oberen Stockwerk hinaufgegangen, ehe ich wie aus einem Traum erwachte und die Glock in meiner einen sowie das Messer in meiner anderen Hand beäugte. Ich erinnerte mich zwar nicht mehr, wie ich hergekommen war oder das Haus betreten hatte, aber eines wusste ich in diesem Moment mit absoluter, schreckensklarer Sicherheit: Der Wichser musste sterben.

Hitze stieg in mir auf, und mein Herz klopfte heftig gegen meine Rippen, als ich den Weg ins Schlafzimmer fortsetzte. Es war noch nicht spät, aber ich kannte Brown gut genug, um zu wissen, dass er im Bett lag und las, anstatt wie der Großteil der Amerikaner vor der Glotze zu hocken. Es war ihm immer ein Bedürfnis gewesen, sich von den ›einfältigen Normalbürgern‹ abzugrenzen. Und das verlangte er auch von mir.

So kam es, dass ich bereits mit dreizehn Bücher wie Moby Dick, Krieg und Frieden und die Ilias gelesen hatte. Verstanden ebenso, denn er ließ mich jeden Sonntag ein Referat über meine Lektüre halten. Und war es nicht ausführlich genug, zog er mir einen Kochlöffel über den Schädel und ließ es mich noch einmal schreiben und vortragen.

Dieses Mal, so schwor ich mir, wäre er es, der etwas über den Schädel gezogen bekam. Dieser Sadist, der mich adoptiert hatte, um sein eigenes, formbares Spielzeug zu besitzen, würde nun die Quittung erhalten. Denn ich war nicht formbar. Und das würde er gleich erfahren.

Langsam schob ich die Tür auf. Er bemerkte mich sofort, bewegte sich jedoch keinen Millimeter, sondern blickte nur träge von seiner Lektüre auf und verzog die wulstigen Lippen.

»Was willst du jetzt tun, Junge?« Seine Stimme klang gelangweilt und einen Hauch belustigt. »Kommst hier an in deiner weibischen Lederkluft und meinst, du könntest einmal im Leben etwas zu Ende bringen?« Er lachte heiser auf und senkte den Blick auf sein Buch. »Bisweilen sind es doch die Gene und nicht die Erziehung, die einen Menschen ausmachen. Gott weiß, ich habe mein Bestes getan.« Er blätterte die Seite um und beachtete mich nicht weiter. Er dachte wirklich, er hätte rein gar nichts von mir zu befürchten.

Innerlich kochte ich, äußerlich blieb ich jedoch ruhig. Die Glock steckte ich zurück ins Holster, nahm stattdessen das Messer in die rechte Hand und ging zum Bett.

Brown blickte entnervt seufzend zu mir auf, als wollte er fragen, wieso ich seine Zeit verschwendete. Einen Herzschlag lang war es vollkommen still, die gesamte Welt hatte den Atem angehalten, dann stach ich das Messer direkt in seine Halsschlagader und zog es sofort wieder heraus. Ich sagte nichts – keine Abschiedsworte, keine Begründung, nichts, was man in den Filmen immer sieht. Ich verspürte kein Bedürfnis dazu.

Das Blut pumpte aus seinem Hals und durchtränkte die weißen Laken. Mein Adoptivvater blickte mit großen Augen zu mir auf. Er war überrascht, hatte nicht erwartet, dass ich tatsächlich diesen Mut aufbringen würde. Und während ich zusah, wie das Leben aus ihm wich, wunderte ich mich selbst darüber.

Mein Herz raste, meine Handflächen waren derart feucht, dass mir fast das Messer aus den Fingern rutschte, und Schweiß perlte auf meiner Stirn. Mir wurde unwiderruflich klar, dass ich damit eine Grenze überschritten hatte.

Ich hatte einen Menschen aus Rache getötet. Und ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, zu was für einen Mann mich das machen würde.

Ich wusste, dass diese Aktion mein gesamtes restliches Leben veränderte. Und als ob mir das nicht schon eine Scheißangst eingejagt hätte, kam noch hinzu, dass ich mich trotzdem frei und gerecht fühlte. Von einem Moment auf den nächsten war ein anderer Mann aus mir geworden, und ich hatte keinen Schimmer, welchen Weg dieser Kerl einschlagen würde.

Es war eine dieser Entscheidungen, die mich ins Ungewisse führte und meine Zukunft veränderte – und von der ich erst am Ende meines Lebens wissen werde, ob sie richtig war.

Inzwischen glaube ich, dass der Tod nicht unbedingt das Gefährlichste am Leben ist. Vielleicht habe ich mich allmählich an ihn gewöhnt. Es ist vermutlich wie bei allen harten Aufgaben im Leben; irgendwann bekommt man Hornhaut an den Stellen, die man oft benutzt und wird dort gefühllos. Vielmehr als den Tod fürchte ich das Leben. Das, was es einem nimmt und wiedergibt.

Ich schwöre, nicht einmal mein erster Mord ließ mich derart verzweifelt zurück wie mein Wiedersehen mit Bea.

Sie stand auf der anderen Straßenseite, sah mich nur an mit ihren unergründlichen braunen Augen, und ich wusste, diese Scheiße konnte ich nicht kontrollieren. Sie würde mich entweder ins Glück oder ins Verderben stürzen. Himmel und Hölle standen für uns offen, und ich musste einmal mehr eine Wahl treffen.

Ich habe mich entschieden, für uns zu kämpfen, auch wenn es mir eine Scheißangst machte, und auch wenn ich wusste, dass es mich umbringen konnte. Aber ich glaubte fest daran, dass es das wert wäre. Ich musste sie davon abhalten, mich noch einmal zu verlassen.

Scheiße, ich könnte alles verlieren. Alles. Aber nicht sie.

Interlude – Just a friend

Nachdem Darlene den sternhagelvollen Don endlich mit Hilfe von Syd und Misha ins Auto manövriert hatte, war Emma allein mit den Prospects. Scar hockte an der Bar und nuckelte an einem Bier, schweigsam wie immer, und Lucky und Woods – Dick und Doof, wie B sie nannte – stellten die Stühle auf die Tische, damit sie den Boden fegen konnten.

An normalen Clubabenden war es nicht anders als im Courtroom, wenn die letzten Gäste fort waren. Sofern keine Party stattfand, wurde der Raum gleich sauber gemacht und Getränke für den nächsten Tag aufgefüllt. Emma blieb jedes Mal. Das Aufräumen und Abschließen fühlte sich an wie ihre Aufgabe. Ihre Club-Pflicht – obwohl es eigentlich die der Prospects war.

Sie hörte ein Motorrad knattern, Syds Bike, danach fuhr ein Auto vom Hof. Klang wie ein Truck, also war es Darlene. Kurz darauf ging die Tür auf, und Misha marschierte in den Raum.

»Jacke vergessen«, sagte sie bloß, ging zur Couch und schnappte sich ihre Jeansjacke, ein schickes Teil mit Fransen an den Nähten und einem auffälligen SAW-Aufnäher an der Brust.

Diesen Patch, das Zeichen dafür, dass eine Frau unter dem Schutz der Satan’s Advocates Wolfville standen, bekamen nur die old Ladys der Member. Bea würde ihn wohl auch bald an der Jacke tragen, überlegte Emma. Sie hatte sich immer einen gewünscht, aber anscheinend war ihr dieser Patch nicht vergönnt.

Seufzend schlenderte sie zum Spülbecken, griff nach einem Lappen und wischte vorsichtig über das helle Holz der Theke. Lenny hatte sie selber gebaut, und obwohl Emma keine Ahnung von Holzarbeiten hatte, konnte selbst sie sehen, dass der Schreiner es drauf hatte. Deshalb war er wohl derart pingelig und bestand darauf, dass das Interieur des Clubhauses picobello sauber gehalten wurde.

Jeder neue Prospect wurde deutlich darauf hingewiesen, wie er mit der Theke, den Schränken und Tischen umzugehen hatte. Es war geradezu rührend, wie liebevoll Lenny seine Arbeit schützte.

»Was ist mit dir?« Mishas Stimme erklang derart nah neben ihrem Ohr, dass Emma zusammenzuckte.

Erst jetzt bemerkte sie, dass sie beim Wischen lächelte. »Ach, ich musste gerade nur daran denken, wie sehr Lenny sein Holz liebt.«

»Hätte er sich nur halb so liebevoll um Lydia gekümmert, wäre er heute nicht geschieden.« Misha klopfte auf die Theke, setzte zum Gehen an, überlegte es sich dann aber scheinbar anders und wedelte in Scars Richtung. »Geh und hilf den Rüben.«

Wortlos erhob sich der Prospect und ging zu Woods und Lucky hinüber, wo er sich auf die Couch fallen ließ und den beiden beim Fegen zusah. Scar war sozusagen der Dienstälteste unter ihnen und wurde von den meisten Membern bereits wie ein Bruder behandelt. Bestimmt würde er bald seinen Patch erhalten und offiziell zum Club gehören. Deshalb nahm er kein Putzzeug mehr in die Hände, wenn die anderen Anwärter da waren.

Emma riss den Blick von ihm los und wandte sich stattdessen Misha zu, die sie aufmerksam beäugte. »Ist irgendwas?«

»Du scheinst recht dicke zu sein mit der old Lady unseres VP.« Sie betonte die Worte old Lady, als hätten sie in Zusammenhang mit Bea ihre Bedeutung verloren. »Was habt ihr denn ständig zu bequatschen?«

»Ständig?« Emma zuckte mit den Schultern. Es war nun nicht so, als hingen sie andauernd zusammen. Blaze zuliebe bemühte sie sich nur, dass sich Bea im Clubhaus und in der Bar wohlfühlte. Deshalb führte sie etwas Smalltalk und versuchte, die wankelmütige Frau des Vize besser kennenzulernen. »Dies und das. Unverfängliches Zeug eben.«

Misha nickte nachdenklich.

»Du traust ihr nicht, was?«

»Du etwa?« Sie hob eine schwarze Braue. »Das Mädchen ist nicht mit dem Herzen dabei. Vielleicht hat sie was für B übrig, das will ich gar nicht bestreiten, aber den Club duldet sie nur, weil er zu ihm gehört. So ein Scheiß ist gefährlich, Em. Früher oder später verdreht sie ihm derart den Kopf, dass er sich gegen uns stellt.«

»Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich meine, es geht hier nicht um irgendjemanden, sondern um B.« Emma wusch den Putzlappen im Spülbecken und wrang ihn sorgfältig aus, damit das Holz nicht zu nass wurde. »Komm schon, Misha, wir kennen die Frau nicht wirklich. Sollten wir vorerst nicht darauf vertrauen, dass Blaze und Chick wissen, wen sie uns da anschleppen?«

»Nein, denn die Kerle denken ausschließlich mit ihren Schwänzen. Hast du das immer noch nicht kapiert?« Misha verschränkte die Unterarme auf der Theke und beugte sich zu ihr herüber. »Das Mädchen ist hübsch, anders als die Landpomeranzen hier, und nicht leicht zu haben. Männer standen schon immer auf die, die sie jagen müssen. Dadurch denken sie an nichts anderes mehr. Und genau deshalb können wir nicht darauf vertrauen, dass unser VP weiß, was er tut. Ihre Loyalität zu testen liegt an uns.«

Emma warf den Lappen beiseite, stemmte die Fäuste in die Hüften und blinzelte Misha schnaubend an. »Ich glaub es nicht! Du bist schuld, dass sie verhaftet wurde?!«

Die Frau des Pres versuchte nicht einmal, es zu leugnen, sondern grinste nur sieghaft. »Ich habe lediglich meinen Rathausspitzel aus dem Spiel genommen, damit sie einspringen muss.« Mit unschuldiger Miene hob sie die Schultern. »Ich wollte herausfinden, ob sie dem Club helfen würde. Dass sie sich erwischen lässt, konnte ich schließlich nicht vorherahnen.«

»Scheiße, Misha … Musste das sein?«

Sie verengte die Augen zu finsteren Schlitzen. »Auf wessen Seite stehst du überhaupt?«

»Ich wusste nicht, dass es in unserem Kreis Seiten gibt.«

»Es gibt immer Seiten – das solltest du dir merken.«

Seufzend schüttelte Emma den Kopf. »Sie hat die Informationen beschafft und eine Nacht auf dem Revier verbracht, ohne ein Wort zu sagen.«

»Das beweist einen Scheiß.« Misha blickte zu den Prospects hinüber, die das Gespräch entweder nicht mitbekamen oder diskret weghörten, dann senkte sie ihre Stimme. »Ich habe schon viele Frauen hier rein und auch wieder rauslaufen sehen. Glaub mir, es ist besser, man testet sie am Anfang, wenn sie noch nicht genug wissen, um uns belasten zu können. So schütze ich, was ich liebe.«

»Du bist echt unglaublich.« Emma schüttelte erneut den Kopf. »Wieso kannst du die beiden nicht einfach glücklich sein lassen? Mit deinen Intrigen hetzt du sie nur gegen uns auf. Wir sollten ihr eine Chance geben.«

Misha hob die Brauen. »Wir? Du hast anscheinend vergessen, wo du stehst, meine Süße. Du hast mir gar nichts zu sagen. Sei lieber froh, dass du hier schon so lange geduldet wirst.«

Ihre Worte stachen direkt in Emmas Herz. Eine Frau konnte niemals selbst ein offizielles Mitglied werden, und ohne eine feste Beziehung zu einem der Members gehörte sie im Grunde nicht dazu. Emma war nur eine Freundin des Clubs – das wusste sie schmerzlich genau, auch wenn sie es gerne verdrängte. Es derart ins Gesicht gesagt zu bekommen, traf sie deshalb hart.

»Dieser Club ist meine Familie«, fuhr die old Lady des Pres fort. »Und du bist die Letzte, von der ich mir in meine Familienangelegenheiten reinreden lasse.«

Am liebsten hätte Emma protestiert, immerhin empfand sie den Club ebenfalls als ihre Familie. Aber das Recht dazu hatte sie tatsächlich nicht.

»Nur weil du ein paar der Member vögelst, hast du hier noch lange keine Stimme.« Misha hob einen Mundwinkel. »Fang nicht an zu denken, du seist nicht ersetzbar. Denn für diesen Club, Schätzchen, bist du lediglich eine kostenlose Muschi.«

Emma atmete scharf ein und wich zurück. Ihre Wangen fühlten sich heiß an, als hätte Misha ihr eine Ohrfeige verpasst. Sie wollte sagen, dass sie den Jungs half, wo sie konnte, dass sie nicht nur für sie da war, sondern auch für sie arbeitete, dass sie das Clubhaus in Schuss hielt und Botengänge machte. Aber kein einziges Wort kam ihr über die Lippen.

»Nachdem wir das geklärt haben, hoffe ich, du wirst von nun an etwas kooperativer sein.« Sie wartete, bis Emma zögerlich nickte. »Ich will wissen, was diese Frau von sich gibt, verstanden? Du wirst mir alles erzählen, kein Wort über diese Vereinbarung verlieren und niemals wieder meine Entscheidungen anzweifeln. Klar?«

Emma seufzte. »Klar.«

»Schön.« Lächelnd drückte sie ihr den Arm. »Gute Nacht, Süße.«

Mit den Tränen kämpfend schaute sie der Misha hinterher, als diese zur Tür marschierte und das Clubhaus verließ. Aber zum Teufel, sie würde Misha nicht die Genugtuung verschaffen, ihrer Worte wegen zu heulen.

Einerseits war es verständlich, dass sie Bea nicht vertraute und Beweise für deren Loyalität wollte, aber das war der falsche Weg, da war sich Emma sicher. Allerdings hatte sie, wie die Queen ihr gerade eindrucksvoll verdeutlicht hatte, in dieser Sache keinerlei Mitspracherecht. Dieser Frau war die Macht zu Kopf gestiegen. Da der gesamte Club jedoch sprang, wenn sie es befahl, legte man sich besser nicht mit ihr an.

»Hey, alles klar?« Scar kam zurück zur Theke und musterte Emma abwägend. »Ist Misha mal wieder auf Konfrontationskurs?«

Emma winkte ab, denn ihrer Stimme traute sie momentan nicht, und begann einmal mehr die Theke zu wischen. Scars Blick spürte sie dabei siedend heiß auf sich.

»Sie hat mir mal wieder klar gemacht, wo mein Platz ist«, erklärte sie leise, denn es war ohnehin zwecklos, ihm ausweichen zu wollen.

Scar fing ihre Hand ein, die den Lappen wild über das Holz scheuerte. Er hielt sie nur fest, streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken und sah sie an. Doch für einen winzigen Moment war es, als öffnete sich die Pforte zu seiner Seele, und seine Augen beteuerten ihr stumm, dass sie wertvoll war und zur Familie gehörte.

Laut sagte er allerdings nur: »Wird Lenny nicht gefallen, wenn du seine Theke so misshandelst.«

Emma musste einfach lachen.

Interlude – Scars

Emma stützte den Kopf in eine Hand, zog lustlos an dem Joint und blies den blauen Rauch langsam aus. Es war früher Nachmittag und der Courtroom war noch menschenleer, deshalb genehmigte sie sich eine Flasche Bier und ein bisschen Gras. Um runterzukommen, bevor die ersten Gäste auftauchten.

Sie hatte ein wenig übertrieben, als sie zu Bea sagte, die halbe Bar sei zertrümmert. In Wahrheit gingen lediglich ein Stuhl und ein Aschenbecher zu Bruch – aber reichte das nicht?

Emma war von Bs düsterem Gesichtsausdruck zutiefst erschrocken gewesen, als er in die Bar zurückkam. Sie hatte erfahren, dass er Bea vom Revier abholen würde und schon etwas Derartiges geahnt. Deswegen war sie morgens direkt hergekommen, um die Kühlschubladen neu zu befüllen. Nicht dass sie glaubte, er würde mit ihr über seine Gefühle reden wollen, geschweige denn, sie könnte ihm irgendetwas ausreden oder ihn aufhalten, aber sie wollte wenigstens da sein, um den Jungs die Höhe der Alarmstufe mitteilen zu können. Zehn auf einer Skala von zehn übrigens. Genauso wie gestern.

Noch nie hatte Emma den VP derart verzweifelt gesehen wie in dem Moment, als Bea mit dem Streifenwagen weggefahren wurde. Sobald die Cops abgezogen waren, hatte er sich aufs Bike gesetzt und war losgefahren, um die Sache für seine old Lady zu klären. Glücklicherweise war Pat ihm sofort gefolgt und hatte ihn aufgehalten, bevor B den Zeugen gefunden hatte. Beas Arbeitskollege wäre sonst nicht derart glimpflich davongekommen.

Pat überzeugte seinen VP, die Angelegenheit Smitty und Scar zu überlassen. Die beiden waren ohnehin das perfekte Paar für einen solchen Auftrag: Scar brachte jeden zum Reden, und Smitty war nervös und cholerisch genug, um so unberechenbar zu wirken, dass man lieber tat, was er verlangte. Der Unheimliche und der Irre …

B verbrachte die Nacht währenddessen schlaflos im Clubhaus, fuhr bei Morgengrauen zum Revier und stürmte einige Stunden später seine eigene Bar. Ohne ein Wort schmetterte er einen Stuhl gegen die Theke, marschierte ins Hinterzimmer, wo er in einer Schublade wühlte und über die Hintertür hinauf in seine Wohnung verschwand. Es dauerte nicht lange, da kam er wieder herunter und verließ das Haus genauso wortlos, wie er es betreten hatte. Emma hatte sofort Pat verständigt und hoffte seither, die Jungs fanden ihn, bevor er noch irgendwelche Dummheiten anstellte.

Emma schüttelte schnaubend den Kopf, ehe sie erneut an dem Joint zog und den rauen Geschmack mit einem Schluck Bier hinunterspülte. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass diese Frau Ärger bedeuten würde.

Nichts brachte B für gewöhnlich aus der Fassung. Er war der Ruhepol in diesem chaotischen Advocates-Haufen; derjenige, der seine Glock auf den Tisch legen und übers Wetter plaudern konnte, während seinem Gesprächspartner der Schweiß aus allen Poren brach. Niemand ging ihm jemals so nah, dass er nervös wurde. Bis auf sie.

Diese Frau bedeutete seinen Untergang, wenn sie sich weiterhin weigerte, sich selbst und ihre Gefühle zu akzeptieren. Das war das Problem mit tiefer Liebe – nur aus ihr konnte eine derart reißerische, selbstzerstörerische Wut entstehen, die die Welt in Schutt und Asche legte.

Blaze und Bea hatten nur zwei Möglichkeiten für ihr gemeinsames Leben: Sie zogen an zwei verschiedene Enden der Erde und litten auf ewig Herzschmerzen – oder sie verbrachten jede Sekunde Seite an Seite. Ein Dazwischen gab es in ihrem Fall nicht. Denn ein Teil vom einen würde immer in der Seele des anderen wohnen. Das konnte selbst Emma deutlich erkennen.

Sie hörte die Tür klacken, spürte einen Luftzug und zuckte zusammen. Als sie sich umdrehte, sah sie Scar auf sich zukommen. Der Prospect trug seine übliche schwarze Kleidung – Lederschuhe, Jeans, Hemd und Kutte –, dazu eine Panzerkette und seine riesige Mag Lite am Gürtel.

Die meisten Leute gingen ihm instinktiv aus dem Weg. Kein Wunder, bei einem 1,90 Meter großen Kerl, der kein Gramm Fett am Körper hatte, sondern nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen schien. Außerdem schreckte die Narbe ab, die quer über sein Gesicht lief, sowie der unheimliche Kontrast dieser eisblauen Augen zu seinem pechschwarzen Haar. Dass er sich dazu auch noch beinahe lautlos bewegte, erinnerte durchaus etwas an einen Geist.

Emma musste zugeben, dass sie anfangs ebenfalls ein wenig eingeschüchtert von ihm gewesen war. Heute fragte sie sich allerdings, wieso. Scar wirkte auf den ersten Blick zwar unnahbar und gefährlich, aber allmählich konnte Emma diesen scheinbar undurchdringlichen Gesichtsausdruck recht gut deuten. Momentan schien er besorgt zu sein, weshalb sie sich sofort aufsetzte und ihn erwartungsvoll ansah.

»Ist was passiert? Hat Blaze Ärger?«

Scars Mundwinkel zuckte, was bei ihm fast einem Lachen gleichkam. »Wie kommst du darauf?«

»Du siehst aus, als wär irgendwas.«

»Ist ja auch immer irgendwas.« Er setzte sich neben sie an die Bar, nahm ihr den Joint aus der Hand und zog kräftig daran, bevor er ihn ihr zurückgab. »Wieso sitzt du hier?«

»Ich arbeite hier«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. Ein letztes Mal inhalierte sie den berauschenden Rauch, ehe sie den Stummel im Aschenbecher vor sich ausdrückte.

»Was ist los, Em?« Seine leise Stimme war immer irgendwie samtig, aber mit einem Mal lag etwas ungewohnt Sanftes darin. »Worüber ärgerst du dich?«

Seufzend massierte sie sich die Schläfe und erwiderte seinen Blick. Eine von Scars besten Eigenschaften war wohl, dass ein Freund ihm alles erzählen konnte und er sich eher einen Arm abhacken ließ, als es auszuplaudern. Deshalb vertraute ihm Emma, bevor sie es sich versah, immer wieder Dinge an, die sie sonst niemandem je erzählen würde. Deswegen, und weil sie bei ihm nie das Gefühl hatte, auf ihre Worte achten zu müssen oder verurteilt zu werden.

»Ich verstehe Bea einfach nicht«, räumte sie schließlich ein. »Sie weiß gar nicht, wie glücklich sie sich schätzen kann, und was manche Leute dafür geben würden, so sehr geliebt zu werden. Sie will einen Mann verlassen, dem sie alles auf der Welt bedeutet – um mit Leuten zusammen zu sein, die sie noch nicht einmal kennt und vielleicht niemals finden wird.« Sie schüttelte den Kopf und presste kurz die Lippen zusammen, als sie bemerkte, wie stark sie bebten. »Das ist nicht richtig.«

Überraschend streckte Scar eine Hand aus und berührte Emma an der Wange. Kurz nur, doch für den scheuen Prospect, der sonst jeglichen Körperkontakt vermied, mehr als ungewöhnlich. Auf seinem Zeigefinger entdeckte sie einen glitzernden Tropfen. Scar hatte eine Träne fortgewischt.

Schnaubend fuhr sie mit den Fingern über ihr Gesicht. »Was ist nur los mit mir?«

Bereits bei ihrem Gespräch mit Bea war ihr diese Gefühlsduselei peinlich gewesen. Sonst heulte sie auch nicht so herum – wo kam das auf einmal her?

»Sie hat das, wonach du dich sehnst und erkennt dessen Wert nicht«, fasste Scar zusammen und wischte den Finger an seiner Jeans ab.

Emma schüttelte den Kopf. »Ich habe kein Interesse an B.«

»Von ihm habe ich nicht gesprochen.« Er warf einen Blick zur Tür, um zu prüfen, ob sich jemand heimlich anschlich und sie belauschte. Dann musterte er den Aschenbecher, auf dem eine kleine Säge abgebildet war. SAW – so nannten sich die Satan’s Advocates des Wolfville-Chapters. »Ist bestimmt hart für dich, dass Chick zurück ist.«

Er sah vorsichtig zu ihr auf, als wüsste er nicht, ob er mit der Bemerkung eine empfindliche Grenze überschritt. Daher setzte Emma ein Lächeln auf, wenn es vermutlich auch eher traurig wirkte.

»Nein, eigentlich nicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es war sogar ganz gut, dass er mir wieder klargemacht hat, wo mein Platz ist. Ich bin nun einmal nur eine Freundin des Clubs, kein Member, keine old Lady … Ich habe mir zu viel eingebildet.« Sie hob wie automatisch eine Hand an die Wange, doch dieses Mal blieben ihre Augen trocken. »Jemand wie ich darf eben nicht zu viel erwarten.« Denn im Gegensatz zu Bea war sie für niemanden die Welt und würde es niemals sein.

Scar machte ein merkwürdig brummendes Geräusch und zog die Brauen zusammen. Anscheinend stimmte er ihr nicht zu.

Sie war ihm dankbar für sein Mitgefühl, aber es war nicht nötig. Sie war zufrieden mit dem Leben, das sie führte. Diese seltsame Sensibilität war nur vorübergehend – bis die Sache mit B ausgestanden war. Da war sie sich sicher.

Scar holte Luft, doch bevor er etwas erwidern konnte, klingelte sein Handy. Hastig zog er es aus der Innentasche seiner Kutte, warf einen Blick auf das Display und nahm den Anruf daraufhin augenblicklich entgegen.

»Ja«, sagte er bloß, ehe er denjenigen auf der anderen Seite der Leitung sprechen ließ. Schließlich klappte er das Telefon mit einem knappen »bin gleich da« wieder zu.

Emma setzte sich alarmiert auf. »Was ist passiert?«

Er steckte das Handy zurück, erhob sich und legte die Finger wie instinktiv an die Mag Lite an seinem Gürtel. »Sieht so aus, als hätte unser VP den Ärger gefunden, den er so dringend gesucht hat.«

»Scheiße. Gib Bescheid, falls ich etwas tun kann.«

Zögerlich nickte er, warf ihr einen langen Blick zu und sagte schließlich: »Lass die Sorgen der anderen einfach mal die Sorgen der anderen sein, Em.«

Sie konnte nicht anders, als Scar anzulächeln, was er mit einem erhobenen Mundwinkel beantwortete. Dann marschierte er zum Ausgang und schloss leise die Tür hinter sich.

Emma trank den letzten Schluck ihres Biers und lauschte dem blechernen Geräusch des kaputten Auspuffs an Scars Bike, ehe sie sich ebenfalls erhob.

Sie liebte diese Jungs. Sie waren ihre Familie, deren Sorgen immer die ihren sein würden. Das ließ sich nicht einfach abstellen.

Chapter 10 – Behind Bars

Ich wusste es. Ich wusste, dass es so enden würde!

Das klärt sich schnell, Bea. Sag nichts, hörst du. Ich schicke dir unseren Anwalt. Ich regle das.

Du hast schon genug getan. Siehst du das? Du hast das aus mir gemacht.

Die letzten Worte, die Charlie und sie gewechselt hatten, zogen unablässig durch Beas Kopf, während sie seinen gequälten Blick vor ihrem inneren Auge sah. Er hatte sie angesehen, als wäre er das Opfer.

Bea schnaubte und rieb sich die Handgelenke, dort, wo die Handschellen in ihre Haut gedrückt hatten, als sie abgeführt worden war. Abgeführt und aufs Revier gebracht, hineingesteckt in einen winzigen, stickigen Raum und stundenlang dort vergessen. Dann war endlich Chief Russo zu ihrer Befragung aufgetaucht. Ständig hatte er an seinem Schnauzbart herumgezupft und seine Fragen an die tausend Mal wiederholt, schien jedoch nicht überrascht zu sein, dass Bea nicht antwortete.

Irgendwann – sie hatte das Zeitgefühl verloren – brachte der Chief sie ins Untergeschoss und schubste sie in eine der Zellen. Und hier saß sie nun auf einer harten Pritsche und starrte an die nackte Wand. Das alles erschien ihr wie ein Traum. Ein Albtraum.

Hier eingesperrt zu sein, war Beas persönliches Worst-Case-Szenario. Es war das Ende, das ihr jeder, einschließlich sie selbst, prophezeit hatte, wenn sie in Wolfville und bei Charlie bleiben würde. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Bea war stinkwütend auf ihn und die Jungs, aber am meisten auf sich. Sie war doch stärker, verdammt nochmal, klüger und weitsichtiger. Wieso hatte sie sich von ihm nur auf diese Weise ausnutzen lassen?

Sie liebte ihn zu sehr. Die Liebe zu Charlie war derart tief in ihrem Herzen verwurzelt, dass sie sie wohl nie vollständig herausreißen konnte. Diese Gefühle für ihn waren wie Unkraut – sie kamen ständig durch. Aber wenn sie sich wieder auf die Wut konzentrierte, die sie für ihn fühlte, konnte sie die anderen Empfindungen zurückdrängen und ihn einmal mehr verlassen.

Sie schwor sich, dass sie ihm für diesen fiesen Betrug eine verpassen würde, wenn sie ihn das nächste Mal sah. Der Tod dieser Ratte JJ scherte sie im Grunde sehr viel weniger, als dass Charlie sie belogen und benutzt hatte. Nach all der Zeit, nach allem, was er ihr versprochen hatte, tat er ihr das an. Bea fühlte sich schlichtweg verraten.

Sie spürte einen gewaltigen Stich im Herzen. Nicht zuletzt, weil ihr einfiel, dass sie ihren Plan, ihm eine reinzuhauen, wohl nicht so rasch in die Tat umsetzen konnte. Sie war hier eingesperrt, durfte keinen Besuch empfangen und würde wohl demnächst ins Gefängnis überstellt werden.

Knast. Das Wort klang fremd für sie. Aber bald würde sie mehr damit verbinden können, als ihr lieb war. Bea wunderte sich, wie ihre Augen beim Gedanken daran trocken blieben. Müsste sie sich nicht die Haare raufen und heulend an der Zellentür rütteln, statt auf ihrer Pritsche zu hocken, den Kopf gegen die Wand zu lehnen und zu warten? Wieso war sie derart ruhig?

Wie so oft in letzter Zeit verstand sie sich selbst nicht mehr.

Charlie hatte erneut dieses schwache, gefühlsgeleitete Wesen in ihr zum Vorschein gebracht und all ihre Versuche, ein besserer, ein anständigerer Mensch zu werden damit vereitelt. Sie war genau dort, wo ihre Eltern, Lehrer und Klassenkameraden sie immer gesehen hatten: Hinter Gittern. Bea zählte nun offiziell zum ›White Trash‹, dem weißhäutigen Abschaum, zu den kriminellen, verlorenen Seelen. Wieso also rastete sie nicht aus? Und wieso knurrte ihr der Magen? Wie konnte sie hungrig sein, jetzt, da ihr Leben vorbei war?

Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis es endlich Tag wurde. Zumindest schätzte Bea, dass es Tag wurde, da das Licht im Flur anging. Oder war sie in Wahrheit schon viel länger hier? Tage? Wochen? War sie einfach hier vergessen worden?

Sie erhob sich von der Pritsche, streckte sich, bis ihre Knochen knackten, und ging daraufhin zur Tür. Ihre Hände legte sie um die kalten Gitter, schob den Kopf so weit hindurch, wie es ging, und lauschte. Es vergingen einige zähe Sekunden, da hörte sie eine Tür zuschlagen, gefolgt von schlurfenden Schritten.

Bea wich von der Zellentür zurück, ehe jemand um die Ecke kam.

Der Chief nickte ihr zu, zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Er wirkte müde und genervt, genau wie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen. Er schloss die Zelle auf und machte mit einer einladenden Geste einen Schritt rückwärts.

Bea legte den Kopf schief und beäugte ihn skeptisch. »Wo bringen Sie mich hin?«

»Nirgendwohin, so wie es aussieht, Prinzessin.« Er hob einen Mundwinkel und winkte sie ungeduldig heraus. »Sie sind frei.«

Bea wiederholte die Worte im Kopf, mehrmals, konnte sie aber nicht recht glauben. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach vorn und hob die Hände ein wenig, um vorbereitet zu sein, falls er die Tür gleich vor ihrer Nase zuschlagen sollte. Nahm er sie auf den Arm?