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Über dieses Buch:

Ein Traumhaus in Colorado, eine wunderschöne Frau und ein kleiner Sohn – Chris hat es geschafft! Als eines Tages Frank, ein entfernter Vetter seiner Frau Matty, vor der Tür steht, denkt er sich nichts dabei. Doch der nette Besuch nimmt zunehmend bedrohliche Züge an – Frank nistet sich im Leben der Familie ein wie ein Parasit. Schließlich überschlagen sich die Ereignisse: Matty behauptet, Chris noch nie gesehen zu haben, und die Polizei hält ihn für einen Eindringling in seinem eigenen Haus … Frank hat ein teuflisches Netz gewoben – aber mit einem hat er nicht gerechnet: Chrisʼ unbändiger Wut!

Über den Autor:

Bruce Jones wurde 1944 in Kansas City in den USA geboren. Als Schriftsteller und Drehbuchautor bei Film und Fernsehen hat er sich einen Namen gemacht. Heute lebt er in Kalifornien.

Von Bruce Jones erscheinen bei dotbooks ebenfalls:

ANGST – Tödliches Spiel

ZORN – Im Netz des Grauens

HASS – Tödlicher Instinkt

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eBook-Neuausgabe April 2019

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel Maximum Velocity bei Dutton/Penguin Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2001 unter dem Titel Todesspieler im Bertelsmann-Club.

Copyright © 1996 by Bruce Jones

Copyright © der deutschen Ausgabe 2004 by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Published by Arrangement with Bruce Jones.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/gmstockstudio, nienora, evkaz

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-456-0

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Bruce Jones

WUT – Tödlicher Alptraum

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Dr. Reinhard Brenneke

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Vorspiel

TEIL I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

TEIL II

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Lesetipps

Vorspiel

Der Mann, der bereits tot war, saß Kaffee trinkend und zunehmend irritiert bei McDonald's in Manhattan. Noch wußte er nicht, daß er schon tot war. Auch war ihm nicht klar, warum diese Mahlzeit so lange dauerte und was die Schnur mit alldem zu tun hatte.

Der Russe neben ihm war breit, stämmig und unter seinem teuren amerikanischen Zweireiher vermutlich ziemlich muskulös. Er bestellte in einem fort Cheeseburger und Fritten, die er geräuschvoll in sich reinschlang.

Sich seinem mageren wieselgesichtigen Kumpan zuwendend, begann der Russe über die Schnur zu meckern: »So was Schäbiges«, wiederholte er zwischen zwei fetten Happen, »wie kannst du so ein hübsches Geschenk für unseren Freund hier zurechtmachen und es mit einer so billigen Schnur umwickeln?« Mit einer verächtlichen Bewegung des Ellenbogens stieß er das kleine weiße Paket – das »Geschenk« – beiseite und langte kopfschüttelnd nach den Fritten. »Eine Zumutung. Wir müssen da was Besseres finden.«

Schmeichlerisch wandte er sich lächelnd an den toten Mann: »Los, Abdul, erzähl uns noch mal von dem Bombenanschlag, der Meisterleistung deines tapferen Freundes! Und verzichte bitte auf keins der pikanten Details!«

Widerwillig tat ihm Abdul den Gefallen, zum fünften Mal an diesem Abend. Ihm ging es einzig darum, das Geschäft mit dem großen silberhaarigen Russen, der wie eine klotzigere Version von Jelzin aussah, unter Dach und Fach zu bringen.

Abdul war völlig erschöpft. Er wollte nur sein »Geschenk« – die Geschenke dieses Mannes waren legendär –, das kleine weiße Paket mit der schäbigen Schnur, in Empfang nehmen, zum nächsten Zielort gelangen und die letzten Vorbereitungen hinter sich bringen.

Da er jedoch wußte, daß die schmeichlerische Aufmerksamkeit, die man ihm zollte, darauf abzielte, ihm Informationen zu entlocken und seine Glaubwürdigkeit zu testen, erzählte er ihnen nochmals haarklein die ganze Geschichte; wie er und der militante Moslem Mahmud Abbouhalima gemeinsam mit dem jungen ägyptischen Einwanderer Nosaiar den ganzen Plan ausgeheckt hatten – als Teil des laufenden Heiligen Krieges, des Jihad; wie sie den in Pakistan ausgebildeten Terroristen und Sprengstoffexperten Ramzi Yousef angeworben hatten; wie sie in einer heruntergekommenen Garage in Jersey City die Bombe gebaut hatten – unter Verwendung von 400 Litern Salpetersäure und 230 Litern Schwefelsäure; und wie damals, an einem ganz normalen Februardonnerstag des Jahres 1993, die Mietergarage des World Trade Center in New York von einer gewaltigen Explosion erschüttert wurde, die sechs Menschen auf der Stelle tötete.

Damals hatte eine neue Epoche begonnen, nicht nur für die Bürger von New York, sondern auch für das FBI, die CIA, den Präsidenten des Landes und auch diejenigen aller Staaten der Erde.

Iwan Godunow, der bullige Russe, kicherte in sich hinein, während er sich das Fett seines Cheeseburgers vom Kinn wischte. »Herrlich, einfach herrlich. Der Terrorismus kommt nach Amerika!« Für Abduls Geschmack war das ein wenig zu laut gesprochen. Zwar war der McDonald's voll von lärmenden, uninteressierten Gästen, dennoch schien dies kaum der geeignete Ort zu sein, sich über antiamerikanische Terroranschläge zu unterhalten.

Der Russe hatte diesen Treffpunkt ausgewählt und dabei erklärend hinzugefügt: »Ich liebe einfach diese amerikanischen Hamburger! Besonders die Big Macs! Unvergleichlich! Ich ziehe sie dem besten russischen Steak vor.«

»Ich glaube, auf dem Seetransport hierher passiert irgendwas mit dem Rindfleisch«, mutmaßte der silberhaarige Russe, nachdem sie das Restaurant verlassen und sich in der ganzen East Side und anschließend der West Side von Manhattan auf die Suche nach einem durchgehend geöffneten Haushaltswarengeschäft begeben hatten. Godunow hielt das Geschenk von sich weg, als ob es einen Makel hätte. Er ließ nicht einmal zu, daß Abdul es auch nur berührte, solange es nicht anständig verpackt war.

»Die Verpackung ist wirklich nicht so wichtig«, versicherte der tote Mann. »Ich hatte gehofft, wir könnten uns jetzt vielleicht einmal die Örtlichkeiten anschauen. Ich habe morgen einen vollen Terminkalender.«

Der Russe auf dem Rücksitz des Taxis lachte beruhigend, während der andere mit dem Gesicht eines Frettchens übellaunig in die dunklen neongefleckten Straßen New Yorks hinausstarrte. »Sobald mein tolpatschiger Kollege diese leidige Angelegenheit erledigt hat, werden wir uns das Gelände anschauen.« Mit einem Anflug von Geringschätzung legte Godunow das Geschenk in seine schmalen Frettchenhände und wandte sich dann wieder leutselig Abdul zu, von dem er noch mehr Einzelheiten über den herrlichen Bombenanschlag zu erfahren wünschte. Eine volle Stunde später, nachdem sie eine festere, geeignetere Schnur aufgetrieben hatten, fuhren sie in einem engen, scheppernden Lift das verdunkelte rote Stahlskelett eines Hochhauses in der Lower East Side hinauf. Sie fuhren bis zum obersten Stockwerk, das, abgesehen von dem verstaubten Durcheinander von Bauwerkzeugen, ein paar Zementsäcken, Schlackensteinen und dem großen X, das auf jedem der frisch eingesetzten Fenster klebte, so gut wie fertig war. Die Stromversorgung des Gebäudes funktionierte noch nicht, so daß nur das Licht der silbrigen Scheibe des Mondes durch die Fenster fiel. Im Vorübergehen klopfte der Russe nachdenklich an das Fensterglas und nickte anerkennend. »Spezialgehärtet. Dieses Glas könnte man nicht mal mit einem Vorschlaghammer kaputtkriegen. Das muß man den Amerikanern lassen!«

Zielsicher bahnte er sich im Halbdunkel einen Weg, dort wo später einmal der Berberteppich eines edel ausgestatteten Büros liegen würde. Währenddessen erklärte er genau, wo die nächste Bombe plaziert, wie das Gebäude zusammenstürzen werde und wie viele Menschen vermutlich unter seinen herabdonnernden Schuttmassen umkommen.

Angesichts dieser Lawine von präzisen Informationen hatte Abdul das kleine neuverpackte Geschenk völlig vergessen, bis der vom Mondlicht beschienene Godunow es ihm anbot: »Unser Dankeschön für dich. Auf eine glänzende Zukunft des Islam!«

Lächelnd akzeptierte Abdul schließlich das Geschenk. Er vermutete einen Bargeldvorschuß oder irgendeine pakistanische Antiquität. Er war so müde, daß es ihm im Moment ziemlich egal war.

Er löste die neue dickere Schnur, die Verpackung folgte, bis am Ende ein kleiner Pappkarton zum Vorschein kam. Aber der war – leer.

Seine dunklen Mandelaugen, die zuerst überrascht, dann gehetzt wirkten, blickten in das grinsende Bärengesicht des Russen. »Das ist leer.«

Plötzlich verstand Abdul, ließ den Karton fallen und rannte los.

Er kam nicht weit. An der Lifttür schnitt ihm der riesige Russe, der sich für einen Mann seiner Größe mit erstaunlicher Schnelligkeit bewegte, den Weg ab. Er packte Abdul, der keineswegs klein und leichtgewichtig war, und hob ihn hoch, als wäre er eine Spielzeugpuppe. Dann schleuderte er ihn auf den staubigen Fußboden zurück, so wie ein Mann ein abgelegtes Kleidungsstück wegwirft, gedankenlos und ohne Mühe.

Abdul landete auf dem Rücken, um ihn herum eine Wolke weißer Staub. Er rappelte sich schnell wieder auf, aber da war schon wieder – unglaublich behende dieser große Bär, der wie Jelzin aussah, und stemmte ihn hoch. Dann setzte er ihn sanft ab, entstaubte sogar seine Jacke und sagte mit seinem Bären-Lächeln: »Ja, mein Freund, leer. Ich fürchte, so leer wie deine Geschichten. Dimitri, würdest du bitte so freundlich sein und unserem Freund die Hose ausziehen?« Abdul stand zitternd und schweigend da. Sein Tod war jetzt kein Geheimnis mehr, sondern eine Angelegenheit so klar und unabänderlich wie das unbewegliche Auge des Mondes. Seine dünnen Knie klapperten. Er mußte seinen Urin zurückhalten, während das Wiesel die Anweisungen seines Meisters ausführte. Seine langen, spitzen Finger entfernten Abduls Hose, seine Unterhose, fischten die grobe Schnur vom staubigen Boden und befestigten sie stramm an Abduls schweren Hoden.

»Mein liebes Bürschchen, du kennst die Namen, die Geschichte deiner sogenannten Verschwörer ganz gut, aber deine Zeitangaben sind falsch. Der Bombenanschlag auf das World Trade Center fand an einem Freitag und nicht, wie du behauptest, an einem Donnerstag statt. Und es war der öffentliche Parkplatz, der in Flammen aufging, besonders auf der B-2-Ebene, und nicht der Einstellplatz für die Mieter. Der echte Abdul, falls es ihn überhaupt gibt, hätte das gewußt.«

Er trat zurück und schaute mit verschränkten Fingern zufrieden zu, wie sein Helfer das andere Ende der groben Schnur an einem in der Nähe liegenden Schlackenstein befestigte, ihn grimassierend hochhob und den schweren Brocken in Abduls zitternde Arme legte. »Hier hast du ihn.«

Godunow führte den schlotternden Abdul, mitsamt dem Brocken und allem, zum nächsten Fenster, schob es mit einer Hand hoch und ließ eine kühle nächtliche Brise herein und die rauhe Symphonie des Verkehrs von Manhattan zwanzig Stockwerke tiefer. Er stieg hoch und nach draußen, wobei er den zitternden, hosenlosen Mann gleichsam führte und dazu einlud, mit ihm die schmale Fensterbank zu teilen. Das Gesims war aus Beton und so schmal, daß die Schuhspitzen der Männer über die Kante hinausragten.

Während beide dort unter den Sternen das Gleichgewicht hielten, erklärte ihm der Russe sanft: »Ein Mann, sogar ein Feind, sollte die Welt nicht verlassen, ohne die Wahl zu haben. Deine wird einfach sein. Du kannst den Brocken fallen lassen; das wird dir die Genitalien abreißen, dich aber nicht sofort töten, und du kannst versuchen runterzukommen – in ein Krankenhaus oder eine Notaufnahme, bevor du verblutest. Oder du springst einfach mit dem Brocken und vermeidest dabei fast jeden Schmerz, wenn auch nicht den Tod.« Er beugte sich vorsichtig hinüber und küßte den dunkeläugigen Mann auf die Wange.

Der Russe kletterte zurück ins Gebäude, schloß und verriegelte das Fenster. Dann klopfte er sachte und rief durch das Fensterglas hindurch: »Solltest du einen solchen Sturz überleben, was allerdings ziemlich unwahrscheinlich ist, aber solltest du es tatsächlich irgendwie überleben, dann sag deinen Freunden, daß ich Betrüger nicht ausstehen kann. Daß es überhaupt nur einen einzigen Mann gibt, der es verdient, mit Iwan Godunow auf die Jagd zu gehen – das amerikanische Genie Frank Springer! Kannst du das behalten, mein Freund? Frank Springer? Deine Kumpane werden den Namen kennen!« Wieder unten auf der Straße, stiegen sie in das wartende Taxi. Als sie die hintere Tür schlossen und dem Fahrer die Adresse des New Amsterdam Hotel in der Nähe des Parks nannten, hörten die beiden russischen Herren nicht weit entfernt ein schweres, dumpfes Geräusch, als sei in der dunklen Straße hinter ihnen etwas aus großer Höhe auf ein Autodach gekracht. Ob es sich bei diesem Objekt um. ein Lebewesen, einen Stein oder gar um beides handelte, wußte freilich keiner von beiden.

TEIL I

Kapitel 1

Im Traum war Chris wieder am Rennen.

Der gleiche verzweifelte Lauf, der gleiche Alptraum, durch die alte Nachbarschaft des Ventura County, quer durch den sonnenverbrannten Vorgarten der Wilsons. Chris' Gesicht badete in Schweiß und Schrecken, während Mattys letzte Worte in seinen Ohren nachhallten: »Das Baby ist weg!«

Er raste durch die Sackgasse, rannte hinüber zum Anwesen des alten Ehepaars und blieb bei dem Versuch hängen, dessen Stahlzaun zu überspringen. Wenn er das schon nicht schaffte, dann gewiß kein Kleinkind. Er jagte zu Rick Cormans Auffahrt und schrie: »Nicky!« Der Kleine antwortete selten, wenn man ihn beim Namen rief, aber Chris wußte sich anders nicht zu helfen. So hämmerte er denn auch an Ricks Eingangstür, wohl wissend, daß der noch gar nicht zu Hause war. Er wirbelte herum und rannte zum eigenen Hinterhof zurück, obwohl Matty gerade von dort gekommen war. Hinter der fast anderthalb Meter hohen Steinmauer war ein steiler Hohlweg. Jenseits davon lag die gefährlichste Kreuzung der Nachbarschaft.

Chris schaute über den Mauerrand. Die Welt auf der anderen Seite war von schauderhafter Klarheit, jedes Blatt und jeder Zweig der großen Eichen in gestochen scharfem Kontrast. Irgendwo jenseits des Traumes hallte das Echo quietschender Reifen durch den Hohlweg und versetzte ihn in Panik. Was tun? Die Mauer überspringen und unten nachsehen – oder es noch mal auf der Straße versuchen? Er verharrte in qualvoller Unentschlossenheit. Die Zeit, auch sie gleichsam eine Wand, rückte von allen Seiten gegen ihn vor. »Nicky!«, rief er mit vor Schrecken heiserer Stimme.

Schnaufend lief er zu der Sackgasse zurück, aus der ihm Matt entgegentaumelte. Ihr Gesichtsausdruck machte ihn innerlich völlig leer.

»Ich war gerade mit der Wäsche beschäftigt – und er war direkt hinter mir!«

Warum war die gottverdammte Tür nicht verschlossen? Aber für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit. »Okay«, keuchte er, »er kann nicht weit gekommen sein! Ruf 911 an! Ich nehme noch mal die Nachbarschaft.« Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke. Hinter ihrer Sprachlosigkeit erkannte er flüchtig die wilde Bitte um Vergebung und daß er das alles in Ordnung bringen möge, wie er es noch stets getan hatte. Er stand mutterseelenallein im Universum. Unfähig, ihren Blick länger zu ertragen, schubste er sie in Richtung des Hauses. Oh, Gott, bitte, flehte er keuchend, bitte ...

Die kühle Nachmittagsbrise weckte ihn. Das Gesicht von den Schatten der Ahornblätter gemustert, erwachte er in dem Aluminiumliegeschwinger neben dem neuen Haus. Man war nicht mehr in Ventura County in Kalifornien, sondern ein paar Meilen serpentinenreicher Gebirgsstraße von dem winzigen Weiler Greenborough/Colorado entfernt. Es war Frühherbst, nicht später Frühling. Matty war in der neuen Küche. (Er konnte sie durchs Fenster fröhlich singen hören.) Sie bereitete alles für Ricks und Sharons ersten Besuch vor.

Und Nicky lebte, dem Kleinen ging es gut. Ein Traum. Nicht der erste und wohl auch nicht der letzte.

Er blinzelte zu seinem Liebling, dem großen Ahornbaum, hinauf und erblickte die erste verräterische Patina eines kräftigen Orange, das das sommerliche Grün der Blätter verdrängte. Bald würde der Wald ringsum in schillernden Herbstfarben schwelgen. Der Sommer ging zur Neige. Gut zwei Monate waren sie jetzt in dem neuen Haus. Dabei schien es erst gestern gewesen zu sein, als sie das vollgestopfte kleine Stadthaus in Thousand Oaks geräumt hatten und in die ländliche Wildnis hinausgezogen waren. Die Zeit fliegt, wenn man älter wird.

Er hatte Schwierigkeiten mit dem dritten Akt seines Theaterstücks.

Schlimmer noch: die Tatsache überhaupt, daß er Dramatiker war, machte ihm zu schaffen; er brauchte nur an die geringen Einnahmen der letzten Zeit zu denken. Hinzu kam, daß er hier in der Wildnis von Colorado nicht länger die alte Ausrede der Arbeit beim Entstörungsdienst benutzen konnte. Der Schritt war getan, das Geld ausgegeben, die Verpflichtung übernommen. Entweder er stürzte sich hinein und schaffte es als Schriftsteller, oder er warf das Handtuch.

Der dritte Akt war immer der schwierigste. Der Anfang war leicht, aber der gottverdammte Schluß!

Chris rieb sich die Augen, setzte sich auf und schaute über den weiten Rasen hin zu dem schönen neuen Haus, das wie ein großes A aussah. Einfach herrlich! Er hätte nicht einmal gewagt, von einem solchen Haus zu träumen, wenn sie nicht in der letzten Zeit soviel Glück gehabt hätten.

Es war großartig, aber auch ein bißchen beunruhigend. Besonders wenn er von Nicky träumte, von dem, was geschehen war, was hätte geschehen können. Aber vielleicht war gerade das die Lösung für den dritten Akt: Das Kleinkind von Ralph und Sheila lief durch die Vordertür ihres Stadthauses davon. Dann hätte sie eine Entschuldigung dafür, sich von ihm scheiden zu lassen. Obendrein bekäme der erste Akt dann mehr Biß.

Er brummte und schüttelte den Kopf. Nur Eltern verstanden, wie schrecklich es war, beinahe das eigene Kind zu verlieren. Nie hatte er Schlimmeres durchgemacht. Er erhob sich aus seinem Stuhl, schaute feindselig auf die Schreibmaschine und den Haufen unvollendeter Seiten und ging zum Haus, um mit seiner Frau auf die Cormans zu warten.

Rick Corman war außer sich vor Begeisterung über das neue Haus. Überall raste er herum, schwang sich nach oben, trampelte wieder nach unten wie ein rotbäckiger ausgelassener Zwölfjähriger. Vor den Augen des verwirrten, aber strahlenden Chris sauste er mit einer Miene nachempfundenen Stolzes hin und her.

»Einfach fantastico! Ein echter A-Bau! Unglaublich! Sharon, he, Sharon!« rief er atemlos.

»Ich bin hier oben, Liebling!« antwortete seine Frau vergleichsweise zurückhaltend aus dem oben gelegenen Schlafzimmer. Sie stand neben Matty, während die beiden kühl den spektakulären Blick aufs Gebirge genossen, einen träge dahingleitenden Habicht, den unendlichen Himmel.

Rick verstand was von Häusern, baute selbst welche. Durch die geöffneten Schiebetüren sprang er wieder hinaus auf die Zedernholzveranda. »Schaut euch mal diese fachmännische Arbeit an! Seht mal diesen Fußboden: Zapfenverbindungen. Keine von den gewöhnlichen 4-x-20er-Dielen für diese Leute hier!« rief er zu den Frauen hinauf. »Ich meine, es ist einfach der helle Wahnsinn. Ich glaube, ich spinne!«

»Richtig«, erwiderte Sharon, »und jetzt halt bitte mal die Luft an. Das Kind macht gerade Mittagsschlaf.«

Glotzäugig kam Rick wieder herein, schüttelte angesichts der herrlich ausgestatteten Innenräume den Kopf und versetzte in Richtung Chris: »Du armer Tropf hast ja keine Ahnung, was du hier vor dir hast!«

»Das ist richtig«, antwortete Rick grinsend, wobei er Sharons ausdruckslosen Tonfall nachahmte.

Fast zärtlich betastete Rick die Wand. »Gipsverputz. Nicht billig!« Er nickte und wandte sich wieder Chris zu: »Wie steht's mit der Bedachung? Keinen Schimmer, was? Los, komm mit!« Dann eilte er durch die Eingangstür nach draußen.

»Wir gehen nach draußen«, informierte Chris seine Frau mit monotoner Stimme. Matty, die oben war und Sharons Rücken anstarrte, dachte bei sich: Na prima! Jetzt läßt man mich hier im neuen Haus mit jemandem allein, mit dem ich mich schon im alten Haus nie wohlgefühlt habe. Was hat diese Frau bloß gegen mich? »Sharon, ich glaube, Chris hat unten Kaffee aufgesetzt. Möchtest du welchen?«

Lächelnd drehte sich Sharon vom Panoramafenster weg. Sie war liebenswürdig, hübsch. Trotzdem würde sie nie eine enge Freundin werden. »Ja, danke. Klingt gut.«

Auf der unteren Veranda indessen reckte sich Rick auf Zehenspitzen nach oben. »Dies hier sind Schindeln, kein echtes Holz.«

Chris näherte sich ihm von hinten. »Und, ist das schlecht?«

»Nein, verdammte Wichse, das ist gut. Die echten aus Holz sind kurzlebig und feuergefährlich. Die hier dagegen sind aus Beton und Holzfaser – leicht, haltbar und gutaussehend. Hier wußte jemand, was er tat.« Er wandte sein Gesicht den Wäldern zu und inhalierte tief die klare Gebirgsluft. »Mein Gott, riechst du das?« Chris lächelte nur und reichte ihm den Kaffee. »Ich beachte es schon gar nicht mehr.«

Wenn die randvolle Tasse nicht gewesen wäre, hätte ihm Rick einen freundschaftlichen Stoß versetzt. »Natürlich nicht, du Schwachkopf. Was für eine tolle Aussicht!«

»Du kommst gerade vom Flugzeug. Morgen wird es dich bereits langweilen.«

»So wie es dich langweilt. Ist das dort ein Habicht oder ein Adler?«

Chris blickte zum Himmel auf: »Ein Steinadler. Der größte Greifvogel Nordamerikas. Natürlich vom Aussterben bedroht.«

»Hör sich einer den an. Kennt schon die heimische Tierwelt.«

»Das habe ich in der dritten Klasse gelernt.«

Rick ging in Richtung Terrasse. »Du und dein Supergedächtnis. Komm, laß uns ein bißchen rumlaufen.«

»Du bist doch gerade erst angekommen. Willst du dich nicht frisch machen, pissen oder sonstwas?«

»Ich werde im Wald pissen. Dafür ist er schließlich da.«

Unten machte es sich Sharon gerade auf dem Sofa bequem. Sie blies den Dampf von ihrer Kaffeetasse und betonte abermals, wie sehr ihr das Haus gefalle.

Matty dachte: Sie will mich gern haben, aber irgendwie läßt sie selbst es nicht zu. Warum eigentlich?

»Schmeckt der Kaffee, oder hat ihn Chris wieder zu stark gemacht?«

Matty schüttelte den Kopf. »Er ist in Ordnung.«

Sharon betrachtete den holzgetäfelten Raum, den gemauerten Kamin. »Ich wollte, ich hätte auch so einen reichen Onkel!« sagte sie, während sie wieder den Dampf wegblies. Dabei vermied sie es, Matty offen in die Augen zu sehen: »Wie kommt es eigentlich, daß du ihn nie erwähnt hast?«

Matty saß in dem großen grünen Lehnsessel – dem einzigen Möbelstück, das sie aus Kalifornien mitgebracht hatten – vor dem Panoramafenster, eingerahmt von smaragdgrünen Kiefern und von hinten durch das goldene Nachmittagsleuchten beschienen. »Ich kannte ihn kaum. Habe ganz gewiß nicht damit gerechnet, in seinem Testament vorzukommen. Dabei handelte es sich übrigens entgegen Ricks Vermutungen nicht um mehrere Millionen Dollar. Es reichte gerade, dieses Haus und noch ein paar Kleinigkeiten zu kaufen. Das ist alles.«

»Das ist eine ganze Menge.«

»Wir hatten Glück. Na und?«

Sharon, die sich beim Anstarren ertappt fühlte, schaute weg: »Oh, nichts. Tut mir leid. Ich dachte nur gerade daran, wie sehr Rick Chris vermissen wird. Er fehlt ihm schon jetzt.«

Matty nickte. »Ja, Chris ihn auch. Schade um uns beide ...« Kaum hatte sie es ausgesprochen, als sie es auch schon bereute. Aber jetzt war es zu spät.

Angesichts der Intimität der Situation konnte Sharon die Bemerkung schwerlich ignorieren. »Ich weiß, Matty. Wir beide waren uns leider nie so richtig nah. Ich bedaure das. Wirklich.«

Matty nickte zustimmend, ein wenig überrascht von diesem Eingeständnis. »Ich auch. Woran liegt es deiner Meinung nach?«

Sharon seufzte: »Schlechtes Timing? Schlechtes Karma? Wir kennen uns einfach nicht lange genug.«

»Aber doch lange genug.«

Sharon nippte an ihrem Kaffee: »Ja, schade. Da kann man nichts machen.«

Matty nickte, während sie zur Küche ging. »Ja, kann man nichts machen. Noch einen Kaffee?«

»Danke«, und einen Moment später, »Rick und ich kannten Chris einfach schon so lange ... bevor du aufgetaucht bist. Und plötzlich warst du da

»Ich liebe ihn sehr«, sagte Sharon, während sie den Kaffee eingoß.

»Ich weiß. Ich weiß das.«

»Wirklich?«

»Natürlich. Hör zu ...«

»Ich habe das nicht getan, um ihn euch wegzunehmen, weil es mit uns vieren nicht geklappt hat.«

»Matty, ich weiß ...«

»Ich habe es für Nicky gemacht. Für die Familie. Die Familie kommt zuerst.«

Sharon nickte. »Hör zu, ich verstehe das. Ich hätte wahrscheinlich dasselbe getan, wenn Rick und ich Kinder hätten. Dieser gräßliche Highway gleich nebenan.« Als aus der Küche keine Antwort kam, wandte sie sich um. Mit der Tasse in der Hand stand Matty da und blickte wie erstarrt aus dem Fenster. Dabei schien sie die hoch aufragenden Bergspitzen und den mandarinfarbenen Himmel gar nicht richtig wahrzunehmen.

Sharon betrachtete sie schweigend.

Schließlich drehte sich Matty um und sah sie an. Ihr Lächeln bat um Verzeihung für das Schweigen.

»Du hast nie aufgehört, daran zu denken?«

Matty schaute auf ihren Kaffee. »Nein, nie.«

Auf der Kiesauffahrt langte Rick in den Kofferraum seines Plymouth, zog eine Badedecke beiseite, entnahm ein längliches Lederfutteral und reichte es Chris.

»Was ist das?« Chris brachte eine nagelneue Remington zum Vorschein, die angenehm nach Öl roch.

»Unser Einzugsgeschenk. Gefällt sie dir?«

»Wahnsinn! Das kann ich nicht annehmen.« Aber schon nahm er über den glatten Lauf hinweg eine zehn Meter entfernt stehende Douglastanne ins Visier.

»Okay, gib sie wieder her!«

»Zur Hölle mit dir! Und vielen Dank. Sie ist wundervoll. Ich nehme an, du hast deine Browning mitgebracht?«

Rick Norman, der groß und athletisch war – und übrigens auch ein besserer Schütze und Fernmeldetechniker als Chris –, hatte die Waffe schon in der Hand, während er die Kofferraumklappe zuknallte. »Ich hab Leergut auf dem Rücksitz. Oder hast du schon was aufgestellt?« Er grinste, weil er die Antwort schon wußte.

Chris grinste zurück. »Hier entlang, Kumpel.«

Jeder feuerte zehn Schuß ab, doch während Rick stets traf, verfehlte Chris fast die Hälfte.

»Mein Gott, drei Wochen weg vom Schießstand und schon nicht mehr in Form.«

»Leck mich! Ich hatte zu tun.«

»Was zu tun? Mußtest dich wohl an die frische Luft gewöhnen?« Rick atmete tief ein und seufzte sehnsüchtig, während er die Blechbüchsen wieder auf den von Kugeln zerfetzten Baumstumpf stellte.

»Vergiß die Büchsen, ich will dir was zeigen. Schau mal her. Der hier führt zum See.« Chris zeigte auf einen hölzernen Pfad links von der kurvigen Auffahrt.

Rick ging in die Knie, während er eine Büchse fallen ließ. Sein Gesicht war wie erstarrt: »Ach, Quatsch!«

»Habe ich den See nicht erwähnt?«

»Nicht direkt. Wo – zeig ihn mir!«

»Was – den See oder den See und das Boot?«

»Du Scheißkerl!«

»Habe ich das Boot nicht erwähnt?«

»Wahnsinn! Wie reich war dieser verdammte Onkel eigentlich?«

Chris schloß auf und zog die Türen des Bootshauses zur Seite. Ein schmuckes Motorboot kam zum Vorschein, das dort faul im Schatten schaukelte – inmitten des Moschusgeruchs von Seewasser und Zedernholz.

Glücklich wie ein Kind mit seiner neuen Spielzeugeisenbahn, kam Rick herein und strich mit der Hand über das polierte Mahagonideck. »Irre, echtes Mahagoni!«

»Wirklich?«

»Ja, du undankbare Kreatur!«

Vorsichtig betrat Rick das Boot, setzte sich grinsend hinters Steuerrad und schnipste Chris mit den Fingern zu. Der kramte nach den Schlüsseln und gab sie ihm. »Jemals mit so was gefahren?«

»Halt die Luft an und steig ein.« Er ließ die starken Motoren unter spuckendem Dröhnen an, setzte fachmännisch zurück und manövrierte sie aus dem kalten Schatten hinaus in das Licht der untergehenden Sonne. Dann schob er den Gashebel nach vorne und fuhr auf den offenen See hinaus. Seine Stimme war über dem Dröhnen der Motoren gerade noch zu verstehen: »Absoluter Wahnsinn! Und dieser Onkel hat hier gelebt?«

»Im Sommer, glaube ich, aber selbst das nicht jedes Jahr. Es war ein unverhoffter Glücksfall, Alter. Ich habe noch nie so ein Schwein gehabt. Es ist völlig verrückt.«

»Mann, schau mal das Ufer da! Douglastannen. Ich wette, die da ist hundert Jahre alt.« Er wies auf etwas hin. »Ist da jemand?«

Chris mußte zweimal hinsehen, bis sich die Gestalt eines alten Mannes am tannengesäumten Ufer abzuzeichnen begann: schweigsam brütend wie die Bäume, in tiefe Schatten eingehüllt, unbeweglich wie der Indianer aus der Zigarrenreklame. Und genau das war er auch: ein Indianer.

»Das ist John Antler Horn«, lächelte Chris. »Komm, laß uns ›Hallo‹ sagen.«

Rick drosselte die Geschwindigkeit und steuerte zum Ufer, bis Felsen und herumflitzende Elritzen im aufklarenden Wasser sichtbar wurden. Trotz der einsetzenden Abendkühle hemdlos, stand der kaffeebraune alte Indianer da wie angewurzelt inmitten von Gestrüpp und Binsen. Ohne den Blick von den fernen Wassern abzuwenden, sagte er: »Tag, Chris Nielson. Ich bin gekommen, dich zu sehen. Hast du jetzt einen Chauffeur?«

»Nein, John. Das hier ist mein Freund Rick Corman aus Kalifornien.« Rick grüßte.

Da sie nun nahe genug heran waren, wandte ihnen der Alte schließlich sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht zu und betrachtete sie teilnahmslos aus Augen, die vielleicht noch die Schlagzeilen des Ersten Weltkriegs gelesen hatten. »Als Junge war ich mal in Kalifornien. Es riecht nach Fisch.«

Rick lächelte. »Der Ozean.«

John Antler Horn ignorierte ihn und hielt Chris ein Buch hin. »Ich wollte dir dies hier bringen. Es erzählt von den Eisseglern. Wenn das große Wasser friert, komme ich zu dir herüber, und wir werden zusammen segeln gehen. Dahingleiten wie ein Habicht.«

Mit einem leichten Kopfnicken nahm Chris das Buch entgegen. »Ich freue mich schon drauf, John. Danke.«

Dann wandte sich der alte Mann Rick zu. »Sie steuern wie eine Frau.«

Rick lächelte. »Tatsache?«

»Ihr Boot ist gut ausgerüstet, aber es stinkt nach Benzin.«

Rick zuckte die Schultern. »Es ist sein Boot.«

Antler Horn sah Chris an. »Wenn der Schnee fällt, werde ich dir zeigen, wie man Eissegler fährt. Ohne Benzin. Ich werde dir einen Pfeil bauen. Kleiner als mein Boot, aber flink. Es wird früh Winter werden. Ein kalter Winter.«

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte ihn Rick umgänglich.

Der alte Mann starrte ihn an. Dann schaute er weg, zum Wald hin und darüber hinaus und sagte: »Ich mag den Lärm nicht.«

Rick war verblüfft. »Sie haben was gegen die Geräusche des Waldes?«

Wieder ignorierte ihn der Alte. »Es tut meinen Ohren weh. Es schmerzt meine Augen. Ich benütze jetzt viel Tylenol.«

Chris nickte. »Sie meinen all die neuen Baustellen in der Stadt, nicht wahr? Das ganze Gehämmere und Gesäge.«

»Es stinkt nach Teer, und es schmerzt meine Augen.«

Rick lächelte wieder. »Der Fortschritt.«

Das Gesicht des alten Mannes war wie aus Granit, ein altes Gesicht, weise wie die Hügel. »Es ist nichts Gutes. Es ist nichts Gutes, was da in die Stadt kommt. Es ist dunkel und gemein. Es hat die Augen der Spinne.«

»Hört sich wie Fortschritt an.« Rick zwinkerte Chris zu.

Aber Chris sah ihn nur böse an und wandte sich dem alten Indianer zu. »Egal, ich freue mich auf die Lektüre, John.«

»Ich werde dir beibringen, auf dem Eis zu segeln und wie ein Habicht dahinzugleiten. Hat Montana heute gespielt?«

»Heute nicht, John. Das Spiel ist morgen. Aber ich glaube, er hat sich zur Ruhe gesetzt.«

»Montana ist ein mächtiger Krieger. Ich glaube, er ist zum Teil Irokese.«

»War nett, Sie mal wiederzusehen, John!« Chris gab Rick ein Zeichen, und der steuerte das Boot vom Ufer weg.

Der alte Indianer hob die flache Hand. »Knick nicht die Seiten, und beschmutz nicht den Umschlag! Ich habe 3 Dollar 95 für das Buch bezahlt, Chris Nielson.«

»Alles Gute, John!«

Als sie außer Hörweite waren, fragte Rick: »Ein Eingeborener, was?«

»Ich bin ihm eines Tages auf dem Postamt von Greenborough, unserem Kaff hier, begegnet. Er hat sich gleich an mich drangehängt.«

»Warum gerade an dich?«

»Weil ich so ein Mordskerl bin, natürlich.«

»Wo lebt so ein alter Indianer auf einem See in Colorado?«

»Fahr mal dort rüber. Ich werd dir zeigen, wo die dicken Fische beißen.«

Sie kreuzten, bis die Sonne unterging, ein zermatschtes Orange, das mit der undurchsichtigen Fläche des Sees verschmolz. Chris begann, sich Sorgen über den Rückweg zu machen.

»Du bist mir ein komischer Gebirgsbewohner! Findest nicht mal im Dunkeln zurück zu deinem Steg.«

»Ich bin kein Bergmensch, sondern ein Vorstadtbewohner mittleren Alters aus Ventura, der sich nebenbei ein bißchen mit den Bergen beschäftigt.«

Corman spottete: »Verdammte Scheiße. Die Hälfte meiner Zeit in Vietnam habe ich mit nächtlichen Kampfeinsätzen auf dem Fluß zugebracht.«

»Fang bloß nicht wieder davon an, okay?«

»Keine Angst. Was willst du hier draußen in der Wildnis eigentlich arbeiten, Alter?«

Chris antwortete erst, als er Ricks Blick auf sich ruhen fühlte. »Hier gibt's nicht gerade Unmengen von Telefonmasten zum Draufklettern, oder?«

»Also?«

»Ich gedenke eigentlich nicht, im üblichen Sinne zu arbeiten.«

Rick drosselte den Motor, so daß sie leichter miteinander sprechen konnten, während sie sich dem fernen Landesteg näherten. Es wurde bereits ziemlich kühl. Waren das die Vorboten eines frühen Winters? Vielleicht hatte der alte Indianer ja recht. »Im üblichen Sinne?«

Während sie ihre Tassen ausspülte und sie dann ins Abwaschwasser legte, erklärte Matty Sharon mit ruhiger Stimme: »Er möchte schreiben. Er will ein richtiger Stückeschreiber werden. Es wird ja auch Zeit.«

Sharon schien erstaunt. »Und das ... ich meine ... ihr könnt ...«

»Es geht uns gut. Vielleicht wird er ja ein zweiter Neil Simon, vielleicht auch nicht. Aber ich will, daß er seine Chance bekommt.«

Matty zuckte die Achseln, betrachtete den Sonnenuntergang, den flammenden Himmel. »Er ist schon jenseits der Vierzig. So was kommt vor.«

Sharon nickte und wandte sich um, um mit ihr gemeinsam den Himmel zu betrachten. »Wie machst du's eigentlich mit dem Einkaufen?«

»Greenborough liegt ungefähr eine halbe Stunde entfernt. Eine Art kleineres Aspen. Bevor Aspen wurde, was es jetzt ist.«

Sharon seufzte tief: »Mein Gott, was für eine Sonne!«

»Komm mit. Laß es uns von der Terrasse aus betrachten.«

Sie gingen nach draußen. Sharon inhalierte den wunderbaren Kiefernduft und schloß verträumt die Augen. »Man könnte süchtig davon werden. Wo sind eigentlich die Jungs?«

»Chris gibt wahrscheinlich mit dem See an.«

»Oh, mein Gott. Hoffentlich gibt's keine Barsche, sonst werdet ihr uns nie wieder los.«

Rick stieg vom Boot und betrachtete den Rest des Sonnenuntergangs. Urlauber bezahlten für so was. Chris würde es jeden Abend gratis haben. Er vertäute gerade das Boot und schloß die Türen des Bootshauses, um anschließend – die Arme in die Seiten gestemmt – gemeinsam mit Rick den herrlichen See zu betrachten, der hereinbrechenden Nacht zu lauschen, dem anhebenden Gequake der Frösche und den Schaukelwellen des Bootes, die träge an die Pfähle schwappten.

Chris verweilte einen Moment zu lang.

»Was ist los, Kumpel?«

Chris sah auf den See hinaus, dann wandte er sich dem Pfad zu. »Ach, nichts.«

Rick schnaubte verächtlich. »Ah, ja. Das ›nichts‹ kenne ich. Gewöhnlich gefolgt von drei kleinen Punkten. Wie nennt man das doch gleich? Du bist doch der Schriftsteller.«

»Eine Ellipse.«

»Egal, sag schon!«

Chris seufzte und stieß einen Kiefernzapfen mit dem Fuß weg. »Oh, ich dachte daran, wie schön es wäre, wenn ihr beide Matty mögen würdet.«

Sie gingen eine Weile.

»Es hat dir wohl endlich mal die Sprache verschlagen, was?«

»Ich mag sie.«

»Aber nicht Sharon.«

»Sharon ist eben Sharon. Auch mich mag sie nur die Hälfte der Zeit.«

Chris nickte. »Sharon glaubt, es sei schwer, an sie heranzukommen.«

»Hat sie dir das gesagt?«

»Nein, aber sie denkt so. Ich beneide euch beide.«

»Warum denn? Du bist doch schließlich derjenige mit dem tollen Landhaus.«

Chris dachte darüber nach, während unter ihm der Kiesknirschte. »Ihr beide habt eine gemeinsame Geschichte. Du kennst sie schon so lange. Du feierst mit ihren Eltern Weihnachten.«

»Die Abteilung Inquisition unserer Geschichte.«

»Matty und ich kennen uns erst drei Jahre und vier Monate. Manchmal ...«

»Was ist? Sprich!«

»Ich weiß nicht. In vieler Hinsicht sind wir uns noch fremd. Manchmal frage ich mich ... ob es wirklich wahr ist ...« Seine Stimme verlor sich.

Sie gingen ein Stück.

»Unterzeichnung der Magna Carta?« fragte Rick.

Chris seufzte. »Nicht heute abend. Ich bin müde.«

»Unterzeichnung der Magna Carta?«

Ohne Zögern kam Chris' Antwort: »15 Juni 1215.«

»Wo?«

»Runnymede.«

»Jack Londons Geburt?«

»Am 12. Januar in San Francisco.«

»Welches Jahr?«

»1876.«

»Erste Veröffentlichung?«

»›To the Man on the Trail‹.«

Rick klopfte ihm auf die Schulter und ging weiter. »Dachte schon für eine Sekunde, du hättest es verloren.«

»Mein Supergedächtnis?«

»Deinen Superverstand. Matty ist das Beste, das Wirklichste, was dir Armleuchter je passiert ist. Das sieht sogar ein Schwachkopf wie ich.«

»Das macht es noch nicht wahr.«

Rick stöhnte ungeduldig: »Bloß kein Neid auf die mageren Jahre, Kumpel. Sei doch froh, daß du noch zu Lebzeiten so eine Klassefrau wie Matty abgestaubt hast. Ein Verlierertyp wie du verdient sie doch gar nicht.«

»Amen.«

»Es scheint, als ob ihr Besuch bekommen hättet.«

Chris sah den Kiesweg hinauf in Richtung der Zedern-Fassade des Hauses, wo etwas hochrot Leuchtendes majestätisch neben Ricks bescheidenem Plymouth parkte.

»Donnerwetter! Wer von deinen Bekannten besitzt denn einen Lamborghini?«

Chris taxierte die extreme Linienführung des Sportwagens: extrem niedrig, extrem teuer und extrem rot.

Er blickte argwöhnisch, die Stirn gerunzelt. »Niemand.«

Kapitel 2

»Wir sind zuuuuurüüüüüück!« brüllte Rick in der Diele. Es kam keine Antwort.

Chris schloß die Tür hinter ihnen und sah sich im Haus um.

»Ich hab's dir doch gesagt, habe dem Frieden gleich nicht getraut. Jetzt sind sie mit dem Lamborghinifatzke in den Wald abgehauen.« Rick wandte sich zum Panoramafenster und sah drei Gestalten, die sich auf dem hinteren Rasenstück unterhielten. »Wer ist das?«

»Ich vermute, Herr Lamborghini. Komm, halt mein Händchen!«

»Wobei? Ich brauche ein Bier.«

»Ich hasse es, neue Leute zu treffen. Komm, laß mich nicht im Stich!«

»Mein Gott, verdammt groß der Bursche. Ist das ein alter Schulfreund von Matty?«

»Krieg deine Nase aus dem Eisschrank, und wir werden sehen.«

»Du nimmst es wohl nicht alleine mit ihm auf, was?«

Als sie die Flügeltüren aufschoben, blickte Matty nach oben. Chris fragte sich, ob ihr Gesicht ein wenig gerötet war; oder lag es nur an dem rosigen Sonnenuntergang?

»Kommt, lernt Mattys Vetter kennen!« sagte Sharon begeistert.

Rick nahm einen kräftigen Schluck und rülpste schwach. »Erst reiche Onkels, jetzt ein verlorener Vetter. Das Mädchen steckt voller Überraschungen.«

Chris unterdrückte sein Unbehagen und lächelte freundlich zu der Gruppe hin. »Hat der da mein Gewehr in der Hand?«

Rick schaute grimmig drein: »Sieht ganz so aus.«

Chris stöhnte: »Warum kann ich den Kerl schon jetzt nicht ausstehen?«

»Weil er größer ist und besser aussieht als du?«

Mit erzwungenem Lächeln kamen sie die Holzstufen herunter.

Er war tatsächlich größer und sehr muskulös: dichtes blondes Haar, klare blaue Augen, denen wenig zu entgehen schien.

Chris ertappte sich bei der Frage, ob er es mit diesem Typen aufnehmen könnte.

»... aber das wahrhaft goldene Zeitalter des Kiewer Reiches begann natürlich erst 980, als Wladimir Großfürst wurde. Wladimir! Was für ein Mann! Ohne zu zaudern, räumte er seinen Bruder im Kampf um die Nachfolge aus dem Weg.« Frank Springer wandte sich lächelnd Chris zu.

Der Druck seiner Hand war zurückhaltend, aber fest, voller Selbstvertrauen und gezügelter Kraft. »Chris, da sind Sie ja endlich. Gestatten, Frank Springer, Mattys Vetter.« Entschuldigend blickte er zu Sharon und Rick hinüber. »Ich fürchte, ich komme ungelegen.«

»Ach was!« versicherte Chris. »Frank, Rick Corman.«

»Rick, freut mich.«

»Wie geht's?«

»Sharon hast du ja schon kennengelernt.«

»Ja, ich hatte bereits das Vergnügen.« Frank deutete auf die beiden Frauen. »In der Gesellschaft zweier so reizender Damen hatte ich schon zu hoffen gewagt, Sie beide wären auf dem See verlorengegangen.«

Alle waren amüsiert. Sharon war geradezu hingerissen.

»Ich glaube, wir sind diejenigen, die Sie unterbrochen haben«, sagte Chris und nickte Rick zu.

Frank wehrte gleichgültig ab: »Überhaupt nicht. Ich war gerade dabei, Ihre liebenswerten Gattinnen mit meinen endlosen Geschichten über das alte Rußland zu langweilen. Kennen Sie die Geschichte Rußlands, Chris?«

»Nicht besonders gut. College.«

»Aber er ist ein schneller Lerner«, sagte Rick.

»Er hat ein eidetisches Gedächtnis«, bemerkte Matty. »Weißt du, was das ist?« Lag da eine Spur von Sarkasmus in ihrer Stimme?

Frank Springer wandte sich ihr langsam zu und grinste. »Allerdings, Häschen.« Dabei zwinkerte er mit den Augen und stupste ihr gönnerhaft mit dem Zeigefinger auf die Nase.

»Fast eidetisch«, korrigierte Chris.

»Erstaunlich«, strahlte Frank, »Sie sollten wirklich Mütterchen Rußland studieren. Ein faszinierendes Land. Das Kätzchen und ich haben Vorfahren dort.«

Wirklich überrascht, wandte sich Chris an seine Frau. »Du hast Rußland niemals erwähnt, Matty.«

Noch bevor sie antworten konnte, legte Frank ihr den Arm um die Schulter. »Ich fürchte, es liegt deprimierend lange zurück. Trotzdem fließt vielleicht noch der eine oder andere Tropfen vom Blut des alten Wladimir in unseren Adern.«

»Ist er Ihr Hauptinteressengebiet?« fragte Sharon beeindruckt.

»Eines von vielen, meine Liebe«, erwiderte Frank, »der alte Wladimir war schon ein erstaunlicher Bursche. Er brachte das Christentum nach Rußland und führte die Nation auf den Weg der Orthodoxie.«

»Ich hatte immer gedacht, Rußland sei ein gottloses Land«,. sagte Sharon kokett.

Frank lächelte ihre kecke Nase an. »Wirklich, meine Liebe?«

»Frank kommt aus New York«, platzte Matty heraus, um sein Staunen zu unterbrechen.

Chris nickte. »Oh, wirklich?«

Wieder legte Frank seinen Arm um Matty und zog sie an sich.

»Aus Rye, im Norden des Staates. Habe meine kleine Kusine seit Jahren nicht gesehen.« Er blickte auf ihre kupferfarbenen Locken hinab. »Wie lange eigentlich, Kleines?«

Matty behielt ihr verschmitztes Lächeln. »Jahre! Ich dachte schon, der Springersche Familienzweig sei ausgestorben«, erklärte sie Chris, wobei sie seinem Blick im Licht der untergehenden Sonne auswich.

Frank drückte sie und küßte sie auf die Wange. »Einen Springer wird man nicht los, Kusinchen. Mein Gott, Chris, dieser Platz hier ist wunderbar!« Mit anerkennendem Nicken begutachtete er das Grundstück. »Einfach wunderbar.« Mit dem Finger hob er Mattys Kinn. »Du läßt es dir wirklich gutgehen, mein Kätzchen.«

Mattys Lächeln war wie gefroren.

»Was tun Sie beruflich, Frank?« wollte Rick wissen.

Lächelnd wandte sich ihm Frank zu. »Ich bin Freiberufler.«

Rick starrte ihn an. »Ach so.«

Während des anschließenden Schweigens deutete Chris mit dem Kopf auf sein Gewehr, das in der Hand des großen Mannes schaukelte. »Jagen Sie, Frank?«

»Wie bitte? Ach so. Sie haben doch nichts dagegen, daß?«

»Überhaupt nicht«, hörte sich Chris sagen.

Frank wog das Gewehr in der Hand. »Eine Remington, nicht wahr?«

»Ja.«

»Schöne Waffe. Ein bißchen zu leicht für meinen Geschmack, aber gut zur Fasanenjagd. Jagen Sie überhaupt Fasanen, Chris? Bei uns im Osten gibt es echte Prachtexemplare davon.«

»Ich fürchte, nein. Ich bin nicht so fürs Töten.«

»Oh, wirklich?« Frank hob sanft das Gewehr und blickte zum Himmel. Alle folgten der dunklen Mündung hin zu dem verschwommen hoch am Himmel stehenden Flügelpaar.

Sharon wollte etwas sagen, aber angesichts des Krachens des Gewehrs sprang auch sie wie die anderen zur Seite.

Der große Adler taumelte und torkelte, verlor zunehmend an Höhe und verschwand in der Ferne hinter den Tannen. »Eine gute Jagdwaffe!« erklärte Frank, der das Gewehr fast zärtlich nach oben hielt, während er fachmännisch die Patronen entlud. Chris starrte schweigend auf die ungebrochene Linie der Tannen, während Rick sich zu ihm neigte und halblaut bemerkte: »Jetzt wissen wir, warum das eine gefährdete Tierart ist.«

Frank schaute zur Veranda hinauf und begann plötzlich zu lächeln. »Na, wen haben wir denn da?«

Alle wandten sich Nicky in seinem Kinderpyjama zu. Er hielt sich an den Geländerstäben fest. Seine Augen waren noch voller Schlaf.

»Das ist Nicky«, sagte Chris, »unser Sohn.«

Ohne den Blick abzuwenden, ging Frank auf die Veranda zu. »Na, was sagst du nun, kleiner Cowboy?«

»Kann man Adler eigentlich essen?« fragte Rick Chris.

Aber der ignorierte ihn. Er beobachtete den großen blonden Mann, der sich hinkniete, als Nicky vorsichtig die Verandastufen herunterkam, die Geländerpfosten dabei immer fest im Griff.

Frank hob das Kind mit der einen Hand hoch, in der anderen hielt er das Gewehr. Sehr zu Chris' Mißbehagen griff das Kind danach. Frank zeigte es ihm mit breitem Lächeln und rief den anderen zu: »Der Kleine ist ja genau wie ich.«

»Ist das Ding noch geladen?« fragte Sharon leise.

Chris trat einen Schritt vor. Er war angespannt. »He, Partner«, rief er seinem Sohn zu, der die Arme ausstreckte und heruntergelassen werden wollte. Dann lief er über den grünen Rasen zu seinem Vater.

Sie saßen im Eßzimmer unter der hell erleuchteten Decke mit dem Wagenradkandelaber. Man war gerade dabei, die Regenbogenforelle zu verzehren, die Chris am Vortag gefangen hatte. Draußen war es dunkel, und jenseits des Gardinenfensters konnte man in dieser Spätsommernacht jeden Stern erkennen.

»Chris«, staunte Frank beim Essen, »diese Forelle schmeckt wirklich unvergleichlich.«

»Einfach köstlich«, pflichtete Sharon bei.

Über die Fischgräten hinweg nickte Chris seiner Frau zu. »Das ist Mattys Werk. Ich habe nur den Köder an den Haken gehängt.« Er hatte ein stolzes Lächeln von ihr erwartet, doch es folgte nur ein ausdrucksloses Schweigen. War sie nur ein wenig versonnen, oder hatte er vorhin irgendeinen Fauxpas begangen?

Frank kaute nachdenklich vor sich hin, während sein Blick durch das geräumige Zimmer wanderte._ »Ich komme einfach nicht drüber hinweg. Dieses Haus! Einfach unglaublich! Mir gefällt, was Sie damit gemacht haben, Chris.«

»Danke.«

Frank schüttelte den Kopf. »Unsere Matty hier bekommt das Haus und der alte Frank den Sportwagen, richtig, mein Schatz? Guter alter Onkel Arky!«

Chris hielt zwischen zwei Bissen inne und sah seine Frau an. »Ich dachte, dein Onkel hieß Thomas.«

»Jeder nannte ihn Arky«, unterbrach Frank, »warum eigentlich, Kätzchen?«

Mit gefrorenem Lächeln stocherte Matty in ihrem Salat herum: »Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern.«

Frank legte seine Gabel beiseite und neigte sich schelmisch über den Tisch. »Ricky!« Er zeigte mit dem Kopf auf Matty, »ob Sie's glauben oder nicht. Ich habe dieses süße Ding mal splitternackt gesehen!«

In diesem Moment ließ Sharon ihr Glas fallen. Zwar zerbrach es nicht, aber die Flüssigkeit ergoß sich über den Tisch. »Oh, es tut mir so leid.«

Matty machte sich mit einer Leinenserviette daran zu schaffen. »Kein Problem, ist ja nur Wasser.«

Rick und Chris starrten Springer an.