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Titelseite

Inhalt

Himbeergeleewangen und ein dicker Bauch

Bauch-weg-Training macht schlechte Laune

Ein total unmöglicher Vorschlag

Unverhofft kommt oft

Zwei Halbe sind ein ganzes Dutzend!

Doktor Bulli und Schwester Wally bitte sofort in den OP!

Eine verwaiste Wurfbox

Wenn Ponys fliegen wollen und nicht dürfen

Schmierlappenalarm

Pony mit Plan

Chaos hoch zwölf

Ponys in geheimer Mission

Eine heiße Spur

Am Ende gewinnt immer nur einer!

Pferdebegriffe von A bis Z

 

kap

Himbeergeleewangen und ein dicker Bauch

Donnerwetter, was für ein Rummel!

Gerade ist Onkel Hape von seiner halben Weltreise zurückgekehrt und nicht nur Mama ist deshalb in hellem Aufruhr. Bis auf Lucas hat sich die gesamte Familie Schulte-Naumann vom Reiterhof nebenan in der Hofeinfahrt versammelt und plappert wild durcheinander. Am aufgeregtesten ist übrigens Oma Gertrud, sie drückt den armen Hape so fest an ihren gewaltigen Busen, dass er bestimmt bald platt wie eine Briefmarke ist. Sie scheint ein echter Onkel-Hape-Fan zu sein.

„Ach, men Jung“, seufzt sie überglücklich, „wat bin ik froh, dat du heil und gesund wieder to Huus gelandet bist.“

Onkel Hape lacht, während er vorsichtig versucht, sich aus Oma Gertruds Klammergriff zu befreien. Es dauert dann aber noch eine ganze Weile, bis ihm das gelingt.

Danach muss er erst Herrn Schulte-Naumanns Fragen beantworten, die selbst gemachte Marmelade von Frau Schulte-Naumann entgegennehmen, auch ihr Rede und Antwort stehen und sich anschließend noch einmal von Oma Gertrud drücken lassen.

„Was haltet ihr davon“, sagt Frau Schulte-Naumann und meint damit Mama, Onkel Hape und mich, „wenn ihr später zu Kaffee und Kuchen rüberkommt?! Dann kannst du uns ausführlich von deiner halben Weltreise erzählen. Ich bin nämlich wirklich neugierig, was du in den letzten drei Monaten so alles erlebt und gesehen hast.“

„Vielen Dank für das Angebot“, erwidert mein Onkel mit einem freundlichen Lächeln. „Aber können wir den Kaffeeklatsch vielleicht auf morgen verlegen?“ Er fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht, das übrigens recht blass und schmal ist. „Ich bin doch ziemlich erledigt von der langen Rückfahrt.“

„Und smächtig bist du geworden“, findet Oma Gertrud und schüttelt fast ein wenig vorwurfsvoll den Kopf. „Jung, Jung, de Jeansbüx schlackert ja nur so an dir.“

Damit ist übrigens Onkel Hapes Hose gemeint. Oma Gertrud verfällt gerne mal ins Plattdeutsche. Schließlich kommt sie ursprünglich aus Ostfriesland. Ich find’s irgendwie lustig und hab mich inzwischen daran gewöhnt – auch wenn ich manchmal nichts verstehe.

Überhaupt habe ich mich toootal gut an all das hier gewöhnt. Sogar so gut, dass Mama und ich beschlossen haben hierzubleiben. Für immer! Also, so richtig für immer-immer! Eigentlich unfassbar, denn ursprünglich wollte ich nicht einmal meine Sommerferien hier verbringen. Mit Händen und Füßen habe ich mich gegen das olle Kuhkaff und vor allem gegen den Ponyhof gewehrt. Tja, und jetzt ist alles anders.

Nicht ganz unschuldig daran ist ein ziemlich aufdringlicher pechschwarzer Kerl mit breiter Blesse und dem charmantesten Ponylächeln weit und breit namens Bulli.

Er hat sich nämlich auf Anhieb in mich verliebt, obwohl ich jedes Mal fast eine Panikattacke bekommen habe, wenn er ungefragt in mein Atelier getrabt ist. Oder mich ständig und überallhin verfolgt hat. Stets mit einem begeisterten Schnauben, das zu Beginn unseres Kennenlernens in meinen Ohren wie ein bedrohliches Knurren geklungen hat.

Aber das ist sozusagen Schnee von gestern, wie Oma Gertrud sagen würde. Inzwischen sind wir ein echtes Dream-Team und ich bin tatsächlich – WAHNSINN – ein Ponymädchen geworden!

Als das Ende der Sommerferien gekommen war und wir eigentlich zurück nach Hamburg in unser altes Leben, Mama in ihren Job, ich in meine Schule, mussten, da hat Mama plötzlich gemeint, sie könnte sich gut vorstellen, hierzubleiben. Ich gebe zu, drei, vier, okay, bestimmt zwanzig Sekunden war ich geschockt. So richtig. Ich habe an meine Freundin Jette gedacht. An meinen Zeichenkurs. An mein Zimmer. An die Alster. An die Nachmittage im Einkaufszentrum. An mein Leben in der Großstadt, das mir eigentlich richtig gut gefiel. Und ich wusste, ich würde es schrecklich vermissen. Aber dann habe ich versucht, mir vorzustellen, wie es sein würde, wenn ich Bulli, Lucas, die Schulte-Naumanns, ja, selbst Onkel Hapes superwertvolle Kois nicht mehr täglich sehen würde, und das, ganz ehrlich, war mir tatsächlich noch viel schlimmer vorgekommen. Also habe ich einfach gesagt: „Gute Idee, Mama!“

Mama hat mich in Hamburg von der Schule abgemeldet und hier am Goethe-Gymnasium wieder an. Das Wochenende darauf sind wir dann nach Hamburg gefahren, haben all unsere Sachen in große Kisten gepackt und noch mal drei Tage später hat ein großes Umzugsunternehmen unsere Möbel und Kisten auf Onkel Hapes Hof kutschiert. Zuvor hat Mama natürlich mit Onkel Hape am Telefon besprochen, dass wir in den oberen Teil seines Fachwerkhauses einziehen würden.

Der war völlig von der Rolle, denn schließlich hat er genau das Mama in den letzten Jahren schon mindestens tausend Mal angeboten.

Tja, nun bin ich also eine Lüneburger-Heide-Deern (hat Oma Gertrud gemeint) und es gefällt mir richtig, richtig gut. Außer vielleicht die ewig lange Busfahrt zur Schule. Zum Glück geht Lucas auf dieselbe Schule, zwar eine Klasse über mir, aber so können wir wenigstens immer zusammen die Zeit im Bus totschlagen.

„Na gut, dann lasst uns morgen Nachmittag um drei Uhr festhalten“, sagt Frau Schulte-Naumann und nachdem Oma Gertrud Onkel Hape noch einmal die schmale Wange getätschelt hat, verabschieden die drei sich von uns.

„Puh“, macht Onkel Hape und schaut von Mama zu mir und wieder zurück. „Mit so einem Trubel hätte ich wirklich nicht gerechnet.“

Mama lächelt. „Aber es ist doch schön, wenn man so freudig empfangen wird“, findet sie.

„Ja klar, so meinte ich das auch überhaupt nicht“, beeilt er sich zu sagen. „Ich hatte nur gerade in den letzten Wochen, in denen ich kreuz und quer durch Grönland gereist bin, selten bis nie Gesellschaft.“ Erneut hält er kurz inne, schaut zu seiner Hündin Cleopatra II., die an seinem Hosenbein klebt, als wäre sie festgetackert, und verbessert sich: „Außer natürlich die meiner lieben Cleo.“

Ich bin seinem Blick gefolgt und komme nicht umhin, mich ganz schön zu wundern. Cleo ist dick – nein, fett! Das ist schon deshalb ziemlich verwunderlich, weil Onkel Hape stets darauf achtet, dass seine Jack-Russell-Terrier-Hündin topfit bleibt. Schließlich ist sie eine mehrfach prämierte Rassehündin.

„Was ist denn eigentlich mit Cleo passiert?“, frage ich nun frei heraus.

Onkel Hape seufzt tief. „Tja, sie hat sich doch tatsächlich mit so einem dahergelaufenen Straßenköter angefreundet.“

Sein Gesichtsausdruck spricht Bände und Cleos dicker Bauch … – okay, ich schätze, mein Karlchen wird großer Bruder.

„Ach du meine Güte.“ Mama zieht die Augenbrauen hoch. „Erwartet Cleo etwa Welpen?!“

Onkel Hape nickt und Mama klatscht die Hände vor der Brust zusammen. „Deshalb bist du also vorzeitig zurückgekommen.“

Onkel Hape nickt gleich noch mal. Aber nun mit verdächtig roten Wangen. „Na ja, und natürlich euretwegen.“

Ups! Was ist denn auf einmal mit Onkel Hape los? Er starrt auf seine Schuhe, als hätte er sie gerade erst entdeckt, und überhaupt kommt er mir plötzlich wie ein verlegener Erstklässler vor, der sich nicht ins Klassenzimmer traut.

Mama legt ihre Hand auf seinen Unterarm und lächelt ihn lieb an. „Es ist schön, dass du wieder da bist, Hape.“

Oha, jetzt fängt Onkel Hape an zu glühen, als hätte er einen Eimer heiße Grillkohlen verschluckt, und mir wird es hier jetzt irgendwie zu … peinlich.

„Ich lauf mal schnell rüber zu Bulli. Der hat gerade so komisch gewiehert“, behaupte ich und sprinte davon.

Mein Ponyfreund begrüßt mich mit einem freundlichen Schnauben und gespitzten Ohren, als ich den Stall betrete, den er sich mit seinem Schimmelkumpel Wally teilt. Das ehemalige supererfolgreiche Springpferd von einem genauso ehemaligen und supererfolgreichen Fußballprofi steht dösend in der Herbstsonne und kriegt mal wieder nichts um sich herum mit.

„Hi, Bulli“, sage ich leise und kraule ihn hinter den Ohren, was er ganz besonders gern mag. „Ich hoffe, ich habe euch nicht beim Mittagsschläfchen gestört?“

Bulli rümpft die Nüstern, ganz so, als wollte er sagen: Unsinn! Du störst mich nie! Freu mich doch immer, dich zu sehen!

Ich bin mir übrigens sicher, dass Bulli jedes meiner Worte versteht, und gebe mir deshalb echt Mühe, es umgekehrt auch hinzukriegen. Allerdings behalte ich das schön für mich. Erstens geht es keinen was an. Und zweitens, na ja, ich hab mal so was in der Art zu Lucas gesagt und der hat mich ganz schön komisch angeguckt.

„Onkel Hape ist wieder da“, erzähle ich Bulli und lege meine Hand an seinen warmen weichen Hals. „Cleo bekommt Welpen und überhaupt, ich bin echt gespannt, wie das so ist, wenn wir nun alle zusammenwohnen.“

Ich schlucke schwer, denn plötzlich steckt da ein dicker Kloß in meinem Hals. „Mama und ich … wir haben noch niemals mit jemandem zusammengewohnt, weißt du“, krächze ich.

„Wir sind immer nur zu zweit gewesen.“

Bulli stupst mich sanft mit seiner weichen Nase an, als ich nicht weiterrede.

Ich hole tief Luft. Schlucke noch einmal und flüstere schließlich: „Ja, ich weiß, ich habe dir noch niemals von meinem Papa erzählt. Aber irgendwann werde ich das tun, versprochen.“ Dann beuge ich mich etwas vor und hauche meinem bildschönen Ponyfreund einen sanften Kuss auf seine Nase. „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“

kap

Bauch-weg-Training macht schlechte Laune

„Okay, der Verrückte ist also wieder da“, seufze ich laut. „Schade.“

„Wieso schade?“, fragt Wally nach. Das alte Springpferd verbringt seinen Ruhestand in meiner Nachbarbox und ist leider nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte. Es ist doch wohl mehr als offensichtlich, warum das schade ist!

„Wally – der Irre ist doch der mit den Steinen! Wenn er wieder da ist, werden in dem kleinen Häuschen Steine gekloppt und keine Bilder mehr gemalt. Das finde ich schade, weil ich Lina dabei immer gern zugeguckt habe.“

„Aha.“ Mehr sagt Wally nicht. Ich wette, weil er immer noch nicht kapiert hat, was ich meine. Eben keine Ahnung von Kunst, der alte Schimmel!

„Anderes Thema“, sage ich also, „die Sache mit den Welpen ist natürlich auch ziemlich schlimm.“

„Welpen? Was für Welpen?“

„Echt jetzt, Wally! Hörst du eigentlich nie zu, wenn man dir was erzählt?“

„Hä? Wer hat mir was erzählt? Du? Über Welpen?“

Ich schnaube empört.

„Nein! Lina! Über die Welpen von dieser dicken Cleo!“

„Na, das hat sie dann aber garantiert nicht mir erzählt. Sondern dir“, wiehert Wally fröhlich.

Gut, das finde ich jetzt sehr spitzfindig von Wally. Und überhaupt hat er so große Ohren, dass er mit Sicherheit alles hören könnte, was in einem Umkreis von einem Kilometer um ihn herum erzählt wird. Wie gesagt, könnte. Wenn er nur nicht so verpeilt wäre. Aber es hilft ja nichts. Wenn ich mich mit ihm über diese Neuigkeiten unterhalten will, muss ich ihm wohl oder übel noch einmal erzählen, was Lina mir gerade berichtet hat.

„Also, Öhrchen gespitzt, du alter Schinder! Ist dir nicht auch schon aufgefallen, dass dieser Cleo-Köter unheimlich fett aussieht?“

Wally dreht die Ohren zur Seite und denkt angestrengt nach.

„Nee, eigentlich ist mir das nicht aufgefallen. Ich finde es sowieso nicht gut, wenn man immer alle nach ihrem Äußeren beurteilt. Dicke können doch total nett sein. Ich meine, Bulli – du bist das beste Beispiel dafür. Du hast auch ein ziemliches Bäuchlein und bist trotzdem mein bester Freund.“

BRRRRRR, wühaha!! Bitte was? Ich und ein Bäuchlein? Also, das ist doch wohl der Gipfel der Unverschämtheit!

„Wally!“, schnaube ich meinen Kumpel an. „Ich bin top durchtrainiert! Das, was du als Bäuchlein bezeichnest, ist in Wirklichkeit nichts als ein Berg Muskeln!“

Ich ernte ein breites Pferdegrinsen.

„Ach, komm schon, wem willst du das denn weismachen? Ein Berg Muskeln? Am Bauch?“

„Muskeln kann man überall haben! Ich bin immerhin ein Spitzensportler! Vor dir steht ein echter Derbysieger!“

„Ich weiß, du hast es mir schon oft genug erzählt. Aber soweit ich mich erinnern kann, ist dieser Derbysieg schon ein paar Jahre her. Dein letzter Einsatz war doch beim Kinder-Reitwettbewerb auf dem Hofturnier. Nicht gerade etwas, wofür man Muskelberge braucht.“

Zack! Das hat gesessen! Aber so was von! Denn wenn ich ehrlich bin, hat Wally ein bisschen recht. Tatsächlich bin ich nicht mehr so sportlich, wie ich es einmal war. Nachdem meine Reiterin, die älteste Tochter von Familie Schulze-Naumann, zum Studium von zu Hause weggegangen war, habe ich erst einmal ein paar Jahre gar nicht mehr trainiert. Bis ich Lina entdeckt habe. In die habe ich mich gleich dermaßen verknallt, dass ich sie unbedingt überzeugen musste, mich zu reiten. Allerdings hatte Lina a) noch nie zuvor auf einem Pferd gesessen und b) eigentlich Angst vor Ponys. Also hat es ein bisschen gedauert, bis ich sie davon überzeugen konnte, dass ich c) genau ihr Typ bin und d) Reiten echt Spaß macht. Nun sind wir oft zusammen unterwegs und Lina hat schon sehr viel gelernt – aber olympiareif sind wir natürlich noch nicht. Ein bisschen mehr Hochleistungstraining könnte meine Figur also vermutlich wirklich vertragen. Ich seufze und Wally stupst mich mit seiner weichen Pferdenase in die Flanke.

„Komm schon, Bulli. Ist doch nicht so schlimm! Es sind doch die inneren Werte, die zählen, oder?“

Ich schüttle den Kopf.