ROBERT E. HOWARD/

L. SPRAGUE DE CAMP

 

Conan, der Pirat

 

 

 

 

Erzählungen

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

CONAN, DER PIRAT 

 

Einleitung von L. Sprague de Camp 

 

Robert E. Howard und L. Sprague De Camp: DER WAHNSINNIGE KÖNIG 

Robert E. Howard: NATOKH, DER ZAUBERER 

Robert E. Howard: SCHATTEN IM MONDLICHT 

Robert E. Howard und L. Sprague de Camp: DIE STRASSE DER ADLER 

Robert E. Howard: SALOME, DIE HEXE 

 

Das Buch

 

 

 

Viele Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung bildeten Europa, Asien und Afrika noch eine zusammenhängende Landmasse: den hyborischen Kontinent.

Es ist die Welt und die Zeit von Conan, dem Abenteurer aus dem düsteren nördlichen Grenzland Cimmerien, der die Steppen und Dschungel, die Gebirge und Ebenen auf der Jagd nach Beute durchstreift.

Sein Weg führt ihn in märchenhafte und sagenumwobene Länder, in prächtige Städte und an glanzvolle Höfe, an denen Könige oder mächtige Zauberer herrschen.

Immer wieder versucht man ihn, den einfältigen Barbaren, zu übertölpeln und zu versklaven. Doch mit seinen gewaltigen Körperkräften und der unglaublichen Schnelligkeit seiner Waffen sprengt er alle Ketten und lehrt seine Gegner das Fürchten...

 

Nach seinen Abenteuern im tiefen Süden, in Kush, als Gefährte der shemitischen Piratin Belit kehrt Conan nach Shem zurück, um einen schändlichen Verrat zu rächen. Sein Ruf als Pirat ist ihm vorausgeeilt, und er muß vor dem aufgebrachten Mob fliehen. Nach einem Abenteuer mit der schönen Prinzessin von Khoraja und einem Besuch in der Heimat zieht es ihn wieder in die hyborischen Königreiche des Südens...

CONAN, DER PIRAT

 

 

 

 

  Einleitung von L. Sprague de Camp

 

 

Robert E. Howard (1906 - 36), der geistige Vater Conans, wurde in Peaster, Texas geboren. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Cross Plains, im Herzen Texas. Während seines kurzen Lebens (er beendete es im Alter von dreißig Jahren durch Selbstmord), widmete sich Howard den verschiedensten Sparten der Unterhaltungsliteratur. Er schrieb Sport-, Kriminal-, Wild West-, Abenteuer-, Science-Fiction-, Grusel- und Gespenstergeschichten, sowie historische Stories, nebst Gedichten und Fantasy. Von seinen verschiedenen Serien heroischer Fantasy waren die Conan-Geschichten die beliebtesten. Achtzehn davon wurden noch zu Howards Lebzeiten veröffentlicht. Acht weitere - von Fragmenten und Exposés bis zu fertigen Manuskripten - wurden seit 1950 unter den Papieren in seinem Nachlass gefunden. Die nicht kompletten vollendeten mein Kollege Lin Carter und ich.

Zusätzlich schrieb ich in den frühen fünfziger Jahren vier unveröffentlichte Howard-Manuskripte mit orientalischen Abenteuergeschichten zu Conan-Stories um. Ich änderte die Namen, sorgte dafür, dass es zu keinen Anachronismen kam, und führte ein übernatürliches Element ein. Das war nicht sehr schwierig, da Howards Helden so ziemlich alle aus dem gleichen Holz geschnitzt waren. Die so entstandenen postumen Stories sind jedenfalls immer noch zu drei Viertel oder vier Fünftel Howards Werk. Zwei dieser umgearbeiteten Geschichten sind in vorliegendem Band enthalten: HAWKS OVER SHEM (Der wahnsinnige König), ursprünglich: HAWKS OVER EGYPT, handelte im Originalmanuskript im Ägypten des elften Jahrhunderts, während der Herrschaft des wahnsinnigen Kalifen Hakim; und THE ROAD OF THE EAGLES (Die Straße der Adler), eine Story, die ursprünglich im Türkischen Reich des sechzehnten Jahrhunderts spielte.

Außerdem schrieben meine Kollegen Lin Carter, Björn Nyberg und ich Stories, manche gemeinsam, einige Conan-Pastiches, nach Hinweisen in Briefen und Notizen Howards. Alle diese Geschichten - ob nun ganz von Howard geschrieben, oder postume Gemeinschaftswerke oder Pastiches - sind bereits, oder werden noch in dieser Reihe veröffentlicht.

Die Conan-Abenteuer handeln alle in Howards fiktivem Hyborischen Zeitalter, vor etwa zwölftausend Jahren, zwischen dem Untergang von Atlantis und dem Beginn der Geschichtsschreibung. Conan, ein riesenhafter barbarischer Abenteurer aus dem hinterwäldlerischen Cimmerien im Norden, taucht als junger Bursche im Königreich Zamora auf, und schlägt sich dort und in den benachbarten Landen als Dieb durch. Dann verdingt er sich als Söldner, zuerst im orientalisch anmutenden Reich Turan, dann in den hyborischen Königreichen.

Nachdem Conan gezwungen war, aus Argos zu fliehen, wurde er zum Piraten entlang der Küste von Kush, als Gefährte der shemitischen Piratin Belit. Nach Belits Tod und einigen gefährlichen Abenteuern unter den schwarzen Stämmen, bei denen er dem Tod gerade noch um Haaresbreite entging, kehrte er nach Shem zurück, um sich erneut als Söldner zu verdingen. Hier beginnt der vorliegende Band.

Vor fast zwanzig Jahren stellte mein alter Freund John D. Clark, ein Chemiker und langjähriger Conan-Fan, die damals bekannten Conan-Geschichten zur Veröffentlichung in der Gnome Press zusammen. Er schrieb eine Einleitung zum ersten Buch der Reihe, CONAN THE CONQUEROR (Conan, der Eroberer). Sie gibt einen guten Einblick in Howards Arbeiten im Allgemeinen und die Conan-Stories im Besonderen. Mit Dr. Clarks Erlaubnis möchte ich sie hier zitieren:

 

Es sind nun nahezu siebzehn Jahre her, da kam ich zum erstenmal mit dem Hyborischen Zeitalter in Berührung. Es geschah, als mich das aufregende Titelbild der September 1933 Nummer von WEIRD TALES animierte, die Story The Slithering Shadow (Der wandernde Schatten) zu lesen. Hier begegnete ich Conan zum erstenmal, und der Eindruck, den er hinterließ, war nachhaltig. Von da ab verfolgte ich die Abenteuer dieses unkonventionellen Helden mit mehr als dem üblichen Interesse. Wenig später (ungefähr 1935) beschlossen Schuyler Miller und ich, eine Karte von Conans Welt zu zeichnen. Es erwies sich als unwahrscheinlich einfach. Die Länder breiteten sich auf dem Papier aus, veränderten ihre Umrisse noch ein wenig und schlossen sich mit ihren Nachbarn unbestreitbar zu einer richtigen Karte zusammen. Kurz darauf schrieben wir Howard, und es stellte sich heraus, dass seine Karte so gut wie identisch mit unserer war, genau wie seine ConanBiographie sich in allen wichtigen Punkten, wie Miller und ich sie den Stories entnommen hatten, nicht von unserer unterschied. Soviel ich mich erinnere, war der einzige Punkt von Bedeutung, wo sie nicht übereinstimmte, Conans Alter (es fehlten zwei Jahre) in einer der Geschichten. 

Da wurde uns klar, dass wir es mit einem Erzähler zu tun hatten, der sein Geschäft verstand. Und als wir das Manuskript von The Hyborian Age (Das Hyborische Zeitalter) lasen, kurz ehe es veröffentlicht wurde, hegten wir nicht den geringsten Zweifel mehr daran. 

Jedenfalls gelang es mir in den nächsten Jahren auch die übrigen Fantasy-Erzählungen Howards zu sammeln, einschließlich King Kull. Es war sofort offensichtlich, dass sie alle mit nur kleinen Abweichungen - obwohl Howard sie geschrieben hatte, ehe ihm der großartige Einfall mit Conan gekommen war - zum Bild des cimmerischen Barbaren passten.

Unter den Conan-Stories finden sich Teile der Biographie dieses bemerkenswerten Helden, wie Miller und ich sie zusammenstellten, die auf die meisten, in den Geschichten selbst nicht erwähnten Reisen und Abenteuer Conans hinweisen. Allerdings erklären sie nicht, wie er die jeweilige Gespielin, mit der er gewöhnlich am Ende einer Story beisammen war, wieder los wurde, um sich in der nächsten Geschichte einer neuen zuwenden zu können. Eine Frage, die es wert wäre, dass einmal ein junger Student der... nun, der Psychologie vielleicht, sie für eine Arbeit aufgriffe. Die Ergebnisse wären gewiss nicht weniger nützlich als eine Doktorarbeit über die Überlegungen, ob nun Francis Bacon oder der Herzog von Oxford die angeblich von einem Herrn Shakespeare geschriebenen Werke verfasste 

Ich beabsichtige nicht, über den Menschen Robert E. Howard zu schreiben. Ich lernte ihn persönlich nie kennen, und die, die ihn kannten, sind ganz sicher imstande, es besser zu tun, als ich es könnte. Ich kenne ihn lediglich als Verfasser unwahrscheinlich guter Fantasy. Der Teil eines Autors, der nicht mit seinem Körper stirbt, sind seine Stories, und Howards Geschichten werden für die, die gute Abenteuer in großem Stil lieben, nicht sterben. Sie gehören vermutlich dazu, denn sonst hätten Sie sich dieses Buch überhaupt nicht gekauft.

Howard war ein ausgezeichneter Erzähler, der seine Werkzeuge beherrschte und keinerlei Hemmungen hatte. Mit sicherer Hand griff er in die abenteuerlichsten Epochen der Geschichte und nahm sich, was er brauchte: geeignete Namen aus fast allen sprachlichen Bereichen, Waffen von überallher und aus allen Zeiten, Sitten, Gebräuche und Stände der antiken Welt und des Mittelalters. Er fügte alles zu einem logischen und funktionierenden Kosmos, ohne sichtbare Naht zusammen und gab ihm mit einer Portion übernatürlicher Elemente den besonderen Schliff. Das Ergebnis war ein purpurnes, goldenes und blutvolles Universum, in dem alles möglich ist - nur keine Langeweile.

Seine Helden sind nicht tiefsinnig, aber auch nie dumm oder farblos. Kull, Solomon Kane, Bran Mak Morn und vor allem Conan sind so lebendig, wie Menschen nur sein können. Vielleicht gehören sie nicht gerade zu der Art Leute, die wir zu einer Cocktailparty einladen würden, aber wir würden uns gewiss eine ganze Weile an sie erinnern, wenn sie uneingeladen kämen. Conan, der Held aller Helden Howards, ist der geborene Haudegen, unbesiegbar und unwiderstehlich, genau das, was wir dann und wann selbst gern sein möchten. Die Frauen, die in ihrem Äußeren, ihrem Benehmen und ihrer Kleidung (oder fehlender Kleidung) dem Bild entsprechen, das man sich von den Schönen eines Harems macht, wie man sie aber in Wirklichkeit dort nicht findet (und ist es nicht bedauerlich, dass man ihresgleichen in unserer Zeit so wenig begegnet?). Die Bösen sind so böse, wie nur abgefeimte Schurken sein können. Die Zauberer sind Zauberer ganz nach unserer Vorstellung, und die Geister, die sie herbeibeschwören, oder die ungerufen kommen, sind (Gott sei Dank) nicht von dieser Welt.

Vor allem aber war Howard ein Geschichtenerzähler. Die Story stand im Vordergrund. Da ist immer Action, die Handlung verläuft spannend und ohne Stocken vom Anfang bis zum Schluss, wobei das Geschehen so dicht abrollt, dass der Leser kaum zu Atem kommt. Sie brauchen nicht nach verborgenen philosophischen Bedeutungen Ausschau zu halten oder nach intellektuellen Problemen - es gibt sie in diesen Geschichten nicht. HOWARD WAR EIN GESCHICHTENERZÄHLER! Seine Stories sind typische Mantel-und-Degen-Abenteuer mit aufregenden Extras, und sie haben das bisschen mehr an Sex, das sie vor der Antiquiertheit rettet.

Hier ist also dieses Buch. Wenn Sie schon früher Conan gelesen haben, wissen Sie, was Sie erwartet.

Wenn nicht, und wenn Sie Anhänger phantastischer Abenteuer sind, können Sie nachholen, was Sie versäumt haben, und sich jetzt ganz dem Genuss hingeben, von Göttern und Dämonen, Kriegern und ihren Frauen, und Abenteuern in einer Welt zu lesen, die es nie gegeben hat, die es jedoch hätte geben sollen. Wenn der historische Hintergrund der Story nicht mit der geschichtlichen Wirklichkeit übereinstimmt, wie Sie sie kennen, wenn die Ethnologie Sie verwundert und die Geologie nicht weniger - dann lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Howard schrieb von einer anderen Erde als dieser - einer farbigeren, gewaltigeren.

Wenn Sie jedoch auf Realismus in Ihrer Lektüre bestehen - wenn Sie Romane über Introvertierte brauchen, die in einer brutalen Welt leiden - wenn Sie etwas Schollengebundeneres vorziehen, oder wenn Sie sich lieber mit Psychopathologie beschäftigen, oder dem, was sonst an Unerfreulichem in unserer Welt vorgeht, dann vergraben Sie sich besser in irgendeinem Loch und lesen Sie SCHULD UND SÜHNE. Aber ich werde Ihnen dabei nicht Gesellschaft leisten - ich habe eine Verabredung im Hyborischen Zeitalter und werde den ganzen Abend beschäftigt sein.

 

- John D. Clark, Dr. phil.,

New York City, 5. April 1950

  Robert E. Howard und L. Sprague De Camp:

  DER WAHNSINNIGE KÖNIG

 

 

Anschließend an die Ereignisse in der Story THE SNOUT IN THE DARK (Dämon aus der Nacht) wandert Conan unzufrieden mit seinen Erfahrungen in den schwarzen Ländern nordwärts durch die Wüsten Stygiens zu den grünen Wiesen Shems. Sein Ruf kommt ihm hier sehr vonstatten, und er findet Aufnahme in der Armee König Sumuabis von Akkharien, einem der südlichen Stadtstaaten. Durch den Verrat Othbaals, eines Vetters des wahnsinnigen Königs Akhirom von Pelishtien, geraten die akharischen Streitkräfte in einen Hinterhalt und werden niedergemetzelt - alle, außer Conan, der überlebt und den Verräter nach Asgalun, der Hauptstadt von Pelishtien verfolgt. 

 

 

Die hochgewachsene Gestalt in dem weißen Umhang drehte sich fluchend mit der Rechten am Säbelgriff um. Man brauchte schon einen guten Grund, um sich in die nächtlichen Straßen Asgaluns, der shemitischen Hauptstadt von Pelishtien, zu wagen. In diesen winkeligen Gassen des verrufenen Hafenviertels musste man auf das Schlimmste gefasst sein.

»Weshalb verfolgst du mich, Hund?« Die Stimme klang rau, der hyrkanische Akzent verschluckte die shemitischen Kehllaute.

»Sagtest du, Hund?« Der Akzent unterschied sich deutlich von dem des Hyrkaniers.

»Ganz recht, Hund! Du verfolgst...«

Ehe der Hyrkanier weitersprechen konnte, sprang der andere ihn mit der Flinkheit eines Tigers an. Der Hyrkanier griff nach dem Säbel, doch noch ehe er ihn aus der Scheide gezogen hatte, traf ein gewaltiger Fausthieb seine Schläfe. Einem weniger kräftigen Mann, und einem ohne Helmschutz, hätte dieser Schlag möglicherweise den Hals gebrochen. So stürzte der Hyrkanier nur auf das Pflaster, und der Säbel entglitt klirrend seinem Griff.

Als er wieder zu sich kam und benommen den Kopf schüttelte, sah er den anderen mit gezogenem Säbel über sich stehen. Der Fremde knurrte: »Ich habe dich nicht verfolgt, und ich vertrage es nicht, wenn irgendjemand mich Hund schimpft! Verstehst du das, Hund?«

Der Hyrkanier hielt verstohlen nach seiner Klinge Ausschau, und stellte fest, dass der andere sie außer Reichweite gestoßen hatte. Er erhoffte Zeit zu gewinnen, um den Säbel durch einen plötzlichen Sprung wieder an sich bringen zu können, und so sagte er: »Ich bedauere, wenn ich Euch falsch verdächtigte, aber man verfolgt mich seit Anbruch der Nacht. Ich hörte schleichende Schritte hinter mir in den dunklen Gassen. Und dann kamt Ihr unerwartet in Sicht, ausgerechnet an einem Ort, wie es keinen besseren für einen Meuchelmord gibt.«

»Ischtars Fluch über dich! Weshalb sollte ich hinter dir her sein? Ich habe mich verirrt. Dich habe ich nie zuvor gesehen, und ich bin nicht erpicht darauf, dich je wiederzusehen.«

Ein scharrendes Geräusch ließ den Fremden herumwirbeln und zurückspringen, so dass sowohl der Hyrkanier als auch die Dazugekommenen sich vor ihm befanden.

Vier riesenhafte Schatten zeichneten sich von den helleren der Gasse ab. Schwaches Sternenlicht glitzerte an Krummsäbeln. Auch das Weiß von blitzenden Zähnen und Augen war zu sehen.

Einen Augenblick herrschte angespannte Stille. Dann murmelte einer der vier in der fließenden Sprache der schwarzen Königreiche: »Welcher ist unser Hund? Beide sind gleich gekleidet, die Dunkelheit macht sie zu Zwillingen.«

»Haut sie beide nieder!«, befahl ein anderer, der noch einen Kopf über seine hochgewachsenen Begleiter hinausragte. »Dann begehen wir keinen Fehler und lassen keinen Zeugen zurück.«

Nach diesen Worten kamen die vier Schwarzen in tödlicher Stille näher. Der Fremde sprang mit zwei langen Sätzen zum Säbel des Hyrkaniers. »Da!«, knurrte er und beförderte die Klinge mit einem Fußtritt zu ihrem Besitzer, der sich sofort nach ihr bückte und sich damit den Schwarzen entgegenstürzte.

Der riesige Kushit und einer seiner Begleiter wandten sich dem Fremden zu, während die beiden anderen sich mit dem Hyrkanier beschäftigten. Der Fremde sprang mit der gleichen katzenhaften Flinkheit wie zuvor seinen Angreifern entgegen. Eine schnelle Finte, Klingenklirren und ein blitzartiger Hieb trennten dem kleineren Schwarzen den Schädel vom Rumpf. Als der Fremde zuschlug, schwang auch der Riese seinen Krummsäbel. Der Hieb hätte dem Fremden in den Bauch dringen sollen.

Doch trotz seiner mächtigen Statur bewegte er sich noch schneller als die durch die Luft zischende Klinge. Er ließ sich in Kauerstellung auf den Boden fallen, so dass der Säbel über ihn hinwegpfiff, gleichzeitig schwang er seine Klinge gegen die Beine des Kushiten. Der Säbel drang durch Muskeln und Knochen. Der Kushit taumelte, aber er holte zu einem zweiten Hieb aus. Der Fremde sprang unter dem erhobenen Arm des Schwarzen hoch und stieß ihm die Klinge bis zum Griff in die Brust. Der Krummsäbel des Kushiten ritzte lediglich den seidenen Kaffia auf und prallte vom stählernen Helm darunter ab. Röchelnd sank der Riese sterbend zu Boden.

Der Fremde riss seine Klinge zurück und wirbelte herum. Der Hyrkanier hatte dem Angriff der beiden anderen standgehalten und zog sich langsam zurück, um beide vor sich zu haben. Plötzlich hieb er dem einen die Klinge über Brust und Schulter, dass dieser seine Waffe fallen ließ und stöhnend in die Knie ging. Doch im Fallen umklammerte er die Beine seines Gegners. Der Hyrkanier wehrte sich vergebens dagegen. Diese schwarzen, muskelbepackten Arme hielten ihn fest, während der andere Schwarze mit verstärkter Heftigkeit auf ihn einhieb.

Doch als dieser Kushit Luft holte, um zu einem neuen Schlag auszuholen, den der behinderte Hyrkanier nicht hätte abwehren können, hörte er sich nähernde Schritte. Ehe er sich noch umdrehen konnte, stieß der Säbel des Fremden mit einer solchen Gewalt in seinen Rücken, dass die halbe Klingenlänge aus der Brust herausragte und der Griff zwischen den Schulterblättern steckte. Er starb mit einem würgenden Schrei.

Der Hyrkanier schlug seinem anderen Gegner mit dem Säbelgriff über den Schädel und befreite sich schließlich von der Umklammerung der Leiche. Dann wandte er sich dem Fremden zu, der seinen Säbel aus dem Toten zog und starrte ihn verblüfft an.

»Weshalb hast du mir geholfen?« Unwillkürlich fiel er wieder in das Du zurück, das er anfangs herablassend benutzt hatte.

Der andere zuckte die Achseln. »Wir wurden beide von Schurken überfallen, das machte uns zu Verbündeten. Wenn du willst, können wir ja jetzt unsere kleine Auseinandersetzung zu Ende führen. Du hast behauptet, ich

hätte dich verfolgt?«

»Ja, aber das war ein Irrtum, wie mir jetzt klar ist. Es tut mir leid«, antwortete der Hyrkanier schnell. »Ich weiß jetzt, wer mir nachgeschlichen ist.«

Er säuberte seinen Krummsäbel und schob ihn in die Scheide zurück, ehe er sich nacheinander über jeden der Toten beugte, um ihn zu betrachten. Als er zur Leiche des Riesen kam, murmelte er nachdenklich: »Soho! Keluka, der Schwertkämpfer! Von hohem Rang ist der Bogenschütze, dessen Pfeilschäfte mit Perlen besteckt sind!« Er zerrte einen schweren Ring von einem schlaffen Finger und schob ihn in seine Schärpe. Dann packte er den Toten. »Hilf mir, diesen Aasgeier beiseite zu schaffen, Bruder, damit niemand lästige Fragen stellt!«

Der Fremde ergriff mit je einer Hand ein blutiges Wams und zerrte die Leichen hinter dem Hyrkanier mit seiner Last durch eine übelriechende dunkle Gasse her, bis sie zu einem verfallenen und schon lange nicht mehr benutzten Brunnen kamen. Die Leichen plumpsten in die Tiefe und landeten weit unten mit einem dumpfen Aufplatschen. Der Hyrkanier drehte sich mit einem Lächeln um.

»Die Götter haben uns zu Verbündeten gemacht. Ich stehe in deiner Schuld.«

»Vergiss es«, brummte der andere mürrisch.

»Worte können eine Tat nicht mindern. Ich bin Farouz, ein Bogenschütze von Mazdaks hyrkanischer Kavallerie. Komm mit mir zu einem etwas angenehmeren Ort, wo wir uns in Ruhe unterhalten können. Ich nehme dir auch deinen Hieb nicht übel, obgleich mein Schädel noch immer wie eine Glocke dröhnt.«

Widerstrebend steckte der Fremde seinen Säbel in die Hülle und folgte dem Hyrkanier. Ihr Weg führte durch schmutzige Gassen und schmale, gewundene Straßen. Asgalun war ein Gegensatz von Prunk und Verfall, wo prächtige Paläste sich zwischen den rauchgeschwärzten Ruinen alter Gebäude erhoben. Kleine Vororte kauerten an den Mauern der verbotenen Innenstadt, in der König Akhirom mit seinem Gefolge lebte.

Die beiden Männer kamen zu einem neueren, besseren Viertel, wo weit überhängende Schmiedeeisenbalkone vor Fenstern mit Kunstgittern sich über die Straße hinweg fast berührten.

»Alle Läden sind hier dunkel«, brummte der Fremde. »Vor ein paar Tagen war die Stadt die ganze Nacht hindurch hell beleuchtet.«

»Eine von Akhiroms Launen. Seine neueste ist, dass in Asgalun keine Lichter brennen dürfen. Was ihm morgen einfällt, weiß nur Pteor.«

Sie hielten vor einer eisenbeschlagenen Tür in einem steinernen Torbogen an. Der Hyrkanier klopfte vorsichtig. Eine Stimme innen stellte eine leise Frage, und der Hyrkanier antwortete mit einem Losungswort. Die Tür öffnete sich. Farouz fasste den Fremden am Arm und nahm ihn mit sich in die Dunkelheit. Hinter ihnen schwang die

Tür zu. Ein schwerer Ledervorhang wurde zur Seite gezogen und offenbarte einen von mehreren Lampen erhellten Korridor und einen alten, narbenübersäten Shemiten.

»Ein alter Soldat, der sich jetzt mit dem Ausschank von Wein ein leichteres Leben macht«, erklärte der Hyrkanier. »Führ' uns in ein leeres Gemach, wo wir ungestört sind, Khannon!«

»Die meisten der Gemächer sind leer«, brummte der Wirt, der vor ihnen herhinkte. »Ich bin ruiniert. Seit der König den Wein verboten hat, wagen nur noch wenige, einen Becher anzurühren. Möge Pteor ihn dafür mit der Gicht schlagen!«

Der Fremde warf einen neugierigen Blick in die größeren Räume, an denen sie vorbeikamen, wo Speisen und Getränke aufgetischt wurden. Die meisten Gäste Khannons waren typische Pelishtier: untersetzte, braunhäutige Männer mit Hakennasen und krausen blauschwarzen Bärten. Vereinzelt saßen an den Tischen auch schlankere Männer, Nomaden aus den Wüsten des östlichen Shems, oder Hyrkanier und auch schwarze Kushiten aus der Söldnerarmee Pelishtiens.

Khannon führte die beiden Männer mit einer tiefen Verbeugung in ein kleines Gemach, wo er ihnen weiche Matten zurechtrückte. Dann stellte er eine große Schüssel mit Früchten und Nüssen vor sie hin, schenkte ihnen Wein aus einem prallen Lederbeutel ein und humpelte vor sich hin brummelnd davon.

»Schlimme Zeiten sind für Pelishtien gekommen, Bruder«, sagte Farouz zwischen ein paar Schlucken Wein aus Kyros. Er war ein hochgewachsener Mann, hager, aber mit kräftigen Muskeln. Scharfe schwarze Augen, eine Spur schräg, blickten wachsam aus einem gelblich getönten Gesicht. Seine Hakennase ragte über einen dünnen schwarzen, nach unten hängenden Schnurrbart. Sein einfacher Umhang war von teurem Stoff, sein spitzer Helm mit Silber durchzogen, und Edelsteine glitzerten am Griff seines Krummsäbels.

Er betrachtete sein Gegenüber, ein Mann von seiner Größe, der sich jedoch in vieler Weise von ihm unterschied. Der andere war von kompakterem Körperbau mit mächtiger Brust: die Statur eines Mannes aus den Bergen. Das glattgeschabte Gesicht unter seinem weißen Kaffia war sonnengebräunt mit hoher Stirn, noch sehr jugendlich, doch bereits von Narben vieler Schlachten und Kämpfe gezeichnet. In den eisig blauen Augen glitzerten Fünkchen schwelenden Feuers. Er goss seinen Wein hinunter und wischte sich die Lippen.

Farouz grinste und füllte nach. »Du kämpfst gut, Bruder. Wären Mazdaks Hyrkanier nicht eifersüchtig darauf bedacht, unter sich zu sein, wärst du ein erstklassiger Soldat in ihren Reihen.«

Der andere brummte nur etwas Unverständliches.

»Du hast mir noch nicht gesagt, wer du bist«, sagte Farouz. »Meinen Namen kennst du ja.«

»Ich bin Ishbak, ein Zuagir aus den Wüsten des Ostens.«

Der Hyrkanier warf den Kopf zurück und lachte schallend. Der andere runzelte finster die Stirn. »Was findest du so komisch?«

»Erwartest du wirklich, dass ich das glaube?«

»Willst du behaupten, ich lüge?«, knurrte der Fremde.

Farouz grinste. »Kein Zuagir sprach je Pelishtisch mit einem Akzent wie du, denn Zuagir ist nichts weiter als ein Dialekt des Shemitischen. Außerdem hast du während unseres Kampfes gegen die Kushiten fremde Götter angerufen - Crom und Manannan. Ich hörte diese Namen bereits von Barbaren aus dem fernen Norden. Fürchte nichts, ich bin in deiner Schuld und kann ein Geheimnis bewahren.«

Der Fremde war halb aufgesprungen und hatte nach seinem Säbel gegriffen. Farouz nahm ungerührt einen Schluck seines Weines. Nach einem Augenblick großer Spannung ließ der Fremde sich wieder auf die Matte fallen. Widerwillig gestand er:

»Also gut. Ich bin Conan, ein Cimmerier, und kämpfte zuletzt in der Armee König Sumuabis von Akkharien.«

Der Hyrkanier stopfte sich grinsend Trauben in den Mund. Kauend sagte er: »Du würdest nie einen guten Spion abgeben, Freund Conan. Du zeigst deinen Grimm zu schnell und offen. Was führt dich nach Asgalun?«

»Ich will mich rächen.«

»An wem?«

»An einem Anaki namens Othbaal, mögen die Hunde ihn zerfleischen!«

Farouz pfiff durch die Zähne. »Bei Pteor, da hast du dir ganz schön was vorgenommen! Weißt du nicht, dass dieser Mann General aller anakischen Truppen König Akhiroms ist?«

»Crom! Das schert mich genauso wenig als wäre er Straßenfeger.«

»Was hat dir Othbaal denn getan?«

»Das Volk von Anakien erhob sich gegen seinen König, der ein noch größerer Narr als Akhirom ist. Sie ersuchten Akkharien um Hilfe. Sumuabi wünschte ihren Erfolg, in der Hoffnung, sie würden einen erfreulicheren König anstelle des alten setzen. Also rief er Freiwillige auf. Mit fünfhundert weiteren marschierte ich, um den Anaki zu helfen. Aber dieser verdammte Othbaal machte sein Spielchen mit beiden Seiten. Er führte die Rebellion an, um die Feinde des Königs ans Licht zu locken, und verriet dann die Rebellen an den König, der sie alle niedermetzelte.

Othbaal wusste auch von unserem Kommen und stellte uns eine Falle. Da wir keine Ahnung hatten, was geschehen war, schnappte sie zu. Nur ich kam mit dem Leben davon, aber auch nur, weil ich mich tot stellte. Alle anderen fielen auf dem Schlachtfeld oder gingen langsam und auf grauenvollste Weise unter den ausgeklügelten

Martern von König Sabateans Folterknechten zugrunde.« Die kühlen blauen Augen verengten sich. »Es war nicht meine erste Schlacht, und nie verlor ich hinterher noch einen Gedanken daran, aber in diesem Fall schwor ich es mir, es Othbaal um einiger meiner toten Freunde willen heimzuzahlen. Als ich nach Akkharien zurückkehrte, erfuhr ich, dass der Bursche aus Anakien geflohen war, weil er sich vor dem Volk fürchtete. Wie ist es möglich, dass er so schnell so hoch aufgestiegen ist?«

»Er ist ein Vetter König Akhiroms«, erklärte ihm Farouz. »Obgleich Akhirom ein Pelishtier ist, ist er mit dem König von Anakien verwandt und wuchs dort am Hof auf. Die Könige dieser kleinen shemitischen Stadtstaaten sind alle mehr oder weniger miteinander verschwägert, was ihre Kriege im Grunde genommen zu Familienstreitigkeiten und deshalb umso erbitterter macht. Wie lange bist du schon in Asgalun?«

»Erst ein paar Tage. Doch lange genug, um zu erkennen, dass der König wahnsinnig ist. Verbietet den Wein!«, sagte Conan heftig.

»Du weißt noch nicht alles. Das Volk murrt unter seiner Knute. Er hält sich nur durch seine drei Söldnerheere an der Macht, mit deren Hilfe er seinen Bruder, den früheren König stürzte und tötete. Die drei Söldnerheere sind erstens: die Anaki, die er rekrutierte, als er noch in der Verbannung in Anakien lebte; zweitens: die schwarzen Kushiten, die unter ihrem General Imbalayo jährlich mehr

Macht gewinnen; und drittens: die hyrkanischen Reiter, zu denen ich gehöre. Unser General ist Mazdak, und zwischen ihm und Imbalayo und Othbaal herrschen genügend Hass und Missgunst, dass es für ein Dutzend Kriege reichen würde. Du hast ein wenig davon heute Abend bei dem Überfall miterlebt.

Othbaal kam im letzten Jahr als mittelloser Abenteurer hier an. Er ist zum Teil durch seine Verwandtschaft mit Akhirom, und zum Teil durch die Intrigen einer ophireanischen Sklavin namens Rufia so hoch gestiegen. Rufia gewann er in einem Spiel von Mazdak, und er weigerte sich, sie ihm zurückzugeben, als der Hyrkanier wieder nüchtern war. Das ist ein weiterer Grund, weshalb keine freundschaftlichen Gefühle zwischen den beiden herrschen. Auch hinter Akhirom steckt eine Frau: Die Stygierin Zeriti, eine Hexe. Man raunt, sie habe seinen Wahnsinn durch ihre Trünke verursacht, mit denen sie ihn unter ihrem Pantoffel zu halten versucht. Wenn das stimmt, hat sie sich selbst einen schlechten Dienst erwiesen, denn jetzt hört er auf niemanden mehr.«

Conan stellte seinen Becher ab und schaute Farouz durchdringend an. »Was jetzt? Wirst du mich verraten, oder hast du es ernst gemeint, als du sagtest, du würdest schweigen?«

Farouz spielte mit dem Ring, den er Keluka abgenommen hatte und murmelte nachdenklich: »Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Aus einem gewissen Grund habe auch ich ein Hühnchen mit Othbaal zu rupfen. Wenn du vor mir Glück mit deiner Rache hast, werde ich es mit Würde zu tragen wissen.«

Conan beugte sich vor und legte beide Hände auf die Schultern des Hyrkaniers. »Sprichst du die Wahrheit?«

»Mögen mir diese tonnenbäuchigen shemitischen Götter die Beulenpest schicken, wenn ich lüge!«

»Dann lass mich dir bei deiner Rache helfen!«

»Du? Ein Fremder, der sich in Asgalun nicht auskennt?«

»Warum nicht? Da ich hier niemanden kenne, kannst du mir doch am ehesten trauen. Komm, wir wollen uns einen Plan überlegen! Wo ist dieses Schwein, und wie kommen wir an ihn heran?«

Obgleich Farouz wahrhaftig kein Schwächling war, zuckte er vor der primitiven Elementargewalt zurück, die in den Augen des anderen funkelte und aus seinem ganzen Wesen sprach. »Lass mich überlegen«, murmelte er. »Es gibt einen Weg, wenn man flink und wagemutig ist...«

 

Ein wenig später hielten zwei Vermummte in einem kleinen Palmenhain zwischen den Ruinen des nächtlichen Asgaluns an. Vor ihnen murmelte das Wasser eines Kanals, und an seinem anderen Ufer erhob sich die hohe Brustwehr aus sonnengetrockneten Lehmziegeln, die die gesamte Innenstadt umgab. Die Innenstadt war im Grunde eine mächtige Festung, die dem König und seinem vertrauenswürdigen Gefolge Schutz bot, und in der die Söldnerheere einquartiert waren. Sie war allen normalen Sterblichen ohne Passiererlaubnis unzugänglich.

»Wir könnten die Mauer hochklettern«, meinte Conan.

»Und sind unserem Feind deshalb auch nicht näher«, wehrte Farouz ab, der in der Dunkelheit herumtastete. »Ah, hier!«

Conan sah den Hyrkanier an einem Marmorschutthaufen herumfingern. »Ein alter, zerfallener Altar«, murmelte Farouz. Erhob eine breite Platte, die in die Tiefe führende Stufen offenbarte. Conan runzelte misstrauisch die Stirn.

»Dieser Tunnel«, erklärte der Hyrkanier, »führt unter der Mauer hindurch zu Othbaals Haus, das gleich dort drüben steht.«

»Führt er auch unter dem Kanal hindurch?«

»Ja. Früher war Othbaals Haus der Vergnügungspalast König Uriaz', der auf einem in einem Quecksilberbecken schwimmenden Daunenpolster schlief und von zahmen Löwen bewacht wurde - trotz allem fand ihn die Klinge eines Rächers. Er hatte in alle Teile des Hauses Geheimgänge bauen lassen. Ehe Othbaal das Haus zugewiesen wurde, wohnte sein Rivale Mazdak darin. Der Anaki weiß nichts von den Geheimgängen. Komm jetzt!«

Mit gezogenen Klingen stiegen sie eine schmale Steintreppe in die Tiefe und tasteten sich in völliger Dunkelheit einen Tunnel entlang. Conans Finger verrieten ihm, dass Wände, Decke und Boden aus riesigen Steinblöcken zusammengefügt waren. Als sie eine kurze Strecke zurückgelegt hatten, wurden die Steine glitschig und die Luft feucht. Wasser tropfte auf Conans Nacken, und er schüttelte sich fluchend. Sie befanden sich nun ganz offenbar unter dem Kanal. Bald darauf wurde der Tunnel wieder trockener. Farouz mahnte Conan, sich ganz leise zu verhalten, ehe sie eine Treppe hochstiegen.

Oben angelangt machte sich der Hyrkanier an einem Verschluss zu schaffen. Ein Stück der Vertäfelung glitt zur Seite und weiches Licht strömte aus dem Raum dahinter. Sich vorsichtig umsehend schlüpfte Farouz durch die Öffnung und schloss sie, nachdem Conan neben ihm stand. Nichts an der Paneelwand verriet die Geheimtür, durch die sie gekommen waren. Sie befanden sich nun in einem Korridor mit gewölbter Decke. Farouz zog seinen Kaffia weit ins Gesicht, um sich unkenntlich zu machen, und bedeutete Conan, es ihm gleichzutun, dann schritt er ohne Zögern den Gang entlang. Mit der Klinge in der Hand und wachsam um sich schauend, folgte ihm der Cimmerier.

Sie traten durch einen Vorhang aus dunklem Samt und kamen zu einer Ebenholztür, die mit Gold eingelegt war. Ein muskulöser Schwarzer, der von einem Lendentuch abgesehen nackt war, fuhr aus seinem Halbschlaf hoch und zog seinen mächtigen Krummsäbel, aber er schrie nicht auf. Sein erschrocken geöffneter Mund verriet, dass er stumm war - ihm fehlte die Zunge.

»Pssst!«, warnte Farouz und wich dem Hieb des Schwarzen aus. Als der Stumme durch die Heftigkeit des

Schwunges stolperte, stellte Conan ihm ein Bein. Der Bursche fiel darüber und geradewegs in Farouz' Klinge.

»Das ging schnell und lautlos!«, lobte der Hyrkanier mit einem Grinsen. »Doch jetzt zu unserem eigentlichen Feind!«

Vorsichtig drückte Farouz die Tür auf. Der riesenhafte Cimmerier hielt sich dicht hinter ihm. Seine Augen brannten wie die eines sprungbereiten Tigers. Die Tür schwang lautlos nach innen. Die beiden traten in das Gemach. Farouz schloss die Tür hinter ihnen. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen und grinste den Mann an, der mit einem Fluch von einem Diwan hochsprang. Die Frau neben ihm richtete sich aus den Kissen auf und schrie gellend.

»Wir haben das Wild gestellt, Bruder«, sagte Farouz lachend.

Mit einem schnellen Blick nahm Conan das Bild vor sich auf. Othbaal war ein großer, kräftiger Mann. Sein dickes schwarzes Haar hatte er am Nacken zu einem Knoten gebunden, und sein krauser Bart war geölt und kurz gestutzt. Trotz der späten Stunde war er voll gekleidet mit seidenem Kilt und einem Samtwams, unter dem sich die Glieder eines Kettenhemds abhoben. Er griff nach einem Säbel in seiner Scheide, der neben dem Diwan lag.

Die Frau war nicht ausgesprochen hübsch, aber doch von anziehendem Äußeren. Sie hatte rotes Haar, ein breites, leicht sommersprossiges Gesicht und braune Augen, aus denen Intelligenz sprach. Sie war ziemlich kräftig gebaut, mit für eine Frau breiten Schultern, einem vollen Busen und rundlichen Hüften. Man sah ihr an, dass sie über beachtliche Körperkräfte verfügte.

»Hilfe!«, schrie Othbaal und hob den Säbel, um dem Ansturm des Cimmeriers zu begegnen. »Überfall!«

Farouz wollte Conan dichtauf folgen, doch dann eilte er zurück zu der Tür, durch die sie gekommen waren. Mit halbem Ohr wurde der Cimmerier sich der hastenden Schritte auf dem Korridor bewusst, und er hörte etwas Schweres gegen die Tür rammen. Doch da kreuzte seine Klinge sich auch schon mit der des Anaki. Die Säbel klirrten gegeneinander, dass Funken sprühten.

Beide Männer griffen gleichzeitig an und hieben wild aufeinander ein. Beide waren zu sehr darauf versessen, den tödlichen Hieb anzubringen, als dass sie auf irgendwelche Finessen der Fechtkunst geachtet hätten. Dafür steckte hinter jeder Bewegung die volle Kraft ihres mörderischen Willens. Schweigend kämpften sie. Als sie sich dabei ein wenig drehten, sah Conan über Othbaals Schulter, dass Farouz sich gegen die Tür stemmte. Schwere Schläge hämmerten von außen dagegen, der Riegel hatte sich bereits gelöst. Die Frau war nirgends mehr zu sehen.

»Wirst du mit ihm fertig?«, fragte Farouz. »Wenn ich die Tür loslasse, kommen ihm seine Sklaven zu Hilfe.«

»Ich werde es schon schaffen«, brummte Conan und parierte einen wilden Hieb.

»Beeil dich! Ich kann sie nicht mehr viel länger aufhalten.«

Mit neuer Wildheit griff Conan an. Jetzt war es der Anaki, der die wie mit einem Schmiedehammer auf ihn herabhagelnden Schläge parieren musste. Die ungeheure Kraft und Wut des Barbaren machte sich bemerkbar. Othbaal erblasste unter seiner dunklen Haut, und sein Atem ging stoßweise, während er immer weiter zurückwich. Blut floss aus Wunden an Armen, Schenkel und Hals. Auch Conan blutete, aber das minderte die Heftigkeit seines Ansturms nicht.

Othbaal befand sich bereits dicht an der teppichbehangenen Wand, als er plötzlich bei einem neuen Ansturm des Cimmeriers zur Seite sprang. Die Wucht seines Hiebes riss Conan mit, seine Säbelspitze drang durch einen Wandteppich und knirschte gegen den Stein. Othbaal nutzte seine Chance und hieb seine Klinge mit aller ihm noch verbliebenen Kraft auf den Kopf seines Gegners herab.

Aber Conans Säbel war aus bestem stygischem Stahl. Statt zu brechen, wie jede gewöhnliche Klinge in einem solchen Fall, bog sie sich nur und sprang federnd zurück. Der herabsausende Krummsäbel des Anaki drang durch Conans Helm in die Kopfhaut. Doch ehe Othbaal sein Gleichgewicht wiedererlangte, stieß des Cimmeriers Klinge hoch durch die Kettenglieder über der Hüfte und bohrte sich in die Wirbelsäule des Feindes.

Othbaal taumelte und fiel mit einem würgenden Schrei. Flüchtig krallten seine Finger sich in den dicken Teppich, dann erschlafften sie.

Blut und Schweiß sickerten in Conans Augen, so erkannte er nicht sofort, dass sein Gegner tot war, und machte sich daran, ihm noch einmal die Klinge in den Leib zu stoßen, als Farouz rief:

»Gut gemacht, Conan! Die Sklaven haben ihren Angriff unterbrochen, vermutlich um einen stärkeren Rammbock heranzuschaffen. Jetzt können wir uns in Sicherheit bringen.«

»Wie?«, fragte der Cimmerier. Benommen wischte er sich das Blut aus den Augen. Die Nachwirkungen des Hiebes, der seinen Helm gespalten hatte, machten ihm jetzt doch zu schaffen. Er riss sich den blutigen Kopfschutz ab und warf ihn von sich, dass seine gerade geschnittene schwarze Mähne zum Vorschein kam Ein roter Sturzbach ergoss sich in seine Augen und blendete ihn erneut. Conan bückte sich und riss einen Streifen von Othbaals Kilt, um ihn sich um den Kopf zu binden.

»Durch die Tür dort!« Farouz deutete. »Rufia, diese Schlampe, ist dort verschwunden. Komm, beeilen wir uns!«

Conan sah eine kaum bemerkbare Tür unmittelbar neben dem Diwan. Sie war hinter dem Wandteppich verborgen gewesen, doch Rufia hatte ihn bei ihrer Flucht ein wenig verschoben und die Tür offenstehen lassen.

Der Hyrkanier holte aus seinem Gürtel den Ring, den er dem toten schwarzen Meuchelmörder abgenommen hatte. Damit rannte er zu Othbaals Leiche, warf den Ring neben sie, und lief zu der kleinen Tür weiter. Conan folgte ihm. Er musste sich ducken und seitlich durch die Tür zwängen.

Sie kamen auf einem weiteren Korridor heraus. Farouz führte Conan durch einen verwirrenden Irrgarten aus Gängen, bis der Cimmerier überhaupt keine Vorstellung mehr hatte, wo sie sich befanden. So entgingen sie den Sklaven, die erneut die Tür zu Othbaals Gemach rammten, und erreichten auf Umwegen - nachdem sie eine weitere Frau in einem Zimmer auf ihrem Weg hochgeschreckt hatten - wieder die Geheimtür in der Holztäfelung. Sie stiegen hindurch, tasteten sich erneut durch die Dunkelheit und kamen schließlich in dem stillen Palmenhain heraus.

Conan blieb schweratmend stehen und rückte seinen Verband zurecht.

»Was macht deine Wunde, Bruder?«, erkundigte sich Farouz.

»Nicht viel mehr als ein Kratzer. Weshalb hast du den Ring neben Othbaals Leiche geworfen?«

»Um die Bluträcher irrezuführen. Tarim! All diese Scherereien, und dann entkam uns auch noch diese Hure!«

Conan grinste trocken in der Dunkelheit. Rufia hatte ganz offensichtlich in ihnen nicht ihre Befreier gesehen. Was der Cimmerier vor seinem Kampf mit dem Anaki kurz gesehen hatte, war ihm haften geblieben. Eine solche Frau, dachte er, wäre genau richtig für mich.

 

Innerhalb der mächtigen Mauern der Innenstadt bahnte sich etwas Ungeheuerliches an. Eine verschleierte und vermummte Gestalt huschte durch die Schatten der überhängenden Balkone. Zum erstenmal seit drei Jahren schritt eine Frau durch die Straßen Asgaluns.

Sie war sich der Gefahr, in die sie sich begeben hatte, sehr wohl bewusst, und zitterte vor Angst. Sie spürte die Steine durch die Sohlen ihrer zerschlissenen Samtpantoffel. Seit drei Jahren war es den Schuhmachern von Asgalun verboten, Straßenschuhe für Frauen anzufertigen. König Akhirom hatte bestimmt, dass die Frauen von Pelishtien in den Häusern, wie Tiere in Käfigen, zu halten seien.

Rufia, die rothaarige Ophitin, hatte über mehr Macht verfügt als jegliche andere Frau in Pelishtien, außer Zeriti, natürlich, die Geliebte des Königs, die eine Hexe war. Und jetzt, während sie sich wie eine Ausgestoßene durch die Nacht stahl, brannte nur ein Gedanke in ihr: die Erkenntnis, dass die Früchte ihrer Intrigen in einem Herzschlag durch den Säbel eines Feindes ihres Herrn zunichte gemacht worden waren.

Rufia entstammte einer Rasse von Frauen, die es gewöhnt waren, durch ihre Schönheit und Klugheit Throne zum Wanken zu bringen. Sie erinnerte sich kaum noch an Ophir, das Land ihrer Geburt, aus dem kothische Sklavenhändler sie entführt hatten. Der argossanische Edle, der sie erstanden und sie für Dienste in seinem Haus großgezogen hatte, war in einer Schlacht gegen die Shemiten gefallen. Als willfähriges Mädchen von vierzehn war sie in den Besitz eines stygischen Prinzen übergegangen. Der Prinz war ein schwächlicher, verzärtelter Jüngling, den sie schnell um ihren kleinen Finger zu wickeln verstand. Nach ein paar Jahren hatte ein Trupp Freibeuter aus den halbmythischen Landen jenseits der Vilayetsee die kleine Vergnügungsinsel des Prinzen am oberen Styx überfallen und gebrandschatzt. Und sie, die damals siebzehnjährige Rothaarige, war schreiend einem großen hyrkanischen Häuptling in die Arme gelaufen.

Da sie zu der Rasse gehörte, deren Frauen ihre Männer beherrschten, ging Rufia weder zugrunde, noch wurde sie zu einem willenlosen Spielzeug. Als Mazdak unter Akhirom in Anakien sein kleines Heer aufstellte, um Akhirom zu helfen, seinen verhassten Bruder zu stürzen und die Herrschaft über Pelishtien an sich zu reißen, war Rufia mit ihm gegangen.

Sie hatte Mazdak nicht gemocht. Der raue Abenteurer kehrte in seinen Beziehungen zu Frauen den Besitzer heraus. Er hielt sich einen großen Harem, aber er ließ sich von keiner seiner Gefährtinnen beeinflussen und schon gar nicht, zu irgendetwas überreden. Da Rufia nicht gern andere Frauen um sich hatte, war sie nicht traurig gewesen, als Mazdak sie an seinen Rivalen Othbaal verspielte.

Der Anaki war mehr nach ihrem Geschmack. Trotz seines Hanges zu Grausamkeit und Verrat war er stark, vital und intelligent. Was für Rufia aber am entscheidendsten war, er ließ sich lenken. Er brauchte für seine Ambitionen nur einen leichten Anstoß, und für den sorgte sie. Sie hatte sich darum gekümmert, dass er die leuchtenden Sprossen der Erfolgsleiter hochklomm - und jetzt war er von einem Paar maskierter Mörder umgebracht worden - von Männern, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht waren.

Erschrocken blickte sie, aus ihren bitteren Gedanken gerissen hoch, als plötzlich eine hochgewachsene, vermummte Gestalt aus den Schatten eines überstehenden Balkons vor sie trat. Nur ihre Augen, die im Sternenschein zu leuchten schienen, waren zu erkennen. Rufia wich ängstlich mit einem leisen Aufschrei zurück.

»Eine Frau auf den Straßen von Asgalun?« Die Stimme klang gespenstisch hohl. »Ist das nicht gegen des Königs Befehl?«

»Nicht aus freiem Willen lief ich auf die Straße«, entgegnete Rufia. »Mein Herr wurde ermordet, und ich floh vor seinen Meuchlern.«

Der Fremde neigte den Kopf unter der Kapuze ein wenig und stand kurz starr wie eine Statue. Rufia beobachtete ihn furchtsam. Etwas Düsteres, Unheilvolles ging von ihm aus. Er sah nicht wie ein Mann aus, der über die Wahrheit der Geschichte einer Sklavin nachdachte, sondern wie ein Prophet der Finsternis, der den Untergang eines sündigen Volkes beschließt. Schließlich hob er den Kopf.

»Komm!«, sagte er. »Ich suche dir eine Unterkunft.«

Ohne sich zu vergewissern, ob sie ihm auch folgte, stapfte er die Straße hoch. Rufia eilte ihm nach. Sie konnte nicht die ganze Nacht durch die Straßen der Stadt rennen, denn jeder Scherge, dem sie in die Arme lief, hatte das Recht, ihr den Kopf abzuschlagen, weil sie das Gebot des Königs missachtet hatte. Dieser Fremde führte sie möglicherweise in schlimmere Sklaverei, aber sie hatte keine Wahl, als mit ihm zu gehen.

Mehrmals öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, aber sein grimmiges Schweigen raubte ihr den Mut und seine unnatürliche Distanziertheit erfüllte sie mit Furcht, die nicht geringer wurde, als sie bemerkte, dass ein paar Gestalten ihnen heimlich nachschlichen.

»Jemand folgt uns!« machte sie den Vermummten aufmerksam

»Achte nicht darauf«, sagte der Mann mit seiner gespenstischen Stimme.