Cela, Camilo José Mazurka für zwei Tote

Es regnet sacht und immerfort, es regnet lustlos, doch mit unendlicher Geduld, das ganze Leben lang regnet es auf die Erde, die von derselben Farbe ist wie der Himmel, zwischen zartem Grün und zartem Aschgrau, und die Linie zwischen Wald und Himmel ist schon seit langem verschwunden.

»Seit vielen Stunden?«

»Nein, seit vielen Jahren. Die Linie verschwand, als Lázaro Codesal starb, der Allmächtige wollte nämlich nicht, dass man sie je wiedersieht.«

Lázaro Codesal starb in Marokko, bei der Stellung von Tizzi-Azza; wahrscheinlich wurde er von einem Mauren aus der Kabylei Tafersit umgebracht. Lázaro Codesal hatte den Bogen raus, wie man Mädchen schwängert, es machte ihm Spaß, und er hatte rotes Haar und blaue Augen. Lázaro Codesal starb jung, er wurde nicht mal zweiundzwanzig, was hatte er schon davon, dass er seinen Knüppel schwingen konnte wie kein anderer im Umkreis von fünf Meilen oder mehr? Lázaro Codesal wurde hinterrücks von einem Mauren umgebracht, er wurde umgebracht, als er sich unter einem Feigenbaum einen runterholte, jeder weiß doch, wie der Schatten eines Feigenbaumes zu Muße und Sünde einlädt; Auge in Auge hätte niemand Lázaro Codesal umgebracht, kein Maure, kein Asturier, kein Portugiese, kein Leoneser, niemand. Die Linie zwischen Wald und Himmel verschwand, als Lázaro Codesal umgebracht wurde, und seither hat man sie nie wieder gesehen.

Es regnet ebenso eintönig wie beständig, seit dem Tag des heiligen Raimund regnet es, vielleicht sogar schon länger, und heute ist der Tag des heiligen Makarius, der Glück beim Kartenspiel und in der Lotterie bringt. Es nieselt seit mehr als neun Monaten sanft und immerfort auf das grüne Land und gegen die Scheiben meines Fensters, es nieselt, doch es ist nicht kalt – ich meine, nicht sehr kalt; könnte ich Geige spielen, würde ich den ganzen Nachmittag Geige spielen, aber ich kann es nicht; könnte ich Mundharmonika spielen, würde ich den ganzen Nachmittag Mundharmonika spielen, aber ich kann es nicht. Was ich kann, ist Sackpfeife spielen, doch im Haus Sackpfeife spielen, das tut man nicht. Da ich also weder Geige noch Mundharmonika spielen kann und man in seinen vier ·wänden nicht in die Sackpfeife blasen darf, verbringe ich die Nachmittage im Bett und mache mit Benicia Ferkeleien (ich erzähle später, wer Benicia ist, diese Frau mit Brustwarzen wie Kastanien); in der Hauptstadt kann man ins Kino gehen und Lily Pons, die gefeierte junge Sopranistin, als weibliche Hauptdarstellerin in dem Film Ich träume zuviel sehen, das steht jedenfalls in der Zeitung, aber hier gibt es kein Kino.

Auf dem Friedhof sprudelt eine Quelle mit klarem Wasser, die die Knochen der Toten reinwäscht, auch die seltsam kalte Leber der Toten; man nennt sie Miangueiro-Quelle, und die Aussätzigen benetzen ihr Fleisch auf der Suche nach Linderung mit ihrem Wasser. Eine Amsel singt in derselben Zypresse, in der nachts die Nachtigall ihr einsames Klagelied anstimmt. Jetzt gibt es fast keine Aussätzigen mehr; es ist nicht mehr wie früher, als es jede Menge von ihnen gab und sie wie Eulen schrien, zum Zeichen, dass die Missionare nach ihnen suchten, um ihnen die Absolution zu erteilen.

Die Frösche erwachen alle Jahre nach dem Tag des Heiligen Joseph, und ihr Quaken kündet an, dass allmählich der Frühling naht, mit schlechten Nachrichten und viel Arbeit. Frösche sind magische Tierchen und ein halbes Wundermittel; kocht man Froschköpfe, fünf oder sechs Froschköpfe, mit Froschlöffelblüten auf, ergibt das einen guten Sud, der einen in Stimmung bringt, Bräute von ihrer Lustlosigkeit kuriert und Jungfrauen von ihrem Jucken befreit. Frösche sind schwer zu dressieren, denn hat man sie halb dressiert, verliert man die Geduld und haut sie mit einem Schlag zu Brei. Policarpo der von der Bagañeira kann Frösche dressieren wie kein anderer im Land: Frösche, Amseln, Frettchen, Füchsinnen, alles.

Policarpo dressiert alles, sogar Iltisse und Luchse, sofern es noch Luchse gibt. Nur mit den Wildschweinen kam er nie klar, die sind nicht schlau genug und außerdem schwerfällig und träge. Policarpo der von der Bagañeira, dem an einer Hand drei Finger fehlen, lebt in Cela do Camparron, und manchmal geht er zur Landstraße, um den Omnibus nach Santiago vorbeifahren zu sehen, in dem immer zwei oder drei Pfarrer sitzen und getrocknete Feigen essen. Policarpo hat an der rechten Hand keinen Zeige-, Mittel- und Ringfinger mehr, weil ein Pferd sie ihm abgebissen hat, doch mit dem kleinen Finger und dem Daumen kommt er ganz gut zurecht.

»Ich kann weder Sackpfeife noch Ziehharmonika spielen, aber ich mach’ mir nichts draus, ich weiß eben nicht, wie es geht.«

In Orense, im Haus von der Parrocha, genannt die Sardine, gibt es einen blinden Ziehharmonikaspieler, der jetzt bestimmt schon tot ist, ja, jetzt erinnere ich mich, er starb im Frühjahr 1945, genau eine Woche nach Hitler, und er spielt Javas und Pasacalles, um die Freier bei Laune zu halten, ich spreche von früher. Er heißt Gaudencio Beira und war früher Seminarist, sie warfen ihn aus dem Seminar, als er langsam blind wurde, kurz bevor er ganz erblindete.

»Und? Hat er ein Händchen für den Blasebalg?«

»Das will ich meinen! Ein verdammt gutes! Ein richtiger Künstler ist er, ein Ausbund an Sorgfalt, Genauigkeit und Empfindsamkeit, und was er spielt, hat viel Tiefe und ist voller Gefühl.«

Gaudencio, der sich im Freudenhaus sein Brot verdient, hat ein ziemlich abwechslungsreiches Repertoire, aber es gibt da eine Mazurka, Ma petite Marianne, die er erst zweimal gespielt hat, im November 1936, als Afouto umgebracht wurde, und im Januar 1940, als Moucho umgebracht wurde. Danach wollte er sie nie wieder spielen.

»Nein, nein, ich weiß genau, warum ich nicht will, ich weiß es ganz genau. Diese Mazurka ist ziemlich traurig, mit der darf man nicht rumspielen.«

Benicia ist die Nichte von Gaudencio Beira und die Cousine zweiten Grades von den Gamuzos, die neun Kinder sind, aber auch von Policarpo dem von der Bagañeira und vom toten Lázaro Codesal. Hier in der Gegend sind wir alle mehr oder weniger eine Familie, bis auf die Carroupos, von denen jeder mit einem Muttermal wie aus Schweinsleder auf der Stirn geschlagen ist.

Es regnet auf den Arnego, der mit seinem Wasser Mühlenräder antreibt und Schwindsüchtigen angst macht, während Catuxa Bainte, die Schwachsinnige aus Martiñá, splitternackt, mit nassen Titten, das Haar bis zur Taille, auf dem Esbarrado-Berg herumspaziert.

»Hau ab, du böses Luder, das ist Todsünde! In Satans Kessel sollst du schmoren!«

Es regnet auf den Bermún, dessen wippende Wellen ein Kyrie murmeln und an den Eichen lecken, während Fabián Minguela, genannt Moucho der Todesvogel, sein Messer am Schleifstein wetzt.

»Hau ab, weg mit dir, du gottloser Mensch, mit dir werden sie im Jenseits abrechnen!«

Raimundo der von den Casandulfes ist der Meinung, dass Fabian Minguela mit allen neun Merkmalen des Hurensohns durchs Leben geht.

»Und welche sind das?«

»Hab Geduld, nach und nach wirst du sie kennenlernen.«

Der älteste der Gamuzos heißt Baldomero, nein, hieß, er ist nämlich schon tot, dieser Baldomero Marvís Ventela oder Fernández, stimmt, manche sagen Fernández, ist ja egal, und er war bekannt unter dem Namen Afouto der Mutige, weil er sehr tapfer war und vor niemandem Angst hatte, vor Lebenden nicht und auch nicht vor Toten. Im Jahr 1933 entwaffnete Afouto am Tag des heiligen Paulus in Tecedeiras, das an der Landstraße von La Gudiña nach Lalin liegt, kurz bevor man zum Dolmen von Corredoira kommt, zwei Uniformierte der Guardia Civil, er fesselte ihnen die Hände auf dem Rücken und lieferte sie mitsamt ihren Karabinern gegen Quittung in der Kaserne ab. Sie sagten, sie würden ihm eine Tracht Prügel verpassen, aber das taten sie dann doch nicht, und die beiden Guardias flogen raus, weil sie sich wie einfältige Bauernlümmel benommen hatten. Sie waren nicht aus der Gegend, und niemand wusste, woher sie kamen; sie verschwanden, und man hörte nie wieder von ihnen. Afouto hat auf einem Arm eine unanständige Tätowierung: eine rotblaue Schlange, die sich um den Körper einer nackten Frau windet.

Afouto wurde 1906 geboren, im Jahr der Hochzeit König Alphons XIII., und mit zwanzig heiratete er Loliña Moscoso Rodríguez, eine Frau mit so viel Temperament, dass sie nur mit Stockschlägen zu bändigen war. Loliña kam auf ganz dumme Weise um, sie wurde von einem verschreckten Ochsen zerquetscht, der sie gegen das Hoftor drückte. Loliña war Witwe, als sie starb, schon vier oder fünf Jahre. Afouto hat nur Brüder, keine einzige Schwester. Die Eltern der neun Gamuzos, Baldomero Marvís Casares, genannt der Kaldaunenhändler, und Teresa Ventela (oder Fernández) Valduide, genannt Cachifa die Hupfdohle, starben 1920 bei dem berühmten Zusammenstoß von zwei Zügen im Bahnhof von Albares, als über hundert Menschen ums Leben kamen, nachdem sie im Lazo-Tunnel sowieso schon halb erstickt waren, weil der Tunnel wie ein endlos tiefes Grab ist, ein Grab, das nie voll wird. Hier in der Gegend hieß es damals, man habe viele bei lebendigem Leib begraben, um sich den Papierkrieg zu ersparen, aber vielleicht stimmt das auch gar nicht.

Der zweitälteste Gamuzo ist Tanis, genannt Perello das Teufelchen, weil er ruckzuck irgendeine Teufelei aushecken kann. Tanis ist mit Rosa Roucón verheiratet, der Tochter eines Zollbeamten aus Orense. Rosa hängt an der Anisflasche und schläft den ganzen Tag. Sie ist keine schlechte Person, das muss hier gesagt werden, aber mit dem Anis übertreibt sie es ein bisschen. Tanis bestellt den Acker und züchtet Vieh wie sein älterer Bruder und sein jüngerer und auch sein Cousin Policarpo der von der Bagañeira, der Vögel, Frösche und kleine Waldtiere abrichtet. Sie reiten auch Pferde zu, aber nur zum Spaß, nicht beruflich, und sie sind sehr geschickt im Einfangen von Pferden, sie stutzen ihnen Schweif und Mähne und brennen ihnen das Brandzeichen ein, inmitten von Staubwolken, Gewieher – zweierlei Arten (aus Wut und aus Angst) – und Schweiß, viel Schweiß. Tanis hat starke Arme, er gewinnt beim Armdrücken mit Fremden jede Wette.

»Rücken Sie die vier Reales raus, die Sie verloren haben, Landsmann, und trinken Sie einen Becher mit uns, wir wollen uns hier keine Feinde schaffen. Und merken Sie sich, was ich Ihnen jetzt sage, es wird Sie bestimmt trösten: Gelobt sei Gott! Die Amsel soll schlagen, denn nach dem Sommer wird der Winter uns plagen.«

Wenn es heiß wird, aber noch ist es nicht soweit, geht Perello das Teufelchen gern nackt mit Catuxa Bainte, der Schwachsinnigen aus Martiñá, im Staubecken bei der Mühle von Lucio Mouro baden, um sich an ihrem Körper zu vergreifen, der etwas von einer Schlange, aber auch von einer Wildkatze hat. Vergreifen, na ja, was man eben so vergreifen nennt, denn eigentlich vergreift sich Tanis nicht an ihr, sie wehrt sich kaum und kann nie genug kriegen, sondern jauchzt nach jedem Kopfsprung oder Eintauchen und klatscht in die Hände. Die Schwachsinnige aus Martiñá kann nicht schwimmen, und es sieht sehr komisch aus, wenn sie immer wieder untertaucht und dabei mit dem Hintern wackelt wie beim Tanzen.

Benicia hat Brustwarzen wie geröstete Kastanien, das wissen hier alle, ja, wie Maronen am Johannistag, wenn sie schon nicht mehr ganz frisch sind. Benicia hat viel Feuer im Blut, sie wird nie müde und langweilt sich auch nie. Benicia hat leuchtend blaue Augen und ist im Bett sehr munter, ein richtiges Ferkel. Benicia war verheiratet, vielleicht ist sie es ja immer noch, und zwar mit diesem halbschwulen Portugiesen, der mit einem Puppentheater durch die Gegend zog, manchmal weiter als bis León, aber sie ließ ihren Mann sitzen und kam hierher zurück. Benicias Mutter ist die Schwester von Gaudencio, dem Blinden, der im Haus von der Parrocha Ziehharmonika spielt. Benicia Segade Beira hat einen resoluten Gang und lacht dauernd, sie ist der reinste Segen. Ihre Mutter kann lesen und schreiben, Benicia nicht, mit manchen Familien geht es eben bergab, niemand kann ihnen dann noch helfen, sie gehen vor die Hunde, es sei denn, sie entdecken in einem Bach Goldkörnchen, aber so was gibt es heute wohl nicht mehr. Benicias Mutter heißt Adega, sie spielt fast genauso gut Ziehharmonika wie ihr Bruder. Die Polka Fanfinette spielt sie mit viel Schmiss.

»Ich komme aus Vilar do Monte, das liegt zwischen dem Sarnoso-Felsen und dem Esbarrado-Berg, und ich weiß, welches Gör mit welcher Milch gesäugt wurde. Sie, Don Camilo, stammen aus einer Familie von Streithälsen, und das hat seinen Preis. Ihr Großvater hat Xan Amieiros erschlagen, den Müller vom Pedrifias-Bach, er musste vierzehn Jahre lang untertauchen, er floh nach Brasilien, aber das wissen Sie ja selbst. Ich bin aus Vilar do Monte, das liegt ein Stück hinter Silvaboa und Ricobelo, der Weg dorthin geht rauf und runter, aber mein verstorbener Mann, Cidrán Segade, war aus Cazurraque, unterhalb der Felsen von La Portelina, und die aus Cazurraque grüßten sich nicht mal mit denen aus Zamoiros, einfach weil ihnen nicht danach war, weil sie keine Lust hatten, da konnte auch der liebe Gott nicht gegen an. Ich erzähle Ihnen das, damit Sie wissen, dass ich mich hier auskenne und keine Fremde bin. Heutzutage treibt sich ja viel Gesindel rum. Ich schwöre Ihnen, und der Allmächtige ist mein Zeuge, Sie und ich, wir könnten sogar verwandt sein. Ihr Großvater ging vor mehr als hundert Jahren nach Brasilien, das war noch unter Isabel II. Ihr Großvater hatte eine skandalöse Liebschaft – tut mir leid, aber das erzählt man sich hier – mit Manecha Amieiros, der Schwester von Xan und einem anderen, an dessen Namen ich mich nicht erinnere, ich glaube Fuco, ja, er hieß Fuco, und er hatte nur ein Auge, nicht, dass er das andere verloren hätte, nein, er hatte nur eins, mitten auf der Stirn, und er war so zur Welt gekommen. Ihr Großvater und Manecha trafen sich immer in einer Höhle im Fichtenwald von Bouzas, wo sie sich ein Nest aus getrockneten Hortensien bauten und eine Feuerstelle, um Chorizos zu braten und sich zu wärmen. Eines Nachts lauerten die beiden Brüder von Manecha Ihrem Großvater an der Wegbiegung bei Claviliño auf, einer mit einem Hackmesser, der andere mit einer Eisenstange bewaffnet. Sie wollten Ihren Großvater umbringen, aber der ritt sie mit dem Pferd über den Haufen. Fuco der Einäugige ließ die Eisenstange fallen und rannte wie ein Irrer davon, während Xan Ihrem Großvater die Stirn bot und mit ihm kämpfte. Xan haute Ihrem Großvater das Hackmesser in die Rippen, doch Don Camilo, der nicht sehr groß, dafür aber umso mutiger war, biss die Zähne zusammen und schlug ihn mit der Eisenstange seines Bruders nieder, der Schiss gekriegt hatte und abgehauen war. Später, als man die Leiche öffnete, sah die Lunge aus, dass es eine Pracht war. Alles Matsch und Brei. Der musste ganz schön was abgekriegt haben!«

Der drittälteste der Gamuzos heißt Roque, und obwohl er kein Pfarrer ist, nennt man ihn den Pfaffen von Comesaña, warum, weiß niemand. Der Pfaffe von Comesaña hat einen riesigen Schwanz, für den er in der ganzen Gegend berühmt ist und über den man sogar im Königreich Leon redet, bis weit über Ponferrada hinaus. Kann sein, dass der Schwanz des Pfaffen von Comesaña genauso ein Prachtexemplar ist wie der des Pfarrers von San Miguel de Buciños, der in dieser wahren Geschichte auftreten wird, wenn seine Zeit gekommen ist. Will man Reisende erschrecken, zeigt man ihnen das Kloster von Oseira und die Spuren, die der Satan auf dem Bergrücken von El Cargadoiro hinterlassen hat, Hufspuren wie von einer Ziege, genau zu erkennen, und man zeigt ihnen Roques Prügel, der ein Geschenk des Himmels ist, wie man so sagt.

»Komm schon, Roque, zeig ihn den Herrschaften, du weißt schon, was ich meine. Dieses Ehepaar ist aus Madrid. Du kriegst auch ein Glas Zuckerrohrschnaps.«

»Ich mache es nur für zwei.«

»Gut, dann eben zwei.«

Roque knöpft die Hose auf und legt das Gewünschte frei, das ihm wie eine erwürgte Füchsin bis zum Knie runterhängt. Roque, der eigentlich schon daran gewöhnt sein müsste, gerät bei dieser Darbietung immer ein bisschen in Bedrängnis.

»Tut mir leid, Señora, aber so ist mit ihm nicht viel herzumachen, er hat eben noch kein Vertrauen gefaßt … «

Wenn Roque zu seiner Frau Chelo Dominguez der von den Avelaíños sagt, na los, mach schon die Beine breit, bindet sie ihm, sozusagen zur Selbstverteidigung, ein Küchenhandtuch um sein Ding, damit es nicht ganz in sie reinpasst.

»Heiliger Penisius, steh mir bei! Lieber Gott, lass mich beichten, bevor du mich zu dir holst. In Jesu Namen, Amen.«

Adega weiß genau, was hier in der Gegend alles passiert ist, doch sie hat es lange Zeit für sich behalten.

»Sie dürfen es nicht verschweigen. In unseren Adern fließt doch dasselbe Blut!«

»Nein, Señor, das will ich auch gar nicht. Ich habe lange genug geschwiegen! Möchten Sie ein Schlückchen Trester?«

»Ja, gern. Vielen Dank.«

Es ist eine Freude zu sehen, wie diese Litanei ganz sacht herabfällt, ja, es ist wie eine Litanei, und es ist schön, den geduldigen Regen auf die Felder, das Dach und gegen die Glasscheiben des Balkons rieseln zu hören.

»Mein Bruder Secundino hat die Papiere aus dem Gericht von Carballiño geklaut, genauer gesagt, Xian Mosteirón, der Gerichtsschreiber, den sie den Lahmen von Marañís nannten und der früher mal Grenzer gewesen war, ließ sie sich klauen. Er ließ sie sich klauen, weil mein Bruder, der nicht kleinlich war, ihm fünf Pesos zum Verjubeln und nochmals fünf für wohltätige Zwecke zusteckte, insgesamt also zehn. Afouto den Mutigen brachte einer um, der selbst längst tot ist, tot und begraben, das wissen Sie besser als ich, und ich rede nicht einfach so daher. Die Männer aus Cazurraque sind tolle Kerle, und darum kommen wir Frauen gut mit ihnen zu Rande, wir Frauen aus Vilar do Monte oder von sonst woher, weil man als Frau schließlich einen Mann will, der einen richtig hernimmt. Moucho ist von weiter weg. Gut, sein Vater und die ganze Familie sind schon seit vielen Jahren hier, aber sie sind von weiter weg, ich würde fast sagen, sie sind aus Maragatería, aber beschwören kann ich es nicht, na ja, ich sag’ das einfach mal so, ich will Ihnen ja nichts Falsches erzählen. Wenn Sie meine Nichte Xila, die schon zwölf ist und soweit ich weiß noch nicht mit den Ferkeleien angefangen hat, als Magd zu sich nehmen, schenke ich Ihnen die Papiere und obendrein die Stiefel von dem Toten, der Afouto umgebracht hat, ich weiß, viel wert sind sie nicht, aber sie sind immerhin ein Andenken. Mein Bruder Secundino hat Tabak reingefüllt, weil er das komisch fand. Don Silvio, der Pfarrer von Santa María de Carballeda, da stammt Ihr Verwandter, der heilige Fernández her, hat einmal zu ihm gesagt, dass er in die Hölle kommt, wenn er die Stiefel nicht wie ein Christ begräbt. Mein Bruder Secundino hörte nicht auf ihn, er hatte keine Angst vor der Hölle, weil er glaubte, dass Gott eher ein Freund von Leben und gutem Essen als von Tod und Hunger ist. Gießen Sie sich noch einen Schnaps ein, es ist sehr kalt.«

Das erste Merkmal des Hurensohns ist schütteres Haar, und Fabián Minguela hat dünnes, fettiges Haar.

»Und was für eine Farbe hat es?«

»Je nachdem, sie ändert sich von Tag zu Tag.«

Der vierte und fünfte Gamuzo, also Celestino und Ceferino, sind Zwillinge und beide Pfarrer, sie haben im Priesterseminar von Orense studiert, und man sagt, sie seien dadurch ein bisschen frommer geworden. Celestino nennen sie Carocha den Maiskolben, und er ist Pfarrer von San Miguel de Taboadela. Ceferino heißt hier Furelo das Frettchen, er war Pfarrer von San Adrián de Zapeaus, im Gemeindebezirk von Rairiz de Veiga, und vor kurzem haben sie ihn nach Santa María de Carballeda in Piñor de Cea versetzt, als Nachfolger des verstorbenen Don Silvio.

Ja, es ist eine Freude zu sehen, dass es wie immer regnet, und es regnet immer, winters und sommers, Tag und Nacht, auf die Erde und auf die Sünden, für die Männer, für die Frauen und für die Tiere.

Baldomero, genannt Afouto der Mutige, konnte man nicht von vorne angreifen, weil er so wild wie der Wolf von Zacumeira war; sein Bruder Tanis das Teufelchen kann mit einer Hand und ohne Luft zu holen einen Mann hochstemmen; sein Bruder Roque, der Pfaffe von Comesaña, ist ein bisschen schüchtern; seine Brüder Celestino, genannt Carocha der Maiskolben und Ceferino alias Furelo das Frettchen lesen wie gesagt die Messe und spielen ziemlich gut Chamelo und Correlativa. Carocha jagt gern (Kaninchen und Ringeltauben), und Furelo angelt gern (Plötze und Barben, mit ein bisschen Glück auch mal eine Forelle). Bleiben noch vier Gamuzos.

Adega ist eine vorsichtige, aber auch freigiebige Frau, in ihrer Jugend muss sie ein wildes Ding und leicht zu haben gewesen sein, ein Vollblutweib, immer zum Feiern aufgelegt.

»Es heißt, dass der Tote, der Afouto umgebracht hat, auch meinen Seligen und noch ein paar andere umgebracht hat, ein ganzes Dutzend, und man sagt, der Hurensohn, nehmen Sie’s mir nicht krumm, sei richtig schießwütig gewesen; ich weiß das alles nicht aus erster Hand, aber als sie ihn dann selbst umbrachten, den Toten, da zündete ich in Santa María la Real von Oseira dem Heiland eine Kerze an. Es gibt Tote, die tun einem leid, aber es gibt auch Tote, über die man sich sehr freut, finden Sie nicht? Andere Tote machen einem angst, die Wasserleichen und Pestopfer, und über manche muss man lachen, besonders über Gehenkte, wenn sie im Wind schaukeln. Als ich klein war, gab es in Bouza da Fondo einen Gehenkten, den sie so aufgeknüpft hatten, dass die kleinen Jungs sich an seinen Füßen festhalten und schaukeln konnten, und ihm machte das nichts mehr aus. Aber dann kam die Guardia Civil und verscheuchte die Bengel, weil der Herr Richter nämlich ein sehr strenger Mensch war, ein sehr besonnener Kastilier, Don León hieß er, und er vertrug keine Scherze, das weiß ich noch genau. Mit den guten Sitten geht es immer mehr bergab, das liegt an der Fliegerei.«

Die Erinnerung an Lázaro Codesal verblasste nicht so schnell in den Köpfen der Leute. Adega ist nicht die einzige, die diese Geschichten kennt. Als er eines Abends singend von La Cabreira herunterkam – Lázaro Codesal sang immer, damit alle wußten, dass er es war –, fing ihn an der Kreuzung von El Chosco ein Ehemann ab.

»Ich bin allein, und wir haben beide einen Knüppel.«

»Verschwinden Sie, ich will keinen Ärger. Lassen Sie mich vorbei!«

Aber sie kriegten sich in die Haare und verpassten sich mehr als hundert Knüppelschläge, vielleicht sogar zweihundert. Lázaro Codesal schlug den anderen lendenlahm, fesselte ihm die Hände hinter dem Rücken an seinen eigenen Knüppel und ließ ihn laufen.

»Gehen Sie nach Hause und lassen Sie sich von Ihrer Frau losbinden. Und legen Sie sich nicht noch mal mit friedlichen Leuten an. Sie sehen ja, was dabei rauskommt.«

Damals war die Linie zwischen Wald und Himmel noch zu sehen, und hätte es diesen heimtückischen Mauren nicht gegeben, wäre die Linie nie verschwunden. Hier gedeihen Feigenbäume nicht sonderlich gut; wenn ich reich wäre, würde ich da hingehen, wo gesunde und kräftige Feigenbäume wachsen und mir in Gedenken an Lázaro Codesal, diesen Burschen, der mit seinem Knüppel besser umgehen konnte als jeder andere, hundert Feigenbäume kaufen und alle Feigen von den Vögeln auffressen lassen. Schade, dass man nicht reich ist und so was machen kann, sich die Welt anschauen, Frauen Ringe schenken, Feigenbäume kaufen … Weil du nicht Geige und auch nicht Ziehharmonika spielen kannst, verbringst du die Nachmittage im Bett. Benicia ist wie ein folgsames Ferkel, sie sagt zu nichts nein. Benicia kann nicht lesen und auch nicht Ziehharmonika spielen, aber sie ist jung und macht gute Mehlkringel; außerdem weiß sie im richtigen Moment, was einem guttut, und ihre süßen, großen Brustwarzen sind so hart wie Kastanien. Adega führt Buch über die Gehenkten.

»Der Dorftrottel von Bidueiros, den der Pfarrer von San Miguel de Buciños in die Welt gesetzt hat, hat sich nicht selbst aufgehängt, den haben die anderen aufgeknüpft, sozusagen zum Üben. Der Pfarrer von San Miguel de Buciños heißt Don Merexildo Agrexán Fenteira und ist berühmt für sein großes Kaliber. Wenn Don Merexildo sein Ding ausfährt – Gott möge mir verzeihen! –, könnte man glauben, er hätte einen Tannenbaum unter der Soutane. >Wo wollen Sie denn hin damit, Hochwürden?«

>Sehen, ob mir den eins meiner Schäfchen müde macht, Satansbraten, verdammter!< (Oder: >Teufelsweib, verfluchtes!<, wenn ihn eine Frau darauf ansprach.) Verzeihung. Hören Sie, Don Camilo, ich möchte Ihnen ein Stück Chorizo zum Probieren geben, der ist wirklich gut und gibt Kraft. Cidrán, mein verstorbener Mann, hatte soviel Kraft, weil er die Chorizos ganz runterschluckte. Ich sage Ihnen, wenn ihn der Tote, der ihn umgebracht hat, nicht wie einen Fuchs abgeknallt hätte, hätte er ihn nie totgekriegt. Stellen Sie sich vor, in den Rücken haben sie meinen verstorbenen Mann geschossen! Nicht einmal umdrehen hat er sich können. Wenn er sich nämlich umgedreht hätte, dann wären der Tote, der ihn umgebracht hat, und die anderen, falls andere dabei waren, jetzt noch immer vor ihm auf der Flucht.«

Der Pfarrer von San Miguel de Buciños ist ständig von einem Fliegenschwarm umgeben, wahrscheinlich hat er süßes Blut.

»Und stört ihn das nicht?«

»Doch, aber er hat sich damit abgefunden. Was bleibt ihm anderes übrig!«

Chufreteiro der Possenreißer ist der sechste Gamuzo, er heißt eigentlich Matías und versteht was vom Kartenlegen, und ein paar Kunststücke kann er auch. Matías war Hundefänger im Pfarrbezirk Santa María la Madre in Orense, aber später hat er sich ein bisschen gemausert und in Carballiño eine Arbeit gefunden, in der Sargfabrik Ruhesanft, wo er einen guten Tagelohn kriegt. Chufreteiro der Possenreißer ist ein munterer Bursche, er hat eine schöne Stimme und kann gut singen, er ist der geborene Tänzer, und beim Vierer-Billard kassiert er ganz schön ab (manchmal springen für ihn dabei im Monat tausend Peseten oder mehr raus). Chufreteiro ist ein Gockel und sehr ulkig, er erzählt Geschichten über Otto und Fritz und macht dabei den deutschen Akzent nach. Chufreteiro ist Witwer; seine Frau Puriña ist an Schwindsucht gestorben, die hatte ihr irgendeine Hexe angehängt. Sie war die Schwester von Loliña Moscoso, der Frau ihres ältesten Bruders, in dieser Familie haben sich die Töchter nie sehr lange gehalten, sie sind gestorben, bevor ihre Männer sie satt hatten.

»Und haben sie ein großes Durcheinander hinterlassen?«

»Nein, eigentlich nicht, das übliche.«

Adega geht Chorizo und mehr Schnaps holen, der Chorizo und der Schnaps von Adega sind wirklich gut und außerdem sehr nahrhaft.

»Mit dem Dorftrottel von Bidueiros haben sie geübt, und mit meinem verstorbenen Mann auch, aber anders. Es hat schon immer schlechte Menschen gegeben, aber damals, in den Kriegsjahren, waren sie noch schlechter. Gott soll sie strafen! So kann es nicht weitergehen. Viele hat er ja schon zu sich gerufen, nur wenige sind im Bett gestorben, wie es sich gehört, und haben sich von ihrem ältesten Sohn die Augen zudrücken lassen. Sie wissen ja, wie es dem Toten ergangen ist, der Afouto und dann auch meinen verstorbenen Mann umgebracht hat. Töten, immer nur töten – und am Ende hat er es selbst nicht geschafft, lebendig aus Meixo Eiros rauszukommen. Wer Blut vergießt, ertrinkt am Ende selbst in Blut. Sie wissen das besser als ich, und wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie es ja nicht zuzugeben, aber den Toten, der Afouto und meinen verstorbenen Mann umgebracht hat, den hat Ihr Verwandter in die Enge getrieben, er ist bei der Quelle von Bouzas do Gago gestorben, Ihnen brauche ich das ja nicht zu erzählen. Rosalía Trasulfe nennen sie Cabuxa Tola die verrückte Ziege, weil sie schon immer sehr überdreht gewesen ist. Rosalía Trasulfe knöpfte sich die Bluse auf, holte beide Titten raus und sagte zu dem Toten, als er sich noch hier in der Gegend rumtrieb und Leute umbrachte: >Komm, nuckel dran, das macht mir nichts aus, aber lass mich leben!< Und jetzt sagt sie: >An diesen Titten hat er genuckelt, der Tote, ehrlich, und anderswo war er auch dran, aber dafür bin ich noch am Leben, und außerdem habe ich mich danach gründlich gewaschen, ich habe mir die Titten gewaschen und die Möse auch, ganz gründlich.<Es ist eine Freude, sie so reden zu hören!«

Jeder Gamuzo hat seinen Spitznamen; den verwendet man nicht immer, aber manchmal schon Julián Marvís Ventela alias Fernández alias Juli in Gamuzo nennen sie Paxarolo den Schlaukopf, weil er schlau wie ein Fuchs, schnell wie der Blitz und sehr schlagfertig ist. Paxarolo hat ein Uhrengeschäft in Chantada, genauer gesagt seine Frau hat eins, er ist weiter von hier weggezogen als andere, aber er hat sich ein gutes Plätzchen gesucht. Paxarolo hat also eine Witwe mit einem Uhrenladen in Chantada geheiratet, sie heißt Pilar Moure Pernas und ist auf Umwegen Uhrenladenbesitzerin geworden: Pilars erster Mann, Urbano Dapena Escairón, dem der Uhrenladen gehörte, starb an einer Kolik und vermachte das Geschäft dem ältesten Sohn Urbanito, der an Blutarmut starb, er war ja schon immer kränklich gewesen, und so ging der Uhrenladen an Pilar, wie es das Gesetz vorschreibt. Paxarolo und Pilar haben fünf Söhne und drei Töchter, alle kerngesund. Die Wahrscheinlichkeit, dass Paxarolo jemals Eigentümer des Ladens wird, ist gering, das ist klar, aber es ist ihm egal, es reicht ihm, dass er in ein Uhrengeschäft eingeheiratet hat, seine Kinder immer was Warmes zu essen kriegen und zur Schule gehen können …

Der Tote, der Afouto und vielleicht noch ein Dutzend anderer umgebracht hat, nuckelte gern an den Titten von Cabuxa Tola der verrückten Ziege, aber jetzt ist er tot, der Hurensohn, und nicht einmal begraben ist er, Don Camilo, weil nämlich eine Frau, wer, sage ich Ihnen irgendwann – nein, seien Sie still, jetzt rede ich, und lieber Gott, gib, dass ich nicht zuviel sage-, weil nämlich eine Frau auf dem Friedhof seine sterblichen Reste geklaut und mit ihnen etwas angestellt hat, das wohl nie rauskommen wird, wenn sie nicht selbst damit rausrückt. Man muss der Erde nahe sein, es ist besser, zu Erde zu werden als zu Wasser. Cabuxa Tola die verrückte Ziege ist eigentlich gar nicht verrückt, und am Leben ist sie auch noch, ich glaube, sie wohnt bei ihrer Tochter Edelmira, die in Sarria mit einem von der Guardia Civil verheiratet ist. Sie ist in meinem Alter, hat wohl ein, zwei Jahre mehr auf dem Buckel, und wir sind immer gute Freundinnen gewesen. Jeder Frau hat irgendwann ein Kerl an den Titten genuckelt, dazu sind wir da, und wenn wir dabei unseren Spaß haben, geht es niemanden was an, wichtig ist nur, dass man sich danach nicht ekelt: Der eine macht’s uns in der Scheune, der andere im Stall, der Pfarrer in der Sakristei, der Schausteller in der Küche, der Müller in der Mühle, der Fremde im Wald, und der Ehemann, wenn er Lust drauf hat … Wichtig ist nur, dass man sich danach nicht ekelt. Als ich meine Tochter Benicia stillte und meine Titten noch groß und hart und prall mit Milch gefüllt, also richtige Titten waren, wie es sich gehört, wollte auch mal eine Schlange dran nuckeln, aber mein verstorbener Mann hat ihr mit einer Hacke den Kopf abgehauen und sie totgeschlagen. Hier gibt es nichts als Tote und den gierigen Wind, der in den Eichen den Königsmarsch bläst.«

Es regnet auf die Weggabelung von Piñor und den sprudelnden Quell von Albarona, an dem die Wölfe lauern, während der Ochsenkarren von Roquiño den ausgefahrenen Weg entlang rumpelt und seine Achsen quietschen lässt, um die Wölfe zu verscheuchen. Die Nacktschnecken machen sich im Winter dünn und schlafen zusammengekrümmt zwischen den kleinen Wurzeln der süßen, versteckten Walderdbeeren. Auch die Seelen aus dem Fegefeuer trinken aus der Miangueiro-Quelle, genau wie die Aussätzigen, und wenn sie sich langweilen, wandeln sie mit der Schar der Totengeister am Flussufer entlang. Benito Gamuzo nennen sie Lacrau den Skorpion, unansehnlich wie ein Skorpion ist er zwar, aber giftig ist er nicht. Lacrau ist taubstumm, aber schlau. Er taugt dazu, Besorgungen zu erledigen, kann mit dem Hobel umgehen, versteht was von Kaninchenzucht und macht Mehlkringel, die fast so gut sind wie die von Benicia. Lacrau ist ledig und wohnt bei seinem Bruder Matías in Carballiño, er arbeitet in der Sargfabrik und verdient soviel, dass es reicht. Einmal im Monat geht Lacrau in der Provinzhauptstadt ins Puff, und dann schaut er nicht aufs Geld. Bei Chufreteiro dem Possenreißer wohnt außer Lacrau auch der jüngste Gamuzo, Salustio heißt er und ist ein einfältiger Schwächling. Ihm ist wirklich alles recht, und er macht einem keine Arbeit. Chufreteiro hat nicht vor, wieder zu heiraten, weil er nicht weiß, was dann aus seinen Brüdern würde.

»Mir geht es gut so, und außerdem sind auch meine Brüder Geschöpfe Gottes.«

Der neunte und letzte Gamuzo heißt Marvís, und sie nennen ihn Mixiriqueiro den Zimperlichen, weil er die ganze Zeit mit seinem Grillenstimmehen zetert, vielleicht tut ihm innen drin was weh und er kann nicht sagen, was.

Adega wollte nicht sterben, ohne das Meer gesehen zu haben.

»Schlimm ist nicht, dass man sterben muss, sondern dass man es weiß. Schlimm ist, dass sich die Lebenden dann ins Fäustchen lachen. Mir reicht es, wenn ich auch nur einen Tag länger als der Tote gelebt habe, und jetzt sind es schon viele Tage. Der Tote, der meinen verstorbenen Mann umgebracht hat, ist tot und begraben, und ich bin noch am Leben. Wichtig ist, dass man zusehen kann, wie die anderen wegsterben. Ich will nicht sterben, ohne das Meer gesehen zu haben, es muss sehr schön sein. Cabuxa Tola hat mir erzählt, dass es mindestens so groß ist wie die ganze Provinz Orense, vielleicht sogar noch größer. Der Tote, der Afouto und danach meinen verstorbenen Mann umgebracht hat, ist schon tot, und das tröstet mich. Man muss dem Wasser nah sein, es ist besser, zu Wasser zu werden als zu Luft. Cabuxa Tola hat es raus, wie man Vögel und andere Tierchen zähmt, sie macht das fast so gut wie Policarpo Obenza der von der Bagañeira: Uhus, Raben … Uhus stellen sich dümmer an als Raben, Kröten und Ziegen, die machen es einem ganz leicht. Steinmarder, Fledermäuse, alles, was Sie wollen, aber Cabuxa Tola kann auch Hühner verhexen, Schlangen kastrieren und Füchsen Feuer unter dem Hintern machen, indem sie eine scharfe Pfefferschote, eine von den guten aus ihrem Dorf, durchschneidet und ihnen damit den Arsch einreibt. Das ist zu komisch! Cabuxa Tola taugt mehr als viele Männer. Wir Frauen haben alle irgendwann Schweinereien mit einem Hund gemacht, das ist gang und gäbe, wenn man jung ist, nimmt man, was man kriegt. Oder mit einem Einfaltspinsel, am besten einem Schwachsinnigen, falls gerade einer zur Hand ist und man dabei nicht zu sehr friert und der Kerl nicht zu heulen anfängt. Männer suchen sich eine Ziege mit dickem Euter, packen sie fest an den Hörnern und rubbeln sich nach Lust und Laune einen runter, so sind sie nun mal. Gut, Cabuxa Tola hat also mit Wölfen getrieben, was wir mit Hunden gemacht haben, aber das glaubt mir niemand, obwohl es die reine Wahrheit ist und ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Die Tiere im Wald gehorchten Cabuxa Tola, weil ihre Mutter auf einem galoppierenden Pferd geschwängert worden war. Das war während des Sturms am Tag des heiligen Lourenciño de Casfigueiro. Der Sturm kostet jedes Jahr einen Kastilier, Zigeuner, Neger oder Seminaristen das Leben. Ein schlimmer Sturm ist das jedes Mal, verheerend und sehr grausam. Cabuxa Tola hat eine Okarina, damit warnt sie die wehrlosen Tierchen rechtzeitig vor dem Sturm: den Maulwurf in der Erde, den Tausendfüßler im Domgestrüpp, die Spinne in der Wohlriechenden Wicke, die Schnecke in den Rüben und andere.

Policarpo der von der Bagañeira heißt eigentlich mit Familiennamen nicht Obenza, sondern Portomourisco; Obenza hieß seine Großmutter, und die war eine tatkräftige, resolute Frau.

Die Carroupos haben auf der Stirn ein Muttermal wie aus Schweinsleder, sie haben alle eins, und es ist wie ein Markenzeichen oder Kainsmal. In Mouchos Adern fließt Carroupo-Blut, er ist nicht astrein, man kann ihm nicht trauen. Die Carroupos sind wer weiß wo her, jedenfalls nicht von hier, vielleicht stammen sie aus der Gegend von Maragatería, jenseits von Ponferrada, und sind vor dem Hunger oder der Polizei weggelaufen, wer kann das schon sagen. Fabián Minguela, genannt Moucho, wetzt die ganze Zeit sein Messer, dass es nur so blitzt und blinkt. Eines Tages werden sie es ihm in den Hals stecken, und dann hat er was zu schlucken. Die Carroupos bestellen keine Äcker und züchten auch kein Vieh, die Carroupos sind Schuster, und hier wird jeder Schuster genannt, der im Sitzen arbeitet oder zumindest nicht nass wird, wenn es regnet: Schuster, Schneider, Verkäufer, Friseure, Schreiber, alle, die für ihre Arbeit weder Kraft noch Ackerland brauchen. Das zweite Merkmal des Hurensohns ist die gefurchte Stirn – hast du die von Fabián Minguela gesehen? Ja, so ungefähr sieht das aus.

Moncho Requeixo Casbolado, Moncho der Faulpelz genannt, weil er zu nichts Lust hat, außer sich in der Welt rumzutreiben, war mit Lázaro Codesal Grovas, dessen zweiter Nachname vorhin vielleicht nicht erwähnt wurde, im Marokko-Krieg in Melilla, er konnte den Mauren allerdings gerade noch entkommen und kam lebendig zurück, wenn auch mit einem Bein weniger. Moncho der Faulpelz war vorher rund um die Welt gefahren, er hatte immer auf holländischen Schiffen angeheuert; am besten hatte es ihm in Guayaquil gefallen.

»Mit einem guten, nach Maß gefertigten Holzbein lebt man auch nicht schlecht, das können Sie mir glauben. Bei den Eingeborenen von New Titanic, einer Insel, die die Engländer im Pazifik versenkt haben – sie haben sie mit Kanonenschüssen versenkt, weil ihre Bewohner das Dezimalsystem einführen wollten-, war ein Holzbein ein Zeichen von Vornehmheit. Mich wollten sie zum Premierminister machen, aber ich habe nein gesagt, weil ich lieber zurück nach Hause wollte.«

Moncho der Faulpelz hat das Wesen von einem Entdecker alten Stils: Er ist verlogen, leicht entflammbar, draufgängerisch, arbeitsscheu und ein Spintisierer. Am Strand von Bastianiño, behauptet Moncho der Faulpelz, habe er einen sehr seltenen Baum, den ombiel, gefunden, dessen Blätter, wenn sie im Herbst, von Trauer besiegt, zur Erde fallen, ganz welk und weich werden, als wären sie aus Schneckenfleisch, und sich in augenlose Fledermäuse mit auf die Flügel gemalten roten Totenköpfen verwandeln. Wenn der Wind bläst, können sie erwachen, aufstehen und fliegen; wenn nicht, muss man sie auf der Erde liegen lassen, bis sie vor Hunger sterben, denn ihnen den Gnadentod zu geben, bringt Unglück. Wenn man sie auf der Erde liegen lässt, passiert nichts, und die Welt dreht sich weiter wie immer.

Adega war mit Moncho dem Faulpelz gut befreundet, die beiden waren sogar eine Zeit lang halb verlobt, aber jetzt haben sie sich schon seit Jahren nicht gesehen.

»Hören Sie, Don Camilo, reden Sie keinen Scheiß! Manchmal kommt es mir wirklich so vor, als würden Sie mich verscheißern. Es ist schön, ein bisschen durchzuhalten und später als die Toten zu sterben, die von Anfang an verraten und verkauft sind, denen der Tod auf die Augen, die Stirn und aufs Herz geschrieben steht, denen die anderen den Tod wünschen. Ja, es ist Gottes Gesetz: Wer Blut vergießt, dem wird das Blut vergiftet, und am Ende ertrinkt er selbst in Blut. Für den gibt es kein Entrinnen, weil sich ihm alle Türen der Welt verschließen. Man muss der Luft nah sein, es ist besser, zu Luft zu werden als zu sterben. Die Leute hatten es satt, dass die Bleichen umhergingen und Tod säten, und als die Stunde der Rache da war, die kommt, wenn es dem Herrn gefällt, aber kommen tut sie immer, da pflanzten diejenigen, die geweint hatten, aber noch am Leben waren, für jeden toten Bleichen einen Haselbusch, zum Mitzählen, aber auch, damit sich die Wildschweine freuten. Hier sind viele Haselbüsche gepflanzt worden! sagten die Bleichen, für die die Stunde der Abrechnung noch nicht geschlagen hatte. Wir werden wohl ein abschreckendes Beispiel geben müssen. Nein, antworteten die anderen, diese Haselbüsche wachsen wild, sie sprießen von ganz allein, jeder weiß das, damit die Wildschweine frische Haselnüsse haben.«

Die letzten Worte sagt Adega mit heiserer Stimme.

Dann schluckt sie und lächelt.

»Verzeihung. Soll ich Ihnen auf der Ziehharmonika die Polka Fanfinette vorspielen? Ich werde langsam alt, aber ich kriege sie noch immer ganz gut hin, das werden Sie gleich sehen.«

Adega spielt nach wie vor recht passabel und gekonnt Ziehharmonika.

»Sie machen das sehr gut.«

»Nein, seit sie meinen verstorbenen Mann umgebracht haben, kommt mein Kopf nicht mehr zur Ruhe, und so kann niemand gut spielen, weder Ziehharmonika noch sonst was. Ich spiele ohne Freude, ich spiele wie ein Pianola … Stört es Sie, wenn ich weine? Ich hör’ gleich wieder auf.«

Adega weint zwei oder drei Tränen.

»Als sie den Toten umbrachten, der meinen verstorbenen Mann umgebracht hatte, dachte ich, dass ich ein bisschen freier atmen könnte, aber damit war nichts. Vorher hasste ich, jetzt verachte ich, und dabei geht meine ganze Kraft drauf. Früher war ich schweigsam, jetzt rede ich, und vielleicht mehr, als gut ist. Auf der Ziehharmonika zu spielen ist wie Wasser aus einer Quelle trinken; an manchen Tagen hat man Durst, an anderen nicht. Ich glaube, das einzige, was ich wirklich gut kann, ist verachten; es zu lernen hat mich viel Mühe gekostet, aber jetzt kann ich verachten wie Gott, das können Sie mir glauben. Wichtig ist zu wissen, dass einem der Kopf weh tun kann, auch wenn er gerade mal nicht wehtut. Das hier ist meine Heimat, und von hier kann mich niemand vertreiben. Wenn ich sterbe, verwandele ich mich in die Erde, die den Stechginster nährt, ich verwandle mich in die Goldblüte des Stechginsters, und bis dahin – na, Sie sehen ja.«

Adega verstummt und kredenzt noch zwei Gläschen Schnaps, eins für sich und eins für mich.

»Saudiña! Wohl bekomm’s!«

Der Garten hinter Señorita Ramonas Haus reicht bis zum Fluss mit seinen Farnen und Binsen, seinem Tümpel, seinen Barben und seinen Selbstmördern; drei Selbstmorde in elf Jahren sind allerdings nicht viel. Dieses Land bringt nicht viele Selbstmörder hervor: ein Greis ohne Obdach, ein Mädchen mit Liebeskummer, eine verheiratete Frau, von Langeweile zermürbt und von Reue geplagt. Niemand weiß, ob Señorita Ramonas Mutter ertrunken ist oder ob sie sich ertränkt hat.

»Du und ich, wir sind Cousin und Cousine von Raimundo dem von den Casandulfes, du mütterlicherseits und ich väterlicherseits. Du und ich, wir sind durch Heirat miteinander verwandt, und wenn du es drauf anlegst, findest du vielleicht sogar raus, dass wir Blutsverwandte sind. Hier in der Gegend sind wir alle mehr oder weniger miteinander verwandt, außer den Carroupos, die kamen aus einer anderen Welt angesegelt, und jetzt vermehren sie sich wie die Karnickel.«

Señorita Ramona wirkt wie eine Dreißigjährige, vielleicht ist sie schon ein bisschen drüber, und sie gibt sich hochnäsig und ziemlich launisch, auch selbstsicher, ein bisschen zurückhaltend, schüchtern und geheimnisvoll. Señorita Ramona hat große Augen, schwarz wie die Pechkohle aus Compostela, und sie hat einen braunen Teint, vielleicht ist sie eine halbe Mexikanerin, die Casandulfes haben ja eine mexikanische Groß- oder Urgroßmutter. Señorita Ramona war schon dreimal verlobt, aber aus lauter Dünkel blieb sie ledig. Señorita Ramona verfasst Gedichte, spielt auf dem Klavier Sonaten und lebt mit zwei verknöcherten Dienern und zwei Mägden, richtigen Hexen, zusammen, die sie von ihrem Vater, Don Brégimo Faramiñás Jocín geerbt hat. Er war Spiritist, spielte gern auf dem Banjo und starb als Oberamtsrat. Señorita Ramonas dienstbare Geister sind alle vier eine Katastrophe, ein Fiasko, wie man so sagt, aber sie kann sie ja nicht vor die Tür setzen und elend verhungern lassen.

»Nein, bleibt hier, bis ich euch einen nach dem anderen begraben habe. Wahrscheinlich macht ihr es sowieso nicht mehr lange.«

»Danke, Señorita, Gott belohne Sie für Ihre Güte.«

Señorita Ramona hat von ihrem Vater auch einen schwarzen, sehr vornehmen Packard und einen weißen, sehr eleganten Isotta-Fraschini geerbt, aber sie holt sie nie aus der Garage, dabei kann sie Auto fahren, die Señorita Ramona, sie ist die einzige Frau weit und breit, die einen Führerschein hat, und trotzdem holt sie die Wagen nie aus der Garage.

»Sie verbrauchen zuviel Benzin. Sollen sie doch verrosten!«

In Señorita Ramonas Salon hängen zwei von Fernando Alvarez de Sotomayor gemalte Porträts, eins von ihr selbst in volkstümlicher Tracht, das andere von ihrer Mutter mit spanischer Mantille.

»Wir sehen uns sehr ähnlich, stimmt’s?«

»Weiß nicht. Deine Mutter habe ich nie kennengelernt.«

»Hm, egal, alle Bilder sehen sich ziemlich ähnlich.« Raimundo der von den Casandulfes ist der Sohn von Salvadora, der jüngsten Schwester meiner Mutter, er hat studiert und ist ein stattlicher Bursche. Wenn Raimundo Señorita Ramona, unsere Cousine, besuchen geht, bringt er ihr immer eine weiße Kamelie als Geschenk mit.

»Hier, für dich, Moncha! Damit du siehst, dass ich dich mag und immer an dich denke.«

»Hab vielen Dank, Raimundiño. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.«

Señorita Ramona hat ein Schoßhündchen, einen Angorakater, einen riesigen, knallbunten Ara, einen grünen Papagei, ein Seidenäffchen, eine Schildkröte und zwei Schwäne, ja, auf dem Teich im Garten schwimmen zwei Schwäne, manchmal sind sie unten am Fluss, aber sie kommen immer zurück. Señorita Ramona ist sehr tierlieb, die einzigen Tiere, die sie nicht mag, sind die, die zu etwas nutze sind: Kühe, Schweine und Hühner; bei Pferden macht Señorita Ramona eine Ausnahme, sie hat einen Rotfuchs, der wohl an die zwanzig Jahre alt ist.

»Pferde sind wie Männer, schön und leer, und manche haben ein edles Herz.«

Außer dem Papagei haben Señorita Ramonas Tiere alle einen Namen: Der Hund heißt Wilde und schläft bei ihr im Bett; der Kater heißt King, der Ara Rabecho, das Äffchen Jeremias, die Schildkröte Xaropa, der Hengst Caruso, die beiden Schwäne Romulus und Remus. Der Kater ist kastriert worden, weil er eines Nachts, als ihn der Hafer juckte, ausgerissen und erst am nächsten Morgen wiedergekommen ist, verdreckt, mit hängendem Kopf und verwundet. Señorita Ramonas Befehl war gnadenlos: »Armes Tierchen! Das darf ihm nie wieder passieren. Kastriert ihn!«

Sie kastrierten ihn also, und danach riss er nie wieder aus. Wozu auch? Der Ara ist blau, weiß und rot wie die französische Fahne und hat auch ein paar grüne und gelbe Federn. Der Ara wohnt auf einer Stange und ist an eine genügend lange Kette gelegt; der Ara klettert rauf und runter, angeödet und behäbig turnt er herum und hängt sich mit den Krallen an die Stange, ohne große Begeisterung und mit einem Ausdruck von tödlicher Langeweile. Der Affe masturbiert und hustet, die Schildkröte verschläft ihr Leben, und die Schwäne gleiten verdrießlich und vornehm dahin. Das einzige nicht trübsinnige Tier in Señorita Ramonas Haus ist das Pferd.

»Lach mich nicht aus, Raimundiño! Das Schlimme ist nicht, dass ich allein bin, ich war das ganze Leben allein und habe mich längst daran gewöhnt … Das Schlimme ist, dass ich ständig geistesabwesend bin und weiße Mäuse sehe, als würde ich den Verstand verlieren. Mit jedem Tag rücken wir alle ein Stückchen weiter von uns ab und haben uns selbst auch ein bisschen mehr satt. Meinst du nicht auch, dass ich nach Madrid ziehen sollte?«

Es regnet zum Gotterbarmen auf die sündigen Menschen herab, und die Erde färbt sich in der matten, weichen Farbe des Himmels, den noch kein Vogelflug zerteilt, noch nicht. Da ich weder Geige noch Ziehharmonika spielen und auch nicht den Schlüssel zu dem Schrank finden kann, in dem ich meine Briefmarkensammlung aufbewahre, verbringe ich die Nachmittage mit Benicia im Bett, lese Gedichte von Juan Larrea oder höre Tangos. Benicia war vor kurzem in Orense und hat mir eine Kaffeemaschine mitgebracht. Sie ist sehr praktisch und macht jeweils zwei Tassen Kaffee, eine für mich und eine für Benicia.

»Willst du mehr Kaffee?«

»Gern.«

Benicia hat eine gesunde, fröhliche Art zu sündigen, ihre Brustwarzen sind groß und dunkel und hart und süß. Benicia hat blaue Augen, ist im Bett tonangebend und frech und vögelt mit viel Raffinesse und Rücksichtslosigkeit. Benicia kann weder lesen noch schreiben, aber sie lacht immer sehr selbstsicher.

»Willst du einen Tango mit mir tanzen?«

»Nein, mir ist kalt. Komm her.«

Benicia ist immer warm, auch wenn es kalt ist; Benicia ist eine Lust und Wärme spendende Maschine, und ich freue mich, dass ich nicht Geige oder Ziehharmonika spielen kann.

»Gib mir einen Kuss.«

»Ja.«

»Gieß mir einen Schnaps ein.«

»Ja.«

»Brat mir einen Chorizo.«

»Ja.«

Benicia ist wie ein folgsames Ferkel, nie sagt sie zu etwas nein.

»Bleib heute nacht bei mir.«

»Ich kann nicht, Furelo Gamuzo kommt mich besuchen, der Pfarrer von San Adrían, das heißt, jetzt ist er ja Pfarrer von Santa María de Carballeda. Er kommt jeden ersten Dienstag im Monat.«

»Na so was!«