Janko Ferk

Der Kaiser
schickt
Soldaten
aus

Ein Sarajevo-Roman

ISBN 9783990402528

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Lektorat: Prof. Rainer Lendl

Buch- und Covergestaltung: Bruno Wegscheider

Coverbild: IMAGNO/​Austrian Archives

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Zitate

28. Juni 1389

18. Dezember 1863

1. März 1868

25. Juli 1894

30. Jänner 1889

28. Juni 1889

15. Juli 1892

28. Juni 1893

16. Oktober 1898

20. Juni 1899

1. Jänner 1900

8. April 1900

23. Juni 1900

28. Juni 1900

1. Juli 1900

5. Oktober 1908

8. Oktober 1908

17. Februar 1910

30. Mai 1910

17. Juni 1910

18. August 1910

9. Mai 1911

10. Mai 1911

1. Juli 1911

3. September 1911

29. Jänner 1912

8. Juni 1912

31. Jänner 1913

1. Mai 1913

16. Juli 1913

18. November 1913

1. Dezember 1913

23. Dezember 1913

1. Februar 1914

17. Februar 1914

22. März 1914

31. März 1914

2. Mai 1914

24. Mai 1914

25. Mai 1914

27. Mai 1914

28. Mai 1914

4. Juni 1914

5. Juni 1914

6. Juni 1914

14. Juni 1914

15. Juni 1914

17. Juni 1914

21. Juni 1914

23. Juni 1914

24. Juni 1914

26. Juni 1914

28. Juni 1914

28. Juni 1914

28. Juni 1914

29. Juni 1914

4. Juli 1914

8. Juli 1914

11. Juli 1914

19. Juli 1914

23. juli 1914

24. Juli 1914

28. Juli 1914

12. Oktober 1914

28. Oktober 1914

2. Februar 1915

29. April 1918

Nachwort

Weitere Bücher

Die Rechtschreibung der Originalzitate wurde –
für die leichtere Lesbarkeit – der geltenden angepasst.

Der Anführer eines großen Heeres kann besiegt werden.
Aber den festen Entschluss eines einzigen kannst du nicht wankend machen.

Konfuzius

Ich glaube und bekenne, dass ein Volk nichts höher zu achten hat als die Würde und Freiheit des Daseins.

Carl Philipp von Clausewitz

2. August. Deutschland hat Russland den Krieg erklärt.
– Nachmittag Schwimmschule.

Franz Kafka, Tagebücher 1914

28. JUNI 1389

Jedem Serben ist der Sankt-Veits-Tag, der Vidov dan, heiliger als alles andere.

Serbiens Freiheit ging an diesem Tag im Jahr dreizehnhundertneunundachtzig verloren.

Am Sankt-Veits-Tag fand die Schlacht auf dem Amselfeld, dem Kosovo polje, statt. Das serbische und bosnische Heer standen dem osmanischen gegenüber.

Bis zum achtundzwanzigsten Juni dreizehnhundertneunundachtzig erstreckte sich Serbien über den größten Teil der westlichen Hälfte der Balkanhalbinsel. An diesem Tag wurde es zerstört. Fürst Lazars Armee wurde von den Osmanen aufgerieben. Beide Heerführer kamen ums Leben.

Sultan Murad der Erste wurde in seinem Zelt ermordet.

Fürst Lazar fiel.

Danach war Serbien mehr als vierhundert Jahre ein Paschalik, das Amtsgebiet eines Paschas, beziehungsweise eine osmanische Provinz, sowie das größte Schlachtfeld in den Kriegen zwischen den Habsburgern und Türken.

Die Schlacht am Amselfeld im Jahr dreizehnhundertneunundachtzig wurde zum Mythos. Sie ist serbische Geschichte. Nationalgeschichte. Und für die Serben ein Symbol der Aufopferung für die christlichen Werte sowie den Kampf gegen die osmanische Fremdherrschaft.

Die Beleidigung und Nichtachtung des Sankt-Veits-Tags beziehungsweise der Serben zu diesem Termin kann die schlimmsten Folgen zeitigen. Auch tödliche.

18. DEZEMBER 1863

In Graz wurde am achtzehnten Dezember achtzehnhundertdreiundsechzig ein Schütze geboren, der in seinem Leben hunderttausenden Tieren den Tod bringen sollte.

Unter dem Strich soll er es bei seinen beinahe krankhaft zu nennenden Massenschlächtereien auf zweihundertvierundsiebzigtausendachthundertneunundachtzig Stück Wild gebracht haben. Mit dem Tod hat er sich ausgekannt. So viel Leben nehmen, welche Anmaßung. So viele Leben.

Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria war der Sohn des Erzherzogs Karl Ludwig von Österreich, einer der drei Brüder Kaiser Franz Josephs, und der Prinzessin Maria Annunziata von Neapel-Sizilien. Mit acht Jahren verlor er seine Mutter. Als Franz Ferdinand neun Jahre alt war, heiratete sein Vater Maria Theresa von Portugal, zu der der Stiefsohn ein sehr enges Verhältnis entwickelte. Maria Theresa stand beharrlich zu ihm und unterstützte den jungen Erzherzog bei seinen Heiratsplänen, die von allen Habsburgern und ihrem ausgeprägten Standesdünkel entschieden abgelehnt wurden.

Eng befreundet war er mit seinem Cousin Kronprinz Rudolf, den er nach dessen Selbstmord in Mayerling im Jahr achtzehnhundertneunundachtzig als Thronfolger, aber nicht als Kronprinz, beerbte.

Der kinderlose Erzherzog Franz der Fünfte von Österreich-Este adoptierte Franz Ferdinand später unter zwei Bedingungen. Der Erbe sollte seinem Namen den Namensteil „Este“ hinzufügen und innerhalb eines Jahres Italienisch lernen. Zu beidem verpflichtete er sich zwar, hieß auch Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria von Österreich-Este, Italienisch beherrschte er jedoch nie wirklich. Sprachbegabung war nicht – wie Schießen und Töten – seine Stärke. Dabei wollte er, um den Ungarn, die ihn nicht leiden konnten, seine Liebe zu beweisen, Ungarisch können. „Ich muss endlich diese verflixte Sprache lernen, was mir furchtbar schwer fällt.“

Seine ausgedehnten Besitzungen in Oberitalien hat Franz Ferdinand von Österreich-Este nicht ein einziges Mal besucht.

In der Haupt- und Residenzstadt war er nicht besonders gern gesehen. Er wurde abfällig beurteilt und seine zahllosen Feinde behaupteten, er sei in seinen wechselnden Launen unberechenbar. Er konnte, wie am Hof bekannt war, ausfällig werden und einen richtigen Wutanfall bekommen, der so heftig war, dass Anwesende glaubten, er werde daran ersticken. Es entstanden sogar Gerüchte, der Erzherzog sei geisteskrank, was Kaiser Franz Joseph einmal auf recht fragwürdige Weise überprüfen ließ.

1. MÄRZ 1868

In Stuttgart wurde am ersten März achtzehnhundertachtundsechzig Sophie Maria Josephine Albina Gräfin Chotek von Chotkowa und Wognin geboren.

Eine Angehörige des Uradels, deren Familie zu den ältesten in Böhmen gehörte und die ihren Stammbaum bis in das zwölfte Jahrhundert zurückverfolgen konnte. Freilich konnte niemand ahnen, dass Sophie später Fürstin und dann Herzogin werden sollte. Sophies Eltern waren der böhmische Diplomat Bohuslaw Graf Chotek von Chotkow und Wognin und seine Ehefrau Wilhelmine, eine geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau. Das Ehepaar hatte einen Sohn und sieben Töchter. Die fünftgeborene Sophie erhielt, wie alle ihre Geschwister, von Hauslehrern eine exzellente Erziehung.

Ihren künftigen Ehemann lernte sie auf einem Ball in Prag kennen, wo sich Franz Ferdinand und Sophie ineinander verliebten. Die Beziehung wurde jahrelang geheim gehalten. Schließlich erlangte Franz Ferdinand vom Kaiser die Einwilligung zu dieser – im Sinn der Habsburgischen Hausgesetze – nicht standesgemäßen Ehe.

25. JULI 1894

Am fünfundzwanzigsten Juli achtzehnhundertvierundneunzig wird in Obljaj bei Bosansko Grahovo in Bosnien Gavrilo Princip geboren.

Gavrilo Princip, der seinen Vornamen nach dem Erzengel Gabriel erhielt, war eines von neun Kindern des Postbediensteten und Nebenerwerbskeuschlers Petar Princip und seiner Ehefrau Nana. Sechs seiner Geschwister starben bereits im Kindesalter. Die Familie bewohnte ein steinaltes Haus ohne Fenster. Das einzige Licht kam durch ein Loch im Dach, durch das auch der Rauch seinen Weg vom offenen Feuer ins Freie fand.

Er besaß die im Jahr neunzehnhundertzehn definierte bosnisch-herzegowinische Landeszugehörigkeit, und zwar aufgrund der „Allerhöchsten Entschließung vom siebzehnten Februar neunzehnhundertzehn betreffend die Einführung von verfassungsmäßigen Einrichtungen“, die im Gesetz- und Verordnungsblatt für Bosnien und die Herzegowina mit der Nummer neunzehn aus dem Jahr neunzehnhundertzehn geregelt wurde.

Gavrilo Princip wurde erst mit neun Jahren in die drei Kilometer von seinem Elternhaus entfernte Schule geschickt, wo er den Unterrichtsstoff angeblich „wie ein Schwamm aufsaugte“. Beim Bücherlesen sei er unersättlich gewesen. Später besuchte er die Handelsschule in Tuzla und anschließend das Gymnasium in Sarajevo. Er wurde Mitglied der nationalen Schüler- und Studentenbewegung „Mlada Bosna“, auf Deutsch „Junges Bosnien“, die für die Unabhängigkeit Bosniens kämpfte.

Im Mai neunzehnhundertzwölf verließ er Bosnien, um in Belgrad seine Ausbildung fortzusetzen. Gavrilo Princip musste in der serbischen Hauptstadt arbeiten, um sich seine Ausbildung zu finanzieren. Er wurde Hilfsarbeiter und pflasterte Straßen. Während seiner Belgrader Zeit war der nationale Aufschwung des Serbischen spürbar, was den jungen Bosnier begeisterte.

Im Oktober neunzehnhundertzwölf reiste er mit einem Freund nach Prokuplje, um sich als Freiwilliger bei den Tschetniks, den Freischärlermilizen, zu melden. Der Kommandant der in Prokuplje ansässigen Tschetnik-Truppen war Major Vojin Tankosić, ein Mitglied der serbischen Geheimorganisation „Schwarze Hand“, auf Serbisch „Crna ruka“. Der Kommandant lehnte Princip für den Dienst bei den Tschetniks ab. Der Zurückgewiesene reiste schwer beleidigt ab.

In der Folge schloss er am einundzwanzigsten August neunzehnhundertdreizehn die sechste Klasse des Gymnasiums mit ausgezeichnetem Erfolg ab.

Damals ahnte niemand, dass Gavrilo Princip gleichsam zum Synonym für „Attentäter“ werden würde.

Keiner hätte gedacht, dass im später geteilten Bosnien einst in sechs Orten des serbischen Landesteils Straßen nach ihm benannt würden. Ulica Gavrila Principa.

30. JÄNNER 1889

Das Schloss Mayerling befand sich seit dem Jahr fünfzehnhundertfünfzig im Besitz des Stifts Heiligenkreuz und wurde achtzehnhundertsechsundachtzig von Kronprinz Rudolf, dem einzigen Sohn Kaiser Franz Josephs und seiner Ehefrau Kaiserin Elisabeth, erworben und zu einem Jagdschloss umgebaut.

In der Nacht zum dreißigsten Jänner achtzehnhundertneunundachtzig starben hier gemeinsam der Thronfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie sowie seine siebzehnjährige Geliebte Mary Freiin von Vetsera.

Rudolf tötete zunächst Mary und schließlich sich selbst mit einem Kopfschuss. Die österreichisch-ungarische Monarchie und Kaiser Franz Joseph standen ohne Thronfolger da. Doch der Erzherzöge gab es genug. Die starben nicht wegen eines Kopfschusses aus. Die wuchsen nach. Die waren nicht umzubringen.

Franz Joseph ließ das Jagdschloss noch im Jahr der Tat umbauen. Rudolfs Schlafzimmer wurde abgerissen und an dessen Stelle dem Gebäude eine Kirche angefügt. Der Altar befindet sich genau an jener Stelle, an der Rudolfs Bett stand. Das Schloss wurde sozusagen in „antijosephinischer Tradition“ in ein Kloster umgewandelt und dem Orden der Karmelitinnen übergeben, die für das Seelenheil des Kaisersohns beten sollten.

Rudolfs ausdrücklicher Wunsch war es, dass er gemeinsam mit Mary auf dem Friedhof im benachbarten Stift Heiligenkreuz bestattet werde. Naturgemäß hat sich das Kaiserhaus dem letzten Willen widersetzt, wie es sich auch anderen Wünschen kaum aufgeschlossen gezeigt hat. Rudolf wurde in der Kapuzinergruft beigesetzt, neben ihm fanden später auch seine Eltern Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth ihre letzte Ruhe. Mary wurde in Heiligenkreuz beerdigt.

Franz Joseph der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, Apostolischer König von Ungarn und Böhmen, von Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien; König von Jerusalem et cetera; Erzherzog von Österreich; Großherzog von Toskana und Krakau; Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steyer, Kärnten, Krain und der Bukowina; Großfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren; Herzog von Ober- und Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Guastalla, von Auschwitz und Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara; Gefürsteter Graf von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Görz und Gradisca; Fürst von Trient und Brixen; Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien; Graf von Hohenems, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg et cetera; Herr von Triest, von Cattaro und auf der Windischen Mark; Großwojwode der Wojwodschaft Serbien et cetera et cetera, war nun, wie gesagt, ohne einen Nachfolger am Thron. Die Monarchie brauchte aber einen und es war Franz Ferdinand, der nach seinem Vater Karl Ludwig, der als zweitältester Bruder des Kaisers bis zu seinem Tod im Jahr achtzehnhundertsechsundneunzig offizieller Thronfolger war, von Gott und den Hausgesetzen dafür vorgesehen war.

Dessen ungeachtet brauchte der Kaiser lang, bis er bereit war, Franz Ferdinand offiziell zum Thronfolger zu ernennen, weshalb dieser schon einmal fast verzweifelt die eine oder andere Bemerkung von sich geben konnte. „Ich werde nie offiziell erfahren, ob ich der Thronfolger bin oder nicht. Es ist geradeso, als ob ich schuld wäre an der Dummheit von Mayerling.“

An Franz Josephs Diktum, solange er lebe, regiere er und niemand anderer, wird es nicht gelegen haben, sondern schlicht und einfach daran, dass er sich für seinen Neffen zeitlebens nicht erwärmen konnte.

Franz Ferdinand war, und das war das Wichtigste, Habsburger, Katholik sowie Offizier, und als Este-Universalerbe, auch ohne genügende Italienischkenntnisse, ein sehr reicher junger Mann. Er hatte umfangreichen Grundbesitz und viel Geld geerbt. Es war ihm möglich, im Jahr achtzehnhundertsiebenundachtzig das große Schloss Konopischt mit Grundbesitz rund fünfzig Kilometer südlich von Prag zu kaufen und auch ein Barockhaus in Chlumetz. Beide ließ er großartig aus- und umbauen, womit sich Franz Ferdinand zum Luxus-Erzherzog entwickelte.

28. JUNI 1889

Der Sankt-Veits-Tag wird nach dem Julianischen Kalender am fünfzehnten und nach dem Gregorianischen am achtundzwanzigsten Juni gefeiert.

Noch fünfhundert Jahre nach der großen Schlacht, und auch später, war den Serben zum Feiern zumute. Sie sind eines der wenigen europäischen Völker, die nicht ihren ruhmvollen Sieg, sondern ihre glorreiche Niederlage bejubeln. Und wie.

Zum ersten Mal wurde der junge serbische Staat mit seiner stolzen Nation am achtundzwanzigsten Juni achtzehnhundertneunundachtzig inszeniert und zelebriert. Drei Jahre später wurde der Tag in den Feiertagskalender der serbisch-orthodoxen Kirche aufgenommen.

Der achtundzwanzigste Juni wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder benützt. Fünfhundertfünfundzwanzig Jahre später, zum Beispiel, wollte der „Österreicher“ in Sarajevo einziehen. Wollte symbolisch die Unterwerfung Bosniens und der Herzegowina verherrlichen. Wollte.

Der Wiener Hof, der morganatisch verheiratete Erzherzog und sein Statthalter in Bosnien hatten nicht begriffen, wie sensibel, geradezu empfindlich, und stolz, Südslawen sein können. Wahrscheinlich wollten sie es nicht einmal verstehen. Es war nicht der Mühe wert. Was scherten die paar aufmüpfigen Serben die erhabenen Österreicher 

15. JULI 1892

Franz Ferdinand begann sich im Lauf des Sommers krank zu fühlen, was sich dadurch äußerte, dass er leicht ermüdete, ohne richtigen Appetit und antriebslos war, abnahm und immer wieder Fieber hatte.

Die Untersuchungen ergaben eine unumstößliche Diagnose, Franz Ferdinand hatte Tuberkulose. Die Ärzte rieten ihm zu verschiedenen Kuren. Er brauche völlige Ruhe, vorzugsweise in einem milden Klima.

Seine Reisen auf der Suche nach Gesundheit führten ihn in verschiedene Länder, von Ägypten über die schöne Insel Mali Lošinj bis nach Südtirol. Er sah auf einer Reise um die Erde auch die weite Welt. Australien, Indien, Indonesien, Japan, Kanada und Nordamerika. Nicht selten äußerte er sich über die autochthone Bevölkerung der Länder, die er besuchte, in einer herabwürdigenden und eines Aristokraten unwürdigen Weise.

Erst nach Jahren, im März achtzehnhundertachtundneunzig, wurde Franz Ferdinand endlich als von der Tuberkulose genesen erklärt. Einen Kampf, er hatte mehrere auszufechten, hatte er gewonnen, nämlich den um seine Gesundheit, doch hatte die langwierige und eher schwere Erkrankung bleibende körperliche Behinderungen hinterlassen. Franz Ferdinand musste raues Klima meiden, sollte sich nicht über längere Zeit in Städten aufhalten und vor allem seinen Körper nicht über Gebühr anstrengen. Außerdem litt er zeitweise an Asthma.

Die Krankheit hatte noch andere Folgen hinterlassen. Franz Ferdinand wurde durch sie gleichsam geschärft, gehärtet und fast verbittert. Nach seiner Genesung war er fest entschlossen, seinen Widersachern, und von denen hatte er am Wiener Hof, das heißt, rund um Franz Joseph, genug, nicht klein beizugeben. Er wollte sich behaupten. Er wollte seiner Rolle, immerhin war er der Thronfolger, gerecht werden.

Für diesen besonderen Gerechtigkeitssinn hatte jedoch einer nichts übrig und der war gerade Kaiser. Er wollte Franz Ferdinand nicht in seiner Nähe haben, suchte nicht seine Unterstützung und überlegte, wohin er ihn abschieben könnte. Schließlich entschied er, für Franz Ferdinand eine halbwegs entsprechende militärische Position zu finden. Und so wurde der Thronfolger am neunundzwanzigsten März achtzehnhundertachtundneunzig Generalinspekteur der Armee, der Soldaten des Kaisers.

In einem Begleitschreiben des Chefs der Militärkanzlei Arthur Heinrich Freiherr von Bolfras waren die Befugnisse und Tätigkeiten aufgelistet. Franz Ferdinand durfte Memoranden zu vorgegebenen Themen verfassen, Vorschläge zur Verbesserung der Schlagfähigkeit der bewaffneten Macht machen und bei wichtigen Manövern ein Armeekorps befehligen. Zur Unterstützung wurde ihm ein militärischer Stab zugeteilt, der aus einem Generalstabsoffizier als seinem Adjutanten und einem Hauptmann als seinem Ordonnanzoffizier bestand.

In oder zur Anerkennung dieser neuen Stellung des Thronfolgers überließ der Kaiser ihm Schloss Belvedere als dessen offiziellen Wohnsitz in der Haupt- und Residenzstadt.

Letztlich besiegelte diese Stellung sein Schicksal. Und das seiner Ehefrau Sophie.

28. JUNI 1893

Franz Ferdinand befand sich Ende Juni achtzehnhundertdreiundneunzig seit mehr als einem halben Jahr mit großer adeliger und nichtadeliger Gefolgschaft auf seiner „Reise um die Erde“, während die Serben und ihre Kirche zum zweiten Mal hochoffiziell ihren größten Feiertag begingen.

Der Erzherzog verschwendete naturgemäß keinen Gedanken daran, sondern notierte in seinem Tagebuch, dass im Regierungsgebäude von Amboina auf Papua ein Diner stattfinden werde, vor dem er sich auf einen Spaziergang begebe, während die Damen hierzu ihre Toilette, wie es hieß, machten.

Ehrgeizig, misstrauisch und stets zu Geringschätzung sowie Spott aufgelegt, führte er sein Reisebuch. Jeder erlegte Elefant und jedes abgeknallte Stinktier wurden darin genauestens vermerkt. Eine einzige Buchhaltung des Todes war es schließlich, als er am achtzehnten Oktober achtzehnhundertdreiundneunzig nach Wien zurückkehrte.

Die meisten Völker fanden vor seinen Augen wenig Gnade, an die Serben, wie bereits vermerkt, dachte er wohl nicht. Insgesamt könnte man in seinem Sinn und seinem oft unfreiwilligen Humor sagen, er habe die Welt gesehen, es gehe aber nichts über Österreich.

Wie auch immer, in seinem Tagebucheintrag vom achtundzwanzigsten Juni achtzehnhundertdreiundneunzig schrieb Franz Ferdinand über ein Abendessen. „Erst in später Stunde endete das Diner, worauf wir und der Resident uns auf dem Regierungsdampfer ‚Arrant‘ einschifften, um die Nacht hindurch nach der Insel Buru zu fahren, wo wir zwei Tage zu bleiben gedachten.“

16. OKTOBER 1898

Franz Ferdinand, der nach langem Leiden von seiner schweren Krankheit genesen war, während der er, wie ihm eindringlich geraten wurde, einige Kuraufenthalte in milderem Klima absolviert hatte, dachte natürlich über die Gründung einer Familie nach.

Nicht allein dynastische Überlegungen werden ihn dazu bewogen haben. Ein ganzer Mann muss tun, was ein ordentliches Mannsbild tun muss 

Seine Sorgen vertraute er einem seiner Ärzte, Doktor Victor Eisenmenger, der ihm sehr geholfen und ihn geheilt hatte, an. „Wenn unsereiner“, sagte er seinem Heiler und Helfer, „jemanden gerne hat, findet sich immer im Stammbaum irgend eine Kleinigkeit, die die Ehe verbietet, und so kommt es, dass bei uns immer Mann und Frau zwanzig Mal miteinander verwandt sind. Das Resultat ist, dass von den Kindern die Hälfte Trottel oder Epileptiker sind.“

Franz Ferdinand, der sonst nicht gerade wegen seiner Sensibilität oder gar Zärtlichkeitsanwandlungen auffiel, wünschte sich, wie er es seinem Lehrer Max Wladimir Freiherr von Beck – seinem „in allem guten Geist“ – anvertraute, nichts mehr, als „eine geliebte Frau nach seiner eigenen Wahl“. „Eine glückliche Lebensgefährtin zu besitzen“, sagte er, „muss wohl sehr schön sein.“ Wollte ein Familienmitglied heiraten, musste es die Zustimmung des Kaisers beziehungsweise des Oberhaupts der Familie Habsburg-Lothringen, was Franz Joseph in Personalunion war, einholen. Die Autorität des Kaisers, was jedes Familienmitglied, sei es noch so ein Trottel oder Epileptiker, bald verstand, war eine absolute. Und das Statut bestimmte, dass Ehefrauen der Erzherzöge „ebenbürtig“ zu sein hatten.

Ebenbürtig. Das hieß, ein Habsburger konnte nur ein Mädchen zur Frau nehmen, dessen Vater einem regierenden oder ehemals herrschenden Haus angehörte. Mitglieder des Hochadels durften bei Hof erscheinen, wenn sie sechzehn hochadelige Ahnen vorzuweisen hatten. Waren es nur fünfzehn, geschweige denn vierzehn oder noch weniger, hatten sie in dieser Gesellschaft nichts verloren.

Als sich Franz Ferdinand mit Heiratsgedanken trug, war er bereits ein hoch aufgeschossener und schlaksiger Mann. Das braune Haar scheitelte er in der Mitte und er trug einen Schnurrbart. Insgesamt war Franz Ferdinand ein schwächlicher junger Mann, den damals bestimmt niemand als hübsch bezeichnet hätte. Ein Merkmal, ein einziges, war dessen ungeachtet ein besonderes, und zwar seine leuchtenden stahlblauen Augen. Wenigstens etwas, könnte man meinen.

Der unerbittliche Franz Joseph fand ihn überhaupt linkisch, reizlos und nicht sonderlich intelligent. Eine Neigung empfand er für ihn nicht und wünschte auch dann nicht mehr Kontakt zu ihm als notwendig, als er schon sein Thronfolger war.

Eine langjährige Freundin Franz Ferdinands, die ihm zuredete, er solle doch endlich heiraten, war – die vermählte – Nora Fugger Gräfin von Babenhausen, der gegenüber er in einem Brief am sechzehnten Oktober achtzehnhundertachtundneunzig sein Innerstes nach außen kehrte. Ein Vorgang, der in seinem Leben – anderen als seiner späteren Ehefrau gegenüber – ziemlich selten vorkam.

„Ich sehne mich ja selbst schon nach Ruhe, nach einem gemütlichen Heim, nach einer Familie“, hielt er in seiner erzherzoglichen Epistel fest. „Aber nun stelle ich an Sie die große Frage: Wen soll ich den heiraten? Es ist ja niemand da. Gräfin sagen, ich sollte mir eine liebe, gescheite, schöne und gute Frau nehmen. Ja, sagen Sie mir: Wo läuft denn so etwas herum? Es ist ja ein Unglück“, setzte er fort „dass es gar keine Auswahl unter den heiratsfähigen Prinzessinnen gibt; lauter Kinder, lauter siebzehn- oder achtzehnjährige Piperln, eine schiecher als die andere. Und erst die Erziehung meiner Frau zu besorgen, dazu bin ich zu alt, dazu habe ich weder Zeit noch Lust.“