»GEHEIMAUFTRAG VENUS 3«

 

VENUS 3 ritt auf einem Feuerstrahl ins Weltall hinaus. Beim Sekunden zurückliegenden Austritt aus der Erdatmosphäre hatte Nick vom Antigravitator auf R3-Antrieb umgeschaltet. Schnurrend wie ein Kätzchen begab sich das Raketenschiff auf den vorberechneten Kurs. Rein äußerlich glich es den Vorgängermodellen, mit denen Nick die ersten interplanetaren Raumflüge unternommen hatte, zur Venus und zum Mars, doch VENUS 3 war technisch auf dem neuesten Stand. Bei diesem Flug sollte sogar eine brandneue Erfindung getestet werden. Der Schiffsname verriet, wohin die Mission ging. Nick kehrte zurück an den Anfang seiner Raumfahrerlaufbahn, auf den zweiten Planeten des Sonnensystems.

»Ich bin immer noch skeptisch, Mister Crowley«, sagte Nick zu dem Ingenieur, der die Pilotenzentrale mit ihm und dem Botaniker Tom Brucks teilte.

»Das ist Ihr gutes Recht, Nick«, antwortete Crowley, ein bulliger Mittvierziger mit kurzem braunen Haar, mit demonstrativer Gelassenheit. »Sie werden Ihre Meinung bald ändern. Die Besatzung von Venus 7 bemerkt uns erst kurz vor dem Aufsetzen.«

»Die Abwehrsysteme auf der Venus sind auf dem neuesten Stand, aber ich lasse mich gern überraschen.«

VENUS 3 war mit einem neuen Ortungsabwehrsystem bestückt, mit einer Antiortungseinrichtung, die die Annäherung an ein anderes Raumschiff oder an eine Station verschleiern sollte.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen diese Überraschung zu bereiten.« Der Ingenieur strotzte vor Selbstvertrauen. »Warten Sie nur ab, meine Herren, Sie werden staunen.«

Nick stand dem neuen Ortungsschutz zwiespältig gegenüber. »Wenn die Erfindung Ihres Forschungsteams wirklich funktioniert, stellt sie eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.«

»Ganz meine Meinung.« Zum ersten Mal seit dem Start meldete sich Tom zu Wort. »Nicht auszudenken, wenn die Erfindung in falsche Hände gerät.«

Crowley lachte trocken. »Dann wäre VENUS 3 das ideale Piratenschiff.«

»Das Schiff taucht auf wie ein Geist, die Piraten nutzen den Überraschungseffekt, machen Beute und verschwinden wieder im Weltraum«, malte der Botaniker das Bild, das ihm durch den Kopf ging. »Ganz wohl ist einem bei einer solchen Vorstellung nicht.«

Der Ingenieur kicherte meckernd. Ihm schien die Vorstellung Vergnügen zu bereiten. »Und vergessen Sie nicht die Geräte, die wir zur Venusstation bringen sollen.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter, dorthin wo der Laderaum lag. »Die neuesten und besten Fördergeräte für Diamantgestein. Kein Tresor wäre vor ihnen sicher.«

»Richtig, Mister Crowley. Nur gut, dass kein Unbefugter von unserem Testflug weiß.« Nick beschleunigte, als VENUS 3 die Mondbahn passierte, und die Rakete schoss hinaus in den interplanetaren Raum zwischen den Welten.

 

*

Nur wenige Stunden später tauchte in Flugrichtung die volle Scheibe der Venus auf. Ein Wust von Erinnerungen fiel über Nick her.

»Erinnerst du dich an die Venusianer, Tom? An die phantastische Unterwasserstadt Koralia?«

»Oh ja.« Der Botaniker schnaubte. »Aber nicht nur an die. Ich erinnere mich auch an das Treibhausklima, an die drückend-schwüle Luft, die man kaum atmen kann, und an die Flora und Fauna, die nichts anderes im Sinn hat, als einen auf vielfältige Weise umzubringen.«

Verwundert drehte sich Nick zu seinem Freund um. »Das klingt alles andere als begeistert. Trotzdem hast du dich freiwillig zu dieser Mission gemeldet?«

»Weil ich mein Wissen über die Flora der Venus erweitern will. Auf dem Gebiet gelte ich in Fachkreisen bereits als Koryphäe. Um diesen Ruf zu festigen, bin ich bereit, ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.«

Nick lachte, während die Venus vor ihnen größer wurde. Die dichte Atmosphäre verhinderte einen direkten Blick auf die Oberfläche. Daran änderte sich auch nichts, als die Rakete in die Atmosphäre eintrat.

»Keine Reaktion von der Station«, sagte Nick. »Jedes andere Schiff wäre längst angepeilt und angefunkt worden.«

»Es funktioniert«, jubelte Crowley. »Es funktioniert tatsächlich.«

Nick war beeindruckt. Seine Zweifel schwanden. Der Erfolg überzeugte ihn, auch wenn seine Vorbehalte bestehen blieben. Sie befanden sich nun im direkten Landeanflug auf Venus 7 und blieben unentdeckt.

»Ich lande«, kündigte er an.

»Nein!« Crowley hielt ein Speichermedium in der Hand. »Ziehen Sie die Rakete hoch. Wir überfliegen die Station, ohne uns zu melden. Hier sind die Koordinaten für unseren neuen Landeplatz.«

»Wie bitte?«

»Sie haben mich schon richtig verstanden.« Auf einmal hielt der Ingenieur eine Strahlenpistole in der Hand. »Tun Sie, was ich sage.«

»Sind Sie übergeschnappt?«, protestierte Nick.

»Keineswegs. Ich weiß genau, was ich mache. Ihnen empfehle ich, keine Tricks zu versuchen. Das gilt auch für Sie, Tom. Ich will nicht auf Sie schießen, aber ich werde, wenn Sie mich dazu zwingen.«

Nick zwang sich zur Ruhe. »Ich begreife zwar nicht, was plötzlich in Sie gefahren ist, aber eins weiß ich ganz genau. Wenn Sie schießen, begehen Sie damit Selbstmord, denn Sie können das Schiff nicht fliegen.«

»Richtig, aber Sie sind auch kein Selbstmörder«, konterte Crowley. »Und Sie lassen nicht zu, dass Ihr Freund Tom wegen Ihrer Halsstarrigkeit stirbt. Sie verstehen das nicht, aber ich muss diese einmalige Chance nutzen. Alles ist von langer Hand vorbereitet. Also machen Sie keine Sperenzien. Landen Sie einfach an der bezeichneten Stelle, und Sie und Tom kommen mit dem Leben davon.«

»Wer garantiert uns das?«, mischte sich Tom ein.

»Ich. Sie haben mein Wort darauf, Sie alle beide.«

»In Ordnung.« Nick steuerte die gespeicherten Koordinaten an. Sie lagen weit entfernt von Venus 7 und jeder anderen Station. »Ich begreife aber nicht, was Sie sich dabei denken. Sie sind ein angesehener Mann. Sie haben Rang und Namen in Ihren Kreisen.«

Crowley winkte ab. »Leider entspricht mein Gehalt jedoch nicht meinem Lebensstandard. Außerdem habe ich andere Ambitionen, doch die brauchen Sie nicht zu interessieren. Los jetzt, landen Sie endlich!«

»Schon gut, ich füge mich.« Nick sah ein, dass ihm keine andere Wahl blieb, als zu gehorchen. Die Mündung des Strahlers zeigte auf Toms Kopf. Er schwenkte die Rakete herum und setzte zur Landung an.

Crowley nickte zufrieden. »Ihr Glück, dass Sie vernünftig sind. Glauben Sie mir, ich hätte geschossen. Ich wäre lieber tot, als auf den Reichtum zu verzichten, der mich erwartet. Außerdem verzichte ich gern darauf, im Gefängnis zu verrotten.«

Die Rakete senkte sich dem Venusboden entgegen. Sie setzte auf ihren Landestützen auf, und der Antrieb erstarb. Unebenes Gelände erstreckte sich in alle Richtungen. Dichte Vegetation wechselte sich mit kargem Felsgestein ab.

»Sie haben sich ein fast unerforschtes Gebiet ausgesucht«, stellte Nick fest. »Ich begreife den Sinn nicht ganz. Wie wollen Sie ohne unsere Hilfe wieder von hier wegkommen?«

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, schnauzte Crowley. »Sehen Sie, es geht doch. Eine Bilderbuchlandung. Und nun weg von den Instrumenten. Wir steigen aus. Das gilt auch für Sie, Tom. Sie wollen doch unbedingt unbekannte Pflanzen studieren. Eine bessere Gelegenheit als die, die ich Ihnen biete, bekommen Sie nie wieder.«

Mit vorgehaltener Waffe trieb der Ingenieur die Freunde zum Ausgang. Ein paar Minuten später standen die drei Männer auf der Planetenoberfläche. Tom sog die heiße Luft ein. Sie war genauso feucht und drückend, wie er sie in Erinnerung hatte.

 

*

Als sie am Fuß der Rakete standen, kam Nick sich klein und zerbrechlich vor. Wie ein gigantisches Monument wuchs das Raumschiff vor ihm auf. Er fragte sich, wie Crowley damit wegfliegen wollte. Ohne einen Piloten war er aufgeschmissen. Die Antwort erhielt Nick Sekunden später, als zwei Männer hinter dem Felsen hervortraten. Beide hielten Strahlenpistolen in der Hand. Den einen, einen schwarzhaarigen Burschen mit derbem Gesicht, erkannte Nick auf Anhieb wieder.

»Jetzt begreife ich. Jim Baxter.«

»Wer ist Jim Baxter?«, raunte Tom seinem Freund zu.

»Ein ehemaliger Pilot der Raumpatrouille. Unehrenhaft aus der Patrouille entlassen. Ich hielt ihn für tot.«

»Hallo, Nick.« Baxter grinste breit. »Nicht nur du. Alle halten mich für tot. Ein sehr praktischer Zustand. Aber wie du siehst, lebe ich. Ich war nur eine Weile untergetaucht. Darf ich euch meinen Freund Rory Duff vorstellen? Rory wird wegen mehrfachen Mordes gesucht. Reizt ihn also besser nicht.«

»So sieht also die neue Crew von VENUS 3 aus.«

»Das gefällt dir wohl nicht?« Die Tatsache schien Baxter zu freuen. »Aber wir sind ein perfektes Team. Crowley nahm Kontakt zur mir auf, als das Antiortungssystem erste Erfolge zeigte. Er hat die Erfindung, ich die Kontakte, um sie möglichst lukrativ an den Mann zu bringen. Du siehst, das Pendel schlägt wieder zu meinen Gunsten aus. Schade, dass ich das von dir nicht behaupten kann.«

»Mein Zeigefinger juckt«, knurrte Rory Duff. Ein Vollbart schmückte sein kantiges Gesicht, in dem die kalten Augen tief in den Höhlen lagen. »Soll ich die beiden verdampfen, damit wir Ruhe vor ihnen haben?«

»Nichts da«, lehnte Crowley ab. »Ich habe ihnen das Leben garantiert. Los, steigen wir ein. Macht es gut, Nick und Tom.«

»Sie wollen uns hier zurücklassen, mitten in der Wildnis?« Nick setzte den Männern nach, hielt aber gleich wieder inne, als Duff auf ihn anlegte. »Bis zur nächsten Station sind es gut fünftausend Kilometer.«

Crowley zeigte sich ungerührt. »Ich habe Ihnen nur versprochen, Sie am Leben zu lassen, und dieses Versprechen halte ich. Wie Sie hier draußen überleben, ist jedoch Ihr eigenes Problem. Ich sehe ein, dass Ihr Marsch zur nächsten Station etwas länger dauern wird. Schließlich will der gute Tom unterwegs noch ein paar Blümchen pflücken.«

»Dreckskerl«, zischte der Botaniker.

Ein urweltliches Grollen erreichte die Freunde. Zwischen den Felsen näherte sich eine grüngeschuppte Echse.

»Tom soll lieber aufpassen, dass nicht er es ist, der gepflückt wird!«, rief Crowley, als die drei Verbrecher ins Raumschiff stiegen.

Inzwischen richtete sich die Echse auf ihre Hinterbeine auf. Sie entpuppte sich als vier Meter großer Saurier mit einem schnabelartigen Maul, in dem dolchlange Zähne funkelten. Zwischen den Knopfaugen erwuchs ein Horn von der Länge und der Dicke eines Unterarms. Zunächst schwerfällig, setzte sich die Bestie in Bewegung, doch dann wurde sie immer schneller.

Tom atmete schwer in der feuchten Luft. »Wir sind verloren. Diesem Ungetüm entkommen wir nicht.«

»Abwarten. Schnell zwischen die Felsen!« Nick trieb seinen Freund vor sich her.

Mit Donnergetöse hob die Rakete vom Boden ab, einen feurigen Schweif hinter sich herziehend. Steine spritzten davon, und Erdreich glasierte. Der Saurier blieb stehen und duckte sich. Nach bangen Augenblicken drehte er sich um und rannte in die Richtung, aus der er gekommen war.

Nick atmete auf. »Die startende Rakete hat ihn erschreckt. Er kümmert sich nicht mehr um uns.«

»Gottseidank.« Tom wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er ließ sich keuchend zu Boden sinken. »Aber du weißt so gut wie ich, dass wir lediglich einen Aufschub errungen haben. Diese Wildnis wimmelt nur so von Ungeheuern, die uns als Mahlzeit verputzen wollen. Wir erreichen die Station niemals, auch ohne die Bestien nicht. Da oben fliegen sie, diese Verbrecher, und wir können nichts tun, um sie aufzuhalten.«

 

*

Während die Freunde noch der davonfliegenden Rakete hinterherschauten, stapfte ein weiterer Saurier durch mannshohe Grünpflanzen heran. Bis auf das fehlende Stirnhorn glich er dem anderen. Sein mit Stacheln bewehrter Schwanz peitschte das Gestrüpp, und sein Körpergewicht erschütterte den Boden. Der animalische Schrei, den die Bestie ausstieß, ließ Tom das Blut in den Adern gerinnen.

»Schon wieder so ein Untier.« Der Botaniker fuhr in die Höhe. »Wir müssen hier weg, bevor es uns erwischt.«

Der Saurier richtete sich zu voller Größe auf und zeigte seine furchterregenden Zahnreihen. Obwohl ihn nur noch wenige Meter von den Männern trennten, dachte Nick nicht an Flucht. Zu Toms Verwunderung ging er in die Hocke und zog etwas aus seinem Schuh.

Tom verstand die Welt nicht mehr. »Was machst du da? Komm endlich!«

Statt der Aufforderung Folge zu leisten, richtete Nick eine kaum daumengroße Sprühdose auf seinen Freund. Mit sanftem Fingerdruck gab er ein wenig von dem Inhalt frei.

»Das sollte genügen.«

»Pfui Teufel!« Tom hustete. »Womit hast du mich besprüht? Das riecht ja fürchterlich.«

Weitere Worte blieben ihm im Hals stecken, denn der Saurier war heran. Er hob eine Pranke mit Krallen wie Messern. In blinder Panik rannte der Botaniker davon. Nick hingegen hob den Kopf und schaute zu der aufgerichteten Bestie hinauf. Sie fauchte, griff ihn jedoch nicht an. Nach kurzem Zögern wendete sie sich ab und trottete davon. Zufrieden schob Nick das Spray in eine Tasche seines leichten Einsatzanzugs. Gerade als er dachte, die Gefahr sei fürs Erste gebannt, vernahm er einen Hilfeschrei seines Freundes.

Durch seine Flucht hatte der blonde Biologe sich von einer Bredouille in die nächste gebracht. Er hing in den Fangarmen einer riesigen fleischfressenden Pflanze, die ihn langsam zu sich heranzog. Tom wand sich und kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung, doch er kam nicht frei. Zwei Tentakel hatten sich um seinen Oberkörper gewunden, weitere hielten seine Beine gefangen. Nur seine Arme waren noch frei, doch da die Freunde bei dieser Mission keine Waffen mitgenommen hatten, nützte ihm das nicht viel.

»Ich komme!« Nick rannte los, nachdem er einen zweiten Ausrüstungsgegenstand aus seinem Schuh zutage befördert hatte.

»Beeil dich.« Tom schnappte nach Luft. »Die Tentakel ziehen mich ins Innere der Verdauungsblätter.«

Doch da hatte die Monsterpflanze die Rechnung ohne Nick gemacht. Er setzte einen Energiestrahl gegen die Pflanze ein, und gleich darauf zogen sich die Fangarme zurück. Unversehens frei, stürzte Tom ins hohe Gras, das seinen Aufprall dämpfte. Er rollte sich ab und kroch aus der Reichweite der zuckenden Tentakel. Nick packte ihn und half ihm auf die Beine.

 

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»Danke«, krächzte Tom, noch immer außer Atem. Er stierte die Pflanze an, die ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre. »Eine Art riesiger Venusfliegenfalle. Eine Dionaea muscipula aus der Familie der Sonnentaugewächse. Im Gegensatz zu ihren kleinen Verwandten auf der Erde ist sie mit Fangarmen ausgestattet. Ich sage es ja, Flora und Fauna der Venus setzen alles daran, uns unter die Erde zu bringen.«

»Trotzdem magst du nicht von deinen Forschungen ablassen«, sagte Nick augenzwinkernd.

»Ja … ja, schon richtig. Sag mal, wie ist es dir eigentlich gelungen, sie unschädlich zu machen? Sie war drauf und dran, mich zu verschlingen, und dann ließ sie plötzlich los.«

»Hiermit.« Nick hielt seinem Freund den Ministrahler entgegen.

»Wo hast du den denn her?«

»Aus meinem Schuh, genau wie die Sprühdose, mit der ich den Saurier vertrieben habe. Sie enthält ein Repellent, dessen Wirkstoff fleischfressende Tiere abschreckt. Allerdings nur Tiere, deshalb musste ich bei der Pflanze den Strahler verwenden.«

»Unfassbar.«

»Nein, wissenschaftliche Hilfsmittel.«

Tom winkte ab. »Das meine ich nicht. Es ist unfassbar, dass du Überlebensutensilien in deinem Schuh versteckst. Als ob du geahnt hättest, was uns erwartet. Wofür hältst du dich? Für einen Superagenten?«

Nick musste lachen. Die unmittelbare Bedrohung war abgewendet. Nun wurde es Zeit, sich um das Verbrechertrio zu kümmern. Tom wälzte ähnliche Überlegungen, wenn auch ohne Aussicht auf einen Erfolg.

»Alles schön und gut«, sagte der Botaniker. »Wir sitzen trotzdem hier fest, fünftausend Kilometer von der nächsten Station entfernt. Wenn wir doch nur Hilfe herbeirufen könnten.«

»Das können wir«, gab Nick trocken zurück.

»Ha, ha«, machte Tom lahm. »Das ist ein schlechter Moment für Scherze.«

»Ich scherze nicht.« Nick ging in die Hocke und nahm etwas aus seinem anderen Schuh. »Hier, ein Notsender. Aber nicht genug damit. Ein Druck auf diesen Knopf, und unsere Freunde in VENUS 3 erleben ihr blaues Wunder.«

Ungläubig betrachtete Tom das kleine Kästchen. »Ich verstehe das alles nicht. Hättest du vielleicht die Güte, mir zu erklären, was hier gespielt wird?«

»Gleich«, vertröstete Nick seinen Freund. »Doch zunächst brauchen wir schnelle Hilfe. Die Wirkung des Repellents hält nur kurzzeitig an. Wenn sie nachlässt, hält nichts mehr die hungrigen Mäuler davon ab, sich auf uns zu stürzen.«

Tatsächlich lauerten unweit mehrere Saurier, die auf ihre Chance warteten. Zudem kroch ein Reptil durchs Gebüsch, das aussah wie ein Kaiman, aber doppelt so lang war. Fauchen, Grunzen und Grollen verriet, dass sich im Unterholz noch mehr gieriges Getier zusammenrottete.

 

*

Die wenigen verstreichenden Minuten kamen Tom vor wie eine Ewigkeit. Er stieß einen Jubelschrei aus, als sich mit röhrendem Antrieb ein Aufklärer näherte. Die Flugmaschine zog eine enge Schleife, bremste ab und landete.

»Das ist unglaublich.«

Nick schüttelte den Kopf. »Keineswegs, wenn du die Hintergründe kennst.«

Die Freunde stiegen in den Aufklärer, in dem sie von zwei Raumsoldaten begrüßt wurden. Die Maschine startete gleich wieder. Der Pilot setzte Kurs auf Venus 7 und beschleunigte, um die Station möglichst schnell zu erreichen.

»Du schuldest mir noch eine Erklärung«, erinnerte Tom.

»Ganz recht, mein Lieber.« Nick begann, die Hintergründe des angeblichen Testflugs mit VENUS 3 zu schildern. »Wir verdächtigen Crowley schon lange, die Aufzeichnungen über neue Erfindungen zu veruntreuen, aber wir konnten ihm nie etwas beweisen. Allerdings fand der Geheimdienst heraus, dass er in völlig zerrütteten Verhältnissen lebt. Er steckt nämlich bis zum Hals in Spielschulden, sodass er sich gezwungen sah, horrende Geldsummen aufzubringen, und sei es durch kriminelle Machenschaften. Wir erhielten Hinweise darauf, dass er das Schiff mit dem Antiortungssystem entführen will. Deshalb bestückten wir VENUS 3 neben dem neuen System mit ein paar zusätzlichen Ködern.«

»Die Fördergeräte für Diamantgestein, von denen er sprach«, vermutete Tom.

»Richtig, mein Junge. Unser Geheimdienst erfuhr, dass sich Crowleys Komplizen auf der Venus verstecken. Um sie alle auf einen Schlag zu überführen, stellten wir ihnen diese Falle. Dass ein respektabler Ingenieur wie er sich allerdings mit einem Mörder wie Rory Duff zusammentun würde, hätte ich nicht erwartet. Wir haben alles bis ins Kleinste geplant, aber als dieser Duff mit seinem Energiestrahler auf uns zielte, wurde mir doch mulmig.«

»Obwohl du in alles eingeweiht warst. Du kannst dir also vorstellen, wie ich mich fühlte.«

»Ja, tut mir leid«, entschuldigte sich Nick. »Doch ich vertraute auf Crowleys Zusicherung, uns am Leben zu lassen.«

Tom lehnte sich im Sitz zurück. Endlich ergab alles einen Sinn. »Schade, dass der Plan gescheitert ist«, bedauerte er. »Unsere Rettung ist zwar geglückt, bevor wir als Mahlzeit der Bestien endeten, aber der Rest der Aktion ist in die Hose gegangen. Die Verbrecher sind mit VENUS 3 und der Erfindung auf und davon.«

»Du vergisst den Sender«, Nick hielt das kleine Kästchen in die Höhe, »und den Knopf, den ich gedrückt habe. Damit hat es nämlich eine ganz besondere Bewandtnis. Sieh mal da unten.«

Der Aufklärer hatte sein Ziel erreicht. Unter ihnen lag die Station Venus 7. Auf dem Areal erhoben sich Wohn- und Arbeitskuppeln in verschiedenen Größen. Wie Ameisen bewegten sich Menschen zwischen ihnen hin und her. Eine Schutzmauer umspannte das gesamte Gelände, das auch einen kleinen Raumhafen beinhaltete. An dessen Peripherie standen weitere Aufklärer und Bodenfahrzeuge. In der Mitte des Landefelds erhob sich ein stolzes Raketenschiff.

»VENUS 3!«, stieß Tom aus.

»Ja, sie ist es«, bestätigte Nick. »Mein Knopfdruck hat einen Autopiloten aktiviert, der nicht wieder auszuschalten war. Ich kann mir vorstellen, wie Crowley, Baxter und Duff getobt haben, als sie merkten, dass sie keine Kontrolle mehr über das entführte Schiff haben. Unmittelbar nach der Landung wurden sie von Sicherheitskräften in Empfang genommen.«

Tom lachte befreit auf. Die Überraschung war gelungen, und die Mission, in deren Hintergründe er erst ganz am Ende Einblick erhielt, ein voller Erfolg. Die Verbrecher würden keinen Schaden mehr anrichten. Als die Freunde nach der Landung des Aufklärers zu den Kuppeln hinübergingen, war der Botaniker noch immer bester Dinge, was Nick seinem Freund, den er nur ungern im Unklaren gelassen hatte, von ganzem Herzen gönnte.

Als sie die Hauptkuppel betraten, kamen ihnen mehrere bewaffnete Raumsoldaten entgegen, die Crowley, Baxter und Duff vor sich herschoben. Bei Nicks Anblick verfinsterten sich die Mienen der mit Handschellen gefesselten Verbrecher. Die Kerle brachten kein Wort heraus. Dies jedoch tat Nick.

»So ist das, meine Herren. Statt eines Raumschiffs mit Antiortungssystem erwartet Sie ein Gefängnis mit absolut unüberwindlichem Sicherheitssystem.«

Tom lachte. Mehr gab es zu dem Thema nicht zu sagen.

 

 

 

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Originalausgabe Juni 2018

Charakter und Zeichnung: Nick © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Achim Mehnert

Copyright © 2018 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

Lektorat: Thomas Knip

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur

 

ISBN ePub 978-3-86305-260-7

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Inhalt

 

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

VORWORT ZUM BONUSTEIL IN NICK 9

GEHEIMAUFTRAG »VENUS 3«

 

 

 

ACHIM MEHNERT

Landeverbot

 

Nick Band 9

 

 

 

EINS

 

»Wir steuern Raumsektor 145-67 an«, teilte Xutl den Männern in der Zentrale nach Abschluss seiner Berechnungen mit. »Unsere Ortungseinrichtungen erfassen dort drei Sonnen, zwei Riesen der Spektralklasse M und einen der Klasse F.«

»Interessant.« Die Auswahl gefiel Nick. »Das gibt uns zum ersten Mal die Gelegenheit festzustellen, ob auch Riesensonnen Planeten besitzen.«

Xutl nickte, beeindruckt von den ermittelten Daten. »Die beiden M-Sterne besitzen jeweils den fünfunddreißigfachen Durchmesser unserer Sonne, das dritte Gestirn immerhin noch den neunundzwanzigfachen Durchmesser.«

»Ist es dir schon gelungen, ihre Masse zu bestimmen?«

»Nur ungenau. Ich kann jedoch schon sagen, dass die Dichte im Vergleich zu Sol deutlich geringer ausfällt.«

Der Weltraumfahrer von der Erde und sein marsianischer Freund saßen vor den Steuerkontrollen des Sternenschiffs. Xutl war mit den Berechnungen für den Überlichtflug beschäftigt. Aufregende Tage, Wochen und gar Monate lagen hinter den Forschern, in denen sie die Hinterlassenschaften einer längst untergegangenen Kultur und die faszinierenden Teleportationstore entdeckt hatten. Nach dem glücklichen Ausgang des Abenteuers fieberten alle an Bord neuen Entdeckungen entgegen. Das galt besonders für Nick, der es nicht erwarten konnte, die von Xutl ermittelte außergewöhnliche Sternenkonstellation mit eigenen Augen zu sehen.

»Vorbereitungen abgeschlossen«, verkündete der grünhäutige Mann vom Mars. »Sprungdaten berechnet. Es kann losgehen.«

Das ließ sich Nick nicht zweimal sagen. »Schauen wir uns die Riesen an.«

Er löste die Transition aus, und der Kugelraumer sprang. Die Zeitspanne, die während einer Transition verstrich, war zu kurz, um vom menschlichen Verstand erfasst werden zu können. Das Schiff trat in den Hyperraum ein und fiel annähernd im gleichen Augenblick am Zielort zurück in den Normalraum. Lediglich die feinen Instrumente registrierten die Zeitabweichung von weniger als einer Hundertstelsekunde.

Die Männer in der Zentrale bekamen davon nichts mit. Umso eindringlicher wurden sie mit der räumlichen Veränderung konfrontiert. Schlagartig veränderte sich die Darstellung auf dem Bildschirm, und Nick gab starken Gegenschub, um das Schiff abzubremsen.

»Raumsektor 145-67 erreicht«, kommentierte Xutl das gelungene Manöver. »Wir sind exakt an der vorausberechneten Position herausgekommen. Die Anziehungskraft der Sonnen kann uns nichts anhaben.«

»Aber mit dieser Überraschung hat keiner von uns gerechnet«, warf der einen Monitor beobachtende Radartechniker Hert Braxler ein. »Sehen Sie sich das an. Da draußen gibt es nicht nur drei Sonnen, sondern vier. Wieso ist uns das vorher nicht aufgefallen?«

»Weil von unserer vorherigen Position aus weder wir noch die Instrumente direkte Sicht auf die vierte Sonne hatten«, erklärte Xutl. »Offenbar wurde sie von einem der Riesen verdeckt.«

Nick wies die Wissenschaftler an, möglichst viele Daten über die Sonnenkonstellation und die einzelnen Sterne zu sammeln. Die Astronomen um Will Heines stürzten sich mit Feuereifer in die Arbeit. Weit kamen sie nicht, denn plötzlich trat ein kosmisches Ereignis ein, mit dem niemand in der Zentrale rechnete. Die vierte Sonne blähte sich zu einem kosmischen Leuchtfeuer auf.

 

*

»Ein veränderlicher Stern!«, gellte Heines’ Stimme durch die Zentrale.

»Was ist ein veränderlicher Stern?«, fragte Tom Brucks.

Niemand antwortete dem Biologen. Geistesgegenwärtig fuhr Nick den R3-Antrieb hoch, und Xutls Hand hieb auf den Kontakt für den Energieschirm. Die Schutzvorrichtung baute sich auf und hüllte den Kugelraumer ein. Sie mussten schleunigst auf Überlicht umschalten, doch nach dem Bremsmanöver waren sie noch zu langsam dafür.

Mehrere tausend Grad heiße Gase rasten auf das Schiff zu, als sich die Oberfläche des Sterns sprunghaft ausdehnte und es zu verschlingen drohte. Es beschleunigte und floh vor den glühenden Gasen. Der Schutzschirm verhinderte eine Katastrophe, und doch stieg die Temperatur bereits an. Der R3 lief auf Hochtouren, sein Heulen drang durchs ganze Schiff. Eine automatische Blende legte sich vor den Bildschirm, der nun eine grelle Wand zeigte, hinter der das Schwarz des Weltraums verschwand. Die äußeren Schichten des Sterns holten das Schiff ein, rollten darüber hinweg, eilten ihm voraus.

Jemand stieß einen wüsten Fluch aus, und Nick presste die Lippen zu zwei blutleeren Strichen aufeinander. Jeden Moment konnte der Schirm ausfallen. Der Glutofen würde selbst das Metall der Hülle verdampfen, ganz zu schweigen von allem, was sich darin befand.

Das Schott öffnete sich, und Jane Lee stürmte in die Zentrale.

»Was ist passiert?« Die Tierfängerin wischte sich einen Schweißfilm von der Stirn. Sie keuchte. »Die reinste Sauna. Noch ein paar Grad mehr, und meine wertvollen Tiere gehen ein.«

»Stören Sie Nick und Xutl nicht«, fuhr Tom der blonden Frau in die Parade. »Sonst sterben nicht nur Ihre Tiere.«

Jane Lee verschloss die Lippen. Sie sah den Ernst der Lage ein und schwieg, denn Nick und der Marsianer waren in höchster Konzentration versunken, um die drohende Vernichtung abzuwenden. Noch hielt der Energieschirm dem glühenden Gas und Plasma stand, aber voraussichtlich kaum mehr als ein paar weitere Sekunden. Gerade als Nick umschalten und eine Transition vornehmen wollte, ebbte das unerträgliche Leuchten des Weltraums ab. Der mörderische Glutball sank wieder in sich zusammen. Nick verzichtete auf die Umschaltung und beschleunigte weiter mit R3.

»Konnten Sie die größte Ausdehnung des Veränderlichen ermitteln, Mister Heines?«

»Ja, Kommandant.« Der Astronom studierte vor seinen Augen aufleuchtende Zahlenkolonnen. »Wenn wir uns noch zwanzig Millionen Kilometer weiter zurückziehen, kann uns der Stern nicht mehr erreichen, falls er sich erneut aufbläht.«

Mit hohen Werten jagte das Sternenschiff davon. Nick hielt jetzt die Geschwindigkeit bei. Er ließ die Entfernungsanzeige nicht aus den Augen. Erst nach Verlassen der Gefahrenzone bremste er ab und brachte das Schiff relativ zu den Sternen zum Stillstand.

Alle in der Zentrale atmeten auf. Nick ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. Erst jetzt wurde ihm die Hitze in der Zentrale bewusst. Dank der Klimaanlage ging sie rasch auf Normalwerte zurück.

»Das wird uns eine Lehre sein«, grollte er. »Eine versteckte Sonne, und ausgerechnet sie ist ein veränderlicher Stern. Das wäre um ein Haar ins Auge gegangen. Wir hatten Glück, dass wir nicht gebraten wurden wie die Hähnchen. So etwas darf uns nicht noch einmal passieren. Künftig wird kein Stern mehr angeflogen, bevor wir ihn nicht aus der Ferne einer gründlichen Untersuchung unterzogen haben.«

»Was ist denn nun ein veränderlicher Stern?«, wiederholte Tom seine Frage.

»Es gibt verschiedene Arten von veränderlichen Sternen«, erklärte Nick. »Am häufigsten sind die, deren Lichtstärke sich scheinbar verändert, weil sie in regelmäßigen Abständen von anderen Himmelskörpern verdeckt werden, zum Beispiel in Doppelsternsystemen.«

»Das war aber eben nicht der Fall.«

»Nein, in unserem Fall haben wir es mit einem sogenannten pulsierenden Veränderlichen zu tun. Es dürfte bekannt sein, dass in Sternen zwei Kräfte wirken. Zum einen ist dies der Schweredruck, auch Gravitationsdruck genannt, da er sich durch den Einfluss der Gravitation einstellt. Er sorgt dafür, dass sämtliche Masseteilchen des strahlenden Körpers zum Mittelpunkt der Sonne hin vektoriert sind. Ihm gegenüber steht der Strahlungsdruck, der einen Stern Licht beziehungsweise andere Strahlung aussenden lässt. In den meisten Fällen ist der Schweredruck größer. Dieser dauernde Energieverlust führt dazu, dass Sonnen im Laufe von Jahrmillionen allmählich erkalten. Bei der vierten Sonne da draußen halten sich die beiden Drücke in etwa die Waage. Gewisse physikalische Einflüsse sorgen dafür, dass der Strahlungsdruck zuweilen stark ansteigt.«

»Und dann dehnt sich die Sonne aus«, folgerte Jane Lee.

»Richtig. Ein veränderlicher Pulsierender tut genau das, was seine Bezeichnung verrät«, fuhr Nick fort. »Er zeigt eine periodisch auftretende Kontraktion beziehungsweise Expansion. Er zieht sich also zusammen und dehnt sich wieder aus. Dabei erreicht er das Mehrfache seines normalen Durchmessers, wie wir eben erlebt haben.«