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Thomas Dienberg

Einmal zu dir selbst und zurück

Das Leben wieder bewusst gestalten

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1. Auflage 2018

Umschlaggestaltung: Franziska Barczyk, Toronto/New York Gestaltung und Satz: wunderlichundweigand, Schwäbisch Hall Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín, Tschechische Republik

www.caminobuch.de

ISBN 978-3-96157-029-4

Auch als E-Book erhältlich

Inhalt

EINLEITUNG

Ein Übungsweg in sieben mal sieben Schritten

STATION 1

Beobachten, ohne zu werten

STATION 2

Alle Sinne trainieren

STATION 3

Bewegung für Körper und Seele

STATION 4

Richtig sitzen lernen

STATION 5

Mutig den eigenen Gedanken begegnen

STATION 6

Existenzielle Fragen zulassen

STATION 7

Gottes Spuren wahrnehmen

ZUM SCHLUSS

Was uns Kontemplation lehrt

Ein Übungsweg in sieben mal sieben Schritten

Ich werde oft gefragt, wie es mir gelingt, alles unter einen Hut zu bringen. Und vor allem: Warum wirke ich dabei immer noch so ruhig?

Viele Menschen nehmen an, dass ein klösterliches Leben beschaulich und ruhig ist, dass wir Klostermenschen das leben können, wonach sich so viele heute sehnen: ruhig und ohne Stress, in Harmonie, Ausgeglichenheit und Gelassenheit, mit Konzentration auf den tiefen Sinn des Lebens.

Nun, diese Annahme stimmt nur zum Teil.

Von außen betrachtet ist mein Leben sehr unruhig. Ich bin sehr viel unterwegs, halte hier und dort Vorträge, Vorlesungen und Workshops. Ich leite ein neues Institut in Münster, es werden also auch Organisations- und Leitungsaufgaben von mir gefordert. Hinzu kommen die Aufgaben im Kloster, die Forschung – und meine Lieblingsbeschäftigung: das Schreiben. Wer selbst einmal an einem Buch gearbeitet hat, weiß, dass man auch dafür starke Nerven und Zeit braucht. Insofern gehört Stress zu meinem Leben, wie er im Übrigen zu jedem Leben gehört, ob innerhalb oder außerhalb eines Klosters.

Aber Stress kann für mich produktiv sein. Stress fordert mich heraus, führt mich an meine Grenzen, zeigt mir auf, was ich kann und zu leisten imstande bin. Natürlich gibt es negativen Stress, auch in meinem Leben. Ich frage mich oft, wie ich alles auf die Reihe bringe in dem Vielerlei, das mein Leben ausmacht. Wenn ich feststelle, dass mein Terminkalender mich mehr beherrscht als irgendetwas anderes in meinem Leben. Immer wieder muss ich mich also fragen, was mir wirklich wichtig ist. Oder mit anderen Worten: Welchen Stress ich annehmen muss, weil es sich lohnt, und welcher ungesund ist.

Ein ganz wichtiger Faktor dabei ist die Zeit, die mir zur Ruhe verhilft.

Ich sehne mich oft nach Ruhe und Stille, nach Momenten, in denen ich einfach da sein kann und die Welt wahrnehme, wie sie ist. Die Welt ist so schön, so staunenswert. Der Mensch ist so wunderbar geschaffen. Und wie wenig nehme ich mir die Zeit, um dieses Wunderwerk Mensch und das Wunderwerk Natur auf mich wirken zu lassen.

Die Welt wahrnehmen, wie sie ist.

Wie oft habe ich dazu einfach nicht die Zeit?

Aber wie oft nehme ich mir keine Zeit? Zeit, dem Grund meines Lebens nachzuspüren? Dem, was mich trägt und hält? Wie wenig nehme ich mir die Zeit, mich im Innersten berühren zu lassen durch die Wirklichkeit unserer Welt?

Das Leben ist eine Schule der Wahrnehmung, eine Einladung, zu mir und zur Wirklichkeit zu gelangen. Sehnsuchtsvoll frage ich mich oft, wie mir das wieder von Neuem gelingen kann. Es ist oft so laut in mir, selbst dann, wenn draußen alles still und ruhig ist. Meine Gedanken sind laut und aufdringlich wie die Geräusche um mich herum. Wie sehr sehne ich mich danach, dass es einfach nur ganz still ist, außen und in mir selbst! Um zu mir zu kommen und um dem Leben in mir nachzuspüren. Aber auch um mich von Gott berühren zu lassen durch die Wirklichkeit des Lebens.

In den geistlichen Traditionen aller Religionen und spirituellen Schulen werden dafür die Worte Meditation und dann auch Kontemplation benutzt. Übungen und Haltungen, den Weg der Gottesbegegnung und der Begegnung mit dem Leben zu bereiten.

Für wen diese Übungen geschrieben sind

imageWer sich gestresst fühlt und nicht weiß, wie er mithilfe ganz einfacher Mittel mit diesem Stress positiv umgehen kann

imageWer sich auf den Weg der Wahrnehmung und der Kontemplation machen will, oft nicht weiß, wie man es angehen soll – und dabei auf der Suche nach den einfachen und gangbaren Wegen ist

imageWer nicht viel Zeit hat, vielleicht auch nicht die Geduld, sich auf stundenlange Übungen einzulassen

imageWer sich Atempausen und kurze Momente der Berührung mit der eigenen Sehnsucht wünscht

imageWer nach dem Mehr des Lebens fragt, auf der Suche ist und sich nach einem Leben in dieser wahrnehmenden Haltung sehnt

Wenn ich auf meinen persönlichen Weg der Meditation und Kontemplation zurückschaue, dann sehe ich einen Weg mit vielen verschiedenen Etappen: Irr- und Umwege, Zeiten der Erfüllung, Zeiten einer fragenden Sehnsucht, die nicht erfüllt wurde, Zeiten der Enttäuschung und des Glücks. Und wenn ich ehrlich bin, dann sind es die kleinen Übungen, die sich mir eingeprägt haben, die bleiben, die ich immer wieder von Neuem einüben muss.

Das fällt mir oft sehr schwer. Aber es lohnt sich, wenn ich an die Zeiten denke, in denen ich lange Stille aushalten konnte. Und manchmal durfte ich das großartige Geschenk der Kontemplation spüren. Solche Momente haben mich geprägt. Aber ich kann sie nicht einfach wieder herholen: Die Kunst liegt darin, die kleinen Schritte immer wieder zu tun, die kleinen Momente zu nutzen, die mir der oft hektische und anstrengende Alltag bietet. Aber dieser ist voll von solchen Momenten. Es kommt darauf an, sie zu sehen, zu erspüren und zu nutzen.

Dieses Buch erzählt von solchen Momenten, ruft sie mir in Erinnerung, denn allzu schnell vergesse ich sie wieder.

Dieses Buch will auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in die Kunst einführen, den Alltag in seiner Fülle wahrzunehmen – in die Kunst der Kontemplation. Sie finden hier sieben mal sieben Übungen, die leicht einen Platz in Ihrem Alltag finden können: zu Hause, während der Arbeit, im Café oder Supermarkt.

Es geht bei diesen Übungen viel um Wahrnehmung, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass mich die Wahrnehmung der Welt und meiner Sinne zu mir selbst zurückführen kann, zu meinem Innersten. Dann kann ich auch wieder in den Alltag zurückkehren und mit all dem Stress umgehen, der sich mir in den Weg stellt.

Nehmen Sie sich nach jeder Übung Zeit, Ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Mit ein wenig Abstand werden Sie feststellen: Ich bin mir selbst begegnet.

Was Sie in diesen Übungen erfahren

imageWie es sich anfühlt, die Welt zu beobachten, ohne sie zu bewerten

imageWie intensiv Sie die Welt mit jedem einzelnen Sinn erleben

imageWelchen Einfluss Bewegung und Sitzen auf Ihre Seele haben

imageWarum es wertvoll ist, sich auf die eigenen Gedanken, Wünsche und Ängste einzulassen

imageWie Sie Gottes Nähe im Alltag spüren können

Einmal zu mir selbst und zurück! Indem ich auf mich schaue, es schaffe, die kurzen Momente der Ruhe, der Stille und des Schweigens ganz bewusst und aktiv in mein Leben einzubauen, kehre ich auch wieder bewusst und gestärkt in die alltägliche Welt zurück.

Nehmen Sie diese Übungen als das an, was sie sind: Vorschläge, die Sie übernehmen oder auch ganz für sich variieren können.

Ich bin davon überzeugt, dass es ein Übungsweg ist, der sich lohnt.

STATION 1

Beobachten, ohne zu werten

Hinhören

Hinschauen

Wahrnehmen

Dankbar sein

Einfach da sein

Kontemplation

Nicht werten

Einfach nur

Wahrnehmen

Vorurteilsfrei

STATION 1

Beobachten, ohne zu werten

Ich sitze im Zug. Draußen sausen Landschaften an mir vorbei, Dörfer und Städte. Rasend rauschen Menschen, Autos, Natur an mir vorüber. Das Leben rauscht vorüber, so wie es ist. Am Beginn meines Lebens habe ich noch gelernt, alles langsam in mich aufgesogen, ich war auf der Suche, habe alles begreifen wollen. Doch zunehmend ist das Leben schneller geworden. Es rast mittlerweile nur so dahin – und nichts lässt sich festhalten.

So ist das Leben, ein Fassen und Begreifen, ein Loslassen und Sterbenmüssen. Mein Leben, das Leben der anderen, das Leben in der Welt.

Das ist eine der ersten Lektionen der Kontemplation: das Begreifen und das Lassen. Und die Erkenntnis: Es ist, wie es ist. Ich lerne sehen, spüren, hören, riechen, schmecken. Ich lerne, wie intensiv dieses Leben sein kann und ist, wenn ich meine Sinne nutze, sie wirklich benutze. Ich nehme wahr, lerne begreifen – und im Begreifen übe ich schon das Loslassen ein. Gerüche, Geschmäcke, Gehörtes und Gesehenes – so intensiv die Eindrücke auch sein mögen, sie vergehen. Ich kann sie nicht einfangen und halten. Im Begreifen verabschieden sie sich wieder. Im Leben ist es nicht anders.

Die folgenden Übungen führen ein in den Reichtum der Begegnung mit dem Alltag, mit den kleinen bereichernden Momenten im Alltag, die ihn noch wertvoller und lebendiger machen. Gleichzeitig schenken sie mir Ruhe und Konzentration. Sie vermitteln mir eine Ahnung von dem, was sich in der schlichten und einfachen Wahrnehmung und der Begegnung mit dem Leben ereignen kann: die Begegnung mit mir, dem anderen, der Welt und – dem Göttlichen.