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Strong Silent Type –

Eine zweite Chance

Rough Riders 7

Lorelei James

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© 2018 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Covergestaltung Andrea Gunschera

Aus dem Englischen von Sylvia Pranga

Englische Originalausgabe © Lorelei James 2016

ISBN Taschenbuch: 9783864438066

ISBN eBook-mobi: 9783864438073

ISBN eBook-epub: 9783864438080

www.sieben-verlag.de

Für alle Paare, die holprige Phasen in ihrer Ehe überwunden haben.

Inhalt

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Epilog

Die Autorin

Kapitel eins

„Nimm deine gottverdammten Hände von meiner Frau.“

Quinn McKay war außer sich vor Wut. Er sah rot. Ein Zorn wie seiner löste Aneurysmen aus. Er drehte vor Wut vollkommen durch.

Und das Schlimmste daran? Seine Frau, seine Stütze, Liebhaberin, seine Partnerin, sein … Ein und Alles – verdammt, Libby war sein Ein und Alles – interessierte sich kein bisschen für seine miese Laune.

Nicht das kleinste bisschen.

Und das machte ihn nur noch wütender.

„Hör damit auf, Quinn“, sagte Libby McKay über die Schulter und ließ sich von dem jungen Typen tiefer in die Menge auf der Tanzfläche führen. Das Letzte, was Quinn sah, war das kecke Schütteln ihrer schicken neuen Frisur.

„Ich werde ihn umbringen, verflucht. Mal sehen, wie glücklich er noch ist, wenn ich ihm die Hände an den Gelenken abgebrochen habe.“

„Himmel, Quinn, setz dich hin, zum Teufel. Die Leute starren dich schon an.“

„Lass sie starren.“

Sein Bruder Ben zischte: „Lass das. Schieb deinen dummen Hintern zurück zum Tisch, oder ich haue ab und du kannst nach Hause latschen.“

„Das wäre mir ein Faustschlag in die Fresse dieses Mistkerls wert.“

„Ich zahle nicht die Kaution, um dich aus dem Knast zu holen.“

Quinn knurrte und folgte Ben widerwillig zurück in die Sitzecke. Er leerte sein Glas Bier und goss sich ein weiteres aus der Karaffe ein. Das meiste war Schaum. War es nicht typisch, dass nicht einmal das Bier heute Abend mit ihm kooperierte?

„Du musst damit aufhören, Mann.“

„Mit was? Trinken?“

„Nein.“

„Oh, du meinst, zu Ziggy’s zu gehen und zuzugucken, wie meine Frau mit jedem nichtsnutzigen Loser hier tanzt?“

„Genau.“

„Scheiß drauf.“ Quinn knallte sein leeres Glas auf den Tisch. „Das ist ein freies Land. Ich lebe in diesem gottverdammten County. Ich habe dasselbe Recht, hier zu sein wie sie.“

Ben riss die Karaffe weg, bevor sich Quinn ein weiteres Glas eingießen konnte. „Es ist drei Monate her, seit Libby sich von dir getrennt hat, Quinn. Finde dich damit ab. Vielleicht ist es Zeit, dass du weiterziehst. Sieht so aus, als hätte sie es schon getan.“

„Falsch. Wenn Libby so scharf darauf ist, ‚weiterzuziehen‘, warum zur Hölle hat sie sich dann keinen Anwalt genommen und die Scheidung eingereicht?“

„Wahrscheinlich wartet sie darauf, dass die Schule zu Ende ist und sie mehr Zeit hat.“

Seine Antwort ähnelte einem Knurren.

„Ich weiß nicht, warum du so überrascht bist.“ Ben goss sich ein Glas Schaum ein. „Bei euch beiden läuft es doch schon lange nicht mehr so gut.“

„Das stimmt nicht.“

„Du willst mir erzählen, dass du so vor dich hingelebt und dich um deinen eigenen Kram gekümmert hast und Rumms! kam sie mit der Forderung nach einer vorläufigen Trennung um die Ecke?“

Quinn hasste – hasste – es, mit jemandem über diesen Gefühlsmist zu reden. „Alle verheirateten Paare machen holprige Phasen durch. Ich dachte, es würde vorbeigehen. So war es vorher immer.“

„Vorher?“ Ben verschluckte sich an seinem Bier. „Das ist nicht das erste Mal?“

„Es ist das erste Mal, dass sie mich aus meinem eigenen verdammten Haus geworfen hat.“ Seit drei Monaten lebte er wie eingepfercht, ernährte sich von Schnellgerichten, schlief allein und war dabei absolut unglücklich.

„Ihr wart also bei der Eheberatung und dem ganzen Kram?“

„Nein.“

„Warum nicht? Hat sie dich nicht darum gebeten?“

Irgendwie schon. Quinn wusste, dass er und Ben nicht über dieselbe Art professioneller Hilfe sprachen, die Libby vorgeschlagen hatte. Er wich aus. „Ja.“

„Und was hast du gesagt?“

„Nein.“

„Himmel. Du bist so ein sturer Hundesohn. Ich kann verstehen, dass Libby genug hatte und dir in den Hintern getreten hat.“

Sturer Hundesohn. Eine vertraute Bezeichnung. Seine sich normalerweise so gewählt ausdrückende Frau hatte ihm diese Worte an den Kopf geworfen, als sie ihm auf der Terrasse einen Koffer voll mit seiner schmutzigen Wäsche in die Hand drückte. „Ganz toll. Ich bin so froh, dass du dich auch auf ihre Seite stellst.“

„Quinn, nichts für ungut, aber als Ehemann bist du miserabel.“

Verlegenheit wallte in ihm auf. Genau das hatte Libby auch gesagt. „Woher zum Teufel willst du das wissen? Wie oft warst du verheiratet? Ach ja, noch gar nicht!“

„Das heißt nicht, dass ich nicht erkenne, wenn etwas nicht funktioniert“, konterte Ben. „Offensichtlich läuft deine Ehe nicht so toll. Ich wäre mehr als glücklich, dir ein paar nützliche Tipps zu geben, um sie wieder aufleben zu lassen.“

„Tipps von einem Kerl, dessen letzte Beziehung kaum einen Monat gedauert hat? Das könnte interessant werden.“

„Es juckt mich nicht, wenn du zu stolz bist, Hilfe anzunehmen. Aber selbst mir als Single ist klar, dass mehr dazu gehört, ein guter Ehemann zu sein, als nur den Versorger zu spielen.“

Ja, diese Worte hatte Quinns Ehefrau ihm auch an den Kopf geworfen. Aber die Ironie war, dass das für beide Seiten galt. Libby sollte erkennen, dass mehr dazu gehörte, eine gute Ehefrau zu sein, als das Essen auf den Tisch zu bringen, das Haus makellos sauber zu halten und seine Kommode mit sauberer Wäsche vollzustopfen. Nicht, dass er das zu ihr gesagt hätte, weil er wusste, wie sehr es ihre Gefühle verletzen würde. Warum hatte Libby nicht erkannt, wie tief es ihn traf, als sie ihm diese Worte gedankenlos ins Gesicht gesagt hatte? Er seufzte. „Leg schon los, Ben. Beeindrucke mich mit deinen einmaligen Ehetipps.“

„Zuallererst musst du aufhören, Libby als Selbstverständlichkeit zu sehen.“

„Ich habe sie nie als selbstverständlich genommen. Niemals.“

„Okay. Du musst ihr zeigen, wie viel sie dir bedeutet. Du musst sie … umwerben.“

„Sie umwerben?“ Quinn starrte seinen Bruder verblüfft an. „Wie zur Hölle soll ich das machen?“

„Verhalte dich so wie zu der Zeit, als ihr eure ersten Dates hattet. Bring ihr Blumen und Wein, lade sie zu einem Abendessen bei Kerzenschein ein, geh mit ihr ins Kino. Nimm dir Zeit zum Knutschen und mit ihr im Truck zu fummeln.“

Quinn beugte sich vor. „Darf ich dich daran erinnern, dass ich seit vierzehn Jahren mit Libby zusammen bin. Wir hatten unsere ersten Dates mit sechzehn. Ich heiratete sie einen Monat nach ihrem Collegeabschluss. Wir sind seit neun Jahren Mann und Frau. Daher sind meine Umwerbungskünste etwas eingerostet.“

„Dann ist es höchste Zeit, sie wieder aufzufrischen, Quinn. Denn wenn du sie nicht bei ihr einsetzt, wirst du es bei einer anderen tun müssen.“

Scham brannte in ihm, und er senkte den Blick auf den Tisch. „Dann bin ich verloren. Ich habe nie so einen romantischen Mist mit ihr gemacht.“ Oder mit irgendeiner anderen Frau. Libby war das erste Mädchen gewesen, mit dem er ausgegangen war. Die erste und einzige Frau, mit der er Sex gehabt hatte. Die einzige Frau, die er je gewollt hatte. Die einzige Frau, die er je geliebt hatte.

Und ich bin dabei, sie zu verlieren.

„Nie?“, hakte Ben nach.

Quinn schüttelte den Kopf. „Libby ist immer praktisch gewesen. Das ist einer der Gründe, warum ich mich in sie verliebt habe. Sie brauchte diesen oberflächlichen Quatsch nicht, den die anderen Mädchen wollten. Sie erwartete nicht von mir, dass ich ein Rodeo Star wurde oder zur Wirtschaftsschule ging. Sie wusste, dass ich niemals hier weggehen würde, weil die Rancharbeit mir im Blut liegt. Das war okay für sie. Sie wollte dieses Leben. Wenigstens habe ich das geglaubt.“

Die Dinge – nein, Libby hatte sich im vergangenen Jahr verändert.

Es hatte mit kleinen Veränderungen angefangen. Neue Möbel, ein frischer Anstrich für ein oder zwei Zimmer, das Aufhängen neuer Gardinen und das Ausprobieren exotischer Rezepte. Dann hatte sie Anspielungen fallen lassen, dass sie beide mehr als Paar unternehmen sollten.

Nachdem Libby nach den Sommerferien ihre Arbeit als Schulbibliothekarin wieder aufgenommen hatte, machte sie eine Diät und nahm fünfundzwanzig Pfund ab. Er hatte ihren kurvigen Körper immer geliebt, aber sie war schlanker glücklicher. Sie entsorgte ihre alten Klamotten und kaufte neue. Die langen Jeansröcke, weiten Shirts, ausgebeulten Pullover, ausgeleierten Jogginghosen und übergroßen T-Shirts, die sie jahrelang getragen hatte, verschwanden. Ebenso die gedeckten Farben.

Nein, Libby – seine Libby – fing an, enge Hüftjeans zu tragen und knappe Blusen, die ihren üppigen Busen betonten. Dazu kurze Röcke in lebhaften Farben. Gerade als er sich an diese Veränderungen gewöhnt hatte, fuhr sie nach Denver und ließ sich ein professionelles Make-up machen. Ihr langes honigblondes Haar ließ sie zu einer modernen Kurzhaarfrisur mit rotblonden Strähnen schneiden. Sie hatte nie viel Make-up benutzt, daher schockierte es Quinn, dass ihre Sommersprossen abgedeckt und ihre Lippen glänzend rot waren. Ein schwarzer Eyeliner betonte ihre blauen Augen.

An diesem Punkt begann er, sich Sorgen zu machen und sich zu fragen, ob sie einen anderen Mann kennengelernt hatte, den sie beeindrucken wollte. Als Libby ihn fragte, wie ihm ihr neues Selbst gefiel, antwortete Quinn ehrlich, dass er ihr altes Ich absolut in Ordnung gefunden hatte.

Einen Tag später wohnte er im Pferdeanhänger.

„Verdammt, du hörst mir nicht mal zu, oder?“, fragte Ben.

Quinn ignorierte die Stichelei und konzentrierte sich auf Libby, die auf der Tanzfläche die Hüften schwang. Das Lächeln, das sie ihrem Tanzpartner schenkte, erreichte ihre Augen nicht, so wie es war, wenn sie mit ihm tanzte. Die Schultern hatte sie bis zu den Ohren hochgezogen. Die normalerweise anmutigen Bewegungen ihres Körpers wirkten gezwungen. Unnatürlich. Es wirkte, als führte sie die Bewegungen nur mechanisch aus.

Genau wie er.

Die Wahrheit traf Quinn so heftig wie ein Pferdehuf am Kopf. Er war mit diesem Fehltritt in ihrer Ehe falsch umgegangen, denn er hatte erwartet, dass Libby zu ihm kam. Er musste das in Ordnung bringen, musste seinen Mann stehen, den Stier bei den Hörnern packen, ins kalte Wasser springen, auf das buckelnde Pferd steigen und beanspruchen, was rechtmäßig ihm gehörte. Das waren Klischees, aber diese Floskeln führten ihn in die richtige Richtung – die einzige Richtung – direkt zurück zu ihr.

„Quinn? Ist alles in Ordnung?“

„Nein. Nichts ist mehr in Ordnung, seit sie mich rausgeworfen hat, Ben. Verdammt, ich vermisse sie so sehr.“

Ben erstarrte. „Ach Mist, Quinn, du fängst doch jetzt nicht mit diesem betrunkenen, gefühlsduseligen Liebesschmalz an, oder?“

„Teufel, nein.“ Quinn schob die Karaffe zur Seite und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. „Aber ich habe mir dein Gejammer angehört, und du hast absolut recht. Ich muss etwas tun. Und du wirst mir dabei helfen.“

„Wobei soll ich dir helfen?“

„Einen Plan zu machen, mit dem ich meine Frau zurückgewinne.“

Kapitel zwei

„Das zweite Regal, untere Reihe.“

Das siebenjährige Mädchen schüttelte den Kopf, wobei ihre lockigen Zöpfe hüpften. „Nein, ich habe nachgesehen.“

„Sieh noch mal genauer nach.“

„Aber Sie sind die Bibliothekarin. Sie helfen mir immer.“

„Dieses Mal ist es etwas anderes, Süße, denn deine Lehrerin will, dass du das Buch allein findest. Das verbessert dein Buchstabieren.“ Libby widerstand der Versuchung, über die gerunzelte Stirn des Mädchens zu streichen.

„Ich wünschte, Sie wären meine Lehrerin, Mrs. McKay“, sagte sie, bevor sie ging.

Ich wünschte, ich hätte so ein kleines Mädchen wie dich.

Libby presste kurz die Augen zu. Denk nicht daran. Sie hatte genug Probleme und Fehlschläge, mit denen sie umgehen musste, vielen Dank. Es fing schon mit dem Scheitern ihrer Ehe mit Quinn McKay an.

Dieser verdammte, sture Mann. Was würde ihn zum Handeln antreiben? Das zu überwinden, war kein Spiel. Es ging dabei um ihr gemeinsames Leben.

Quinn hatte ihre Forderung nach einer vorläufigen Trennung nicht infrage gestellt. Er war locker damit umgegangen und hatte unbekümmert mit seinem üblichen Leben auf der Ranch weitergemacht und war damit zufrieden, sich im Pferdeanhänger einzuigeln, bis sie wieder zur Vernunft kam.

Drei Monate waren vergangen, und sie steckten immer noch in einer Sackgasse.

Es half auch nicht gerade, dass Libby während dieser Zeit nicht mit ihrem Mann gesprochen hatte. Ihre Beteiligung an der Rancharbeit machte ihre fehlende Kommunikation zu einer echten Katastrophe. Da sie geschäftstüchtig war, hatte sie für die Arbeiten auf der Ranch und das Bezahlen der Rechnungen einen Plan aufgestellt. Das Gleiche galt für persönliche Belange, wann Quinn beispielsweise die Dusche, die Waschmaschine und den Trockner im Haus benutzen konnte.

Das System funktionierte, aber es zwang sie, sich gegenseitig Nachrichten zu schreiben. Seine waren knapp und kamen sofort auf den Punkt. Ihre waren höflich und enthielten genaue Erklärungen. Was eine gute Zusammenfassung ihres Ehelebens während des vergangenen Jahres war.

Aber Libby liebte Quinn immer noch. Sie vermisste ihn wie verrückt. Doch nach gestern Abend fragte sie sich, ob Liebe genug war. Warum kämpfte er nicht um sie? Um sie beide? Warum überließ er es allein ihr, die Veränderungen herbeizuführen, die sie beide so dringend brauchten?

Wenn du so begierig auf eine Veränderung bist, warum hast du dann nicht die juristischen Dokumente unterzeichnet, die dir der Rechtsanwalt gegeben hat und die seit einem Monat in deinem Schreibtisch liegen?

Gute Frage. Aber zumindest hatte sie sich Mühe gegeben, ihre Flügel auszustrecken, und hatte abgeschätzt, ob eine dauerhafte Trennung von ihm eine Möglichkeit wäre. Gelangweilt und einsam hatte Libby angefangen, mit ihren alleinstehenden Kolleginnen bei Ziggy’s abzuhängen, einer Bar, die ein jüngeres Publikum ansprach als die anderen Honkytonks in der Gegend. Von eifrigen, heißen Cowboys angebaggert zu werden, bewirkte bei ihrem Selbstbewusstsein Wunder, auch wenn sie nur flirtete, tanzte und sich gelegentlich ein Getränk ausgeben ließ.

Dann tauchte Quinn immer wieder auf. Er hockte in der Ecke an einem Tisch und trank Bier, manchmal allein, manchmal mit seinem Bruder. Quinn näherte sich ihr niemals. Er beobachtete sie nur.

Bis zum gestrigen Abend.

Quinns kurzes: „Nimm deine gottverdammten Hände von meiner Frau“ hatte einen winzigen Funken Hoffnung in ihr geweckt. Libby wünschte sich heimlich, dass der Barbar in Quinn erwachte, er sie über die Schulter warf und aus der Bar trug. Sie hatte davon geträumt, dass ihr harter Kerl so scharf darauf war, sie zu nehmen, dass er sie gegen seinen schmutzigen Pick-up lehnte und fickte, wobei ihm egal war, wer vielleicht sah, dass er seinen Anspruch geltend machte.

Danach würde er mit ihr nach Hause rasen und sie tagelang wild und leidenschaftlich lieben. In ihrem Bett. Auf dem Küchentisch. In der Dusche. An den Weidezaun gelehnt. Und dabei würde er ihr immer wieder seine unsterbliche Liebe für sie gestehen. Und zugeben, dass er ein Idiot gewesen war. Er würde alles tun, um sie zu behalten, und sie für den Rest ihres Lebens glücklich machen.

Das war nicht passiert. Libby musste sich der Realität stellen – das würde wahrscheinlich nie passieren. Gestern Abend hatte Quinn nur etwas gemurmelt und war gegangen. Hatte aufgegeben. Hatte ihre idiotischen, mädchenhaft romantischen Träume von einer Versöhnung durchkreuzt.

Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie nach dem Ordner in der hintersten Ecke der Schublade griff. Sie zog den Stapel Dokumente hervor, auf dem Klageschrift stand. Libby kritzelte ihren Namen auf die untere Linie, schrieb das Datum dazu und stopfte den ganzen Papierstapel in einen braunen Umschlag.

Der Rest von Mrs. Richs wilder zweiter Klasse stürmte in die Bücherei. Libby legte den Umschlag schnell auf ihren Schreibtisch und verdrängte das Ganze aus ihren Gedanken.

Eine nach Salbei duftende Brise ließ Libbys Haare wehen, als sie Stunden später aus der Schule kam. Erschöpft jonglierte sie mit einer Tasche Bücher und ihrem Autoschlüssel, sodass sie den Mann nicht bemerkte, der an ihrem Auto lehnte, bis seine Stiefelspitzen in ihr Blickfeld gerieten.

Libby hob das Kinn. Ihr Herzschlag begann zu rasen, als ihr Blick auf die vertrauten blauen Augen fiel.

Quinn.

Selbst nach vierzehn gemeinsamen Jahren fing ihr Puls an zu rasen, wenn sie ihn nur sah. Quinn war der typische Rancher aus Wyoming, eher rau als klassisch attraktiv. Er hatte noch immer denselben kräftigen Körperbau wie in seinen jüngeren Jahren, auch wenn es schien, als hätte er Gewicht verloren, seit er seine Mahlzeiten selbst kochen musste. Aber es stand ihm. Alles sah an ihm gut aus.

Sein Gesicht war glatt rasiert. Der frische Duft seines Aftershaves in Verbindung mit dem Aroma seiner sonnengebräunten Haut stieg ihr in die Nase, und sie wurde von Sehnsucht überwältigt.

Sie verfluchte ihn.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, trug Quinn ihr Lieblingshemd, das sie ihm zu Weihnachten gekauft hatte, dunkelblau mit Druckknöpfen und weißer Stickerei auf den Taschen. Der Schnitt des Stoffes betonte seine breiten Schultern und die kräftige Brust. Die Ärmel umspannten seine muskulösen Oberarme. Jeden dieser ausgeprägten Muskeln verdankte er harter körperlicher Arbeit, die nötig war, um eine Ranch zu führen. Die dunkle Farbe betonte seine Bräune, sein schwarzbraunes Haar und die langen, dicken tiefschwarzen Wimpern, die seine faszinierenden blauen Augen umgaben.

Sein intensiver Blick traf auf ihren. Quinn schenkte ihr dieses unsichere Lächeln, das sie seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch mehr.

„Hey, Libby. Du, äh, siehst gut aus. Wirklich gut.“

„Danke. Was machst du hier?“ Ein panischer Gedanke kam ihr. „Ist jemand gestorben?“

„Nein.“ Er machte eine Pause. Runzelte die Stirn. Schien ziemlich durcheinander zu sein. „Ist irgendwie traurig, dass du glaubst, dass das nötig wäre, damit ich zu dir komme.“

Libby zuckte mit den Schultern. „Du bist ja auch nicht zu mir gekommen.“

„Das ist wahr. Aber als ich das letzte Mal nachgesehen habe, führten die Straßen noch in beide Richtungen, mein Liebling.“

Sie hob das Kinn noch höher. „Was willst du?“

„Dich.“

Ihr Magen überschlug sich. „Wie bitte?“

Er lehnte weiter an der Fahrertür, die Hände in den Taschen einer neuen dunkelblauen Jeans, seine guten Stiefel an den Fußknöcheln überkreuzt. „Ich bin hier, weil ich auf dich gewartet habe.“

„Warum?“

Eine Sekunde lang spannten sich seine Schultern an. Dann stieß er sich vom Auto ab und kam langsam auf sie zu. „Weil es mir nicht gefällt, wenn du mit anderen Männern tanzt.“