Jules Verne
Der Herr der Welt
Illustrierte und unzensierte Komplettübersetzung
Jules Verne
Der Herr der Welt
Illustrierte und unzensierte Komplettübersetzung
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze
Illustrationen: George Roux
EV: A. Hartleben’s Verlag, 1905
1. Auflage, ISBN 978-3-962814-86-1
null-papier.de/619
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Erstes Kapitel – Was im Lande vorgeht
Zweites Kapitel – In Morganton
Drittes Kapitel – Der Great Eyry
Viertes Kapitel – Ein Wettrennen des Automobilklubs
Fünftes Kapitel – In Sicht des Ufers von Neuengland
Sechstes Kapitel – Der erste Brief
Siebtes Kapitel – Nun gar drei!
Achtes Kapitel – Um jeden Preis
Neuntes Kapitel – Ein zweiter Brief
Zehntes Kapitel – Vogelfrei
Elftes Kapitel – Auf der Suche
Zwölftes Kapitel – Die Bucht von Black-Rock
Dreizehntes Kapitel – An Bord der »Epouvante«
Vierzehntes Kapitel – Der Niagara
Fünfzehntes Kapitel – Des Adlers Horst
Sechzehntes Kapitel – Robur der Eroberer
Siebzehntes Kapitel – Gleich Gott
Achtzehntes Kapitel – Noch einmal bei der alten Grad
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Jürgen Schulze
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Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Die Gebirgskette, die mit der amerikanischen Küste des Atlantischen Ozeans parallel verläuft und sich durch North Carolina, Virginia, Maryland, durch Pennsylvanien und den Staat New York hinzieht, führt den Namen der Alleghenies oder der Appalachenberge. Sie besteht aus zwei deutlich getrennten Höhenzügen: dem der Cumberland- und dem der Blauen Berge.
Während dieses orografische System – übrigens das bedeutendste dieses Teiles von Nordamerika – sich in einer Ausdehnung von 900 Meilen (etwa 1600 Kilometer) hin erstreckt, übersteigt es im Mittel nirgends die Höhe von 6000 Fuß. Sein hervorragendster Gipfel ist der 1918 Meter hohe Mount Washington.
Das große Stück Erdenrückgrat, das mit dem einen Ende in das Wasser des Atlantischen Weltmeeres, mit dem anderen in das des St. Lorenzostromes eintaucht, hat auf Alpinisten bisher keine besondere Anziehungskraft ausgeübt. Sein oberster Kamm reicht ja noch nicht in eigentlich hohe Schichten der Atmosphäre hinein; er wirkte also nicht so verlockend wie die stolzeren Gipfel der Alten und der Neuen Welt. Und doch gab es in dieser Kette einen Punkt, den kein Tourist hätte erreichen können, denn er schien sozusagen unersteigbar zu sein.
War dieser Punkt, der Great Eyry, aber von den Bergsteigern bis jetzt außer acht gelassen worden, so sollte er doch bald die öffentliche Aufmerksamkeit, ja sogar eine beängstigende Unruhe erwecken, und zwar aus ganz merkwürdigen Ursachen, die ich am Anfang dieser Erzählung schildern muss.
Wenn ich hier meine eigene Person einführe, möge das dadurch entschuldigt werden, dass ich mit einer der außergewöhnlichsten Erscheinungen, deren Zeuge das zwanzigste Jahrhundert sein kann und sein wird, sozusagen recht eng verknüpft gewesen bin, wie sich das im weiteren zeigen wird. Noch manchmal frage ich mich wirklich, ob das, was meine Erinnerung – vielleicht wäre es richtiger zu sagen: meine Fantasie – mir vorgaukelt, sich überhaupt so zugetragen hat, wie es sich mir jetzt darstellt. Bei meiner Eigenschaft als Oberinspektor der Washingtoner Polizei, bei der angebornen Neugier oder Wißbegier, die in mir bis zum höchsten Grade entwickelt ist, und ferner, da ich schon seit fünfzehn Jahren mit den verschiedensten Angelegenheiten beschäftigt und oft mit den heikelsten Aufträgen betraut war, für die ich gerade eine besondere Vorliebe habe … ist es ja nicht zu verwundern, dass meine Vorgesetzten mir auch diese unglaubliche Aufgabe stellten, bei deren – wenigstens versuchten – Lösung ich auf die undurchdringlichsten Geheimnisse stoßen sollte. Für das, was ich im folgenden erzähle, muss ich freilich von vornherein darum bitten, dass man mir aufs Wort glaube.
Für die wunderbaren Tatsachen kann ich leider kein anderes Zeugnis als das meinige beibringen. Will man mir nicht glauben … auch gut … halte das jeder nach Belieben.
Der Great Eyry steigt aus der malerischen Kette der Blauen Berge auf, die sich im westlichen Teil von North Carolina erhebt. Seine rundliche Gestalt erblickt man schon, wenn man über den am Ufer des Satawba-Flusses erbauten Flecken Morganton hinauskommt, noch besser vom Dorfe Pleasant-Garden aus, das dem Berge um einige Meilen näher liegt.
Was ist nun eigentlich dieser Great Eyry? Rechtfertigt er die Bezeichnung, die ihm die Bewohner der dem Gebiet der Blauen Berge benachbarten Gegend beigelegt haben? Es erscheint ja natürlich, dass sie ihm diesen Namen gaben wegen seiner überwältigend großartigen Silhouette, die unter gewissen atmosphärischen Verhältnissen azurfarbig leuchtet. Wenn aber der Great Eyry zu einem »Horst« gestempelt wurde, entsteht doch die Frage, ob auf ihm Raubvögel, Adler, Geier oder Kondore nisten. Ist der Berg denn wirklich eine Wohnstätte dieser mächtigen Segler der Lüfte? Sieht man sie in kreischenden Gesellschaften um diesen Zufluchtsort herumschweben, der nur ihnen allein zugänglich ist? … Mitnichten; sie erscheinen hier nicht in größerer Zahl als auf den anderen Gipfeln der Alleghenies. Ja, im Gegenteil – und das ist hier wiederholt beobachtet worden – an gewissen Tagen beeilen sich diese Vögel, wenn sie sich dem Great Eyry genähert hatten, vielmehr, aus seiner Nähe zu fliehen, und nachdem sie ihn mehrmals umkreist haben, fliegen sie mit betäubendem Geschrei nach allen Seiten davon.
Warum also der Name Great Eyry (etwa: Großer Horst)? Hätte man nicht lieber den Namen »Kessel« wählen sollen, wie man solche in den Berggegenden aller Länder antrifft? Zwischen den ihn umschließenden hohen Wänden findet sich doch jedenfalls eine breite und tiefe Aushöhlung. Ja, man kann nicht einmal wissen, ob diese nicht vielleicht einen kleinen See, eine Art vom Regen und Schnee des Winters gespeiste Lagune enthält, wie solche an manchen Stellen und in verschiedenster Höhenlage in der Appalachenkette ebenso wie in mehreren Gebirgszügen der Alten und Neuen Welt vorkommen. Wäre es also nicht richtiger, wenn dieser Felsriese in der geografischen Namensliste unter einer Bezeichnung wie der erwähnten aufgenommen wäre?
Um die ganze Reihe von Mutmaßungen zu erschöpfen, möchten wir auch noch fragen, ob es sich hier nicht um den Krater eines Vulkans handeln könnte, vielleicht um einen schon lange schlummernden Vulkan, der durch Vorgänge in seinem Innern eines Tages doch wieder aus dem Schlafe geweckt werden könnte. Dann wären in seiner Umgebung am Ende gar heftige Ausbrüche, wie die des Krakatoa, oder verhängnisvolle Katastrophen, wie die vom Mont Pelée verursachte, zu befürchten. Nahm man dagegen das Vorhandensein eines Bergsees im Innern an, dann konnte sein Wasser vielleicht in den Schoß der Erde eindringen, durch deren Zentralfeuer verdampft werden und dann die Ebene von Karolina mit einem Ausbruch bedrohen, gleich dem, der 1902 einen Teil der Insel Martinique verwüstet hatte.
Wie zum Hinweis auf eine solche Möglichkeit verrieten einzelne, unlängst beobachtete Erscheinungen, wie das Austreten von Dampfwolken, die Wirkung von plutonischer Tätigkeit im Innern der Bergmasse. Einmal wollten auf den Feldern der Umgebung beschäftigte Bauern sogar dumpfe und unerklärliche Geräusche vernommen haben.
In der Nacht waren auch Flammengarben in die Höhe geschossen. Aus dem Innern des Great Eyry wirbelten Dampf- und Rauchwolken empor, und wenn sie der Wind nach Osten zu vertrieben hatte, ließen sie auf der Erde Spuren von Asche und Ruß zurück. Die bleichen Flammen, die von den unteren Wolkenschichten zurückgestrahlt wurden, warfen dann bei der allgemeinen Dunkelheit einen unheimlichen Lichtschein über die Umgebung.
Angesichts dieser seltsamen Erscheinungen kann es nicht wundernehmen, dass man sich hier im Lande ernsthaft beunruhigt fühlte. Zu dieser Beunruhigung gesellte sich noch das dringende Verlangen, zu wissen, woran man sich zu halten habe. Die Zeitungen von Karolina brachten ununterbrochen Mitteilungen über das, was sie »das Geheimnis des Great Eyry« nannten. Sie erörterten die Frage, ob es nicht etwas zu gefährlich sei, in einer solchen Nachbarschaft zu wohnen. Ihre Artikel erregten gleichzeitig Neugier und Befürchtungen: Neugier bei denen, die, selbst in Sicherheit, sich für die Vorgänge in der Natur interessierten, Befürchtungen bei denen, die Gefahr liefen, deren Opfer zu werden, wenn die jetzt noch örtlichen Erscheinungen sich über die Umgebungen des Berges verbreiteten. Zum größten Teil waren das die Bewohner der Flecken Pleasant-Garden und Morganton, sowie die der Dorfschaften und der zahlreichen zerstreuten Farmen am Fuße der Appalachenberge.
Es war entschieden bedauerlich, dass Bergsteiger noch niemals versucht hatten, in das Innere des Great Eyry einzudringen. Noch keiner hatte die Felsenwand, die dieses umrahmte, überstiegen, und vielleicht fand sich darin auch nirgends eine Lücke, die den Zugang dahin ermöglicht hätte.
Überragte denn den Great Eyry auch nicht ein nahegelegener kuppel- oder kegelförmiger Gipfel, von dem aus man ihn in seinem ganzen Umfange hätte übersehen können? … Nein; im Umkreise von mehreren Kilometern kam ihm kein anderer Berg an Höhe gleich.
Der Mount Wellington, eine der mächtigsten Erhebungen in der Alleghenykette, lag dazu in zu großer Entfernung.
Jetzt machte sich aber auf jeden Fall eine eingehende Untersuchung des Great Eyry nötig. Im Interesse des ihn umgebenden Landstriches musste man darüber Gewissheit erhalten, ob er einen Krater einschlösse und ob das westliche Gebiet von North Carolina von einem vulkanischen Ausbruch bedroht wäre. Es galt jetzt also dringlichst den Versuch, den Berg zu ersteigen und die Ursache der in der letzten Zeit beobachteten Erscheinungen zu ergründen.
Vor einem solchen Versuche, dessen ernste Schwierigkeiten sich niemand verhehlte, bot sich da zufällig noch eine Möglichkeit, die innere Anordnung des Great Eyry zu besichtigen, ohne den trotzigen Felsen zu erklimmen.
In den ersten Tagen des Septembers sollte nämlich in Morganton ein Ballon mit dem Luftschiffer Wilker aufsteigen. Geschah das bei einer östlichen Luftströmung, so wurde der Ballon nach dem Great Eyry hin getragen, und es eröffnete sich die Aussicht, dass er über diesen vorüberschwebte. Befand er sich dann einige hundert Fuß über dem Berge, so konnte Wilker diesen mit Hilfe eines guten Fernrohres leicht besichtigen, seine Verhältnisse in der Tiefe erkennen und sich überzeugen, ob sich zwischen den hohen Gesteinsmauern ein Vulkanschlot zeigte. Das war ja überhaupt die wichtigste Frage. War diese gelöst, so wusste man auch, ob die Umgebung in näherer oder fernerer Zeit einen Ausbruch zu befürchten hätte.
Der Aufstieg erfolgte in der angedeuteten Weise bei mäßigem, aber stetigem Winde und klarem Himmel. Die Dunstmassen des Morgens hatten sich unter den glänzenden Strahlen der Sonne verflüchtigt. War nun das Innere des Great Eyry nicht von Nebelwolken erfüllt, so konnte ihn der Luftschiffer in seiner ganzen Ausdehnung übersehen. Stiegen aus dem Innern Dämpfe auf, so musste er diese wahrnehmen. In diesem Falle musste man dann zugeben, dass an dieser Stelle der Blauen Berge ein Vulkan mit dem Great Eyry als Krater vorhanden war.
Der Ballon stieg anfangs gegen 1500 Fuß empor und blieb dann eine Viertelstunde lang ziemlich unbewegt stehen. In jener Höhe war kein Wind mehr bemerkbar, obwohl er noch über den Erdboden unten hinwegstrich. Zur größten Enttäuschung geriet der Ballon dann aber in eine andere Luftströmung und schwebte nach Osten zu. Damit entfernte er sich leider von der Bergkette, und es schwand jede Hoffnung, ihn dahin zurückkehren zu sehen. Den Bewohnern des Fleckens verlor er sich bald aus den Augen, und später hörte man, dass er in der Nähe von Raleigh, der Hauptstadt von North Carolina, gelandet war.
Dieser Versuch war also missglückt, und man beschloss deshalb, ihn unter günstigeren Verhältnissen zu wiederholen. Zeitweilig waren auch noch andere Geräusche hörbar geworden, während auch gemengte Dämpfe aufstiegen und der Schein von flackernden Flammen sich an den Wolken spiegelte. Dass die herrschende Unruhe dabei nicht abnahm, liegt wohl auf der Hand; die Gegend blieb ja nach wie vor von seismischen oder vulkanischen Erscheinungen bedroht.
In den ersten Apriltagen des laufenden Jahres sollten sich die mehr oder weniger unklaren Befürchtungen gar noch zum wirklichen Schrecken steigern. Die Tagesblätter der Gegend hallten auch von der öffentlichen Beängstigung wider. Das ganze Gebiet zwischen der Bergkette und dem Flecken Morganton sah sich von nahe bevorstehender Zerstörung bedroht.
In der Nacht vom 4. zum 5. April wurden die Einwohner von Pleasant-Garden durch eine von schrecklichem Getöse begleitete Erderschütterung aus dem Schlummer geweckt, und der naheliegende Gedanke, dass der benachbarte Teil des Bergzuges zusammenbrechen könnte, rief eine unbeschreibliche Panik hervor. Alle stürzten, zum Fliehen bereit, aus den Häusern, da sie jeden Augenblick fürchteten, einen Abgrund sich auftun zu sehen, der Farmen und Dörfer auf einer Strecke von zehn bis fünfzehn Meilen zu verschlingen drohte.
Die Nacht war tiefdunkel. Eine schwere Wolkendecke hing drückend über der Erde. Selbst bei hellem Tage wäre der Kamm der Blauen Berge dabei nicht sichtbar gewesen.
Inmitten der herrschenden Finsternis war aber gar nichts zu unterscheiden, kaum konnte man auf das Wehgeschrei antworten, das sich auf allen Seiten erhoben hatte. Bestürzte Gruppen, Männer, Frauen und Kinder, suchten nur noch gangbare Wege zu finden und drängten einander in wirrem Knäuel hier- und dorthin.
»Das ist ein Erdbeben!« tönte es von verschiedenen Seiten her.
»Ein Vulkanausbruch!«
»Doch woher?«
»Vom Great Eyry!«
Bis nach Morganton verbreitete sich die Schauermär, dass es Steine, Asche, Lava und Schlacken über das Land regne.
Man hätte nun dagegen darauf hinweisen können, dass das Getöse – wenigstens bei einem Vulkanausbruch – hätte deutlicher werden und dass dabei Flammen über dem Kamm der Bergkette hätten aufleuchten müssen. Glühende Lavaströme hätten doch auch bei der Finsternis dem Blick nicht entgehen können. Über dergleichen gab sich aber niemand Rechenschaft; die zum Tode erschreckten Leute versicherten nur, in ihren Häusern Erschütterungen des Erdbodens gefühlt zu haben. Es war ja übrigens möglich, dass solche Erschütterungen durch den Sturz eines riesigen Felsblockes verursacht worden wären, der sich etwa von der Wand der Bergkette abgelöst haben könnte.
Alle warteten, eine Beute tödlicher Angst, und hielten sich fertig, nach Pleasant-Garden oder Morganton zu flüchten.
So verrann eine Stunde ohne weiteren Zwischenfall. Kaum machte sich eine westliche, durch den langen Schirm der Appalachen abgeschwächte Brise bemerkbar, die durch die steifen Nadeln der in der Niederung angehäuften Koniferen hinstrich.
Es geschah also nichts, was die Leute aufs neue erschreckt hätte, und jeder dachte daran, in sein Haus zurückzukehren, da es den Anschein hatte, als ob nichts weiter zu fürchten sei, doch sehnten sich alle danach, dass es endlich wieder hell würde.
Dass hier ein Einsturz erfolgt und jedenfalls ein großes Felsstück von der Höhe des Great Eyry herabgerollt war, unterlag ja keinem Zweifel. Beim ersten Tagesschein musste es leicht sein, sich darüber Gewissheit zu verschaffen, wenn man um den Fuß des Berges, eine Strecke von einigen Meilen, herumging.
Da kam es aber gegen drei Uhr früh zu einem neuen Alarm: Über dem felsigen Rand des Great Eyry züngelten plötzlich Flammengarben auf. Von den Wolken widergespiegelt, verbreiteten sie in weitem Umkreise eine gespenstische Helligkeit. Gleichzeitig vernahm man ein deutliches Krachen von dem Berge her.
Man fragte sich, ob da oben eine Feuersbrunst ausgebrochen wäre und was wohl eine solche verursacht haben könnte. Das Feuer vom Himmel konnte sie nicht entzündet haben, denn niemand hatte einen Blitz herniederzucken sehen. An Nahrung hätte es einem Feuer freilich nicht gefehlt. Die Alleghenykette ist, ebenso wie der Mount Cumberland und die Blauen Berge, auch hoch oben noch mit Wald bedeckt. Dort sprossen noch zahlreiche Bäume, Zypressen, Fächerpalmen und andere Bäume mit beständiger Belaubung.
»Der Ausbruch! … Der Ausbruch!«
So erschallte es von allen Seiten. Ein Ausbruch! Der Great Eyry bildet also den Krater eines bis tief in die Eingeweide der Erde hinabreichenden Vulkans? Sollte dieser, nachdem er so viele Jahre, ja vielleicht Jahrhunderte geschlummert hatte, jetzt zu erneuter Tätigkeit erwachen? … Würde sich zu den Flammen noch ein Steinregen, ein Auswurf von glühenden Massen gesellen? Glitten wohl bald geschmolzene Lavamassen herunter, eine Lawine oder ein Feuerstrom, der auf seinem Wege alles verbrannte, der Flecken und Dörfer und Farmen, kurz, die ganze Gegend mit ihren Ebenen, Feldern und Waldungen bis hinaus nach Pleasant-Garden oder Morganton verwüstete?
Jetzt überstieg der Schrecken alle Grenzen … nichts konnte ihn mehr aufhalten. Wahnsinnig vor Entsetzen schleppten die Frauen ihre Kinder fort und stürmten auf den Wegen nach Osten hin, umso schnell wie möglich dem Schauplatz dieser tellurischen Störungen zu entfliehen. Die Männer wieder räumten ihre Häuser aus, packten zusammen, was ihnen am wertvollsten war und setzten die Haustiere in Freiheit, die – Pferde, Rinder und Schafe durcheinander – nach allen Seiten hin zerstoben. Welch schrecklichen Wirrwarr ergab dieser Haufen von Menschen und Tieren in der dunklen Nacht, als er sich dahinwälzte durch die vom Feuer des Vulkans bedrohten Wälder und längs sumpfiger Gewässer, die vielleicht bald austreten sollten. Ja, vielleicht fehlte es den Fliehenden zuletzt selbst an Boden, denn würden sie auch noch Zeit finden, sich zu retten, wenn eine Lawine glühender Lava sich herunterwälzte, ihnen den Weg abschnitt und jede weitere Flucht unmöglich machte?
Einzelne der mehr begüterten Farmenbesitzer erwiesen sich jedoch überlegter und hatten sich der sinnlos erschreckten Menge, die sie nicht zurückhalten konnten, nicht angeschlossen.
Sie wagten sich vielmehr bis auf eine Meile nahe an die Bergkette heran und überzeugten sich dabei, dass die Flammen allmählich schwächer wurden und vielleicht gänzlich erlöschen würden. In der Tat schien die Gegend von keinem Ausbruch bedroht zu sein. Kein Stein war in die Luft geschleudert worden, kein Lavastrom schlängelte sich den Bergabhang hinunter und aus der Erde war kein Donnern und Krachen zu vernehmen. Kurz, es zeigten sich keinerlei seismische Störungen, die sonst zuweilen in kürzester Zeit ein ganzes Land durcheinanderwürfeln können.
Unzweifelhaft konnte man dagegen beobachten, dass sich das Feuer im Innern des Great Eyry abschwächte. Die Rückstrahlung von den Wolken verblasste allmählich, und das Land umher musste in kurzer Zeit wieder in tiefer Finsternis liegen.
Die lärmende Menge der Geflohenen war inzwischen auf einer gegen jede Gefahr voraussichtlich geschützten Stelle zum Stillstand gekommen. Schließlich kehrten manche davon zurück, und noch vor dem ersten Tagesgrauen hatten diese sich wieder in verschiedene Dörfer und Einzelgehöfte hineingewagt.
Noch gegen vier Uhr färbten sich die Ränder des Great Eyry schwach mit einem fahlen Scheine. Die Feuersbrunst erlosch, wahrscheinlich aus Mangel an weiterer Nahrung, und obwohl es noch immer unmöglich war, ihre Ursache zu erkennen, durfte man doch hoffen, dass sie nicht noch einmal aufflackern werde.
Jedenfalls ließ sich annehmen, dass der Great Eyry nicht der Schauplatz vulkanischer Vorgänge gewesen war. Es schien also nicht so, als ob die Bewohner der Umgebung durch ihn von einem verderblichen Ausbruch oder einem Erdbeben bedroht wären.
Da vernahm man gegen fünf Uhr, als der Kamm des Gebirges noch in nächtliches Dunkel gehüllt war, über diesem ein seltsames Rauschen, eine Art regelmäßiges Keuchen, das von mächtigen Flügelschlägen begleitet war. Und wenn es schon Tag gewesen wäre, hätten die Insassen der Farmen und der Dörfer einen riesigen Raubvogel, ein Ungeheuer des Luftmeeres, vorüberschweben sehen können, der, nachdem er sich über den Great Eyry erhoben hatte, in der Richtung nach Osten verschwand.
Am 26. April war ich von Washington abgefahren und traf am nächsten Tage in Raleigh, der Hauptstadt von North Carolina, ein.
Zwei Tage vorher hatte mich der Generaldirektor der Polizei nach seinem Amtszimmer rufen lassen. Mein Vorgesetzter erwartete mich da mit sichtlicher Ungeduld. Dann hatte ich mit ihm folgendes Gespräch, das die Veranlassung zu meiner Abreise wurde.
»John Strock«, begann er, »sind Sie noch immer der findige und eifrige Mann, der uns bisher Beweise von diesen Eigenschaften geliefert hat?«
»Herr Ward«, antwortete ich mit einer Verbeugung, »es steht mir nicht zu, Ihnen zu versichern, dass ich von meiner Findigkeit, wie Sie sagen, nichts verloren habe, was aber meinen Eifer betrifft, darf ich wohl erklären, dass dieser noch ganz derselbe geblieben ist …«
»Ja, ja, ich glaube Ihnen«, sagte Herr Ward, »und ich richte an Sie auch nur noch die eingeschränktere Frage: Sind Sie noch immer der alte, der begierig ist, jedes Geheimnis zu enthüllen, wie ich Sie von früher her kenne?«
»Noch immer, Herr Ward …«
»Und dieser Forschungseifer hat keine Abschwächung erlitten dadurch, dass Sie ihn so häufig betätigt haben?«
»Ich glaube, in keiner Weise.«
»Nun denn, Strock, so hören Sie mich an!«
Der Polizeidirektor war jener Zeit fünfzig Jahre alt, im Besitz aller seiner geistigen Fähigkeiten und sehr gewandt in den wichtigen Aufgaben, die sein Amt ihm auferlegte. Wiederholt hatte er mich mit schwierigen Missionen betraut, die ich zur Zufriedenheit ausgeführt hatte, selbst bei solchen, die die Politik berührten, und ich hatte mich dabei immer seiner vollen Anerkennung zu erfreuen. Seit einigen Monaten war jetzt keine Gelegenheit gewesen, meine Dienste in Anspruch zu nehmen, und diese unfreiwillige Muße wurde mir schon recht lästig. Ich erwartete also mit einiger Ungeduld, was Herr Ward mir mitzuteilen haben würde, zweifelte aber nicht, dass es sich um eine ernsthafte Sache handelte, wenn er mich deswegen ins Feld schicken wollte.
Und da handelte es sich denn um eine Angelegenheit, die zur Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit nicht allein in North Carolina und dessen Nachbarstaaten, sondern auch in ganz Amerika lebhaft beschäftigte.
»Es kann Ihnen nicht unbekannt geblieben sein«, begann er, »was sich in einem gewissen Gebiet der Appalachen in der Nähe des Fleckens Morganton zugetragen hat?«
»Natürlich nicht, Herr Direktor; und diese mindestens seltsamen Vorkommnisse sind meiner Ansicht nach gewiss geeignet, auch die Neugier anderer, als eines Menschen wie ich zu erregen.«
»Dass sie seltsam, ja höchst merkwürdig sind, ist ja nicht zu bezweifeln. Es drängt sich dabei aber die Frage auf, ob die betreffenden, am Great Eyry beobachteten Erscheinungen nicht eine Gefahr für die Bewohner jenes Landesteils in sich bergen, ob sie nicht darauf hindeuten, dass dort ein vulkanischer Ausbruch oder eine heftige Erderschütterung zu befürchten sei …«
»Ja, freilich, Herr Direktor …«
»Es ist also von großem Interesse, zu erfahren, wie es dort steht. Sind wir auch ohnmächtig gegenüber einer gewaltsamen Störung in der Natur, so ist es doch geboten, die bedrohten Leute wenigstens vor der Gefahr, der sie entgegengehen, beizeiten zu warnen.«
»Das ist entschieden die Pflicht der Behörden, Herr Ward«, antwortete ich. »Man wird zu erfahren suchen müssen, was eigentlich da oben vorgeht.«
»Gewiss, Strock; mir scheint nur, das wird mit großen Schwierigkeiten verknüpft sein. In der dortigen Gegend behauptet man beständig, es sei unmöglich, die Felsmasse des Great Eyry zu erklimmen und in dessen Inneres zu dringen. Hat man das aber überhaupt schon ernstlich und unter Verhältnissen versucht, die ein Gelingen in Aussicht stellten? Das glaub’ ich nicht, und meiner Ansicht nach müsste ein wohldurchdachter Versuch doch von Erfolg sein.«
»Unmöglich ist ja nichts, Herr Direktor, und hierbei handelt es sich am Ende um weiter nichts, als um die erforderlichen Kosten …«
»Um einen ganz gerechtfertigten Aufwand, Strock, um Unkosten, die gar nicht in Betracht kommen können, wenn es gilt, eine ganze Bevölkerung zu beruhigen oder einem ihr drohenden Unheil vorzubeugen. Ist es denn übrigens so sicher, dass die Abhänge des Great Eyry so unersteigbar wären, wie man vielfach behauptet? Wer kann z.B. wissen, ob auf oder in dem Berge nicht eine Verbrecherrotte einen Schlupfwinkel gefunden hat, dessen Zugänge ihr allein bekannt sind?«
»Wie, Herr Ward, Sie hätten den Verdacht, dass Verbrecher …«
»Es kann ja sein, dass ich mich täusche, Strock, und dass dort alles seine natürlichen Ursachen hat. Gerade hierüber wollen wir aber Klarheit haben, und das sobald wie möglich.«
»Darf ich mir eine Frage erlauben, Herr Ward?«
»Recht gern, Strock.«
»Wenn man nun den Great Eyry besichtigt und die Ursache jener Erscheinungen kennengelernt hat, würden wir, wenn dort ein Krater vorhanden ist und etwa ein Ausbruch bevorsteht, imstande sein, das zu verhindern?«
»Nein, Strock, natürlich nicht, doch die Bewohner jenes Gebietes würden davon benachrichtigt werden. In den Dörfern würden die Leute wissen, woran sie sind, und die Farmen blieben verschont, von einem Unglücke überrascht zu werden. Wer kann denn jetzt wissen, ob irgendein Vulkan in den Alleghenies North Carolina nicht ebenso zu verwüsten droht, wie Martinique durch das Feuer des Mont Pelée? … Die Leute dort müssten sich doch wenigstens in Sicherheit bringen können …«
»Ich, Herr Ward, glaube noch immer, dass jenes Gebiet von keiner solchen Gefahr bedroht ist …«
»Und ich wünsche es, Strock. Es ist ja übrigens unwahrscheinlich, dass es in diesem Teil der Blauen Berge einen feuerspeienden Berg gibt. Die Appalachenkette ist nirgends von vulkanischer Natur. Dennoch hat man, nach den uns zugegangenen Berichten, aus dem Great Eyry Flammen auflodern sehen. Man hat geglaubt, Erderschütterungen, mindestens ein Erzittern des Bodens, bis in die Umgebung von Pleasant-Garden wahrzunehmen. Sind das nun Tatsachen oder bloße Einbildungen? Darüber müssen wir Gewissheit haben …«
»Mit vollem Recht, Herr Ward, und zwar ohne Aufschub.«
»Wir haben auch beschlossen, Strock, eine Untersuchung jener Erscheinungen am Great Eyry vornehmen zu lassen. Dazu muss sich jemand unverweilt nach dem Lande begeben, um dort alle Beobachtungen, die man gemacht hat, zu sammeln, der Betreffende muss die Bewohner der Dörfer und der Farmer ausfragen … Wir haben auch schon unsere Wahl getroffen, wem diese Aufgabe zufallen soll, und der Mann sind Sie, Strock …«
»O, das freut mich herzlich, Herr Ward«, rief ich; »seien Sie überzeugt, dass ich nichts vernachlässigen werde, Ihnen Aufklärung zu verschaffen.«
»Das weiß ich, Strock; mir schien es von Anfang ein Auftrag zu sein, der Ihnen genehm sein würde.«
»Genehm wie kein anderer, Herr Direktor!«
»Sie werden da eine schöne Gelegenheit haben, sich an einer Aufgabe zu versuchen, die ja Ihrem Temperament entschieden entspricht.«
»Ganz sicher, Herr Ward.«
»Übrigens werden Sie ganz unbeschränkt sein, nach eigenem Ermessen zu han