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WIM HOF
KOEN DE JONG

NIE WIEDER

KRANK

WIM HOF
KOEN DE JONG

NIE WIEDER

KRANK

Gesund, stark und leistungsfähig
durch die Kraft der Kälte

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

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Wichtige Hinweise

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und die Autoren haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

9. Auflage 2022

© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die niederländische Originalausgabe erschien 2015 bei Uitgeverij Lucht BV, The Netherlands, unter dem Titel Koud Kunstje. Wat Kun Je Lern van de Iceman.

© 2015 Wim Hof und Koen de Jong/Uitgeverij Lucht BV, The Netherlands. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Christa Trautner-Suder, Martina Fischer

Redaktion: Matthias Michel

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagabbildung: © Henny Boogert

Fotos: alle Fotos von Enahm Hof außer S. 178 Peter Schagen, S. 206 Michel Porro Illustrationen: Derek Brigham

Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-0562-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0117-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0116-8

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Inhalt

Prolog

Einleitung

Wim Hof

Kältetraining

Die Atmung

Einsatzwille

Wissenschaftliche Grundlagen

Wer kann von der Wim-Hof-Methode profitieren?

Do it yourself – in 28 Tagen

Epilog

Glossar

Weiterführende Literatur

Quellen

Über die Autoren

Danksagung

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Prolog

Oktober 2011. Ich schaue mir im Internet einen Clip an. Ein Mann zieht sich aus und geht in einen See, einen kalten See irgendwo in Island. Die Landschaft ist schneebedeckt, ich kann Eisberge sehen. Es handelt sich um einen Dokumentarfilm der BBC. Der Sprecher sagt: »Die Wassertemperatur ist kurz vor dem Gefrierpunkt, kalt genug, um bei den meisten Menschen innerhalb einer Minute zum Tod zu führen.«

Aber nicht bei diesem Mann.

Er schwimmt ganz ruhig, fünfzehn Minuten lang. Dieser Bursche ist verrückt, denke ich. Aber er macht mich auch neugierig. Wer ist er?

Wie sich herausstellt, ist sein Name Wim Hof.

Obwohl ich nicht sofort begreife, welchen Sinn es haben soll, zwischen Eisschollen herumzuschwimmen, ist meine Neugier geweckt. Ich schaue mir einen weiteren Clip an. Dieses Mal schwimmt Hof unter dem Eis. Es wird immer verrückter. Ich klicke weitere Clips an. Jetzt läuft Hof im Schnee mit nacktem Oberkörper einen Marathon. Er bestreitet einen Halbmarathon durch die Wüste, ohne irgendetwas zu trinken. Er sitzt eineinviertel Stunden in einem Eisbecken. Er läuft in kurzer Hose auf den Mount Everest.

Nachdem ich mir eine halbe Stunde lang diese Clips angesehen habe, drängt sich mir eine Frage auf: Wie ist das möglich?

Ebenfalls im Internet erklärt Hof, dass 80 Prozent dessen, was er da treibt, mit der Atmung zusammenhängen. Wie bitte? Ich mache selbst seit fünfzehn Jahren Atemübungen und habe ein Buch über die Atmung geschrieben, aber ich könnte niemals unter dem Eis schwimmen, ohne zu erfrieren.

Das macht mich nur noch neugieriger.

Was stellt Hof mit seiner Atmung an, um so viel mehr tun zu können als irgendjemand sonst? Ich möchte ihn gern persönlich dazu befragen. Also schicke ich ihm eine E-Mail über www.innerfire.nl. Keine Antwort. Ich schicke noch eine E-Mail. Keine Antwort. Dann schicke ich eine dritte E-Mail und erwähne Verademing, das Buch über die Atmung, das ich zusammen mit Bram Bakker geschrieben habe. Noch immer keine Antwort. Nach sechs Versuchen kommt endlich eine Reaktion. Von Enahm Hof, Wims Sohn. »Es ist sehr viel los und viele Leute wollen mit Wim sprechen«, erklärt er. »Außerdem ist er an Forschungsstudien beteiligt, die im Radboud University Medical Centre durchgeführt werden und sehr viel Zeit beanspruchen.«

Zum Glück aber kann ich kurz vorbeikommen und mit Wim sprechen.

Wir verabreden uns in einer Kleingartenanlage in Amsterdam-West. Wim begrüßt mich herzlich. Er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck »No Rules Today«. Es ist gut zu wissen, dass er sich nicht nur über alle physiologischen Gesetze hinwegsetzt, sondern auch ganz allgemein über Regeln.

Das Gespräch verläuft sofort angenehm und anregend. Bei diesem ersten Treffen erklärt Wim ein paar Atemübungen (mehr dazu später), von denen wir einige sofort ausführen. Erstaunlicherweise funktioniert es. Ich fühle mich munter und aufmerksam. Er erklärt mir auch, dass allein schon das Kältetraining eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden spielt. Seine extremen Kunststücke in der Kälte sind nicht nur eine Möglichkeit zu zeigen, was er mit seinem Körper alles tun kann, sondern die Kälte selbst hat eine Funktion. Hof ist überzeugt davon, dass Kälte gesund ist und wir mehr Vorteile aus ihr ziehen sollten. Er erzählt mir auch, wie er dies alles entdeckt hat und wie er Menschen hilft, die von seinen Atemübungen und dem Kältetraining sehr profitieren.

Dann frage ich ihn, warum er diese extremen Kunststücke ausführt.

Seine Augen werden ganz groß, als er sagt: »Unsere Atmung ist die Verbindung zwischen der körperlichen Welt und der Seele. Wenn wir, als menschliche Wesen, den Weg zurück zu unserer Seele finden können, werden wir den Krieg gewinnen.«

Wim bemerkt meinen erstaunten Gesichtsausdruck und bricht in Gelächter aus. »Ich meine den Krieg gegen Bakterien und Viren.«

Seine extremen Kunststücke erfüllen keinen Selbstzweck. Er will zeigen, wozu der menschliche Körper fähig ist. Nicht nur sein eigener Körper, sondern der jedes Menschen. Ihren und meinen eingeschlossen. Wim ist nie krank und bei vielen Menschen funktioniert seine Methode besser als jedes Medikament. Bis vor Kurzem war jedoch nicht klar, wie genau sie funktioniert. Nun gibt es gute Nachrichten, denn das geheime Wissen, über das Wim seit Jahrzehnten instinktiv verfügt, wurde kürzlich wissenschaftlich erforscht und bestätigt.

Kurz gesagt: Wir können das autonome Nervensystem unseres Körpers tatsächlich beeinflussen.

Untersucht wurde es im Radboud University Medical Centre in der niederländischen Stadt Nijmegen (Nimwegen). Welche Bedeutung hat dies für Stoffwechselerkrankungen wie Rheuma und Morbus Crohn? Und was bedeutet es für gesunde Menschen? Wie viel zusätzliche Energie kann es ihnen geben? Wim kann im Schnee Marathon laufen, aber wozu sind wir Normal-sterblichen fähig? Können wir von dieser Energie bei unserer Arbeit profitieren? Und können wir Wims Methode dazu nutzen, um Typ-2-Diabetes zu heilen? Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein.

Und dennoch möchte Wim, dass seine Methode die Welt erobert. Ich bin ein bereitwilliges Versuchskaninchen. Ich habe mit den Atemübungen angefangen, ich nehme Eisbäder und ich trainiere meinen Einsatzwillen. Ich habe alle meine Erfahrungen aufgeschrieben. Außerdem habe ich mit vielen Leuten gesprochen, die ebenfalls mit Wims Methode begonnen haben. Von all dem berichtet dieses Buch und natürlich schenke ich der Technik, dem Hintergrund und den Grundlagen von Wims Methode viel Aufmerksamkeit.

Ich schreibe in diesem Buch hauptsächlich in der Wir-Form, weil wir beide dazu beigetragen haben, wobei Wim allerdings das wesentliche Wissen beigesteuert hat. Hin und wieder spreche ich in der ersten Person Singular, weil ich das, was Wim tut, aus einer gewissen Distanz betrachten will. Sie wissen also Bescheid: »wir« bedeutet Wim und Koen und »ich« bin ich (Koen).

Wörter, die mit einem markiert sind, finden Sie im Glossar am Ende des Buchs mit einer kurzen Erklärung.

Haben Sie Freude beim Lesen – und viel Glück mit den kalten Duschen.

Koen de Jong

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Einleitung

In diesem Buch beschreiben wir eine Methode, die sich aus Atemübungen, Kältetraining und Einsatzwillen zusammensetzt. Benannt ist die Methode nach Wim Hof, denn er hat diese drei Komponenten zusammengebracht. Auch aus praktischen Gründen ist sie nach Hof benannt – er war aufgrund seiner vielen Auftritte im Fernsehen, die zeigten, was er mit der Kälte alles anstellen kann, bereits bekannt.

Die Methode basiert auf Wim Hofs Training in natürlicher Umgebung, und das über viele Jahre. Lange hat er die Grenzen seines Körpers ausgetestet, indem er ihn zunehmend extremen Herausforderungen ausgesetzt hat. Eine wichtige Entdeckung dabei war, dass er seine Körperfunktionen in einer Weise kontrollieren kann, die man in der Wissenschaft nicht für möglich gehalten hätte.

Jeder gesunde Mensch kann die rechte Hand heben und sich mit dem Zeigefinger an der Nase kratzen. Aber kein Mensch kann selbst Bakterien bekämpfen, die ihm in den Arm injiziert wurden. Wim kann das. Er kann sein ▶ autonomes Nervensystem beeinflussen und kontrollieren. Und es ist das autonome oder vegetative Nervensystem, das Dinge wie die Körpertemperatur, Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung reguliert und bestimmt, ob sich die Blutgefäße ausweiten oder zusammenziehen. Mit anderen Worten: alles, was im Körper geschieht, ohne dass man sich dessen bewusst ist.

»Normale« Menschen können das nicht selbst kontrollieren. Deshalb heißt es »autonomes Nervensystem« – alles läuft automatisch ab. Die Tatsache, dass Wim seine autonomen Körperfunktionen kontrollieren kann, wurde lange Zeit als medizinisches Wunder betrachtet. Wim sieht dies jedoch anders: Er ist davon überzeugt, dass theoretisch jeder Mensch dazu in der Lage ist, sein eigenes autonomes Nervensystem zu beeinflussen.

2014 wurde bewiesen, dass er recht hat. Eine am Radboud University Medical Centre mit 24 Probanden durchgeführte wissenschaftliche Studie zeigte, dass die Probanden, die nach der Wim-Hof-Methode trainiert hatten, ihr autonomes Nervensystem kontrollieren konnten.

Eine Entdeckung, die die Welt verändern wird

Die weitreichenden Konsequenzen dieser Entdeckung sind bislang noch nicht absehbar. Wenn die Menschen ihr autonomes Nervensystem beeinflussen können, was bedeutet dies dann für diejenigen, die unter ▶ Autoimmunerkrankungen leiden? Autoimmunerkrankungen treten auf, wenn das Immunsystem fälschlicherweise die körpereigenen Zellen und Gewebe angreift. Wenn Sie Ihr eigenes autonomes Nervensystem beeinflussen können, können Sie dann Ihrem Körper mitteilen, dass dies schädlich ist? Und können übergewichtige Menschen ihrem Körper sagen, er solle energiearme Fette als Treibstoff nutzen?

Wenn wir tatsächlich unseren Körper kontrollieren können, eröffnen sich zahllose Möglichkeiten. Bisher haben wir nur schwere Erkrankungen erwähnt, aber Wim zufolge kann seine Methode auch genutzt werden, um einen ganz normalen Kater nach einer durchgefeierten Nacht in den Griff zu bekommen. Außerdem empfinden Sie sehr viel mehr Energie. Auch dann, wenn Sie völlig gesund sind.

Nachdem wissenschaftlich bewiesen wurde, dass Wim sein Nervensystem beeinflussen kann, wünscht er sich nichts mehr, als möglichst vielen Menschen seine Methode zu vermitteln. Wobei er, als eine Frau fragte, was sie in einem seiner Kurse lernen würde, antwortete: »Ich kann Ihnen gar nichts beibringen, Sie sind nur hier, um sich bestimmte Dinge abzugewöhnen

Damit meint Wim, körperliche Fähigkeiten zu nutzen, die im Körper bereits vorhanden sind. Wir müssen nur den Schlüssel finden, um dieses körperliche Potenzial wiederzuentdecken, und dazu sind lediglich zwei Dinge nötig: Atemübungen und Kältetraining.

Um diese beiden Dinge richtig zu machen, brauchen Sie einen guten Einsatzwillen. Die drei Komponenten zusammen – Atemübungen, Kältetraining und Einsatzwille – machen das aus, was wir als Wim-Hof-Methode (WHM) bezeichnen.

Wir beschreiben die drei Komponenten in drei gesonderten Kapiteln und stellen natürlich Übungen vor, die Sie selbst durchführen können. Zu Hause. Und Sie können sofort damit anfangen, heute noch.

Wir geben zu den Übungen auch einige Hintergrundinformationen. Woran erkennen Sie, ob die Übungen Wirkung zeigen? Und wie wirken sie sich physiologisch aus? Wim Hof wird viel über seine Erfahrungen berichten, um Sie anzuregen und Ihnen ein tieferes Verständnis dafür zu vermitteln, was geschieht, wenn Sie seine Methode anwenden. Aber Wim ist radikal. Sie müssen nicht nach Island reisen, um eine Viertelstunde zwischen Eisschollen zu schwimmen; für den Anfang sind kalte Duschen ausreichend. Daher berichten wir von Menschen, die die WHM bereits anwenden. Einige haben faszinierende Geschichten zu erzählen. Marianne Peper beispielsweise nahm normalerweise zwölf verschiedene Medikamente gegen ihr Rheuma ein und konnte sich wegen ihrer Schmerzen nicht selbst anziehen. Nun nimmt sie keine Tabletten mehr und fühlt sich sehr gesund.

Wir hoffen, dass diese und ähnliche Geschichten Sie dazu bewegen werden, mit den Übungen zu beginnen. Allein die Kombination von Atemübungen und Kältetraining kann zu erstaunlichen Ergebnissen führen. Wir begrüßen es auch, wenn Sie skeptisch sind und unsere begeisterten Schilderungen nicht für bare Münze nehmen wollen. Solange Sie skeptisch sind, sind Sie auch neugierig und wissbegierig.

Wim hat auch Gegner, die nicht skeptisch, sondern sarkastisch sind. Sie bezeichnen ihn als Scharlatan. Wenn jedoch aus Skepsis Sarkasmus wird, können Sie nicht mehr erkennen, was funktioniert und was möglich ist. Lesen Sie dieses Buch also mit einer gesunden Dosis Vorbehalt, aber werden Sie nicht zu sarkastisch.

Bevor wir mit dem Kapitel über das Kältetraining beginnen, wollen wir uns Wim Hof etwas näher anschauen. Wer ist dieser Mann, der so viel mehr kann als andere Menschen?

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Wim Hof

Damit Sie Wim Hof ein wenig kennenlernen, bevor Sie anfangen, mit seiner Methode, der WHM, zu arbeiten, wollen wir ihn kurz vorstellen. Es ist gut und nützlich zu wissen, was ihn dazu gebracht hat, die Kälte aufzusuchen und in seinem Bestreben immer radikaler zu werden.

Sittard

Wim Hof wurde 1959 in der Stadt Sittard, im südlichen Teil der niederländischen Provinz Limburg geboren. Er hat sieben Brüder und zwei Schwestern und auf die Welt kam er im Flur des örtlichen Krankenhauses. Nachdem seine Mutter seinen Zwillingsbruder André geboren hatte, merkte niemand, dass noch ein zweites Kind unterwegs war. Als der Arzt bereits gegangen war, stellten sich bei seiner Mutter erneut Wehen ein.

Als gute Katholikin betete sie, auch das zweite Kind möge gesund zur Welt kommen. Sie äußerte die Hoffnung, wenn dieses Kind gesund sein würde, möge es Missionar werden. Wims Mutter erzählte diese Geschichte regelmäßig und er glaubt, dass die Umstände seiner Geburt und die Stärke seiner Mutter großen Einfluss auf ihn hatten.

Bereits früh war der kleine Wim von Kälte fasziniert. In einer eisigen Winternacht fand ein Nachbar den Siebenjährigen im Schnee. Der Junge war aus dem Bett geklettert und hatte sich von der weißen Landschaft stark angezogen gefühlt. Er schlich hinaus und legte sich im Schnee schlafen. Hätte der Nachbar ihn nicht entdeckt, wäre er wahrscheinlich erfroren.

Doch Wim wurde als kleiner Junge nicht nur von der Kälte angezogen. Er liebte auch Bücher. Mit gerade mal neun Jahren verschlang er Bücher über fremde Religionen, Yoga und Meditation. Sein Interesse wurde durch seinen älteren Bruder geweckt, der mehrere Monate lang im Nahen und Mittleren Osten getrampt und mit merkwürdigen und wunderbaren Geschichten zurückgekehrt war. Vor vierzig Jahren war eine solche Reise durch die Türkei, Iran, Pakistan und Indien noch geheimnisvoll. Sein Bruder hatte sich verändert, nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich. Seine langen Haare und seine Kleidung machten ihn zu einer auffälligen Erscheinung. Wim blickte zu seinem Bruder auf und fühlte sich von fernen Ländern und fremden Religionen stark angezogen. Zudem bemerkte er an seinem Bruder eine Energie und Heiterkeit, die ihn neugierig machten.

In der Stadtbibliothek gab es Bücher über Hinduismus und Buddhismus und Wim lernte daraus bereits in sehr jungen Jahren das Meditieren. In der katholischen Kirche in Sittard konzentrierte er sich mehr auf seine Atmung als auf die Worte des Pfarrers bei der Predigt. Anhand Mircea Eliades Buch Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit brachte er sich selbst Yoga bei. Damals war Wim erst zehn Jahre alt und ging mit offenem Widerwillen zur Schule. Er war bekannt als eigenwilliger, cleverer und fröhlicher Junge. Seine Wissbegierde war groß, allerdings nicht auf intellektueller Ebene, sondern durch eigenes Erfahren und Erleben. Mit 17 Jahren beschloss Wim, von der Schule abzugehen und nach Indien zu reisen. Dort wollte er einen Lehrer finden, der ihm mehr über die wirklich wichtigen Dinge im Leben beibringen konnte. Er suchte nach einem tieferen spirituellen Verständnis.

Indien – das kalte Wasser des Ganges

Also flog Wim nach Karatschi und fuhr von dort mit dem Zug nach Neu-Delhi. Auf der Suche nach Yogis schlief er in dem riesigen Birla-Mandir-Tempelkomplex. Dort begegnete er dem Besitzer eines Teehauses und dem rebellischen Sohn eines Teppichmagnaten. Die beiden Männer überzeugten Wim, sie nach Rishikesh und Badrinath zu begleiten, zwei Pilgerstätten am Ganges.

Gemeinsam machte sich das ungewöhnliche Trio auf den Weg: ein kräftiger bärtiger Sikh, der ein Teehaus leitete, ein schwarzes Schaf aus der Teppichindustrie, das alles haben konnte, was es wollte, und der Korruption in seiner Welt überdrüssig war, und der Niederländer, den beide für verrückt hielten, weil er mehrmals pro Tag im Ganges schwamm. Wim schwamm sogar ans andere Ufer hinüber, eine beachtliche Leistung angesichts der starken Strömung. Er beeindruckte seine Gefährten außerdem durch seine akrobatischen Yogaübungen, obwohl er keine einzige Yogastunde in seinem Leben gehabt hatte.

In Indien entdeckte Wim, dass ihn sein ▶ autodidaktischer Ansatz schon weit gebracht hatte. Er konnte bereits auf einem Bein stehen und das andere Bein hinter seinen Nacken bringen, eine Position, für deren Beherrschung viele Menschen jahrelang üben müssen.

Seine Reisebegleiter blieben in einem ▶ Ashram zurück, aber Wim fühlte sich dort nicht zu Hause. Ihm gefiel die »anhänglich-vertrauliche« Art der anderen ausländischen Besucher nicht, und obgleich viele Yogis sehr spezielle Techniken erlernt hatten, mochte er die Art und Weise nicht, in der sie davon profitierten. Außerdem entdeckte er, dass er von ihnen nicht viel lernen konnte, weil er ihre Geschicklichkeit bereits besaß. Er setzte seine Reise zu Fuß allein fort.

Kaltes Wasser, eine Entdeckung

Dort, wo der Ganges zwischen himmelhohen Bergen in einer Kaskade aus Wasserfällen ins Tal donnert, hatte Wim ein erstaunliches Erlebnis. Er fühlte inneren Frieden und eine gewaltige Kraft. Er verspürte den unwiderstehlichen Drang, in den gefährlichen Wasserfall zu springen – und genau das tat er auch. Nach einer schwierigen Schwimmstrecke stand Wim unter dem mächtigen Wasserfall und seine Gedanken wurden sofort von dem kalten Wasser abgeschaltet.

Dieses Gefühl einer Stärke und einer Kraft, die viel größer waren als er selbst, fesselte ihn. Seither liebt er eiskaltes Wasser.

Wim war also auf der Suche nach Noumena (dem spirituell-philosophischen Hintergrund vieler esoterischer Bücher) nach Indien – der Wiege der Spiritualität – gereist und hatte dort entdeckt, welchen Einfluss Kälte auf seinen Körper und, vor allem, auf seinen Geist hat.

Nach dieser Entdeckung blieb Wim nicht länger in Indien. Zwar liebte er das Land, das Klima und die Menschen, aber er vermisste die Niederlande und beschloss, nach Hause zu reisen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, was er tun würde, aber die Lektion des eiskalten Wassers hatte bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Er wusste, dass er irgendetwas damit anfangen musste.

Amsterdam

1979 zog der mittlerweile Zwanzigjährige nach Amsterdam. Durch einen Freund seines Bruders bekam er einen Platz in einem besetzten Haus namens De Wielingen, einem ehemaligen Waisenhaus, wo er mit 90 anderen Leuten wohnte. Wim führte ein asketisches Leben, aß wenig und betrieb viel Yoga. Sein Lebensstil unterschied sich deutlich von dem der hippieähnlichen Studenten, die sonst in dem besetzten Haus lebten, LSD und Joints konsumierten und Haschkekse aßen, um in entrückte Stimmung zu kommen.

Im Vondelpark, einem großen Park in Amsterdam, zeigte Wim jedem, der sich dafür interessierte, die Yogapositionen, die er beherrschte, und erklärte auch gern ihre physiologische Grundlage. An einem sonnigen Herbsttag schwamm er im Teich des Parks. Triefend nass setzte er sich zum Trocknen in die Sonne. Da spürte er zwei Hände auf seinem Rücken, die bald darauf begannen, ihn zu massieren. Wim verharrte in seiner Yogaposition, ohne sich umzudrehen. Dort, im Freilichttheater im Vondelpark, spürte er die Liebe. Nach der Massage blickte er sich um und geradewegs in die Augen der Frau, die ihn massiert hatte. Sie ließ ihn vor Freude strahlen.

Die Frau hieß Olaya und war, wie sich herausstellte, Spanierin – genauer gesagt, sie stammte aus dem Baskenland. Von dem Augenblick im Park an waren sie ein Jahr lang unzertrennlich. Olaya, die sehr verliebt war, zog zu Wim in das besetzte Haus. In diesem ersten Jahr hatten sie keinen Sex, obgleich sie zusammen auf einer schmalen Matte schliefen. Ihre platonische Beziehung war warmherzig und körperbetont. Wims Leben war dem Yoga gewidmet und seine spanische Freundin respektierte dies.