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Jules Verne

Eine Überwinterung im Eis

Illustrierte Fassung

Jules Verne

Eine Überwinterung im Eis

Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Fußnoten und Übersetzung: Jürgen Schulze
Illustrationen: Adrien Marie et Barbant
EV: J. Hetzel et Compagnie, 1874
2. Auflage, ISBN 978-3-962814-74-8

null-papier.de/615

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel – Die schwar­ze Flag­ge

Zwei­tes Ka­pi­tel – Jean Corn­but­tes Plan

Drit­tes Ka­pi­tel – Ein Hoff­nungs­strahl

Vier­tes Ka­pi­tel – Im Fahr­was­ser

Fünf­tes Ka­pi­tel – Die In­sel Li­ver­pool

Sechs­tes Ka­pi­tel – Das Er­be­ben der Eis­schol­len

Sieb­tes Ka­pi­tel – Vor­keh­run­gen für die Über­win­te­rung

Ach­tes Ka­pi­tel – Plä­ne zu For­schungs­rei­sen

Neun­tes Ka­pi­tel – Das Schnee­haus

Zehn­tes Ka­pi­tel – Le­ben­dig be­gra­ben

Elf­tes Ka­pi­tel – Eine Rauch­wol­ke

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Rück­kehr nach dem Schif­fe

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Die bei­den Ne­ben­buh­ler

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Not und Elend

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Die Eis­bä­ren

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Schluss

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

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Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Jules Verne
Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Erstes Kapitel – Die schwarze Flagge

Am 12. Mai 18.. um fünf Uhr mor­gens er­hob sich der Pfar­rer der al­ten Kir­che in Dün­kir­chen, um wie ge­wöhn­lich die ers­te stil­le Mes­se zu le­sen, bei der nur ei­ni­ge alte Fi­scher zu­ge­gen zu sein pfleg­ten.

Er woll­te sich, mit sei­nen Pries­ter­klei­dern an­ge­tan, so­eben zum Al­tar be­ge­ben, als ein Mann, Freu­de und Auf­re­gung in den Zü­gen, zu ihm in die Sa­kris­tei trat. Es war ein Schif­fer im Al­ter von etwa sech­zig Jah­ren, aber mit noch kräf­ti­ger, ge­drun­ge­ner Ge­stalt und gu­tem, ehr­li­chem Ge­sicht.

»Herr Pfar­rer, halt! Ich bit­te schön!« rief er.

»Was wol­len Sie denn so früh am Tage, Jean Corn­but­te?« frag­te der Pas­tor.

»Was ich will …? Am liebs­ten Ih­nen um den Hals fal­len, Herr Pas­tor; nichts mehr und nichts we­ni­ger!«

»Aber doch erst nach der Mes­se, der Sie jetzt wohl bei­woh­nen wer­den …«

»Ach was, Herr Pas­tor!« ent­geg­ne­te la­chend der alte See­mann. »Küm­mern Sie sich heu­te nicht um die Mes­se; Sie müs­sen mir einen an­de­ren Dienst er­wei­sen!«

»Wa­rum soll ich mei­ne Mes­se nicht le­sen, Jean Corn­but­te? Er­klä­ren Sie sich schnell; die Glo­cke hat zum drit­ten Mal ge­läu­tet …«, dräng­te der Pfar­rer.

»Mag sie nun ge­läu­tet ha­ben oder nicht, Herr Pas­tor«, ver­setz­te Jean Corn­but­te; »wir wer­den sie heu­te noch oft­mals läu­ten hö­ren. Ha­ben Sie mir ja ver­spro­chen, die Hei­rat mei­nes Soh­nes Louis und mei­ner Nich­te Ma­rie mit Ihren ei­ge­nen Hän­den ein­zu­seg­nen!«

»So ist Louis an­ge­kom­men?« rief freu­dig der Pfar­rer.

»Ja, oder doch so gut wie an­ge­kom­men«, ant­wor­te­te Corn­but­te und rieb sich vor Ver­gnü­gen die Hän­de. »Die Wa­che hat bei Son­nen­auf­gang un­se­re Brigg si­gna­li­siert, die Sie selbst auf den schö­nen Na­men Jeu­ne-Har­die ge­tauft ha­ben!«

»So wün­sche ich Ih­nen aus tiefs­tem Her­zen Glück, mein al­ter Corn­but­te«, sag­te der Pfar­rer und leg­te sein Mess­ge­wand und sei­ne Sto­la ab; »ich bin un­se­rer Verab­re­dung ein­ge­denk und wer­de mich heu­te von dem Vi­kar ver­tre­ten las­sen, um Ih­nen für die Trau­ung Ih­rer Kin­der zur Ver­fü­gung zu ste­hen.«

»Und ich ver­spre­che Ih­nen da­für, dass Sie nicht zu lan­ge nüch­tern blei­ben sol­len!« rief der See­mann. »Das Auf­ge­bot ha­ben Sie be­reits er­las­sen; so brau­chen Sie mei­nen Sohn nur noch von den Sün­den zu ab­sol­vie­ren, die man in den nörd­li­chen Mee­ren zwi­schen Him­mel und Erde be­ge­hen kann. War es nicht eine präch­ti­ge Idee von mir, die Hoch­zeit gleich auf den Tag sei­ner Rück­kehr an­zu­set­zen und zu be­stim­men, dass er sei­ne Brigg nur ver­las­sen soll, um zur Trau­ung nach der Kir­che zu ge­hen?«

»Ord­nen Sie al­les an, Corn­but­te.«

»Ge­wiss, Herr Pfar­rer, ich wer­de mich be­ei­len. Auf bal­di­ges Wie­der­se­hen!«

Der See­mann eil­te mit großen Schrit­ten nach sei­nem am Kai ge­le­ge­nen Hau­se, von wel­chem aus man zu sei­nem großen Stolz auf das Meer schau­en konn­te.

Jean Corn­but­te war für sei­ne Ver­hält­nis­se wohl­ha­bend; nach­dem er lan­ge Zeit die Schif­fe ei­nes rei­chen Ree­ders in Ha­vre be­feh­ligt hat­te, ließ er sich in sei­nem Hei­ma­tor­te nie­der und bau­te hier auf ei­ge­ne Rech­nung die Brigg Jeu­ne-Har­die. Meh­re­re Rei­sen des Schif­fes nach dem Nor­den nah­men einen glück­li­chen Ver­lauf, und es wur­de sei­ne Holz-, Ei­sen- und Teer­la­dun­gen im­mer zu gu­ten Prei­sen los. Jean Corn­but­te trat nun sei­nem Sohn Louis, ei­nem wa­cke­ren See­mann von drei­ßig Jah­ren, das Kom­man­do ab; der­sel­be war, nach der Aus­sa­ge al­ler Küs­ten­fah­rer-Ka­pi­tä­ne, ei­ner der tüch­tigs­ten Ma­tro­sen aus ganz Dün­kir­chen.

Louis Corn­but­te hing mit großer Lie­be an Ma­rie, der Nich­te sei­nes Va­ters, und auch die­ser wur­den die Tage von Louiss Ab­we­sen­heit sehr lang. Ma­rie war kaum zwan­zig Jah­re alt und eine schö­ne Fla­män­de­rin mit ei­nem Trop­fen hol­län­di­schen Blu­tes in den Adern. Ihre Mut­ter hat­te sie auf dem To­ten­bet­te ih­rem Bru­der Jean Corn­but­te emp­foh­len, und der wa­cke­re See­mann hat­te das Ver­trau­en der ar­men Frau nicht zu Schan­den ge­macht; er lieb­te Ma­rie wie sei­ne ei­ge­ne Toch­ter und sah in der be­ab­sich­tig­ten Ve­rei­ni­gung sei­nes Soh­nes mit ihr eine Quel­le dau­ern­den Glücks.

Mit der An­kunft der si­gna­li­sier­ten Brigg auf der Höhe des Fahr­was­sers en­dig­te eine wich­ti­ge kom­mer­zi­el­le Un­ter­neh­mung, von wel­cher Jean Corn­but­te großen Ge­winn er­war­te­te. Die Jeu­ne-Har­die war ein vol­les Vier­tel­jahr un­ter­wegs ge­we­sen, kam in letz­ter Li­nie von Bo­doe an der West­küs­te von Nor­we­gen zu­rück und hat­te ihre Rei­se rasch vollen­det.

Als Jean Corn­but­te in sei­ne Woh­nung trat, fand er das gan­ze Haus in leb­haf­ter Auf­re­gung; Ma­rie leg­te mit freu­de­strah­len­den Au­gen ihr Braut­kleid an.

»Wenn nur die Brigg nicht eher an­kommt als wir!« rief sie.

»Be­ei­le dich, Klei­ne«, dräng­te Jean Corn­but­te; »der Wind kommt von Nor­den her, und die Jeu­ne-Har­die fährt gut, wenn sie raum­schoots se­gelt.«

»Ha­ben Sie un­se­re Freun­de be­nach­rich­tigt, On­kel?« frag­te Ma­rie.

»Ge­wiss!«

»Auch den No­tar und den Pfar­rer?«

»Sei un­be­sorgt; mir scheint nur, du al­lein wirst uns war­ten las­sen!«

In die­sem Au­gen­blick trat Ge­vat­ter Cler­baut ein.

»Nun, mein al­ter Corn­but­te, das nen­ne ich Glück!« rief er aus. »Dein Schiff kommt ge­ra­de zur Zeit an; die Re­gie­rung hat so­eben große Holz­lie­fe­run­gen für die Ma­ri­ne aus­ge­schrie­ben.«

»Was geht das mich an?« frag­te Jean Corn­but­te; »wir ha­ben jetzt an an­de­res zu den­ken, als an die Re­gie­rung! Sie müs­sen wis­sen, Herr Cler­baut, dass wir jetzt nur einen Ge­dan­ken ha­ben, und das ist die Rück­kehr un­se­res Louis.«

»Ich will nicht leug­nen, dass …«, mein­te der Ge­vat­ter; »aber die­se Holz­lie­fe­run­gen …«

»Sie wer­den doch auch bei der Hoch­zeit sein?« frag­te Jean Corn­but­te, in­dem er ihm in die Rede fiel und dem Ge­schäfts­mann mit sol­cher Herz­haf­tig­keit die Hand drück­te, dass die­ser mein­te, er wol­le sie ihm zer­mal­men.

»Die Holz­lie­fe­run­gen …«

»Alle un­se­re Freun­de zu Was­ser und zu Lan­de sind da­bei, Cler­baut. Ich habe sie schon sämt­lich be­nach­rich­tigt und ge­den­ke, auch die gan­ze Mann­schaft der Brigg ein­zu­la­den!«

»Wer­den wir sie am Ha­fen­damm er­war­­­