image

Petre M. Andreevski

QUECKE

Aus dem Mazedonischen von Benjamin Langer

Mit Nachworten von Benjamin Langer
und Goce Smilevski

Illustrationen von
Valeria Gordeew

image

INHALT

QUECKE

ANHANG

ANMERKUNGEN

AUSSPRACHEHILFE

NACHWORT DES ÜBERSETZERS

EIN ZEITALTER WIRD BESICHTIGT NACHWORT VON GOCE SMILEVSKI

BIOGRAFIEN

image

Für meine Großmütter Velika, Milka und Sevda,
anstelle einer Kerze auf ihrem Grab,
obgleich ich weiß, dass dies nur ein kleines Flämmchen ist,
um ihre in Ewigkeit einsamen Seelen zu wärmen
.

P. M. A.

Die Quecke ist ein Unkraut.

Manche nennen sie auch Hundsgras.

Zertritt sie nur, zerr an ihr, so viel du willst,

reiß sie mitsamt den Wurzeln aus –

sie stirbt doch nicht. Kommt sie bloß ein bisschen

mit der Erde in Kontakt, wächst sie wieder an,

lebt auf, breitet sich weiter aus.

Nichts vermag dieses Kraut auszumerzen.

I

»Was für ein schöner Frühlingstag, ihr Leute«, sagten die Frauen, »was für ein schöner Tag geht über das Feld! … Jetzt ist Velika wieder mit ihren Kindern vereint«, sagten sie.

Der Tag stand weit über dem Dorf, aus dem der Geruch von gekochten Bohnen und der Gestank brennender Misthaufen bis hinunter zur Schule drangen. Auf dem Schulhof putzten die Soldaten »Großbulgariens« ihre Waffen und schauten zur Straße, und aus dem Schulgebäude hörte man: »Gesundheit wünschen wir! Alt werden wir! Für wen leben wir? Für Bulgarien, hurra, hurra, hurra!« Die Rufe vermengten sich mit dem spröden Geläute der Kirchenglocke. So ein Geschrei kam sonst nur von den Kranichen, die im Herbst über das Dorf flogen.

Aus dem Dorf trugen sie Velika Meglenoska. Vor ihr gingen drei Kreuze, hinter ihr barhäuptige Männer und Frauen mit schwarzen Kopftüchern. Der Weg lag tiefer als die Feldraine, und man sah von den Leuten nur die Köpfe, die sie hängen ließen wie ausgescholtene Kinder.

Ihre Gesichter lösten sich mal im Licht auf (wie Zuckerkrümel in einem Glas klaren Wassers), mal wurden sie von den traurigen Blicken verdüstert, mit denen man die alte Frau zur letzten Ruhe geleitete.

»Der Mensch kommt unter Tränen zur Welt, und unter Tränen geht er aus der Welt«, sagte Duko Vendija, der Schulter an Schulter mit Roden Meglenoski schritt. Roden Meglenoski wischte sich nur über die von Tabakrauch, Schnaps und vereinzelten Tränen geröteten Augen. Es war vielleicht das erste Mal seit seiner Geburt, dass er weinte, denn Roden Meglenoski lebte schon längst nicht mehr im Dorf. Jetzt war er bloß zum Begräbnis seiner Mutter Velika Meglenoska gekommen.

»Dieser Tag ist nur zum Malen, wie bestellt zum Malen«, sagte einer beim Blick über die Felder. Und von den Feldern flossen vielerlei Farben herbei, zerliefen auf den Äckern und den Weiden, krochen an den Bäumen empor und ließen sich in neuen Höhen nieder. Sie zogen sogar die wie benommen dahinschreitenden Trauernden in ihren Bann.

Als die Leute an der Schule vorbeikamen, äugten sie zu den Soldaten hinüber und tuschelten:

»Der Zar soll seine Krone los sein.«

»Auf den Papagali führt Ganjo Makedonija am Arm fort, um sie zu vögeln.«

»Die Steuereintreiber verlangen jetzt sogar, dass wir Kamele anmelden.«

Die Pflüger, die gerade vom Feld zurückkamen, blieben kurz stehen, nahmen die Mützen ab und bekreuzigten sich. Ein frommer bulgarischer Soldat auf dem Schulhof tat es ihnen gleich. Da kam ein Junge angerannt, um seine Waffe anzufassen. Doch der Soldat hielt mitten im Bekreuzigen inne und verpasste dem Jungen eine kräftige Ohrfeige. Mit derselben Hand, mit der er sich bekreuzigt hatte. Der Junge rannte davon. »Verfluchter Partisanenbastard«, sagte der Soldat, hob das Gewehr und nahm den Jungen aufs Korn. Doch der blieb stehen, drehte sich um und rief: »Wir sind doch Bulgaren, oder?« Da senkte der Soldat die Waffe, und der Junge mischte sich unter die Leute im Trauerzug.

»Was für ein Staat kommt wohl nach dem hier«, fragte der Junge, »wer wird kommen, Onkel Duko, wenn die da hochgenommen worden sind?«

Über den Köpfen der Menschen schien die Sonne hell und klar in ihrem neuen Gewand, sie streichelte die Erde und ließ sich von nichts eintrüben. Und die Erde hob sich ihr entgegen wie die Flanke einer trächtigen Kuh. Das heißt, eigentlich wurde sie angehoben, von Werren und Maulwürfen, verborgen sprießenden Samenkörnern und aufs Neue austreibenden Pflanzen. Alles war in Bewegung: Die Rinder rieben sich an den Baumstämmen und legten so ihr Winterkleid ab, ein junger Windhauch neckte verstohlen die Obstbäume, und die Obstbäume knarrten, zusätzlich ins Wanken gebracht von Blüten, Schmetterlingen und Bienen. Und es war schwer, ach Gott, wie schwer es doch war, inmitten all dieser Aromen und Brisen, Knospen und Tierjungen, Vogelrufe und Lichtstrahlen einem Trauerzug zu folgen.

»Es ist schwer, an einem so schönen Tag traurig zu sein«, sagte Roden Meglenoski, »so ein Tag taugt nicht für Begräbnisse.«

»Deine Mutter verdient mehr als einen schönen Tag«, antwortete Duko Vendija, »auch wenn ein guter Tag endet wie ein guter Mensch.«

»Meine Mutter war ihr ganzes Leben lang gut«, meinte Roden Meglenoski. »Aber über meinen Vater hat sie nie sprechen wollen.«

»So wie der Tag zur Neige geht«, sagte Duko Vendija, »so auch das Leben des Menschen. Und wenn man von vornherein wüsste, dass es böse ausgeht, würde man gar nichts anfangen wollen.«

Als der Trauerzug am Friedhof ankam, sah man die Leute wieder vollständig. Auch Velika Meglenoskas Sarg war jetzt zu sehen. Sie lag friedlich mit über der Brust gefalteten Händen da. Als verberge sie etwas unter den Handflächen. Zwischen ihren Fingern steckte eine erloschene Kerze. Die Augen waren tief in den Höhlen unter den Brauen versunken, ganz offensichtlich hatte man sie ihr mit Gewalt geschlossen. Doch ein Lid war noch leicht geöffnet, und das Weiß des Auges strahlte ein kaltes Licht aus, das die ganze verderbte Welt, mit der sie es zu tun gehabt hatte, durchscheinen ließ. Auf ihrem verkniffenen Mund lag der Tod wie eine klaffende, vernarbte Wunde. So als habe er sie lange geküsst und davon sei ein Wundmal zurückgeblieben. Kleine rote Wollbüschel lugten ihr aus den Ohren und Nasenlöchern.

Das Grab war ausgehoben; Ameisen und Eidechsen brachten die daneben aufgehäufte Erde ins Rutschen. Die Kinder lösten die Tücher von den Kreuzen, die sie getragen hatten, und der Pope sang: »Gelobt sei unser Gott allezeit, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen.«

Ein betrunkener Totengräber schwankte über das Grab, die Umstehenden packten ihn unter den Achseln und hielten ihn fest.

»Erbarme dich unser, o Gott, in deiner großen Barmherzigkeit, wir bitten dich, erhöre uns und erbarme dich.«

»Herr, erbarme dich,

Herr, erbarme dich,

Herr, erbarme dich.«

Vom Weg herüber schrie ein Esel, und jemand knurrte: »Der Wolf soll dich holen!« Der betrunkene Totengräber schnäuzte sich, und auf dem Kirschbaum, der auf dem Kirchhof stand, begann ein Spatz zu tschilpen.

»Wir bitten dich um die Ruhe der Seele der entschlafenen Dienerin Gottes Velika und um die Vergebung ihrer absichtlich und unabsichtlich begangenen Sünden.«

»Herr, erbarme dich,

Herr, erbarme dich,

Herr, erbarme dich.«

»He, der Spatz da schaut uns zu«, rief der betrunkene Totengräber und reckte sich inmitten der Gemeinde empor. Die anderen knufften ihn zwischen die Rippen und zogen ihn am Ärmel.

»Ich schwör’s, ein kleiner Spatz, bestimmt grad erst flügge, beobachtet uns von dem Kirschbaum da«, rief der Totengräber und stolperte Richtung Kirschbaum. »Da ist er, er versteckt sich im Laub, da, er pickt Mücken!«

»Deiner in seligem Entschlafen vollendeten Dienerin Velika gib, o Herr, die ewige Ruhe und verleihe ihr ewiges Andenken!«

»Ewiges Andenken,

ewiges Andenken,

ewiges Andenken!«

»Weg ist er«, sagte der betrunkene Totengräber und kam vom Kirschbaum zurück, »der Spatz ist weggeflogen. Vielleicht war es ja gar kein Spatz«, sagte er, »vielleicht war es die Seele von Velika Meglenoska. Hat uns zugeschaut und ist dann weggeflogen.«

»Bitte, Pope, jetzt auch die Gebeine der Kinder«, sagte Ulja Meglenoska, die Tante von Roden Meglenoski.

»Wir bitten dich auch um die Ruhe der Seelen der entschlafenen Diener Gottes – wie hießen sie?«

»Angele.«

»Angele.«

»Und Kapinka.«

»Kapinka.«

»Dann noch Rosa.«

»Rosa.«

»Und Zdravko.«

»Zdravko.«

»Und Dzvezdan.«

»Dzvezdan. Und verleihe ihnen ewiges Andenken,

ewiges Andenken,

ewiges Andenken,

ewiges Andenken! Der Herr sei ihnen gnädig … Legt die Knochen obendrauf … Und ihr Mann?«, fragte der Pope. »Warum habt ihr ihren Mann nicht erwähnt?«

»Sie waren zerstritten, Pope«, sagte Ulja Meglenoska. »Sie sind im Zorn auseinandergegangen, bevor der Herr ihn zu sich nahm, und Velika wollte nicht, dass wir sie mit ihm zusammen begraben. Einmal beschwor sie mich bei den Seelen der Kinder: Wenn ich sterbe, Schwesterchen, hat sie zu mir gesagt, dann begrabe mich bei den Kindern, weit fort von Jon. Mein Leben im Diesseits ist ohne ihn vergangen, hat sie gesagt, da kann ich auch im Jenseits auf ihn verzichten.«

»Aber dort werden sie sich versöhnen«, meinte der Pope, »sobald sie einander begegnen, werden sie sich versöhnen. Dort gibt es keine Ausflüchte, man kann einander nicht ausweichen.«

Die Totengräber hatten schon zu schaufeln begonnen, sie spuckten in die Hände, schaufelten die Erde auf den Sarg und schütteten das Grab zu. Die Frauen bückten sich, es bückten sich auch Roden Meglenoski und Duko Vendija und noch zwei, drei alte Männer, und alle nahmen etwas Erde zwischen die Finger und warfen sie auf die dahingeschiedene Velika Meglenoska.

»Scheißleben«, sagte der betrunkene Totengräber und schnäuzte sich wieder kräftig durch die Finger.

Es roch nach heruntergebrannten Kerzen, nach Basilikum vom letzten Jahr, nach frischer Erde und nach Greisenatem, der durch faulige Zähne strich. Hinter der Kirche rief ein Kuckuck, im Dorf krähten Hähne und bellten Hunde auf, und der Tag stieg noch höher empor.

»Und warum wollte sie ihn nicht einmal im Grab bei sich haben?«, fragte Roden Meglenoski und wischte sich über die Augen.

»Weil manche Dinge auch über den Tod hinaus in Erinnerung bleiben«, antwortete Duko Vendija, »und weil das Alter den Menschen degradiert. Deshalb mag es ja niemand.« Sagte es und nahm gekochten Weizen von den Frauen, die ihn als Totenspeise verteilten. Für die arme Seele Velika Meglenoskas.

»Erzähl mir«, sagte Roden Meglenoski.

»Ich werde es dir erzählen«, meinte Duko Vendija, »aber ich werde es dir so erzählen, wie es mir deine Mutter erzählt hat, Velika, und wie es mir dein Vater erzählt hat, Jon. So, wie es mir erzählt wurde.«

Unter dem Vordach der Kirche richteten die Klageweiber bereits alles für das Mittagessen her. Ihre Münder surrten dabei unablässig – wie Fliegen über Kesseln mit Eintopf.

JON

Als Srebra Liška zur Vampirin geworden war, kam ein Mann zu Vater und sagte: »Sie ist sicher zur Vampirin geworden, weil wir kein Wasser über die Schulter geworfen haben«, sagte er, »und weil wir nach dem Begräbnis mit ungewaschenen Händen gegessen haben. Vielleicht haben wir auch etwas über die Tote hinweg gereicht«, sagte er, »oder irgendwas ist über sie gelaufen, eine Katze oder ein Hund, eine Maus oder ein Huhn, oder vielleicht ist auch ein Mensch über sie drübergestiegen«, sagte er zu ihm. »Schau unter der Achsel des Vampirsohns durch, und du wirst die Vampirin sehen«, sagte der Mann zu Vater.

»Ich will sie nicht sehen«, hat Vater geantwortet, »und dich will ich auch nicht sehen.« Er sog an seiner Zigarette und starrte auf den Boden.

Drei Tage später hat sich Vater mit dem Beil in den Daumen gehackt. Da machte ihm Mutter kaum verhohlene Vorwürfe: »Das hast du davon, weil du nicht an Vampire glaubst. Vielleicht hat dir der Vampir das Beil abgelenkt«, sagte sie und wickelte ihm statt Tabakblättern verbranntes Menschenhaar um den Finger.

Vater konnte sehr gut mit Holz umgehen. Aber ich habe wenige Erinnerungen an ihn, nur aus der Kindheit habe ich Erinnerungen an ihn. Es war Herbst, und auf dem Druschplatz behaute er ein Schock Bohlen. Auch Davide der Trottel war da. Ich war vielleicht zehn Jahre alt und Davide schon fast ein junger Mann, aber die Jahre gereichten ihm nicht zum Vorteil. Wo er auch ging und stand, verbreitete er einen unerträglichen Gestank. Als schleppte er irgendeine Krankheit mit sich herum. Näherte er sich, standen von zwei Leuten sogar drei auf und flüchteten. Ein jammervoller Mensch: Weder Esstisch noch Essen auf dem Tisch hatte er.

Es hockt also Davide der Trottel vor Vater, und Vater behaut die Bohlen. Seine Nasenflügel weiten sich und ziehen bebend die Luft ein, erfassen sie voll und ganz. Er hackt und hackt, spuckt in die Hände, damit ihm der Beilstiel nicht entgleitet. Und das Beil pfeift und blitzt, und Späne fliegen davon. Ganz weit fliegen sie. Davide der Trottel redet irgendwas, aber Vater hört ihm nicht zu. Schon, manchmal schaut er ihn an, aber er sieht ihn nicht. Denn seine Augen sind nur auf die Bohlen gerichtet, die er behaut, und das auch nur im Wechsel. Ein Auge kneift er zu, mit dem anderen schaut er. So haut er eine Weile zu, dann kniet er sich hin, kneift wieder das eine Auge zu und peilt mit dem anderen: ob das Beil präzise gearbeitet hat, ob die Hände es geradlinig geführt haben. So, wie es sich gehört. Dann dreht er die Bohle um, bohrt ein neues Loch hinein und spannt sie ein. Und beginnt, sie auf der anderen Seite zu bearbeiten.

»Holla, schönes Pflugbrett«, sagt Davide der Trottel, »der Teufel soll mich holen, wenn das kein schönes Pflugbrett ist.«

»Wo siehst du denn ein Pflugbrett«, fragt ihn Vater, »das ist eine Bohle.«

»Holla, das ist kein Pflugbrett?«, fragt Davide der Trottel in überraschtem Tonfall.

»Eine Bohle ist das, Mensch, Davide«, sagt Vater.

»Holla, jetzt ist es eine Bohle, und später ist es ein Pflugbrett«, meint Davide, wohl bloß, um etwas zu sagen.

»Eine Bohle ist es, Mann, du hast doch Klappen vor den Augen! Wie soll denn aus einer Bohle ein Pflugbrett werden?«

Und so ging es weiter: der eine – Bohle, der andere – Pflugbrett, Bohle, Pflugbrett, bunt durcheinander, Vater hackt, und Davide hockt vor ihm und wundert sich, und ich bin nicht sicher, ob er es wirklich nicht besser weiß oder nur trotzt. Aber er gibt nicht klein bei, die ganze Zeit brummelt es unter seiner Nase hervor.

Und mitten in diesem Wortgefecht lehnt sich meine Mutter vom Čardak und ruft Vater zum Mittagessen. Vater richtet sich auf, atmet tief durch und gibt mir das Beil.

»Schau her«, sagt Vater zu mir, »das ist Flaumeiche, die hat das beste Kernholz für Speichen, Fässer und Bottiche. Und schreib’s dir hinter die Ohren«, sagt er, »Mazedonische Eiche taugt nur für Holzkohle und Brennholz, und Zerreiche ist für gar nichts gut«, sagt er, »denn sie hat kein Kernholz und fault schnell. Und jetzt los, hau zu, lern mit dem Beil umzugehen«, sagt er zu mir, steigt die Treppe hoch und geht ins Haus. Davide der Trottel folgt ihm.

»Holla, der Herr soll es euch vergelten«, sagt er, »ich bin nicht hungrig, aber aus Achtung für den gedeckten Tisch und, holla, Achtung für das Brot – nehm ich doch etwas.«

Nach einiger Zeit – einer langen Zeit – ist Vater wieder da, kommt die Treppe auf den Druschplatz herunter. Und hinter ihm her Davide der Trottel. Und sie bleiben vor mir stehen, schauen mir zu, wie ich an ein paar Speichen herumfuhrwerke, wie ich sie mit dem Beil zermalme. Wie ich sie malträtiere. Vater schaut mich so an, ich weiß gar nicht, ist er wütend, ist er nicht wütend, und dann bückt er sich plötzlich und fängt an, meine Speichen wegzuwerfen. Ich schaue ihm zu und möchte mir am liebsten die Hände abhacken. Aber was soll ich denn machen, jedes Mal, wenn ich das Holz nur anfasse, ziehe ich mir Splitter ein. Das Beil ist zu schwer für mich, ständig reißt es mir seitlich aus. Und die Hand wird mir von ihm mitgerissen, immer dorthin, wohin sie nicht soll. Und Vater bückt sich nur und – ein Griff, ein Wurf – schleudert mir die Speichen über das Haus, über den Fluss, vielleicht schleudert er sie mir sogar über das ganze Dorf hinweg davon. Abends, als es duster geworden ist, packt er mich an der Hand und zerrt mich in die Schenke. Dort fragt er alle Leute: »Heda, habt ihr vielleicht Zigeuner gesehen«, fragt er, »habt ihr vielleicht Zigeuner gesehen, die in unsere Richtung ziehen?«

»Wofür brauchst du denn Zigeuner, Kote?«, fragen sie.

»Ich verkauf denen das Kind hier«, sagt Vater, »es kann nicht mit dem Beil umgehen«, sagt er, »und ich will es nicht in der Familie haben.«

»Schimpf nicht mit dem Kind«, sagen die Leute, »schimpf lieber mit seiner Unwissenheit«, sagen sie.

»Ich hab es nicht in die Welt gesetzt, damit es nicht weiß«, sagt Vater, »ich muss da was falsch gemacht haben.«

»Es hat dich doch nicht schriftlich darum gebeten, in die Welt gesetzt zu werden«, sagen die Leute. »Wer kommt denn schon fertig ausgebildet auf die Welt, Mensch, Kote, der Junge ist doch noch zu klein, um etwas zu wissen, um überhaupt etwas wissen zu können.«

»Verflucht noch mal, ich muss also was falsch gemacht haben, als ich ihn gezeugt hab«, sagt Vater, »ich muss da irgendwas falsch gemacht haben.«

»Das ist dann dein Fehler, nicht seiner«, sagen die Leute.

Da verpasst mir Vater eine Ohrfeige und schickt mich heulend nach Hause. So war er, hartherzig, ein Mistkerl.

Kurz darauf ging er zum Arbeiten nach Übersee. Und er hat gut verdient, aber lange hielt das Geld bei ihm nicht vor. Als hätte er Löcher in den Taschen gehabt. Für kurze Zeit arbeitete auch Joše der Pfeifer bei ihm, und der erzählte später, wie Vater sein Geld ausgab. Er bestellte für gewöhnlich zwei, drei Oka Wein und ein Brett Walnüsse und befahl dann Joše, ihm die Nüsse mit den Zähnen aufzuknacken. Joše war jung und folgsam und knackte also, was sollte er auch tun, und Vater trank Wein und kaute Walnüsse, zermahlte sie zwischen seinen Kiefern. Und dann wurde er immer noch wütend und brüllte Joše an, er solle schneller knacken und die Kerne schneller säubern.

»Puste«, hat Vater geschrien, »puste sie gut ab, ich will kein Fitzelchen Schale mehr an den Kernen haben.«

»Soll ich sie dir vielleicht auch noch vorkauen, verdammt?«, hat Joše der Pfeifer einmal gesagt, aber Vater verstand ihn nicht, denn sein Mund war ganz voll mit Nüssen, die er mit den Zähnen zermalmte, und er konnte nicht gut hören. Nur so etwas wie das Geräusch rollender Steine hörte er, nur ein Knirschen drang vom Zerkauen der Nüsse zu seinen Ohren durch.

Und dann drängte er Joše immer dazu, ihm auf dem Dudelsack vorzuspielen. Joše der Pfeifer hatte seinen Dudelsack auch dort dabei; schon von Kindesbeinen an konnte er darauf spielen, es fiel ihm gar nicht schwer. Und da Vater wusste, wie gern Joše der Pfeifer spielte, nötigte er ihn immer, ihm von irgendwo hoch oben vorzuspielen. Zuerst ließ er ihn auf einen Tisch klettern, dann auf das Schenkendach und schließlich auf irgendeine Pappel. Und Joše der Pfeifer kletterte hoch, bis in den Wipfel der Pappel kletterte er, und Vater tanzte unten um die Pappel herum. Bald lief allerlei Volk zusammen und wunderte sich, wo der Dudelsack spielte, denn Joše war zwischen den Zweigen der Pappel versteckt, klammerte sich an ihnen fest, um nicht herunterzufallen. Mit den Beinen klammerte er sich fest, mit den Armen und Händen spielte er. Vater wurde müde, aber Joše wurde nicht müde zu spielen. Und so tat Joše alles, was Vater von ihm verlangte, nur, um spielen zu können, um jemanden zu haben, der ihm zuhörte, damit sich auch ein anderer an seinem Spiel erfreute. Doch wenn Vater merkte, dass er gar nicht mehr aufhörte zu spielen, rief er ihn herunter und stach ihm mit dem Messer in den Dudelsack. Und Joše sah zu und weinte über dem Loch wie über einer Wunde, die nie mehr verheilen wird.

So geschah es einmal, zweimal, dreimal, viermal – und Joše der Pfeifer lief von Vater weg.

»Er hat mich nie allein weiterspielen lassen, nie konnte ich richtig zu Ende spielen«, sagte Joše der Pfeifer, »wenn mir das Herz gerade warm wurde, warf er mir Schnee hinein. Und bei ihm warst du ja ein Niemand, in nichts durftest du ihm hineinreden.«

Mutter hingegen, die Arme, starb früh. Irgendeine seltsame Krankheit hatte sie befallen, ihre Haut schwoll an, bald war ihr ganzer Körper aufgedunsen, aufgebläht wie eine dicke Paprikaschote. Mirče und ich waren noch klein, ich weiß gar nicht, wie alt wir waren, meiner Seel, ich war vielleicht elf, zwölf, Mirče war jünger. Eines Nachts pinkelten wir in den Bewässerungsgraben, und da sagte einer zu uns: »Wer des Nachts in einen Fluss pisst, dem wird die Mutter sterben.« Und dann kam Vater aus Übersee, um nach Mutter zu sehen. Sicher hatte ihm jemand geschrieben oder gesagt, dass Mutter krank war, und ihm ausgerichtet, dass er kommen sollte. Mirče und ich beobachteten ihn, er saß so da, breitbeinig, und tappelte nur mit den Füßen. Später rief er uns zu sich, zog uns zwischen die Knie und gab uns je einen Sesamring.

Und so drückte er sich etwa eine Woche lang zu Hause herum, nahm dann einen Ochsenkarren von den Vendijas und hob Mutter auf den Karren. Er breitete eine Binsenmatte auf dem Wagenboden aus und legte Mutter darauf.

»So, Kinder«, sagte er, »verabschiedet euch jetzt von eurer Mutter«, sagte er, »ihr seht sie nämlich zum letzten Mal.«

Wir klettern also zu ihr hoch, und sie schaut uns an. Tränen steigen ihr in die Augen. Die arme Frau kann nicht sprechen. Sie will, kann aber nicht. Sie schaut uns nur an, und ihre Augen füllen sich mit Tränen, fließen über. Mühsam hebt sie eine Hand und legt sie uns um den Hals, streichelt uns über den Scheitel. Zuerst dem einen, dann dem anderen. Sie greift nach uns und zieht, biegt uns zu sich hinunter. Küssen will sie uns, und wir wissen nicht, was sie will. Na, irgendwie schafft sie es, uns zu küssen. Ihr ganzes Gesicht ist tränennass. Ein einziger Sumpf. Als wir Mutter so sehen, brechen auch wir in Tränen aus. Da schlägt Vater mit einer Gerte auf die Ochsen ein, treibt sie an, und das Fuhrwerk setzt sich in Bewegung. Aber wir gehen auch los. Der Karren quietscht, wir laufen hinter ihm her und schauen zu der Binsenmatte, auf der Mutter liegt. Und weinen. Ich weiß nicht, ob Mutter sich damals wirklich bewegt hat, vielleicht vom Rütteln und Schütteln des Karrens, aber mir kam es so vor, als strengte sie sich an, sich hochzustemmen, sich halb aufzurichten und sich nach uns umzuschauen. Uns noch einmal zu sehen, uns noch einen Blick zuzuwerfen. Aber sie schaffte es nicht. Da schluchzten Mirče und ich noch heftiger auf, und Vater drehte sich um und schlug mit der Gerte nach uns, damit wir nach Hause gingen. Und wir kehrten um. Kehrten um und sahen immer wieder zurück zum Fuhrwerk, das sich bergab entfernte. Und so brachte Vater Mutter zurück nach Boišta, von wo er sie einst in die Ehe geholt hatte.

»Ich brauch keine Kranke im Haus«, sagte er zum Onkel und ließ Mutter bei ihm zurück. Später ist sie dort gestorben. Als wir hörten, dass sie tot war, fiel uns wieder ein, dass wir in den Graben gepinkelt hatten.

Dann brachte uns Vater bei den Mönchen im Kloster unter und fuhr wieder nach Übersee. Zuerst ließ er uns noch hin und wieder etwas zukommen, doch dann verlor sich seine Spur. Ob er sich wieder verheiratet hatte oder gestorben war, haben wir nie erfahren. Als keine Nachricht mehr von ihm kam, arbeiteten wir im Kloster um Brot und je ein Paar Opanken, die wir uns für den Winter aufhoben. Für heftige Schneefälle. Jetzt waren wir ganz allein; es gab niemanden mehr, der uns Fragen stellte, niemanden, der uns Vorschriften machte. Nur einmal kam der Onkel und fragte: »Wie geht es euch, Kinder?« »Gut«, antworteten wir dem Onkel. »He, gut, dass es euch gut geht«, hat er gesagt, »so soll es auch sein.« Und ist fort. Das war alles.

Aber im Kloster war es gar nicht so schlecht. Wir haben wirklich viel gearbeitet, aber wir lernten auch Lesen und Schreiben. Dafür war das Volk damals sonst blind. Setz es auf seinen Esel, und das Tier bringt es von zu Hause fort und nach Hause zurück. So gelehrt war das Volk. Wie das Vieh. Es gab keine Bücher, die dir sagten, wann du geboren bist und wie du heißt. Und wehe dem, der sich nicht an seinen Namen und sein Geburtsjahr erinnerte. Er lebte, aber es war, als würde er nicht leben, er war da, aber doch nicht da. Und starb, ohne zu wissen, ob er zur Unzeit gestorben war. Fast schon vergessen von den Leuten. Allerdings haben sich die Menschen damals an mehr erinnert, da sie sich weniger Dinge einprägen mussten. Auf Papier wurden nur die Namen der Verstorbenen geschrieben, damit der Pope sie in seinen Gebeten erwähnte, auf dem Friedhof, über ihren finsteren Häusern und Heimstätten.

Eine Zeit lang gab es im Kuzeski-Haus eine Schule, aber nicht lange. Was soll man da auch lernen, in so einem engen, verqualmten Stübchen. Vor lauter Rauch erkennt man nicht einmal den Lehrer. Das Feuer qualmt, und wir schniefen und wischen uns über die Augen, wischen über die schwarzen Schiefertäfelchen. Und du verstehst den Lehrer nicht richtig, da ärgert er sich, dass du ihn nicht verstehst, nimmt die Rute, und ratsch-patsch haut er dir mit der Rute über die Finger. Er schlägt zu, und du krümmst dich, läufst blau an, Hals und Herz in eisernen Klammern, du presst die Lippen zusammen, zuckst mit der Hand zurück und hältst sie dann mit zugekniffenen Augen doch wieder hin. Am Ende stürzt du heulend aus der Tür, nach draußen. Du rennst weg und heulst, auweh, auweh, und pustest dir auf die schmerzenden Finger.

Ich bin selten hin, Mutter ließ mich nicht.

»Ich weiß vor lauter Arbeit nicht, wo mir der Kopf steht«, sagte sie, »und er jagt Grillen.« Und schickte mich ins Holz oder zum Ziegenhüten oder ließ mich die Ochsen von irgendjemandem weiden, bloß dass ich nicht zu Hause aß. Wenn es nichts zu tun gab – aber wann gibt es auf dem Dorf schon nichts zu tun –, stahl ich mich davon. Doch dann kam Mutter zum Kuzeski-Haus, klopfte ans Fenster und rief: »Schulmeister, lass den Jungen gehen, er muss mir helfen. Später kannst du ihm sagen, was du zu sagen hast.« Und wenn ich abends im Schein des Öllämpchens schreiben wollte, kam Mutter, um es mir abzudrehen. Es durfte nur ein bisschen glimmen, nicht heller als ein Katzenauge. »Komm, leg dich hin«, sagte sie dann, »leg dich hin, geh schlafen. Mit so was verdienst du dir doch kein Brot.« Eine einfache Frau, aber sie ist deine Mutter, ändern kannst du sie nicht. Sie hat dir als Erste zu essen gegeben. Und so lernte ich also alleine weiter, malte überall, wo ich ging und stand, Buchstaben: in den Staub des Weges, in die Asche des Herdfeuers, auf Steine, auf alles, was ich fand. Wie man halt lernt: hiermit und damit. Nachts wartete ich, bis der Mond aufging, und lehnte mich auf die Fensterbank. Dort zählte ich dann zusammen und zog voneinander ab. Kritzelte, strengte die Augen an … Im Kloster konnte ich wenigstens in Ruhe schreiben, wenn ich frei hatte. Die Mönche entzündeten Öllämpchen vor den Ikonen und beteten, und ich schrieb, schrieb ab. Pater Visarion ließ seinen Schatten auf mich fallen, wie eine Wolke hüllte mich sein Schatten ein, und dann hörte ich auch seine Watschelschritte. Beim Gehen wackelte er nämlich immer so hin und her. Er beugte sich über mich und meinte: »Wohlgetan, mein Sohn! Die Schrift wird dir einen Weg mehr zu Gott öffnen. Reich ist nicht jener, der Geld hat«, sagte er, »sondern jener, dessen Seele nicht arm ist.«

Drei Jahre nachdem ich diese Worte zum ersten Mal gehört hatte, kamen drei Komiti ins Kloster. Sie packten Pater Visarion und schnitten ihm mit einem Messer den Bart ab. Vor unser aller Augen und vor den Augen aller Heiligen. Sie schnitten, und zwischen all den Öllämpchen vor den Ikonen funkelte das Messer wie ein Eiszapfen im Mondlicht.

»Wenn du nicht weißt, warum, dann frag ruhig«, rufen sie und schneiden ihm den Bart ab, reißen ihn beinahe aus. Pater Visarions Hals und Gesicht öffnen sich, doch sein Mund bleibt zu. Er sagt kein Wort. Dann zerren sie ihn aus dem Kloster. Mich rufen sie mit sich. Die anderen lassen sie zurück. Sowohl die Mönche als auch Mirče, meinen Bruder, lassen sie zurück. Sie sagen ihnen nur, sie sollten nichts verraten, denn sie könnten jedes Wort hören. So wie Gott alles hören kann.

»Habt ihr etwas gesehen? Nichts habt ihr gesehen. Habt ihr etwas gehört? Nichts habt ihr gehört«, sagten sie.

Und gingen fort. Mit ihnen ging auch ich fort. Pater Visarion ging voran und wehrte sich nicht. Wir durchquerten das Sumpficht und blieben auf dem Feld hinter den Weiden stehen.

»Gib mir das Messer«, sagte der Wojwode.

Und ich zog voller Angst das Messer aus dem Gürtel des Wojwoden. Er stieß das Messer mit einer einzigen Bewegung unter den Hals von Pater Visarion, Pater Visarion schwankte und röchelte, und als er zu Boden gestürzt war, begann er, mit den Beinen zu strampeln wie ein Schmetterling, von dessen Flügeln einer den Staub gewischt hat.

»Gib mir jetzt das Messer zurück«, befahl mir der Wojwode.

Und ich kniete mich hin, stützte mich mit den Knien auf der Brust von Pater Visarion ab und zog mit beiden Händen das Messer heraus. Der Griff war warm und klebrig von Pater Visarions Blut.

»Wir zwei haben einen Verräter getötet«, sagte der Wojwode, als er das Messer nahm. »Jetzt kannst du mit uns kommen. Besser, du kommst mit, als dass du hierbleibst«, meinte er und wischte das Blut mit Pater Visarions Kutte ab.

Und ich ging schweigend mit ihnen. Über die Felder, bergauf, in den Wald. Als wir rasteten, meinte der Wojwode: »Jetzt ist der Gottesbastard schon bei seinem Gott.«

Ich hob den Kopf und sah einen Stern, der schwankte und oberhalb des Klosters vom Himmel fiel. Dort, wo auch Pater Visarion gefallen war.

VELIKA

Zuerst kannte ich Jon nicht – wie hätte ich ihn denn auch kennen sollen. Ich bin ja aus dem Dorf weiter unten. Aus Žvan. Gehört hatte ich schon von ihm, aber wenn man jung ist, hört man so viel. Einmal, beim Holzapfellesen, sah ich ihn wohl auch, aber nur von sehr weit weg. Wo hätten wir einander damals auch sehen können, sehen dürfen. Damals war es schon eine große Sache, wenn einer das Sonnenlicht mit einem kleinen Spiegel auf dich lenkte. Er lenkte es auf dich, und du drehtest den Kopf weg. Nichts weiter. Peinlich war das, blutrot wurdest du im Gesicht. So war das Lieben. Anschauen konntest du ihn dir nur, wenn du einen Moment erwischt hast, in dem er gerade nicht hinsah. Und nur auf die Schnelle hast du ihn gesehen, und nur von weit weg. Wie auf aufgewühltem Wasser. Du hattest Angst, dass er deinen Blick auffangen könnte, dass sich eure Augen begegnen.

Na, später habe ich auch gehört, aus welchem Haus er war und was sie besaßen. Oder vielmehr habe ich gehört, was sie nicht besaßen. Wonach ich allerdings zuerst fragte: Ich fragte, wie viele Äcker sie hatten, denn wenn du viele Äcker hast, heißt das, du arbeitest viel. Sonst nichts. Du weißt ja, die Ackerkrume ist dünn, sie trägt nichts bis zur Reife. Aber die Jugend! Du hoffst, du machst dir etwas vor. Und so hörte ich von ihm und wusste doch nicht, wie er aussah, wie seine Gestalt war, sein Gesicht.

Einmal kam es Jon aber in den Sinn, mich bei der Arbeit zu beobachten. Sie hatten den Karren angeschirrt, sein Bruder Mirče und er, und waren mit Bohlen, Pflugbrettern und Holzkohle zum Markt aufgebrochen. Und als sie bei den Čatlakover Mühlen auf die Straße einbogen, sahen sie mich, wie ich gerade das Maisfeld jätete. Da brachten sie das Fuhrwerk zum Stehen, spannten die Pferde aus und setzten sich hin, um mir zuzuschauen. Sie ließen die Pferde grasen, ließen sie an der Straße auf und ab laufen und sahen mir zu, wie ich arbeitete. Ich war nicht allein, wir waren fünf, sechs Freundinnen, die einander beim Jäten der Maisfelder halfen. Am einen Tag ich bei ihr, am anderen sie bei mir, und die Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit verging leichter. Es waren Sommertage, lang wie ein ganzes Jahr, sie dämmerten bald herauf, doch dunkel wollte es einfach nicht werden.

Wir jäteten also in einer Reihe zwischen den Maissetzlingen, und die Hacken zischten nur so, verbissen sich in der Erde. Ich war damals sehr stark, und die Arbeit fürchtete sich vor mir. Ich glaube, arbeitsamer als ich war nur Gott. Die hochgekrempelten Ärmel platzten mir an den Armen auf: Armen wie Ofenrohre. Und die Hacke tanzte vor mir auf und ab, so schnell, dass ihre Bewegung gar nicht mehr zu sehen war. Aber meine Freundinnen waren nicht alle so. Manche schauten nur nach der Sonne, wie hoch sie schon gestiegen war. Sie schauten zur Sonne und dann auf ihren Schatten, um zu sehen, wie stark er sich schon verkürzt hatte. Und dann gafften sie, was auf der Straße passierte: Wer vorbeikam, wer vorüberging.

»Los, kommt schon, beeilt euch«, rief ich ihnen zu, »kommt, lasst uns das Feld hier fertig machen, solang der Mais noch nicht ganz verwelkt ist, solang er den Kopf nicht hängen lässt«, rief ich ihnen zu und hackte meinen Weg voran, lief vor allen her. Dann drehte ich um, holte sie ein und zog ihnen wieder davon. Kein einziges Mal hob ich den Kopf. Nur vor die Füße sah ich mir, vor die Finger. Aber meine Freundinnen: hahaha, hihi, eine prustet los, eine andere schließt sich an, und schon lachen sie alle. Und Klatschbasen waren das, der hat doch …, war das nicht … – das ganze Dorf wurde durchgehechelt. Und ein heißes Wetter war das! Ein Hitzeschwall schlägt von oben zu, ein anderer packt dich von unten. Dein Kopf glüht. Du denkst, die Hitze lässt dein Kopftuch gleich anbrennen, lässt es verkokeln. Ich trieb die Freundinnen an, rief ihnen zu, dass wir noch mehr vom Feld schaffen sollten, solange uns der Schatten nicht unter die Absätze gekrochen war. Denn dann flüchten sich alle unter die Bäume, und das Feld bleibt mit der Sonne allein.

»Brecht auch die Erdbrocken auf«, sagte ich, »hackt nicht nur, sondern grabt auch um«, rief ich und ließ die Hacke nicht ruhen, nicht innehalten.

»Wenn’s dir nicht taugt, geh doch selber noch mal drüber«, antworteten die Freundinnen und lachten wieder, prusteten los, eine nach der anderen prusteten sie los, und ihre Stimmen gingen übers Feld wie Glöckchen. Sie schütteten sich aus vor Lachen und starrten dann wieder nach oben, ob das Mittagessen wohl schon unterwegs war, wo die Sonne mittlerweile stand.

Was sollte man da tun – prügeln wollte ich mich nicht, also jätete ich die Reihe vor mir weiter. Eine Reihe begann ich mit ihnen zusammen, dann überholte ich sie, fing eine neue Reihe an, holte sie ein und lag schon wieder vor ihnen. Und Jon und Mirče ließen die Pferde grasen und schauten mir zu. Ich ahnte davon nichts. Wer hätte denn auch gedacht, dass mir jemand zuschaut. Es stimmt schon, einmal kam es mir so vor, als wären da Leute auf der Straße, aber woher soll man denn wissen, wer das ist und was sie da machen. Du denkst, ein paar Reisende rasten dort, lassen ihre Tiere weiden. Und selbst wenn du nachschauen wolltest – an so einem Tag kann man nichts klar erkennen. Das ganze Feld liegt in Dämmerlicht und Dunst, und die Schwüle lastet in schweren Lagen auf dir. Das Wetter ist bleiern, drückend, die ganze Zeit denkst du, dass gleich ein Gewitter losbricht. Aber nichts passiert. Und du schwitzt bloß, Bäche von Schweiß rinnen an deinem Körper herab, vom Hals bis zu den Füßen. Du triefst vor Nässe wie Flachsfasern aus der Rotte. Dein Mund ist die ganze Zeit trocken und zwingt dich, Wasser zu trinken. Andauernd schicken wir die eine Freundin los, Stojna Resuloska, um die Krüge zu füllen, um Wasser zu holen. Und sie geht gern und holt, denn so kann sie ein bisschen vom Jäten ausruhen. Sie holt, wir trinken. Nur ein bisschen stützt du dich auf der Hacke ab, hebst den Krug. Und der Krug gluckst, leert sich. Irgendwie musst du ja löschen. Und schüttest in dich hinein. Das lindert deinen Durst ein wenig, und du fängst wieder an zu jäten. Hackst auf den Acker vor dir ein und befreist ihn rund um jede einzelne Maispflanze vom Unkraut. Machst ihr die Schultern frei, rupfst, verschaffst ihr mehr Platz. Zweimal schlägst du mit der Schneide zu, einmal umgekehrt, mit der Rückseite. Jeder Erdbrocken muss zertrümmert, jedes kleine Unkraut untergegraben werden. Durch jeden Fingerbreit Erde muss die Hacke gehen. So hauen wir zu, bücken uns, richten uns auf, und der Acker wird nur immer größer. Wolltest du ihn abschreiten, kämst du nie an ein Ende, denkst du.

»He, die da wird meine Frau«, sagte Jon zu Mirče, »die oder keine«, sagte Jon.

»Bei Gott, so einen Arbeitsdrachen hab ich wirklich noch nie gesehen«, hat Mirče geantwortet. »Die kann sie alle in die Tasche stecken.«

Nach diesen Worten spannten sie die Pferde ein und brachen zum Markt auf. Ich habe von all dem erst später gehört. Mirče hat es mir gesagt. Er verplapperte sich, als wir seine Hochzeit feierten. Jon hat mir nie davon erzählt.

So war das. Dann, nach einigem Hin und Her, sollten wir uns endlich von Nahem sehen. Du musst ja sein Gesicht sehen, vielleicht ist der Mann ein Krüppel, das musst du alles wissen. Zuerst musst du nachschauen, ob er etwa taub ist oder blind oder irgendwo verbrannt oder ob er ein Bein nachzieht oder einen lahmen Arm hat. Alles musst du wissen, denn an seiner Seite sollst du fronen.

Tag um Tag verging, und eines Tages stellte man uns schließlich voreinander hin, wurden wir zusammengebracht, Jon und ich, unten bei der Brücke, beim Žvaner Bewässerungsdamm. Er da, ich hier. Und wir sehen uns an, schämen uns, du weißt gar nicht, was du sagen sollst. Kein einziges Wort fällt dir ein. So betrachte ich ihn mir also: Gesund ist er, alles ist dran an ihm, und alles ist schön. Die Augen sind grau, groß, sie schauen, als wollten sie mich verschlingen. Die Mütze hat er schief aufgesetzt. Sein Haar ist kastanienbraun und lugt auf der rechten Seite ein bisschen unter der Mütze hervor: Du denkst, er hat sich einen Basilikumzweig hinters Ohr gesteckt. Seine Ohren liegen eng an und sind am unteren Ende angewachsen, ohne Ohrläppchen. Wofür braucht ein Mann auch Ohrläppchen – ein Mann trägt doch keine Ohrringe. So schaue ich ihm ins Gesicht, dann auf den Džamadan, seine Trachtenweste, dann wieder ins Gesicht. Im Kinn hat er ein Grübchen, und das Kinn ist ein bisschen abgeflacht, wie abgeschnitten. Aber das macht nichts. Alles sieht hübsch aus an ihm, sogar das Grübchen im Kinn: Wenn er lächelt, dann denkst du, er lächelt mit zwei Mündern. Alles ist schön an ihm, und was schön ist, zieht die Augen ganz von allein auf sich. Ruck, zuck geht das, schon sind sie gefesselt. Im Angesicht des Schönen gibt es keine Lügen. Seine Zähne sind aufgereiht wie Weizenkörner, und sein ganzer Mund, oh, warum sollte ich das verschweigen, sein ganzer Mund ist wie eine Quelle voller weißer Kiesel. So haben es damals meine Augen gesehen. Ach ja, seine Nase war ein wenig aufgestülpt, und ich hatte gehört, dass Leute mit solchen Nasen ein bisschen garstig sind, ungestüm, unbändig. Aber ich hab mir gesagt: Ach, komm, stell dich nicht so an, Velika, kratz dich nicht, wo’s dich nicht juckt. Und hab mich nicht sattsehen können an ihm. Und ich sah, der Mann hat alles, was es braucht: Aufrecht ist er, der Džamadan platzt ihm schier auf den Schultern, seine Hosen sind prall gefüllt mit Sehnen und Muskeln. Was soll ich ihn mir noch weiter anschauen, hab ich gedacht, ich schämte mich ja schon, fürchtete mich davor, ihn noch weiter zu betrachten. Ich erinnere mich, dass mir die Knie zitterten. Gänsehaut hab ich bekommen, Schauder liefen mir über den Körper. Und mein ganzer Körper pochte. O weh, gleich falle ich in Ohnmacht, hab ich gedacht. Das Herz saß mir im Hals, so als wäre ich vom bösen Blick getroffen worden, als hätte mich jemand verwünscht. So schauen wir einander an und ich sage:

»He, genug geschaut jetzt.«

»Na, wie du meinst«, sagt Jon, »aber ich hab noch nicht genug«, sagt er.

»Ach, komm«, sag ich zu Jon, »verkohl mich doch nicht, spiel keine Spielchen mit mir.«

»Verflucht soll ich sein, wenn ich lüge, die Augen sollen mir rausfallen«, sagt er.

Irgendwie hatte er mich wohl nicht ganz richtig verstanden.

Und dann haben wir uns verlobt.

Auf dem Heimweg sprang ich, flog nur so dahin. Die Freude ließ mich vom Boden abheben, nichts konnte mich aufhalten, nichts ins Straucheln bringen. Die Welt lag weit vor mir, üppig und grenzenlos. Ein paar Frauen, die Mangold pflückten, richteten sich auf, schauten zu mir herüber und bekreuzigten sich. Mit den Mangoldbüscheln in Händen bekreuzigten sie sich. Die Frauen wunderten sich, was mit mir los war, deshalb bekreuzigten sie sich. Und ich sprang und erzählte mir noch einmal den Traum, der angeblich verrät, welchen Burschen du nimmst, mit welchem Mann du dich verheiratest. Es stimmt, in diesem Traum siehst du wirklich einen Mann – aber in welchem Traum begegnet dir denn kein Mann? Du musst nur einen Kamm, einen Spiegel und gekochten Weizen, den du einer Frau auf dem Heimweg aus der Kirche gestohlen hast, unter dein Kopfkissen legen. Alle haben das getan, also auch ich. Und zu meiner großen Überraschung träumte ich nicht von Jon, sondern von einem unbekannten Mann, einem Soldaten. Ich sah nur Soldaten, Soldaten, Kolonnen von Soldaten, die irgendwohin eilten. Ihre Köpfe waren mit Eisen bedeckt, mit Helmen, die glänzten wie Kürbisse, wie Kalebassen. Sie marschierten, und ich konnte ihre Augen nicht sehen. Und ein Gesicht ohne Augen erkennst du nicht, du weißt nicht, was es denkt. Ich lief neben ihnen her, winkte ihnen zu, aber sie marschierten nur und schauten sich nicht um. Nur ihre Hinterköpfe konnte ich sehen. Aber während sie so marschierten, stolperte einer in der letzten Reihe, und als er hinfiel, schaute er mir direkt in die Augen. Er schaute mich an, lachte und stand lachend wieder auf. Sicher lachte der Soldat aus dem Traum über sich selbst. Und Jon war doch kein Soldat, das war also alles nur Lug und Trug, ein Sack voll Wind sind solche Träume. Als ich Mutter den Traum erzählte, rief sie: »O weh, Tochter, du wirst einen Soldaten heiraten!« »Gebe Gott, dass es ein General ist«, sagte ich und lachte. Von Generälen hatte ich nämlich schon gehört.

So erzähle ich mir den Traum noch einmal, während ich ins Dorf renne. Und im Dorf flüchten die Hühner vor mir in alle Richtungen, sie flattern auf und gackern, und ihre Federn fliegen in die Luft, und Staub steigt auf, und ich renne nur und denke mir wieder, dass Träume gar nichts sagen. Nur Menschen tun das, sie sagen dir, was ihnen gerade einfällt. Jon und ich sind verlobt, und Jon ist kein Soldat. Das dachte ich. Aber es war nicht so.

JON

Ich hab im Brachmonat geheiratet, um die Zeit der Kirschernte. Damals kam der Töpfer Tole aus Vraneštica ins Dorf und verkaufte Tongeschirr zum Austeilen. Für die Toten am Pfingsttag. Er gab es für Bohnen her, für Getreide, für Wolle, für Socken und für Stulpen, für gegerbte Häute – was man gerade hatte. Steht also Tole über dem Geschirr und redet unentwegt:

»Becher, Krüge, Töpfe«, ruft er, »lang dauert’s nicht mehr, und der Moskauer Bär zeigt sich auch bei uns, Becher, Krüge, Töpfe, und dann werdet ihr schon sehen«, sagt er, »Becher, Krüge, Töpfe, wie ich mir hab sagen lassen, wird er auch für uns Krieg führen«, sagt er, »wir haben ja noch keinen Staat«, sagt er, »Becher, Krüge, Töpfe, allen um uns herum hat er schon welche gegeben«, sagt er, »Becher, Krüge, Töpfe, sind die anderen denn verwandter mit ihm als wir?« Und er hebt die Krüge einen nach dem anderen hoch, klopft mit den Fingern daran und bläst dann hinein, damit die Leute sehen, dass keiner leckt. Und wenn seine Backen prall aufgepustet sind und er die Lippen wieder von der Tülle des Kruges nimmt, jubelt er:

»Die lassen keine Seele durch, und Wasser schon gar nicht!«

Wasser haben wir damals an der Golemača geholt, oberhalb des Dorfes. Aus dem Fluss geschöpft haben wir es damals. Der floss dann durchs Dorf, aber auch da blieb das Wasser sauber. Niemand durfte Abfall ins Wasser gelangen lassen, außer einer Schnapsbrennerei war am Flussufer nichts erlaubt. Kein Abort, kein Hühnerstall, kein Schweinekoben. Nicht mal etwas abzapfen durfte man. Später wurden auch Brunnen gebohrt und eine Wasserquelle eingerichtet, oben auf der Pržnica, aber die ging kaputt. Eine Leitung brach, und keiner ging nachschauen, wo sie gebrochen war. Es denkt eben nicht jeder mit. So sind sie, die Leute!

Ein Bräutigam braucht ein Pferd, und ich hatte keins, also gab mir Nikole Soleski eines. Einmal hatte ich ihm den Pflug repariert, ich hatte ein Pflugbrett eingesetzt und kein Geld dafür verlangt. Damals hatte Nikole Soleski zu mir gesagt: »Wenn du mal etwas brauchst, gib nur Bescheid«, und als es jetzt ans Heiraten ging, da hab ich zu ihm gesagt:

»Ich brauche ein Pferd, Onkel Nikole«, hab ich gesagt.

»Da hast du ein Pferd und einen Sattel und Zaumzeug und Steigbügel«, hat Nikole Soleski gesagt und mich in den Stall geführt.

Kurz darauf verfinsterte sich die Luft, der Himmel brach über uns herein, es schüttete. Und die Hochzeitsleute, die Wartenden, die Trauzeugen, alles lief nach draußen und machte im Schlamm den Weg entlang kleine Kreuze. Die einen brachen Grasstängel, die anderen legten daraus kleine Kreuze, damit es zu regnen aufhörte. Und es hatte kaum eine Stunde gedauert, da war es auch schon vorbei. Der Himmel klarte auf, beruhigte sich wieder. Sein Zorn hatte nicht lange gedauert. Er hatte nur ein bisschen reinegemacht, gerade genug, dass wir keinen Kot ins Haus schleppten.

Für die Gäste schlachteten wir einen Geißbock. Einen Prachtkerl mit Hörnern wie Feldpfähle. Fleisch gab es also in Hülle und Fülle. Und anderes Essen. Die Hochzeitsleute brachten große Schüsseln mit Reis, mit Bohnen, mit Kartoffeln, ordentliche Haufen. Leitern hättest du gebraucht, hättest du auf sie draufklettern wollen. Und Pogatschen brachten sie, übergossen mit Ei und mit kleinen Löchern in der Kruste, rot wie Glut, wie die Dürre des Sommers. Alles haben die Leute hervorgeholt, was sie sich für fröhliche und für traurige Tage abgespart hatten. Jetzt können sie sich mit ganzem Recht vollfressen. Und stopfen die Münder voll mit Fleisch, mit Reis, mit Brot und kriegen kaum Luft, ersticken beinah, müssen mit offenem Mund kauen. Und man sieht ihr Essen – angekaut, nicht ausgekaut –, sieht, wie es ihnen an den hohlen Zähnen klebt. Hungriges Volk. Ihre Armut lässt sich nicht verbergen. Alle haben es eilig, den größten Hunger zu stillen. Einer will etwas sagen, und ihm fällt ein bisschen Essen aus dem Mund. Da verstummt er wieder. Auch die anderen schweigen. Am Schluss säubern sie sich die Zähne mit den nackten Fingern, mit den Nägeln oder mit Gabeln, die sie sich ins Zahnfleisch stechen. Und ihr Zahnfleisch beginnt zu bluten. Ein paar von den Hochzeitsleuten brechen sich etwas vom Besen hinter der Tür ab. Und nach kurzer Zeit ist vom Besen nur noch die Wurzel übrig, nur noch der Stiel. Ganz zerrupft ist er, ganz zerbissen. Im Haus herrscht Kommen und Gehen.

Geht einmal Džemo, der Feldhüter aus Pribilci, nach Žvan und begegnet Stojan Pejkoski. Und Stojan Pejkoski läuft an Džemo vorbei, als wär er gar nicht da. Da ruft der Feldhüter Stojan Pejkoski zurück und verlangt, er solle ihm ein langes Leben wünschen.

»Meine Jahre sind gezählt«, sagt Stojan Pejkoski, »und weil sie gezählt sind, weiß ich, dass nicht mehr viele bleiben«, sagt er. »Wenn ich dir noch welche abgebe, werden sie nicht mehr für mich reichen, und ich muss mir welche leihen«, sagt er. »Und von wem soll ich sie mir leihen«, sagt er, »wer wird mir Jahre geben, mit wessen Jahren werde ich leben?«

Ein Wort gibt das andere, und schließlich zwingt Feldhüter Džemo Stojan Pejkoski nach Hause. Dort legt er sich das Gewehr über den Schoß und verlangt nach Zelnik und Sauermilch. Verlangt, was da ist und was nicht da ist. Was ihm sein Arsch gerade einbläst. Ein Dorfbewohner läuft zum Wojwoden und erzählt ihm alles: so und so.

»Wirklich wahr?«

»Wirklich wahr!«

Und der Wojwode lauert Džemo bei den Čatlakover Mühlen auf. Zielt mit dem Gewehr auf ihn und tritt aus dem Versteck.

»Um Gottes willen«, sagt Džemo, »nimm mir nicht das Leben!« Die Haare stehen ihm zu Berge, er krümmt sich wie eine Raupe.

»Man bringt Gäste doch wieder auf den Weg«, sagt der Wojwode. »Und ich will dich auf den Weg bringen.«

»Ich lade mich auch bestimmt nicht wieder selber ein«, bettelt Feldhüter Džemo.

»Wenn du dich noch einmal selbst einlädst, bringe ich dich auf den Weg zu Gott«, sagt der Wojwode, »sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, sagt er.

Doch zum linken Ohr rein und zum rechten Ohr wieder raus. Und da ist Džemo wieder, aber diesmal mit Gendarmen, mit Berittenen, um im Dorf das Unterste zuoberst zu kehren. Er treibt die Männer zusammen und verprügelt sie vor den Frauen. Er prügelt die Männer, und die Frauen schmieren sich Schlamm ins Gesicht und Dung an die Hände. Und sie stinken, stinken ganz erbärmlich, die Frauen. Keiner kommt ihnen zu nahe, keiner fasst sie an.

Fünf Tage später lauert der Wojwode Džemo auf, wirft ihm Pfeffer in die Augen und schneidet ihm die Kehle durch.