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Dr. Dorothée Debuse, PhD, ist aktiv in der Hippotherapiepraxis und -forschung tätig. Sie lehrt und publiziert international und ist Dozentin für Physiotherapie an der Northumbria University, Großbritannien. Sie ist Fachbeirätin der Zeitschrift „mensch & pferd international“.

Hinweis: Soweit in diesem Werk eine Dosierung, Applikation oder Behandlungsweise erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autoren große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen oder sonstige Behandlungsempfehlungen kann der Verlag jedoch ebensowenig eine Gewähr übernehmen wie für die dargestellten rechtlichen Aussagen. – Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.dnb.de> abrufbar.

ISBN 978–3-497–02553–4 (Print)

ISBN 978–3-497–60219–3 (E-Book)

© 2015 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Coverbild unter Verwendung eines Fotos von Roland Schmid

Satz: FELSBERG Satz & Layout, Göttingen

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de  E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Geleitworte

Vorwort

Einführung

1 Die Hippotherapie im Rahmen des aktuellen Konzepts von Gesundheit und Rehabilitation

Von Dorothée Debuse

1.1 Hippotherapie: Entstehung und State of the Art

1.1.1 Historie der Mensch-Pferd-Beziehung

1.1.2 Definition der Hippotherapie

1.1.3 Hippotherapie: eine ganzheitliche Form der Physiotherapie

1.1.4 Die Wirkungen der Hippotherapie aus der Sicht der ICF

1.1.5 Wirksamkeitsnachweise

1.2 Personzentrierte Ethik in der Hippotherapie

1.2.1 Klient und Therapeut in der ICF

1.2.2 Personzentrierte Hippotherapie

1.2.3 Sich vom Pferd bewegen lassen

2 Effekte und Wirkungsweisen der Hippotherapie

2.1 Die Einzigartigkeit der Hippotherapie aus der Perspektive des Motorischen Lernens

Von Dorothée Debuse

2.1.1 Motorisches Lernen: Grundlagen

2.1.2 Motorisches Lernen in der Hippotherapie

2.2 Analyse der Pferdebewegung und der Reaktion des Menschen auf die Pferdebewegung

Von Uta Adorf, Dorothée Debuse und Christina Krämer

2.2.1 Beschreibung der Pferdebewegung im Schritt

2.2.2 Bewegungsantwort des Menschen auf die Bewegung des Pferdes im Schritt

2.2.3 Gleichlaufende Analyse von Pferde- und Menschenbewegung im Schritt

2.3 Indikationen und Kontraindikationen

Von Dorothée Debuse

3 Das Pferd in der Hippotherapie

3.1 Eigenschaften und Anforderungen

Von Dorothée Debuse und Uta Adorf

3.1.1 Gebäude

3.1.2 Charakter

3.1.3 Bewegung

3.1.4 Typ

3.2 Ausbildung von Pferden für die Hippotherapie

Von Uta Adorf und Dorothée Debuse

3.2.1 Bodenarbeit

3.2.2 Gelassenheitstraining

3.2.3 Die Arbeit am Langzügel

3.3 Gesund- und Leistungserhaltung von Pferden in der Hippotherapie

Von Dorothée Debuse

4 Team, Umfeld und Ausrüstung

4.1 Hilfsmittel in der Hippotherapie

Von Stephanie Tetzner und Dorothée Debuse

4.1.1 Therapiegurte

4.1.2 Sättel und Steigbügel

4.1.3 Sicherungsgurte

4.1.4 Zusätzliche Hilfsmittel

4.2 Umfeld

Von Dorothée Debuse und Uta Adorf

4.2.1 Physische Gegebenheiten

4.2.2 Die Menschen im Umfeld

4.3 Therapeuten und Assistenten

Von Dorothée Debuse und Uta Adorf

4.3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen

4.3.2 Ausbildung von Therapeuten und Assistenten

4.3.3 Team-Dynamik

4.3.4 Sorgfaltspflicht

4.3.5 Ergonomie

4.4 Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit

Von Dorothée Debuse und Uta Adorf

4.4.1 Legale und organisatorische Rahmenbedingungen .

4.4.2 Erwartungen und Wohlbefinden

4.4.3 Sicherheit und Ausrüstung

5 Vom Befund zur Behandlung

5.1 Untersuchung und Behandlungsplanung

Von Dorothée Debuse

5.1.1 Untersuchung und Dokumentation

5.1.2 Behandlungsplanung

5.2 Transfermöglichkeiten

Von Stephanie Tetzner

5.2.1 Manuelle Transfermöglichkeiten

5.2.2 Transfer per Lifter

5.2.3 Absitzen

5.3 Auswahl von Pferd, Tempi und Lektionen in der Hippotherapie

Von Dorothée Debuse und Stephanie Tetzner

5.3.1 Förderung von Flexion / Extension und Tonusregulierung

5.3.2 Förderung von Hüft-Adduktion / Abduktion und Lateralflexion in der Lendenwirbelsäule

5.3.3 Förderung der Rotation

5.3.4 Verbesserung der Rumpfkontrolle und Sitzbalance

5.4 Einwirkung des Therapeuten in der Hippotherapie

Von Dorothée Debuse und Uta Adorf

5.4.1 Fazilitation durch Stimme und mentale Bilder

5.4.2 Fazilitation durch visuelles Feedback

5.4.3 Taktile Fazilitation

6 Hippotherapeutische Ansätze bei verschiedenen Krankheitsbildern

6.1 Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma in der Hippotherapie

Von Corinna Wagner und Dorothée Debuse

6.1.1 Besonderheiten bei Fazilitation und Transfer

6.1.2 Behandlung

6.1.3 Einfluss Zentraler Mustergeneratoren

6.2 Hippotherapie für Menschen mit Cerebralparese

Von Stephanie Tetzner und Dorothée Debuse

6.2.1 Hippotherapie – Mindestalter oder Höchstalter?

6.2.2 Besonderheiten bei der Behandlung von Kindern

6.2.3 Besonderheiten bei der Behandlung Erwachsener

6.2.4 Die Hippotherapie im Kontext anderer Therapien

6.3 Kinder mit komplexer Behinderung in der Hippotherapie

Von Dorothée Debuse

6.3.1 Zielsetzungen

6.3.2 Behandlungsansätze

6.4 Erwachsene mit komplexer Behinderung in der Hippotherapie

Von Uta Adorf

6.4.1 Symptome und ihre Implikationen

6.4.2 Besonderheiten bei der Behandlung von Erwachsenen mit komplexer Behinderung

6.4.3 Möglichkeiten der Einflussnahme

6.5 Menschen mit Multipler Sklerose in der Hippotherapie

Von Christina Krämer

6.5.1 Mögliche Einflussnahme durch die Hippotherapie

6.5.2 Besonderheiten bei der Behandlung von Menschen mit MS

6.6 Menschen mit Rückenmarksschädigung in der Hippotherapie

Von Corinna Wagner

6.6.1 Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Hippotherapie

6.6.2 Kontraindikationen und Vorsicht

6.6.3 Besonderheiten bei der Durchführung der Hippotherapie bei Klienten mit Querschnittsymptomatik

7 Übergang zu anderen Gebieten des Therapeutischen Reitens

7.1 Übergang von der Hippotherapie zur Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd

Von Renate Brinner und Marco Vohmann

7.2 Von der Hippotherapie zum Reiten als Sport und Freizeitbeschäftigung

Von Stephanie Tetzner und Dorothée Debuse

7.2.1 Möglichkeiten der Vorbereitung auf das Reiten

8 Ausblick

Von Dorothée Debuse

Anhang

Glossar

Landesverbände

Vorschlag für einen Hippotherapie-Vertrag zwischen Klient und Hippotherapeut

Hippotherapie-Überweisungsbogen

Bildnachweis

Bezugsquellen

Sachregister

Geleitworte

images Das vorliegende, gut verständliche und leicht lesbare Buch beschreibt eine ganzheitlich verstandene Hippotherapie aus historischer und aktueller wissenschaftlicher Sicht.

Mit Genauigkeit und profundem Wissen werden theoretische Grundlagen und Anwendungsgebiete der Hippotherapie mit farbigen Fallbeispielen, Grafiken und Fotos übersichtlich dargestellt. Dabei steht der Patient mit seinen individuellen Bedürfnissen immer als mündiger Mensch im Mittelpunkt. Die Herausgeberin – selber aktive Reiterin mit einer neurologischen Schwäche – bringt sich mit viel Fachkompetenz und Selbsterfahrung ein. Die Fachbegriffe werden in einem Glossar gut erklärt.

Für Auszubildende wie auch bereits praktizierende Fachleute in den Bereichen Hippotherapie, aber auch verwandten pferdegestützten Interventionen, sollte das Buch Pflichtlektüre werden.

Oetwil am See, im Juni 2015

Dr. med. Georgina Brandenberger

Fachärztin für Jugendpsychiatrie, Reittherapeutin SG-TR

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images Dem in der praktischen Anwendung der Hippotherapie sehr erfahrenen Autorenteam ist es gelungen, ihre Vielfältigkeit und Multidimensionalität in allen Aspekten umfassend darzustellen. Insbesondere die zukunftsweisenden Ansätze einer ganzheitlichen Herangehensweise als auch die bislang im Bereich der Hippotherapie eher wenig beachteten Möglichkeiten – in der Orthopädie und der Prävention – sind berücksichtigt. Die Autoren bieten eine solide praktische und wissenschaftliche Basis für ein gemeinsam agierendes Team von Therapeut, Klient und Pferd, bei dem das Wohl des Klienten im Vordergrund steht. Die beeindruckend umfangreichen Literaturrecherchen im Anschluss an die jeweiligen Kapitel unterstreichen die Wissenschaftlichkeit des Ansatzes.

Saarbrücken, im Juni 2015

Dr. med. Jan Holger Holtschmit

Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V. (DKThR),

Vorstandsvorsitzender

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images Mit diesem Buch haben Dorothée Debuse und ihre erfahrenen Mitautorinnen einen weiteren großen Schritt in eine umfassende Darstellung der gegenwärtigen Hippotherapie gemacht.

In vorliegendem Werk wird die durchdachte, ge- und erlebte Hippotherapie von allen im Team Mitwirkenden beleuchtet und gewürdigt.

Die Forderung nach steter Wachheit von TherapeutInnen und PferdeführerInnen ist nötig, um die fast unerschöpflichen Möglichkeiten des Pferdes zum Wohle der Klienten bestmöglich auszuschöpfen.

Dorothée Debuse weist auch durch eine Fülle von Hinweisen auf wissenschaftliche Arbeiten und praktische Erfahrungen auf die herausragende Stellung des Pferdes in einer modernen ganzheitlichen Physiotherapie hin.

Das Buch ist eine Verständnisgrundlage der Hippotherapie für Neulinge und erfahrene HippotherapeutInnen, aber auch für alle an dieser Therapieform Interessierten.

Es ist jedoch auch eine Einladung und Ermutigung zu eigenen kritischen Fragen und Antworten mit dem Ziel, die Hippotherapie im Sinne der ICF zu praktizieren.

Graz, im Juni 2015

Elke Molnar-Mignon

Österreichisches Kuratorium für Therapeutisches Reiten (ÖKTR), Sektionsleiterin Hippotherapie

images Ein rundum gelungenes und kompetentes Buch über die Hippotherapie! Anschaulich, fundiert und verständlich beschreibt das Autorenteam rund um die Herausgeberin Dorothée Debuse auch schwierige Sachverhalte. Behandlungsansätze und Wirkungsweisen bei verschiedenen Krankheitsbildern werden ebenso aufgezeigt wie physische und emotionale Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung. Patientenberichte sowie Erkenntnisse aus aktuellen wissenschaftlichen Studien verdeutlichen den ganzheitlichen Ansatz, der von Respekt und Anerkennung für die Patienten gekennzeichnet ist. Dorothée Debuse und ihre Mitautorinnen – diese bilden das aktuelle Lehrteam für Hippotherapie im größten deutschen Fachverband für Therapeutisches Reiten – legen einen umfassenden und auf aktueller Forschung gegründeten Leitfaden vor: für Hippotherapeuten, Ärzte, aber auch für an der Materie Interessierte. Das Buch regt auch erfahrene Therapeuten zur Reflexion an und ist Basis für professionelles Lehren und Handeln.

Greven, im Juni 2015

Cornelia von Rüxleben-Plöger

DKThR-Beauftragte für Therapeutisches Reiten im Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK)

Vorwort

Ein neues Buch über Hippotherapie: Ich gratuliere!

Dorothée Debuse hat das weite Feld der Hippotherapie neu bestellt, hat den reichen Schatz ihrer Erfahrung in einem umfangreichen Literaturstudium verankert und ein weiterführendes Literaturverzeichnis verfügbar gemacht. Die praktische Arbeit mit dem Pferd und um das Pferd wird lebendig dargestellt, über lange Entwicklungsprozesse entstandene Erkenntnisse sind selbstverständliche Grundlagen der Therapie. Dabei werden in allen Bereichen – Patient, Therapeut, Arzt und Pferd betreffend – hohe Ansprüche an Fachkompetenz gestellt, dieser Forderung entspricht auch die Einbeziehung erfahrener Mitautoren – Uta Adorf, Christina Krämer, Stefanie Tetzner, Corinna Wagner sowie Renate Brinner mit Marco Vohmann. Die sorgfältige Darstellung von vielfältigen Beziehungspunkten für die qualifizierte Durchführung der Hippotherapie geschieht in eindringlich schlichter Diktion. Das macht das Buch zum wertvollen Leitfaden für die Praxis. Gleichlaufend werden theoretisch-wissenschaftliche Grundlagen höchst informativ mit reichem vorzüglichem Bildmaterial belegt. Dieses Fundament begründet den Stellenwert der Hippotherapie und die Anerkennung ihrer Eigenständigkeit im Rahmen konventioneller Physiotherapie. Für den Kostenträger sind dies ausschlaggebende Voraussetzungen.

Neue Schau, neues Ausleuchten, neue Ergebnisse und neue Wertung eines immer noch unerschöpflichen Themas machen dieses Buch zum neuzeitlichen Pionier für die Hippotherapie. Behandelt wird nicht mehr ein Patient, sondern der Klient: Diese Umbenennung sei Spiegel für persönliche Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung des Menschen, sie ordnet ihm die ausschlaggebende Aktivität der Dreierkommunikation Klient – Physiotherapeut – Arzt zu. (Der alte Patient bringt Vertrauen mit, der neue Klient Google-Wissen, das Computer-Zeitalter programmiert Wertigkeiten).

Von früher Kindheit an verbindet die Herausgeberin eine therapeutische Lebensgemeinschaft mit dem Pferd und die eigene Cerebralparese mit spastischer Diparese wurde ihr zum Lehrmeister: Ohne Pferd hätte Dorothée nie so gut laufen gelernt. Das Pferd hat ihren Beruf als Physiotherapeutin und ihre akademische Laufbahn als Dozentin beeinflusst und ihre Doktorarbeit bestimmt. Das eigene Erleben und Tun wurde immer kreativ-kritisch hinterfragt und durch das Zusammenfassen dieser Ebenen konnte ein wertvolles Buch entstehen mit neuem Erkennen: Das ganze Pferd für den ganzen Menschen.

Große Anerkennung und Dank gebühren Dorothée Debuse für dieses Werk und dem Ernst Reinhardt Verlag für seine Veröffentlichung.

Kreuth, im Juni 2015

Dr. med. Ingrid Strauß

Sie war als Ärztin in leitender Funktion ihr gesamtes Berufsleben an Kliniken tätig, langjähriges Vorstandmitglied sowie Vorsitzende des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten e. V., 1984 Bundesverdienstkreuz, 2006 Bayerischer Verdienstorden, 2009 Gründungsherausgeberin der Zeitschrift „mensch & pferd international“.

Einführung

Als der Ernst Reinhardt Verlag 2009 mit der Frage an mich herantrat, ob ich ein Buch über Hippotherapie schreiben oder herausgeben wollte, lehnte ich spontan ab. Ich hatte erst im Jahr zuvor meine Hippotherapie-Ausbildung abgeschlossen und – trotz langjähriger Eigenerfahrung – zu wenig Erfahrung in der Behandlung von Klienten auf dem Pferd. Außerdem fühlte ich mich zu diesem Zeitpunkt weder befähigt noch berechtigt, in Ingrid Strauß‘ Fußstapfen zu treten. Die Landschaft hatte sich aber verändert, als der Verlag drei Jahre später mit derselben Bitte auf mich zukam. Ich hatte die Gelegenheit gehabt, mit Klienten verschiedener Krankheitsbilder in der Hippotherapie Erfahrung zu sammeln, und dabei erkannt, dass die Symbiose meines Wissens als Physiotherapeutin, Universitäts-Dozentin, Hippotherapeutin, Wissenschaftlerin und Eigenerfahrung als Mensch, Reiterin und immer wieder Klientin mit Cerebralparese für die Hippotherapie-Praxis sehr hilfreich und fruchtbar ist.

Die Arbeit an diesem Buch war sehr interessant und spannend, denn sie hat mich immer wieder zur Reflexion meiner eigenen Praxis angeregt. Das ist ein sehr gesunder und hilfreicher Vorgang, bei dem ich viel gelernt habe.

Mit seiner Basis im modernen Verständnis von Gesundheit und personzentrierter Rehabilitation soll dieses Buch eine neue evidenzbasierte und Best Practice-Perspektive bieten, die Wissenschaft mit aktueller Ethik im Gesundheitswesen, wichtigen Grundlagen in Bezug auf motorisches Lernen und pferdegerechter Arbeit und langjähriger Praxiserfahrung mit Menschen mit verschiedenen Krankheitsbildern in der Hippotherapie miteinander verbindet. Es gewährt außerdem Einblicke in die Auswirkungen und die Erfahrung neuro-motorischer Einschränkung auf dem Pferd. Die Beiträge meiner Kolleginnen und Mitautorinnen, die seit Jahren die Hippotherapie-Ausbildung des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR) leiten, gewährleisten zudem, dass die hier vorgestellte Hippotherapie dem aktuellen Lehrstand des DKThR entspricht. Daraus ergibt sich ein großer Wissensschatz, den wir nun auch unseren Lesern zugänglich machen wollen.

Aber Vorsicht: Dieses Buch bietet keine ‚Rezepte‘ an nach dem Motto: „Wenn ein Klient dieses Problem hat, dann ‚behandle‘ ihn so und so“. Unsere Absicht ist vielmehr, wichtige Grundlagen zu vermitteln, mit deren Beherrschung der Therapeut in der Lage ist, situationsgerecht zu handeln. Wir wollen also für kritische und eigenverantwortlich denkende Leser (sowohl Neulinge im Fach als auch erfahrene Hippotherapeuten) einen soliden Ausgangspunkt für Clinical Reasoning und Praxis schaffen, nach dem Grundsatz: „Wer weiß, was er tut, kann tun, was er will“ (Feldenkrais). Außerdem wollen wir die Leser immer wieder für die Achtsamkeit gegenüber der Person und deren individuellen Bedürfnissen sensibilisieren. Wir wollen zeigen, wie diese Achtsamkeit die Hippotherapie-Praxis bereichert, und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, sondern auch ganz besonders in der Art, wie die Hippotherapie von allen Beteiligten erlebt wird.

Obwohl derzeit in Deutschland fast ausschließlich Physiotherapeutinnen und Ärztinnen die Hippotherapieausbildung machen, haben wir, um den Lesefluss des Textes nicht zu unterbrechen, immer die männliche Form (z. B. Therapeut) gewählt. Dies auch in der Hoffnung, dass immer mehr unserer männlichen Kollegen das Potenzial und das mit der Hippotherapie verbundene Erfolgserlebnis erkennen und auf diesem Gebiet arbeiten.

Bei Fallbeispielen wurde aus Gründen der Vertraulichkeit der Name des Klienten immer durch ein Pseudonym ersetzt, außer in den Fällen, in denen der tatsächliche Name das Klienten auf seinen Wunsch oder den Wunsch seines Erziehungsberechtigten ausdrücklich erwähnt wird.

Zu guter Letzt möchte ich all denen meinen aufrichtigen Dank aussprechen, ohne die dieses Buch nicht gelungen wäre:

images meinen KollegInnen und MitautorInnen Uta Adorf, Renate Brinner, Christina Krämer, Stephanie Tetzner, Marco Vohmann und Corinna Wagner, für ihren wichtigen Beitrag und die gute und anregende Zusammenarbeit,

images Frau Dr. med. Ingrid Strauß, Grande Dame der Hippotherapie, dafür, dass sie mir früh den Blick für personzentrierte Hippotherapie geschärft hat, und für ihr aufrichtiges Interesse an meiner Arbeit seitdem. Ohne ihre Ermutigung hätte ich dieses Buchprojekt nicht angepackt,

images meinen Klienten, von denen ich so viel lernen darf, und die mich in meiner Arbeit immer wieder fordern und motivieren,

images Anne-Kathrein Schiffer und Franziska Thiel vom Ernst Reinhardt Verlag für ihre fachkundige Unterstützung in den letzten Phasen dieses Projekts,

images meinem Mann für seine Liebe und Geduld und die vielen Tassen Kräutertee,

images meinem Vater für sein unermüdliches, kritisches Gegenlesen meiner Kapitel in Sachen Ausdruck, Grammatik und Rechtschreibung (meine professionelle Sprache ist mittlerweile Englisch).

Da ein solch umfangreiches Buchprojekt nur dann erfolgreich sein kann, wenn es für die Leser relevant ist, möchte ich Sie dringend dazu anregen, mir Ihr Feedback zum Buch zu geben. Nur so können wir auch als Autoren und Herausgeber weiter lernen. Schon im Voraus ganz herzlichen Dank!

Dorothée Debuse, im Juni 2015

info@horsepowerforability.com

 1  Die Hippotherapie im Rahmen des aktuellen Konzepts von Gesundheit und Rehabilitation

Von Dorothée Debuse

1.1 Hippotherapie: Entstehung und State of the Art

1.1.1 Historie der Mensch-Pferd-Beziehung

Die Entwicklung von Pferden und Menschen war über hunderttausende von Jahren hinweg eng verbunden. Der Mensch entdeckte das Pferd zunächst als Nahrungsquelle und schätzte und verehrte es wegen seiner Schnelligkeit und Anmut (Wieczorek / Stellenbach 2007). Höhlenmalereien sowie Schmuckstücke und Gebrauchsgegenstände, die in sorgfältiger Arbeit mit Pferdemotiven verziert wurden, zeugen von der Bedeutung des Pferdes für unsere prähistorischen Vorfahren. Mit seiner Domestizierung vor ca. 6000 Jahren wurde das Pferd dann wichtig als Reit-, Last-, und Zugtier und hat viele Erfolge des Menschen erst möglich gemacht ( Budiansky 1997). Tatsächlich war der Einfluss des Pferdes auf die Entwicklung des Menschen so ausschlaggebend, dass manche Autoren argumentieren, ihr Beitrag zur Zivilisation sei mit dem der Entdeckung des Feuers gleichzusetzen (Wieczorek / Stellenbach 2007). So wurde z. B. auch das Rad nachweislich erst nach der Domestizierung des Pferdes „erfunden“, und diese Entwicklung wird auf die Nutzung des Pferdes als Zugtier zurückgeführt (Budiansky 1997).

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Abb. 1.1: Höhlenmalerei, ca. 14.000 Jahre alt, in der Höhle von Ekain im spanischen Baskenland (Foto: Dorothée Debuse)

Auch der Einsatz von Pferden zur Förderung der Gesundheit ist nicht neu. Schon Hippokrates (ca. 460–370 v. Chr.) und der Arzt des römischen Kaisers Marcus Aurelius (121–180 n. Chr.) schätzten die Wirkung des Reitens für die Gesundheit. Besonders seit der Renaissance, in der auch das Interesse an der klassischen Reitkunst wiederbelebt wurde (Worsley 2008; Crossley 1992), waren Ärzte an der Reiterei zur Verbesserung des Wohlbefindens und zur Behandlung spezifischer Krankheiten interessiert (Riesser 1996). Und Mitte des 18. Jahrhunderts bezog sich Diderot spezifisch auf die An- und Entspannung von Muskeln während des Reitens. Auch damals schon wurden Pferde nicht nur zur Verbesserung der physischen Gesundheit eingesetzt. Ärzte am Hof der österreichischen Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) rieten zur Reiterei, um Krankheiten des Gemüts zu behandeln (Riesser 1996).

Die Hippotherapie hat ihren Ursprung nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem (sporadischen) Einsatz von Pferden zur Rehabilitation beinamputierter Soldaten. Der Hauptkatalysator für den Einsatz des Pferdes in der Rehabilitation waren jedoch die Turniererfolge der dänischen Reiterin Lis Hartel (1921–2009). Sie machte das Reiten zum wichtigen Bestandteil ihrer Rehabilitation nach ihrer Polioerkrankung, und erritt 1952 und 1956 trotz ihrer Lähmung die Olympische Einzel-Silbermedaille in Dressur. Nach ihren olympischen Siegen gründete sie ein Zentrum für Reittherapie und setzte sich weltweit für das Pferd in der Rehabilitation ein (Jackson 2014; Reuter 2010; The Olympic Movement 2015). Mit seiner Gründung 1970 war das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V. (DKThR) der erste landesweite Fachverband für Therapeutisches Reiten seiner Art. Es bietet seit 1976 die systematische Ausbildung von Fachkräften in allen Teilbereichen des Therapeutischen Reitens an (DKThR 2015). Verbände in anderen Ländern folgten bald dem deutschen Vorbild.

1.1.2 Definition der Hippotherapie

Hippotherapie (griech.: hippos = Pferd; therapeuein = behandeln) wird in verschiedenen Ländern unterschiedlich definiert. In manchen Ländern beinhaltet der Begriff Hippotherapie therapeutische Maßnahmen mit Hilfe des Pferdes für Menschen mit Behinderung im weitesten Sinne. Aufgrund ihrer vielfältigen Wirkungen wird sie in manchen Ländern, inklusive der Vereinigten Staaten, wo sie als medizinische Anwendung verstanden wird, von Physiotherapeuten sowie Ergotherapeuten und Logopäden praktiziert. Wie in Abbildung 1.2 dargestellt, wird die Hippotherapie im deutschsprachigen Raum als ein Teilbereich des „Therapeutischen Reitens“ verstanden. Obwohl es Überschneidungsgebiete zwischen den verschiedenen Bereichen gibt, hat jeder Teilbereich doch seine ihm eigenen Zielsetzungen und (Ein-)Wirkungsweisen. Da Strauß (2008) die Zielsetzungen und Ansätze der verschiedenen Teilbereiche des Therapeutischen Reitens umfassend darlegt, soll dies hier nicht wiederholt werden.

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Abb. 1.2: Die Teilbereiche des Therapeutischen Reitens (in Anlehnung an das Modell von Heipertz, 1977)

In diesem Buch geht es um die Hippotherapie, wie sie in den deutschsprachigen Ländern und Großbritannien definiert ist.

DEFINITION

Danach ist die Hippotherapie eine physiotherapeutische Einzelbehandlung mit und auf dem Pferd. Sie wird von Physiotherapeuten (in Deutschland seit 2014 auch von Ärzten) mit Spezialausbildung durchgeführt und nutzt die einzigartigen dreidimensionalen Bewegungsimpulse des Pferdes, um beim Klienten auf dem Pferderücken Bewegungsantworten und / oder Haltungsfunktionen zu stimulieren. Der Pferdeführer wird vom Therapeuten genau angewiesen, das Pferd so zu führen, dass seine Bewegung beim individuellen Klienten zu maximalen therapeutischen Effekten führt.

1.1.3 Hippotherapie: eine ganzheitliche Form der Physiotherapie

„Leben ist Bewegung, und Bewegung ist Leben“ (Strauß 1998, 12). Es ist nicht überraschend, dass sich eine Körperbehinderung oder auch eine nur vorübergehende Bewegungseinschränkung negativ auf die Bewegungserfahrung und das Bewegungsverhalten des Menschen auswirken. Besonders bei Kindern und Jugendlichen führt dies zu einer Verzögerung ihrer psychomotorischen Entwicklung (Schulz 1998). Strauß argumentiert, dass Bewegung ganz besonders wichtig für die Entwicklung des Körpers und Geistes von Menschen mit einem Bewegungsdefizit ist (Strauß 1998). Tatsächlich steht die frühe motorische Entwicklung eines Menschen in engem Zusammenhang mit der Entwicklung seiner Selbständigkeit und seines Selbstvertrauens. „Mit anderen Worten: Identität entwickelt sich durch Bewegung, Körperbewusstsein und Körpererfahrung“ (Schulz 1998, 55). Aber auch im späteren Leben wird die Identität eines Menschen maßgeblich durch seine Bewegungs- und Funktionsfähigkeit bestimmt. So deklariert es auch der Weltverband für Physiotherapie:

„Funktionelle Bewegungsfähigkeit steht am Zentrum dessen, was es heißt, gesund zu sein.“

Physiotherapeuten helfen Menschen, „maximale Bewegungs- und Funktionsfähigkeit zu entwickeln, zu erhalten und wiederherzustellen. […] In der Physiotherapie geht es um die Optimierung von Lebensqualität und Bewegungsfähigkeit […], dies umfasst physisches, psychisches, emotionales und soziales Wohlergehen“ (Weltverband für Physiotherapie 2014).

Die Hippotherapie ist ein ideales Mittel, die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit von Menschen zu fördern und somit ihre Lebensqualität zu verbessern. Das Pferd ist dabei nicht nur Mittel einer Bewegungstherapie für den Körper. Es wirkt auch auf die Psyche des Menschen, spricht ihn emotional an und kann sein soziales Wohlergehen verbessern (Debuse et al. 2009; Strauß 2008). Nach der Definition des Weltverbandes für Physiotherapie (2014) bietet die Hippotherapie also einen ganzheitlichen Ansatz, die Gesundheit des Menschen positiv zu beeinflussen.

1.1.4 Die Wirkungen der Hippotherapie aus der Sicht der ICF

Der enge Zusammenhang zwischen physischen, psychischen und sozialen Faktoren und deren Auswirkung auf die Gesundheit ist der Kern des biopsychosozialen Modells der Gesundheit und Rehabilitation (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation 2006). Dieses ist in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation ausgedrückt (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2014). Die ICF sieht den Menschen und seine Gesundheit im Zentrum einer Reihe von Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen. Wie der Weltverband für Physiotherapie sieht die ICF die funktionellen Fähigkeiten des Menschen als zentral für sein Wohlbefinden an (s. Abb. 1.3).

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Abb. 1.3: Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)

Die ICF ist ein gutes Rahmenwerk für die Betrachtung des Menschen und seiner Gesundheit bzw. der Faktoren, die sie beeinflussen oder die ihr abträglich sind (Gutenbrunner et al. 2004; Grill et al. 2005; Moser et al. 2008). Sie bietet außerdem einen guten Leitfaden für die Organisation von Behandlungszielen, sowie für die Untersuchung der Effektivität von Interventionen (Beckung / Hagberg 2002; Rosenbaum / Stewart 2004). So bestehen viele Geldgeber großer Studien im Gesundheitswesen mittlerweile auf der Untersuchung der Wirksamkeit der getesteten Intervention auf den Ebenen der Aktivitäten und der Partizipation. Und das ist wichtig, denn erst daran kann man erkennen, ob sich eine Intervention auch wirklich positiv auf die Lebensqualität eines Menschen auswirkt.

Die Wirkungen der Hippotherapie sind vielfältig und, wie schon erwähnt, ganzheitlich. Die bisher umfassendste Studie der verschiedenen Effekte der Hippotherapie fand komplexe Verknüpfungen verschiedener physischer und psychischer Effekte sowie andere Faktoren, die hippotherapiespezifisch sind, und zur allgemeinen Wirksamkeit der Hippotherapie beitragen (Debuse 2006). Obwohl es in der Studie um Menschen mit Cerebralparese ging, sind viele der Ergebnisse auf Hippotherapie-Klienten im Allgemeinen übertragbar, da sie Klienten jeden Alters involvierte und die beschriebenen Wirkungen für Menschen mit neuromotorischen Defiziten generell relevant sind. Die Abbildungen 1.4 und 1.5 fassen jeweils die physischen und psychischen Wirkungen der Hippotherapie und die wichtigsten Wechselwirkungen zusammen. Die Dicke der Pfeile deuten auf den Stellenwert der Effekte (aus der Perspektive von Menschen mit Cerebralparese). Wie diese Wirkungen zustande kommen, wird in Kapitel 3.1 beschrieben. Strauß (2008) beschreibt die Effekte der Hippotherapie außerdem aus der Sicht der Neuromotorik, Sensomotorik, Psychomotorik und Soziomotorik. In Abbildung 1.6 sind wichtige physische Effekte der Hippotherapie auf den Ebenen der Körperstrukturen und -funktionen sowie der Aktivitäten und der Partizipation gemäß der ICF zusammengefasst. Sie sind nicht umfassend, können dem Leser aber als Orientierung dienen.

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Abb. 1.4: Die physischen Effekte der Hippotherapie (Debuse et al. 2009)

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Abb. 1.5: Die psychischen Effekte der Hippotherapie (Debuse et al. 2009)

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Abb. 1.6: Die physischen Effekte der Hippotherapie im Rahmen der ICF

1.1.5 Wirksamkeitsnachweise

In der Schweiz ist die Hippotherapie eine kassenpflichtige medizinische Maßnahme für Kinder mit Cerebralparese und Menschen mit Multipler Sklerose (Schweizer Gruppe für Hippotherapie-K® 2015). In Deutschland wurde sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (2006) als nicht kassenpflichtig bestätigt. Die Begründung hierfür ist, die Hippotherapie sei nicht kosteneffizient und es lägen nur ungenügend wissenschaftliche Belege über ihre Wirksamkeit vor. Dazu eine kurze Erklärung: Es gibt unzählige Studien, die die positiven Wirkungen der Hippotherapie auf verschiedene Klientengruppen untersuchen und / oder beschreiben. Bei der Untersuchung der Wirksamkeit hingegen geht es darum nachzuweisen, dass eine Intervention – in diesem Fall die Hippotherapie – effektiver ist als eine andere oder keine Intervention. Das etablierte „wissenschaftliche“ Studienmodell zur Prüfung der Wirksamkeit medizinischer Interventionen, nämlich die Randomisierte Kontrollierte Studie, stammt aus der Arzneimittelforschung. Hier werden Hunderte von Probanden mit sehr ähnlichen Symptomen verschiedenen Arzneimitteln ausgesetzt – normalerweise ein „aktives“ Medikament und ein Placebo.

Die Anwendung dieses Modells in Studien mit Teilnehmern mit sehr unterschiedlicher Ausprägung von Symptomen wie in der Hippotherapie und anderen therapeutischen Interventionen, die nicht auf der Einnahme von Arzneimitteln beruhen, ist immer noch gängig. Allerdings werden die Mängel Randomisierter Kontrollierter Studien sowohl in der medizinischen Forschung, als auch besonders in der Forschung therapeutischer Interventionen zunehmend erkannt (McGill 2013; Miller / Jones-Harris 2005; Gibson / Martin 2003; Wade 2001; White 2004; Sekerak 2003; Tinetti / Studenski 2011; Luce et al. 2009; Horn / Gassaway 2010; Horn / Gassaway 2007; Dreyer et al. 2010; Schmiemann 2012). Auch die Verwendung traditioneller statistischer Methoden, wie Signifikanztests, wird zunehmend sowohl von Medizinern als auch Statistikern kritisiert (Batterham / Hopkins 2006; Gelman / Carlin 2014; Ioannidis 2005; Shakespeare et al. 2001; Sterne / Smith 2001).

Kleinere kontrollierte Studien, Beobachtungsstudien sowie Fallstudien zur Untersuchung der Wirksamkeit therapeutischer Interventionen werden mittlerweile als valide Alternativen angesehen (Bithell 2000; Duckworth 1999; Gibson / Martin 2003; Sekerak 2003; White 2004; Tinetti / Studenski 2011; Luce et al. 2009; Dreyer et al. 2010; Horn / Gassaway 2010). Das von der Weltgesundheitsorganisation propagierte biopsychosoziale Modell der Rehabilitation (ICF) sucht Klienten nicht nur in ihrer eigenen Behandlung, sondern auch in der Evaluierung von Interventionen zu involvieren. Besonders vor diesem Hintergrund ist der ausschließliche Bezug auf quantitative Daten aus Kontrollierten Studien in evidenzbasierten klinischen Entscheidungsprozessen nicht mehr vertretbar (Duckworth 1999; Gibson / Martin 2003; Miller / Jones-Harris 2005).

Trotz der methodischen Herausforderungen bei der Forschung mit heterogenen Probanden gibt es mittlerweile jedoch auch auf dem Gebiet der Hippotherapie eine schwer ignorierbare Anzahl von Randomisierten Kontrollierten Studien sowie mehrere systematische Übersichtsarbeiten. Sie weisen die Wirksamkeit der Hippotherapie sehr wohl nach (s. Tab. 1.1).

So ist die Behauptung, die Wirksamkeit der Hippotherapie sei nicht wissenschaftlich nachgewiesen, tatsächlich ungerechtfertigt. Physiotherapeuten und Ärzte sollten sich also von solchen Äußerungen nicht verunsichern lassen. Ganz im Gegenteil sind sie aufgefordert, zur wachsenden Evidenzbasis der Hippotherapie beizutragen. Tabelle 1.1 bietet einen kurzen Überblick über wissenschaftliche Studien auf dem Gebiet der Hippotherapie seit 1995. Alle diese Studien sind in internationalen Fachzeitschriften nach Doppelblindgutachten (independent peer-review) publiziert und von hoher bis sehr hoher Qualität hinsichtlich ihrer Methodik, einschließlich der Verwendung international validierter und genormter Methoden der Ergebnismessung (Outcome Measures).

Tab. 1.1: Beispiele qualitativ und inhaltlich überzeugender und wegweisender Studien in der Hippotherapie

Krankheitsbild Autoren Studien- Design/Typ Anzahl der Teilnehmer
Cerebralparese Benda et al. 2003 Randomized Controlled Trial 15
Casady & Nichols-Larsen 2004 Case series design 10
Debuse et al. 2009 Qualitative Studie 31
Kwon et al. 2011 Controlled Trial 32
McGibbon et al. 1995 Case series design   3
McGibbon et al. 2009 Randomized Controlled Trial 53
Zadnikar & Kastrin 2011 Systematic Review + Meta-Analyse
Sterba 2007 Systematic Review
Snider et al. 2007 Systematic Review
Shurtleff et al. 2009 Randomized Controlled Trial 19
Shurtleff & Engsberg 2010 Pilot Randomized Controlled Trial 12
Andere neurologische pädiatrische Krankheitsbilder Encheff et al. 2012 Case series design 11
Murphy et al. 2008 Fallstudie   4
Winchester et al. 2002 Fallstudie   7
Multiple Sklerose Bronson et al. 2010 Systematic Review 49
Silkwood-Sherer & Warmbier 2007 Controlled Trial 15
Querschnittlähmung Lechner et al. 2003 Case series design 32
Lechner et al. 2007 Cross-over design 12
Rückenschmerzen Rothhaupt et al. 1997 Randomized Controlled Trial 32

1.2 Personzentrierte Ethik in der Hippotherapie

1.2.1 Klient und Therapeut in der ICF

Wie in Kapitel 1.1.4 dargelegt, verändert das biopsychosoziale Modell der Gesundheit und Rehabilitation, wie in der ICF ausgedrückt, die Art und Weise, wie Gesundheit und Krankheit bzw. Behinderung gesehen werden. Es verändert auch die Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Der Klient unterstellt sich nicht mehr der „Allwissenheit“ des Arztes oder Therapeuten. Der „Patient“ wird nunmehr als „Klient“ angesehen und somit als selbstständiger und eigenverantwortlicher Mensch. Im Detail bedeutet das auch, dass von Mündigkeit bzw. Entscheidungsfähigkeit des Klienten ausgegangen wird, es sei denn, seine Unmündigkeit ist festgestellt. Im Sinne der ICF, wie sie sich auch im „Neuen Modell der Physiotherapie“ bzw. in der „Integrativen Physiotherapie“ widerspiegelt, richtet sich die Therapie aus „an den Zielen und Vorstellungen des Klienten. Der Therapeut ist der Experte, der aufgrund seiner Ausbildung und seines Wissens den Klienten“ begleitet, motiviert und befähigt (Hüter-Becker 2003, 2121). Mit anderen Worten, „die Zeiten, in denen Therapeuten mit allen guten Absichten ihren Patienten sagen konnten, was gut für sie ist“, sind vorbei (Hof 2014, 15).

So ist der Klient gleichgeordneter Partner des Therapeuten. Und das ist höchste Zeit, nicht nur aus Respekt vor der Person. Schließlich haben Klienten mit „Langzeit-Behinderung“ einen unglaublichen, ihnen allein eigenen Erfahrungsschatz darüber, wie ihr Körper auf bestimmte Reize reagiert, was für ihre Gesundheit im weitesten Sinne hilfreich ist und was sie stört (Lussier / Richard 2008; Hughes et al. 2008). Therapeuten und Ärzte wären unklug, dieses Wissen zu ignorieren, denn es ermöglicht, vermeidbare Fehler zu vermeiden und Erfolge zu replizieren. Es stellt außerdem eine einmalige Ressource dar, von der Therapeuten und Ärzte viel lernen können. Dies wird nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch immer mehr auf Organisations- und Gesellschaftsebene erkannt und geschätzt (Nordgren 2009; Realpe / Wallace 2010; Wilson 1994).

1.2.2 Personzentrierte Hippotherapie

War man beim biomedizinischen Modell der Rehabilitation darauf bedacht, den Menschen nach Normabweichungen zu untersuchen und (ohne Berücksichtigung seiner Fähigkeiten, Attribute und Wünsche) bestrebt, ihn durch medizinisch-therapeutische Interventionen „näher an die Norm zu rücken“, stehen die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Klienten im Zentrum der ICF. So geht es darum, das Bewegungs- und Funktionspotenzial individueller Klienten zu erkennen. Der therapeutische Fokus ist also auf die bestehenden Fähigkeiten und Möglichkeiten des Klienten gerichtet, und wie man ihm helfen kann, diese weiter zu entwickeln und auf ihnen aufzubauen. Dies ist auch die Basis der Zielsetzung und Arbeitsweise in der Hippotherapie. In allen drei Bereichen des ICF sollen Ziele gesetzt werden, also bezüglich Körperfunktionen und -strukturen, Aktivität und Teilhabe / Partizipation. Für den Erfolg der Hippotherapie ist es unabdingbar, dass diese Ziele nicht in dem, was sich der Therapeut für den Klienten wünscht, sondern in den Wünschen des Klienten verankert und daher für ihn relevant sind.

Die natürliche Weiterentwicklung der ICF ist die personzentrierte Rehabilitation. Wie der Name andeutet, steht hierbei der Mensch mit seinen Fähigkeiten, Wünschen, Erwartungen und den Faktoren, die seine Gesundheit und sein allgemeines Wohlbefinden beeinflussen, im Zentrum aller rehabilitativer Anstrengung. Es gibt verschiedene Ansätze der „Zentriertheit“ in der Rehabilitation, die einander verwandt sind und sich doch in ihrem Fokus voneinander unterscheiden (Hughes et al. 2008). Besonders wichtig im personzentrierten Modell ist die Anerkennung des ganzen Menschen, von dem der Therapeut nur einen kleinen Aspekt mitbekommen würde, wenn er sich nur auf seinen Klienten so konzentrieren würden, wie dieser sich aufgrund seines Gesundheitsdefizits in seiner Praxis präsentiert. Natürlich bedarf die ganzheitliche Erfassung bei vielen Klienten, besonders bei Kindern und Erwachsenen mit Sprachdefizit und / oder Lernbehinderung, der Unterstützung durch Eltern, Erziehungsberechtigte oder Betreuer. Ziel ist immer, dem ganzen Menschen und seiner Funktionsfähigkeit innerhalb seiner Umwelt gerecht zu werden, und nicht nur seinem Krankheitsbild und / oder seinen Symptomen.

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Abb. 1.7: Personzentrierte Hippotherapie. Die Bereiche, die den Menschen ausmachen, sind beliebig zu erweitern und zu verändern. Je nach Individuum wird die Hippotherapie auf manche Bereiche mehr Einfluss haben als auf andere.

So wird der Mensch nicht nur als Klient mit Multipler Sklerose, Schädel-Hirn-Trauma oder Cerebralparese gesehen, sondern wird respektiert als Physikprofessorin, die gerne strickt, als Vater von drei Jungen, mit denen er gerne lange Wanderungen unternimmt, oder als kleines Mädchen, das seinen grünen Stoff-Hund mit Raschelohren innig liebt und gerne die Sonne auf seinem Gesicht spürt.

Dies wirkt sich in der Untersuchung, Zielsetzung, und Durchführung der Hippotherapie aus. Wenn die Physikerin mit Multipler Sklerose z. B. nicht unbedingt ihre Gehfähigkeit verbessern will, und es ihr sehr viel wichtiger ist, nicht nur weiterhin stricken zu können, sondern regelmäßig ihren Strickkreis zu besuchen, dann wird die Verbesserung der Feinmotorik ein wichtiges Ziel der Hippotherapie sein und wahrscheinlich auch der Rumpfkontrolle, die die unabhängige Funktion der oberen Extremitäten erst möglich macht. Ihre Behandlungseinheiten werden außerdem so organisiert, dass sie nicht an demselben Tag Hippotherapie und ihre Strickgruppe hat, um einer übermäßigen Ermüdung entgegenzuwirken. Und dem Mädchen mit komplexer Behinderung muss besonders viel Zeit eingeräumt werden, nicht nur das Pferd kennenzulernen, sondern es jedes Mal zu begrüßen. Nur so weiß es, wo es ist und was auf es zukommt. Es kann sein, dass es ihm hilft, seinen Stoffhund mit aufs Pferd zu nehmen. Er gibt ihm Sicherheit, und der Therapeut kann das Rascheln seiner Ohren benutzen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

1.2.3 Sich vom Pferd bewegen lassen

In der Studie von Debuse et al. (2009) und Debuse (2006) über die Effekte der Hippotherapie auf Menschen mit Cerebralparese sprachen mehrere Teilnehmer über das Erlebnis der Bewegung bzw. des Bewegtwerdens. Seine Bedeutung bzw. seine besondere Wirkung auf Menschen mit Bewegungsdefizit wird von Menschen ohne Körperbehinderung, inklusive Therapeuten, oft unterschätzt. Auch diesem Erlebnis ist genügend Zeit und Ruhe einzuräumen, nicht nur um optimales Motorisches Lernen zu gewährleisten (s. Kap. 2.1), sondern vor allem aus Respekt vor dem Menschen, für den dies ein ganz besonderes, wertvolles Erlebnis ist.

Mehrere Studienteilnehmer erwähnten außerdem (unabhängig voneinander und ohne danach gefragt worden zu sein) ihre Beziehung bzw. die Beziehung ihrer Kinder zum Pferd: Sie sind davon berührt, dass das Pferd sie akzeptiert und trägt, und schätzen die Interaktion mit dem Pferd ganz besonders. Dies geht weit über das typische Mädchen-Pony / Pferd-Klischee hinaus. Auch erwachsene männliche Studienteilnehmer sprachen über ihre Wertschätzung des Pferdes, und dass das lebende Pferd sie nicht nur in seiner Funktion als „Bewegungsgeber“ bewegt und berührt. Das Pferd wurde als großes, mächtiges Tier angesehen. Sich dem anzuvertrauen, ist doch ein großer Schritt. Dann das annehmende Getragenwerden zu erleben, ist für viele Menschen mit körperlicher Einschränkung doch etwas ganz Besonderes. Auch für Menschen ohne physisches Defizit ist dies ein wichtiger Aspekt, der auch in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd geschätzt und bewusst eingesetzt wird (Kröger 2010; Hölscher-Regener 2010). Er beruht Kap. 2.1