Anna Louise Karsch

Inhaltsverzeichnis

Das Leben dieser, gewöhnlich unter dem Namen »die Karschin« angeführten Dichterin gibt ein auffallendes Bild von Naivetät und Affektation, von Sitteneinfalt und Sittenüberfeinerung, von wahrer Demuth und dem lächerlichsten Dünkel. Das achtzehnte Jahrhundert in Deutschland legt seine am meisten charakteristischen Züge in das Leben dieser Frau nieder, die als Bäuerin aufwuchs und als gekrönte und gefeierte Dichterin starb. Aechtes Elend und falscher Glanz verbinden sich seltsam in dieser abenteuerlichen Erscheinung. Während ihre Biographie Seiten darbietet, die Schilderungen enthalten, die uns Thränen des innigsten Mitgefühls entlocken, treffen wir gleich darauf auf Stellen, die dem Geißel der Satire nicht geeigneter könnten dargeboten werden, und wo Personen und Verhältnisse, ohne daß es im entferntesten beabsichtigt wurde, die lebhafteste Spottlust in uns wecken.

Es mag nicht unpassend erscheinen, hier gleich beim Beginn unsers Aufsatzes das Urtheil einer Augenzeugin zu geben, die damals, es war im Sommer des Jahres 1790, die Karschin noch in ihrer Glanzperiode sah. Es liegt uns ein Brief vor, den eine junge Gräfin Steenbock damals aus Berlin nach Reval an eine ihrer dortigen Verwandten schrieb und in welchem folgende Schilderung vorkommt:

»Wir saßen noch bei Tafel, als eine Kutsche vorfuhr, in der die berühmte Karschin saß. Mein Vetter und ich gingen, oder vielmehr wir flogen an's Fenster, um sie aussteigen zu sehen. Es dauerte lange, ehe sie mit ihren vielen Röcken, von denen einige einen ungeheuren Umfang hatten und durch Fischbeinreifen ausgespannt wurden, fertig wurde und endlich ein Bein aus der Kutsche strecken konnte, das das Bein einer Bäuerin war, trotz dessen daß ein seidener Strumpf es umspannte. Nie sah ich einen häßlichern Fuß. Sie zwang sich, diesen Fuß zierlich und in einer Tänzerstellung hinzusetzen, allein jeder Versuch scheiterte an dem ursprünglich derben Bau des widerspenstigen Gliedes und an seinen ländlichen, ihm früh beigebrachten Posituren. Als sie endlich mit den Füßen draußen war, blieb sie noch mit ihrem Kopfputz hängen, und der Kutscher verließ seinen Sitz, um seine unglückliche Patronin frei zu machen. Dies bewirkte er, indem er eine Welle gepuderten Haars nahm und mit derber Faust nach hinten schob, wodurch die Frisur – ich glaube es war eine coeffure á la reine – bedeutend abgeplattet wurde. So bekamen wir denn etwas beschädigt und zugerichtet unsere berühmte Frau in den Saal. Sie stieg die Treppe hinauf mit dem Pomp und dem Siegeslächeln einer Göttin. Oben empfing sie mein Oheim und erwiederte ihre drei tiefen Verbeugungen mit einem respektvollen Gruße. Sie hatte einen hochgelben Reifrock an mit Bouquets von Feuerlilien übersäet, an der Brust hatte sie etwas, das wie ein Ordensstern aussah, es war jedoch nur eine galante Spielerei, die der Herzog von Gotha ihr gegeben, ein kleines, ziemlich skabröses Gemälde: Leda, die den Besuch des Schwans empfängt. Niemand anders als die Karschin würde gewagt haben, ein so anstößiges Geschenk so offen zur Schau zu tragen. Allein sie ist so eitel und hat so wenig Geschmack, daß sie alles, was man ihr schenkt, an ihren Körper hängt, ohne zu bedenken, ob es auch passend sei. Wie eine Wilde liebt sie blitzende Gegenstände und trägt sie zur Schau. Sie ist eine magere Person, mit einem langen, dünnen Halse, auf dem ein Kopf sitzt, der, von ferne gesehen, fast wie ein Todtenschädel aussieht, ein Todtenschädel in Puderwolken, Blonden, Zitternadeln und gefärbte Federn gehüllt. Wenn man sie näher betrachtet und mit ihr in Gespräch kommt, so bemerkt man, wie gut, fromm und wohlwollend diese Züge im Ausdruck sein können. Ihre Stimme ist, wie es bei alten Frauen eine Seltenheit, reich und wohllautend, und die Verse, die sie sogleich macht und herspricht, nachdem man ihr ein beliebiges Thema aufgegeben, sind vielleicht weniger gut, als sie gut klingen und das Ohr bestechen, ehe sie noch Zeit fanden, den Verstand und das Gefühl für sich zu gewinnen. Sie schied von uns als unsere gute Freundin, und Francois begleitete ihre Kutsche noch eine Strecke zu Pferde, als wir sie nach Berlin zurückfahren ließen. Diesen Ehrendienst vergalt sie durch ein kleines Gedicht, das sie aus dem Kutschenfenster heraus ihm zudeklamirte, und worin mein Vetter mit dem Merkur verglichen wird, der eine vom Parnaß eschappirte Muse wieder zurück führt. Ich sende Euch eine Abschrift dieses Poems. – –«

In einer Meierei unweit der schlesischen Grenze und in der Nachbarschaft des Städtchens Schwiebus wurde 1722 am ersten December Anna Louise Dürbach geboren. Die Mutter war Kammermädchen bei einem Fräulein von Mose, und scheint sich auf dem herrschaftlichen Schlosse eine ziemlich emanzipirte Stellung gegen ihre Gebieterin errungen zu haben, wenigstens geht aus den Mitteilungen der Tochter hervor, daß man es ungehörig fand, eine so liebenswürdige Person, wie die Jungfer Kuchel, an einen Schenkwirth verheirathet zu sehen. Meister Dürbach war Schenkwirth und Pächter, und kümmerte sich wenig um die Talente seiner Frau, die schön tanzte und trefflich sang, er hielt sie zu sorgsamer Beschickung des Haushalts an. Die empfindsame und tugendhafte Schenkwirthin, die auf dem Schlosse mit dem sentimentalen Fräulein geschwärmt hatte, der von den schlesischen Junkern der Hof gemacht worden, fand sich nur schwer in die herbe Nothwendigkeit, innerhalb einer baufälligen Hütte die Pflichten ihres neuen Amtes auszuüben. Am widrigsten waren ihr die Scherze der rohen Handwerksburschen, die in der kleinen Grenzschenke einsprachen; auch trank ihr Mann eine gar zu große Quantität seines eigen fabrizirten Bieres.

Unsere Dichterin sagt von sich selbst, daß sie ein unbeschreiblich häßliches Kind gewesen sei, und es ist rührend zu lesen, wie demüthig sie von ihrem Eintritt in die Welt spricht. Mein Körper, sagt sie, war eben so gelb und schrumpfig, als meine Gesichtshaut, die runzlige Stirnhaut hing mir über die Augen hin, und diese lagen tief und finster im Kopfe: mein magres, kleines Gesicht hatte eine widerwärtige Ernsthaftigkeit. – Ihre Tochter setzt hinzu: »Indeß ist anzubemerken, daß die Dichterin nachher nichts weniger als häßlich aufwuchs, und hätte sie ihren Körper und ihr Mienenspiel in der Gewalt gehabt, so würde sie bis zu ihrem Tode beinahe für schön haben gelten können. Sie hatte einen wohlgeordneten, feinen Wuchs mittlerer Größe, schöne und dauernde Gesichtsfarbe, hellbraunes Haar, die schönste Stirn, welche jemals gesehen worden, auf welcher ganz das Licht ihres großen Geistes ausgebreitet lag, die strahlenvollsten, hellsten, sprechendsten blauen Augen, beständig rothe Lippen, und bei guter Laune herzlichen Frohsinn in den Mienen. Allein wenn sie ihren »Forschblick« hatte, welcher die meiste Zeit in ihrem Gesichte herrschte, so war sie schwer auszuhalten, und man würde nicht haben mit ihr Umgang pflegen können, wenn ihre Gedanken und ihr Thun nicht leicht wären abzulenken gewesen durch Zerstreuung, welche oft den Augenblick wirkte. Die Augenlider zogen sich bei solchem Blicke zusammen, das Auge wurde kleiner, und seine Strahlen schossen, gleichsam wie die Sonne in einem Brennpunkte auf seinen Gegenstand zusammen. Es war ein verzehrender Blick; lenkte der Gedanke ihn ab, so sah er seitwärts und ging in eine lächelnde Bewegung des Mundes über, welche nicht weniger Scheidewasser als der Blick selbst hatte. Die Dichterin, welche nichts von diesem Mienenspiele wußte, hat sich unzählige Verdrießlichkeiten dadurch zugezogen, und eigentlich kann man es die Grundlage aller ihrer Unglücksfälle nennen.«

Diese Schilderung, die die Tochter von der Mutter macht, ist merkwürdig, besonders wenn man sie gegen andere beschreibende Portraits hält, die die Zeitgenossen gegeben haben; zum Beispiel das obige der Gräfin Steenbock. Die Tochter will nicht sagen, daß die Mutter unangenehm häßlich gewesen, sie gibt daher allerlei seltsame Umschreibungen; wir wissen aber durch Andere, daß die Karschin in der That so abschreckend von Gestalt und Mienen war, daß sie zu Zeiten so unleidliche Grimassen schnitt, daß es ihr nie gelang, ihr, die so zärtlich fühlte, auch auf den tolerantesten Mann Eindruck zu machen.

In ihrem sechsten Jahre nahm ihr Großvater sie zu sich. Dieser, von dem mit großem Rühmen gesagt wird, daß er ein »studirter« Amtmann gewesen, lehrte die Kleine, die ihm gefiel, Lesen, Schreiben, die Anfangsgründe der Wissenschaften und endlich sogar Latein. Die Mutter und die Großmutter waren außer sich; beide bestürmten den »studirten« Amtmann, seine verderblichen Bestrebungen einzustellen. Die Großmutter rief ihm zu: Du lehrst das Mädchen schreiben, und zu welchem Gebrauch wird sie die Feder führen? Um Liebesbriefe zu schreiben. Die Mutter rief: Ein Mädchen, das Latein versteht, hat sich dem Teufel verschrieben! Der Amtmann mußte seinen Liebling wieder hergeben, und Frau Durbach, die unterdessen ihren Namen gewechselt hatte und nach dem Tode ihres Mannes den Jäger Hempel geheirathet hatte, nahm ihre nunmehr zehnjährige Tochter zu sich. Sehr rührend war der Abschied der Enkelin vom Großvater: sie war so glücklich gewesen bei dem alten freundlichen Manne, der so viele gelehrte Bücher hatte und ihr so schöne Dinge vorsprach. Ihre Kindheit zählte nur diese drei glückliche Jahre, und dieses Paradies schloß sich ihr jetzt für immer. Der Großpapa mit seinen lateinischen Büchern verschwand, und die arme Kleine kam wieder in's Dorf, in die lärmende Schenkstube, zu ihrer Mutter, die unterdeß kränklich und übelgelaunt worden war, und der die zweite Ehe keinen Segen brachte.

An der Wiege ihres Stiefbruders fand sie ihre bleibende Stätte: sie wuchs als Kindermagd auf; dann, als diese Thätigkeit der arbeitsamen Mutter noch nicht genügend schien, schickte sie das Mädchen als Hüterin einer kleinen Heerde auf Feld und Flur. Hier begann die eigenthümlich poetische Ausbildung Anna's. Die junge schlesische Hirtin sog in der Fülle und Freiheit der Natur und Einsamkeit dieselben Quellen dichterischer Schöpferfülle ein, an denen ihre Genossen, die Schüler und Meister der schlesischen Dichterschule, groß wuchsen, und die die süße und bezaubernde Begabung ihres Landsmannes, des armen und unglücklichen Günther, der Beachtung und Bewunderung so würdig machten. Deutschlands Dichtergarten ist Schlesien; jenes Ländchen, in welchem eine weiche, geschmeidige Natur dem träumenden Genie die Farben und Formenfülle des Südens gibt, während der Norden die Stätigkeit und Schärfe des Gedankens hinzufügt. Tiefer südlich und höher nördlich fallen die Elemente, die sich hier lieblich einigen, schroff auseinander: die kalte Skepsis Berlins, die genußsüchtige Trägheit Wiens.

Anna war Schäferin. Sie hatte den weiten Himmel über sich, die rauschenden Gebüsche, die Quellen, die Ebenen, über die der Westwind blies, den Thauwind, der die Wolken treibt, »trüb und feucht, wie wenn der Wolf die Heerde scheucht,« dann den ewigen Sternendom, die volle und dann sich wieder leerende Mondschale, das Gebirge im Nebel der Ferne; kurz, die ganze herrliche Welt, wie sie schon die Patriarchen sahen, diese Könige und Hirten, umgab das Mädchen, dem Gott eine dichtende, träumende Seele gegeben. Das Eigenthümliche und Besondere an der ganzen Erscheinung Anna Louise Karsch ist eben ihre Schäfer- und Dorfnatur: das Ursprüngliche, das Naturvollendete, das Einfachgläubige in ihrem Wesen. Rammler verstand sie wenig, als er ihre Verse in künstliche Maaße theilte, und die schlesische Hirtin zwang, sich Sapho zu nennen. Wohl der Dichterin, daß ihre ursprüngliche Natur so stark war, daß sie nicht ganz dem Einflusse des gelehrten Kritikers unterlag: wir würden dann nichts von ihr zu berichten haben; sie wäre unter der Masse überkünstelter und schwacher Talente der damaligen Tage spurlos untergegangen und hätte allenfalls neben der pretiösen Figur eines Gottsched ihren Platz gefunden, nicht im Gedächtniß ihres Volkes, sondern in der Literaturgeschichte. Sie selbst war von dieser Ueberzeugung durchdrungen, denn sie singt irgendwo:

Der Tugend Freund, der Wahrheit Redner, du
Lobst mein Talent, schreibst der Natur es zu:
Sie ist es werth, und ihr gebührt die Ehre,
Ihr danke ich Einfall, Ausdruck, Geist und Schwung:
Mir gab die Kunst niemals Bereicherung,
Und nie nahm ich von einem Meister Lehre.

Der letzte Satz ist, wie wir bemerkt haben, leider nicht ganz wahr: sie nahm allerdings Lehre an, von Rammler, von Gleim, von Sulzer, von fast allen ihren gelehrten Zeitgenossen; allein diese gelehrte Schule kam zu spät, um zu verderben. Eine anmuthige Episode in ihrem Jugendleben bildet ihre Bekanntschaft mit einem jungen Hirten, der wie sie eine kleine Heerde auf die Triften trieb und der wie sie sich nach Gesellschaft bei seinem einsamen Tagewerke sehnte. Diesen Hirten muß man sich nicht als einen poetischen, schönen Jüngling vorstellen, er war klein, verwachsen und strickte an einem großen blauwollenen Strumpfe, wie die Schäfer in Sachsen es noch jetzt thun. Aber er strickte nicht immer, er las auch manchesmal, und unsere nach Büchern gierige Dichterin machte diese Entdeckung mit großer Freude; sie stürzte sich über die Bücher her, und der Schäfer las mit ihr die Melusina, die asiatische Banise, den Robinson. Das Pärchen saß beisammen unter dem Schatten einer breitlaubigen Ulme, und jene zaubervollen Begebenheiten, die die Seiten der genannten Bücher füllten, nahmen die jugendlichen Geister gefangen und gossen ein feuriges Leben in die noch ungeschwächte Phantasie. Der Sommer war kurz, diese Freuden hätten ewig dauern sollen; die Heerden wurden in die Ställe getrieben, der Winter trennte die beiden Genossen; allein der erwachende Frühling führte sie wieder zusammen. Drei glückliche Jahre wurden so hingebracht. Anna zählte funfzehn Jahre. Die Mutter und die Großmutter fanden, daß das Mädchen verwildere, und man beschloß, sie zu einer nah wohnenden Müllerin zu geben, die eine Geschicklichkeit besaß, feine Näharbeiten zu fertigen. Auch in der Mühle fand Anna ein eigenthümliches poetisches Leben. Die Müllerin unterhielt ein Liebesverhältniß mit einem Husarenrittmeister, der in der Gegend in Garnison stand, Anna wurde gebraucht, um Wache zu stehen, damit die Liebenden nicht überrascht würden. So wenig moralisch und zu empfehlen ein solches Amt sein mag, so dienlich ist's unstreitig, die Phantasie zu wecken und poetische Träumereien zu festen Gestalten zu formen. Die Welt der Schatten, die das Mädchen aus den Büchern ihres Freundes und aus dessen Erzählungen kennen gelernt, verkörperte sich vor ihren Augen in greifbare Formen, in verständliche Situationen. Ein hübscher Husar erklettert vor ihren Augen eine gefährlich hohe Mauer, die den innern Hof der Mühle einschließt, sein Pferd bleibt im Schatten des Wäldchens zurück, er winkt dem Mädchen lächelnd zu, er droht ihr scherzhaft mit dem Finger, er ist über die Mauer weg verschwunden; nach einer Weile erscheint er wieder, seine rothen Wangen sind gebleicht, der feurige Blick gesenkt, es wird ihm etwas schwer, die Mauer zu erklettern, die er wenige Minuten früher spielend übersprang; er holt sein Pferd ein und ist in der Nacht des Wäldchens verschwunden, nachdem er dem wachestehenden Mädchen ein paar Kupfermünzen in die Schürze geworfen hat. Sie steht und sinnt und lächelt; das Mühlrad rauscht, die Gipfel des Waldes lispeln vernehmlich, der Storch auf dem Giebel der Mühle klappert, es ist ein heißer, stiller, duftdurchzogener Abend; noch von ferne hört sie den Hufschlag des davoneilenden Räubers, der hier, der Himmel weiß was, gestohlen hat. Endlich öffnet die schöne Müllerin leise den Laden im untern Geschoß; sie lehnt sich hinaus, wirft spähende Blicke umher, und da sie nichts Drohendes erblickt, athmet sie die Kühle des Waldbaches ein, der den Gischt seiner durchs Mühlrad emporgewirbelten Wellen auf ihre glühenden Wangen, ihren heißen Busen spritzt. Niemand ahnet in dieser stillen Einsamkeit, daß ein Dichterauge wach ist, daß ein Dichterohr lauscht, und daß die Geheimnisse der Liebe, wenn sie sich auch in die Tiefe einer Waldmühle verstecken, doch nicht sicher sind, wenn der Dichter um ihr Dasein weiß. Zwar plauderte Anna nicht aus; o nein! dazu waren ihr die kleinen Mysterien in ihrer Nähe gar zu interessant, als daß sie sie hätte stören wollen, allein sie gab bald beiden Theilen zu verstehen, daß sie die einfältige Dirne nicht war, für die man sie hielt. Dies misfiel der Müllerin; sie behandelte Anna schlecht, und diese versäumte dafür ihre übernommen Pflichten: der Liebeshandel wurde entdeckt, und der Müller sperrte sein ungetreues Weib in einen sichern Gewahrsam; der Rittmeister wurde seinerseits von seiner ihm nachspähenden Frau aufgesucht und bewogen, die Gegend zu verlassen. Die Mühle hatte ihre Romantik und somit ihr Interesse für Anna verloren. Sie fing an, sich zu langweilen und schlecht zu nähen. Die Mutter nahm sie fort. Das Dorfmädchen wurde nun nach üblicher Sitte, von einem Prediger unterrichtet und zur Kommunion zugelassen: damit war nach der Weise des Landvolkes für ein Mädchen das Signal gegeben, an Heirath und eigenen Hausstand zu denken. Anna dachte schon lange daran. Ihre Phantasieen, durch die poetischen Genüsse im Hirtenstande, sowie durch die interessanten Beschäftigungen in der Mühle erregt, hatten sich schon lange um den Mittelpunkt der Frauenexistenz, um Liebe und Ehe bewegt. Sie liebte, aber man liebte sie nicht. Den jungen Schäfer hatte sie geliebt, aber er hatte ihre Liebe nicht erwidert, den Rittmeister hatte sie geliebt, aber er hatte sich um sie nicht im mindesten gekümmert; dann liebte sie einen jungen Nachbar, aber der wollte vollends nichts von ihr wissen, da er hörte, daß sie Verse mache. Endlich, durch Vermittelung der Mutter, kam eine Heirath zu Stande. Anna reichte ihre Hand einem Tuchhändler aus Schwiebus, Namens Hirsekorn. Er überraschte sie zur Hochzeit mit einem selbstgewirkten Tuchleibchen, und sie ihn mit einem Gedichte. In der Sammlung ihrer Poesieen ist dieses Gedicht abgedruckt, es ist aber so unbedeutend, daß wir seiner nicht weiter erwähnen wollen. Anna war entzückt, sie war nun Braut, sie hatte einen ziemlich hübsch gewachsenen Mann, sie ging an seiner Seite durchs Dorf, sie tanzte mit ihm unter der großen Dorflinde, sie verlor sich mit ihm in die Gebüsche, und »Küsse rauschten.« Die Mutter und die Großmutter machten, daß nur schnell die Hochzeit gefeiert wurde. Die Freiin von Klenke, die die Biographie geschrieben, kann sich hierbei nicht versagen, den Brautstaat ihrer Mutter zu schildern: sie erzählt uns, daß Anna an diesem ewig denkwürdigen Tage ein Kamisölchen von schwarzer Searge getragen habe, einen Brautrock von demselben Stoffe, daß ihr Haupt von einer kleinen Fontange von Spitzen beschattet worden, und daß ihre Füße mit goldgestickten Pantoffeln und hochrothen Strümpfen mit bunten Zwickeln bekleidet gewesen seien, und endlich, daß sie einen Zobelmuff getragen habe.

Die Ehe war sehr unglücklich. Der Mann war geizig, roh, er behandelte sein Weib schlecht, oft sogar empörend grausam. Sie litt, denn die Heiligkeit des Instituts der Ehe war unantastbar: Frevel der leiseste Versuch, ein Band lösen zu wollen, das Gott geknüpft. Als sie noch nicht völlig siebzehn Jahre alt war, brachte sie ihren Erstgeborenen zur Welt. Thränen fielen auf das Bette dieses Kindes, die glühenden, den Himmel anklagenden Thränen eines armen, gemißhandelten Weibes, einer bis in den Tod gebeugten Mutter. Da war es, wo die Dichterin den ersten Schritt in die dunklen, eisigen Gemächer des Leidens that. Sie seufzte, sie weinte, und – dichtete. Eine Poesie, die sich in solcher Situation meldet, ist wahrlich die ächte, denn sie erscheint, nicht hervorgelockt durch die Stimme des Müßiggangs und des Luxus, sondern gerufen von einem brechenden Herzen als Helferin, Trösterin, liebkosende Genossin. Anna war Dichterin, denn sie dichtete am Schmerzenslager ihres Kindes, gepeinigt durch Körperqualen, die die brutale Hand ihres Mannes der schwächlichen Frau geschaffen, gepeinigt durch Hunger und Durst, gepeinigt durch Verlassensein und Hülflosigkeit. Die Grundlage des sittlichen Werthes eines achtbaren Charakters wurde hier gelegt. Der Mann verbot ihr das Lesen, er verbot ihr auch das Weinen – weil sie dann häßlich aussah. Anna las heimlich und weinte heimlich. Er nahm ihr Feder, Dinte und Papier weg, sie kritzelte mit ihrer Haarnadel Verse auf einen Zinnteller.

Meister Hirsekorn gab endlich seiner Frau so deutlich zu verstehen, daß er sie los sein wolle, daß sie gleichsam von ihm flüchtete; aber Niemand nahm die Unglückliche auf. Eine Frau, die sich von ihrem Manne getrennt, war ein Gegenstand des Schreckens für alle anderen Weiber, selbst ihre Mutter wagte es nicht, sie bei sich aufzunehmen. Anna floh in der Irre umher. Einige kleine Charakter- und Sittenzüge aus jener Zeit mögen hier eingeschaltet stehen. Vor dem Rathhause zu Glogau, wo ihre Scheidungsangelegenheit betrieben wurde, langte sie einst allein an und sah sich in dem trostlosen Zustande, den die Qual dieser Ereignisse und Auftritte ihr bereitete, unfähig, die Rathhaustreppe zu ersteigen. Sie lehnte an einem der Steinpfeiler und weinte. Ein junger schlesischer Bauer, vielleicht auch ein Dichter, hielt als Soldat Wache vor dem Rathhause; er sieht die Trauernde, bringt langsam aus seiner Westentasche ein Stück Kreide und schreibt an die Wand seines Schilderhäuschens den Vers: »Geduld, Vernunft und Zeit, das sind gar schöne Sachen; die, was unmöglich scheint, doch möglich können machen! »Weiter wird zwischen dem jungen Tröster und der jungen Trostbedürftigen kein Wort gesprochen. Still wandelt der Soldat seinen Gang weiter; er hat das Seinige gethan, er hat den Trostspruch, den wichtigsten, den er kennt, ihr vor Augen gebracht; will sie sich nicht trösten lassen, seine Schuld ist es dann weiter nicht. Es ist dies ein unendlich rührender Zug menschlicher Theilnahme an menschlichen Leiden; viel großartiger und rührender, als alle Beileidsbezeugungen, die wir in unserm erkünstelten Zusammenleben, inmitten einer perfiden und unwahren Gesellschaft gegen einander austauschen. Die Dichterin wurde für den Augenblick auch getröstet, sie stieg die Treppe hinauf und fand den nöthigen Muth, sich einem grausamen Verhör zu unterwerfen, das zu gleicher Zeit ihr Schamgefühl und ihr rechtliches Bewußtsein beleidigte. Man ging mit den Bäuerinnen nicht zart um, und welcher dieser bepuderten, steifen Herren mochte ahnen, daß eine feine, geistig hochstehende Intelligenz hier in unscheinbarer Hülle vor den Schranken des Tribunals stand. Anna begriff nicht, daß ein Weib sich auch vertheidigen könne gegen den Mann, sie fand es so natürlich, daß er in Allem Recht hatte und Recht behielt, so daß es ihr nicht in den Sinn kam, einen Anwalt für sich zu wählen, und sie sich ruhig verstoßen ließ, dem Räuber ihrer Ehre, ihrer Ruhe, ihres Glücks noch das Wenige hingebend, was sie als Mitgebrachtes hätte beanspruchen können. Sie floh wie Hagar in die Wüste: erschreckt, gedemüthigt, die Hand, die sie verstieß, noch küssend.

In einer Schenke findet sie nothdürftig Unterkommen. Hier im Elend gebiert sie einen Sohn. In dunkler Kammer liegt sie, Lumpen sind ihre Bekleidung. Als ihr gestattet ist, das Bette zu verlassen, schleppt sie sich in die benachbarten Dörfer, und gibt's irgendwo ein ländliches Fest, eine Hochzeit, eine Kindtaufe, da tritt die bleiche Frau ein und singt ein Lied. Auf den Edelhöfen erscheint sie und improvisirt Verse, und erhält dafür bald ein Stück Tuch zu einem neuen Mieder, bald etwas Geld, bald Speise und Trank für sich und den Säugling. Während dieser Tage ihres Exils lernte sie den Schneidermeister Karsch kennen. Er zieht herum, kauft alte Kleider auf, richtet schadhafte wieder her und fertigt jene wunderherrlichen rothen, langen Westen, die das Entzücken und die Bewunderung der Dorfjugend sind, wenn ihr Scharlach die Rundung des respektirlichen Bauches des Amtmanns oder des Schulzen deckt. Anna liebt den Karsch nicht, allein sie heirathet ihn, da er sie aus der Schmach eines verstoßenen und geschiedenen Weibes rettet, ihr einen neuen Namen gibt, indem der alte für sie und Andere so übel lautet. Noch einmal geht die Dichterin zum Altar, nochmals knüpft sie ein Bündniß, das Elend und Unfrieden ihr bringt. Karsch war ein Säufer, dabei ein sehr mittelmäßiger Schneider; er nahm wenig ein, und verschwendete das Wenige in der Schenke. Die Schilderung der Dürftigkeit, in die jetzt unsere arme Dulderin versank, ist wahrhaft erschütternd zu lesen; sie hatte oft nichts, um ihren Hunger, ihren Durst zu stillen; dazu kam ein neues Wochenbette: Noth, Kummer, Verzweiflung nach allen Seiten hin. In der Kirche erschien sie nur Morgens, wenn es noch dunkel war, und stellte sich hinter einen Pfeiler am Altar, weil ihre Kleidung anstoßerregend mangelhaft war. Die mit Aufmerksamkeit angehörte Predigt brachte sie zu Hause in Verse. Eine solche Bearbeitung überreichte sie einst schüchtern dem Herrn Pastor, und dieser las, freute sich und machte seinerseits die Dichterin bekannt. Jetzt wanderte sie wieder herum und recitirte Verse. 1755 geht sie mit ihrem Manne und drei Kindern nach Groß - Glogau, und hier sammelt sie endlich vornehme und reiche Gönner um sich her. Es sind nicht mehr Bauern, denen sie ihre Lieder singt, es sind Geheime Finanzräthe, Kriegsräthe, Hofprediger und Kommandanten; bebänderte und geputzte Herren, die aus goldenen Tabacksdosen feierliche Prisen nehmen, während die arme Bäuerin vor ihnen steht und zitternd ihr Lob singt. Hier in diesem Kreise lernt sie sich fühlen, und der Hochmuth der Poeten kommt über sie. Zum ersten Male wählt sie ihre Vergleiche aus der Mythologie, und eine dunkle Ahnung geht in ihrem Geiste von der vornehmen Eleganz der griechischen Götterwelt auf. Ihre bäuerlichen Vorurtheile werden abgelegt; sie erschrickt nicht mehr vor der Nacktheit der Venus und wagt es, eine angesehene Gönnerin mit dieser Göttin zu vergleichen, sie wagt es gleichfalls, ihre Phantasie zu zwingen, an den wollüstigen Tanz der Grazien zu denken, und es fällt ihr dabei nicht mehr die kleine, dunkle Dorfkirche ihres Geburtsortes ein, und der scheltende Pfarrer auf der engen, kleinen Kanzel, der solches heidnisches Gräuelwesen verflucht. Sie ist über die Schwelle der glänzenden, frivolen Welt getreten; sie hat diese vornehme und blitzende Gesellschaft erschaut, die ewig lächelt, der nichts ehrwürdig und heilig ist, und die als ihre Götter den Genuß und die Weltlust anbetet. Der Rücktritt in ihr Dorf, in die dunklen und ärmlichen Verhältnisse ist jetzt nicht mehr möglich.

Die jungen Offiziere der Glogauer Garnison bestellten bei der poetischen Schneidersfrau Gedichte auf ihre Schönen. Anna dichtete im frivolen Genre. Die Offiziere saßen Tagelang auf den Schneidertisch hingelehnt und unterrichteten sie in der Mythologie, erzählten der jungen, aufhorchenden Frau lachend die skandalösen Händel der alten Aristokraten des Olymps. Man kann sich denken, wie willkürlich diese Erklärer mit ihrem Text verfuhren. Der Schneider saß unterdeß in der Schenke und trank. Anna machte hier Gedichte, die aus der Sammlung später weggelassen werden mußten; wahrlich schade darum, denn es waren sicherlich ihre besten Verse: es sprudelte in ihnen der erste kecke Stral des sinnlichen, poetischen Lebensgenusses auf. Hier war es auch, wo Friedrichs Thaten sie begeisterten und sie zum ersten Male den Krieg und den Ehrgeiz der Herrscher besang. Sie lieferte eine Uebersetzung der Oden und Episteln des großen Königs. Das militärische Glogau jauchzte ihr Beifall zu; aber das häusliche Elend dauerte fort. Die Frau erwarb, der Mann verschwendete. Die hochmüthige Dichterin wollte jetzt nicht mehr dulden, sie machte ihrem unverbesserlichen Gefährten Vorwürfe, sie sprach zuerst von Trennung. Ihre vornehmen Freunde bestärkten sie in ihren Vorsätzen, und einer dieser Freunde, der Baron von Kottwitz, entführte seinen Schützling nach Berlin. Jetzt war sie auf ihrer Lebens- und Ruhmeshöhe angelangt. Sie zog in die Thore der Hauptstadt ein: die deutsche Sapho in das deutsche Athen. Auf der Schwelle des Tempels des Ruhms kam ihr Rammler entgegen, parfümirt und gepudert; er bot ihr die Fingerspitzen der rechten Hand, um sie hinaufzuführen. Gleim, Sulzer, Hagedorn, Mendelssohn, Lessing umgaben sie. Sie zog in die deutsche Literatur ein, so hoffärtig und rauschend, wie nur je ein Emporkömmling in goldene Säle einzog. Von jetzt an war sie eitel und selbstsüchtig, obgleich sie dabei nicht aufhörte, das ehrliche Herz der Bäuerin zu bewahren. Einzelne Charakterzüge beweisen, daß sie mitten in ihrem Glanze doch die Demuth einer wahrhaft großen Seele sich zu erhalten gewußt hatte. Dies söhnt uns aus mit der lächerlichen Erscheinung, die sie, die ohne Sitte und Geschmack war, und doch die Prätension zeigte, beides zu besitzen, in den Gemächern der vornehmen Welt zeigte.

Der Baron Kottwitz ließ sie in seinem Hause wohnen, seine Kutsche brachte sie in die vornehmen Gesellschaften, auf seine Kosten wählten Kammerfrauen und Putzmacherinnen kostbare Gewänder aus, in die sie die Günstlingin des Glücks hüllten. Da sie aber mit dem, was sie erhielt, nicht Haus zu halten verstand, so war sie trotz der Fülle der Gaben, die ihr ein günstiges Geschick in den Schooß warf, doch öfters von dem Nothwendigsten entblöst, und immer wieder mußte sie poetische Bettelbriefe schreiben und in der Form der Dichtung ihren Zuhörern sich, ihre Tochter und den zerrütteten Haushalt empfehlen. Der plötzliche Tod des Baron Kottwitz brachte sie um die schöne Wohnung, um den guten Mittagtisch; sie zog mit ihrem Stiefbruder in ein Mansardenstübchen und hatte es wieder recht kümmerlich. In diese Zeit, etwa 1761 oder 1762, fällt ihr Besuch in Halberstadt, wo sie den Kanonikus Gleim kennen lernte, der von seinen dichtenden Zeitgenossen Anakreon-Gleim genannt wird. Dieser Anakreon und diese Sapho paßten vortrefflich zusammen. Sie sagten sich einander die schönsten Dinge in Versen, und Gleim wurde so unvorsichtig zärtlich, daß die Dichterin sogleich einen Plan faßte, ihn zu heirathen. Der Schreck des Kanonikus, als er diese Absicht gewahrt, ist wahrhaft possirlich, und seine zahlreichen Freunde necken ihn darüber. Doch wird Verdruß und Schreck in Versen weggeschwemmt; die zärtliche Dichterin begnügt sich, daß ihr Freund ihr Bildniß in seinem kleinen Pantheon in Halberstadt aufhängt, ihr Kränze windet und ihre Briefe küßt. Aber er thut noch mehr, er besorgt eine Subscription zu einer Gedichtsammlung seiner Freundin, und durch thätige Bemühungen kommt die Summe von zweitausend Thalern ein, deren jährliche Zinsen der gefeierten Frau zu gute kommen. Zu gleicher Zeit bietet ihr auf edelzartsinnige Weise der Domdechant Baron Spiegel ein sogenanntes Taschengeld an, das, jährlich wiederholt, ausgezahlt wird. Andere Gönner sorgen dafür, daß ihr Stiefsohn studiren kann und einen Freitisch erhält, daß die Tochter in eine Pension gethan wird. So arbeitet alle Welt, die bedrängte Sapho aus ihren Nöthen zu befreien; allein sie braucht immer noch mehr, als sie verlangt. Einen großen Triumph feiert sie, als es ihr gelingt, vor dem König, den sie so sehr schwärmerisch besungen und so überschwänglich gelobt hatte, zu erscheinen. Allein Friedrich der Große, ermüdet von den eben geschlagenen Schlachten des siebenjährigen Krieges, suchte seine Zerstreuungen anderswo, als in einem Gespräche mit einer deutschen Dichterin. Er ließ die Karschin, die ihm obenein durch ihre Häßlichkeit widrig auffiel, die Verachtung fühlen, die er gegen die gesammte deutsche Literatur öfters aussprach. Wir wollen die Schilderung in Versen, die die Dichterin von dieser Unterredung entwarf, hier beisetzen: man kann freilich aus ihr den wahren Hergang der Sache nicht erkennen, noch weniger die eigentliche Meinung des Königs über die Vorgestellte; die vom Glanz der Majestät und der Zaubernähe des gefeierten Helden des Jahrhunderts geblendete Frau übertreibt, ohne es zu wollen, und macht sich willentlich blind gegen die offen dargelegte Kälte und den Hohn des Königs. Das Gedicht lautet:

Geschichte der Unterredung mit dem Philosophen zu Sanssouci.

Freund, wenn mir vor dem Schritt zum Leben,
Nicht von der gütigen Natur
Schon ein Befehl zur Demuth ward gegeben,
Dann würd ich kleine Creatur
Stolz mich hoch erheben
Und dir erzählen, daß in Friedrichs Marmor-Saal
Mein faltig Antlitz sich bespiegelt,
Und aus der Brust das Herz beflügelt
Auf meine Lippen trat, und meiner Worte Wahl
Und den Accent geregelt hätte,
in dem der König mit mir red'te,
Der größre Redekunst besitzt,
Als Marc Anton, der vor dem Volke
Des Cäsars Mörder bald verklaget, bald beschützt.
Er kam, und über ihm, in goldner Wolke
Sah ich den schwebenden Apoll.
Er sprach, und in mein Ohr erscholl
Mit seiner schnell gesprochnen Frage
Der Donner Jupiters, und seines Auges Blick
War wie der Blitz am Erndtetage:
Doch, Freund, ich schreckte nicht zurück.
Ich sagte, welch ein Mann mich zeugte,
Und welcher Staub mich wieder beugte:
Wie mein Genie heraufgestrebt,

In welchem Dunkel ich der Jugend Zeit verlebt,
Und daß ich nicht der Kunst geschriebne Regeln wüßte,
Und daß mein Liebling, der Plutarch,
Oft einen finstern Blick von mir ertragen müßte,
Denn in ihm fänd' ich nie den Sieger, den Monarch,
Den Mensch und Philosoph vereinet,
Ob Alexander gleich gesieget und geweinet,
Und Cäsar selbst zufrieden schien,
Wenn er jedweden Tag bezeichnet mit Verschonen,
Und einem Brutus selbst verziehn,
Der mit dem Dolch ihm sollte lohnen;
Doch fänd' ich auf
der Griechen Thronen,
Und auf der Römer Kampfplatz nichts
Vergleichendes mit dem, der seines Angesichts
In Winterlüften nicht geschonet,
Und wenn der Lenz geblüht das Kriegszelt bewohnet,
Von Freuden und dem Throne fern,
Und mehr den Vater, als den Herrn
Zurückgebracht aus so viel Schlachten.
Er frug: Wer lehrte dich Gesang?
Wer unterwies dich in Apollens Saitenzwang?
Held! sprach ich, die Natur und deine Siege machten
Mich ohne Kunst zur Dichterin.
Er lächelte und wollte wissen,
Woher ich Nahrung nähm; da sagt' ich: Freunde müssen
Mich nähren, täglich geh ich hin
Zum niemals stolzen Stahl2, der stets mich gerne siehet
Und eine zweite Sängerin
In meiner Tochter dir erziehet.

Ich sprach's, und Friedrichs Blick schien meinen Freund zu loben.
Nach meiner Wohnung frug er mich.
Monarch! sprach ich: die Sterne grenzen nachbarlich
Mit meinem Winkel unterm Dache hoch erhoben.
Wenn du nicht zürntest, würd ich dich
Kniebeugend bitten, daß du meine Kammer dächtest,
Wie einen Winkel der Bastille zu Paris,
In welche Ludwig viele Menschen bringen ließ,
Die du als Krieger brauchen möchtest,
Weil sie oft tapfer sind und treu.
Der König lachte laut, und ich, beherzt und frei
Wie eine Römerin, ich zog der Stirne Falten
Sanft auseinander, lachte so
Wie Einer, den ein Brett hat in dem Meer erhalten
Und jetzt die Sonne sieht. –
Des Vaterlandes Vater sprach
Zuletzt: Er würde mir das Leben sorglos machen,
Und alle Musen sprachen's nach:
Und Grazien sah ich in seinem Munde lachen.
Ich ging zurück, o Freund! nun glühte Purpurroth
Auf meiner sonst so blassen Wange,
Mich grüßte Lentulus, und ihm
Hab' ich verwirrt gedankt; ich taumelte, ich schien
Den trunknen Menschen gleich im Reden und im Gange. –

Man kann sich, abgesehen von dieser Beschreibung, die Situation denken. Der König anfangs kalt und übellaunig, dann spottend die geputzte Gestalt vor sich betrachtend und mit halbem Ohr auf ihre Schmeichelworte, die er geschmacklos und lästig findet, hinhörend. In einiger Entfernung Voltaire an einer Säule des Eingangs lehnend und, halb Faun, halb Dämon, mit einem teuflischen Lächeln bald den König, der als Beschützer der deutschen Muse zum ersten Male vor ihm sich zeigt, bald die Repräsentantin dieser deutschen Muse selbst betrachtend, dreht die goldene Dose zwischen den dünnen Fingern und sinnt auf eine pikante Wendung, wie er diese Scene in einem Briefe der Marquise du Chatelet mittheilen soll. Im Zimmer vertheilt die Generale, die derben Haudegen des siebenjährigen Krieges, immer zu plumpem Scherz geneigt, wenn sie ihren König den Mund spottend verziehen sehen. Inmitten dieses Kreises die alte Dichterin, nichts von dem versteckten Spiel um sie her ahnend, nur immer bemüht, ihre schweren Klagen um bessere Wohnung und Kost in eine von Hyperbeln überfließende, poetische Prosa zu kleiden.

Es ist ein tröstliches und erquickendes Bild.

Das Resultat dieser Unterredung war ebenfalls nicht tröstlich und nicht erquickend. Es folgte darauf jenes berüchtigte »magere« Geschenk, das die Dichterin dem Geber zurückschickte, mit den bekannten Worten:

Zwei Thaler gibt kein großer König;
Ein solch Geschenk vergrößert nicht mein Glück,
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb' ich es zurück.

Sie fuhr aber bei allem dem fort, den großen König, ihren bewunderten Helden, zu preisen. Daraus sieht man die Größe ihrer eigenen Gesinnung: ihre Seele war von Rachsucht und hämischem Groll frei. Der Herzog Friedrich von Braunschweig, Neffe des Königs, gab der Bittenden, was der Oheim verweigerte, doch war es nur ein sehr geringes Jahrgehalt.

Bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm II. wurde die obige Unbill wieder gutgemacht: der König gab den Befehl, daß man ihr eine neue Wohnung bauen solle, räumlich und mit den Emblemen der neun Musen verziert. Die arme, alte Anna war außer sich; ihre Dankbarkeit kannte keine Grenzen: sie lief in Berlin von Haus zu Haus und forderte Jedermann auf, den König zu preisen, ihr Glück zu bewundern. Das Haus wurde zwar sofort zu bauen angefangen, aber es wurde statt eines Palastes, wie seine Eigenthümerin geträumt hatte, nur eine sehr bescheidene, zweistöckige Wohnung, die Ecke eines Marktplatzes in Berlin bildend, wo man sich's jetzt noch zeigt. Die allegorischen Gemälde blieben weg, und die Dichterin, die nicht die Zeit abwarten konnte, innerhalb ihrer eigenen vier Wände zu athmen, bezog das Haus, als es noch nicht völlig ausgebaut und ausgetrocknet war. Die Folge von diesem Leichtsinn war, daß die alte Frau krank wurde und wenig frohe Stunden in ihrer neuen Wohnung hatte. Es war im Sommer des Jahres 1789. Ihr letztes Lebensjahr war mit Ehren überhäuft. Der Hof des Prinzen Ferdinand, der sich bei jeder Gelegenheit, wo Festlichkeiten anzubringen waren, auszeichnete, zog auch die in Mode gekommene Dichterin in seine Nähe. Sie erhielt eine Einladung an der fürstlichen Tafel zu speisen, und der Platz neben der Fürstin war ihr aufbehalten. Da saß nun die Bäuerin, in rauschendem Gewande, mit Federn und Blumen geschmückt, hoffärtig mit dem Fächer spielend, – sie, die einst die Heerde geweidet, die in der Schenke rohen Gesellen aufgewartet, die durch Glogau's Gassen noch in Lumpen gewandelt und dürre Reiser sich auflas, um davon ihr spärliches Mittagssüppchen zu kochen. Hier saß sie. Es umrauschten sie die Chöre der Tafelmusik, sie hob in zierlichem, funkelndem Glase kostbaren Wein zu ihren Lippen, sie glaubte sich unter die Seligen versetzt.

Wie sie immer hinfälliger und schwächer wurde, konnte sie den Einladungen, die an sie ergingen, nicht mehr Folge leisten. Da gab es einsame Tage und Abende, wo der Greisin ihr Enkel aus dem Plutarch vorlas, oder ihr ein Lied von Gleim zum Klaviere vorsang. Den 12. October 1791 starb sie. Sie hinterließ zwei Kinder, zwei Enkelkinder, zwei Brüder und eine Schwester. Ihre Tochter wurde an einen Herrn von Klenke verheirathet, und deren Tochter an einen Herrn von Chezy. Beide Frauen wurden Schriftstellerinnen; von der Ersteren haben wir eine lebensvoll geschriebene Biographie der Mutter, von der Anderen dramatische und lyrische Poesien in Menge.

Was den dichterischen Werth der Frau betrifft, deren Leben wir hier vor uns aufgeschlagen haben, so müssen wir nothwendig ein wenig auf die Principien der Dichtkunst überhaupt zurückgehen. Die romantische Schule verdammte jede und alle Productionen unserer Dichterin. Diese Schule, die die poesie par excellence zu üben vorgab, höhnte darüber, daß die Karschin einen versifizirten Dank an die Oberbaukommission in Berlin, indem diese ihr in strenger Winterzeit einen eisernen Ofen hatte setzen lassen, zu Tage förderte, und daß sie es wagte, diese klägliche Epistel Poesie zu nennen. Noch ärger höhnte jene Schule, als sie die Verse las, die unsere Dichterin im sogenannten Saphischen Maße hingeschrieben hatte, verleitet von ihren gelehrten Freunden und Gönnern. Freilich, wir wollen weder jene Hymne an die Baukommission, noch diese einfältige Nachahmung klassischer Formen in Schutz nehmen, allein darum bleibt die Schneidersfrau Anna Louise Karsch doch eine Dichterin; es muß sich nur der Kenner der Herzen und der Verse die Mühe nehmen, auf die Quelle der Erscheinungen zurückzugehen und die Stärke der Strömungen dort zu messen, wo sie ihrer Heimathstätte, dem schöpferischen Gemüth, unmittelbar entfließen. Wir haben bereits angedeutet, und die Dichterin hat es auch selbst gethan, daß sie in dem unmittelbaren Verkehr mit der Natur ihre Kraft sich offenbaren und wachsen fühlte; was später die Bildung ihrer Zeit hinzuthat, war gleich dem Werk der Scheere, die eine schöne Hecke in eine gerade Taxuswand verschneidet. Man liebte damals Taxuswände, sowie man dreißig Jahre später englische Parks liebte, und so wie man wieder dreißig Jahre später nochmals Taxuswände lieben wird. Inzwischen bleibt die Natur Natur und Baum Baum. Nachdem die romantische Schule das Wesen der Poesie in ihr selbst fand, findet man heutzutage, daß sie an Gegenständen haftet. Wir kehren zu der materiellen Anschauung zurück, nachdem wir lange in der rein idealen und transcendentalen geschwelgt haben. Die romantische Schule besang die blauen Blumen als ein mystisches Symbol, wir besingen die Hobelbank und den Schusterleisten und knüpfen an diese, nichts weniger als mystischen Symbole, alle poetischen Fragen der heutigen Welt. Die Poesie war früher alles, nur nicht nützlich, jetzt soll sie nichts als nützlich sein. Aber ihr irrt euch; sie wird nicht, wie ihr es wollt, bald Eins und bald das Andere sein, sie ist, wie es ihre göttliche Natur mitbringt, immer Beides zusammen gewesen, nur haben wir es nicht so nachweisen können, wie es sich denn überhaupt nicht nachweisen läßt.

Beim Beginn ihrer Laufbahn brachte ein guter Genius sie sogleich an eine günstige Stätte, wenn sie nur da hätte bleiben dürfen, nämlich bei dem Großvater. Dort hatte sie einen milden, väterlichen Geist, der liebend ihr Schutz und Anleitung zukommen ließ, dort hatte sie Freiheit und nur, dort hatte sie endlich die Bibel, dieses Buch, das Meister und Schüler immer und immer wieder mit gleichem Vortheil aufschlagen. Hätte die arme Kleine hier ruhig lesen und bewundern, lieben und nachahmen können! Sie versuchte es: mit ganzer, durstiger Seele hing sie an der Gestaltenfülle, die den entrollten Gedichten dieses Buches aller Bücher entquollen. Besonders war es die thränen- und liebereiche Geschichte der Makkabäer, diese durch süße, göttliche Wunder leuchtende Legende, die dem dichtenden Kinde einen Schauer des Entzückens abrang. Wäre sie hier in Einsamkeit aufgewachsen, genährt und gekräftigt durch solche Speise, sie wäre aus den stillen Wäldern Schlesiens als eine der größten Dichterinnen nicht allein ihrer Zeit, sondern vielleicht aller Zeiten hervorgegangen; so aber nahm sie eine gekünstelte Gesellschaft und eine unwahre Dichterschule auf; beide erzogen sie nicht, sondern verzogen sie. Was sie trotz dieser misgünstigen Verhältnisse doch noch leistete, ist der Anerkennung der Nation werth, wenn es auch nicht zu ihrer Ehre und Zierde gereicht.

Die Sucht nach Pomp und Glanz trieb das achtzehnte Jahrhundert, sich die großen Dichternamen der antiken Welt anzueignen und mit ihnen ein recht unwürdiges Spiel zu treiben. Frankreich ging voran. Einen französischen Horaz gab es früher, ehe es einen deutschen gab, einen französischen Euripides, einen französischen Plutarch, einen französischen Aesop früher, als es deutsche gab. Als die Karschin in den Saal des Ruhms eintrat, war die alberne Rollenvertheilung schon vor sich gegangen. Rammler war Horaz, Gleim bald Pindar, bald Anakreon, Wieland Aristipp, Jacobi Tibull, Gessner Theokrit, was war natürlicher, daß die Karschin – Sapho wurde? Sie wurde es; ob der Name paßte, wer fragte danach? Sie machte Verse, Sapho hatte auch Verse gemacht, also war sie die deutsche Sapho. Die schlesische Hirtin nahm sich die schöne und hochmüthige Bürgerin von Mitylene zum Vorbild . und coeffirte ihren Geist nach dem stümperhaften Bilde, das ihr der Kritikaster Sulzer von jener unglücklichen, stolzen Liebessängerin vorhielt. Daß diese Toilette unglücklich ausfallen mußte, verstand sich von selbst. Die saphischen Oden der Karschin sind darum auch äußerst verfehlt, und wir wollen ihrer gar nicht weiter erwähnen. Die patriotischen Hymnen sind jedoch erwähnungs- und sogar lobenswerth. Wir wollen eine hier beifügen, die zu ihrer Zeit sich großen Ruhms erfreute.

Dem Vater des Vaterlandes
Friedrich dem Großen
bei triumphirender Zurückkunft den 30. März 1763
gesungen im Namen seiner Bürger.

Der du den Tempel deines neuen Freundschaftsbandes
Mit diamantnem Bogen wölbst;
O König, Vater! Schutzgott des beglückten Landes!
Uns gegenwärtig bist du selbst.
 
Dich, mit vermehrten Siegeskränzen ausgeschmückter,
Empfängt der jüngste Frühlingswind
Erfüllt mit Jauchzen deiner Bürger, die entzückter
Jetzt fühlen, daß sie Menschen sind.
 
Zu lange suchten dich beflügelte Gedanken
Und Seufzer deines Volkes dort,
Wo um das Schlachtfeld sich die Helden standhaft zanken,
Und Kriegesdonner ist ihr Wort.
 
Zu lange bliebest du, versteckt in schwarzen Wettern,
Rund um dich werfend deinen Blitz,
Wir aber wankten, gleich verwelkten Lindenblättern,
Um deinen wüsten goldnen Sitz.
 
Vor unsers nebelvollen Geistes Blicke schliefen
die Schöpfung selbst und die Natur:
Wir fühlten nicht den Reiz der besten Welt; wir riefen
Dich, aller Welten Wunder, nur.
 
Das Klaggeschrei, die Tränenströme rauschten mächtig
Bis an den Himmel und zu dir;
Du kommst, und dein Triumph ist mehr als römisch prächtig:
Nicht über Sklaven jauchzen wir,
 
Nicht über nachgeführte, fremde Königsschätze
Und Kronen, die der Sieger nahm;
Nein, über dich, Monarch, in welchem der Gesetze
Beschützer glorreich wiederkam.
 
In deinen Augen ging aus tausend Mitternächten
Ein uns geschaffnes Sonnenlicht
Hervor, und stralet nun so lieblich deinen Knechten
Als deines Gottes Angesicht.
 
Das über dir daher geleuchtet und gelächelt
In undurchdringlicher Gefahr,
Wenn oft das Vaterland wie Sterbende geröchelt
und zitternd für dein Leben war.
 
O laß dein in der Schlacht nie wankend Knie umfassen,
Du Ueberwinder! und versprich
Nicht mehr dein bittend Land verwaiset zu verlassen;
Und fordern neue Feinde dich,
 
Dann gib uns Waffen; laß dein Volk zu Felde ziehen,
Du aber, unsre Wollust! bleib
In Sans-Souci; und wer von uns wird schimpflich fliehen,
Den tödte sein beherztes Weib! –