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Inhalt

Ein Wink des Schicksals

Im Land der Maharadschas

Busfahrt mit Hindernissen

Orakelhexe in Not!

Allein im Dschungel!

Baumbekanntschaft

Teppich, flieg hoch!

Der Affe ist los!

Neue Pläne

Alles Makak!

Getigerte Gefahr!

Am Ende der Weisheit

Frühstück mit Salamander

Umgedreht!

Überraschung mit Motorradhelm!

Achterbahn im Kumba Himal

Palast mit Paradies

Das Glück kehrt zurück!

Zukunft ohne Zweifel

Ein Wink des Schicksals

Endlich Sommerferien! Bibi hatte sich so lange darauf gefreut. Auf das lange Ausschlafen, das Nichtstun und die viele freie Zeit … Inzwischen jedoch hatte Bibi ausgeschlafen.

Sie hatte auch schon ziemlich lange nichts getan, und langsam wurde ihr die viele freie Zeit langweilig. Gerne hätte sie sich mit ihren Freunden getroffen. Doch die waren alle verreist. Moni und Florian verbrachten ihre Ferien am Meer, Schubia in einem Hexencamp in den Bergen und Flauipaui auf einer Insel. Verdrossen trottete Bibi nach draußen in den Garten, wo Barbara im Kräuterbeet gerade Schöllmimosen und Lorchelblätter erntete.

„Könnten wir nicht auch verreisen?“, fragte Bibi ihre Mutter.

Barbara seufzte. „Aber Bibi, du weißt doch, wir wollen dieses Jahr unseren Garten komplett neu anlegen und deshalb …“, erklärte sie ihrer Tochter. „Das weiß ich doch, Mami. Aber warum hexen wir den Garten nicht einfach neu? Dann hätten wir genügend Zeit“, fragte die kleine Hexe. Sie fragte es leider nicht zum ersten Mal in dieser Woche, sondern zum zehnten, möglicherweise auch zum zwanzigsten Mal. „Aber Bibi, wie oft denn noch? Du kennst doch deinen Vater“, entgegnete Barbara. Natürlich kannte Bibi ihren Vater und wusste, wie sehr er darauf bestand, Garten- und Hausarbeiten eigenständig und ohne Hexerei zu erledigen. „Aber vielleicht könnten wir Papi irgendwie überzeugen, den Garten erst mal ruhen zu lassen und in die Ferien zu fahren“, meinte Bibi.

„Ich glaube eher nicht. Aber natürlich kannst du deinen Vater noch einmal fragen“, sagte Barbara zu ihrer Tochter und zupfte weiter an Schöllmimosen und Lorchel herum.

Als Bernhard kurz darauf vom Büro nach Hause kam und den Wagen in der Auffahrt parkte, lief Bibi ihm mit einem strahlendem Lächeln entgegen.

„Hallo Papi! Schön, dass du schon da bist! Ich wollte dich was fragen“, rief sie betont fröhlich. „Fragen? Was denn?“, entgegnete Bernhard betont unfröhlich. Heute war sein letzter Arbeitstag vor dem Sommerurlaub gewesen, und eigentlich war er da immer bestens gelaunt. Doch jetzt stieg er ächzend aus dem Auto – mit blassem Gesicht, verstrubbelten Haaren und einer Jacke, die er versehentlich falsch herum angezogen hatte.

„Ist irgendwas los?“, fragte Bibi, obwohl das eigentlich nicht die Frage war, die sie ihrem Vater stellen wollte.

„Ach, frag nicht … Etwas Schreckliches ist passiert!“, sagte Bernhard und ließ kummervoll die Arme hängen.

„Etwas Schreckliches?“, wiederholte Bibi und wurde nun selbst ein wenig blass.

„Ist irgendwas mit deinem Wagen?“, fragte Barbara besorgt und kam mit den abgepflückten Hexenkräutern in der Hand angelaufen.

„Nein, viel schlimmer!“, seufzte Bernhard.

Noch schlimmer? Auweia! Hatte Bernhard womöglich Probleme bei der Arbeit? War er plötzlich krank geworden?

Aber nein!

Bernhard schüttelte auf all die besorgten Nachfragen von Bibi und Barbara den Kopf. Dann endlich rückte er mit dem Grund heraus: „Ich habe den ersten Preis in einem Preisausschreiben gewonnen.“

Wie bitte?! Barbara und Bibi glaubten nicht recht zu hören.

„Das ist doch super!“, rief Bibi begeistert.

Bernhard seufzte. „Nein, das ist nicht super. Ich wollte den dritten Preis. Einen Mini-Kompaktbagger. Einen echten Schaeff TC 138! Den hätten wir so gut gebrauchen können für unseren Gartenumbau!“

„Und was hast du stattdessen gewonnen?“, fragte Bibi neugierig.

Seht selbst!“ Bernhard holte ein längliches Briefkuvert aus seiner Aktentasche. Barbara öffnete den Umschlag, betrachtete die drei kartonierten Papierstreifen, die darin lagen und begann laut zu lachen.

„Aber das sind ja Flugtickets, Bernhard – nach Indien!“, freute sie sich. „Nach Indien? Toll! Da wollte ich ja schon immer mal hin!“, rief Bibi begeistert.

„Ich nicht“, entgegnete Bernhard trocken.

„Aber in Indien könnte ich Asma besuchen, meine indische Hexenfreundin, die ich neulich auf dem internationalen Hexenkongress kennengelernt habe“, überlegte Barbara.

„Au ja, rief Bibi, „und danach fliegen wir durch das ganze Land und zelten, wo es uns gefällt!“

Zelten? Durch das Land fliegen? Hexenfreundinnen besuchen?

Nein danke! Davon wollte Bernhard nichts wissen.

„Vielleicht kann ich die Flugtickets gegen den Minibagger eintauschen? Ich werde mich gleich morgen darum kümmern. Jetzt mach ich erst mal mit unseren Gartenplänen weiter“, sagte er zu seinen beiden Hexen und ging ins Wohnzimmer hinein. Eine sehr enttäuschte Bibi folgte ihrem Vater. „Ich könnte dir doch einfach einen Minibagger hexen!“, schlug sie ihm vor. Doch so etwas kam für Bernhard nicht in Frage.

„Auf keinen Fall, Bibi!“, lehnte er ab und beugte sich über die Umbaupläne für den Garten, die auf dem Tisch lagen. Bernhard hatte die Pläne eigenhändig entworfen, oder besser: Er entwarf sie noch immer. Es war gar nicht so leicht, einen Garten neu anzulegen. Vor allem die Fragen, wie er den Teich vergrößern und mit welcher Marmorfigur er den Springbrunnen verschönern wollte, beschäftigten Bernhard seit Tagen. Noch immer war er zu keiner Lösung gekommen. Alle diesbezüglichen Zeichnungen waren rot durchgekritzelt oder durchgestrichen. In dem Moment blitzte in Bibis Kopf eine Idee auf. „In Indien würdest du sicher gute Anregungen für unseren Garten finden!“, sagte sie zu ihrem Vater und erzählte, was sie noch aus dem Erdkundeunterricht wusste. Nämlich, dass indische Paläste meist in bezaubernd schönen Gärten stehen, und die indische Gartenkunst mit ihren Teichanlagen und Blumenornamenten etwas ganz Besonderes ist.

„Hm, das habe ich auch schon mal gelesen. Die indische Kunst der Floristik soll herausragend sein“, erinnerte sich Bernhard. „Am besten besorge ich mir gleich einen Bildband darüber“, beschloss er. Einen Bildband?

Barbara, die gerade mit ihren frischgepflückten Kräutern hereingekommen war, schüttelte fassungslos den Kopf. „Du hast drei Flugtickets nach Indien gewonnen, Bernhard, und willst dich mit einem Bildband über indische Floristik auf das Sofa setzen“, empörte sie sich.

„Wieso denn nicht?“, fragte Bernhard trotzig.

„Weil so ein Preis ein Wink des Schicksals ist. Und wenn es schon mal winkt, sollte man nicht einfach wegsehen“, gab Barbara zu bedenken.

„Schicksal! Das ist doch Quatsch!“, schnaubte Bernhard und schob aufgeregt die Pläne auf dem Tisch von links nach rechts. Dann kritzelte er darin herum, strich alles wieder durch, zeichnete einen neuen Plan und verwarf ihn binnen Kürze. Bibi und Barbara, die Bernhard dabei beobachteten, warfen sich einen wissenden Blick zu, und der bedeutete nichts anderes als: Am besten lassen wir Papi erst mal in Ruhe und vielleicht … vielleicht kommt er ja doch noch zur Besinnung.

Und tatsächlich! Gerade als Bibi und Barbara die Schöllmimosen und die Lorchelblätter im Hexlabor zum Trocknen aufgehängt hatten, klopfte es an der Tür und Bernhard kam herein.

„Also gut! Wenn ihr unbedingt meint, dann fliegen wir eben nach Indien und sehen uns die Gärten an!“, sagte Bernhard einsichtig.

„Juchhuuu!“, jubelte Bibi. Auch Barbara freute sich über diese unverhofften Reiseaussichten.

„Das ist eine sehr kluge Entscheidung“, lobte sie ihren Mann. „Allerdings fliege ich nur unter einer Bedingung“, stellte Bernhard mit erhobenem Zeigefinger klar.

„Keine Hexerei! Kein Zelt! Kein Besuch bei Hexenfreundinnen! Und natürlich keine Hexenbesen!“

„Das sind aber vier Bedingungen“, beklagte sich Bibi, die sich nicht vorstellen konnte, ohne ihren Kartoffelbrei zu verreisen.

Doch Bernhard blieb hartnäckig. „Schließlich habe ich die Reise gewonnen“, sagte er.

„Also gut!“, seufzte Bibi, und Barbara war ebenfalls einverstanden.

Am nächsten Tag besorgte sich Bernhard zwanzig Reiseführer über Indien und studierte sie umgehend und gründlich. Er legte Listen mit Adressen von berühmten Gärten, Restaurants und Hotels an – und natürlich auch eine Liste mit den wichtigsten Notrufnummern.

„Könnten wir uns nicht auch ein wenig das indische Alltagsleben ansehen?“, fragte Barbara, als Bernhard ihr stolz den Reiseplan präsentierte, der nicht nur eine Sehenswürdigkeiten an die andere, sondern auch eine Touristenschlange an die nächste reihen würde. Auch Bibi wollte sich lieber etwas mehr treiben lassen.

„Wir haben ja keinen einzigen freien Tag“, stöhnte sie.

„Das sind doch alles freie Tage“, widersprach Bernhard und beharrte auf seinem Plan. Mit Kleidern für alle Wetterlagen, zwanzig Reiseführern, einer Landkarte sowie zwölf Flaschen Mückenmittel im Gepäck brachen die Blocksbergs schon zwei Tage später zum Flughafen auf.

„Sie haben 20 Kilo Übergewicht“, sagte die Dame hinter dem Schalter. Schweren Herzens packte Bernhard daraufhin 19 Reiseführer, sowie 11 Flaschen Mückenmittel wieder aus den Koffern aus.

„Was machen wir jetzt mit dem ganzen Kram?“, überlegte er.

„Ganz einfach!“, lachte Bibi und hob ihre Hexenarme. „Eene meene schnelle Sause, Kram fliegt jetzt sofort nach Hause. Hex-hex!“, rief sie. Schon erhob sich das überflüssige Gepäck in die Luft und sauste zur großen Verblüffung der Flughafenbesucher aus dem Gebäude hinaus und schneller als jeder Düsenjet nach Gersthof zurück. Das war natürlich mehr als praktisch. Trotzdem konnte Bernhard seiner Tochter einen Tadel nicht ersparen. „Damit eines klar ist, Bibi. Ab jetzt wird nicht mehr gehext!“

„Ja, ja schon klar!“, lachte Bibi. Mit ihren verbliebenen und sehr viel leichteren Koffern checkten die Blocksbergs dann problemlos ein und saßen kurz darauf glücklich im Flugzeug nach Indien.