Fragmente
Die Enzyklopädie

Inhaltsverzeichnis

VI. Abteilung
Die Philologischen Wissenschaften

Inhaltsverzeichnis

1. Philologie, Sprache und Musik

Kritik der Sprache – Vorarbeit des Wissenschaftslehrers.  1255

Philologie im allgemeinen ist die Wissenschaft der Literatur. Alles, was von Büchern handelt, ist philologisch. Noten, Tltel, Mottos, Vorreden, Kritiken, Exegesen, Kommentare, Zitaten sind philologisch. Rein philologisch ist es, wenn es schlechterdings nur von Büchern handelt, sich auf solche bezieht und sich durchaus nicht auf die Originalnatur direkte wendet. Mottos sind philologische Texte. – Sie ist teils philologisch (?), teils historisch; jenes ist ihr reiner Teil, dies ihr angewandter. Gelehrter im strengen Sinn ist nur der Philolog. Enzyklopädik [?] ist philologisch, – die Historie auch.  1256

Philologie. Anspielungen sind indirekte Zitate.  1257

Philologie. Beispiele sind eine Art von Zitaten. Man muß jeden theoretischen Satz in einer theoretischen Erzählung oder Beschreibung – mit einem Beispiele zu belegen wissen. Alle allgemeinen Räsonnements müssen durchgängige Beziehung auf wirkliche Fakta haben.
Abstraktes allgemeines Räsonnement. (Allgemeine Geschichte.)
Konkretes oder verstecktes allgemeines Räsonnement.
Beides zugleich.
Besonders ist diese ausdrückliche Belegung jedes allgemeinen Erzählungssatzes mit individuellen Beispielen zum Vortrag und Unterricht nötig.  1258

Verzeichnisse aller Glieder eines Buchs. – Was kann und darf und muß ein Buch als solches enthalten.
(Eine Abhandlung usw. ist kein vollständiges Buch.) Außer den vorhin angeführten Stücken – noch – Pagina –
(Bei zu großer Eile wird ein oder zwei oder drei Glieder immer übersprungen. Allgemeine Anwendbarkeit dieser Bemerkung.)

Namen des Verfassers – Druckers, Verlegernamen usw. – Bogenzahlzeichen – Dedikation – Verzeichnis der Literatur – und der gebrauchten Autoren – ehmals Elogia des Autors usw.
Abteilung in Versen – Zählung der Zeilen usw. (Entstehung des Silbemnaßes.)  1259

Ein akademischer Lehrvortrag ist ein mündliches Buch – er muß alle Bestandteile des Buchs haben. Ein Kompendium ist der weitläuftige Plan oder der Umriß des Ganzen, die Abbreviatur des Vortrags. Die Rhetorik gehört zur psychologischen Stimmungskunde. Sophistik ist rhetorische Philosophie, wenigstens ein Teil von ihr. Vorlesungen sind statt der Bücher. Zugleich lehrt der Dozent ipso facto die Kunst des Lesens und Benutzens – durch Repetition, Extraktion, szientifische Experimente mit dem Vorgetragnen oder Anwendung und Beispielen, Akzentuation des Wichtigen usw.
(Beispiel – Muster – Tatsachensammlung.)
Rezension ist Komplement des Buchs. Manche Bücher bedürfen keiner Rezension – nur einer Ankündigung. – Sie enthalten schon die Rezension mit. – Die Noten sind Demonstrationen im andern Sinn oder Ostensionen. – Sie enthalten die Experimente und andre Dinge, die zur Erläuterung des Textes gehören z.B. die Literatur. – Der Text tönt. – Die Note enthält die Figur dazu.  1260

Philologie. Nebeninschriften alter Bücher – Ihr Register.  1261

Philologie. Die Einleitung ist die Enzyklopädistik des Buchs – vielleicht der philosophische Text zum Plan.
Alle Wissenschaften, die von Tatsachen usw. ausgehn, gehören zu den gemischten Wissenschaften – den individuellen Wissenschaften. Jede Tatsache ist synthetisch – substantiell.  1262

Philologie. Rekapitulation gehört auch wohl zu den Buchgliedern.  1263

Philologie. Der amplifizierte Gegenstand des Tltels oder der amplifizierte rltel ist das Buch. Der Text des Buchs fängt mit der Erklärung des Titel an und so fort.  1264

Ideal der Grammatik.  1265

Auch die Grammatik ist philologisch zum Teil; der andre Teil ist philosophisch.  1266

Enzyklopädistik. Die Grammatik und besonders ein Teil von ihr, das Abcbuch einer bestimmten Sprache, ist eine besondre Elementarwissenschaft –
Die allgemeine Grammatik nebst dem allgemeinen Abcbuche ist schon eine höhere Elementarwissenschaft – doch noch eine Anwendung auf Sprache. Die höchste Elementarwissenschaft ist diejenige, die schlechterdings kein bestimmtes Objekt – sondern ein reines N behandelt. So auch mit der Kunst. DasMachen mitHänden ist auch schon ein spezielles, angewandtes Machen. Das N-Machen mit dem N-Organ ist der Gegenstand dieser allgemeinen Iiunstlehre und Kunst. (Vielleicht nichts anders als echte Philosophie – als Bildungslehre und Bildungskunst und Erweckungsmittel des Genies überhaupt.)  1267

Überall liegt eine grammatische Mystik, wie mir scheint, zum Grunde – die sehr leicht das erste Erstaunen über Sprache und Schrift erregen konnte. (Die wilden Völker halten die Schrift noch jetzt für Zauberei.)
Hang zum Wunderbaren und Geheimnisvollen ist nichts als Streben – nach unsinnlichem – geistigem Reiz. Geheimnisse sind Nahrungsmittel – inzitierende Potenzen. Erklärungen sind verdaute Geheimnisse.  1268

Grammatik. Nicht jedes Wort ist ein vollkommnes Wort. Die Worte sind teils Vokalen – teils Konsonanten – geltende und mitgeltende Worte.
Anwendung auf Wissenschaftskonstruktionen.
Substantielle (Vokal-) Sätze und Wissenschaften – akzidentelle (konsonantische) Sätze und Wissenschaften.
Substantiva, Verba usw.  1269

Wissenschaftslehre als Idealsprachschema – Ich – das Urwort z.B.
Philosophie der Sprachteile – der Sprache überhaupt – des Syntaxes. Zusammenhang mit den Begriffen und Empfindungen.  1270

Grammatik. Übergang einer Sprache in die andre durch korrupte oder eigentümliche Aussprache. – Erhebung der gemeinen Sprache zur Büchersprache. Die gemeine Sprache wächst unaufhörlich – aus ihr wird die Büchersprache gebildet. Übergang und Umbildung der Vokalen und der Silben ineinander. Ein-, zwei-, drei-, vierund mehrsilbige Wörter.
Allgemeines Sprachsystem – Sprachgeschichtssystem. Erfindung jeder Sprache a priori. Verschiedenheit der Aussprache. 1271

Grammatik. Die gemeine Sprache ist die Natursprache – die Büchersprache die Kunstsprache.  1272

Die Sprache und die Sprachzeichen sind a priori aus der menschlichen Natur entsprungen, und die ursprüngliche Sprache war echt wissenschaftlich – Sie wiederzufinden ist der Zweck des Grammatikers.  1273

Die Häufung von Verbis, Adjektivis und Substantivis ist oft nichts als eine doppelte und mehrfache Rede – ein zerstückelter Parallelism.  1274

Die Sprache ist für die Philosophie, was sie für Musik und Malerei ist, nicht das rechte Medium der Darstellung.  1275

Scientia artis litterariae. Die Schriftkunst (Tonkunst) schriftkünstlich behandelt liefert die Wissenschaft von der Schriftkunst (scientiam artis litterariae). Die Kritik der Schriftkunst bereitet diese Wissenschaft vor.
Unser Alphabet ist eine Tonschriftkunst und noch obendrein von einem individuellen Instrumente, dem menschlichen Sprachwerkzeugsystem.
Allgemeines, reines Schriftsystem – und besondre abgeleitete Schriftsysteme. (Vide das Zahlensystem.) Noten.  1276

Physik und Grammatik. Ein gedämpfter, sehr naher Ton dünkt uns weit zu sein. Lateralbewegungen der Luft beim Schall. Figurierte Schallbewegungen wie Buchstaben. (Sollten die Buchstaben ursprünglich akustische Figuren gewesen sein? Buchstaben a priori?) Lateral und figurierte Bewegungen des Lichts und derWärme. Farben bilder sind Lichtfiguren. Der Lichtstrahl ist der streichende Fiedelbogen. Was vertritt wohl hier die Stelle des Sandes? Man zwingt eigentlich den Schall, sich selbst abzudrucken – zu chiffrieren – auf eine Kupfertafel zu bringen. Weitere Anwendung dieser Idee. (Bestreuung einer Tafel mit Phosphorpulver, das die Farben des verschiednen Lichts annähme oder das bei einer gelinden Erwärmung verschieden gestalteter und mannigfach berührter Körper in sonderbaren Figuren brennte – und leuchtete – Bereitung eines solchen Pulvers.)
Reflexion, Refraktion und Inflexion des Schalls. Der schmerzhafte Laut – Krispeln auf dem Teller usw. Schneidender Ton.
Über das Sprechen der Stare.
Natürliche, mimische, bildliche Sprache. – Künstliche, zufällige, willkürliche Sprache. (Der Begriff der Kausalität ist z. B. ein willkürliches Zeichen (transzendentales Zeichen) eincs gewissen Verhältnisses.) Transzendentale Logik.
Jedes Wort sollte eine akustische Formel seiner Konstruktion, seiner Aussprache sein – Die Aussprachc selbst ist cin höheres, mimisches Zeichen einer höhern Aussprache – Sinnkonstruktion des Worts. Alles dies hängt an den Gesetzen der Assoziation. Die sogenannten willkürlichen Zeichen dürften am Ende nicht so willkürlich sein als sie scheinen – sondern dennoch in einem gewissen Realnexus mit dem Bezeichneten stehn. Instinktartige Sprache – Ausartung des Instinkts – konventionelle Sprache – diese soll wieder eine instinktartige, aber gebildete Sprache werden.  1277

Allgemeines Sprachproblem – Kupfertafeln – und Schreibtafeln – Druckblättermethode. Gegenseitige Verhältnisse von Flächenzeichen und Bildern und Tönen und Lauten.
Der menschliche Geist kann die äußern Symptome und ihre Kompositionen approximando nachmachen – er muß also Analogie mit den Bestandteilen und Naturkräften haben.
Schlüsse daraus. (Ausgeführte vergleichende Betrachtung der Natur und Kunst und Folgerungen aus der vergleichenden Wissenschaft von beiden.)  1278

Der Buchstabe ist – was ein Tempel oder Monument ist; ohne Bedeutung ist es freilich tot. – (t~ber die Verwandlung des Geists in Buchstaben.) Es gibt geistvolle Historiker des Buchstabens – philologische Antiquare . (Der Antiquar ist eigentlich ein Restaurator des Buchstabens – ein Auferwecker desselben. Nutzen des Buchstabens.)  1279

Jeder Mensch hat scine eigne Sprache. Sprache ist Ausdruck des Geistes. Individuelle Sprachen. Sprachgenie. Fertigkeit in und aus andern Sprachen zu übersetzen. Reichtum und Euphonie jederSprache. Der echte Ausdruck macht die klare Idee. Sobald man nur die rechten Namen hat, so hat man die Ideen mit. Durchsichtiger, leitender Ausdruck.  1280

Unterschied zwischen willkürlicher, symptomatischer, und mimischer Charakteristik oder Sprache.  1281

Individuelles; selbstgegebner Name jedes Dings.  1282

Die Seele strebt bei jedem Begriffe nach einem genetisch-intuitiven Worte (Formel). – Ihr Etymologisieren. Sie versteht einen Begrifl, wenn sie ihn fertig machen und auf alle Weise behandeln kann, zu Geist und zu Materie machen. Das Universalisieren oder Philosophistisieren eines spezifischen Begriffs oder Bildes ist nichts als ein Ätherisieren, ein Verluftigen – Vergeisten eines Spezifikums – oder Individuums. Es gibt auch einen entgegengesetzten Prozeß.
(Expressive – richtig fortpflanzende Worte.)  1283

Alles läßt sich beschreiben – verbis. Alle Tätigkeiten werden von Worten, oder können von Worten begleitet werden – wie alle Vorstellungen vom Ich.  1284

Wir sehn die Natur, so wie vielleicht die Geisterwelt, zu perspektivisch. Den verständigen Einbildungskräften kommt das Geschäft des Bezeichnens im allgemeinen zu – des Signalisierens – Phänomenologisierens. Die Sprachzeichen sind nicht spezifisch von den übrigen Phänomenis unterschieden.  1285

Die abstrakten Wörter sind die Gasarten unter den Wörtern – das Unsichtbare – die abstrakten Kräfte.  1286

Sprechen als Sezernieren betrachtet.  1287

Erkennen – dessen Gebrauch bei Luther. (Instinkt, Trieb. Bienen usw. Kunst.)
Was heißt Realität? und welche Realität hat die Lehre der Vernunft – in allem, wozu Wissen gehört.
(Metaphysik der Sitten – z. B. übers Grüßen.)  1288

Ausbildung einzelner Sätze – Art von Chriëen. Eine Bemerkung deutlich ausgeführt. (Perioden.)  1289

Sich selbst Gesellschaft leisten.  1290

Über die Konstruktion der alten Sprachen . Als Tonsprachen verlieren unsre Sprachen außerordentlich.  (1291)

Tiere, als Götterattribute. / Theophrasts und der Astrologen Behandlung der Astrologie.  1292

Ist das Schöne ein Neutrum. – Über Allgemeine Begriffe – sind sie Neutra, Mischungen oder quid?  1293

Attribute – Signaturen – Heraldik, Individualität.  1294

Buchstaben sind geistige Münzen – Chiffren. Schlegel senior.  (1295)

Ausdruck – Selbstbefleckung – Selbsttrübung – Selbstpräzipitation.
Grammatik. Die Sprache ist Delphi.  1296

Über den Ausdruck: sich selbst besinnen.  1297

Der Witz ist schöpferisch – er macht Ähnlichkeiten.  1298

(Über den Ausdruck – sich etwas beschlafen.) Ist der Schlaf – eine Selbstbegattung?) 1299

Bewegungsreihen – Figurenreihen – Körperreihen usw.  1300

Nullitas – von nolo.  1301

Über die Apriorität der Anfangs- und Kindersprache – ferner die sonderbaren tropischenVerba – Auflösen, Mischen usw.  1302

Symptom – Etymologie.  1303

Der Ausdruck – aufs reine bringen.  1304

Leichtsinn – Schwersinn usw.  1305

Über den Ausdruck – Glaubenslehren.  1306

Der Ausdruck Sinnbild ist selbst sinnbildlich  1307

Schwarze Kreide, Farben, Striche, Worte sind richtige Elemente, wie mathematische Linien und Flächen.  (1308)

Inpunktationsmanier der Bezeichnung der Veränderungen des Stetigen. Z. B. Übergang des Kindes zum Manne.
Bezeichnung des Übergangs (der Seele) mit Punkten.  1309

Gebildete, regelmäßig ausgeführte Bildersprache.  1310

Bearbeitung einer Sprache. Silbenverzeichnis. Charakterisierende Bestandteile der Sprache. Szientifisch systematisches Lexikon.  (1311)

Hat die Sprache nicht auch ihre Diskant- und Baß- und Tenortöne ? Nicht ihren Takt – nicht einen Grundton – nicht mannigfaltige Stimmen und Geschwindigkeiten? Sind die verschiedenenArten des Stils nicht verschiedene Instrumente?  1312

Musik. Die Konsonanten sind die Fingersetzungen und ihre Folge und Abwechselung gehört zur Applikatur. DieVokale sind die tönendenSaiten oder Luftstäbe. Die Lunge ist der bewegte Bogen. Die mehreren Saiten auf einem Instrument sind nur zur Bequemlichkeit – es sind Abbreviaturen. Es ist eigentlich nur eine Saite. Die Orgeln sind Nachahmungen der Saiteninstrumente. Über den charakterisierenden Ton der Saite – der Grund dieser Individualität – Masse – Länge – Dicke usw. Über die Mittönungen. Tonreihe jedes Saitenstrichs. Dauer des Strichs – Ansatzpunkt des Bogens. Steg. Bau des Instruments. Harmonika. Euphonie. Über den Glockenton. Theorie des Harmonikaspielens. Die tastierte Harmonika. Warum die Wellen und Ströme des Wassers nicht tönen? Akustizität der Luft. Schwingungen einer mit Elektrizität geladenen Glocke.
Über die allgemeinen Sprache der Musik. Der Geist wird frei, unbestimmt angeregt – das tut ihm so wohl – das dünkt ihm so bekannt, so vaterländisch – er ist auf diese kurzen Augenblicke in seiner indischen Heimat. Alles Liebe – und Gute, Zukunft und Vergangenheit regt sich in ihm – Hoffnung und Sehnsucht. Verse b e s t i m m t durch die Musik zu sprechen. Unsre Sprache – sie war zu Anfang viel musikalischer und hat sich nur nachgerade so prosaisiert – so enttönt. Es ist jetzt mehr Schallen geworden – Laut, wenn man dieses schöne Wort so erniedrigen will. Sie muß wieder Gesang werden. Die Konsonanten verwandeln den Ton in Schall.  1313

Musik. Sollte die Musik der Alten mehr rhythmisch gewesen – die unsre mehr melodisch sein?  1314

Musik. Höhere Töne sind sthenischer – tiefere Töne – asthenischer Natur. Redeton. Höhere Töne drücken erhöhtes Leben, tiefere Töne vermindertes Leben – Mangel aus. Harte und weiche Töne. Wollüstige Töne.
Die Dialekte und Pronunziationen werden durch Konsonanten und Vokale im großen gebildet.
Lippensprache – Gaum – Kehle – Zunge – Zähne – Naseusw. MancheSprache wird aus dem e,u,o usw. gesprochen. So hat jeder Mensch seinen Hauptvokal. Vide Schocher. Es ist damit, wie in der Musik – So hat jedes musikalische Stück scinen Grundton – auch sein Thema. Moll – und Dur.  1315

Physik. Sollte alle plastische Bildung, vom Kristall bis auf den Menschen, nicht akustisch, durch gehemmte Bewegung zu erklären sein? Chemische Akustik.  1316

Musik und Rhythmus. Der Hexameter in Perioden – im großen. Großer Rhythmus. In wessen Kopfe dieser große Rhythmus, dieser innre poetische Mechanismus einheimisch geworden ist, der schreibt ohne sein absichtliches Mitwirken bezaubernd schön, und es erscheint, indem sich die höchsten Gedanken von sclbst diesen sonderbaren Schwingungen zugesellen und in die reichsten, mannigfaltigsten Ordnungen zusammentreten, der tiefe Sinn sowohl der alten orphischen Sage von den Wundern der Tonkunst als der geheimnisvollen Lehre von der Musik als Bildnerin und Besänftigerin des Weltalls. Wir tun hier einen tiefen, belehrenden Blick in die akustische Natur der Seele und finden eine neue Ähnlichkeit des Lichtes und der Gedanken – da beide sich Schwingungen zugesellen.  1317

Musik. Die Musik hat viel Ähnlichkeit mit der Algeber.  1318

Chemische Musik – / Vom Ton usw. Unsre Seele muß Luft sein, weil sie von Musik weiß und daran Gefallen hat. Ton ist Luftsubstanz – Luft Seele – die fortpflanzende Luftbewegung ist eine Affektion der Luft durch den Ton. Im Ohre entsteht der Ton von neuem.
(Betrachtung des Begriffs der Kausalität das transfusionistische System – das Erregungssystem usw.)
Ein reiner Gedanken – ein reines Bild – eine reine Empfindung sind Gedanken, Bilder und Empfindungen – die nicht durch ein korrespondierendes Objekt erweckt usw., sondern außerhalb der sogenannten mechanischen Gesetze – der Sphäre des Mechanism entstanden sind. Die Phantasie ist eine solche außermechanische Kraft.
Magismus oder Synthesism der Phantasie. Philosophie erscheint hier ganz als magischer Idealism. Ist die Natur immer gesetzmäßig gewesen, und wird sie immer gesetzmäßig bleiben?  1319

Musik. Mathematik. Hat die Musik nicht etwas von der kombinatorischen Analysis und umgekehrt? Zahlenharmonien – Zahlenakustik – gehört zur kombinatorischen Analysis.
Die Zähler sind die mathematischen Vokale – alle Zahlen sind Zähler.
Die kombinatorische Analysis führt auf das Zahlenphantasieren – und lehrt die Zahlenkompositionskunst – den mathematischen Generalbaß. (Pythagoras, Leibniz.) Die Sprache ist ein musikalischcs Ideeninstrument. Der Dichter, Rhetor und Philosoph spielen und komponieren grammatisch. Eine Fuge ist durchaus logisch oder wissenschaftlich. – Sie kann auch poetisch behandelt werden. Der Generalbaß enthält die musikalische Algeber und Analysis. Die kombinatorische Analysis ist die kritische Algeber und Analysis – und die musikalische IiompositionsIehre verhält sich zum Generalbaß wie die kombinatorischeAnalysis zur einfachenAnalysis. Manche mathematische Aufgabc läßt sich nicht einzeln, sondern nur in Verbindung mit andern – aus einem höheren Gcsichtspunkte – durch eine kombinatorischc Operation bloß auflösen.  1320

Metrische Zeichen – Interpunktions- und Akzcntuationszeichcn – Nebenzeichen in der Musik. Die allen diesen entsprechenden Bewegungen. (Sonderbar, daß die Hebräer ihre Vokale nicht bezeichneten.) Die Konsonantenformcn entstanden vielleicht aus den Figuren der sie hervorbringenden Organe.
Takte – Rhythmus – mehrere gleichförmigc und in sich verällderte Bewegungen – .  1321

Mathematik und Grammatik. Über die Logarithmen – die eigentliche Sprache ist ein Logarithmensystem. Sollten die Töne nicht gewissermaßen logarithmisch fortschreiten?
Die harmonische Reihe ist die Logarithmenreihe einer dazugehörigen arithmetischen.  1322

Harmonie ist – Ton der Töne – genialischer Ton.  1323

Worte und Töne sind wahre Bilder und Ausdrücke der Seele. Dechiffrierkunst. Die Seele besteht aus reinen Vokalen und eingeschlagenen usw. Vokalen.  1324

Die eigentliche sichtbare Musik sind die Arabesken, Muster, Ornamente usw.  1325

Die musikalischen Verhältnisse scheinen mir recht eigentlich die Grundverhältnisse der Natur zu sein.
Kristallisationen: akustische Figuren chemischer Schwingungen (chemischer Sinn).
Genialische, edle, divinatorische, wundertätige, kluge, dumme usw. Pflanzen, Tiere, Steine, Elcmente usw. Unendliche Individualität dieser Wesen – Ihr musikalischcr und Individualsinn – ihr Charakter – ihre Neigungen usw.
Es sind vergangene, geschichtliche Wesen. Die Natur ist eine versteinerte Zauberstadt.  1326

Tanz und Liedermusik ist eigentlich nicht die wahre Musik. Nur Abarten davon. Sonaten – Symphonien – Fugen – Variationen – das ist eigentliche Musik.  1327

Sprache in der zweiten Potenz, z. B. Fabel, ist Ausdruck eines ganzen Gedankens – und gehört in die Hieroglyphistik der zweiten Potenz – in die Ton- und Schriftbildersprache in der zweiten Potenz. Sie hat poetische Verdienste und ist nicht rhetorisch – subaltern – wenn sie ein vollkommener Ausdruck – wenn sie euphonisch in der zweiten Potenz richtig und präzis ist – wenn sie gleichsam ein Ausdruck mit um des Ausdrucks willen ist – wenn sie wenigstens nicht als Mittel erscheint – sondern an sich selbst eine vollkommcne Produktion des höhern Sprachvermögens ist.
(Sprache im eigentlichen Sinn ist Funktion eines Werkzeugs als solchen. Jedes Werkzeug drückt, prägt die Idee seines Dirigenten aus. Dient ein Organ einem andern, so ist es, sozusagen, seine Zunge – seine Kehle, sein Mund. Das Werkzeug, was dem Geiste am willigsten dient, am leichtcsten mannigfacher Modifikationen fähig ist, wird vorzüglich sein Sprachwerkzeug – daher Mund- und Fingersprache.  1328*

Literatur. Gelehrsamkeit entspricht dem Gedächtnis. Fähigkeit oder Geschicklichkeit dem Geist.Beides verbinden heiRt beides als cin Binomium ansehn und dieses potenzieren. (Romantische Gelehrsamkeit – und romantische Geschicklichkeit – Kombinations – und Variationsfertigkeit.)  1329

Die Verwandlung eines Satzes oder mehrerer in ein Problem ist eine Erhebung. Ein Problem ist weit mehr als ein Satz. Höchstes, allumfassendes Problem.  1330

Enzyklopädistik. Grammatik. Eingewöhnliches Wörterbuch ist ein oryktognostisches Wörtersystem. Es läßt sich noch ein grammatikalisches und ein chemisches oder philosophisches Wörtersystem denken – dieses könnte wieder dreifach sein – progressiv historisch-philosophisch – regressiv historisch-philosophisch – absolut historisch-philosophisch. Einem Worte entspricht ein Satz. (Ein Satz ist die Potenz des Worts. Jedes Wort kann zum Satz, zur Definition erhoben werden.)
Es gibt auch verschiedne Satzsysteme. Sätze werden zu Wissenschaften erhoben – Wissenschaft ist die Dignität des Satzes – und so läßt sich diese Erhöhung bis zur absoluten Universalwissenschaft fortsetzen. Bis dahin kann es noch verschiedne Systeme geben, die jedes seinen besondern Zweck und seine eignen Gesetze hat. Das oryktognostische Verzeichnis ist also die primitive gelehrte Masse, die der Gelehrte überhaupt bearbeitet.
Jedem System dicser Art entspricht eine Grammatik – eine systematische Sammlung seiner Gebrauchsregeln.
Teile der Grammatik. 1. Rechtschreibe- und Rechtaussprache-regeln. 2. Naturbeschreibung und dieser gemäße Behandlungs-regeln. Flexion. 3. Syntax. – (Potenzierungskonstruktions-regeln.)  1331

Philologie. Es ist gewiß, daß eine Meinung sehr viel gewinnt, sobald ich weiß, daß irgend jemand davon überzeugt ist – sie wahrhaft annimmt – freilich muß es auf eine Art sein, deren Ursache nicht gleich in die Augen fällt. – Gewicht der Autoritäten – eine Autorität macht eine Meinung mystisch – reizend. (Rhetorische Gewalt des Behauptens.) Geheimnisse sind Armaturen, Kondensatoren des Divinations-, des Erkenntnisvermögens.  1332

Physiologie. Stilistik. Man kann am Stil bemerken, ob und wieweit der Gegenstand dcn Verfasser reizt oder nicht reizt – und daraus Folgerungen auf seine Konstitution machen, auf seine zufällige Stimmung usw.
Voller Stil – magrer Stil. Bleicher Stil – farbiger Stil. Mannigfaltiger – monotoner Stil. Krankhafter, gesunder – schwächlicher und energischer Stil.
Heilmethoden – Erziehungsmethoden des Stils. (In Goethens Stil ist die Monotonie und Simplizität der großen Welt – notwendige aber äußerst einfache Etikette.) Die große Welt ist bloß gebildete Sensibilität – asthenische Konstitution – als Ideal. Aus der Polarisierung der Stände mußte am Ende eine groRe Welt entstehn – so wie ein Pöbel. Der Haß des Gemeinen führt zum Vornehmen – denn nur dies ist dem Gemeinen entgegengesetzt. Verbindung des Vornehmen und Gemeinen – Man muß als gebildeter Mensch beides sein können, wenn und wie man will. So muß man als gebildeter Mensch überhaupt Körper und Seele – reizbar und sensibel – nach Belieben sein können. 1333

NOTEN ZUM TÄGLICHEN LEBEN

Inhaltsverzeichnis


Über das Schlafengehn, das Müßiggehn, Essen. Abend, Morgen, das Jahr. Die Wäsche. Tägliche Beschäftigungen und Gesellschaften. Umgebung, Meublement, Gegend und Kleidung usw.  2182

Alles, was uns umgibt, die täglichen Vorfälle, die gewöhnlichen Verhältnisse, die Gewohnheiten unserer Lebensart, haben einen ununterbrochnen, eben darum unbemerkbaren, aber höchst wichtigen Einfluß auf uns. So heilsam und zweckdienlich dieser Kreislauf uns ist, insofern wir Genossen einer bestimmten Zeit, Glieder einer spezifischen Korporation sind, so hindert uns doch derselbe an einer höhern Entwicklung unsrer Natur. Divinatorische, magische, echt poetische Menschen können unter Verhältnissen, wie die unsrigen sind, nicht entstehn.  (2183)

Über Übung.  (2184)

Schlaf, Nahrung, Anzug und Reinigung, mündliche, schriftliche und handgreifliche Geschäfte (für mich, für den Staat, für meine Privatzirkel, für Menschen, für Welt). Gesellschaft, Bewegung, Amüsement, Kunsttätigkeit.  2185

Ein Premierminister, ein Fürst, ein Direktor überhaupt hat nur Menschen- und Künstler-, Charakter- und Talent kenntnis nötig.  2186

Der eigentliche Geschäftsmann hat weniger Kenntnisse und Fertigkeiten als historischen Geist und Bildung nötig.  2187

Verzeichnis aller Utensilien in einem Hause.  2188

Unnütze und gemeine Ansicht des Nutzens.  2189

Das Nützliche kann nur so dem Angenehmen entgegengesetzt werden als der Buchstabe dem Geiste oder das Mittel dem Zwecke. Unmittelbarer Besitz und Erwerb des Gemütlichen ist freilich unser ursprünglicher Wunsch, aber in der gegen wärtigcn Welt ist alles durchaus bedingt, und alles kann nur unter gewissen fremdartigen Voraussetzungen erlangt werden.  2190

Verdanken die Menschen dem Adel nichts? Sind sie reif genug, den Adel zu entbehren?  2191

Solange es noch Tapfre und Feige gibt – wird auch Adel sein. (Apologie des Erbadels, relativ)  2192

Der Vornehme vermehrt die Zentripetalkraft im Geringeren.  2193

Je höher etwas ist, desto weniger stößt es um – sondern bestärkt und verbessert vielmehr.  2194

Jeder Engländer ist eine Insel.  2195

Meinung ist individuell und wirkliche Meinung nur unter Meinungen. – Welche also nicht alle übrigen nezessitiert, ist noch keine wirkliche Meinung. So mit den Religionen, so den Naturwesen und allem.  2196

Wir wissen nur insoweit wir machen.  2197

An Gedanken interessiert uns entwedcr der Inhalt – die neue, frappante, richtige Funktion, oder ihre Entstehung – ihre Geschichte, ihre Verhältnisse – ihre mannigfaltige Stellung – ihre mannigfaltige Anwendung – ihr Nutzen – ihre verschiednen Formationen – . So läßt sich ein sehr trivialer Gedanke sehr interessant bearbeiten. Ein sehr weitläuftiges Unternehmen der Art kann sehr interessant sein, – ohnerachtet das Resultat eine Armseligkeit ist – hier ist die Methode – der Gang – der Prozcß das Intcressante und Angenehme. Jc rcifer man ist – desto mehr wird man Interessc an Produktionen der letztern Art haben. Das Neue interessiert weniger, weil man sieht, daß sich aus dem Alten so viel machen läßt. Kurz, man verliert die Lust am Mannigfaltigen, je mehr man Sinn für die Unendlichkeit des Einzelnen bekömmt – Man lernt das mit einem Instrument machen, wozu andre hunderte nötig haben – und interessiert sich überhaupt mehr für das Ausführen als für das Erfinden.  2198

Jedes echte Mittel ist das wesentliche Glied eines Zwecks, daher unvergänglich und bleibend wie dieser. Umgekehrter Prozeß, wo das Mittel Elauptsache und das Resultat Nebensache wird: schöner Prozeß.  2199

Jedes Ding hat seine Zeit. Übereilung.  2200

Sich nach den Dingen oder die Dinge nach sich richten – ist eins.  2201

Das Genießen und Machenlassen scheint in der Tat edler als das Verfertigen, als das Hervorbringen – das Zusehn als das Tun – das Denken als das Realisieren oder das Sein!!!  2202

Philosophie des Lebens enthält die Wissenschaft vom unabhängigen, selbstgemachten, in meiner Gewalt stehenden Leben – und gehört zur Lebenskunstlehre, oder dem System der Vorschriften, sich ein solches Leben zu bereiten. Alles Historische bezieht sich auf ein Gegebnes, so wie gegenteils alles Philosophische sich auf ein Gemachtes bezieht. – Aber auch die Historie hat einen philosophischen Teil.  2203

Unsere Meinung, Glaube, Überzeugung von der Schwierigkeit, Leichtigkeit, Erlaubtheit undNichterlaubtheit, Möglichkeit und Unmöglichkeit, Erfolg und Nichterfolg usw. eines Unternehmens, einer Elandlung bestimmt in der Tat dieselben. Z. B., es ist etwas mühselig und schädlich, wenn ich glaube, daß es so ist, und so fort. Selbst der Erfolg des Wissens beruht auf der Macht des Glaubens. In allem Wissen ist Glauben.  2204

Nichts bewahrt gewiß so sicher vor Unsinn – als Tätigkeit – technische Wirksamkeit.  2205

Nur das Bleibende ist unsl er ganzen Aufmerksamkeit wert – das fortwährend Nützliche.  2206

Über das Talent zu lernen, zuzuhören, zu betrachten, kurz nachzubilden, ohne eigne Mitwirkung.  2207

Wer nicht vorsätzlich, nach Plan und mit Aufmerksamkeit tätig sein kann, verrät Schwäche. Die Seele wird durch die Zersetzung zu schwach. Ohne Aufmerksamkcit auf das, was sie tut, gelingt ihr vieles. Sobald sie sich teilen muß, wird bei aller Anstrengung nichts. Hier muß sie sich überhaupt zu stärken suchen. Oft ist Verwöhnung daran schuld. Das Organ der Aufmerksamkeit ist auf Kosten des tätigen Organs geübt – voraus gebildet, zu reizbar gemacht worden. Nun zieht es alle Kraft an sich, und so entsteht diese Disproportion.  2208

Was muß ich lernen? Was kann nur gelernt werden? Aus Lernen und Hervorbringen entsteht die wissenschaftliche Bildung.  2209

Die sogenannten falschen Tendenzen sind die besten Mittel vielseitige Bildung zu bekommen.  2210

Es ist doch keine größere Freude, als alles zu verstehn – überall zu Hause zu sein – von allem Bescheid zu wissen – überall sich helfen zu können. Will man dann auch überall das Rechte, sucht man überall guten, lebendigen Willen zu erregen, zu erhalten – und alles zu einer schönen Absicht zu erheben, so kann man sich getrost für einen musterhaften Menschen halten und sich herzlich lieb haben und verehren.  2211

Etwas zu lernen ist ein sehr schöner Genuß – und etwas wirklich zu können ist die Quelle der Wohlbehägligkeit.  2212

Es ist nicht das Wissen allein, was uns glücklich macht, es ist die Qualität des Wissens, die subjektive Beschaffenheit des Wissens. Vollkommnes Wissen ist Überzeugung; und sie ist's, die uns glücklich macht und befriedigt. Totes – lebendiges Wissen.  2213

Wenn man einen Riesen sieht, so untersuche man erst den Stand der Sonne – und gebe acht, ob es nicht der Schatten eines Pygmäen ist.
(Über die ungeheuren Wirkungen des Kleinen – sind sie nicht alle wie der Riesenschatten des Pygmäen erklärbar?)  2214

Auch der Zufall ist nicht unergründlich – er hat seine Regelmäßigkeit.  2215

Aller Zufall ist wunderbar – Berührung eines höhern Wesens – ein Problem, Datum des tätig religiösen Sinns.
(Verwandlung in Zufall.)
Wunderbare Worte – und Formeln. (Synthesis des Willkürlichen und Unwillkürlichen.)
(Flamme zwischen Nichts und Etwas.)  2216

Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall.  2217

Es giht gar kein eigentliches Unglück in der Welt – Glück und Unglück stehn in beständiger Waage. Jedes Unglück ist gleichsam das Hindernis eines Stroms, der nach überwundner Hinderung nur desto mächtiger durchbricht. Ni}gends auffallender als beim Mißwachs in der Ökonomie.  2218

Wer rechten Sinn für den Zufall hat, der kann alles Zufällige zur Bestimmung eines unbekannten Zufalls benutzen – er kann das Schicksal mit gleichem Glück in den Stellungen der Gestirne als in Sandkörnern, Vogelflug und Figuren suchen.  2219

Je abhängiger vom Zufall und von Umständen, desto weniger bestimmten, ausgebildeten, angewandten Willen – je mehr dies, je unabhängiger dort.  2220

Annihilation der niedern Bedürfnisse. Nur durch Bedürfnisse bin ich eingeschränkt – oder einschränkbar. Man muß ein niedres Bedürfnis und alles das, dem man keinen Einfluß auf sich gestatten will, absolut, als nicht für mich vorhanden, als non existent setzen – dadurch heb' ich alle Gemeinschaft mit ihm auf.  2221

Die Herrnhuter annihilieren ihre Vernunft – die Empfindsamen ihren Vestand – die Leute von Verstand ihr Herz. Kein Akt ist gewöhnlicher in uns – als der Annihilisationsakt. Eben so gewöhnlich ist der Positionsakt. Wir setzen und nehmen etwas willkürlich so an, weil wir es wollen. – Nicht aus bewußtem Eigensinn, denn hier wird wirklich mit Hinsicht auf unsern Willen etwas festgesetzt, sondern aus instinktartigem Eigensinn, der ebenfalls in der Trägheit, so sonderbar es auch scheint, seinen Grund hat. Es ist ein äußerst bequemes Vcrfahren, sich aller Mühe des Forschens zu überheben und allem innern und äußern Streit und Zwiespalt ein Ende zu machen. Es ist eine Art von Zauberei, durch die wir die Welt umher nach unsrer Bequemlichkeit und Laune bestellen.
Beide Handlungen sind verwandt und werden meistens zusammen angetroffcn. Es entsteht aber dadurch lauter Mißklang, und der Mcnsch, der auf diese Weise zu verfahren pflegt, befindet sich im Zustand der mehr oder minder ausgebildeten Wildheit .

Es gibt mancherlei Arten, von der vereinigten Sinnenwelt unabhängig zu werden.

  1. durch Abstumpfung der Sinne (Gewöhnung, Erschöpfung, Abhärtung usw.),
  2. durch zweckdienliche Anwendung, Mäßigung und Abwechselung der Sinnenreize (Heilkunst),
  3. durch Maximen a) der Verachtung und b) der Feindlichkeit gegen alle Empfindungen. Die Maxime der Verachtung äußrer Empfindungen war den Stoikern und ist zum Teil den Wilden von Amerika eigen;
    die der innern Empfindungen den sogenannten Leuten von Verstand in der großen Welt und sonst.
    Die Maxime der Feindlichkeit gegen äußre und innre Empfindungen haben die strengen Anachoreten, Fakirs, Mönche, Büßer und Peiniger aller Zeit aufgestellt und oft und zum Teil befolgt. Manche sogenannte Bösewichter mögen diese Maxime wenigstens dunkel gehabt haben. Beide Maximen gehen leicht ineinander über und vermischen sich
  4. teilweise durch Aushebung gewisser Sinne oder gewisser Reize, die durch Übung und Maxime einen beständigen, überwiegenden Einfluß erhalten.

So hat man sich mittelst des Körpers von der Seele, und umgekehrt mittelst dieses oder jenes äußern oder innern Gegenstandes von der Einwirkung aller übrigen Gegenstände losgemacht. Dahin gehört Leidenschaft aller Art, Glauben und Zuversicht zu uns selbst, zu andern Personen und Dingen, zu Geistern usw. Vorurteile und Meinungen befördern ebenfalls eine solche Teilfreiheit. So kann auch eine Unabhängigkeit von der wirklichen Sinnenwelt entstehn, indem man sich an die Zeichenwelt oder auch die vorgestellte Welt entweder gewöhnt, oder sie statt jener, als allein reizend, für sich festsetzt. Das erste pflegt bei Gelehrten und sonst noch sehr häufig der Fall zu sein – und beruht, nach dem, was oben gesagt wurde, auf dem gewöhnlich trägen Behagen des Menschen am Willkürlichen und Selbstgemachten und Festgesetztcn. Umgekehrt findet man Leute, die von der Vorstellungs- und Zeichenwelt nichts wissen wollen; das sind die rohsinnlichen Menschen, die alle Unabhängigkeit der Art für sich vernichten, und deren träge, plumpe, knechtische Gesinnung man in neuern Zeiten auch teilweise zum System erhoben hat – (Rousseau, Helvetius, auch Locke usw.) ein System, dessen Grundsatz zum Teil ziemlich allgemein Mode geworden ist.  2222

V. Abteilung
NATURLEHRE ODER VOM LEBENDIGEN

Inhaltsverzeichnis

4. Psychologie

Experimentalphysik des Gemüts. (Gedanken sind vom Ich durchdrungen, angeschaute Bewegungen und Aktionen.)  1133

Bloße Gedanken, ohne eine gewisse Aufmerksamkeit auf dieselben, und Zuneigung, wirken so wenig wie bloße Gegenstände. Dadurch, daß man häufig an reizende Gegenstände eines Sinnes wirksam denkt, wird dieser Sinn geschärft, er wird reizbarer. So wenn man häufig an lüsterne Dinge denkt, werden die Geschlechtsteile empfänglicher, der Magen durch Gedanken an schmackhafte Speisen, der Kopf auf dieselbe Art, und so durchaus. – Methode, eine schwächliche Konstitution zu verbessern. (Übung, allmähliche.)  1134

Medizin. Rausch aus Stärke – Rausch aus Schwäche. Die narkotischen Gifte, der Wein usw. bewirken einen Rausch aus Schwäche. – Sie entziehn dem Denkorgan etwas. – Sie machen es unfühlend [?] für seinen gewöhnlichen Reiz. (Leidenschaften, fixe Ideen sind vielleicht eher ein Rausch aus Stärke, – bewirken Lokalentzündungen.) Wollust berauscht auch, wie Wein. Im Rausch aus Schwäche hat man viel lebhaftere, durchdringendere Sensationen. Je besonnener, desto unsinnlicher.  1135

Seele ist beinah ein Begriff, wie Materie – am Ende wohl mit ihm in genauer Verbindung. Die Seelenkräfte und Vermögen sind den Kräften der Materie und den speziellen Stoffen zu vergleichen.  1136

Die Seele ist unter allen Giften das stärkste. Sie ist der durchdringendste, diffusibelste Reiz – Alle Seelenwirkungen sind daher bei Lokalübeln und entzündlichen Krankheiten höchst schädlich.
Ein Lokalübel läßt sich oft nicht anders kurieren als durch Erregung einer allgemeinen Krankheit und umgekehrt. Kur einer Krankheit durch die andre.  1137

Die Seele wirkt wie Öle und auch wie narkotische Gifte – deprimierend und auch exzitierend.  1138

Psychologie. Seele ist angewandter, unreiner, vermischter, praktischer Geist. Geist ist theoretische Seele. Die Seele soll als Geist werden – oder quod idem est – der Geist, als Geist, Seele.
Harmonie.  1139

Psychologie. Alles Neue wirkt als Äußres, Fremdes poetisch – . Alles Alte wirkt als Innres, Eigenes ebenfalls romantisch – beides im Kontrast gegen das Gewöhnliche – oder gegeneinander. Neuheit des Alten – Altheit des Neuen. Das gemeine Leben ist prosaisch – Rede nicht Gesang. Die Menge des Gewöhnlichen verstärkt nur die Gewöhnlichkeit – daher der fatale Eindruck der Welt aus dem gemeinen (indifferenten) nützlichen, prosaischen Gesichtspunkt.  1140

Psychologie. Alle Leidenschaften endigen sich wie ein Trauerspiel. Alles Einseitige endigt sich mit Tod – so die Philosophie der Empfindung – die Philosophie der Phantasie – die Philosophie des Gedankens. Alles Leben endigt sich mit Alter und Tod. Alle Poesie hat einen tragischen Zug. (Echtem Scherz liegt Ernst zum Grunde. Tragische Wirkung der Farce, des Marionettenspiels – des buntesten Lebens – des Gemeinen, Trivialen.)  1141

Psychologie. Wer alles räumlich, figuriert und plastisch sieht, dessen Seele ist musikalisch – Formen erscheinen durch unbewußte Schwingungen. – Wer Töne, Bewegungen usw. in sich sieht, dessen Seele ist plastisch – denn Mannigfaltigkeit der Töne und Bewegungen entsteht nur durch Figuration.
(Seltenheit des großen Mechanikers), des großen Malers, des großen Musikers – noch größere Seltenheit.
Wird aber der musikalische Mensch guter Maler und Skulptor, so wie umgekehrt der plastische Mensch guter Musikus usw. werden können – da alle Einseitigkei sich selbst Schaden tut? Oder besteht eben das Genie in der Vereinigung – und die Bildung des Genies in Konstruktion dieser Vereinigung – Ausbildung des schwächern Vereinigungskerns. Jeder Mensch hätte genialischen Keim – nur in verschiednen Graden der Ausbildung und Energie.  1142

Enzyklopädistik. Pädagogik. Vorstehender Satz ist auf alle wissenschaftliche und technische Köpfe analogisch anwendbar – und die Verwandtschaften der Wissenschaften haben hier ihren vorzüglichsten Grund.
Ein Genie muß durch genialische Berührungen der mannigfaltigsten Art versucht und erregt und gebildet werden – daher jeder Mensch – in Ermangelung lebendiger Genies mit genialischen Produkten. (Jedes Produkt eines Genies ist selbst Genie.)  1143

Psychologie. Es gibt verschiedene Grade des eindringlichen Sprechens und Schreibens. Entscheidend sprechen und schreiben – befehlend – kategorisch – das ist der höchste Grad. Die Abstimmungen des Grads nach den Menschen, die man vor sich hat – können nun bestimmt werden.  1144

Der Geist verhält sich zur Seele – oder die Bestandteile des unsichtbaren Individuums zueinander – wie die Säfte und die festen Teile im Körper. Der Geist entsteht aus der Seele. – Er ist die kristallisierte Seele. – Seine Figur – oder sein Charakter – sein Temperament und seine Konstitution sind Funktionen der ersten Anlage, der Geisterwelt und der Seelenbeschaffenheit. Auch hier trifft man die beiden Systeme der Humoral- und Solidarpathologie – des trocknen und nassen Weges an.  1145

Neue Ansicht der Physiognomik – als Metrik des Innern und seiner Verhältnisse.  1146

Sonderbar, daß das Innre des Menschen bisher nur so dürftig betrachtet und so geistlos behandelt worden ist. Die sogenannte Psychologie gehört auch zu den Larven, die die Stellen im Heiligtume eingenommen haben, wo echte Götterbilder stehn sollten. Wie wenig hat man noch die Physik für das Gemüt – und das Gemüt für die Außenwelt benutzt. Verstand, Phantasie – Vernunft, das sind die dürftigen Fachwerke des Universums in uns. Von ihren wunderbaren Vermischungen, Gestaltungen, Übergängen kein Wort. Keinem fiel es ein, noch neue, ungenannte Kräfte aufzusuchen – ihren geselligen Verhältnissen nachzuspüren – Wer weiß, welche wunderbare Vereinigungen, welche wunderbare Generationen uns noch im Innern bevorstehn.  1147

Psychologie. Die Seele ist ein konsonierter Körper. Vokale hießen bei den Hebräern Buchstabenseelen.  1148

Das Gedächtnis treibt prophetischen – musikalischen Kalkül.
Sonderbare bisherige Vorstellungen vom Gedächtnis – als einer Bilderbude – usw. Alle Erinnerung beruht auf indirekten Kalkül – auf Musik usw.  1149

Das Wort Stimmung deutet auf musikalische Seelenverhältnisse – Die Akustik der Seele ist noch ein dunkles, vielleicht aber sehr w ichtiges Feld. Harmonische – und disharmonische Schwingungen.  1150

Alles angenehme Gefühl ist Friktion – alles angenehme Gefühl reizt die Seele zur positiven Mitwirkung.  1151

Zwei äußert wichtige (verschiedne) Arten des Gebrauchs der Sinne und des Gefühls derselben. – Die aktive Art – und die passive Art – direkt tätige – indirekt tätige – indirekt leidende – direkt leidende. (Man sollte alle Sachen, wie man sein Ich ansieht, betrachten – als eigne Tatigkeit. Mit dem Ich geht es nur am leichtesten – das ist derAnfang, das Prinzip dieses Gebrauchs.)  1152

Gefühl des Gefühls ist schon Empfindung; Empfindung der Empfindung. Und so fort.  1153

Gemüt – Harmonie aller Geisteskräfte – gleiche Stimmung und harmonisches Spiel der ganzen Seele. Ironie gleich Art und Weise des Gemüts.  1154

Sonderbares Akkompagnement der Verstandesphantasien – des abstrakten Spiels – mit innern Sinnenphantasien und Bilderspiel. – Begleitende Symbolisation, oder Schematism
Emanationslehre usw.  1155

Artistik. Psychologie. Die Hand wird beim Maler Sitz eines Instinkts – so auch beim Musiker – der Fuß beim Tänzer, das Gesicht bei Schauspieler – und so fort.  1156

Psychologie. Über den Tiefsinn – zweite Dimension.  1157

Hypothesen über mehrfache Sinne – über dunkle – üher neue Sinne – über ihre mögliche Einrichtung.
(Mannigfaltigkeit und Bestimmtheit gleichzeitiger Augensensationen.)  1158

Psychologie. Was man mit Fertigkeit und Leichtigkeit tun kann, dazu hat man Neigung; fürs Entgegengesetzte Abneigung. Unser Wille ist entweder abhängig von + und – Neigung oder unabhängig.  1159

Enzyklopädistik. Sollte die Menschenpsychologie etwa wie die Wissenschaftslehre bloß den Menschen als ein Ganzes, als System betrachten (und bloß von oben herunter) und Psychologie überhaupt bloß mit Ganzen zu tun haben?
Dann schiene mir Psychologie und Physiologie vollkommen eins zu sein – und die Seele nichts als Prinzip des Systems, Substanz, zu sein – ihre Wohnstätte wäre der Himmel.
Physiologie überhaupt wäre Weltpsychologie – und Natur und Seele auch eins – da unter Natur doch nur Geist des Ganzen, substantielles Prinzip verstanden wird?  1160

Physiologische Sinnenlehre. Sprechen und hören ist befruchten und empfangen.
Psychologie. Scham – Scheu vor Kundwerdung.
Artistik. Symbolisch religiöse Mimik – Sittenmimik – Grüßen usw. Was bedeutet z. B. Enthüllung?
Synthesis von Mann und Weib.
Physiologie. Grund der Gastfreundschaft der Alten – Abendmahl – gemeinschaftliches Essen und Trinken ist eine Art Vereinigung – ein Generationsakt.  1161

Psychologie. Wie man aus den Symptomen den Sitz der Leidenschaft finden kann? Rationelle und medizinische Mimik. Zufällige – willkürliche und wesentliche Symptome. Klassifikation der Leidenschaften – Theorie ihrer äußern Symptome.
Der Sitz der Seele ist bald hier, bald dort – bald an mehreren Orten zugleich – er ist veränderlich – und so auch der Sitz ihrer Hauptglieder – die man durch die Hauptleidenschaften kennen lernt.  1162

Physiologische Sinnenlehre. Anschaun ist ein elastischer Genuß.
Philosophische Physiologie. Das Bedürfnis eines Gegenstandes ist schon Resultat einer Berührung in Distanz – Anfang der Negation – der Heterogeneisierung.
Die Fuga Vacui ist nichts als eine Anziehung des Leeren und des Vollen. Alle Fuga Vacui ist relativ – nur bis zu einem gewissen Punkt wirksam. Sie hat wie alle Anziehung und Saturation einen Terminus ad quem.  1163

Psychologie. Wechselverstärkung und Schwächung – und Neutralisierung des + Angenehmen und – Angenehmen.  1164

Psychologie. Wozu man ernstlich Lust – Trieb – hat, dazu hat man Genie. Das Genie offenbart sich in Lust und Trieb. (Unlust – Nichttrieb.)  1165

Psychologie. Aller unbestimmte, allgemeine, subjektive Trieb oder Reiz läßt sich nur durch eine unendliche Reihe bestimmter Handlungen befriedigen – er strebt nach keinem Objekt – er erhält sich nur selbst – es ist eine Sollicitatio perpetua. – Er ist die ewige Triebfeder unendlicher, terminierter Veränderungen.
Über unsern Umgang und unsre Verhältnisse mit Büchern.  1166

Vergleichende Psychologie und Physiologie – Äquation und Analogistik von Körper- und Seelenlehre.  1167

Der Instinkt, als Gefühl des Bedurfnisses, des Inkompletten – ist zugleich das Gefühl des Zusammenhangs, der Stetigkeit – der fortleitende – sich tastend orientierende Sinn – der rohe, synthetische, komplettierende Trieb – ein transitorisches – punktähnliches Ich.
(So fährt der Blitz aus Instinkt in der metallenen Kette nieder.)  1168

Instinkt ist Kunst ohne Absicht – Kunst, ohne zu wissen, wie und was man macht. Der Instinkt läßt sich in Kunst verwandeln – durch Beobachtung der Kunsthandlung. Was man also macht, das läßt sich am Ende kunstmäßig zu machen erlernen. Kunst, das Lächerliche und das Romantische hervorzubringen.  1169

Das Auge ist ein Flächensinn – das Gefühl schon kubischer. Gehör ist ein mechanischer, Geruch und Geschmack chemische Bewegungssinne . Wie Sprache und Ohr – Geruch und Geschmack im Verhältnis stehn, so stehn auch wohl noch mehrere Organe in Gemeinschaft. Mit dem Auge scheint das Gefühl in besondrem Verhältnis. Auch mit dem Ohr z. B. Unterschied von Malern und Musikern. Verhältnisse der Schärfe dieser Sinne zum Verstande usw. Ihre Schärfe scheint beinah mit der Schärfe des Verstandes – Gemüts überhaupt – in umgekehrtem Verhältnis zu stehn – z. B. Wilde – und Tiere usw. (Flächenbewegungsreiz scheint Licht zu sein.)  1170

Vergleichung der Körper und der Zeichen – und der Gedanken und der Zeichen.
(Ein Gedanke ist notwendig wörtlich.)
(Tonkunst und Schriftkunst ist Psychologie – wenigstens die Basis derselben.)  1171

Alle Sensationen sind Folgen einer Grundsensation. Es hat Sinn – widersinnig usw. Isochronism. (Zahl der Gesichtspunkte eines Körpers und einer Vorstellung oder eines Gedankens.)  1172

Neigungen sind materiellen Ursprungs – Anziehungs- und Abstoßungskräfte sind hier wirksam. Die Neigungen machen uns zu Naturkräften. Sie perturbierenfallen.