Mongolei – Gesichter eines Landes

Frank Riedinger

Hans-Uwe Hähn

Odmaa Duuvaa

Nicholas Freakes

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www.frank-riedinger.de

www.photounddruck.de

www.mongolia-help.org

Inhalt

Inhalt

Vorwort

Dashaa – Der Schamane

Deutschunterricht in Ulaanbaatar

Tempelmuseum Choijin Lam Sum

Gandantegchinlen Khiid

Die Legende: „Weiße Tara“

Die Legende: „Fluß Tuul“

Takhis oder Przewalski-Pferde

Baigaljav – Der Pferdekopfgeigenbauer

Die Legende: „Khukhuu Namjil“

Tsagaan Sar

Die mongolische Familie

Tsaagan Arkhi (mongolischer Steppenwodka)

Das Kamelfest in Bulgan Sum

Nergui – Der Goldgräber

Die Legende: „Die drei Schönen“

Begegnungen in der Südgobi

Saxaul

Tooroi Bandi – Der mongolische Robin Hood

Die guten Männer um Tooroi Bandi: „Der Schwur“

Zunduidavag – Der alte Burjate

Amarbayasgalant Khiid

Die Legende: „Amarbayasgalant“

Bei den Tsaatan

Hirschsteinstelen

Auf dem Rücken der Pferde

Pferdezüchter

Die Legende: „Silberbaum“

Naadam – Die drei Spiele der Männer

Ringkampfkleidung

Die Legende: „Tsagaan Nuur“

1.700 Kilometer mit dem Postbus

Aishok – Die kleine Schülerin

Murat – Der Ofenbauer

Die Legende: „Sieben Sonnen“

Kairatkhan – Der Adlerjäger

Die neun Kälten der Mongolei

Die kasachische Familie

Steinbabas

Glossar

Interviews

Zagdsuren

Nyamdavaa

Murat

Ariunaa

Tumursukh

Saruul

Batsaikhan

Irlan

Gombosuren

Enkhtsetseg

Kairatkhan

Ayurzana

Baigaljav

Ochiroo

Battumur

Davaanyam

Enkhjargal

Saintsetseg

Chinbat

Altantuya

Janatkhan

Ragchaa

Vasya

Balgansuren

Turbat

Dalaikhan

Battulga

Umurbek

Jim Reichert

Munkhbayar

Byambajav

Impressum

Vorwort

Während meiner unzähligen Reisen in die Mongolei wurde ich mit neuen und fremdartigen Eindrücken konfrontiert. Die kontrastreiche Natur überrascht mit vielen Besonderheiten, die dieses zentralasiatische Land so einzigartig macht.

Doch meine große Zuneigung haben die Menschen geweckt, ihre offenherzige und gastfreundliche Art, die sie mir als Fremden entgegenbrachten. Das Teilhaben an ihrem Leben, an der bescheidenen Zufriedenheit, den kleinen und großen Sorgen und an ihrem Glück, hat mich tief beeindruckt und geprägt. So wandelten sich im Laufe der Zeit flüchtige Bekanntschaften zu festen Freundschaften. Meine mongolischen Freunde ließen mich gerne bei Familienfesten und ihren persönlichen Unternehmungen dabei sein.

Ich erlebte ein Land im Umbruch. Nicht die Heimat des großen Mongolen Chinggis Khaan steht im Mittelpunkt, sondern die aktuelle Situation der Gesellschaft und das Schicksal des Einzelnen. Die Menschen sehen sich einer rasanten Entwicklung gegenüber, einem Spannungsfeld zwischen Moderne und Überlieferung ausgesetzt. Eine Mischung zwischen Armut und Reichtum, zwischen Mangel und Überfluss, aus der eine Widersprüchlichkeit im Denken und Handeln resultiert.

Ich freue mich, Sie an meinen Begegnungen und Erlebnissen teilhaben zu lassen. Das Buch „Mongolei – Gesichter eines Landes“ spiegelt die Begebenheit und die spürbare Nähe wider, die ich auf meinen Touren quer durch das faszinierende Land mit den Menschen erleben durfte.

Frank Riedinger

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Dashaa – Der Schamane

Die Einführungszeremonie des Schamanen Dashaa hat noch nicht begonnen, als ich das Wochenendhaus nördlich der Hauptstadt Ulaanbaatar erreiche. Zwischen parkenden Autos spielen Kinder. Ein Reiter hoch zu Ross mischt sich unter die versammelten Gäste. Ich schaue mich suchend um. Da höre ich, wie mein Name gerufen wird. Dashaas Bekannte und Verwandte warten auf mich im Schatten des Hauses. Battulga, den ich auch hier treffe, sagt mehrdeutig, die Geisterbeschwörung werde erst durch meine Anwesenheit gelingen. Das bezweifle ich sehr, aber seine ernste Miene verunsichert mich. Ich fange einige nachdenkliche Blicke auf. Manchem scheint die bevorstehende Zeremonie unbehaglich zu sein und fraglich, was das seltsame Familientreffen zu bedeuten hat. Zur Begrüßung wird mir, wie allen eintreffenden Gästen, ein kleiner Silberkelch gereicht, abwechselnd gefüllt mit Milch und Wodka. Ich soll das Gefäß zuerst in ausladenden Bewegungen den Himmelsrichtungen opfern und anschließend austrinken. Dabei gilt es, meine geheimsten Wünsche zu flüstern.

Vor acht Jahren besuchte Dashaa eine Schamanenvereinigung in der Hauptstadt, um einem Freund Beistand zu leisten. Die Mutter seines Freundes war schwer erkrankt, und es war unklar, wie lange sie noch zu leben hatte. Als Dashaa die Schamanen befragte, wurden diese böse und schickten ihn zornentbrannt davon. Eingeschüchtert fragte er, warum sie das tun. Sie antworteten ihm, sie sähen in ihm eine Verbindung zum Himmel. Sein Vorfahre sei auch Schamane gewesen. Er könne doch selbst wissen, wie es um die Mutter des Freundes bestellt sei. Verwirrt und alleingelassen mit dem Erlebten gingen die beiden Freunde heim.

Bei Dashaa stellten sich Ohnmachtsattacken mit gleichzeitigen Hautreaktionen ein, wie er sie vor dem Zusammentreffen nie gehabt hatte. Er besuchte vier mongolische Schamanen, die ihm alle dasselbe attestierten: „Du bist auserwählt, du musst Schamane werden! Deute die Ohnmachtsattacken als Zeichen des Himmels. Wenn du es nicht machst, wird dir in der Zukunft etwas Böses zustoßen“. Nach reiflicher Überlegung entschied sich Dashaa, Schamane zu werden. Im normalen Leben ist er Galerist und Künstler, ein ruhiger Zeitgenosse, der zurückgezogen in der Geborgenheit seiner Familie lebt. Es ist nicht einfach, im fortgeschrittenen Alter das Schamanenhandwerk zu erlernen. Deshalb bekam Dashaa eine ältere, sehr erfahrene Lehrerin zur Seite, die ihm auf allen Gebieten Rat und Unterstützung gibt.

Nun wird die alte Schamanin für das Ritual angekleidet. Zwischen den Bewegungen ihrer Helfer sehe ich die Farben des Kleides aufblitzen. Das Licht der Mittagssonne erfasst jedes Detail. Der Himmel ist wolkenlos und durchsichtig blau. Wir werden in den Garten geführt und in einem großen Rund aufgestellt. Das Innere des Kreises bleibt leer, das Zentrum des Ganzen noch verborgen. Kaum einer der Zuschauer scheint zu wissen, was uns erwartet. Zudem geht mir Battulgas Bemerkung nicht aus dem Sinn. Ich frage mich, wie ich mich verhalten soll. Als Dashaas Freund gehöre ich zu den geladenen Gästen und darf seine Schamanenprüfung fotografieren. Das ist ein Vertrauensbeweis und ich möchte keine Fehler begehen. Glücklicherweise habe ich meine Kamera. Sobald ich fotografiere, fühle ich mich sicherer, aber ich kenne auch die Wirkung auf andere. Das muss ich respektieren.

Neben mir höre ich Dashaas Vater sprechen. Er neigt den Kopf zu seinem Nachbarn. Beide reden über die Kosten des Wochenendhauses, das sich immer noch im Rohbau befindet. Ein ohrenbetäubendes Trommeln unterbricht das Gespräch, wie aus dem Boden gewachsen steht die Schamanin hinter mir. Erschrocken über die plötzliche Erscheinung weiche ich zur Seite. Mit rhythmischen Trommelschlägen und weiten Gesten, ihren Oberkörper auf und ab wiegend, tanzt die Schamanenlehrerin in den Zuschauerkreis. Alle Blicke sind auf die wirbelnde Gestalt gerichtet. Dumpfe, pochende Schläge, die Klänge und Bewegungen, das Trommeln und Tanzen fließen zusammen, möglicherweise ist der Trancezustand bald erreicht. Unsanft fällt die Schamanin zu Boden. Sie hat die Nähe des Geistes gespürt. Nun holen ihre jungen Helfer einige auserwählte Personen, die in dieser Stunde ihr zukünftiges Schicksal erfragen dürfen. Ich sehe Angst, Hoffnung, Freude in den Gesichtern und in den Reaktionen und blankes Entsetzen, als sie einen der Herbeigerufenen mit einem kräftigen Hieb von sich weist. Der in sie gedrungene Geist hat sich seiner entledigt.

Das Ganze dauert vielleicht eine halbe Stunde. Nachdem sie aus ihrer Trance erwacht ist, kommt nun Dashaa an die Reihe. Er spielt auf seiner Maultrommel fortwährend den selben Rhythmus, bis er seinerseits in Trance fällt. Noch ist nicht sicher, ob sich Dashaa als Medium überhaupt eignet. Beharrlich auf einer kleinen Maultrommel spielend, ruft er den Geist zu sich. Auffallend ist, dass er den gleichmäßigen Takt immer wieder unterbricht. Respekt und Ehrfurcht scheinen ihn zu belasten. Es lässt sich nie vorhersehen, welcher Geist gerade in den Schamanen kommt. Es können mehrere Geister sein, die mit unterschiedlichen Charakteren selbst einen erfahrenen Schamanen in Bedrängnis bringen. Ich ahne einen sehr wilden und bösen Geist, der sich hier in Dashaa zeigt. Der Anblick des Freundes, der wie ein Derwisch in seinem Kostüm tanzt, das mit hellen Glöckchen besetzt ist, lässt mir Schauer über den Rücken laufen.

Da setzt sich Dashaa an einen eigens für ihn gedeckten Tisch und beginnt mit essen und trinken. Die Speisen sind im Nu verschlungen. Eine zusätzliche Menge Buuz muss geholt werden, um den immensen Hunger des Schamanenschülers zu stillen. Oder den des Geistes, der Wodka trinkt wie Wasser und nach unglaublichen weiteren Portionen verlangt. Ein abstoßendes Schmatzen und Grunzen kommt aus seiner Richtung. Ich muss mir daher in Erinnerung rufen, dass hinter den schwarzen Zottelfransen der Maske auch mein guter Freund steckt, den ich im Winter als cleveren und pfiffigen Geschäftsmann in Nadelstreifen kennengelernt habe.

Nach dem Fressmahl kippt das absonderliche Geschöpf den Tisch kurzerhand um. Es richtet sich bedrohlich auf, beginnt um die verdutzten Gäste zu tanzen, hart auf die Schamanentrommel pochend, die unter den heftigen Schlägen zerbricht. Der Geist ruft einen Verwandten Dashaas zu sich und offenbart dem erschrockenen Mann unverhohlen die Zukunft. Mit aschfahlem Gesicht nimmt dieser sein Schicksal zur Kenntnis. Diesmal wirft der Geist Dashaa auf die Knie und gestikuliert nach dem Bärenfell, das im Garten über einem Stuhl hängend für die Zeremonie vorbereitet wurde. Sofort bringt ein Helfer das Gewünschte, niemand möchte den Wildgewordenen verärgern. Der prüft das Fell eingehend, ob es für die Ausübung seiner Zwecke annehmbar sei, ebenso wie die Stiefel, die Dashaa später als Schamane tragen soll. Verachtend werden die Gegenstände dem jungen Assistenten vor die Füße geworfen.

Allmählich verstummen die Glöckchen, nach und nach verklingen die Trommelschläge. Der Schamanenschüler wird ruhiger und erwacht aus seiner Trance. Seine Begleiter helfen ihm aus dem Gewand. Auch ich laufe zu meinem Freund. Von seinen Angehörigen umringt sitzt er erschöpft auf einem Stuhl im Garten. Ob er wisse, dass er Unmengen gegessen und getrunken habe? Er verneint. Dashaa hat keine Erinnerung an das Vorgefallene.

Es bedarf weiterer Sitzungen, um als Schamane wirken zu können. Dies war aber eine der wichtigsten aller Sitzungen, da sich hier die Geister Dashaa genähert und anvertraut haben.

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Vorbereitungen werden getroffen.

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Der Geist hat Besitz von ihm ergriffen.

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Dashaa während der Schamanenzeremonie.

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Deutschunterricht in Ulaanbaatar

Ein eigenartiges Gefühl beschleicht mich. Etwas nervös stehe ich vor den unbekannten Sprachschülern. Es sind junge Leute im Alter von 18 bis 24 Jahren, die ein Studium an einer mongolischen Hochschule absolvieren oder berufstätig sind und in einem Abendseminar von mir Deutsch lernen wollen. Der Hauptgrund, weswegen sie die Doppelbelastung auf sich nehmen, ist der sehnlichste Wunsch, in einem deutschsprachigen europäischen Land zu studieren. Ich hatte mich bereits in Deutschland auf diese Herausforderung vorbereitet und ein paar Arbeitsblätter kopiert. Es gibt außer einer Kunststoffplatte, die an der Wand als Tafelersatz dient, keinerlei Hilfsmittel für meinen Unterricht.

Einige tausend Kilometer von zu Hause entfernt, werde ich hier als „Muttersprachler“ unterrichten. In das grelle Licht der Neonröhren eingetaucht, beginne ich vor zwanzig Schülern in dem kleinen Raum mit der Lektion. Zu meinem Konzept gehört, dass ich als Einführung ein paar Fragen stelle, deren Antworten wir auf Deutsch diskutieren, bevor gemeinsam ein deutscher Text gelesen wird. Als ich die Frage „Was ist für Sie typisch deutsch?“ an die Plastikwand schreibe, bekomme ich einhellig die Antwort: Fleiß und Pünktlichkeit. Diese „deutschen Eigenschaften“ sind selbst in den Köpfen der mongolischen Studenten eingeprägt, oder sollten sie tatsächlich solche Erfahrungen gemacht haben?

Überrascht von dem Wissensdurst der jungen Menschen und ihren bereits hervorragenden Kenntnissen über Deutschland kann ich meiner Bewunderung nicht genug Ausdruck verleihen. Dabei stellt sich heraus, dass die meisten ihrer Eltern in der ehemaligen DDR studierten und heute zum Teil gut bezahlte Jobs in Ulaanbaatar ausüben. Diesem Privileg verdanke ich das große Interesse an meinem Seminar. Die Neugier auf den deutschen Lehrer und seine Lehrmethoden ist enorm. In den ersten Tagen droht der kleine Raum aus den Nähten zu platzen. So viele Schüler sind noch nie zum Deutschunterricht gekommen, bestätigt mir die Schulleiterin der Privatschule.

Vor allem ist ihr Wunsch nach Pünktlichkeit ausgeprägt. Nur lässt sich diese Tugend hier schwer realisieren. Das unbeschreibliche Verkehrschaos der Hauptstadt verhindert in der Regel, dass vereinbarte Termine eingehalten werden können. Die Millionenstadt hat kein funktionierendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel, weder U-Bahn noch S-Bahn. Stattdessen blockieren Unmengen von Autos die Straßen, denn die Buslinien sind genauso überlastet wie die privat betriebenen Mikrobusse.

Ich wohne in der Nähe der Dragon Abfahrtsstelle im Westen der Stadt. Von dieser Station starten die Überland- bzw. Postbusse ihre Fahrten in die entlegenen Gebiete des Landes. Den Sukhbaatar-Platz, an dem sich die Schule befindet, erreiche ich bei wenig Verkehr in zehn bis zwölf Minuten mit einem der städtischen Linienbusse. An einem Spätnachmittag im Winter benötige ich dagegen sechzig bis neunzig Minuten. Das Problem der Verkehrsmittel ist eine logistische Herausforderung der Stadt, die Bevölkerungsdichte nimmt zu und das Verkehrsaufkommen steigt. Die Umsetzung eines großen Brückenprojektes wird noch Jahre dauern. Ein U-Bahnsystem ist technisch nicht einfach zu realisieren, da der Stadtuntergrund von Fernwärmerohren durchzogen ist.

Also habe auch ich Probleme mit meiner Pünktlichkeit. Doch die gemeinsame Ausgangslage verbindet die Studenten und mich, und wir beginnen einander kennenzulernen.

Die Inhaberin der Schule lädt mich zu einem Essen in ein Nobel-Restaurant ein. Wir sitzen an einem Zweiertisch in dem fast leeren Speisesaal. Sie berichtet von dem nur zur Hälfte ausgebuchten Chinesischkurs des neuen Semesters. Auch die Fremdsprache Englisch ist an dieser Schule für die jungen Leute nicht so richtig attraktiv. Deutsch ist in Anbetracht der Weltwirtschaftslage eine Sprache mit Zukunft, versuche ich das Interesse an meinem Sprachangebot zu erklären, wohl wissend, dass dies praktisch wohl nicht der Fall ist. Es gibt starke Ressentiments seitens der Mongolen gegenüber den Chinesen, insbesondere aufgrund der schwierigen Beziehungen beider Länder in der Vergangenheit. Aktuell sind es die Billigprodukte „Made in China“, die überall in Ulaanbaatar die Märkte überschwemmen, und die qualitativ so wenig überzeugen, dass die Mongolen ihrem südlichen Nachbarn eher mit Skepsis begegnen.

Ein Semester an der Privatschule, mit zwei Stunden pro Tag, an fünf Tagen der Woche, kostet 600 US-Dollar. Das ist sehr viel Geld, das nicht einmal die besserverdienenden Eltern ohne weiteres zur Verfügung haben. Die Erwartung der Schüler an eine erfolgreiche Ausbildung ist von daher groß, und nach besten Kräften tun sie alles, um sich diesen Traum zu erfüllen. Nach der Ausbildung in Deutschland, Österreich oder der Schweiz wollen sie zurückkehren, um ihr Land wirtschaftlich voranzubringen. Heimat ist Heimat, bekomme ich als Antwort auf meine Frage, wo sie später leben möchten. Ich höre diese Einstellung immer wieder während meiner vielen Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen in der Mongolei.

Wie verantwortungsvoll sie die Verwertung der immensen Bodenschätze mitgestalten, wird von entscheidender, weltweiter Bedeutung sein. Auch ein Aufbau der fehlenden Wirtschaft und Industrie, die Schonung der Natur und die Verbesserung des Lebensstandards sind zentrale Themen, die schon jetzt kritisch im Unterricht diskutiert werden. Meiner Ansicht nach sind diese jungen Mongolen die hoch motivierte Generation, die das Land in Zukunft in einer globalisierten Welt brauchen wird.

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Der Verkehr in Ulaanbaatar wird von Jahr zu Jahr dichter.

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Ulaanbaatar ist die Hauptstadt der Mongolei. Nahezu die Hälfte der knapp 3 Millionen Landeseinwohner lebt dort. Mit 1,57 Millionen Quadratkilometern ist die Mongolei fast viereinhalbmal so groß wie Deutschland. Im Winter herrschen Temperaturen bis unter minus 40 °C in der „Kältesten Hauptstadt der Welt“.

Das Land befindet sich spürbar im Umbruch. Vor allem ändern sich die wirtschaftlichen Grundlagen. Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde und Kamele, einst die fünf Schätze der Mongolei, waren bis dato Grundpfeiler der Versorgung der Menschen im Lande. Von deren Produkte wie Wolle, Fleisch und Milch konnten die Menschen über Jahrtausende sehr gut und ausreichend leben. In jüngster Zeit wird der Abbau von Bodenschätzen intensiviert. Kohle, Kupfer, Gold und seltene Erde stellen ein immenses Potential für die Zukunft des Landes dar, dem ein kultureller und ideologischer Wandel bevorsteht.

Zunehmend bestimmen große Geländewagen das Straßenbild. Galt früher ein schnelles Nomadenpferd als wünschenswert, sind es heute amerikanische Benzinvernichter und westliche Statussymbole.

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Ulaanbaatar – Sukhbaatarplatz im Zentrum der Hauptstadt.

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Ulaanbaatar.

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Tempelmuseum Choijin Lam Sum

Dieses buddhistische Kloster wurde zwischen 1904 und 1908 errichtet und war zu jener Zeit die Residenz des damaligen Staatsorakels. Der Amtsinhaber war Luvsankhaidav, ein jüngerer Bruder des Bogd Gegeen, des ersten lebenden buddhistischen Oberhaupts Zanabazar, der im 17. Jahrhundert den Lamaismus in der mongolischen Bevölkerung etablierte.

Standen für den Staat bedeutende Entscheidungen an, wurde das Orakel befragt, um den für die Zukunft richtigen Entschluss zu treffen. Die Anlage besteht aus fünf Tempeln, welche die antilamaistische Kampagne in der sozialistischen Zeit des Landes zum Glück weitgehend unbeschadet überstanden haben. Der damalige regierende sozialistische Diktator Choibalsan hatte, so ist überliefert, die Anlage eigenmächtig von der Liste der zu zerstörenden Kulturgüter gestrichen.

Der größte Teil der Ausstellungsstücke wurde aus verschiedenen Anlagen des ganzen Landes zusammengetragen. Sie geben einen interessanten und reichen Überblick über die kulturhistorische Entwicklung der Mongolei bis in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Im Museum befinden sich auch die Räumlichkeiten, in denen das Orakel in Trance versetzt wurde, um die erwünschten Vorhersagen treffen zu können. Der Überlieferung zufolge wurden hier auch geheime tantrische Rituale abgehalten.

In allen Gebäuden des Tempelbezirks findet man Abbildungen und Statuen der grünen Tara von Zanabazar. Sie war die beliebteste Gottheit des Meisters und wird fast überall an den Hausaltären der Jurten verehrt. Unter den besonderen Sehenswürdigkeiten entdeckt man eine Stupa aus Bronze, die im 10. Jahrhundert in Indien hergestellt und durch Zanabazar eigenhändig in die Mongolei gebracht wurde. Mit zu den Schätzen des Museums gehören die gut erhaltenen Tsam-Masken. Diese furchterregenden Gestalten haben ihren Ursprung im Tibet des 18. Jahrhunderts und kamen von dort in die Mongolei, wo sich daraus in der Folge immer prächtigere und ausdrucksstärkere Masken entwickelt haben. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung der Gottheit Jamsran, die mit ungefähr 7.000 Korallenstückchen besetzt ist.

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Tempelmuseum Choijin Lam Sum in Ulaanbaatar.

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Tempelmuseum Choijin Lam Sum in Ulaanbaatar.

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Gandantegchinlen Khiid

Das Kloster Gandan oder auch Gandantegchinlen Khiid wurde im Jahre 1838 gegründet. Zwischen 1911 und 1913 wurde ein Palast zu Ehren des damaligen achten und letzten Bogd Javzandamba mit der Megjid-Janaraiseg-Satue gebaut. Grund für den Bau war die Tatsache, dass Javzandamba sein Augenlicht verloren hatte. Megjid-Janaraiseg bedeutet so viel wie „Gott der ein Auge auf alle Lebewesen hat, und der in alle Richtungen schaut“ Der Bau war mit 30 Metern Höhe das höchste Bauwerk der damaligen Siedlung. Javzandamba lebte bis zu seinem Tod in diesem Tempel. Er beinhaltete eine 26 Meter hohe vergoldete Buddha-Statue.

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Gandantegchinlen Khiid

Gandan ist das bedeutendste und größte buddhistische Kloster der Mongolei und befindet sich in der Hauptstadt Ulaanbaatar. Es stellt das buddhistische Zentrum des Landes dar. In der anti-lamaistischen Kampagne im Jahre 1937 wurden alle größeren Tempelanlagen des Klosters dem Erdboden gleichgemacht. Die vergoldete Statue wurde ebenfalls entwendet, um daraus Munition zu machen. Keiner wusste, wohin sie die große Statue gebracht hatten. Sie verschwand vermutlich irgendwo in der damaligen Sowjetunion. Fast alle Mönche des Klosters wurden zu dieser Zeit ermordet. 1944 wurde das Kloster teilweise wieder eröffnet. Es wurde nur als Gebetsstätte und nicht als Kloster im eigentlichen Sinne genutzt. In dieser Zeitspanne von 1944 bis 1990 - hier ist die kommunistische Zeit gemeint - gab es in dem Land keine buddhistische Gebetsstätten außer Gandan. In dieser Zeit hatte der Staatsapparat einen gewissen Einfluss auf die Mönche und umgekehrt. Die Kontrolle der Gläubigen hatte dabei oberste Priorität.

Im Jahre 1996 kehrte die neue, nachgebildete Megjid-Janaraiseg-Statue, bestehend aus 19 Tonnen vergoldeter Bronze, nach einer Bauzeit von sechs Jahren in einer feierlichen Zeremonie wieder an ihren alten Platz im Megjid-Janaraiseg-Tempel zurück. Im heutigen Areal des Klosters befinden sich sechs Tempel mit den Namen Dashchoinpel, Gungaachoilin, Idgaachoinjinlin, Jud, Megjid-Janaraiseg und Dechengalba, eine Universität, eine Bibliothek, eine Schule zur Erstellung von Buddha-Statuen und eine allgemeine Grundschule. In der sogenannten Berufsschule erlernen die Schüler den Bau von Buddha-Statuen und das Bemalen von Tankas, den buddhistischen Wandteppichen. In der Grundschule werden Lerninhalte wie in anderen Grundschulen vermittelt. Sie ist auch für jedermann frei wählbar. Die Bibliothek beinhaltet weit über 48.000 Bücher, davon alleine 101 Bände des goldenen Ganjuur, dem buddhistischen Katechismus. An der 1970 gegründeten Universität werden unter anderem Fächer wie buddhistische Philosophie, Astrologie und TMM (Traditionelle Mongolische Medizin) gelehrt. Aktuell lehren dort 14 Lehrer eine Anzahl von 210 Studenten.

Erwähnenswert ist ein Überbleibsel des alten Gandan. Es ist ein alter Holzbalken, der die zerstörerische Welle aus dem Jahre 1937 überdauert hat. Diesem Zeitzeugen aus vergangenen Jahren huldigen die gläubigen Mongolen heute noch. Er steht nicht unweit des jetzigen Megjid-Janaraiseg-Tempels etwas abseits des Hauptgeschehens.

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Das größte Kloster in Ulaanbaatar – Gandantegchinlen Khiid mit der goldenen Janaraiseg-Statue.

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Die Legende: „Weiße Tara“

Als Buddha das schwere Leben der Menschen sah, brach er in Tränen aus. Aus den 21 Tränen entstanden die 21 weiblichen Taras. Die Taras sind allesamt von gutem Wesen. Sie symbolisieren die Menschlichkeit. Alle 20 Taras sitzen im offenen Schneidersitz, damit sie schnell aufstehen können, falls ein Mensch ihre Hilfe benötigt. Nur die weiße Tara sitzt im geschlossenen Schneidersitz, da sie Augen in den Fußsohlen und in den Handflächen hat um die Menschen zu beobachten und zu beschützen.

Vor langer Zeit lebte ein älteres Ehepaar, das nur einen Sohn hatte. Als dessen Vater plötzlich starb, begab sich der Sohn in die Fremde, um dort zu lernen. „Geh mein Sohn, und lerne, solange ich noch lebe“, sagte die Mutter. „Ich werde auf dich warten, und bring mir bitte bei deiner Rückkehr eine weiße Tara mit“, sagte sie weiter. Der Junge ging nach Tibet, lernte sehr viel und erlangte die Erleuchtung. Er lebte glücklich und vergaß dabei völlig seine Mutter. Bei seiner Rückkehr im Herbst wusste er nicht, wo er sie finden könne, da sie vielleicht bereits in das Winterlager umgezogen sei. Er wusste auch nicht, wie sie nach den langen Jahren aussähe. Er hatte Angst, sie nicht wieder zu erkennen. Plötzlich erinnerte er sich wieder an die Bitte seiner Mutter, und er überlegte was er machen könne, da er ja keine weiße Tara mit sich trug. Er hob einen weißen Stein vom Boden auf und wickelte ihn in ein Khadag (blaues mongolisches Gebetstuch) ein. Als er seine Mutter dann gefunden hatte, fragte diese ihn, ob er in Tibet auch viel gelernt und ob er ihren Wunsch erfüllt habe. Daraufhin erwiderte der Sohn, er habe im fremden Land viel gelernt, und er habe ihr auch eine weiße Tara mitgebracht. Er bat sie aber, diese nicht auszupacken und immer im Khadag aufzubewahren. Seine Mutter betete drei Jahre lang jeden Tag vor dem eingewickelten weißen Stein in der Hoffnung, dass es eine weiße Tara sei. Als die Mutter achtzig Jahre alt wurde, fühlte sie, dass ihre Zeit gekommen sei um zu sterben. Sie bat ihren Sohn, die weiße Tara ansehen zu dürfen. Der Junge wusste keinen Ausweg und er packte den weißen Stein aus. Dieser war aber im Lauf der Jahre über tatsächlich zu einer weißen Tara geworden. Der feste Glauben seiner Mutter an ihren Sohn hatte den weißen Stein in eine weiße Tara verwandelt.

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Die Legende: „Fluß Tuul“

Der Himmelskönig hatte drei Töchter, die wunderschön waren. Die älteste der drei hieß Kherlen, die mittlere hieß Onon und die jüngste hieß Tuul. Nachdem die drei Töchter heranwuchsen und erwachsen wurden, verheiratete der König seine älteste Tochter mit dem Pazifik. Die mittlere Tochter wurde mit einem fremden Meer verheiratet. Die jüngste Tochter hingegen blieb unverheiratet in ihrer Heimat bei ihrem Vater. Die beiden ältesten Töchter kümmerten sich nie um ihren älter werdenden Vater und kehrten auch nie wieder in ihre Heimat zurück, nachdem sie geheiratet hatten. Das kränkte den Vater sehr, und er sagte den beiden, dass er sie auch nie mehr sehen möchte, weil sie weit von der Heimat verheiratet sind. Deshalb dürfen sie nicht mehr nach Hause kommen. Seit dieser Zeit fließen die Flüsse Kherlen gol und Onon gol aus dem Land, während der Fluss Tuul gol in der Mongolei bleibt.

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Das Sky Resort ist eine Skianlage vor den Toren der Stadt, die im Winter rege genutzt wird.

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Hier auf dem Khar zakh (Schwarzmarkt) kaufen die Einwohner von Ulaanbaatar ihre Dinge für den täglichen Gebrauch.

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Takhis oder Przewalski-Pferde

Przewalski war ein russischer Forscher für Zentralasien. 1878 besuchte er die Mongolei. Bei seinem Aufenthalt fand er Knochen und Fell eines seltenen Pferdes. Nach seiner Rückkehr ließ er die Funde in St. Petersburg untersuchen. Dabei stellte man fest, dass die Funde von einem wilden Urpferd stammen müssen. Im Jahre 1881 bekam diese Rasse dann offiziell den Namen Przewalski-Pferd.

1969 wurde das letzte freilebende Tier in der Mongolei beobachtet. 1992 wurden die Pferde durch Auswilderungen und Zuchtprojekte diverser europäischer zoologischer Gärten in die Mongolei zurückgebracht. Ein Reservat, in dem sie heute wieder zu sehen sind, ist neben weiteren der Khustain Nuruu Nationalpark in der Nähe Ulaanbaatars.

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Die Takhis oder Przewalski-Pferde sind nicht weit von Ulaanbaatar entfernt im Khustain Nuruu Nationalpark zu sehen.

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Baigaljav – Der Pferdekopfgeigenbauer

Der Meister empfängt uns mit offenen Armen. Vor uns steht einer der besten und bekanntesten Pferdekopfgeigenbauer der Mongolei. Ich schaue in den engen Flur seiner Werkstatt. „Bitte hier entlang“. Baigaljav geleitet uns zuerst in sein Büro. Dort sind wir vor den Arbeitsgeräuschen sicher. Hämmern, Bohren, Schleifen, das Kreischen einer elektrischen Säge. Baigaljav ist in Odmaas Heimatort aufgewachsen. Er redet wie Odmaa ohne hörbaren Dialekt, wie alle Bewohner aus der Südgobi. Beginnen wir mit dem Gespräch, sagt er sympathisch, wir wollen uns dabei Zeit lassen.