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Heussinger | Snoek | Görner | Wilk

FREIMAURER

Wie Sie die Prinzipien des erfolgreichsten Netzwerks der Weltgeschichte für Ihre Persönlichkeitsentwicklung nutzen

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Originalausgabe, 1. Auflage 2020

© 2020 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

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Redaktion: Anne Büntig

Korrektorat: Anja Hilgarth

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildung: shuttertstock/Jon Bilous, WDG Photo

Satz: Daniel Förster, Belgern

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-303-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-560-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-561-3

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Zum Gedenken an Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781)

Gotthold Ephraim Lessing wurde 1771 in die Loge »Zu den drei Rosen« zu Hamburg aufgenommen, einer Tochterloge der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland/Freimaurerorden. In seinem 1778 erschienenen Werk »Ernst und Falck. Gespräche für Freimaurer« wollte Lessing offensichtlich gerade den im 18. Jahrhundert lebenden Freimaurern eine Orientierung für ihr Handeln geben.

Der Hauptsatz, der Lessings Ausführungen dominiert, ist: »Die Freimaurerei war immer.«

Die Freimaurerei hat die Form, unter der sie in Erscheinung getreten ist, mehrfach im Laufe der Zeit gewechselt, sie hat auch nicht immer den Namen »Freimaurerei« geführt, aber das unnennbare Etwas ist immer tätig gewesen, seit Menschen in Gemeinschaften leben, und hat die treibende Kraft gebildet zur Entwicklung des Ganzen.

Dieses Buch ist Dr. Leo Müffelmann (1881–1934) gewidmet, der für die Freiheit, den Humanismus und die Freimaurerei unermüdlich gekämpft hat.

INHALT

Geleitwort

Vorwort

Prolog

I. DIE ENTWICKLUNG DES EUROPÄISCHEN KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

1. Revolution, Freiheit und Freimaurer

2. Verschwörungstheorien und Freimaurer – verfolgt, verboten, wiederauferstanden

3. Europäisches Kulturelles Gedächtnis: die Bibel und die Griechen

4. Neuplatonismus, Gotik und die Entstehung der Freimaurerei

II. DIE METHODE: WIEDERENTDECKUNG DER PERSÖNLICHKEIT

5. Freimaurerisches Menschenbild

6. Religiöses Grundbedürfnis

7. Ritual und freimaurerisches Geheimnis

8. Die Arbeit an sich selbst und in der Gemeinschaft der Loge

9. Junge Menschen und Freimaurerei

III. FREIMAURER – DENKFABRIK UND ZUKUNFTSMOTOR: BRAUCHEN WIR EINE ZWEITE AUFKLÄRUNG?

10. Der Mensch zwischen Künstlicher Intelligenz und unbegrenztem Fortschritt

11. Humankapital und Menschenbild

12. Humanismus und Pseudohumanismus

13. Gesetz und Moral, Vernunft und Gewissen

14. Zeit für eine zweite Aufklärung?

Epilog

Exkurs: Die Entstehung der Freimaurerei, Frauenlogen und Illuminaten

Literatur

Glossar

Autoren

Hinweis: Im Folgenden sind alle Begriffe, die im Glossar erklärt werden, beim ersten Erscheinen kursiv gesetzt.

GELEITWORT

VON PROF. DR. HANS PETER MEINZER, BIOINFORMATIKER UND FREIMAURER

Sapere aude! – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Und natürlich geht es dabei um Persönlichkeitsentwicklung. Großartig. Das vorliegende Werk vermittelt einen entmystifizierten, ganzheitlichen und gerade deshalb spannenden Einblick in die Freimaurerei und ihr gesellschaftlich vernetztes wie auch persönliches Wirken, wie es gegenwarts- und zukunftsbezogen in dieser Modernität, Frische und Vollkommenheit noch nie zu lesen gewesen war. Zwar bleibt das eine oder andere offen – und trotzdem oder gerade deshalb bleibt die gespannte Neugier des Lesers auch nach erfolgter Lektüre erhalten. Das ist von den Autoren so gewollt.

In jedem Kapitel spürt man die Autorität der vier Autoren, die ihre insgesamt über 100 Jahre freimaurerische Erfahrung von Ursprung, Gehalt und Anwendung des freimaurerischen Traditionsgutes in dieses Buch einbringen.

Auch werden bisher wenig bekannte historische, politische und inhaltliche Zusammenhänge aufgelöst und in Zusammenhang mit einigen bekannten außergewöhnlichen Persönlichkeiten gebracht. Aber es wird sich eben nicht nur auf die Geschichte und Vergangenes beschränkt, wie bei dem Thema Freimaurerei sonst üblich, sondern unsere aktuellen Probleme werden aufgenommen und mit der Vision einer zweiten Aufklärung Lösungsmöglichkeiten vieler aktueller und gerade auch persönlicher Probleme sowie der Weg in eine bessere und angstfreie Zukunft aufgezeigt.

Die Autoren beschreiben die Zukunft unserer Gesellschaft als eine klare Herausforderung an unsere Bewusstseins- und Persönlichkeitsentwicklung und machen uns hierfür mit freimaurerischen Methoden und Werkzeugen vertraut. Unmissverständlich klar wird hierbei, dass es zu den Menschenrechten auch »Menschenpflichten« gibt und jeder sich seiner moralischen und ethischen Verantwortung bewusst werden muss, um Individualität mit Intuitionsfähigkeit zu entfalten. Daher entsteht die Idee einer von den persönlichen Interessen erweiterten Schicksalsgemeinschaft verantwortlich Handelnder, mit Tugenden wie Empathie und Respekt, die die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander bilden.

So werden wir in diesem Buch auf lebendige Weise mit dem ältesten und preiswertesten Persönlichkeitsentwicklungs-Programm vertraut gemacht, das durch Mitgliedschaft lebenslang gebucht werden kann – und nicht zuletzt ist es eine Liebeserklärung an die deutsche Freimaurerei.

Prof. Dr. Hans Peter Meinzer

Der auch international bekannte Medizin- und Bioinformatiker Hans Peter Meinzer ist seit mehr als drei Jahrzehnten als Freimaurer aktiv, als Meister vom Stuhl und sogar als Gründungsmitglied von zwei Logen.

VORWORT

VON PROF. DR. CHRISTOF WINGERTSZAHN, DIREKTOR DES GOETHE-MUSEUMS, DÜSSELDORF

Im Oktober 1785 hielt einer der originellsten Schriftsteller der deutschen Literatur in Berlin vor seiner Loge »Zur Beständigkeit« eine mitreißende Rede über den Zweck der Freimaurerei:

[…] was giebt es wohl für ein edleres Ziel des Maurers,

Als, den höchsten Grad

Der Mäßigkeit und Standhaftigkeit,

Einer weisen Unerschrockenheit,

Einer unerschütterlichen Rechtschaffenheit,

Und einer unüberwindlichen Wahrheits Liebe, zu erlangen?1

Der Redner hieß Karl Philipp Moritz, einige seiner Vorträge sind erhalten, weil der Autor sie in seinem Todesjahr 1793 unter dem Titel »Die große Loge« drucken ließ. Sie galten den Zeitgenossen als musterhaft darin, den »schönen Kern«2 der Freimaurerei zu enthüllen. Ein Kritiker stellte fest: »Die Freimaurerreden zeichnen sich vorzüglich durch Grundsätze der reinsten Humanität aus. In dieser großen Loge ist jeder wahre Mensch willkommen. Christ, Jude, Türk’ und Heide genießen hier gleiche Rechte.«3

Moritz hat sich genauso wie sein enger Freund und Freimaurer Goethe – der diesen als seinen jüngeren Bruder bezeichnete – ausgiebig literarisch und philosophisch mit Freimauerei auseinandergesetzt. Der Versuch, sich dem Kern der Freimaurerei nicht über die Autorität Goethe anzunähern, sondern über einen Schriftsteller, der gleichfalls von der Freimaurerei angezogen war, obwohl er ursprünglich einer ganz anderen Schicht angehörte als der aus gutbürgerlichem Elternhause stammende und zur zweiten Person im Herzogtum Carl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach aufgestiegene nobilitierte Geheimrat Goethe, ist interessant. Die Bedeutung freimaurerischen Gedankenguts wird an dem sozialen Aufsteiger Moritz noch deutlicher.

Denn: Die Freimaurerei war für das 18. Jahrhundert von besonderem Interesse – als Einrichtung sozialer und politischer Gleichheit wie als Geheimbund. Die maurerische Grundidee einer symbolischen Suche nach dem Licht der Wahrheit hat Goethe genauso in den Bann gezogen wie seinen Freund Karl Philipp Moritz. Beide waren von den »ahnungsvollen«4 Symbolen der Freimaurerei fasziniert. Die »leuchtenden Ideen«5 der Freimaurer haben deutliche Spuren in Goethes Werk hinterlassen: die Motive des Wanderns, der Veredelung des Menschen und des ethischen Bemühens, »an dem öden Strand des Lebens« sich »ein Ziel des Strebens« zu setzen. Das berühmteste Gedicht zu diesem Thema sieht das Handeln der Freimaurer als Sinnbild des menschlichen Lebens: »Des Maurers Wandeln, / Es gleicht dem Leben«.

Wer war nun dieser Moritz, den Goethe besonders geschätzt hat, was nicht selbstverständlich bei dem Weimarer Klassiker ist?

Für zeitgenössische Verhältnisse hat Moritz einen sehr bewegten Lebenslauf, der ganz in die Zeit sich auflösender Standesgrenzen, in eine Sattelzeit passt. Der Theologiestudent Friedrich Münter fasste Anfang der 1780er Jahre verwundert die Biografie Moritz’ zusammen:

»Moriz ist ein ganz origineller Mensch. von armen Eltern geboren. erst Hutmacher Gesell in Braunschweig. von da läuft er weg, weil s[ein] Herr ihn Maltraitirt, u. geht auf Schulen. sodann wird er Schauspieler. verbindet sich mit Ifland. da gefälts ihm auch nicht. er geht also nach Wittenberg u. studirt. wird Armenschulm[eister] in Pozdam, u. Conrektor zu letzt am Gr[auen] Kloster in Berlin – […] ein Mensch der einen erstaunenden Kopf hat. sehr spekulativisch ist, u. sehr tief nachdenkt, wenn er über eine Sache herfällt.«6

Die Spannweite von Moritz’ Beschäftigungen – vom Hutmacherburschen bis zum Akademieprofessor, in dessen öffentlichen Vorlesungen sich die Adelsgesellschaft die Plätze streitig machte – lässt erahnen, dass dieser gebrochene Lebenslauf seine Dynamik aus einem bestimmten Konflikt bezog. Moritz stammte aus kleinen Verhältnissen und hatte es sich zum Lebensziel gemacht, die sozial Benachteiligten zu fördern. Bei der Ausbildung der eigenen Persönlichkeit spielte Moritz’ Aufnahme in die Berliner Johannis-Loge »Zur Beständigkeit« eine große Rolle, brachte gar, wenn man dem ersten Biografen Klischnig glauben will, eine »Revolution« hervor.7 Sein Denken wie sein literarisches Schaffen – letztlich seine gesamte Persönlichkeitsentwicklung – wurden dadurch nachhaltig geprägt.

Goethes Gedicht »Symbolum«, das sich mit dem freimaurerischen Zeremoniell beschäftigt, lässt sich Moritz’ Rede »Die Symbole der Maurerei« an die Seite stellen, worin er feststellte, die freimaurerischen Zeichen seien »schöne Einfassungen großer Gedanken« der »weisesten Menschen«.8 Beide Texte sind Aussagen zu einer Philosophie des Lebens, die sich nicht auf eine bloße »Selbstsorge« begrenzt, sondern die Gemeinschaft im Blick behält. Kein Fatalismus, sondern eine Lebensanschauung, die sich über die Unverfügbarkeit äußerer Umstände im Klaren ist. Bei Moritz heißt es: »Und kömmt nicht alles darauf an, dies Leben, das jeder unter uns besitzt, bis zu dem Grade zu veredeln, wo es die angestammte Würde der Menschheit ganz in sich entwickelt, und von den Fesseln, die es hemmten, sich muthig loßreißt?«9 Humanität und Persönlichkeitsentwicklung sind eng miteinander verschwistert.

Bei Goethe wie bei Moritz findet sich Anziehung durch den sittlichen Ernst und die ethische Dimension der Logenarbeit: der Maurer als Mensch, der sich zu edler, uneigennütziger Tätigkeit verpflichtet, wobei die Unterwerfung unter das Unabänderliche aller Furcht des Lebens die Grundlage nehmen soll. Nicht auf das Finden spektakulärer Kleinodien in einer geheimnisvollen Höhle kommt es an, sondern auf Persönlichkeitsbildung in einem geschützten Raum des Vertrauens, einem außerstaatlichen Innenraum. Das Geheimnis selbst ist je individuell zu erfahren, die Rituale der Logenarbeit sind ein Gerüst. In der Forschung hat man von einer »Leere im Zentrum« der Freimaurerei gesprochen, um das Ausmaß der Arbeit am eigenen Ich hervorzuheben.10 Solche Arbeit hat mit den Ideen des Wanderns, des Pilgerns, der Selbstfindung, gleichzeitig mit der Wendung in das Tätigsein in der Gesellschaft, deutliche maurerische Spuren im Werk Goethes wie Moritz’ hinterlassen.

Die maurerischen Ziele betreffen ein Ideal von Persönlichkeitsentwicklung, das auch heute aktuell ist: nicht eine hemmungslos ausgelebte Individualisierung um jeden Preis, sondern eine persönliche Bildung, die immer auch die humane Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft im Blick hat.

Mit diesem Ziel ist Moritz ganz auf der Linie Goethes, des größten deutschen Schriftstellers.

Prof. Dr. Christof Wingertszahn ist Direktor des Düsseldorfer Goethe-Museums. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Weimarer Klassik, danach leitete er die Arbeitsstelle »Kritische Moritz-Ausgabe« an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Er ist Mitherausgeber zweier großer Klassiker-Ausgaben und lehrte an Universitäten im Saarland, Düsseldorf, Berlin, Braunschweig und Tokio.

PROLOG

Freimaurer bewahren – ganz allgemein ausgedrückt – ethische Werte. Diese werden erfahrbar und spürbar gemacht. Man erlebt sie im Ritual gemeinsam mit den Freimaurer-Brüdern oder -Schwestern und kann sie so verinnerlichen. Das ist das Besondere.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität und Toleranz kann man durchaus als erstrebenswerte Freimaurer-Tugenden bezeichnen. Und ja, es ist auffällig, dass wir ihnen zum Beispiel in Form der Amerikanischen oder Französischen Revolution offensichtlich wieder begegnen. Aber um hier gleich einem Missverständnis vorzubeugen: In den Logen gibt es keine Ideologie, die das eigenständige Denken ersetzt. Niemals kann somit etwas »im Namen der Freimaurer« geschehen. Nicht die Großloge, nicht die einzelne Loge vor Ort kann etwas bewegen. Es ist der einzelne Freimaurer, der sich engagiert, der etwas in der Gesellschaft oder in seinem direkten Umfeld verändert. Und ja, die Loge bietet einen geschützten Platz, einen Rückzugsort. In Zeiten von Absolutismus, Folter und Zensur war die Loge Keimzelle für freies Denken und Vernetzung unter den Brüdern und ist es natürlich mit anderen Vorzeichen auch noch heute. Kein Wunder, dass die freimaurerische Symbolik begeistert von der wachsenden Demokratiebewegung der frühen Aufklärung aufgenommen worden ist. Dichter und Philosophen wie Johann Gottfried Herder und Gotthold Ephraim Lessing waren überaus engagierte und sehr aktive Freimaurer, denen es gelungen ist, die Symbolik auf die Gesellschaft zu übertragen. Man baute dann im übertragenen Sinne am »Tempel der Humanität«, am »großen Bau der Menschheit«.

Dass Goethe, Mozart und George Washington sich in die Reihe der Freimaurer einordnen, ist allgemein bekannt. Gustav Stresemann, Reichskanzler und Außenminister der Weimarer Republik, erhielt gemeinsam mit seinem Freimaurer-Bruder Aristide Briand, französischer Ministerpräsident und Außenminister, 1926 den Friedensnobelpreis. Aristide Briand kritisierte die harten Bedingungen des Versailler Vertrages gegenüber Deutschland, während hingegen Gustav Stresemann sich für einen friedlichen Ausgleich mit Frankreich und für Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund einsetzte. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang: Als Deutschland 1926 tatsächlich in den Völkerbund aufgenommen wurde, kam bei Stresemanns öffentlicher Beitrittsrede freimaurerisches Vokabular zum Einsatz. So sprach er beispielsweise vom »göttlichen Baumeister der Erde«.

Überhaupt ist von Stresemann so einiges in diesem Zusammenhang der Nachwelt zum Nachlesen erhalten geblieben. Vor seiner Aufnahme schrieb Gustav Stresemann: »Schon lange war es mein Wunsch, in eine engere Beziehung zu einem Kreis gleichgesinnter Menschen zu gelangen, die in unserer an Materialismus, Hast und Unruhe sich zermürbender Zeit sich das Reich allgemeinen Menschentums, innerer Besinnlichkeit und Geistigkeit zu erhalten suchen. Im deutschen Freimaurertum hoffe ich, eine solche Gemeinschaft zu finden.«11 Gustav Stresemann trat 1923 in Berlin in die Loge »Friedrich der Große« ein. Leider verstarb Stresemann bereits 1929 im Alter von nur 51 Jahren.

Gerade in einer Zeit, in der alles immer schneller geht, in der Menschen aufgrund von Anonymität und innerer Haltlosigkeit immer mehr nach Lebensinhalten und dem Sinn ihres Seins suchen, bietet die Freimaurerei dem Einzelnen die Geborgenheit und das Vertrauen einer Bruder- oder Schwesternschaft. Dem Suchenden wird eine Fülle von Symbolen, Riten, Initiationen und Inspirationen dargeboten, mit denen er sich selbst und seine Umwelt besser begreifen und so letztlich hinter den Sinn des Lebens blicken kann. Man kann dabei von echter Persönlichkeitsentwicklung sprechen. Und gleichzeitig ist ein Freimaurer Mitglied im erfolgreichsten Netzwerk der Weltgeschichte. Freimaurer brauchen dabei grundsätzlich den freien Menschen. Daran knüpfen Freimaurer an. Und nicht Freimaurer verändern den freien Menschen, sondern er sich selbst – die Freimaurerei reicht nur Werkzeuge zur Selbsterkenntnis und Selbstverbesserung.

Ein Ziel dabei ist es, die humanistischen und damit auch christlichen Ideale unseres Kulturellen Gedächtnisses, wie sie bei den griechischen Philosophen und in der Bibel überliefert sind, in die Gesellschaft zu tragen und durch das Vorleben dieser Ideale die Welt – zumindest ein klein wenig – besser zu machen. Freimaurer sind sich ihrer humanistisch-abendländischen Wurzeln genauso bewusst wie den Jahrtausende alten Einflüssen antiker Mysterienbünde. Auf den Punkt gebracht trifft hier durchaus der Satz zu: »Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.«

Bezeichnend für die Freimaurerei ist, dass ausgerechnet der schottische Prediger der schottisch-presbyterianischen Kirche in London, James Anderson, und der Naturforscher John Desaguliers als ihre geistigen Gründungsväter gelten, zumindest was den Umstand und die Wirkung der Zusammenfassung von vier bereits in England bestehenden Logen zu einer Großloge anbelangt. Die sogenannten Alten Pflichten sind mehr oder weniger verbindliche Regeln für alle Logen, sie erschienen 1723 in Buchform und sind heute noch ausschlaggebend für Freimaurer. Anderson ist der offizielle Autor, Desaguliers soll dabei »dessen Schreibfeder geführt haben«. Ein Mann der Kirche und ein Naturforscher stehen sinnbildlich für die Versöhnung von Religion und Naturwissenschaft, der man in der Freimaurerei durchaus so begegnen kann.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass John Desaguliers diesen vermeintlichen Widerspruch auch selbst in seiner eigenen Vita verkörpert. Er war zum einen ein hervorragender Forscher und erhielt für seine Entdeckungen der Eigenschaften von Elektrizität die höchste Auszeichnung der Royal Society, also der nationalen Akademie der Wissenschaften für die Naturwissenschaften. Übrigens war Desaguliers mit Sir Isaac Newton befreundet und unterstützte ihn in seinen Experimenten. Zum anderen war er auch ein Geistlicher in der Church of England.

Ein Dritter im Bunde fehlt noch: John Herzog von Montagu, seinerzeit einer der reichsten Männer Englands, Mitglied der Royal Society und Freimaurer seit 1720. Er war der erste adlige englische Großmeister und darf wegen seiner aktiven Rolle gleich zu Beginn nicht unerwähnt bleiben.

Ein Geistlicher, ein reputierter Naturforscher und ein reicher Adliger, der als Lord Justice des Königreiches und bei Hof eine große Rolle spielte, stehen also am Start des bis zum heutigen Tage erhaltenen Großlogen-Systems in der Freimaurerei. Über alle Stände und über alle vermeintlichen Grenzen zwischen Religion und Naturwissenschaft hinweg besteht gleich am Anfang der modernen Freimaurerei das Bild dieser drei Persönlichkeiten, wie für einen programmatischen Zukunftsentwurf gemacht. In den Alten Pflichten heißt es dann auch: »... wenn er (Anmerkung der Red.: ein Freimaurer) die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner noch ein bedingungsloser Freigeist sein.« Übrigens: Die Entwicklung eines Menschen ist aus freimaurerischer Sicht niemals abgeschlossen. Es gilt, sich dem Idealbild eines Freimaurers zu nähern und den Weg selbst bereits als Ziel zu betrachten.

Natürlich sind Freimaurer-Logen in Deutschland Vereine mit Satzung und gewählten Vorständen. Demokratische Wahlen sind eine Selbstverständlichkeit und die dazugehörige Transparenz mit Protokollen, Vereinsregisterauszügen und Tätigkeitsberichten ist Standard. Weltweit soll es etwa sechs Millionen Freimaurer geben, lediglich 15.000 Freimaurer findet man davon in Deutschland. Vor allem die Herrschaft der Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg haben den deutschen Freimaurern einen fast vernichtenden Schlag versetzt, von dem sie sich bis heute nicht wirklich erholt haben, wenn man bedenkt, dass es vor 1933 einmal über 80.000 Freimaurer auf deutschem Boden gab.

Die sogenannten Service-Clubs wie Rotary, Lions oder Kiwanis haben an sich mit der Freimaurerei nichts zu tun. Ihr Motto ist eher dem »tue Gutes und rede möglichst viel darüber« geschuldet. Freimaurer sprechen lieber von der »stillen Hilfe« – man macht daraus »kein großes Ding«, sondern tut es einfach, eben im Stillen. Das passt besser zu einem Freimaurer. Aber es gibt natürlich Verbindungen zu Rotary, Lions & Co.: So war der Freimaurer Gustav Loehr Mitbegründer von Rotary 1905 und der Freimaurer Melvin Jones gründete Lions 1917. Dass sich manche Ideen der Freimaurer bei den Serviceclubs wiederfinden, ist dann reiner Zufall – oder eben auch nicht. Es ist letztlich für einen Freimaurer unbedeutend.

Wie wird man eigentlich Freimaurer? Ganz einfach: »Möchten Sie einer werden, fragen Sie einen!« Im Englischen heißt das dann: »To be one, ask one!« Kontakt zu einer Freimaurer-Loge vor Ort aufnehmen, einen Gästeabend besuchen und schon ist man im Gespräch mit Freimaurern. So einfach geht das.

I. DIE ENTWICKLUNG DES EUROPÄISCHEN KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES

1. REVOLUTION, FREIHEIT UND FREIMAURER

»Die Menschenrechte beginnen, wo die Vorurteile enden.«

MARQUIS DE LAFAYETTE (1757–1834)

Für die Freiheit sterben: Diesem Ruf folgten die meisten Revolutionäre. Die Idee eines demokratischen und selbstbestimmten Volkes war in Europa zu Beginn der Französischen Revolution – der »Mutter aller Revolutionen« – zwar nicht neu, doch wurde sie vor allem durch die Revolution in Amerika Ende des 18. Jahrhunderts in die Alte Welt getragen. Einer der größten Verfechter dieser Bewegung war Marie-Joseph Mortier, auch bekannt als der Marquis de Lafayette. Er war überzeugt von den Werten der Aufklärung, Demokratie, Freiheit und Gleichheit. Als General machte er zeitlebens auf beiden Kontinenten von sich reden.

Lafayette, er stammte aus adeligem Geschlecht und verfügte über ein nicht unbeträchtliches Vermögen, verkehrte im vorrevolutionären Paris in einflussreichen und vor allen Dingen freigeistigen Kreisen. Als Offizier von Stand hatte er zudem eine gute Ausbildung genossen und war politisch und gesellschaftlich recht umtriebig. So wurde er Mitglied der Freimaurerloge »Les Neuf Sœurs« – der auch einer der berühmtesten Philosophen der Aufklärung nahestand: Voltaire. Beinahe zeitgleich residierte auch Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, in Paris. Er war neben seiner Leidenschaft für das angenehme Leben vor allem für seine guten Vernetzungen bekannt. Franklin war 1776 vom amerikanischen Kongress dorthin entsandt worden. Seine Tätigkeiten waren vor allem davon bestimmt, Frankreich als Verbündeten zu gewinnen und die revolutionäre Armee seiner Heimat mit Waffen und Material zu versorgen. Franklin war selbst bereits seit 30 Jahren Freimaurer.

Damals wie heute: Ein Freimaurer in einer fremden Stadt ist geneigt, Gesellschaft vor allem in den ortsansässigen Logen zu suchen. Es ist also denkbar, dass Voltaire, Franklin und Lafayette bei einer – vielleicht etwas weinseligen – Zusammenkunft im Logenhaus der »Neuf Sœurs« über die Amerikanische Revolution gesprochen haben. Ein Politiker, ein Philosoph und ein vermögender adeliger Offizier, vereint in ihrer Weltanschauung von Aufklärung und Freiheit. Diese Möglichkeit bleibt besonders von deutschsprachigen Historikern weitestgehend unbeachtet. Doch erscheint es einem Freimaurer mehr als nur wahrscheinlich, dass es sich so ereignet hat.

Das Ergebnis der Umtriebigkeit von Lafayette jedoch ist unstrittig: Er kaufte sich ein Schiff und segelte mit französischen Freiwilligen 1777 in die Neue Welt, sehr zum Unwillen seiner Frau und seines Schwiegervaters sowie seiner Bankiers. Seine freimaurerischen Verbindungen und seine Begabung für Sprachen öffneten ihm Tür und Tor. Er traf in Philadelphia auf George Washington, wurde als Generalmajor Mitglied im Stab des amerikanischen Oberkommandierenden und bekam somit Zugang zu den höchsten Kreisen der Amerikanischen Revolution. Washington sorgte dafür, dass der Marquis Mitglied der gleichen militärischen Freimaurerloge wurde wie er selbst. Lafayette war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 20 Jahre alt.

Dreh- und Angelpunkt dieser Clique von überzeugten Aufklärern, Glücksrittern und Romantikern war Benjamin Franklin. Frankreich war von den Unabhängigkeitsbestrebungen der Amerikaner bereits elektrisiert. Franklin gelang es, dem Ganzen Flair zu verleihen, und organisierte hintergründig zahlreiche Gespräche und Treffen, unterstützte aber auch die nur oberflächlich geheim gehaltenen Rüstungsunterstützungen Frankreichs nach Amerika. Bereits knapp 70 Jahre alt, von einer nicht zu verachtenden Hybris heimgesucht, dennoch charmant und listig, war es ihm geglückt, verschiedenste Akteure für seine Sache zu gewinnen. So gelang ihm auch die Rekrutierung einer weiteren beachtenswerten Person.

Friedrich Wilhelm von Steuben war ein ehemaliger preußischer Offizier, der kurzzeitig sogar von Friedrich dem Großen – ebenfalls Freimaurer – als sein Adjutant persönlich in militärischen Belangen unterrichtet worden war. Steuben hatte als Verbindungsoffizier in Russland gedient und Friedrich durch direkte Berichte treue Dienste erwiesen. Jedoch kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Steuben und dem Generaladjutanten des Königs, sodass der junge Steuben aus Friedrichs Armee entlassen wurde. Für den König war Steuben somit Geschichte. Steuben hatte seit jeher das Talent gehabt, Menschen von sich einzunehmen oder sie gegen sich aufzubringen.

Nach dem Siebenjährigen Krieg von Entlassungswellen in der Armee getroffen, musste auch er sich nach seiner Zeit beim Militär seinen Lebensunterhalt standesgemäß verdienen und arbeitete nach mehreren Stationen als Hofmarschall für den Fürsten von Hohenzollern-Hechingen auf der beschaulichen Schwäbischen Alb. Steuben galt als schwieriger Charakter – er beanspruchte mehr schlecht als recht den Titel eines Freiherrn –, der mehr aus sich machen wollte. Als Hofmarschall in Hechingen konnte er seinen Lebensunterhalt verdienen und seinen Anspruch des Titels eines Barons formulieren. Glücklich war er damit jedoch nicht. So manchen Abend verbrachte er bis spät in die Nacht in dicken Pfeifenrauch gehüllt damit, sich mit militärischer Lektüre weiterzubilden. Er wartete geduldig auf seine Zeit und diente weiterhin als Verwalter.

Es kam, wie es kommen musste: Steuben sah sich aufgrund seiner nicht gerade anpassungsfähigen Art allerlei Intrigen und Gehässigkeiten ausgesetzt. Vermutlich aber vor allem wegen des Vorwurfs der Homosexualität musste er sich nach einigen Jahren treuer Dienste für seinen Fürsten wieder nach neuen beruflichen Möglichkeiten umsehen. Der sparsame Hohenzollernfürst verbrachte 1777 einige Zeit in Paris, um in seiner Heimat keine Hofkosten zu haben. In seinem Geleit war auch Steuben.

Dort traf dieser über den üblichen Klüngel auf den emsigen Netzwerker Franklin, der bereits über seinen Kontaktmann aus Karlsruhe auf Steuben wartete. Steuben sagte seine Teilnahme an der Amerikanischen Revolution zu und forderte, mittellos, jedoch unbescheiden und ambitiös, wie er war, gleich den Rang eines höheren Offiziers. Der Rest ist Geschichte: Steuben leistete in Amerika ganze Arbeit. Als Profi machte er aus einfachen Bauern und Handwerksleuten eine professionelle Armee. Er trug somit maßgeblich zum Gelingen der Unabhängigkeit und der Gründung der Vereinigten Staaten bei. Steuben hatte am Ende bekommen, was er immer wollte: Er starb in der Neuen Welt als wohlhabender, berühmter und anerkannter Mann. Heute gibt es in New York jährlich eine Parade zu seinen Ehren. Bereits während des Unabhängigkeitskrieges trat er in seiner neuen Heimatstadt einer Freimaurerloge bei und war zeitlebens ein sehr aktives Mitglied der Bruderschaft.

Zufall oder nicht, die Verbindungen aller Beteiligten sind auch bei Steuben mehrere Blicke wert: Voltaire und der König von Preußen waren alte Bekannte. Voltaire war ein gern gesehener Gast der Salons, die Friedrich veranstaltet hatte. Die von Höhen und Tiefen, Eifersucht und Bewunderung, aber auch von skurrilsten Ereignissen geprägte Männerfreundschaft zwischen dem Philosophen und dem König ist nicht nur unterhaltsam. Es ist ein verblüffender Zufall, dass Steuben, als ehemaliger Adjutant Friedrichs und als sein ehemaliger persönlicher Schüler, ausgerechnet in den Dunstkreis von Franklin trat, zu dem auch Voltaire als herausragende Persönlichkeit zu zählen ist, aber auch Lafayette als ein späterer Kollege Steubens im Stab Washingtons.

Unterschätzt werden darf Steuben trotz seiner Opportunität keinesfalls. Die wochenlange Überfahrt von Frankreich nach Amerika nutzte Steuben zur Lektüre. Als begeisterter Leser von Thomas Paine und Jean-Jaques Rousseau hatte er sich rasch der Freiheit verschrieben. Mit Unterstützung von Franklin hatte Paine sein Werk «Der gesunde Menschenverstand« verfasst – man fragt sich dabei, wie es seinen Weg in Steubens Reisekoffer gefunden haben mag –, indem er die britische Herrschaft über die amerikanischen Kolonien anprangerte. Die Denkschrift Paines hatte durchschlagenden Erfolg und verkaufte sich, für damalige Zeiten, ungeheuerlich stark – mehrere Hunderttausend Male – und prägte die Sicht der Dinge über Jahrzehnte. Steuben hatte sich, mit einem guten Gespür für Theatralik und höfisches Benehmen, gegenüber dem amerikanischen Kongress zunächst als Freiwilliger verpflichtet. Seine Hoffnung, durch seine Fähigkeiten zu beeindrucken und als General einen festen Sold zu beziehen, wurde nicht enttäuscht. Schon in seinen ersten Tagen bei der Revolutionsarmee Amerikas wurde ihm klar, was er vor sich hatte: Männer, die in zerlumpten Kleidern, krank, frierend und mit kaum nennenswerter Bewaffnung der mächtigen britischen Armee gegenüberstanden. Diejenigen, die nicht weggelaufen waren, wurden vor allem von einem angetrieben – dem Wunsch nach Freiheit. Steuben war von dieser Entschlossenheit so tief beeindruckt, dass er sagte, nie habe er bessere Soldaten gesehen. Er unterließ adeliges oder höfisches Gehabe, marschierte mit seinen Männern durch den Matsch und behandelte sie, so gut es Rang und Stand erlaubten, als seinesgleichen: freie Männer in einem nach Freiheit strebenden Land.

Eine Verschwörung war all dies jedoch nicht. Alle Beteiligten des Netzwerkes um Franklin hatten den damals sprühenden Geist der Aufklärung gemein. Ihr Wille und ihr Wunsch nach einer freiheitlichen Gesellschaft, die sie von den Zwängen der Monarchie erhob, war nicht etwa durch geheime Riten oder Absprachen entstanden, sondern durch freigeistige Foren, in welchen sie sich bewegten. Dies zeigte sich auch im Denken und Handeln Steubens.

Es geht um das abendländische Freiheitsbewusstsein, das in die Neue Welt exportiert wurde und dort auf fruchtbaren Boden fiel. Diese Weltanschauung ist die Grundvoraussetzung für die Freimaurerei. Es ist eine Sicht auf die Freiheit, die sich in Europa über Jahrtausende entwickelt hatte. Die Antike legt nach dem Philosophen Karls Jaspers die Grundlagen des Freiheitsbewusstseins in Europa. Es geht um die wirkliche Freiheit und die Freiheit im Denken. China und Indien kennen diese Freiheit im politischen Sinne Jaspers zufolge in dieser Art nicht.

Doch gerade diese Politisierung des Abendlandes war ausschlaggebend für den durchschlagenden Erfolg der Aufklärung: Der gesellschaftliche Austausch über standesmäßige Schranken hinweg war eine der Grundbedingungen für die Verbreitung freiheitlichen Gedankenguts. Die Menschenrechte, deren essenzielle Grundvoraussetzung die Anerkennung der Freiheit ist, wurden durch die Freimaurerlogen getragen und verbreitet, da das humanitäre Wirken des Individuums eine der tragenden Säulen freimaurerischen Denkens ist. Die Freimaurerei wirkt weniger als eine Organisation denn als eine Bewegung, ein Netzwerk Gleichgesinnter. Der Einfluss und die Durchschlagkraft humanitären und freiheitlichen Denkens manifestieren sich bis heute nicht durch etwa die Großlogen oder die einzelnen Vereinigungen, sondern durch das Handeln der einzelnen Mitglieder. Es ist ein dynamischer Prozess gegenseitiger Entwicklung: Freiheitliches Denken wird durch das Individuum in diese Bewegung eingebracht und miteinander verwoben, um schließlich wiederum durch das Individuum nach außen getragen zu werden.

Hier zeigt sich die Stärke der freimaurerischen Bewegung, der Freimaurerei. Das Individuum ist als Teil des Ganzen Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Dies zeigt sich auch im Ritual: Die Initiation fordert vom Einzelnen die Anerkennung gegenüber merkwürdig und anachronistisch scheinender Gesetze und Regeln, die Verpflichtung für die Gruppe und ihre Werte einzustehen – und doch bleibt der Einzelne selbst im Ritual stets der Mittelpunkt allen Handelns. So verhält es sich auch im Leben außerhalb der Logen: Keine Loge kann, soll und will das Leben eines Mitglieds bestimmen oder vorschreiben, kontrollieren oder sanktionieren. Viel eher geht es um den wechselseitigen Gewinn des Engagements des Einzelnen in der Gruppe. Ziel ist es nicht, das Leben der Logenmitglieder zu bestimmen, sondern ihnen bei der Entwicklung ihrer Geisteshaltung zu helfen. Dies kann nur in Anerkennung der Freiheit und Selbstbestimmtheit des Einzelnen funktionieren, damit ein Input von innen nach außen und von außen nach innen getragen werden kann. Salopp gesagt: Freimaurer sind gleichgesinnte Individualisten, die sich gerne in der Gruppe treffen – das ist kein Paradoxon, sondern die Folge der Veranlagung des Menschen als soziales Wesen.12

Die Werte der Aufklärung waren – und sind – der gemeinsame Nenner, unter dessen Vorzeichen sich die Beteiligten auf intellektueller Ebene der Amerikanischen Revolution trafen, in der Alten und in der Neuen Welt. Liberale Ideen, Menschen- und Bürgerrechte stehen in der Freimaurerei nicht etwa im Widerspruch zum Christentum und dem damit verbundenen Welt- und Menschenbild, sondern sind miteinander verbunden. Die Freimaurerei war das Forum, das den Austausch über solche Gedanken über nationale Grenzen erst ermöglichte. Sie ist ein originär europäisches Phänomen. Es lässt sich als ein dynamisches Geschehen beschreiben: In Logen und freimaurerischen Verbindungen treffen sich Menschen, die gemeinsame Wertesysteme und Ansichten über Freiheit teilen. Dort diskutieren sie darüber und entwickeln ihre Ideen weiter. Letztendlich haben sich somit auch die Logen selbst weiterentwickelt und internationalisiert. Voltaire und Lafayette, sie hätten Steuben oder Franklin vermutlich nie getroffen, wären sie nicht im Hause der »Neuf Sœurs« ein- und ausgegangen.

Doch ist heute nicht alles anders? Haben wir uns nicht Freiheit, Demokratie, Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung längst erkämpft? Wozu braucht eine Gesellschaft ein Forum der Verschwiegenheit, des geschützten Austauschs untereinander, wenn Menschen- und Freiheitsrechte allgemein gültig sind?

Die Logen sind stets nicht mehr als ein Spiegel der Gesellschaft. Letztere hat sich weiterentwickelt, und somit auch die Logen. Während wir nicht mehr mit dem Feudalismus oder mit drohenden Weltkriegen konfrontiert sind, haben sich unsere gesellschaftlichen Interessen, Bedürfnisse und Nöte verändert. Die Ansprüche an die Freiheit sind andere als früher, in den Logen ist man sich darüber bewusst. Sie werden von den Mitgliedern der Logen in diese unweigerlich hineingetragen.

Viele Fragen hinsichtlich der Freiheit haben wir aus dem 20. Jahrhundert in das neue Jahrtausend mit uns getragen. Es sind Fragen der Gleichberechtigung, der Migration, der Integration und der Teilhabe, die wir seit Beginn der Moderne für jede Generation neu klären müssen und auf die wir immer wieder neue alte Antworten finden. Doch mit dem 21. Jahrhundert hat der Fortschritt noch einmal an Fahrt aufgenommen. Zu den alten Fragen kommen neue hinzu. Die neue Weltordnung des 21. Jahrhunderts hat sich frühzeitig als volatil erwiesen. Bereits vor zwölf Jahren hat der deutsche Philosoph Ralf Dahrendorf dieses neue System als »Welt ohne Halt« beschrieben. Die Ordnung der Blockkonfrontation ist ihm zufolge einer multiplen und heterogenen Politik- und Gesellschaftsordnung gewichen, in der wirtschaftliche Interessen gegenüber ordnungspolitischen Bestrebungen oftmals überwiegen.

Die globale nukleare Bedrohung ist scheinbar gebannt. Ein Krieg zwischen den großen Industrienationen erscheint nicht mehr möglich. Wir haben gesellschaftliche Errungenschaften im Sinne der Gleichberechtigung, Mitbestimmung und internationalen Kooperation geschaffen. Es gibt ferner keinen gesellschaftlichen Bereich mehr, der nicht mit den anderen Bereichen digital vernetzt ist. Ernteausfälle in Südamerika verteuern den Kaffee und den Tee in unseren Lokalen. Überschwemmungen in China wirken sich auf die Börsenkurse deutscher Unternehmen aus. Digitale Währungen torpedieren nationale Devisen. Es gibt etliche Beispiele. Multiple globale Verknüpfungen bergen jedoch die Gefahr, dass wir uns in verschiedensten Vernetzungen geradezu verfangen und Stück für Stück Freiheiten aufgeben, die in den Generationen davor mühevoll erarbeitet und erkämpft wurden. Wir reden also von nicht weniger als einer neuen Epoche der Menschheitsgeschichte, der sich die Freimaurer wie die Gesellschaft auf der Suche nach geistiger und direkter Freiheit stellen müssen. Der Austausch untereinander unter der Maxime der individuellen und unveräußerlichen Freiheit, Toleranz und Gleichberechtigung unter den Mitgliedern eröffnet nicht nur neue Horizonte. Es ist auch der geschützte Raum, der den Einzelnen gegenüber mehreren in der Loge als ebenbürtig aufbaut, der das Mitglied in seiner Entwicklung stärkt und fördert. Die Zusammenkunft der Logen unterscheidet nicht zwischen Herkunft, Vermögen, Stand oder Bildung. Die Brüder und Schwestern werden nach ihren Taten und Worten beurteilt.

Die Ideen der Aufklärung waren in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts besonders im Bürgertum und im Adel präsent, doch war die Gesellschaft gleichermaßen in ihren Strukturen und Herrschaftssystemen, die sich in Europa über Jahrtausende aufgebaut hatten, verhaftet. Es war also kein Zufall, dass Lafayette nach Amerika segelte. Die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung hatte vor allem politische und wirtschaftliche Gründe. Die Menschenrechtserklärung der Virginia Bill of Rights von 1776 war dabei von enormer Bedeutung. Die Revolutionäre hatten keine andere Wahl: Die Loslösung von der britischen Herrschaft forderte ein neues Gesellschaftssystem. Diese Loslösung gelang nur mit dem Instrument der Aufklärung. Das Recht auf Freiheit, Leben und Glück für jedermann war eine radikale Idee, die aus Europa in die Neue Welt getragen worden war. Ihre Umsetzung jedoch konnte nur auf dem amerikanischen Kontinent gelingen, nirgendwo sonst. Es gab schlichtweg keine Alternative, auf die ein neues Gesellschaftssystem in Amerika kulturell oder historisch aufgebaut werden konnte, als die Demokratie. Wenden wir uns aber nicht von der Wahrheit ab: Alle Menschen sind gleich geschaffen mit unveräußerlichen individuellen Rechten, das galt damals nicht für alle. Die Folgen von Sklaverei und Rassismus trägt die Welt bis heute mit sich wie eine Hypothek.

Doch die Gelegenheit, die sich für die Freiheit bot, war in der Menschheitsgeschichte einmalig: die komplette Loslösung von einem monarchischen System, die Begründung einer eigenen Bürgerlichkeit und die Deklaration eines eigenen Freiheits- und Wertekanons, der den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt des staatlichen Handelns stellt. Kurzum: Die Amerikaner des 18. Jahrhunderts haben Freiheit und Demokratie, so wie wir sie heute weltweit kennen und leben, in erster Linie für sich selbst erfunden. Dennoch war dies ein Schlüsselmoment der Menschheitsgeschichte, das die Französische Revolution maßgeblich bestimmen sollte. Die historische Herkunft der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution ist im revolutionären Amerika in der Bill of Rights zu finden.

Nach dem Krieg in Amerika kehrte Lafayette nach Europa in das vorrevolutionäre Frankreich zurück. Als Kriegsheld und Freiheitskämpfer gefeiert, besaß der noch immer nicht einmal dreißigjährige Lafayette großen Einfluss. Er hatte in seinem Gepäck nicht nur Orden und Andenken, sondern auch sein Wissen um den Freiheitskampf in Amerika und den daraus entstandenen Staat, dessen Repräsentanten vom Volk frei gewählt wurden.