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1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher
Gesamtherstellung:
W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-022617-3
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pdf: ISBN 978-3-17-024035-3
epub: ISBN 978-3-17-025513-5
mobi: ISBN 978-3-17-025514-2
Das Kapitel 3 des Buches basiert auf den Ergebnissen einer Expertentagung am 24.06.2011 über Modellansätze der verantwortlichen Fallsteuerung in Krankenhäusern, die vom Forschungs- und Transferzentrum der HAW Hamburg »Kooperatives Prozessmanagement im Gesundheitswesen« durchgeführt worden ist. Folgende Personen haben auf dieser Expertentagung Vorträge gehalten, die als Grundlage für die Beschreibung der Modellansätze in Kapitel 3 gedient haben:
Dr. Tobias Bergler,
Ingeborg Buhmann,
Christian de la Chaux,
Axel Düsenberg,
Dr. Oskar Freudenthaler,
PD Dr. Werner Hofmann,
PD Dr. Kai Hübel,
Manuela Krüger,
Jana Lahann,
Vera Lux und
Alexander Straube.
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Abb.1.1: Zielperspektiven und Lösungsansätze der Fallsteuerung
Abb.2.1: Verhältnis Prozessmanagement und -organisation
Abb.2.2: Prozesslinie und Steuerlinie
Abb.2.3: Prozessmanagement-Funktionen im engeren Sinn
Abb.2.4: Mehrebenenstrategie Case Management
Abb.2.5: Wechselbeziehung zwischen Fall- und Systemebene Case Management
Abb.2.6: Vergleich Prozessmanagement und Case Management
Abb.3.1: ECO-Konzeptelemente
Abb.3.2: ECO-Kernteam Arzt-Pflege
Abb.3.3: Aufgaben ECO-Pflegefachkraft
Abb.3.4: Entwicklung der postoperativen Verweildauern bei ACB-Herzklappen- oder Aorten-OP am UKR
Abb.3.5: Case Management auf Fallebene (Köln)
Abb.3.6: Entwicklung der Bettenzahlen, Aufnahmen, Terminverschiebungen (Köln)
Abb.3.7: Zusammenarbeit Arzt- und Pflegedienst am FEK
Abb.4.1: Zentralisierungsgrad und Steuerungsfokus
Tab.1.1: Kombinationsmöglichkeiten im Hinblick auf die Versorgungsgerechtigkeit
Tab.2.1: Prozessarten
Tab.2.2: Aktionsträger im Prozess
Tab.2.3: Prozessmanagement Maßnahmenbündel I
Tab.2.4: Prozessmanagement Maßnahmenbündel II
Tab.2.5: Vergleichskriterien Gruppe 1: Grundlagen der Konzepte
Tab.2.6: Vergleichskriterien Gruppe 2: Gegenstandsbereich der Konzepte
Tab.2.7: Vergleichskriterien Gruppe 3: Hauptansatzpunkt der Konzepte
Tab.2.8: Vergleichskriterien Gruppe 4: Managementverständnis der Konzepte
Tab.2.9: Vergleichskriterien Gruppe 5: Methodische Aspekte der Konzepte
Tab.2.10: Vergleichskriterien Gruppe 6: Intervention und Steuerung
Tab.3.1: Differenzierungsmerkmale Primary Nursing und Expert Care Organisation
Tab.3.2: Pflegeverantwortungsbereiche am Friedrich-Ebert-Krankenhaus
Dieser Band nähert sich dem komplexen Thema »Fallsteuerung im Krankenhaus« aus drei verschiedenen Perspektiven:
• einer krankenhauspolitisch-fachlichen im Kap. 1,
• einer manageriell-theoretischen in Kap. 2 und
• einer organisatorisch-praktischen in Kap. 3.
Alle Perspektiven zusammen sollen zu einem abgerundeten Bild dieses komplexen Themas beitragen. Im Folgenden werden die drei Perspektiven und die jeweiligen Hintergründe beschrieben, um den Lesern eine bessere Orientierung zu geben.
Fallsteuerung stellt sich als ein Verfahren für die Organisation der Krankenhausbehandlungsprozesse dar, das von immer mehr Krankenhäusern in seiner Vorteilhaftigkeit erkannt und in unterschiedliche Organisationsmodelle gekleidet wird. Das Kap. 1 klärt zunächst die Motive und Hintergründe für die Einführung der Fallsteuerung im Krankenhaus:
• Dazu werden zum einen Merkmale bestimmt, die zu einer Bedarfsgerechtigkeit der Versorgung gehören – ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Fallsteuerung.
• Zum anderen wird untersucht, welche ökonomischen Gründe es für eine Fallsteuerung im Krankenhaus gibt und wie diese sich zu einer fachlich-professionellen Sichtweise verhalten.
• Schließlich wird abgeleitet, welche Anforderungen eine Fallsteuerung im Krankenhaus zu erfüllen hat.
Eine Fallsteuerung ordnet den Behandlungsprozess neu und weist den Akteuren veränderte Aufgaben und Rollen zu. Das Kap. 2 setzt sich ausführlich mit zwei Konzepten auseinander, die in den letzten zehn Jahren zu einer theoretischen Fundierung der Fallsteuerung beigetragen haben:
• mit Prozessmanagement und Prozessorganisation, die sich – ausgehend von den Prozessen »normaler« Produktions- und Dienstleistungsunternehmen – um eine schnittstellenärmere Kooperation zur Erhöhung von Qualität und Effizienz bemühen, und
• mit dem Konzept des Case Managements, das in Sozial- und Gesundheitsorganisationen aus einer Klientenperspektive heraus zu einer bedarfsgerechten Koordination von Leistungen eingesetzt wird.
Diese beiden unterschiedlichen Konzepte werden im Kap. 2 zunächst einzeln charakterisiert und dann miteinander verglichen. Die Darstellung ist im besten Sinne des Wortes theorieorientiert, denn nichts ist bekanntlich so praktisch wie eine gute Theorie. Schließlich sollen die Leserinnen dieses Kapitels die theoretischen Konzepte für die Fallsteuerung erfassen, um dann die im Kap. 3 vorhandenen Praxiskonzepte beurteilen zu können.
Die Darstellung soll auch dazu dienen, dass die Leser mit Hilfe dieses Kapitels eigene Ansätze zur Fallsteuerung aus diesen beiden Konzepten entwickeln können. Wer mit der – trotz der eleganten Darstellung – etwas sperrigen Nomenklatur Schwierigkeiten hat, lese vielleicht erst das Kap. 3; manchmal stellen sich die Dinge einfacher dar, wenn zunächst der Anwendungsbezug geklärt ist.
Das Kap. 3 präsentiert fünf unterschiedliche Praxiskonzepte und Organisationslösungen für eine Fallsteuerung im Krankenhaus, die jedoch eine Gemeinsamkeit aufweisen: Alle Ansätze beruhen auf einem erweiterten Aufgaben- und Handlungsspielraum von Pflegenden im Bereich der Fallsteuerung. Die Modellansätze sind
• das Primary-Nursing-Modell, das eine dezentrale Fallsteuerung beinhaltet,
• das Case-Management-Modell, das von einer eher zentral ausgeführten Fallsteuerung ausgeht, und
• das zwischen diesen beiden Ansätzen sich befindliche semizentrale Modell.
Diese drei Modellansätze sind auf einer Expertentagung des KoPM®-Zentrums der HAW Hamburg am 24.6.2011 vorgestellt und diskutiert worden. Ziel dieser Expertentagung war es,
• anhand von Impulsreferaten und Materialien aus Referenzkrankenhäusern die unterschiedlichen Modellansätze zu verdeutlichen,
• bei der Darstellung der Modelle durch eine Beschreibung mittels eines einheitlichen Kriterienrasters die spezifischen Eigenheiten der jeweiligen Ansätze nachvollziehbar zu machen und
• zu einer ersten vorläufigen Einschätzung der Bedeutung, Funktionalität und Eignung der Modelle zu kommen.
An dieser Stelle sei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern des jeweiligen Krankenhauses für ihre Mitwirkung an dieser Expertentagung herzlich gedankt. Ohne ihre Mitwirkung und ihre Bereitschaft zur Informationsweitergabe wäre die Expertentagung nicht so ein Erfolg und dieser Teil der Veröffentlichung nicht realisierbar gewesen. Unser Dank geht an
• Dr. Tobias Bergler, Universitätsklinikum Regensburg,
• Ingeborg Buhmann, Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf,
• Christian de la Chaux, FEK Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster,
• Axel Düsenberg, DRK-Krankenhaus Clementinenhaus Hannover,
• Dr. Oskar Freudenthaler, DRK-Krankenhaus Clementinenhaus Hannover,
• PD Dr. Werner Hofmann, FEK Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster,
• PD Dr. Kai Hübel, Universitätsklinikum Köln (AöR),
• Manuela Krüger, DRK-Krankenhaus Clementinenhaus Hannover,
• Jana Lahann, FEK Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster,
• Vera Lux, Universitätsklinikum Köln (AöR),
• Alexander Straube, Universitätsklinikum Regensburg.
Um die Lesbarkeit des Textes zu verbessern, haben wir auf eine durchgehende gendergerechte Ausdrucksweise verzichtet. Vielmehr haben wir an einigen Stellen die weibliche Form, an anderen Stellen die männliche Form verwendet; die jeweils andere Gruppe möge sich bitte mit angesprochen fühlen.
Hamburg, im Herbst 2013
Prof. Dr. Knut Dahlgaard |
Prof. Dr. Peter Stratmeyer |
Dieses Kapitel führt grundlegend in das Thema der Fallsteuerung ein. Dabei wird herausgearbeitet, dass Fallsteuerung professionsübergreifend die gesamten Versorgungsprozesse in den Blick nehmen muss ( Kap. 1.1), komplexe Anforderungen an die Krankenhausversorgung stellt ( Kap. 1.2) sowie im Spannungsfeld zwischen einerseits eher wirtschaftlichen Interessen und andererseits fachlich-professionellen Motiven angesiedelt ist ( Kap. 1.3).
Seit vielen Jahren beklagen Krankenhausverantwortliche und deren Mitarbeiterinnen sowie auch ärztliche und pflegerische Berufsverbände die unzureichend abgestimmten Arbeitsprozesse zwischen Ärzten und Pflegenden im Krankenhaus. Darunter leidet die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser, die Dienstleistungsqualität wie auch gleichermaßen die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. So hat beispielsweise der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) in seinem Jahresgutachten 2007 hier erheblichen Reformbedarf festgestellt1.
Es wird deutlich, dass auch die Kernleistung des Krankenhauses – die stationäre Behandlung und Pflege von Patienten – nicht mehr ohne Weiteres als qualitativ hochwertig und effizient angesehen werden kann. Zu viele Schwachpunkte und Probleme werden in den Krankenhäusern und auch in der Öffentlichkeit thematisiert: hohe Kosten der Diagnostik und Therapie bei vergleichsweise nur mittelmäßigen Gesundheitswirkungen, Unterversorgung in bestimmten Bereichen, mangelhafte Kooperation zwischen den Akteuren, Überdiagnostik ohne Therapierelevanz, zunehmender Fachkräftemangel usw.
In den letzten Jahren haben viele Krankenhäuser sich engagiert um Reformen bemüht, die auch den Kernleistungsbereich der ärztlichpflegerischen Versorgung qualitativ besser und effizienter organisieren sollen. Größere Öffentlichkeitswirksamkeit haben in jüngerer Zeit Konzepte erzielt, die die Arbeitsteilung von Ärzten und Pflegenden neu arrangieren. Im Vordergrund stand dabei eine Delegation von ehemals ärztlichen Aufgaben an Pflegende. Erst im Jahre 2011 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Richtlinie zur Heilkundeübertragung im Rahmen von Modellvorhaben beschlossen, die Pflegenden vermehrt autonome Handlungsmöglichkeiten im medizinischen Bereich ausgewählter Diagnosen und Prozeduren gewähren soll.2 Weitergehende Konzepte – wie die aus dem angloamerikanischen Raum stammende Advanced Nursing Practice – stehen noch nicht so im Vordergrund, weil für deren Realisierung derzeit die strukturellen und rechtlichen Hürden zu hoch sind. Sie stehen für eine größere therapeutische Verantwortungsübernahme in einem erweiterten Aufgaben- und Handlungsspielraum von Pflegenden.
Im Rahmen der derzeit geltenden rechtlichen Möglichkeiten will auch das Modell »Kooperatives Prozessmanagement im Krankenhaus« (KoPM®) eine funktionelle, qualitätsfördernde und für Ärzte und Pflegende gleichermaßen befriedigende kooperative Arbeitsteilung erreichen. Pflegende erhalten einen erweiterten Verantwortungs- und Kompetenzrahmen und Ärzte können sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Besonderes Kennzeichen dieses Modells ist die Nutzung des Ansatzes der Prozessorganisation, der auf die Optimierung der kooperativen Arbeitsabläufe von Ärzten und Pflegenden abzielt.3
Fallsteuerung im Krankenhaus ist ein Ansatz, der aus einer fallbezogenen Perspektive heraus die Leistungen für die Gesundheitsversorgung des einzelnen Patienten bedarfsgerecht, qualitativ hochwertig und effizient planen und bereitstellen will. Die Fallsteuerung führt den Patienten durch den ab und zu als Dschungel wahrgenommenen Versorgungsalltag im Krankenhaus und unterstützt ihn in seiner Rolle als mündiger Leistungsnehmer – auch dann, wenn er diese Rolle nicht oder nicht mehr ausfüllen kann. Zudem sorgt eine gut funktionierende Fallsteuerung auch für fallgerechte Erlöse und liefert valide Informationen für das Krankenhaus, z. B. wie die Versorgung ganzer Patientengruppen zukünftig noch besser gestaltet werden kann. Sie geht so in eine Systemsteuerung über.
Weitgehender Konsens in der Krankenhausversorgung ist, dass den Patienten notwendige Leistungen nicht vorenthalten werden dürfen, aber Unnötiges und Verschwenderisches nach Möglichkeit vermieden werden soll. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) hat in seiner Analyse der Versorgungssituation chronisch Kranker hierzu Maßstäbe entwickelt, die nicht nur, aber insbesondere für die Zielgruppe der chronisch Kranken von großer Bedeutung sind.
Im Hinblick auf die Indikationsgenauigkeit von Gesundheitsleistungen unterscheidet der SVR
• einen objektiven Gesundheitsbedarf, der sich unter Berücksichtigung evidenzbasierter Erkenntnisse aus Expertensicht ergibt, sowie
• einen subjektiven Gesundheitsbedarf, wie ihn die Betroffenen sehen und wie er von ihnen nachgefragt wird.4
Eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Versorgung im Sinne des Krankenversorgungsrechts (Sozialgesetzbuch V) liegt nach Ansicht des SVR vor, wenn
• gesundheitliche Leistungen angezeigt sind, d. h. nicht ausschließlich aus subjektiven Wünschen resultieren,
• diese einen hinreichend gesicherten, positiven Netto-Nutzen aufweisen, d. h. die zu erwartende Verbesserung des Gesundheitszustands größer ist als die mit der Maßnahme verbundenen Risiken,
• die Leistung fachgerecht und
• mit akzeptabler Kosten-Nutzen-Relation erbracht wird.5
An dieser Aufstellung wird deutlich, dass die Probleme einer optimalen Patientenversorgung mit dem Grad der Versorgungskomplexität zunehmen. Je mehr Behandlungsalternativen in ihren jeweiligen Konsequenzen auf Heilungserfolg bzw. Leidensverringerung abgewogen werden müssen, je mehr die Patienten- oder Angehörigennachfrage nach Leistungen sich an der Experteneinschätzung bricht und je weniger der Gesundheitsnutzen den Ressourceneinsatz rechtfertigt, desto schwieriger ist es, eine vermeintlich richtige Entscheidung zu treffen.
Der SVR identifiziert viele Anhaltspunkte für Über-, Unter- und Fehlversorgung, die er wie folgt definiert:
Eine Unterversorgung liegt vor, wenn Leistungen »trotz individuellen, professionell, wissenschaftlich und gesellschaftlich anerkannten Bedarfs [. . .] mit hinreichend gesichertem Netto-Nutzen« verweigert werden.
Eine Überversorgung tritt ein, wenn »nicht indizierte Leistungen« oder »Leistungen ohne hinreichend gesichertem Netto-Nutzen« oder mit nur geringem Nutzen und nicht zu rechtfertigendem Kostenaufwand (ökonomische Überversorgung) erbracht werden.
Eine Fehlversorgung tritt auf, wenn durch die Leistungen vermeidbare Schäden entstehen:
• durch an sich bedarfsgerechte Leistungen, die nicht fachgerecht erbracht werden,
• durch nicht bedarfsgerechte Leistungen, die fachgerecht oder nicht fachgerecht erbracht werden,
• durch unterlassene bzw. nicht rechtzeitige Durchführung indizierter Leistungen im Rahmen einer Behandlung.6
Bedarfseinschätzung und Versorgungsqualität lassen somit diverse Kombinationsmöglichkeiten zu, die für bedarfsgerechte bzw. nicht bedarfsgerechte Versorgung sprechen können.
Tab. 1.1: Kombinationsmöglichkeiten im Hinblick auf die Versorgungsgerechtigkeit7
Leistung wird fachgerecht erbracht Leistung wird nicht fachgerecht erbracht Leistung wird nicht erbracht
Eingedenk der Ausführungen des SVR hat Fallsteuerung im Krankenhaus darauf abzuzielen, den Anteil der Patienten, der eine bedarfsgerechte Versorgung erhält, möglichst zu erhöhen und Über-, Fehl- bzw. Unterversorgung zu minimieren. Allerdings muss angenommen werden, dass an den Rändern des oben genannten Grundkonsenses, das Richtige richtig zu tun und alles Weitere zu unterlassen, erhebliche Interessensgegensätze wirksam werden. Wie unten zu zeigen sein wird, programmiert das derzeitige Finanzierungssystem die Krankenhäuser nicht automatisch in Richtung einer bedarfsgerechten Versorgung, sondern setzt durchaus Impulse zur Unter- und Fehlversorgung. Zwar bieten die Kontrollinstanzen der Krankenversicherung hier ein gewisses Regulativ. Aber auch die Krankenversicherungen unterliegen wettbewerblichen Zwängen und staatlicher Regulation, sodass sie den Krankenhäusern nicht nur ein gehöriges Maß an (teilweise berechtigtem) Misstrauen entgegenbringen, sondern auch ihrerseits durchaus Anreizen ausgesetzt sind, die in Richtung Unterversorgung weisen können. Auch drohen Patienten (oder ihre Zuweiser) den Krankenhäusern verloren zu gehen, wenn bestimmte erwartete Leistungen nicht erbracht werden. In diesem Spannungsfeld zwischen
• Patientenbedürfnissen,
• Zuweiseranforderungen,
• eigenen professionellen Ansprüchen an eine fachgerechte Diagnostik, Therapie und Pflege,
• wirtschaftlichen Interessen zur nachhaltigen Sicherung des (eigenen Arbeitsplatzes) Krankenhauses sowie
• einem auf das Gemeinwohl orientierten Interesses zum schonenden Umgang mit gesellschaftlich begrenzten Ressourcen
bewegt sich Fallsteuerung im Krankenhaus. Dabei geht es – zum Glück nicht immer, aber häufig – um schwierige Abwägungsprozesse zwischen externen Anforderungen, fachlich-professionellen Motiven und moralischen Ansprüchen an eine humane und gerechte Gesundheitsversorgung.
In der Darstellung des anglo-amerikanischen Case Managements verweist Ewers auf drei Kernfunktionen, »die in der einen oder anderen Form in allen Case-Management-Konzepten enthalten sind: die Advocacy-, die Broker- und die Gate-Keeper-Funktion«. Sie sind gut geeignet, das widersprüchliche Spannungsfeld zu kennzeichnen8 ( Kap. 2.2.5).
Die Krankenhausfinanzierung steht wegen ihrer besonderen Wachstums- und Kostendynamik seit vielen Jahrzehnten in der Aufmerksamkeit der deutschen Gesundheitspolitik. Gut ein Viertel der gesamten Gesundheitsausgaben entfallen auf Krankenhausleistungen – mit steigender Tendenz.9 Das Krankheits- und Pflegerisiko ist stark altersassoziiert. Der Anteil der davon Betroffenen an der Gesamtbevölkerung wird sich aller Voraussicht nach bis zum Jahre 2030 erheblich erhöhen. Bezogen auf das Basisjahr 2005 wird er in der Gruppe der 60–70-Jährigen um etwa 25,6 %, bei den über 70- bis 80-Jährigen um 38,6 %, bei den über 80- bis 90-Jährigen um 57,8 % und bei den über 90-Jährigen um 157 % steigen.10 Ältere sind damit auch überproportional häufig Krankenhauspatienten. »Während im Jahr 2005 etwa jeder vierte Einwohner 60 Jahre oder älter war, gehörte fast jeder zweite Krankenhauspatient diesen Altersgruppen an. Die 60- bis unter 80-Jährigen (20 % der Bevölkerung) stellen 35 % der Krankenhausfälle, die über 80-Jährigen (4 % der Bevölkerung) 13 %.«11 Der medizinische – und auch pflegerische – Fortschritt leistet das Seinige, um die Versorgung zwar besser, aber eben auch kostenträchtiger zu machen, und dreht somit ebenfalls an der Demografieschraube durch Verlängerung der Lebenszeit.
Mit diversen Steuerungsinstrumenten war und ist die Gesundheitspolitik bemüht, die mit Leistungsausweitung und -intensivierung verbundene Kostendynamik wenn auch nicht zu bremsen, so doch zumindest abzuschwächen. Die Geschichte der Krankenhauspolitik ist somit v. a. eine Politik der Kostenbegrenzung.12 Ein besonderer historischer Schachzug ist zweifellos mit der Einführung der Diagnosis Related Groups (DRGs) zur Finanzierung der Krankenhausleistungen gelungen. Das seit 2003 gültige Abrechnungssystem hat den Krankenhäusern bis dato nicht bekannte Anreize geboten. Nicht mehr die Liegezeit von Patienten und auf der Grundlage von Realkosten individuell vereinbarte Pflegesätze stellten fortan Grundlage der Vergütung dar, sondern pauschalisierte diagnosebezogene Leistungen. Krankenhäuser sind nunmehr gehalten, sich so zu organisieren, dass sie mit den nicht mehr verhandelbaren Festpreisen kostendeckend wirtschaften können. Neben einer ganzen Reihe von Spar- und Rationalisierungsmaßnahmen im Bereich von Service- und Supportleistungen gerät zunehmend auch der Kostentreiber Kernprozess der patientenbezogenen Leistungserstellung ins Kalkül der Einsparung. Der Trend zur Verkürzung der Liegezeit der Patienten im Krankenhaus hat sich unter DRG-Bedingungen bis heute weiter verstetigt und lag im Jahre 2010 bei durchschnittlich 7,9 Tagen.13
An die Fallsteuerung ergeben sich aus diesen Entwicklungen einige Anforderungen. Die Frage notwendiger Krankenhausleistungen stellt sich nämlich nicht erst nach Aufnahme eines Patienten, sondern bereits dann, wenn es darum geht, ob dieser Patient überhaupt eine hinreichende Indikation für die stationäre Behandlung aufweist. Angesichts der kontinuierlichen Fallzahlsteigerungen – alleine im Zeitraum von 2005 bis 2010 um 9 %14 – suchen die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung in ihren Prüfungen daher nach diesen »primären Fehlbelegungen«. Vergütungen werden für diese Fälle dann nur noch in der Höhe der deutlich niedrigeren ambulanten Gebührensätze gewährt. Um die Gefahr einer »selbstinduzierten Nachfrage« als Regulativ zur Belegungssteuerung des Krankenhauses zu minimieren, haben die Spitzenverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sich am 15.04.2004 auf einen gemeinsamen Kriterienkatalog geeinigt (»German Appropriateness Evaluation Protokoll«, G-AEP), der dem Krankenhausarzt als rationale Entscheidungsgrundlage und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) als ebenso rationale Prüfgrundlage dienen soll. Die Krankenhausindikation wird entlang der Kriterien vollzogen:
• Schwere der Erkrankung,
• Behandlungsintensität,
• Invasivität der Maßnahmen,
• Betreuungsanforderung und
• sozialen Faktoren, die eine Krankenhausbehandlung notwendig werden lassen (z. B. fehlende Versorgungsmöglichkeiten nach einer Operation).
In internationalen Studien konnte durch die Anwendung dieser G-AEP-Kriterien ein signifikanter Rückgang der Fehlbelegungen zwischen 3 % und 6 % erzielt werden.15 Mit der G-AEP-Prüfung wird zwar der bürokratische Aufwand im Aufnahmeprozess erhöht, gleichzeitig allerdings auch die Sicherheit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Fallsteuerung im Krankenhaus schließt somit initial die Frage ein, ob für die Patienten eine medizinische Krankenhausindikation besteht. Es müssen bei Nichtaufnahme sorgfältig Versorgungsrisiken antizipiert und gleichermaßen sorgfältig ggf. komplementäre Unterstützungsleistungen kurzfristig identifiziert und mobilisiert werden.
Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Aufnahmesituation zugleich die Visitenkarte des Krankenhauses darstellt, die den Patienten (und Angehörigen) einen nicht mehr zu korrigierenden ersten Eindruck von der Zugewandtheit, Servicefreundlichkeit und Funktionalität des Krankenhauses vermittelt. Für die Fallsteuerung werden hier die zentralen Weichen für die weitere Versorgung gestellt. Ist der Patient erst einmal aufgrund mangelnder fachlicher Kompetenz der aufnehmenden Ärzte und Pflegenden auf den falschen oder weniger geeigneten Weg gebracht, sind Korrekturen meistens mit Zeit und erhöhtem Aufwand verbunden. Im Interesse vorausschauender Planung und effektiver Abläufe sollten daher bereits in der Aufnahmesituation poststationäre Versorgungsprobleme antizipiert werden.
Da Patientenaufnahmen in Art und Umfang zumindest im Bereich der Notfälle niemals exakt vorhersehbar sind, bedarf es einer engen und dynamischen Vernetzung zwischen der Aufnahmeabteilung und Instanzen, die die Belegung der Stationen einschließlich der elektiven Aufnahmen aus einer Hand steuern, sowie der für die Patientenentlassung Verantwortlichen. Einerseits geht es um Übertragung von Befugnissen für diese Aufgaben und andererseits auch um Beschneiden von etablierten Zugriffsrechten, wenn beispielsweise Oberärzte und Chefärzte ohne Rückkopplung zum Belegungsmanagement eigenmächtig über Aufnahmen entscheiden wollen.