Jörg Maurer

Niedertracht

Alpenkrimi

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Jörg Maurer

Jörg Maurer ist Nr.-1-Bestsellerautor und wurde als Autor von zwölf Kriminalromanen wie auch als Kabarettist mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Kabarettpreis der Stadt München, dem Agatha-Christie-Krimi-Preis, dem Publikumskrimipreis MIMI und dem Radio-Bremen-Krimipreis. Jörg Maurer stammt aus Garmisch-Partenkirchen. Nach dem Studium der Germanistik und Theaterwissenschaften arbeitete er als Lehrer, dann als Kabarettist, bis er sich dem Schreiben zuwandte.

 

Die Website des Autors: www.joergmaurer.de

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Hier trägt das Böse Tracht: Der dritte Alpenkrimi mit Kommissar Jennerwein

In der Gipfelwand hoch über einem idyllischen alpenländischen Kurort findet die Bergwacht eine Leiche. Wie kam der Mann ohne Kletterausrüstung überhaupt dort hin? Kommissar Jennerwein ermittelt mit seinem Team zwischen Höhenangst und Almrausch, während sich die Einheimischen in düsteren Vorhersagen über weitere Opfer ergehen. Was hat derweil die merkwürdige Mückenplage in Gipfelnähe zu bedeuten, warum besitzt ein alter Imker auf einmal viel Geld, und wieso hilft ein Mafioso, ein Kind aus Bergnot zu retten? Jennerwein hat einen steilen Weg vor sich …

Impressum

Coverabbildung: bürosüd°, München, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock und Getty Images (Gemsen)

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-400860-8

Fußnoten

Gibt es doch: die Fußnote. Die Fußnote bildet genau den Sprung ab von den Höhen des Textgebirges in die Tiefen des banalen Lebens. Gerade noch klebte der Textfex an den Steilwänden der Erzählung, schon schlingert und strauchelt er durch die Buchstaben, bis er unten auf dem Boden der Alltäglichkeit landet. Ist man nicht zerschmettert liegen geblieben, versucht man es nochmals. Allerdings ist so ein Wiedereinstieg in die Wand schwierig und lustvoll zugleich. Zurück zu Kommissar Jennerwein.

»Zu wem soll ich andauernd hinübergeglotzt haben?«

»Da fragst du noch. Zu der Dunkelhaarigen mit den Spaghettiträgern, zwei Tische weiter.«

»Wer, ich?«

»Wer sonst! Alle paar Sekunden hast du einen Grund gefunden, dich umzudrehen. Einmal hast du die Speisetafel an der Wand studiert, dann hast du nach dem Ober gerufen, am Ende hast du nachgesehen, woher es so zieht.«

»Ich habe mich ja extra so hingesetzt, dass ich den restlichen Raum im Rücken hatte.«

»Und warum?«

»Weil ich schon wusste, wie du reagierst.«

»Ah! Du hast sie also doch gesehen.«

»Ja logisch habe ich sie gesehen. Ich musste doch an ihr vorbei, als ich reinkam.«

»Dann hast du dich also extra mit dem Rücken zu ihr gesetzt, weil du sie sonst dauernd angeglotzt hättest!«

»Nein, weil ich dir gegenüber sitzen wollte.«

»Jetzt bin ich auch noch schuld! Wenn du wirklich kein Interesse an ihr gehabt hättest, dann

»Wie glotzt man denn jemanden nicht an?«

»Jetzt reicht’s mir aber. Du drehst mir jedes Wort im Mund herum!«

 

Beim letzten Satz war sie laut geworden. Er hatte den Klang ihrer Stimme noch stundenlang im Ohr gehabt, selbst als er schon im Zug saß. Er war mit dem Taxi zum Hauptbahnhof gefahren, hatte eine Fahrkarte gekauft und war in einen Zug gestiegen, der ihn Richtung Süden, Richtung Sonne bringen sollte. Ein Glück, dass er selbstständig war, sein kleiner Einmannbetrieb würde auch ein paar Tage ohne ihn auskommen. Niemand würde ihn vermissen. Er konnte sich den Luxus leisten, alles spontan hinzuwerfen und ein paar Tage Auszeit zu nehmen.

 

»Wenn du wieder so anfängst«, hatte er gesagt, »dann brauchen wir ja gar nicht mehr weiterzureden.«

»Typisch, ganz typisch! Sobald es Schwierigkeiten gibt –«

Er war aufgestanden und zur Tür gegangen.

»Ja, hau nur ab, verschwinde!«, hatte sie ihm quer durchs Lokal nachgerufen. »Und lass dich nie wieder bei mir blicken!«

 

»Hallo, ist Ihnen nicht gut?«

»Doch, doch, ich bin bloß ein bisschen zu lange in der Sonne gewesen.«

»Kommen Sie mit mir, da drüben gibt es eine bequeme Bank. Da sitzt meine Frau, die hat Sonnencreme dabei. Sie müssen unbedingt etwas trinken. Das hilft am besten bei Sonnenstich. Kommen Sie.«

Er stand auf und ging mit dem Fremden mit. Sie stolperten über ein kleines Geröllfeld.

»Sind Sie das erste Mal hier in den Bergen?«

Zunächst stützte ihn der großgewachsene Fremde noch, als der Weg wieder ebener wurde, ließ er locker.

»Ich glaube, dort drüben ist meine Frau.«

Das Plateau brach ab, kalter Wind pfiff ihm ins Gesicht. Er sah weit und breit keine Frau. Er sah überhaupt keinen Menschen mehr, der hilfsbereite Fremde war hinter ihm geblieben. Er blickte sich um. Eine Faust kam auf ihn zugeflogen. Der Schlag war schnell, hart und humorlos.

Gleich nachdem er das Lokal verlassen hatte, bereute sie es schon wieder, ihren Freund so angeschrien zu haben. Doch sie hatte ihren Stolz, sie wartete auf seinen Anruf. Als er sich am Abend des nächsten Tages immer noch nicht gemeldet hatte, begann sie, sich Sorgen zu machen. Sie fragte bei seinen Freunden, niemand wusste, wo er war. Er ging nicht ans Telefon. Die Polizei konnte ihr auch nicht helfen. Ist so etwas schon öfter vorgekommen? Aber sicher, schon ein paar Mal. Ja, dann! Ja, dann? – Was soll das heißen? Der Fall wurde aufgenommen und zu den Akten gelegt. Am Morgen des nächsten Tages beschloss sie, zu handeln und Nachforschungen auf eigene Faust anzustellen. Er war ein Fluchttyp, ein Pferdemensch, er war Problemen schon immer gerne aus dem Weg gegangen. Da er kein Auto besaß und nicht gerne flog, hielt sie es für am wahrscheinlichsten, dass er in einen Zug gestiegen und irgendwohin gefahren war. Irgendwohin. Er war einer von denen, die irgendwohin fahren.

»Kennen Sie diesen Mann?«

Nein, warum, wer ist das, kenne ich nicht. Endlich betrachtete ein Schalterbeamter das Foto genauer:

»Ja, der hat hier eine Fahrkarte gekauft. An den

»Wissen Sie, wohin er gefahren ist?«

»Er wollte nach Messina, ich habe ihm eine gute Verbindung herausgesucht. Der Zug wäre am nächsten Morgen losgefahren, mit nur viermal umsteigen – das ist doch eine Spitzenleistung der Deutschen Bundesbahn! Er aber wollte unbedingt den nächstmöglichen Zug nach Messina. Gut, sage ich, der braucht halt dann über sechsunddreißig Stunden, man muss zehnmal umsteigen – aber bitte, der Kunde ist König, auch wenn es ein zorniger König ist.«

 

Nach Messina also. Wieso ausgerechnet dorthin? Sie ließ sich die genaue Verbindung mit allen Zwischenstopps ausdrucken. Sie konnte sich vorstellen, dass sein Zorn in der Höhe von Flintbek, spätestens aber in Bordesholm schon halbwegs verraucht war. Sie nahm den nächsten Zug nach Bordesholm und durchkämmte den ganzen Bahnhofsbereich. Den Taxistand, die Imbissbude und den Blumenladen (wer weiß!), die Fahrkartenschalter.

Nein, nie gesehen, kenn ich nicht, wer soll das sein. Vielleicht war ja sein Zorn in Bordesholm oder Einfeld noch nicht verflogen, vielleicht glühte er auch noch in Neumünster oder am Ende bis nach Hamburg. Wie weit reichte die eigensinnige Rage eines temperamentvollen Mannes? Vielleicht sogar bis Würzburg? Sie begann noch einmal von vorn.

jädi-ü-ho jodi-ü-hö

jädi-ü-hö hollaradi ri-hö

Jodler aus dem Werdenfelser Land

Die beiden Wanderer bogen um die Kurve und blieben stehen. Sie waren jetzt auf zweieinhalbtausend Meter Höhe, die Luft war merklich kühler als unten im Kurort, wo die Touristen schon in kurzen Hosen von Eisdiele zu Eisdiele schlenderten. Hier oben wurden die beiden Wanderer von bösen Winden attackiert. In der Ferne bäumten sich zwei unförmige Gebirgskegel mit windschiefen, gezackten Gipfeln auf: links die Gatterlköpfe, rechts die Plattspitzen.

»Was sind denn das für Berge?«, fragte der eine der Wanderer.

»Links, das ist der Brunntalstein, rechts der Blassenkopf«, entgegnete der andere.

»Ist das rechts nicht eher das Schroffkogeleck?«

»Das Schroffkogeleck auf keinen Fall.«

»Es muss das Schroffkogeleck sein. Der Blassenkopf ist doch ganz woanders.«

Der Blassenkopf lag wirklich ganz woanders. Der Brunntalstein und das Schroffkogeleck aber auch.

 

»Idioten«, sagte der eine der Wanderer.

Es war ein Polizeieinsatz. Drei Mitglieder der Mordkommission IV, nämlich Hauptkommissar Hubertus Jennerwein, die Polizeipsychologin Dr. Maria Schmalfuß und der Polizeiobermeister Johann Ostler, waren, wie die vielen Touristen auch, mit der Gondel auf den Zugspitzgipfel, dann mit der Gletscherseilbahn aufs Platt gefahren, den Rest der Strecke mussten sie zu Fuß gehen. Sie waren von der Bergwacht alarmiert worden.

»Da stimmt was net!«, hatte der Bergwachtler gesagt.

»Es ist wirklich ein ungewöhnlicher Fundort«, schrie Polizeiobermeister Ostler gegen den jaulenden Wind an, der jetzt aufkam. Kommissar Jennerwein sprang auf einen unförmigen, riesigen Stein, er bot Maria Schmalfuß die Hand. Hier auf dem Zugspitzplatt taten sich rechts und links schon einmal Spalten mit zehn, zwanzig Meter Tiefe auf. Es war Ende Juni, und nur noch einzelne schmutzige Schneerestchen waren von dem einst prächtigen Gletscher übrig geblieben. Das karstige Gelände war jedoch ausgesprochen belebt, immer wieder mussten ihnen

 

»Hier war früher alles meterhoch mit Eis bedeckt«, rief Ostler und sprang zum nächsten Stein.

»Wie eigentlich ganz Bayern«, schrie Jennerwein zurück. Der Scherz wurde ihm von einem Windstoß weggerissen, der aus dem Tschechischen herübergekommen war, einem czesky vzduch.

»Es gibt viele Geschichten rund um die Zugspitze, vor allem um das Zugspitzplatt. Wenn der Hölleisen jetzt hier wäre«, fuhr Ostler fort, »dann würde er gleich eine passende Anekdote dazu erzählen.«

Franz Hölleisen war wie Johann Ostler ebenfalls Polizeiobermeister im Kurort. Er kannte jeden Grashalm, seine Familie war seit dem Mittelalter hier ansässig. Sein Vater war Gendarm in der Gemeinde gewesen, sein Großvater ebenfalls. Und der Enkel hatte immer mit einem Sack voller Schnurren und Schmarren aus dem Polizei- und Bergsteigerleben

 

»Die Bergwacht hat uns angerufen«, sagte Ostler in die relative Stille hinein. »Sie haben einen anonymen Hinweis bekommen, dass eine seltsame Gestalt in einer Felsnische kauert.«

»Ein anonymer Hinweis?«, fragte Jennerwein verwundert.

»Der mysteriöse Zeuge wollte weder seine Personalien noch seinen Standort angeben, die Position des Opfers hat er dafür umso genauer geschildert: Leblose Person im oberen Teil der Wand der Schneefernerscharte. Unterhalb der Gratrippe, die vom Zugspitzeck südwestlich abgeht. Ein Felssporn, der das Kar auf seiner Nordseite begrenzt. Etwa sechzig Meter unterhalb des Aussichtspunkts – etwas von der Art. Richtig professionell, wie ein Pilot, sogar auf englisch. Wie einer, der sich am Berg auskennt.«

»Sehr ungewöhnlich«, murmelte Maria. »Ein Retter ist doch normalerweise stolz darauf, jemandem geholfen zu haben. Er nennt als Erstes seinen Namen. Äußerst merkwürdig.«

 

Sie hatten eine Anhöhe erreicht, die bis auf ein paar Flechten ganz und gar vegetationslos war und die

»Gell, da schnaufen sie, die Damen und Herren Flachlandkriminaler!«, unkte Ostler. »Aber es ist nicht mehr weit.«

 

In seiner Eigenschaft als Polizeibergführer war Ostler sozusagen Fachvorgesetzter der beiden, er fühlte sich verantwortlich für deren Wohlergehen bei solch einer Tour, deshalb lief er voraus, gab den Schritt vor und blickte nur ab und zu zurück, um sie zu beobachten. Setzte ihnen die dünner werdende Höhenluft

»Frau Doktor, lassen Sie sich Zeit! Wollen Sie den Steinböcken Konkurrenz machen?«

Frau Doktor hatte jetzt kein Lungenbläschen mehr frei zu einer frechen Entgegnung. Jennerwein lächelte schweratmend.

 

Nach der Steigung kamen sie auf eine kleine Hochebene, auf ein holpriges Plateau mit dünnen Flechten, das nach ein paar Metern mit einem eisernen Geländer abschloss. Dahinter ahnte man es schon, das Nichts. Man roch es auch, und man hörte es, am Seufzen und Raunen der Winde, die allen Mut zusammennahmen, bevor sie sich hinabstürzten ins Ehrwalder Tal. Die gemeldete leblose Person, derentwegen sie heraufgefahren und dann eine halbe Stunde weitergegangen waren, musste hier unter dem Geländer in der Steilwand hängen.

»Ist Hansjochen Becker mit seinen Spurensicherern noch da?«, fragte Jennerwein.

»Nein«, entgegnete Ostler, »die haben ihre Apparaturen schon eingepackt und sind mit dem Hubschrauber davongeflogen.«

»In welcher Höhe befinden wir uns hier?«, fragte Maria mit belegter Stimme. Jennerwein sah zu ihr hin, sie war blass. Die Höhenluft?

Die beiden Männer näherten sich vorsichtig den begrenzenden Vierkanteisenstangen, die Psychologin blieb wie angewurzelt stehen, sie bekam einen gehetzten Blick und setzte sich auf einen Stein. Jennerwein und Ostler beugten sich über die eiserne Brüstung und blickten in den Abgrund.

»Toller Ausblick, wie?«, sagte Ostler. Unter ihnen breitete sich die Urlandschaft aus wie ein Buch mit prächtiger, aber unleserlicher Schrift. Es war keine senkrecht abfallende Steilwand, die sich da auftat, aber die spitzwinklige Neigung, mit der es hinunterging ins Habsburgische, machte den Abgrund eigentlich noch deutlicher. Jennerwein schnipste ein Steinchen in die Tiefe, als kleinen Gruß an Sir Isaac Newton – den mit der Lockenperücke und der Gravitation. Wenn man den Blick hob, konnte man in der Ferne ein junigrünes Tal sehen, Felder sprenkelten die Landschaft, und dahinter türmten sich die österreichischen Alpen auf.

 

Er warf ein zweites Steinchen hinunter, diesmal nur so. Ostler drehte sich um und klopfte sich den Schmutz von der Hose.

»Frau Doktor«, sagte er, »was ist mit Ihnen, gehts Ihnen nicht gut?«

»Doch, natürlich, ich verschnaufe mich nur ein wenig«, sagte diese in einiger Entfernung. »Was ist eigentlich mit dieser Absperrung? Die ist doch wohl viel zu leicht zu überwinden. Ist hier denn noch nie etwas passiert?«

Ostler zögerte ein bisschen, bevor er weitersprach. Jennerwein musste lächeln. Er bemerkte so ein Zögern sofort. Das waren diese Sekunden bei einem Verhör, bei denen der andere fieberhaft überlegt, ob er ein bestimmtes Detail ansprechen soll oder nicht. War da etwas Persönliches im Spiel? Hatte Polizeiobermeister Ostler ein Geheimnis?

Maria war interessiert ein paar Schritte nähergekommen. Pubertierende Jugendliche, Liebespaare, Mutproben – die Kerngebiete der Psychologie. Manche waren allerdings der Meinung, dass sie sich damit auch schon wieder erschöpfte.

»Und was waren das für Mutproben?«, fragte sie.

»Die Jugendlichen trugen ein Brett auf den Berg«, fuhr Ostler fort. »Das Brett wurde oben so platziert, dass es mit der einen Hälfte auf dem Boden lag, mit der anderen über den Abgrund ragte. Der Bursch stellte sich auf das Brett, das Mädchen ging vorsichtig an ihm vorbei, bis zum freistehenden Ende. Jetzt wurden luftige, aber umso ernsthaftere Liebesschwüre getauscht, dann ging das Mädchen wieder zurück – und man wechselte die Plätze.« Ostler wies auf eine kleine erhöhte Fläche neben dem Absperrgeländer. »Dort ist eine wunderbare Stelle für das Scharteln, wie das genannt wurde. Es geht knappe tausend Meter hinunter, aber wenn man sich wirklich liebt – was bedeuten dann schon Zahlen?«

Maria Schmalfuß war kreidebleich geworden. Sie griff sich an den Hals und hustete. Sie musste sich schon wieder setzen.

 

»Ja«, sagte Ostler. »Die Bergwachtler sind nach dem mysteriösen Anruf gleich mit einem Hubschrauber ausgerückt und haben sich abgeseilt. Es war nicht schwer, den Tod festzustellen, denn die Leiche war schon mumifiziert. Dann haben sie mich in meiner Eigenschaft als Polizeibergführer verständigt.«

»Wie lange hängt die leblose Person schon in der Wand?«, fragte Jennerwein.

»Wahrscheinlich ein paar Wochen, aber hängen ist der falsche Ausdruck. Es ist eine kleine Felsnische, fast eine Guffel, in der sie liegt, die leblose Person. Eigentlich sogar bequem sitzt, wenn man das so sagen darf. Die Nische befindet sich etwa sechzig Meter unter uns.«

»Die Bergwacht hat nichts angerührt?«

»Natürlich nicht! Die haben uns sofort angerufen.«

»Todesursache?«

»Auf den ersten Blick würde ich sagen: verdursten, verhungern, so etwas in der Art.«

 

Es musste jetzt zwei oder drei Uhr nachmittags sein, denn man hörte die Glocken einer Ehrwalder Kirche von unten im Tal, ganz von ferne und ganz undeutlich. Jennerwein fragte sich, ob das immer noch echte, kostbare Glocken waren. Vielleicht hat mancher katholische Sprengel seine bronzenen und kupfernen

»Wie kommt es eigentlich«, fragte Maria, die sich wieder etwas gefasst hatte, »dass die Leiche wochenlang unentdeckt geblieben ist?«

»Das kommt bei uns schon mal vor«, entgegnete Ostler. »Bergsteiger stürzen in Felsspalten, die Wetterverhältnisse sind schlecht, der Hubschrauber kann deshalb nicht fliegen, mit Hunden kann man in diesem Gelände nicht suchen – da gibt es viele Gründe. In unserem Fall kommt noch etwas dazu. Die besondere Lage dieser Felsspalte. Sie ist etwas schräg in die Wand eingelassen.«

»Wann wird die Leiche geborgen?«, fragte Jennerwein.

»Wenn wir sie freigegeben haben.«

»Ich möchte sie mir vorher noch persönlich anschauen«, sagte Jennerwein. »Kann ich mich abseilen?«

Ostler hatte auf diese Frage wohl gewartet.

»Natürlich. Die Bergwacht hat uns ihre Seilwinde zur Verfügung gestellt. Mit der lassen wir Sie die sechzig Meter hinunter. Hier ist ein Sitzgurt. Wissen Sie, wie so etwas funktioniert?«

Jennerwein wusste es. Er war schon ein paar Mal

»Dann ein gutes Gelingen, Chef.«

 

Der Leiter der Mordkommission IV brauchte keine fünf Minuten, um sich in ein seil- und karabinerbehangenes Etwas zu verwandeln. Maria schaute entsetzt aus sicheren zehn Metern Entfernung hin, und ab und zu durchfuhr sie ein frostiges Schütteln, als würden sie die kompliziert aussehenden Abseilgurte allein schon in den Abgrund ziehen.

»Wissen Sie, was Sie da tun, Hubertus?«

»Keine Angst, Frau Doktor. Dieser Klettergurt würde sogar einen Kleinwagen halten. Die Wahrscheinlichkeit, hier abzustürzen, ist gleich null.«

Ja, du mit deinem logozentrischen Ansatz, dachte Maria. Darum geht es gar nicht. Es geht nicht um Chancen und Statistiken und die puren Höhenmeter und die Dicke des Stahlseils. Es geht um die nackte Angst. Jennerwein ahnte die Gedanken Marias, er ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen, er prüfte alles nochmals genau nach: Gurtzeug richtig angelegt? Sicherheitsschlaufen gegengeschlauft? Karabiner zugeschraubt? Knoten korrekt? Selbstsicherungsschlinge vorbereitet?

»Sind Sie bereit, Chef?«, fragte Ostler, während er ebenfalls nochmals alles nachprüfte.

»Gute sechzig Meter geht es nach unten. Wenn Sie wieder hoch wollen –«

»Dann klettere ich rauf wie Spider-Man, oder ich mache mich über Funk bemerkbar.«

Ostler nahm den Kommissar auf Zug, zuerst berührten Jennerweins Füße noch den Fels, dann schwebte er zwischen Himmel und Erde. Der Vergleich ist mehr als abgegriffen, aber einen besseren gibt es nicht für das Gefühl, das man hat, wenn einen lediglich ein bleistiftdickes Stahlseilchen von einem Sturz in den sicheren Tod abhält. Das ist nicht zu beschreiben, das ist in dürren Worten nicht auszudrücken. Es gibt keine wörtliche Entsprechung, es gibt kein Bild, so etwas darzustellen[1].

Jennerwein glitt hinunter. Die Bergwacht hatte die Stelle mit einem gelben Fähnchen markiert, wohl um dem Hubschrauber die nötige Orientierung zu geben.

»Alles in Ordnung?«, hörte Jennerwein Ostler durch das Funkgerät rufen. Er bestätigte und wurde

 

Gerade in dem Augenblick, als Jennerwein das Opfer näher betrachten wollte, vernahm er wieder den Klang der Kirchenglocken aus dem Tal, diesmal etwas deutlicher. Das passt ja genau, dachte er. Wenn man jetzt abergläubisch wäre, müsste man drei Vaterunser beten und sich sofort wieder hinaufziehen lassen. DINGDONG SCHNARRTÄNG. Der kalte Wind, der den Kopf der Leiche bewegte, der Oberammergauer Wuisler, ließ nicht nach, der Unbekannte nickte stärker. KLONGKLING. Dann schwiegen die Glocken, und Jennerwein machte sich an die Untersuchung der Leiche.

ä-üi ? ä-ü-jo !!!

Mittenwalder Jodler, der sogenannte »Almschroa«

Sechs Wochen zuvor, um die Eisheiligen herum, an der Nahtstelle zwischen Spätfrühling und Frühsommer, hing der Bergführer Johnny Winterholler durchaus lebendig in einer glitschigen Steilwand. Es hatte gerade geregnet, geblitzt und gedonnert, es war schweinekalt in dieser gottverlassenen Höhe, trotzdem kletterte er wohlgemut dahin. Er stellte sich auf einen kleinen Felsvorsprung, drehte sich um und sah ins Loisachtal hinunter. Nach einiger Zeit kam die Sonne wieder heraus, wie so oft in den Alpen ging es Schlag auf Schlag mit den Wetterumschwüngen. Winterholler reckte sich, und sein Hemd rutschte hoch. Dabei traten seine Bauchmuskeln so ansehnlich hervor, dass der amerikanischen Generalswitwe Mary-Lou Templeton, die sich auf der Sonnenterrasse des Restaurants Alpspitze auf dem Osterfelder Kopf die Torten und Windbeutel dutzendweise gab, fast das Armeefernglas aus der Hand fiel.

»What a battery of sixpacks!«, stöhnte sie angesichts der Bauchmuskeln und stach mit der Gabel ins Cremige.

 

 

Johnny Winterholler kletterte heute nicht nur zu seinem Vergnügen, er hatte einen Job zu erledigen, einen seltsamen Job sicherlich, vielleicht sogar einen nicht ganz koscheren, er wusste es nicht so genau – aber er brauchte das Geld. Denn so meisterlich er sich hier oben am Berg anstellte, so geschickt er sämtliche vertikalen Schwierigkeitsgrade durchkraxelte, so erfolglos war er unten im Tal bei den horizontalen Wegschleifen des alltäglichen Lebens. Er hatte nichts gelernt außer Bergsteigen, und wenn man nicht gerade Reinhold Messner oder Luis Trenker hieß, konnte man davon nicht leben. Und er hatte riesige Schulden angehäuft. Also hatte er diesen sonderbaren Job angenommen. Biologische Forschungen, hatte es geheißen. Geheime, komplizierte, für einen Laien schwer zu erklärende Forschungen, alpin-zoologische Experimente. Barzahlung, hatte es weiterhin geheißen, zwar nichts Illegales, keine Angst, alles im Rahmen der Gesetze, aber Barzahlung auf den Küchentisch, nach jeder Tour. Das war Johnny Winterholler gerade recht gekommen, so eine Barzahlung auf den Küchentisch.

 

»Sie sind Bergsteiger. Man hat Sie uns empfohlen«, hatte der drahtige Mann mit den scheinbar ziellos von

»Wer ist wir

»Das macht den Job so gut bezahlt, dass das wir im Hintergrund bleibt.«

»Ich mache nichts Illegales.«

»Ich versichere Ihnen, dass es nichts Illegales ist. Sie müssen weder Waffen über die grüne Grenze nach Österreich schmuggeln noch Spenderherzen aus amerikanischen Touristenbrüsten reißen.«

»Und was müsste ich tun, wenn ich den Job annehme?«, fragte Winterholler.

»Wandern und Klettern.«

»Wie bitte? Sonst nichts?«

»Sonst nichts. Sie klettern in den nächsten Wochen ein paar Routen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden ab. Wir geben die Routen vor. Sie reden mit niemandem drüber. Wenn Sie heimkommen, liegen die Lappen auf diesem Küchentisch.«

Der Fremde, bei dem der österreichische Akzent gewaltig durchblitzte, klopfte mit der Hand auf den billigen Plastiktisch, der in Winterhollers Küche stand.

»Und ich sage es Ihnen gleich: Wenn Sie in der Gegend herumplaudern, was Sie seit Neuestem für einen Job haben, liegt nichts mehr da.«

»Und ich muss nur klettern? Was soll das für einen Sinn –«

»Ich verstehe. Was bekomme ich pro Tour?«

Der Fremde nannte einen Betrag. Johnny Winterholler schluckte. Das war ein Betrag, bei dem seine Schulden schmelzen würden wie Gletschereis. Das war ein Betrag, mit dem er sich seinen Lebenstraum erfüllen könnte, nämlich den, an einer Extremtour im Himalaya teilzunehmen. Johnny Winterholler konnte einfach nicht ablehnen. Seitdem blieb die Hintertür seines kleinen Holzhäuschens unverschlossen.

 

Er hatte den Mann seitdem nicht wiedergesehen. Die erste Tour war ein Spaziergang auf den Kramer gewesen, eine lächerlich leichte Tour, so etwas wie der Schäferzug für den Schachspieler. Oder Rühreier für den Sternekoch. Der Schwierigkeitsgrad hatte sich von Auftrag zu Auftrag gesteigert, jetzt hing er schon zum zehnten Mal in einer Wand. Der Himalaya rückte näher. Immer, wenn er heimgekommen war, hatte Geld auf dem Küchentisch gelegen, schönes dickes, farbiges Geld, das er nicht an irgendwelche Finanzämter, Banken oder gar Wucherer abgeben musste. Ja, auch bei Letzteren hatte er Schulden. Denn sein Vertrauen in einen freundlichen, rasierwassergetränkten Bankberater war grenzenlos gewesen, er hatte dessen eingelernten Sprüchen Glauben geschenkt, aber die Sache ging schief, sein Geld war plötzlich weg gewesen. Der Banker wurde lediglich versetzt (er war jetzt Berater

 

Dann brach der Platzregen los, urplötzlich veränderte sich das Wetter von einer Sekunde auf die andere. Faustgroße Regentropfen knüppelten auf ihn ein und nahmen ihm die Sicht. Die Steilwand war

Ziel: Bernadeinkopf

Aufstieg über Kreuzeck, Durchstieg der Bernadeinwand,

Nordwandsteig der Alpspitze,

Abstieg über den Aschengrat

Beginn der Tour 5.30 Uhr

Wichtig: Anweisung einprägen, Zettel vernichten!

Er hielt es für wichtiger, die Zettel allesamt aufzuheben. Er hatte einen kleinen Schnellhefter gekauft, hatte die Zettel mit Einmalhandschuhen angefasst und sie ebenfalls in den hochalpinen Wetterstein-Tresor gelegt. Johnny Winterholler war nicht blöd. Sein

 

Jetzt blitzte und donnerte es auch noch heftig. Die Kletteranweisung für den heutigen Tag war sonderbar gewesen. Er sollte zur vorgegebenen Zeit in diese Wand klettern und dann seine Route frei wählen, er hatte keine weiteren Vorgaben erhalten. Nun war er bei der Felsnische angekommen. Er schlug Haken in den Fels und baute sich einen sicheren Standplatz, dann holte er den Regenschutz aus seinem Rucksack und machte es sich gemütlich. Bald zog er seine alte Mundharmonika heraus und spielte La Montanara. Die verbeulte Hohner hatte einen Sturz von dreihundert Metern hinter sich, und das hohe Fis funktionierte nicht mehr. Aber seine Lieder brauchten das hohe Fis nicht. Er spielte keine Beethovensonaten, er spielte ♫ Bergvagabunden sind wir … ♫ Wenn wir erklimmen … ♫ Wohl ist die Welt so groß und weit … Und immer wieder La Montanara. Es dämmerte langsam, der Regen ließ nach. Johnny Winterholler richtete sich darauf ein, in der Wand zu übernachten. Er biwakierte gerne. Er genoss die Tatsache, dass niemand wusste, wo er war. Die Müdigkeit überkam ihn plötzlich und dringend. Eine Mücke setzte sich auf seinen Handrücken. Er schlug nach der Mücke.

chö-di chodi chö-di cho-di ch ch

Schweizer Jodler

»Allmächt, was ist denn da vorn los! Das ist ja ein Riesenauflauf. Das einsame Gipfelglück habe ich mir anders vorgestellt!«

»Vielleicht ist es eine holländische Reisegruppe, wegen der orangefarbenen Jacken.«

»Nein, das sind die Signaljacken von der Bergwacht. Da muss was passiert sein. – Hallo, Herr Nachbar, wissen Sie, was da vorn los ist? Oder gehts da immer so zu, an der Schneefernerscharte?«

»Vorher haben sie einen hinuntergelassen. Der war aber nicht von der Bergwacht. Ich glaube, das war der Pfarrer.«

»Warum der Pfarrer?«

»Der hat so eine violette Stola getragen. Und dann hat er ein Fläschli in der Hand gehabt, das wird das Ölfläschli für die Letzte Ölung gwea xi.«

»gwea xi

»Gewesen sein.«

»Ach so, verstehe. Sie kommen aus der Schweiz.«

»Aus Winterthur.«

»Aber was tun Sie denn hier? Sie haben doch selber Berge.«

»Was ist eigentlich, wenn der Pfarrer nicht schwindelfrei ist?«

»Dann wird er das Letzte Öl so runterträufeln.«

»Das gilt auch?«

»Am Berg schon. Am Berg gilt alles.«

 

Natürlich war dieser luftige Tatort vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen. Die Schaulustigen hatten den Hubschrauberlärm gehört, sie hatten die buntgekleideten Bergwachtler gesehen, die sich in die Wand abseilten, sie hatten die ameisenfleißigen Spurensicherer miterlebt, die mit Polizeihubschraubern auf dem Gletscherplateau landeten und in ihren schneeweißen Overalls herausquollen. Zu einer Invasion der Zugspitze fehlten eigentlich nur noch die unerschrockenen Fallschirmspringer der US Army und eine Militärkapelle, die The Star-Spangled Banner spielte, vielleicht noch Bruce Willis, der als braver Lieutenant Keith W. Sneider die Stars & Stripes auf dem Zugspitzkopf befestigte. Aber auch so war es spektakulär – das Ereignis hatte sich bis ins Tal herumgesprochen, und die Gondeln brachten im Halbstundentakt weitere Schaulustige herauf. Selten genug, so ein Real-Event hautnah miterleben zu können. Über den oder die, die da im Fels gefangen waren, war man allerdings auf

 

Der Kommissar stützte sich vorsichtig an der Kante der Felsnische auf und besah sich zunächst die Innenwände der grausigen Grotte. An diesen war auf den ersten Blick nichts zu erkennen, was zu kriminologischen Spekulationen Anlass gab. Keine Schriften, keine Zeichen, keine Spuren. Der Leichnam selbst war ein hundertprozentiger Fall für die Gerichtsmedizin. Der Kommissar stieß sich leicht von der Wand ab und betrachtete das Gesamtbild. Der Tote war vollständig bekleidet, allerdings trug er keine Strümpfe und Schuhe. Die nackten mumifizierten Füße ragten dürr und schwärzlich aus der Hose hervor. Er trug einen

 

»Hallo Chef!«, rief Nicole Schwattke, die Recklinghäuser Austauschkommissarin, als der Kommissar oben angelangt war und sich aus der Halterung löste. Nicole Schwattke war das jüngste Mitglied im Team Jennerweins, und sie hatte sich als echte Bereicherung erwiesen.

»Grüß Sie, Nicole«, entgegnete Jennerwein, »wie schmeckt Ihnen die Bergluft?«

»Sehr gut, und ich möchte mir die Stelle in der Wand ebenfalls ansehen.«

Maria Schmalfuß, die sich noch immer in ehrfurchtsvollem Abstand von der Felskante aufhielt, blickte skeptisch. Doch Jennerwein nickte.

»Achten Sie auf die Lage, die Kleidung –«

»Auf alles eben.«

Kriminalkommissarin Nicole Schwattke war mit

»Wow! Ein Super-Tatort, das muss ich schon sagen. Der Anblick der Leiche war gruselig, aber das Abseilen – erste Sahne.«

»Sie klettern ja gar nicht so schlecht!«, sagte Ostler anerkennend.

»Ich bin ja auch schon zwei, drei Mal geklettert. Natürlich noch nie in einer Naturwand, aber im Klettergarten. In Datteln bei Recklinghausen habe ich bei der VHS einen alpinen Grundkurs mitgemacht – Basislehrgang mit anschließendem Kletterführerschein.«

Polizeiobermeister Johann Ostler schüttelte den Kopf. Datteln.

 

»Ich muss mir das nochmals genau auf den Fotos der Spurensicherung ansehen«, sagte Nicole, als sie wieder frei von allen Karabinern und Schlingen war.

»Zum Beispiel?«, fragte Maria.

»Die merkwürdige Bergkleidung. Das ist selbst mir als Flachlandtirolerin aufgefallen. Sieht man mal von den Schwarzweißfilmen aus den Fünfzigerjahren ab, habe ich noch keinen solchen unauffälligen, fast getarnten Bergsteiger gesehen. Heutzutage ist doch alles bunt. Der Anorak, den der trägt, war vor hundert Jahren modern.«

»Vielleicht liegt er schon so lange da?«, warf Maria ein.

Ostlers Telefon klingelte.

»Die Bergwacht lässt fragen, ob sie die Leiche jetzt bergen und in die Gerichtsmedizin bringen können. Sie könnten mit dem Hubschrauber in einer halben Stunde hier sein.«

»Ja, sie sollen losfliegen«, sagte Jennerwein. »Überflüssig zu erwähnen, dass sie mit äußerster Sorgfalt vorgehen sollen.«

»Ja, klar.«

»Und sie sollen den Körper möglichst in der sitzenden Haltung lassen, in der er sich jetzt befindet.«

»Selbstverständlich.«

»Besonders interessiert mich der Rucksack. Kein Stückchen darf daraus verloren gehen.«

Ostler holte eine Thermosflasche mit Eistee aus seinem Rucksack, und das fast vollständige Team der

 

»Schau dir den an! Das ist doch nie und nimmer ein Pfarrer. Der sieht doch aus wie – Ich weiß nicht, an wen mich der erinnert.«

»Der ist von der Polizei, von dem habe ich ein Bild in der Zeitung gesehen.«

»Der schaut aber gar nicht so aus, als ob er bei der Polizei wäre.«

»Die schauen heutzutage alle nimmer so aus.«

»Aber was ist das! Da hinten kommt schon wieder ein Hubschrauber.«

»Tatsächlich. Siehst du die Filmkamera, die da vorne an die Kufe montiert ist? Vielleicht war das alles gar nicht echt, vielleicht wird da was gedreht.«

»Ja, das kann sein. Bergfilme sind groß im Kommen. Jetzt weiß ich, an wen mich der erinnert. An diesen Engländer – diesen Schauspieler – Hugh Grant.«

»Du meinst, der Hugh Grant macht in einem Film mit, der auf der Zugspitze spielt?«

 

»Ich habe extra meinen Kurzurlaub unterbrochen«, sagte er statt einer Begrüßung. »Aber ich will mir die Stelle einmal ansehen.«

»Gut«, sagte Jennerwein, »aber wir müssen erst warten, bis der Hubschrauber mit der Bergung fertig ist.«

Ludwig Stengele warf einen quietschgelben Rucksack vor sich hin und öffnete ihn mit flinken Fingern. Er hatte natürlich seinen eigenen Sitzgurt, seine eigenen Karabiner, sein eigenes Bergzeug dabei. Er verwandelte sich innerhalb von Minuten vom hölzernen Schreibtischbeamten, der er zu sein schien (und der er manchmal auch war), zum steinbockgleichen Bergmenschen. Er war eindeutig der beste Bergsteiger im Team. Stengele ließ sich die Linie, die von der kleinen Höhle senkrecht nach oben führte, genau zeigen, und an dem Punkt wurde er hinuntergelassen. Schon nach dem ersten Meter besah er sich die Wand genauer, er tastete sie mit seinen Händen ab, er zog dazu die Handschuhe aus. Mehr als einmal riss