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Für meine Familie und all die wundervollen Menschen, die mich unterstützt und inspiriert haben, aber auch für all jene, die mir Steine in den Weg gelegt haben – ohne euch wäre meine Kunst (ich) nicht so, wie sie ist, und dafür danke ich euch allen von ganzem Herzen!

Einleitung

Meine erste größere Überseereise, die ich alleine und sehr spontan im Sommer 1993 antrat, führte mich nach Kalifornien, genauer genommen nach San Diego und nach Los Angeles. Ich wohnte für einige Zeit bei Loch David, einem Künstler, Biker und College-Professor in einer Person, den ich kurz davor bei einem Auftritt in Eisenstadt, Österreich, kurz kennengelernt und dann spontan »angekickt« hatte, ob ich nicht in den Sommerferien während eines Aufenthalts bei ihm auf der Couch schlafen könne. Damals gab es »Couchsurfing« noch nicht, aber genau so lief es in etwa ab. Wir wurden gute Freunde, und San Diego gefiel mir damals so gut, dass ich unbedingt in Kalifornien studieren und arbeiten wollte.

Zwei Sommer später unternahm ich mit meinem älteren Bruder Gereon einen langen USA-Roadtrip. Dank der Kontakte meiner letzten Reise und dank Loch David hatte ich verschiedene Gigs in San Diego und L.A. an Land ziehen können, doch hauptsächlich ging es darum, Land und Leute kennenzulernen, Spaß zu haben und festzustellen, ob und wo ich gegebenenfalls ein Jahr später ein Schauspielstudium antreten sollte. Zur Auswahl standen die UCLA School of Theater, Film and Television in Westwood und die UCSD Theatre & Dance in La Jolla.

Letztendlich war dann aber London doch die bessere Wahl für mich, und ich studierte am Doreen Bird College of Performing Arts Tanz, Gesang und Schauspiel. Ich nahm das schlechtere Wetter und Essen in Kauf und bekam dafür einen strengeren Stundenplan und die einzigartige Theaterdichte im West End Londons als Ersatz. In vier Jahren in der Metropole sah ich an die zweihundert verschiedene Liveshows, was eine unbezahlbare »Zusatzausbildung« bedeutete …

Wenn ich allerdings an unseren Roadtrip in den USA zurückdenke, so ist es schon erstaunlich, wie gut wir uns nur mit einer sehr groben Karte des Flächenstaates – ganz Kalifornien auf einem DIN-A4-Blatt – zurechtgefunden haben! Ab und zu mussten wir uns zwar etwas »durchkämpfen« und auch mal mitten in der Wildnis im Auto übernachten, aber auch das hatte seinen Reiz. Geschichten zu erzählen hatten wir jedenfalls bald reichlich.

Einmal beispielsweise, als wir zur Rushhour in Los Angeles unterhalb und westlich der Hollywood Bowl im dichten Verkehr feststeckten und ahnten, dass es wohl ewig dauern würde, bis wir endlich auf der richtigen Straße landen würden, war der schnellste Ausweg aus dem Chaos ein unerlaubter U-Turn. Ich sah mich um, konnte weit und breit keinen Polizisten sehen, gab das Okay, und mein Bruder wendete das Auto bei der nächsten Gelegenheit. Kaum gedreht, heulten schon die Sirenen: Ein Polizist auf einer Harley-Davidson, der hinter einer Plakatwand versteckt war, hatte uns gesehen und brachte uns zum Anhalten.

Was dann geschah, schien wie aus einem Hollywoodfilm entlehnt. Über Megafon brüllte der Cop seine Aufforderungen: »Motor abstellen!«, »Hände ganz langsam auf das Armaturenbrett legen!« usw. Als mein Bruder kurz über seine linke Schulter blickte, wurde er erst richtig aggressiv und forderte uns auf, nach vorne zu sehen und uns nicht zu bewegen.

Im Rückspiegel sah ich, wie der Polizist sich uns langsam und jederzeit schussbereit näherte – es war ein schwarzer Cop mit verspiegelter Ray-Ban-Sonnenbrille, düsterer Miene und in einer angespannten Haltung.

Immer noch in forschem Ton forderte er meinen Bruder auf, ganz langsam das Fenster mit einer Hand zu öffnen, um dann vorsichtig die Fahrzeugpapiere und den Führerschein auszuhändigen. Als er feststellte, dass wir Touristen waren, entspannte sich jedoch sofort sein ganzer Körper. Seine Miene hellte sich auf, er nahm die Sonnenbrille ab und erklärte uns sehr freundlich unser Vergehen und dass es uns nun leider teuer zu stehen komme.

Ich erzählte ihm, dass wir uns auf dem Weg zum exklusiven und privaten Clubhouse der AMA in Hollywood verfahren hätten, und fragte, ob er uns helfen könne. Wir kannten zwar den Weg, aber so verschaffte ich mir die Möglichkeit, im Gespräch das Eis zu brechen – es ist immer eine gute Verhandlungstechnik, gleich zu Beginn vom Gegenüber eine positive Antwort abzuholen (und in diesem Falle etwas hilfebedürftig zu wirken).

Seine Augen fingen da regelrecht zu leuchten an, als er uns verriet, dass er schon reichlich Geschichten über dieses Clubhouse gehört habe, und als ich dann auch noch erwähnte, dass ich Gedankenleser und Mentalist sei und an diesem Abend dort auftreten würde, war er ganz aus dem Häuschen.

Er schlug mir einen Deal vor: Wenn ich ihn »knacken« könne, dann würden wir keinen Strafzettel bekommen! Gesagt, getan. Ich führte mit ihm also ein kurzes »Lügenexperiment« durch, bei dem er bei einer von fünf Fragen lügen sollte – und obwohl er sein Pokerface aufsetzte, wusste ich sofort, bei welcher Antwort er geschwindelt hatte.

Er strahlte über das ganze Gesicht wie ein kleiner Junge – Amerikaner sind ja sowieso super begeisterungsfähig und Afroamerikaner sowieso.

Die Situation war schon etwas surreal: Wenige Minuten zuvor hatten noch Anspannung und Gefahr in der Luft gelegen, und jetzt machte der Polizist Shakehands mit uns …

Das Ticket mussten wir natürlich nicht bezahlen – aber die Krönung kam erst noch, als er uns aufforderte, ihm zu folgen, er uns mit Blaulicht, teilweise auch mit Sirene, durch den Verkehr lotste und wir in unserem staubigen Nissan-Cherry-Mietwagen mitten durch Hollywood, unter anderem auch über den Hollywood Boulevard am berühmten TCL Chinese Theatre vorbei und bis zum AMA-Clubhouse chauffiert wurden! So hatten wir unsere eigene Polizeieskorte direkt bis zum Eingang des Clubhouse und die Valet-Parking-Boys kamen gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.

Die Geheimnisse des Lügenexperiments, das ich damals mit diesem Polizisten durchgeführt habe, werde ich im Folgenden auch Ihnen vermitteln – und natürlich noch vieles mehr.

Als 2006 meine erste eigene Primetime-TV-Serie Der Gedankenjäger im Schweizer Fernsehen lief, wurde ich dann auf einen Schlag bei einem großen Fernsehpublikum bekannt, das Gedankenlesen, psychologische und mentale Experimente zum allerersten Mal so erlebt hat – damals gab es Serien wie The Mentalist, Lie to me oder Sherlock noch nicht. Dank des großen Erfolges meiner Sendereihe wurde ich mit E-Mails geradezu bombardiert.

Die inhaltliche Bandbreite dieser E-Mails war beeindruckend – von super erfreulich bis amüsant oder erschreckend abstoßend –, einige der kuriosesten finden Sie am Ende dieses Buches, und ich verspreche Ihnen, Sie werden sich am Kopf kratzen und schmunzeln müssen.

Eines der großen Themen, in unzähligen E-Mails, war immer, ob ich nicht ein Buch schreiben könne, in dem ich Interessierten beibringen würde, wie man sein Potenzial steigere, beziehungsweise ein Buch über die Techniken und Methoden, die ich verwende. So hatte ich über die letzten zehn Jahre hinweg immer im Hinterkopf, eines Tages ein solches Werk zu verfassen, das ich selbst auch gerne lesen würde – und nun halten Sie es in Ihren Händen.

Eines meiner Lieblingsbücher ist der Interviewband Truffaut/HITCHCOCK von François Truffaut und Alfred Hitchcock. Nicht nur, dass ich ein großer Fan von Hitchcocks Filmen bin – einige seiner Ideen haben mich als Regisseur meiner eigenen Bühnenprogramme und meiner eigenen TV-Shows geprägt –, sondern es fasziniert mich auch, wie er sein Publikum durch einen Film steuert, wie er Spannung erzeugt und ganz subtile Dinge für diejenigen einbaut, die einen Film mehrmals ansehen und diese Details dann erst entdecken.

Wenn ich ein neues Theaterprogramm oder eine neue Show schreibe/entwickle, zerbreche ich mir monatelang den Kopf, um dann zu entscheiden, wie ich das in meinen Augen beste Ergebnis in den Köpfen meiner Zuschauer erzeugen kann. In manchen Fällen bedeutet dies, dass ich mein Vorgehen (wie zum Beispiel beim Kontakt-Gedankenlesen oder beim blitzartigen Memorieren einer großen Datenmenge), meine Methode(n)/Technik(en) für ein Experiment ganz offen anspreche und so das Publikum Schritt für Schritt mitnehme. In anderen Fällen lasse ich alles offen oder deute eine Methode/Technik nur an, verwende dann aber vielleicht doch eine ganz andere oder einen Mix von Techniken, um somit das ultimative Erlebnis beim Zuschauer zu erreichen. Wie bei einem Maler sollte die Interpretation im Auge des Betrachters liegen, und jeder Einzelne soll für sich etwas ganz Bestimmtes sehen, empfinden und erleben.

Ich nehme die Besucher mit auf eine Reise, daher auch der treffende Name meines aktuellen Theaterprogramms »JOURNEY« – in den Passagen zum »Gedankenlesen« bzw. zum »Lesen einer Person« und in verschiedenen Unterkapiteln zum Thema »Memory« werden Sie übrigens Techniken finden, die ich genau so regelmäßig erfolgreich als Gedankenleser und Mentalist anwende. Vieles, was ich auf der Bühne oder im Fernsehen zeige, ist nichts anderes als eine Mischung aus verschiedenen Techniken, Methoden – und effektvoller Darbietung.

Oftmals hat die Präsentation in einer Show mit einer wirklichen Lebenssituation jedoch nicht so viel zu tun, da sich die Personen auf der Bühne nicht immer gleich verhalten wie im Alltag. Aber das macht nichts: Die Mechanismen, die greifen, sind ähnlich.

Die Bühne ist meine Spielwiese, mein Schachbrett: Ich kontrolliere die Situation und bestimme die Parameter – was ich Ihnen für wichtige Meetings und Verhandlungen auch empfehlen werde: Bestimmen Sie den Ort des Geschehens, wer wo sitzt, das Tempo usw.; je mehr Sie kontrollieren, umso einfacher ist es, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. In vertrauten Umgebungen und Situationen funktionieren wir einfach besser, und wieso sollten wir diesen Vorteil nicht nutzen?

Ein Großteil von dem, was ich da auf der Bühne mache, ist nur für mich und auf die jeweilige Situation ausgelegt; dieses Buch soll entsprechend auch keine Anleitung: »Wie werde ich Mentalist?!« sein, sondern ich habe Strategien, Methoden und Techniken für Sie ausgewählt, mit denen Sie auch in Ihrem Alltag etwas anfangen können; manche sind etwas akademischer (wie zum Beispiel das Memorieren von Namen, Begriffen usw.) und erfordern einen aktiven Einsatzwillen Ihrerseits, andere (wie etwa die Grundregeln der Beeinflussung) können Sie gleich umsetzen und sofort im täglichen Leben anwenden.

Es sind keine Pseudo-Methoden oder glorifizierte Schreibtisch-Ideen, die ich Ihnen präsentiere und selbst gar nicht wirklich verwende, so nach dem Motto: »Hier ist eine Anleitung, wie man es machen könnte – und ich mache dann doch alles anders.« Es gibt schon genügend unnütze Bücher auf dem Markt, und ich möchte weder meine noch Ihre Zeit verschwenden, und natürlich auch kein Papier.

Für mich sind es alles spannende Themen, die ich vor Ihnen ausbreite und die mich teilweise schon mein ganzes Leben lang begleiten und begeistern. Und ich kann Ihnen versprechen, dass Sie mit den Ideen im Buch Ihr Potenzial im beruflichen wie auch im privaten Bereich auf ganz unerwartet neue Art und Weise ausreizen werden.

Mein Ziel ist es, Sie mit diesem Buch zu inspirieren, Ihnen an manchen Stellen auch ein wenig die Augen zu öffnen (Stichwort »Cold Reading«) und Ihnen mentale Werkzeuge an die Hand zu geben, die Sie bitte gleich zum Einsatz bringen mögen.

Es würde mich freuen, wenn ich dieses Ziel tatsächlich erreichen könnte – wenn ja, freue ich mich, von Ihnen zu hören, und wenn nicht, dann geben Sie das Buch doch Ihrem nervigen Nachbarskind, vielleicht wird es Sie dann ja in Zukunft noch positiv überraschen …

Die Geheimnisse nonverbaler bzw. unbewusster Kommunikation

Sind Gedanken privat …?

Solange wir unsere Gedanken niemandem mitteilen oder sie in schriftlicher Form festhalten (Notizbücher, neuerdings die Cloud, Hard Drives), sollte man eigentlich davon ausgehen dürfen, dass sie privat sind. Doch sind sie es wirklich?

Einerseits haben viele Menschen Angst oder großen Respekt davor, dass ihre privaten Gedanken oder Geheimnisse nach außen getragen werden, andererseits geht die Mehrheit von uns im Social-Media-Zeitalter bei der digitalen Abspeicherung unserer Gedanken, Ideen und anderer höchst privater Informationen sehr sorglos und freizügig vor. Und es geht hier weder um den Versuch von Geheimdiensten (besonders amerikanischen und britischen), möglichst »alle« und »alles« (E-Mails, SMS, WhatsApp, Telefonate, Browser etc.) zu überwachen und einschlägige Daten abzuspeichern, noch um die erlaubte oder unerlaubte Wut angesichts der Datenstaubsauger Google, Amazon, Microsoft, Facebook usw., um aus unseren Daten und unserem Verhalten Profit zu schlagen, sondern lediglich um die Informationen, die wir selbst bewusst oder unbewusst anderen mitteilen bzw. überlassen. Wenn wir in der Zeitung von nicht gerade cleveren Kriminellen lesen, die sich etwa nach einem Überfall in sozialen Netzwerken mit ihren Taten brüsten oder das Diebesgut stolz auf Facebook präsentieren, müssen wir schmunzeln über so viel Dummheit. Aber die Sache hat eben auch ihre ernste Seite, und wie sorglos private Informationen im Internet geteilt werden, erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Obwohl ich selbst durch meinen Beruf sehr in der Öffentlichkeit stehe, versuche ich persönlich doch, mein Privatleben herauszuhalten und Schlagzeilen nur durch mein Talent und meine Fähigkeiten zu machen. Auch wenn dies bedeutet, Interviews in unterschiedlichen Medien, auch im Netz, TV-Sendungen und andere Plattformen nicht oder nur nach genauer Prüfung zu nutzen.

Je nachdem, in welcher Branche Sie arbeiten, sollten auch Sie vorsichtig mit Veröffentlichungen insbesondere im Internet sein; schon viele haben die gewünschte Stelle, auf die sie sich bewarben, beispielsweise wegen kompromittierender Fotos nicht erhalten oder wurden sogar gefeuert, »nur« weil sie einmal etwas Unbedachtes im Internet posteten. Es kommt auch immer wieder vor, dass Personen aufgrund von schlechten oder falsch verstandenen Witzen, die auf Twitter oder anderen Plattformen gepostet werden, unverzüglich entlassen werden oder ihnen die Einreise in ein anderes Land verweigert wird. Besonders vor einem Amerika-Urlaub sollte man sich gut überlegen, was man da genau einstellt. Wenn ich in Amerika Auftritte in einem geschlossenen Rahmen habe, dann ist es am besten, gar nichts darüber zu posten oder es auf meiner Website zu erwähnen. Selbst letztes Jahr, als ich in Las Vegas bei einer öffentlich beworbenen Show dabei war, habe ich den Ball flachgehalten. Trotzdem wurde ich in einem separaten Raum zwanzig Minuten lang befragt, und es wurde überprüft, ob alle meine Angaben zum Auftritt übereinstimmen.

Das Internet vergisst und verzeiht nicht – und nicht zuletzt weil hier der direkte zwischenmenschliche Kontakt vor allem in Form nonverbaler Kommunikation fehlt, gehen Facebook-Posts und Tweets so oft in die Hose. Auch wenn Emojis als Notnagel ein wenig helfen und in einem Chat Konversation in Echtzeit betrieben wird, geht letztlich doch einfach zu viel verloren durch den Wegfall wichtiger Komponenten nonverbaler Kommunikation.

Doch noch einmal zurück zu »Big Data«: Google, der größte Gedankenleser aller Zeiten? Manchmal wirkt es fast so. Dies soll uns hier aber nicht kümmern. Wir wollen uns das Phänomen im direkten zwischenmenschlichen Kontakt genauer anschauen. Auf jeden Fall leben wir aber in einem spannenden Zeitalter …

Wie sieht es also mit echtem Gedankenlesen ohne jegliche Vorabinformationen oder sonstigen Hilfsmittel aus? Von Angesicht zu Angesicht sozusagen oder auch, noch verrückter, über eine große Distanz hinweg (Remote Viewing). Ich kann Sie beruhigen oder enttäuschen – je nachdem, welchen Standpunkt Sie einnehmen: Nach heutigem Wissensstand gibt es absolut keine Möglichkeiten, dass irgendjemand oder irgendetwas im wahrsten Sinne unsere Gedanken lesen oder erleben kann. Niemand kann sich – zum Glück für alle Beteiligten – in Ihr Gehirn einloggen und Ihre Gedanken anzapfen. Auch kein »Gedankenleser« oder Mentalist, und am allerwenigsten die Hellseher/Kartenleger im Fernsehen.

Wir alle können wohl in gewissen Lebenssituationen einzelne Gedanken unserer Mitmenschen dank einer Mischung aus Beobachtungsgabe und Erfahrungswerten »lesen«, aber in den meisten Fällen ergibt sich so etwas automatisch, und es ist beileibe nicht so, dass Sie zu sich sagen: »Genau in diesem Moment möchte ich wissen, was mein Gegenüber denkt.«

Aber wie entsteht überhaupt ein Gedanke? Gedanken sind elektrochemische Reaktionen: Das menschliche Gehirn besteht, je nachdem, ob man regelmäßig Alkohol trinkt (auch schon kleine Mengen von Hochprozentigem können unserem Hirn schaden), etwa aus 86 bis hundert Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die durch etwa hundert Billionen Schaltstellen (Synapsen) miteinander verbunden sind. Ein Neuron ist also mit tausend anderen Neuronen verbunden. Real sieht diese »Verdrahtung« sehr unterschiedlich aus. Im Durchschnitt sendet jede Verbindung ein Signal pro Sekunde; spezialisierte Verbindungen können aber bis zu tausend Signale pro Sekunde senden – und so entstehen Gedanken. Es ist demnach sehr schwer, einen Gedanken von Anfang bis Ende zu lokalisieren.

Gedanken werden von äußeren Stimuli ausgelöst, die über die Rezeptoren Augen, Haut, Ohr etc. erfasst werden, oder via Erinnerungen. Wir haben unbewusste/»passive« und aktive Gedanken.

Sie fragen sich nun sicher, was dies alles mit dem Gedankenlesen zu tun hat. Noch etwas Geduld, bitte, wir sind gleich am Ziel. Also: Die Gedanken werden durch äußere Stimuli angeregt und diese dann wiederum in irgendeiner Form bewusst oder unbewusst nach außen getragen oder »widergespiegelt«. Mit anderen Worten und einfach ausgedrückt: Wenn man diese Informationen lesen (beobachten) und richtig deuten kann, dann kann man (einzelne) Gedanken lesen!

Zuerst muss man also das ständige Erkennen und Sammeln von Informationen (Körpersprache und Verhalten) seines Gegenübers bewerkstelligen, und dann müssen diese Informationen richtig verarbeitet und interpretiert werden. Dass vieles davon vage ist und man immer nur von Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten sprechen kann, macht das Gedankenlesen so schwierig, aber auch so spannend. Trotz dieser Herausforderung ist es möglich, mit der richtigen Mischung aus Technik, einschlägigen Methoden und Erfahrungen einzelne Gedanken mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig zu lesen bzw. zu erkennen. Ich nenne das Ganze auch: »professionelles Raten«.

Sherlock Holmes: Das Geheimnis um …

Bei Interviews werde ich immer wieder gefragt, wie das denn alles mit meinen Fähigkeiten begonnen habe. Ob es Schlüsselerlebnisse gegeben habe, ob ich »so« geboren sei, ob das jeder lernen könne und ob ich überhaupt einmal abzuschalten vermöge oder mein Gegenüber ständig läse? Ob ich Menschen um mich herum automatisch manipulierte und meine Fähigkeiten auch im Privaten regelmäßig einsetzte? Und wie das für mein Umfeld sei? Nicht zu vergessen die überaus originelle Frage: »Sie wissen ja schon, wie meine erste/nächste Frage lauten wird, also muss ich sie gar nicht mehr stellen, oder?«

Ein kurzes Augenrollen von mir genügt, und schnell wird dann nachgeschoben. »Oh, ich bin sicher nicht der (die) Erste mit dieser Frage. Richtig? Aber könnten Sie mir bitte die Lottozahlen voraussagen?« Mmm … Je nachdem, wer mich fragt und wie gefragt wird, gebe ich nicht immer die gleiche Antwort auf diese immer gleichen Fragen. Einerseits möchte ich nicht einfach Wort für Wort stets genau das Gleiche erzählen, um nicht in einen Trott zu verfallen, und andererseits gibt es auf manche Frage auch nicht eine glasklare und immer gültige Antwort. Die meisten Fragen kommen ja nicht von ungefähr und geben mir schon wichtige Hinweise zum Fragenden.

Ich werde, über das ganze Buch verteilt, diese und noch viel mehr Fragen übrigens beantworten. Aber zuerst einmal: Wie wurde ich denn nun Gedankenleser oder Mentalist? Die Wahrheit ist: Es gab nicht einfach nur ein Schlüsselerlebnis oder einen gradlinigen Prozess, sondern es kamen zahlreiche verschiedene Puzzleteile zusammen – manche bewusst, andere unbewusst und zufällig –, bis alles schließlich zusammenpasste. So vieles ergibt heute einen Sinn, und die Zahnräder greifen meist perfekt ineinander, wie bei einem Schweizer Uhrwerk, doch bis es so weit war, gab es viele parallele Welten/Interessen, die auf den ersten Blick nichts mit meiner heutigen Kunst zu tun haben. Am Ende habe ich denn auch fast alles auf einen gemeinsamen Nenner gebracht und versuche nun, aus allem einen Nutzen zu ziehen.

Ich bin der Jüngste von drei Kindern. Meine Schwester Gudula ist fünf Jahre und mein Bruder Gereon zwei Jahre älter als ich, und wenn meine Großmutter väterlicherseits zu Besuch war und uns aus einem Buch vorlas, bekam ich somit automatisch schon das »Programm« für ältere Kinder mitgeliefert.

Am meisten hatten es mir damals Detektivgeschichten angetan. Anfangs ging es los mit den ganzen Enid-Blyton-Serien (Geheimnis um …, Die schwarze 7), dann kamen Die drei ???, Kalle Blomquist … und später verschiedene Agatha-Christie-Bücher – und natürlich Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes. Ich war ein sehr bewegungsfreudiges Kind und verbrachte viel Zeit im Freien und mit Sport, aber zu Hause habe ich sehr viel gelesen, manchmal auch nächtelang, mit einer Taschenlampe ausgerüstet, unter der Decke, um nicht aufzufallen. Mein erster Berufswunsch stand daher schon früh fest: Ich wollte Detektiv werden, am besten so wie eben Sherlock Holmes. Selbst später gab es noch Momente, als ich eigentlich Kriminologie studieren wollte …

Da unser Haus keinen Fernsehanschluss besaß, hatten wir, bis ich 16 Jahre alt war, kein TV, aber mein Großvater mütterlicherseits kaufte sich einen der ersten Video-2000-Rekorder von Grundig und nahm für uns immer alle Filmklassiker auf, die dann in den Ferien eifrig geschaut wurden. So entstand später die Liebe zu Hitchcock-Filmen und zur Schauspielerei. Angespornt von den ganzen Geschichten in den Romanen und Filmen, betätigte ich mich detektivisch mit dem Aufspüren von Rätseln und Geheimnissen.

Wenn meine Eltern zum Beispiel die Schlüssel verlegt hatten, wusste ich schon bald, wo sie waren. Es entstand eine Faszination für Beobachtungen, deduktives Denken und Intuition, gepaart mit einem ausgeprägten visuellen Erinnerungsvermögen. Als Kind habe ich dies immer wieder geübt, bis ich so gut wurde, dass ich es locker auch bei anderen Personen anwenden konnte, indem ich mich in sie hineinversetzt und mir überlegt habe, wie sie ticken und welche Handlungen sie wohl davor schon vornahmen. Ganz im Sinne von Sherlock Holmes.

Dank meiner Eltern habe ich eine gute Mischung von Eigenschaften erhalten: mein Vater ein sehr rational und logisch denkender Mensch (Naturwissenschaftler), der eher alles hinterfragt und Probleme sieht, bevor sie tatsächlich vorhanden sind; und meine Mutter eine kreative, humorvolle und optimistische Frohnatur, die meist alles sehr gelassen nimmt. Da beide auch noch kulturliebende Menschen sind, bekam ich zudem früh Zugang zur Musik, zum Theater, zur Kunst …

All dies, zusammen mit meiner Neugier und meinem inneren Antrieb, brachte mich auf meinen heutigen Weg, und im Alter von zwölf Jahren war mir dann schon klar, dass ich meine Liebe, meine Berufung zum Beruf machen würde, obwohl es so etwas in meinem persönlichen Umfeld bisher nicht gegeben hatte. Natürlich bin ich ab und zu vom Weg abgekommen, aber grundsätzlich folgte ich von da an immer meinem inneren Kompass, meiner Vision.

Einmal abgesehen von einer sehr kurzen Zeit, in der ich als Ausgleich einen Teilzeitjob in einem Restaurant hatte, ein fünfmonatiges Engagement als Tänzer auf einem Kreuzfahrtschiff annahm und einen dreimonatigen Teilzeitjob als Croupier ausübte (dazu später mehr), war ich immer mein eigener Chef. Es ist sehr befreiend und befriedigend, wenn man seine Leidenschaft zum Beruf machen kann, aber dafür kann ich kaum abschalten – alles, was ich erlebe, wird in meinem Kopf sofort verarbeitet und fließt auf die eine oder andere Art in meine Kunst ein.

Deduktion | Abduktion + Intuition

Im Sommer 1994 habe ich beim Pflasterspektakel Linz, dem internationalen Straßenkunstfestival in Oberösterreich, drei Tage lang nonstop auf der Straße performt und mir so meine erste Reise nach Japan finanziert. In Japan war ich eine Woche als Künstler und dann noch zwei Wochen als Tourist unterwegs. Ich habe mich gleich in Land, Leute und besonders das Essen verliebt, und da damals auf der Straße und in Restaurants, die nicht in der Nähe der Touristen-Hotspots lagen, beinahe niemand Englisch sprach oder verstehen konnte, musste ich mich mit einer Mischung aus nonverbaler Kommunikation und ganz wenigen Wörtern und Phrasen, die ich mir auf dem Hinflug noch schnell angeeignet hatte, durchschlagen. Obwohl die japanische Kultur so verschieden von der unseren ist, hatte ich überraschenderweise keine größeren Probleme, mich zu verständigen, und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass es mehr eine Frage des Wollens und der Neugier ist zu kommunizieren als davon abhängig, wie viele Wörter man wirklich verwenden und verstehen kann.

Ein, zwei Formulierungen reichten aus, um das Eis zu brechen, und von da an ging es mehrheitlich nonverbal weiter. Eine tolle Erfahrung – besonders dann, wenn man alleine unterwegs ist und einfach offen auf die Mitmenschen zugeht, erlebt und lernt man so vieles. Heutzutage kommt man zwar fast überall mit Englisch durch, aber man wird dadurch auch etwas bequem und verliert das Abenteuer aus den Augen. Testen Sie doch mal bei Ihrem nächsten Auslandsurlaub aus, wie weit Sie es ohne eine gemeinsame Sprache schaffen.

Eine tolle Übung ist es, sich ausländische TV-Programme oder Filme anzusehen und zu versuchen, die Grundidee oder die Dialoge zwischen den Protagonisten wenigstens grob zu verstehen. Stellen Sie dabei zuerst einmal den Ton ab, und konzentrieren Sie sich nur auf die Körpersprache aller Beteiligten. Wichtig ist dabei das Zusammenspiel zwischen dem, der »redet«, und seinem Gegenüber, das in jeweils bestimmter Art und Weise darauf reagiert, abzulesen etwa an der Mimik. Versuchen Sie auszumachen, ob und wie sich beispielsweise eine Statusveränderung im Laufe eines Gesprächs bemerkbar macht. Es ist ja nicht so, dass immer durchgängig der Gleiche die Situation dominiert, manchmal ändert sich dies blitzschnell.

Wenn Sie dabei etwas Übung haben, werden Sie feststellen, dass Sie ziemlich schnell verstehen können, um was es geht. Nach den ersten Erfahrungen können Sie den Ton dann wieder leise dazunehmen, aber ignorieren Sie dabei die Sprache – bei einer absolut fremden Sprache brächte Ihnen das sowieso nichts –, und konzentrieren Sie sich auf die Stimmlage, die Betonung und den Rhythmus; dies, gepaart mit der Körpersprache, wird Ihnen ein noch besseres »Bild« liefern.

Testen Sie Ihre Fähigkeiten, indem Sie einen ausländischen Film, den Sie noch nicht kennen, in der Originalsprache und ohne Untertitel ansehen. Versuchen Sie möglichst viele Zusammenhänge zu verstehen. Dann sehen Sie sich den Film ein zweites Mal an, diesmal mit Untertiteln oder in einer synchronisierten Fassung. Wenn Sie jemanden kennen, der eine Sprache spricht, die Sie nicht verstehen, dann sehen Sie sich mit ihm eine TV-Sendung in seiner Sprache an und erzählen Sie ihm danach, was Sie alles »verstanden« haben. Natürlich können Sie sich auch deutsche Sendungen ohne Ton ansehen und dabei versuchen, möglichst viel zu »verstehen«. Aufgrund Ihrer Erfahrungen und Ihres Vorwissens sollten Sie bei deutschsprachigen Sendungen natürlich schon viel genauer erfassen können, was gerade vor sich geht …

Auf dem Rückweg von Japan verbrachte ich dann einige Tage in Hongkong, um diese einzigartige Stadt noch als britische Kronkolonie zu erleben, bevor sie an die Volksrepublik China zurückgegeben wurde, und natürlich auch, um etwas zu shoppen: Ich gönnte mir meinen ersten maßgeschneiderten Anzug!

Meine letzte Station in Japan war Kyoto, und ich wurde von einem ruhigen, sehr höflichen und zurückhaltenden Umfeld in die sehr laute, hektische und raue Umgebung von Hongkong geschleudert. Ich hatte im Vorfeld keine Unterkunft gebucht und begab mich einfach mal so nach Kowloon, um mir dort vor Ort – aufgrund einer Flugverspätung war es schon spätabends – eine Bleibe zu suchen. Schließlich verbrachte ich die ersten beiden Nächte in einem winzigen Gästezimmer im Chungking Mansions, bekannt aus dem hervorragenden Wong-Kar-Wai-Film Chungking Express, der unter anderem in diesem Gebäude spielt und zufälligerweise einen Monat vor meiner Ankunft im Kino anlief.

Von der sehr homogenen japanischen Gesellschaft platzte ich hinein in einen Gebäudekomplex, der nicht vielschichtiger hätte sein können. Die unterschiedlichen Vibes, die dieses Hochhaus und seine Bewohner ausstrahlten, kann man schwer beschreiben: Man muss es selbst erlebt haben. Restaurants, Geschäfte, winzige Zimmer für Rucksacktouristen, Bewohner aus über hundert Nationen, die dort legal und illegal lebten, Produktionsstätten für kopierte Markenartikel, Prostituierte, Drogenhandel, viertausend Bewohner in einem 17-stöckigen Wohnkomplex, wie in einem gigantischen Hühnerstall zusammengepfercht … Das TIME Magazine bezeichnete das Chungking Mansions damals als Paradebeispiel für die Globalisierung (»Best Example of Globalization in Action«).

Die meisten Touristen haben davon sicher nichts mitbekommen, da man per Lift direkt zu den Stockwerken mit den günstigen Zimmern gelangen konnte. Doch von Neugier gepackt, nahm ich immer den Weg nach unten über die zahlreichen Treppen, die sich kreuz und quer durch das unübersichtliche und labyrinthartige Gebäude schlängelten. Einmal musste ich sogar über ein loses Brett zwischen zwei Fenstern balancieren, um von einem Gebäudeteil in einen anderen zu gelangen, weil gerade etwas umgebaut wurde.

Obwohl in diesem Mikrokosmos die meisten Menschen einigermaßen leidlich Englisch sprechen und verstehen konnten, war es viel, viel schwerer, sich zu verständigen, als in Japan, auf dem Lande, ohne gemeinsame Sprache. Selbst wenn man eine direkte Frage stellte, wurde man in den wenigsten Fällen überhaupt angesehen, es war kein Wille da zu kommunizieren, keine Lust auf Neues – es existierten ganz viele Parallelwelten, die nur durch eine Gemeinsamkeit miteinander verbunden waren: den Wunsch, das schnelle Geld zu machen und irgendwie zu überleben, weshalb jeder ganz auf sich selbst konzentriert war. Wenn ich heutzutage Menschen sehe, die gemeinsam beim Essen an einem Tisch sitzen, dabei aber ihre Hände und Blicke nicht von ihrem Smartphone wegbekommen, dann muss ich immer an meine Erlebnisse im Chungking Mansions denken. Kein Wunder, wenn infolgedessen die Fähigkeiten, von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, verkümmern.

Meine Reise durch Japan und die Tage in Hongkong waren ein unglaubliches Erlebnis für mich, das mich in vielerlei Hinsicht geprägt, bereichert und weitergebracht hat. Durch die enormen Unterschiede in Kultur und Lebensweise liegt es auf der Hand, dass die Gestik und die allgemeine Körpersprache in den verschiedenen Regionen stark variieren – aber mir ist damals auch aufgefallen und zum ersten Mal bewusst geworden, dass die Emotionen im Gesicht in der gleichen Weise ausgedrückt werden wie bei uns!

Zum Zeitpunkt der Reise hatte ich schon länger großes Interesse am Erkennen und Deuten der Körpersprache meines Gegenübers, aber erst durch die Bücher und wissenschaftlichen Artikel von Dr. Paul Ekman und Dr. David Matsumoto habe ich mich intensiv damit beschäftigt, die Unterschiede zwischen der kulturell und individuell antrainierten nonverbalen Kommunikation (Gestik, Körpersprache, Gesichtsausdrücke, das Zeigen von Emotionen) und der angeborenen und universellen nonverbalen Kommunikation zu entdecken. Doch bevor wir dazu kommen, möchte ich noch ein anderes prägendes Erlebnis aus den Tagen in Hongkong mit Ihnen teilen.

Nach einer kurzen Nacht im Chungking Mansions begab ich mich auf eine Entdeckungsreise durch die Stadt und besuchte unter anderem auch das Planet-Hollywood-Restaurant. Als Jugendlicher war ich ein großer Bruce-Lee-Fan; ich hatte alle seine Bücher gelesen und natürlich auch alle seine Filme mehrfach gesehen, und ich wusste, dass im Planet Hollywood einige originale Bruce-Lee-Filmmemorabilien hingen.

Am Eingang fragte mich der Türsteher, ein kräftiger Afroamerikaner, freundlich, ob ich zum Essen gekommen sei oder nur an die Bar wolle. Da es noch Vormittag war, erkundigte ich mich, ob es okay sei, mich einfach nur umzusehen und die Ausstellungsstücke zu betrachten. Er funkte kurz mit der Hostess am Restaurant-Eingang und ließ mich dann eintreten. Es ging steil die Treppe hinauf, vorbei an den Handabdrücken von Jackie Chan und anderen Stars, und hinein ins Restaurant, in dem unter anderem Kostüme, ein Nunchaku, die bekannte fernöstliche Schlagwaffe, und die »Todeskralle« aus dem Bruce-Lee-Film Enter the Dragon ausgestellt waren.

Nach einem kleinen Rundgang und zwei, drei Erinnerungsfotos verließ ich kurz darauf das Planet Hollywood wieder.

Am dritten Tag wechselte ich dann die Unterkunft und hauste fortan in einer Art Jugendherberge mit Mehrbettzimmern. Kurioserweise stießen abends noch zwei deutsche Rucksacktouristen aus Dinslaken, meinem Geburtsort, dazu, die sogar zwei meiner Cousins flüchtig von der Schule her kannten. Klein ist die Welt! Wir machten noch einen späten Spaziergang, um Fotos von der Skyline zu schießen, und gingen anschließend noch auf einen Schlummertrunk ins Planet Hollywood. Kaum saßen wir an der Bar, begrüßte mich die blonde Barkeeperin ganz selbstverständlich mit einem starken amerikanischen Akzent: »Hey, Tobias, what would you like to drink?«

Die verwunderten Jungs fragten, ob ich hier schon Stammkunde sei, und ich wunderte mich umso mehr, da ich diese Frau noch nie in meinem Leben getroffen hatte und sie mich doch mit meinem Namen begrüßte, als ob ich ein alter Bekannter sei. Ich war geflasht – aber nicht davon überzeugt, dass die Frau Gedanken lesen konnte – und suchte nach einer Erklärung. Die Barkeeperin behauptete zwar verschmitzt, dass sie hellseherische Fähigkeiten besitze, aber das war eher als Witz gemeint.

Als ich dann so an meinem Lagerbier nuckelte, ratterte es in meinem Oberstübchen und mein deduktives Denken setzte ein: Wie konnte das sein? Die Barkeeperin hatte mich noch nie vorher gesehen, auch nicht bei meinem Rundgang durchs Restaurant. Die Jungs, an deren Namen ich mich heute nicht mehr erinnern kann, hatten weder meinen Namen laut ausgesprochen, noch hatten sie eine Möglichkeit gehabt, der Barkeeperin meinen Namen auf andere Art mitzuteilen …

Was denken Sie, wie konnte die Barkeeperin meinen Namen wissen? Haben Sie eine Ahnung?

Mir dämmerte es nach dem zweiten oder dritten Schluck Bier. Bei meinem ersten Besuch hatte der Türsteher mich bei der Begrüßung nach meinem Namen gefragt; das war das einzige Mal gewesen, denn beim zweiten Besuch sprach der Türsteher gerade mit anderen Gästen, und als wir an ihm vorbeigingen, hatte er uns nur kurz zugenickt.

Meines Erachtens hatte er sich erstaunlicherweise an meinen Namen erinnert, und als wir uns zur Bar hinbewegten, der Barkeeperin meinen Namen via Funk durchgegeben. Wie auch immer. Ich kann dies nicht mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten, da ich beim Türsteher nie nachgefragt habe: Ich wollte das »Mysteriosum« nicht zerstören und ließ es einfach so stehen und auf mich einwirken. Sicher war, dass ich mich geschmeichelt fühlte und tief beeindruckt war von diesem für einen Kunden schönen Erlebnis. Heutzutage geben sich ja leider die meisten schon damit zufrieden, dass ein Kellner die Bestellung nicht vergisst und die richtige Rechnung bringt.

Wie Sie sich Namen übrigens leicht merken können, und wie wertvoll es ist, sich diese Kunst anzueignen, lernen Sie in einem späteren Kapitel.

Kleiner Tipp am Rande: Wenn Sie in einer neuen Stadt oder an einem unbekannten Ort sind und kein festes Programm haben, dann machen Sie doch mal Folgendes: Gehen Sie frühstücken, und fragen Sie dort einen Einheimischen, welches sein Lieblingsort oder Lieblingsgeschäft ist. Nachdem Sie diesen Ort gefunden und besucht haben, fragen Sie dort vor Ort den nächsten Einheimischen nach seinem Lieblingsmuseum, -restaurant, -kino … So lernen Sie die Stadt und die Menschen auf eine ganz andere Art und Weise kennen.