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Feuerkuss und Flammenseele


Eileen Raven Scott


k1

Für Steffi, die Lierds Geschichte damals betagelesen
und einer Figur aus dem Buch sogar das Leben gerettet hat.




© Eileen Raven Scott 2014

Machandel Verlag Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Ergänzte Neuauflage 2020

Cover-Designerin: Ch.Erpenbeck

mit Material von

lady-luck und chaslKS / shutterstock.com

Innen-Illustrationen: ebenfalls shutterstock.com

ISBN 978-3-95959-272-7

Über die Autorin


Eileen Raven Scott wurde 1980 in Norddeutschland geboren, verbrachte viele Jahre ihrer Kindheit in England, weshalb sie das Land immer noch liebt und ihre Geschichten gerne dort spielen lässt. Jetzt lebt sie mit ihrer Familie im Bergischen Land. Sie veröffentlicht ebenfalls unter dem Namen Lia Haycraft romantische Romane mit und ohne Fantasy. Seit 2015 ist sie Mitglied bei der Autorenvereinigung DELIA. Sie wird vertreten von der Projekt- und Autorenagentur Gerd F. Rumler.



Danksagung



Dass meine beiden Dämonenbücher „Feuerküsse“ und „Flammenseele“ als Sammelband neu herausgebracht werden sollten, war eine sehr schöne Überraschung für mich und kam genau zur richtigen Zeit. Zu allererst möchte ich mich also bei meiner lieben Verlegerin Charlotte Erpenbeck bedanken für diese Idee und die Arbeit, die sie in den Sammelband gesteckt hat. Ich freue mich wahnsinnig, dass diese beiden Geschichten um Lierd, Aruni, Ash und all die anderen noch einmal in neuem Gewand veröffentlicht werden können. Danke, dass dieses Buch im kleinen, feinen Machandel-Verlag sein Zuhause finden durfte. Es macht wirklich Freude, mit dir zusammenzuarbeiten, Charlotte! Danke nochmal für zwei tolle Lektorate, die ganze unermüdliche Arbeit und den Enthusiasmus, den du immer in all die Bücher steckst, die du verlegst.

Weil mir bei den Feuerküssen und der Flammenseele damals natürlich auch viele Leute geholfen haben, bedanke ich mich auch an dieser Stelle nochmal bei meinen Betaleserinnen Charlotte, Meli, Peter, Alana Falk, Petra Schmidt, Kathrin und Steffi natürlich. Ein großer Dank geht auch an meine beste Freundin Corinna und meine Eltern. Über die Jahre habe ich eure Meinung und Hilfe schon mehrfach einholen dürfen, ihr habt mich bei vielen meiner Geschichten begleitet, unterstützt und ermutigt. Ein Dankeschön gilt auch wie immer dem Autorenforum Tintenzirkel und seinen Mitgliedern. So manche Frage zu diesen Geschichten durfte ich dort stellen und habe Tipps und Ratschläge erhalten und es ist einfach eins der schönsten virtuellen Wohnzimmer der Welt für mich.

Tausend Dank allen Lesern und Leserinnen, danke, dass ihr meine Geschichte lest. Herzlichen Dank für jedes Feedback, jede Rezension oder Bewertung auf eigenen Blogs oder auf den ganzen Buchportalen, die es gibt. Es ist schön, dass es euch gibt!


Veröffentlichungen


Im Machandel Verlag erschienen bisher der Kurzroman „Feuerküsse“ (2014), „Kisses of Fire“ (2015) und „Flammenseele“ (2016).

Unter dem Namen Lia Haycraft erschien die Fantasy-Reihe „Die Nacht der Elemente“ mit vier Bänden im bookshouse Verlag. Der Liebesroman „Doppelt verlobt hält besser“ erschien 2018 bei FOREVER by Ullstein.



Homepage


www.liahaycraft.de


Auch auf Facebook und Instagram zu finden.

Feuerkuss und Flammenseele


Buch 1

Feuerküsse



Kapitel 1


Das Feuer lachte und flüsterte süße Worte. Aruni setzte sich auf den Kaminsims und streckte ihre Hand nach den Flammen aus. Augenblicklich leuchteten sie auf und schmiegten sich an ihre Haut. Langsam wich die Herbstkälte aus ihren Knochen. Schnurrend ringelte sich Ash auf ihrem warmen Schoß zusammen. „Ach, Ash, wie sehr ich es leid bin, anders zu sein. Immer diese Maskerade.“

Missmutig sah sie zu ihrer Sammlung von Handschuhen, Hüten, Haartüchern und Spangen, die auf der Kommode am Fenster lagen. Ash rieb ihren Kopf gegen Arunis Hand. Aruni kraulte ihre Ohren, setzte sie dann aber sacht neben sich ab und ging zum Fenster. Nachdenklich strich sie sich über ihre kurzen Hörner. Mit einem letzten Blick in die Nacht zog sie die Vorhänge zu. Neugierige Blicke von Passanten konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen. Sie drehte die Heizung noch ein wenig höher. Für Ihren Geschmack war die Temperatur zwar immer noch zu niedrig, aber mehr als knappe 45 Grad schaffte die Anlage einfach nicht.

Blazer, Bluse und schwarze Jeans landeten in einem unordentlichen Haufen auf dem alten Samtsessel in der Ecke des Schlafzimmers. Dann begann Aruni mit finsterem Blick die schwarze Bandage abzuwickeln, unter der sie ihre rotschuppig glänzende Körpermitte und ihren nachtschwarzen Schweif verbarg. Kurz sah sie in die Flamme der Kerze auf ihrem Nachttisch, blies sie dann aus und krabbelte unter die Bettdecke.

Die kleine Katze leckte ihr Fell sauber, dann sprang sie mühelos vom Kamin und lief lautlos zu Arunis Bett. Mit einem eleganten Satz landete sie auf der weichen Decke und ringelte sich dort zusammen.

„Mein Flämmchen, wenn ich dich nicht hätte“, sagte Aruni leise. „Schlaf schön.“


Entgeistert fuhr Aruni hoch. Neben ihr fauchte Ash fast so laut wie sie. Wer zum Teufel klingelte mitten in der Nacht an ihrer Tür? Aruni sprang aus dem Bett, riss hastig die Bettdecke mit sich und stolperte fluchend zur Tür. Jetzt hämmerte der nächtliche Störenfried ungeduldig an das Holz.

Um diese Zeit konnte das nur einer sein - und der bedeutete Ärger. Ein Blick durch den Spion bestätigte ihren Verdacht. Erneut stieß sie ein leises Knurren aus. Ash sprang auf das Bücherregal gegenüber der Tür und machte sich neben einer Blumenvase ganz klein.

Aruni zog die Bettdecke fester um sich und öffnete die Tür einen Spalt breit.

„Mach endlich richtig auf, Aruni. Was soll das denn jetzt?“, herrschte Lierd sie an. „Bist du plötzlich schüchtern geworden, hier unter den Menschen?“ Er drängelte sich an ihr vorbei in die Wohnung und sah aus seiner imposanten Höhe von zwei Metern zwanzig auf sie herab.

„Na, was ist, störe ich?“ fragte er.

„Überhaupt nicht. Schon gar nicht um diese Zeit.“ Aruni schnaubte. "Was willst du, Lierd? Es ist Nacht.“

„Ja, genau. Es ist die Nacht vor Halloween, in der du eigentlich an der Zeremonie teilnehmen solltest. Du könntest ein paar Menschenopfer mitbringen. Du sitzt doch hier direkt an der Quelle.“ Er leckte sich über die Lippen.

Ein Husten ertönte, Aruni und Lierd sahen zum Bücherregal. Die Katze würgte einen Fellball hoch. Er landete lautlos auf dem Teppich.

Lierd sah sie an. „Siehst du? Ihr gefällt es hier auch nicht. Wie lange willst du denn noch hier bleiben?“

Erneut schnaubte Aruni wütend und verschränkte die Arme. „Es gefällt ihr hier gut. Und mir auch. Wenn du mich nur wieder überreden willst, mitzukommen, kannst du sofort wieder gehen.“

Anstatt zu antworten, lachte Lierd. Er machte zwei Schritte auf Aruni zu und baute sich vor ihr auf wie ein Kater, der sein Revier verteidigt. „Willst du mir drohen?“

Leicht glühten Arunis Hörner auf, aber dann zuckte sie nur mit den Achseln und trat einen Schritt zurück.

Lierd grinste und ging an ihr vorbei. Dabei stieß er sie mit der Schulter an, sodass fast ihre Bettdecke heruntergerutscht wäre. Er ging zum Feuer und ließ sich breitbeinig in einen der Ledersessel fallen.

Aruni zögerte. Dann entschied sie sich für die Bank am Fenster. In sicherer Entfernung setzte sie sich und beobachtete ihren ungebetenen Gast.

„Warum trägst du eigentlich eine Bettdecke?“, fragte Lierd schließlich, nachdem er eine Weile in die Flammen gestarrt hatte. „Ist das eine neue Menschenmode?“

Der sanfte Ton beunruhigte Aruni noch mehr. Seine Augen funkelten seltsam. Führte Lierd etwas im Schilde? Aber nein, es war bestimmt nur das Feuer.

„Ich habe geschlafen“, sagte sie kleinlaut.

„Du hast geschlafen?“ Lierd klang ehrlich erstaunt. „Du musst schlafen? Das wusste ich nicht. Wieso wusste ich das nicht? Seit wann?“

„Hier oben ist es anders. Meine menschliche Seite kommt auf der Oberfläche mehr zum Vorschein. Aber ich habe auch unten geschlafen. Heimlich. Wenn du mich einen Moment entschuldigen würdest“, murmelte sie und ging rückwärts ins Badezimmer. Sie ärgerte sich darüber, dass Lierd diese Schwäche herausgefunden hatte. Im Schlaf war sie wehrlos. Wenn das unten die Runde machte, wer wusste schon, wer das ausnutzen würde. Und auf Lierd war kein Verlass.

Aruni lehnte sich an die geschlossene Tür und schnappte sich ihren Bademantel. In der Ecke neben der Badewanne lagen noch ihre violette Jogginghose, eine blaue und eine rote Socke. Leider keine Unterwäsche, aber Hauptsache, er starrte nicht auf ihre nackte Haut. Schnell schlüpfte sie in den weichen Stoff und strich ihre Haare zurück. Dann holte sie tief Luft und öffnete die Tür wieder.

Lierd saß nicht mehr im Sessel. Nervös schoss ihr Blick von einer Ecke des Raums in die andere. Ein Geräusch kam aus der Küche. Leise schlich sie bis zum Türrahmen und sah genau auf die mächtigen Muskelstränge seines Rückens. Lierd stand vor dem offenen Kühlschrank. Wahrscheinlich suchte er nicht vorhandenes Bier. Er hatte sein Hemd ausgezogen. Menschenkleidung hatte er schon immer gehasst.

„Du brauchst nicht zu schleichen, ich weiß genau, wo du bist.“

Im nächsten Augenblick stand er so dicht vor ihr, dass sie ihn förmlich riechen konnte. Über dem gewohnt rauchigen Geruch lag ein Hauch von Parfüm. Es war ein weiblicher Duft, blumig und tödlich. Jenna. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

„Ja, ich war bei Jenna“, sagte er und zog die Schultern zurück. „Du brauchst gar nicht so an mir zu schnüffeln.“ Seine Hände steckten tief in den Taschen seiner schwarzen Jeans. Lierd zog die Lippen ein Stück zurück und entblößte seine perfekten weißen Eckzähne. Ein leises Knurren ließ sie in seine Augen blicken. Darin loderte sein eigenes Feuer. Wild und unbezähmbar. „Aruni ...“, fauchte Lierd. „Sieh mich nicht so an. Ich weiß, was du denkst, und du liegst falsch.“

Sie löste ihren Blick und drehte den Kopf zur Seite. Schritt für Schritt ging sie rückwärts, bis sie an die Küchenwand stieß. Lierd blieb stehen, wo er war und lehnte sich an den kleinen Klapptisch, der in der Mitte der Küche stand. Es knirschte vernehmlich. Lierd riss die Augen auf und fiel wie ein gefällter Baum nach hinten, als der Tisch nachgab. Die Tischplatte brach in der Mitte durch und Lierd landete zwischen den großen Splittern auf den Küchenfliesen. Er stieß einen saftigen Fluch aus. In einer geschmeidigen Bewegung richtete er sich wieder auf und sah halb mitleidig auf den Berg aus Sperrholz und Plastik.

„Ich kaufe dir morgen einen neuen Tisch. Leg dich wieder schlafen“, sagte er und verließ die Küche. Die Haustür fiel laut ins Schloss. Aruni ließ den angehaltenen Atem ausströmen.


Kapitel 2


Ilvio schwamm ärgerlich von den anderen weg. Es war alles so sinnlos. Tanzen, tanzen, tanzen, singen, singen, singen. Mehr taten sie nicht. Aber zu dieser Musik wollte er nicht mehr tanzen, und er wollte auch nicht singen. Er wollte die Welt sehen. Etwas, was keiner der anderen verstand. Ilvio schwamm zum Ufer und richtete sich auf. Und bald würden sie ihm dafür auch danken. Er würde ihnen neue Musik bringen. Dann würde es besser werden. Für eine Weile. Und wenn auch das langweilig geworden wäre, würde er eben erneut losziehen.

Am Strand spürte er die ungewohnte Härte des feuchten Sandes unter den Schwimmhäuten seiner Zehen und seufzte. Mit großen Schritten lief er am Wasserrand entlang. Er rieb sich die Brust. Seine Lungen schmerzten, er hatte sie schon ein paar Monate nicht mehr benutzt. Am Ende des Sandstrandes sah er sich um. Vor ihm lagen die Klippen und darauf ein grüner Rand aus Gras und Bäumen. Hinter ihm lag das dunkle, unendliche Meer. Seine Heimat.

Entschlossen ging er bis an die steile Felswand, lief ein Stückchen daran entlang und fand schließlich den schmalen Pfad, der holprig und schief zwischen den Felsen landwärts führte.

Ilvio ging ohne zu zögern den Pfad entlang. Auf einmal öffneten sich die Felsen, und er stand oben am Klippenrand, hoch über seiner Welt. Als die Sonne aufging und das Meer glitzern ließ, flog ein Schwarm Seemöwen laut kreischend über seinen Kopf hinweg. Ilvio warf den Kopf zurück und lachte. Er ließ sich auf das Gras fallen und sah einfach in den Himmel, folgte den Wolken mit seinen Blicken und staunte über all die Farben, die durch den Himmel wanderten. Zuerst dunkles Blau, dann ein roter Schimmer wie von Seesternen, und dann hatte der Himmel eine so strahlend blaue Farbe, wie er sie noch nie gesehen hatte. Zumindest kam es ihm so vor. Die unendliche Weite und die klare Luft nahmen ihm den Atem.

Seine Gedanken begannen zu wandern, zusammen mit den Wolken. Wohin sie wohl zogen? Noch nie war er allein an Land gegangen. Sonst kam immer seine Tante mit. Aber sie teilte nicht seine Meinung, dass sich etwas ändern musste.

Eine melodische Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen.

„Oh? Besuch?“ Ein leises Lachen ertönte.

Ilvio schirmte seine Augen gegen die Sonne ab und drehte den Kopf. Audrey! Eine der wenigen Menschen, die von den Meereselfen wussten. Wobei Audrey streng genommen kein Mensch mehr war, sondern ein Geist. Natürlich, sie wohnte immer noch an diesem Küstenabschnitt, das letzte Mal hatte er sie allerdings auf der anderen Seite der Küstenstadt gesehen.

„Schön, dich wiederzusehen, Ilvio“, sagte Audrey und setzte sich ihm gegenüber in das Gras. Sie nickte zum Meer. „Ein berührender Anblick, nicht wahr? Möglicherweise ist es dieser Anblick, der mich an diese Welt fesselt.“ Sie richtete den Blick zum Horizont. Ilvio schmunzelte, sie und er wussten genau, dass es nicht nur am Sonnenaufgang lag, dass Audrey immer noch hier war, obwohl sie längst gestorben war. Sie hatte sich einfach entschieden zu bleiben, genau wie ihre Eltern, die den Geisterhügel hinter der Küstenstadt bewohnten.

Mit einiger Belustigung begriff er plötzlich, wieso sie ihn nicht ansah. Er war nackt, bis auf die paar Seealgen, die er sich um seine Lenden geschnürt hatte.

„Bleibst du länger?“, fragte Audrey. „Ich könnte dir eine Hose beschaffen, und vielleicht ein Hemd.“

„Das wäre wunderbar“, sagte Ilvio. „Ich möchte nach London. Du hast mir doch schon oft von der Hauptstadt erzählt. Gibt es dort gute Musik?“

Audrey lachte. „Aber ja! Was suchst du genau?“

„Das werde ich erst sicher wissen, wenn ich es höre“, überlegte Ilvio. „Bei uns ist alles so eintönig geworden. Wir brauchen etwas Neues.“

„In London wirst du es bestimmt finden. Es gibt dort andauernd Konzerte, Partys, Musikgeschäfte, alles Mögliche. Komm mit, ich habe alles in den Hügeln gehortet, was du brauchst.“


Kapitel 3


Ein schrilles Klingeln riss Aruni aus dem Schlaf. Müde rieb sie sich die Augen und starrte auf ihren Wecker. Dann streckte sie den Arm aus, um das nervtötende Klingeln auszuschalten. „Mist, schon Zeit zum Aufstehen“, sagte sie zu Ash, schlug die Decke zurück und quälte sich aus dem Bett.

Nach einer heißen Dusche sah die Welt deutlich freundlicher aus. Das Wasser war natürlich weniger heiß als Feuer, für ihre menschliche Haut so aber auch viel angenehmer. Aruni machte Ash Frühstück und aß selbst ein paar Bissen von dem Curry, das sie am Vortag gekocht hatte.

Vor dem Spiegel zog sie sich an und türmte ihre Haare zu zwei kleinen Knoten, die sie um ihre Hörner schlang. Darum wickelte sie zwei schwarze Satinbänder. Als sie fertig war, verzog sie den Mund. Nicht direkt schön, aber zumindest einigermaßen unauffällig und praktisch. Sie sah sich nach ihrer Katze um.

„Bis später, Ash. Ich hoffe, Lierd wird dich nicht stören, aber ich weiß, dass er dich eigentlich mag.“

Ash miaute verneinend und Aruni musste lächeln. „Doch, bestimmt. Ich muss los. Mach keine Dummheiten!“ Sie streichelte Ash über den Rücken und verließ ihre kleine Wohnung.

Die Luft war kühl und die Sonne noch nicht aufgegangen. „Abscheulicher Herbst“, dachte sie im Stillen. Zu kalt und eindeutig zu nass. Wehmütig erinnerte sie sich an die heißen Sommertage. Sie zog ihren Mantel enger um sich und schlenderte die Straße entlang. Die Geschäfte waren alle noch geschlossen. Kaum jemand war unterwegs. Ein Mann im dunklen Trägerhemd mit knallroten Haaren, die wirr in alle Richtungen standen, torkelte vor ihr gegen eine Laterne und hielt sich daran fest, als ob er mit ihr tanzen wollte. Doch nach ein paar wiegenden Schritten, klammerte er sich nur noch fest und wankte gefährlich.

Schon aus zehn Schritten Entfernung roch sie den Alkohol in seinem Atem. Er hatte trotz des kühlen Wetters nackte Arme und als sie näher kam, schaute sie auf die Tätowierungen auf seiner Haut. Bei einer rot gehörnten Teufelin in Stöckelschuhen, Korsage und Strapsen musste Aruni grinsen. Das leibhaftige Abbild von Flame. Aber Flame kam nie in die Menschenwelt. Genaugenommen kam fast niemand von ihrer Familie in die Menschenwelt, seitdem ihre Mutter einmal diesen „Fehlgriff“, wie sie es nannte, mit Arunis Vater gehabt hatte.

Aruni stieß mit dem Fuß gegen etwas. Es schepperte, eine leere Cola-Dose flog in hohem Bogen durch die Luft und traf den Mann an der Wade. Der Tätowierte drehte sich zu ihr um und fluchte.

„Entschuldigung“, rief Aruni und lächelte versöhnlich. Er starrte sie einen Augenblick an, dann verschwamm sein Blick wieder und er torkelte in die andere Richtung davon. Aruni seufzte und überquerte die Straße. Die Passage war noch verschlossen, also ging sie außen herum, an der Mauer zum Kanal entlang und an den bunten Häusern vorbei. Petunia war schon dabei, ihren Stand aufzubauen. Bunte Wimpel hingen an einer Leine. Darunter stapelte sie gerade allerhand Anhänger, Taschen mit Spiegeleinsätzen und ein paar Bücher über Engel und Hexenkräuter. Als sie Aruni sah, winkte sie.

Aruni blieb stehen und rief: „Bist du heute Abend auch auf der Party?“

„Na klar!“, gab Petunia zurück.

„Dann sehen wir uns dort!“ Aruni hob ihre Hand zum Abschied und ging weiter.

Gegenüber im Cyberdog dröhnte schon laut die Musik. Im dunklen Inneren konnte Aruni die schmale Verkäuferin sehen, die sich wie ein Roboter auf Ecstasy bewegte. Alles wie gewohnt.

Ein Geruch nach Plastik und Staub schlug Aruni entgegen, als sie den Laden betrat, in dem sie arbeitete. Sie machte die Tür weit auf und ging an den Ständern mit Bekleidung in den Farben Schwarz, Weiß und Rot vorbei. Am Wandkalender riss sie das Blatt von gestern ab und zog eine Grimasse. Heute war der 31. Oktober und damit Halloween. Das bedeutete Ärger. Irgendwo unter ihren Füßen in den höllischen Katakomben ihrer Familie würde die Hauptzeremonie stattfinden, und sie hatte überhaupt kein Verständnis zu erwarten für ihr Fernbleiben. Bestimmt würde Lierd auch heute noch einmal vorbeischauen, um einen weiteren Versuch zu machen, sie zur Teilnahme zu überreden.

Wenn ihre Familie nicht gewesen wäre, hätte sie Halloween richtig genießen können. Eigentlich mochte sie diesen Tag, noch schrägere Gestalten als sonst verirrten sich in ihren Laden, zusammen mit Horden von Touristen. Und auf den Straßen würde jede dunkle Kreatur aus London zu sehen sein, sobald die Sonne untergegangen war. Kreaturen aus der Unterwelt und solche, die gerne welche sein würden. Denn unter die verkleideten Menschen mischten sich jedes Jahr munter Vampire, Dämonen von anderen Stämmen und sogar Geister und Phantome, die jedoch für die meisten Menschen unsichtbar sein dürften.

Jemand kam herein, Aruni drehte sich um. Ein hagerer Typ mit ziemlich weißer Haut, schwarzer Lederkluft, langem wehenden Mantel und rot gefärbtem spitzem Kinnbart betrat den Laden. Die Spitzen seiner künstlichen Hörner schimmerten wie Silber. Seit Neustem beobachtete Aruni unter ihren Kunden den Trend, sich solche künstlichen Hörner unter die Haut pflanzen zu lassen. Dieser hier hatte zwischen Tribal-Tattoos auf seiner Kopfhaut gleich einen ganzen Kreis von verschieden großen Metallhörnern. Unweigerlich musste sie lächeln. Wenn der wüsste!

Er ging langsam an den Röcken und Lederwesten entlang. Aruni wartete und ließ ihn nicht aus den Augen. Nach einer Viertelstunde Herumschlendern griff er sich ein schwarzes Trägerhemd mit Nieten von der Wand, ging zur Kasse und knallte es Aruni auf den Tisch.

„Tach“, sagte er. Seine Stimme klang viel zu sympathisch für seine Aufmachung.

„Das ist alles?“, fragte Aruni mit zusammengekniffenen Augen.

Er wurde nicht einmal rot, als er nickte.

Sie sah ihn von oben bis unten an. Er starrte zurück. Aruni seufzte und ging um den Verkaufstresen herum. Gezielt fischte sie eine Packung fluoreszierender Schnürsenkel für hohe Stiefel, ein paar fingerlose Lederhandschuhe und einen zusammengerollten Ledergürtel mit Silberschnalle aus seinen Manteltaschen und legte alles auf den Tresen.

„Das möchtest du also nicht kaufen? Gut, dann lege ich es gleich zurück. Was für ein Glück, dass heute Halloween ist, da drücke ich ein Auge zu, aber ich fürchte, du hast Hausverbot, mein Freund.“ Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln und tippte den Preis für das Trägerhemd in die Kasse. „Neun Pfund und neunundneunzig Pence, bitte“, sagte sie zu dem Typ, dem immer noch der Mund offen stand.

„Das sind meine Sachen, was fällt dir ein?“, ereiferte er sich und begann die Sachen wieder einzustecken. Aber so einfach würde er nicht davon kommen.

Aruni hielt seine Hand fest. „So? Und warum ist da ein Preisschild von uns drauf?“ Sie hielt ihm einen Handschuh mit Preisschild unter die Nase. „Soll ich dich doch anzeigen?“, fragte sie leise.

Hastig griff er nach den Sachen und rannte los. Aber Aruni war schneller. Sie sprang über den Tresen und riss ihn an seinem Mantel zu Boden. Als sie einen Stiefel auf seine Brust setzte, keuchte er auf und sah sie mit riesigen Augen an. Aruni zog ihre Videothek-Mitgliedskarte aus der Tasche und hielt sie hoch. „London Police. Du bist festgenommen.“ Sein Gesichtsausdruck war preislos dämlich. Aruni konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkneifen. „Kleiner Scherz. Du legst jetzt die Sachen zurück auf den Tresen und verziehst dich aus meinem Laden. Oder du bezahlst.“

Aruni konnte ein Grinsen kaum unterdrücken, als der Typ tatsächlich anfing zu heulen. „Verdammt, du tust mir weh!“, zeterte er. „Lass mich los! Du weißt nicht, wen du vor dir hast!“

„Einen kleinen Dieb“, brummte Aruni und half ihm hoch. Sie streckte die Hand aus. „Die Sachen oder das Geld dafür.“

Widerwillig legte er den Gürtel, die Handschuhe und die Schnürsenkel in ihre Hand. „Schlampe“, zischte er und spuckte auf den Boden.

„So“, sagte Aruni wütend. Sie zog an seinem Mantel und drückte ihm einen Teil davon in die Hand. „Aufwischen“, sagte sie.

„Ja, genau“, konterte er und zeigte ihr einen Vogel. Wie eine Kobra schnellte ihre Hand vor und griff sein Handgelenk. Mit nur einem Bruchteil ihrer Kraft drückte sie den Dieb mühelos nach unten auf den Boden, wedelte mit seiner Hand und dem Stück seines Mantels über den feuchten Fleck und sagte: „Danke. Geht doch. Und jetzt verzieh dich.“

Fluchend zog er seinen Mantel zurecht und stolperte aus dem Laden. Aruni seufzte. Dann strich sie ihre Hose glatt und ging zur Tür. Sie stand eine Weile mit verschränkten Armen dort und sah ihm hinterher. Ein Mal drehte er sich tatsächlich um, als ob er daran dachte, es noch einmal zu versuchen. Aber dann verschwand er wenige Schritte später in einem Laden, der Doc Martens Stiefel in allen Farben des Regenbogens führte.

Aruni ging wieder rein und zückte ihr Handy. „Alan, ein Dieb ist gerade bei dir rein. Wollte hier auch was klauen. Schwarzer Mantel, silberne Hörner, tätowierte Kopfhaut, Ziegenbärtchen. Klar, bis später.“ Sie legte das Handy weg und ließ sich auf den Barhocker sinken, der hinter dem Tresen stand.


Kapitel 4


Ilvios Kopf summte von all den Stimmen am Bahnhof. Nur gut, dass Audrey alles für ihn organisiert hatte. Für einen Geist dachte und agierte sie wirklich noch sehr materiell. Kein Wunder, war sie doch fähig, ihren Geistkörper vorübergehend in so feste Substanz zu formen, dass man sie für einen lebendigen Menschen halten konnte. Audrey hatte ihm sogar ein Telefon gegeben. Damit er Hilfe rufen konnte, wenn er alleine in London nicht klarkam, hatte sie gesagt. Und sie hatte ihm jede Menge erzählt, was auf ihn zukam. Wie man sich in der Stadt fortbewegen konnte und worauf er achten sollte. Er stieg ein und suchte sich einen Platz. Noch eine Weile winkte er Audrey und sah zu, wie sie auf dem Bahnsteig immer kleiner und kleiner wurde.

Als er sie nicht mehr sehen konnte, schaute er sich im Wagen um. Eine junge Frau mit einem kleinen Jungen saß ihm gegenüber. Sie las ihm ein Buch vor und er war völlig in der Geschichte gefangen. Ilvio musste lächeln. Durch sein weißblondes Haar und sein zartes Aussehen hatte der Kleine fast Ähnlichkeit mit einem Meereself. Die Frau sah auf und nickte Ilvio freundlich zu. Eilig nickte Ilvio zurück und sah dann geflissentlich aus dem Fenster. Soviel wusste er schon, die Menschen mochten es nicht besonders, wenn Fremde ihre Kinder allzu auffällig musterten. Draußen rauschten Bäume und Felder vorbei, Schafe und Kühe. Endlose Hecken und der Himmel.

Das Meer konnte er nicht mehr sehen. Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Eine Leere in seinem Herzen. Aber er schüttelte den Kopf und ballte seine Hand zu einer Faust. Er würde es schaffen. Mit neuer Musik würde er zurückkehren und es würde ihm besser gehen.

Die ersten Häuser Londons tauchten auf. Ilvio staunte, wie riesig sie hier waren. Ganz anders als in der kleinen verträumten Küstenstadt Lyme Regis. Unzählige Fenster glitzerten in der Sonne. Dahinter sah er spitze Kirchtürme, bunt besprühte Mauern und dicht befahrene Straßen. So viele Autos und rote Busse. Der Zug wurde langsamer und fuhr in eine riesige Halle mit Glasdach, gestützt von weißen Metallstreben.

Viele Menschen warteten dort geduldig auf ihre Bahn. Einige lasen Zeitung, andere unterhielten sich lachend und wieder andere telefonierten. Ilvio vergewisserte sich, dass er das Telefon von Audrey noch hatte, und suchte den Ausgang.

Lautes Stimmengewirr empfing ihn und ein seltsamer Geruch, den Ilvio nicht kannte. Er sah sich um. Eine Reihe von Glastüren schienen ins Freie zu führen. Ilvio steuerte auf die nächstliegende zu.

Draußen schien die Sonne. Ein kühler Wind wehte. Jemand neben ihm pfiff laut. Ein schwarzes Auto hielt an und der Mann stieg ein. Auf dem Dach leuchtete ein gelbes Licht auf. Andere dieser Autos kamen und sammelten Leute ein, manche waren schwarz, andere gelb oder ganz bunt. Das mussten Taxis sein, dachte Ilvio.

Er ging lieber zu Fuß. Er wusste ohnehin nicht, wo er hinwollte. Riesige Gebäude aus hellem Stein ragten neben der Straße empor. Autos hupten und brausten an ihm vorbei. Ilvio atmete tief durch und musste prompt husten. Stadtluft war eindeutig nicht mit Meeresluft zu vergleichen. Er drehte sich in alle Richtungen und erkannte eine Brücke.

Ilvio folgte ein paar Fußgängern und stand nach einigen Minuten am Ufer eines dreckig-braunen Flusses. Ilvio schauderte. In die Brühe würde er nicht mal eintauchen wollen, wenn jemand ihn mit vorgehaltener Waffe dazu zwang. Er schirmte die Sonne mit der Hand ab, sodass sie ihm nicht in die Augen schien, und überlegte, was Audrey gesagt hatte. Die London Underground solle er nehmen, wenn er längere Strecken fahren wollte. Wollte er das? Möglicherweise.

Er zählte das Geld in seiner Tasche und fand bald ein Gebäude, an dem das Underground-Zeichen angebracht war. Dort kaufte er sich einen Drei-Tage-Pass, nachdem er auf seinen Notizzettel gesehen hatte. Audrey hatte ihm glücklicherweise alles notiert und wieder war er seiner Tante unendlich dankbar für ihr Interesse an der Menschenwelt und dass sie die Geduld besessen hatte, ihm die Menschenschrift beizubringen.

Ilvio beobachtete die Leute um sich herum. Die anderen nachahmend, steckte er die Karte in einen schmalen Schlitz vor ein paar schwarzen Drehkreuzen. Das Drehkreuz gab nach und Ilvio tauchte mit einer steilen Rolltreppe in die Tiefe.

An der Wand hingen in immer gleichen Abständen Plakate mit den unterschiedlichsten Bildern und Texten. Ein Plakat erregte seine Aufmerksamkeit, darauf war ein Foto von einer Meerjungfrau, am Arm eine weiße Gestalt mit einem Umhang und eine Art Teufel. Sie schlenderten Arm in Arm über eine nächtliche Straße. Im Hintergrund sah er runde orange Laternen mit Gesichtern.

Dort wo solche Wesen waren, passte er sicher auch gut hin.

„Camden Town, Open Air Halloween-Party“, las er laut vor und nickte. Er sah auf seinen Notizzettel. Genau. Auf Parties gab es Musik. Schnell schrieb er sich die Worte „Camden Town“ auf. Am Fuß der Rolltreppe drehte er sich um und trat ein wenig zur Seite. Eine junge Frau in einem hautengen dunkelblauen Kleid kam geradewegs auf ihn zu. Sie sah ihn einen Moment an und Ilvio ergriff sofort die Gelegenheit.

„Wissen Sie, wie ich nach Camden Town komme? Ich bin nicht von hier.“

Sie stutzte, dann lächelte sie.

„Nehmen Sie die Victoria Line, die blaue, Richtung Seven Sisters bis Euston. Da müssen sie umsteigen in die Northern Line, eine schwarze. Richtung Edgware, ich glaube, High Barnet geht auch. Und dann kommen sie automatisch an Camden Town vorbei.“

„Die Bahnen haben Farben?“, fragte Ilvio, während er sich hektisch Notizen machte.

Die Frau lachte. „Oh, Sie sind wirklich nicht von hier. Die Lines haben verschiedene Farben. An den Wänden sind farbige Fliesen als Streifen und auf den Wegweisern sind die Farben auch. Ganz einfach. Kein Ding. Das schaffen Sie schon!“ Sie sah ihn einen Moment an.

„Kommen Sie mit, ich muss auch die Victoria Line nehmen. Ich zeige Ihnen wenigstens den ersten Zug.“

Ilvio ging dankbar mit. Sie kamen durch einen gefliesten Tunnel auf eine Plattform. Hier schien es nicht weiterzugehen. Eine Art unterirdischer Bahnhof also. Die Frau deutete auf ein Schild mit leuchtender Schrift.

„Noch drei Minuten, dann kommt die richtige Bahn.“

Als ein niedriger Zug mit knallroten Türen kam, folgte Ilvio der Frau ins Innere. Er verlor sie schnell aus den Augen zwischen all den Menschen, aber er würde es schon schaffen. Eng gedrängt zwischen einem dicken Mann im Trenchcoat und einem gepiercten Mädchen blieb er stehen und hielt sich an einer Stange fest, als die Bahn ruckelnd anfuhr.

Kapitel 5


Aruni sah sich im Geschäftsraum um. Es war kein Kunde da. Ein paar junge Frauen gingen am Laden vorbei und zeigten kichernd auf einige der Kleidungsstücke im Fenster. Touristinnen. Aruni schüttelte den Kopf, winkte aber freundlich. Gleich war Feierabend. Party-Zeit. Lange hatte sie überlegt, ob sie sich trauen sollte, ihre echten Hörner heute Abend zu zeigen. Auf der Halloween-Party würde sie nicht auffallen. Ja, heute würde sie es wagen. Sich endlich einmal nicht verstecken. Aber zuerst würde sie ein wenig die Ständer abstauben. Mit den letzten Kunden kam die Dunkelheit. Endlich, geschafft. Ihre Schicht war zu Ende. Zeit, sich schick zu machen.

Aruni schloss die Tür und hängte ein „Bin gleich zurück“-Schild an die Fensterscheibe. Als Kostüm wählte sie eine knappe, rot-schwarze Korsage und einen kurzen, schwarzen Rock. Dazu passten ihre Stiefel perfekt. Sie schminkte sich vor dem Spiegel in der Umkleidekabine Smokey Eyes und feuerrote Lippen. Langsam löste sie die Satinbänder und ließ ihre dicken schwarzen Haare in langen Wellen über die Schultern hängen. Dann legte sie das Geld für ihr Kostüm in die Kasse und begutachtete sich nochmal im Spiegel. Sie zog eine Grimasse und zeigte ihre schwarz lackierten Krallen. Darüber musste sie lachen. Oh ja, das wirkte teuflisch. Nicht einmal ihre Mutter hätte daran etwas auszusetzen gehabt.

Als Aruni aus der Kabine trat, kam Lilly, ihre Ablösung für den Abend. „Du bist ja schon verkleidet! Mann, du siehst heiß aus!“ Sie drückte ihr einen Kuss auf jede Wange und sah sich Aruni noch einmal an. „Mensch, irre. Die Hörner sehen total echt aus. Wo hast du die nur wieder her? Hier, ich hab dir dein Abendessen mitgebracht.“

Arunis Kollegin trippelte in ihrem bodenlangen schwarzen Kleid à la Morticia Adams zum Tresen, legte ihre Tasche ab und reichte Aruni eine Papiertüte mit einem rosa-weißen Logo.

Aruni schnupperte und riss die Tüte auf. „Oh, Lilly! Meine Lieblingsdonuts mit Karamellfüllung und Schokoladenglasur! Du bist ein Schatz!“ Mit geschlossenen Augen biss sie in das süße Gebäck. „Himmlisch...“, gurrte sie. Lilly lachte. „Und das aus dem Mund einer Teufelin.“

Aruni vergaß weiter zu kauen und sah Lilly erschrocken an, aber die beschäftigte sich schon wieder mit dem Kassenbuch. Ach ja, das Kostüm. Sie entspannte sich wieder und kaute weiter.

„Kommst du nachher auch? Am Camden Lock steigt eine riesige Open Air Party heute. Petunia ist bestimmt schon ganz wild aufs Tanzen. Sie hat sich letztens schon die Karten gelegt und meinte heute würde sie den Mann fürs Leben kennenlernen. Einen Tänzer“, erzählte sie zwischen zwei Bissen und verdrehte die Augen ein wenig.

„Ja, vielleicht. Ich ruf dich an“, sagte Lilly und wandte sich zwei Touristen zu, die gerade den Laden betreten hatten. Die Sache mit Petunia hatte sie anscheinend gar nicht gehört. Aruni zuckte mit den Schultern.

„Gut, ich bin dann mal weg, Lilly. Bis nachher!“ Aruni leckte sich die Finger ab und verließ den Laden.


Noch den süßen Geschmack im Mund genießend, schlenderte sie die Straße entlang in Richtung Lärm und Licht und Raucheffekte. Männer und Frauen, die heute aussahen wie Geister, Zombies, untote Schulmädchen, rosa Bunnies und spitzhütige Zauberer, schrammten an ihr vorbei. Ein Mann in einem Skelettanzug warf Aruni einen lüsternen Blick zu und legte ihr dann im Vorbeigehen einen Arm um die Schulter. Er flirtete: „Na, du süßer Teufelsbraten! Willst du mich nicht mal in die Hölle einladen?“

Aruni lachte und sagte: „Nein, tut mir leid. Ich hatte heute nicht vor, dorthin zurückzukehren.“

Er ließ von ihr ab und gesellte sich wieder zu seinen laut grölenden Kumpels. Aruni zog ihr Korsett zurecht und überquerte die Straße. Laute Musik und Gelächter wehten zu ihr herüber. Sie mischte sich unter die Leute und kaufte sich ein Bier. Daran nippend, bahnte sie sich einen Weg durch die vielen Kostümierten. Ein Dämon lief an ihr vorbei. Ob es ein echter war? Sie kannte ihn jedenfalls nicht. Aruni drehte sich nach ihm um und stieß mit dem Rücken gegen jemanden. „Oh, Verzeihung“, sagte sie schnell.

„Da gibt es nichts zu verzeihen“, sagte eine sonore Stimme. „Eine so schöne Frau darf mich jederzeit gerne wieder anrempeln.“

Was für ein Sound! Diese Stimme ging ihr durch und durch. Ob der Typ wohl genauso feurig war wie seine Stimme? Aruni drehte sich langsam um und sah direkt in zwei tiefblaue Augen. Sie ließ ihren Blick schnell über seinen Körper huschen. Wow, er hatte eine richtige Traumfigur. Schmale Taille, muskulöser Oberkörper, blaues Hemd, blaue Jeans und – barfuß. Verwundert musterte Aruni seine Füße.

„Entschuldigung“, sagte er nach einer Weile, nachdem sie nicht antwortete. Er hatte einen merkwürdigen Akzent, der Aruni sofort gefiel. Er hatte so etwas Vertrautes an sich. Und was für eine Stimme … tief wie ein Vulkan und mindestens genauso glühend.

„Woher kommst du?“, fragte sie.

„Von der Küste“, sagte er. „Ich heiße Ilvio.“

„Aruni, sehr erfreut.“

Ilvio starrte auf Arunis Hörner.

Die Musik schwoll plötzlich an. Aruni spürte den Beat bis in die Schwanzspitze, die leider immer noch fest an ihren Körper gedrückt war.

„Du bist ja gar nicht verkleidet, Ilvio“, schrie Aruni über den Lärm hinweg. „Oder gehst du als Filmstar? Oder Model?“

Sie lachte, spürte aber wie ihre Wangen rot wurden.

Ilvio senkte seinen Blick und sah nun in Arunis Augen. „Ich bin erst heute in der Stadt angekommen. Ich wusste nichts von dieser Feier“, erklärte er.

„Was? Aber Halloween gibt es doch in ganz England. Heute wird überall gefeiert, vermutlich fast überall auf der Welt! Unter welchem Stein lebst du denn?“

Sie lächelte und bot ihm ihre Bierflasche an. Dieser Kerl war wirklich eine Wucht. So lange war es her, dass sie einen Dämon gehabt hatte. An Menschen hatte sie sich bisher noch nicht herangetraut. Ob sie nicht vielleicht heute eine Ausnahme machen und diesen Typen mit nach Hause nehmen konnte? Immerhin war Halloween. Möglicherweise würde er alles an ihr für ein Kostüm halten. Nein, vermutlich nicht. Ihren Schweif würde er wahrscheinlich nicht als Kostüm durchgehen lassen. Besonders nicht, wenn der sich bewegte. Ach, und dann war da ja natürlich noch ihre rot-schwarze Haut um ihre Körpermitte. Sehr ärgerlich, dass sie nicht wie die Vampire die Fähigkeit besaß, Menschen in Trance zu versetzen. Schade ... wirklich sehr schade.

Aber flirten konnte sie ja den ganzen Abend, und wenn er mitkam, kam er eben mit. Dann würde sie ihm zur Not mit der Hölle drohen, davor fürchteten sich die Menschen schließlich immer noch.

Aruni fühlte sich großartig. Die Musik wummerte durch ihre Adern und ließ ihre Füße von ganz alleine tanzen. Sie begann einen kleinen, rockigen Walzer, nahm seine Hand und legte sie auf ihre Schulter. Dann riss sie ihn einfach mit. Sie spürte, wie er sich steif machte, doch nach ein paar Schritten schmiegte er sich in den Rhythmus und tanzte wie tausend Funken. Aruni jauchzte und ließ sich drehen und genoss einfach das Gefühl von Ilvios Hand an ihrer Taille. Ihr Herz klopfte laut, als ihre Blicke sich trafen und aneinander hängen blieben.

„Wo sind eigentlich deine Schuhe? Hast du keine kalten Füße? Oder sind sie bei unserem heißen Tanz in Flammen aufgegangen?“ Sie lachte erneut und sah ein fröhliches Funkeln in seinen Augen.

Vermutlich war es genau das, das und der Alkohol und die Musik, die durch Arunis Blutbahn rauschten. Als Ilvio langsamer wurde, stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen und küsste ihn stürmisch mitten auf den Mund. Seine Muskeln spannten sich unter ihren Händen an. Er hielt inne, aber nur, um sie im nächsten Moment näher an seinen Körper zu ziehen und seine Zunge nun mit der ihren tanzen zu lassen.

Aruni stöhnte leise und spürte nur noch seine streichelnden Hände auf ihrem Rücken. Irgendwer jubelte und pfiff, dann wurde Aruni angerempelt und gerade noch von Ilvio aufgefangen, bevor sie gegen ein anderes Pärchen krachte. Ilvio fauchte denjenigen an, der sie beinahe zu Fall gebracht hätte, aber der schien es gar nicht zu hören und torkelte weiter. Arunis Blut loderte noch immer und sie spürte einen Hunger wie lange nicht.

„Ilvio“, flüsterte sie in sein Ohr. „Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange. Aber kommst du mit zu mir? Ich kann für nichts garantieren, außer dass ich gleich verbrenne vor Lust.“ Sie kicherte und strich über Ilvios Hemd. Durch den Stoff spürte sie ein waschechtes Sixpack und grinste glücklich. So musste ein Mann gebaut sein!

Ilvio nickte und legte einen Arm um sie. „Jetzt gleich?“, fragte er mit einer verführerisch rauchigen Stimme.

Aruni nickte nur und zog Ilvio mit sich durch die Menschenmenge. Auf der Straße rannte sie los. Ilvio hielt lachend mit ihr Schritt.

Wenig später hielt sie vor der rot gestrichenen Haustür an und zupfte das Lederband mit dem Hausschlüssel aus ihrem Ausschnitt. Sie schloss auf und zog Ilvio mit sich in den kühlen Flur. Dieses Mal war er schneller und presste Aruni gegen die Wand. Sie lehnte mit dem Rücken ans Treppengeländer. Alles an ihr glühte schon von Ilvios Küssen.

Verführerisch schlang sie ein Bein um seine Hüften und drückte mit ihrem Stiefel gegen seinen Po. Dieser Mann bestand überall aus Muskeln. Aruni seufzte in seinen Mund. Ein wohliger Schauer durchlief sie, als seine Hand unter ihren Rock glitt. Ach du schwarze Höllenbrut! Was, wenn er ihren Schweif entdeckte? Erst einmal nach oben locken. Sie nahm seine wandernde Hand in ihre, zog ihn die Treppe hinauf und schloss eilig ihre Tür auf. Ilvio knabberte an ihrem Nacken und ließ seine Hände über ihren Bauch wandern.

Sie fielen beinahe durch die Haustür. Aruni konnte sie gerade noch mit dem Fuß zutreten, bevor sie strauchelten und auf dem Teppich im Wohnzimmer landeten.

Aruni dachte nicht mehr an ihren Schweif, und sie dachte auch nicht an ihre Hörner. Sie dachte nur an Ilvio und daran, wie sehr sie ihn wollte. Er war der heißeste Typ, den sie seit langem gesehen hatte. Und er machte sie tausendmal mehr an als jeder Dämon in der Hölle.

Sie drängte sich näher an ihn. Durch den dünnen Stoff seiner Hose spürte sie, wie sehr er ihre Berührungen genoss. Grinsend küsste sie ihn weiter, hielt mit einer Hand seinen Nacken fest und öffnete mit der anderen Hand den Knopf an seiner Hose. Er stöhnte ihren Namen.

Aruni wurde rasend, riss ihm die Hose herunter und warf Ilvio auf den Rücken. Sie knabberte sich einen Weg von seiner Brust nach unten. Über das blaue Glühen seiner Haut wunderte sie sich nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann hatte etwas anderes ihre volle Aufmerksamkeit. Schon hatte er sie auf ihren Rücken geworfen und ihre Korsage entschnürt. Sie merkte kaum noch, dass ihr Stringtanga ihre Beine hinunter wanderte. Im nächsten Augenblick stöhnten sie und Ilvio gleichzeitig auf.


Kapitel 6


Als die Sonne aufging, drehte sich Aruni unter ihrer Bettdecke um und kroch instinktiv zu der Wärme neben ihr. Ein muskulöser, schwerer Arm zog sie näher. Aruni blinzelte mit einem Auge. Ilvio lächelte, ohne die Augen zu öffnen. Er summte im Halbschlaf eine wunderschöne Melodie. Aruni berührte seinen Mund.

„Guten Morgen, du kleiner Teufel“, raunte er und küsste sie auf die Nasenspitze. Seine Gesichtszüge waren entspannt und glücklich, die blonden Locken wild zerzaust. Sie fuhr mit einer Hand an seinem Gesicht entlang.

„Was ist das für eine Melodie?“

„Hmm?“ Ilvio drehte sich auf den Rücken. Er hatte die Augen noch immer geschlossen. „Ach das. Ein Lieblingslied meiner Tante.“

Arunis Hand glitt unter die Bettdecke und erforschte seine Brust. Dann tastete sie tiefer und tiefer und wurde rot, als er ihr entgegen kam. Sie lächelte über sich selbst. In dem Augenblick entfuhr ihm ein kleines Stöhnen, und vor ihren Augen drang ein bläulicher Schimmer unter der Bettdecke hervor.

Aruni schlug die Decke zurück und starrte ihren Liebhaber an. Auf seiner Brust, seinem Bauch, seinem ganzen Körper, überall auf seiner Haut leuchteten blaue Linien. Sie sahen aus wie Schriftzeichen oder Wellen oder beides zusammen. Aruni zog die Decke etwas näher an sich heran.

Ilvio schlug die Augen auf und musterte sie. „Was ist?“, fragte er. Aber noch während er fragte, schien ihm klar zu werden, was los war. „Hör zu, Aruni. Du musst keine Angst haben. Ich tu dir nichts. Ich bin nicht krank oder so, weißt du. Ich bin nur kein normaler Mann.“

„Du bist ein Meereself.“

Die Art, wie sie das Wort beinahe ausspuckte, tat ihr im nächsten Moment wieder leid. Er war also ein Meereself. Na und? Und wenn er ein Waldelf oder ein Vampir gewesen wäre, was sollte es sie kümmern?

Ilvio stützte einen Ellenbogen auf. „Und du? Du bist doch auch keine Menschenfrau, oder?“ Er sah zuerst auf ihre Hörner, dann auf die rote glatte Haut, die direkt unter ihren Brüsten begann.

„Nein, du hast Recht. Es tut mir leid. Ich wusste doch nicht ...“ Sie brach ab. „Stört es dich nicht?“, fragte sie dann.

„Was? Dass ich ein Meereself bin? Wieso sollte es? Daran kann ich nichts ändern, auch wenn ich mich sehr freue, endlich mal andere Wesen kennenzulernen.“ Er tauchte seine Hand unter die Decke und suchte eine Weile, bis er mit ihrer Schwanzspitze wieder hervorkam. Aruni sah auf seine Hand, deren Fingernägel blau schimmerten, und wickelte ihren Schweif um seinen Unterarm. „Gefällt er dir?“, fragte sie verwirrt.

„Jeder Teil von dir ist sexy“, murmelte er und küsste ihre Schwanzspitze. Er küsste seinen Weg an ihrem Schwanz entlang unter die Decke. Aruni ließ sich auf die Matratze fallen und seufzte. Ilvio tauchte wieder auf.

„Aruni?“

„Ja?“

„Du bist wunderschön und das verführerischste Wesen, was ich je kennengelernt habe.“ Er grinste.

Nach diesem Kompliment erlaubte Aruni ihm alles, was er mit ihr machen wollte. Und sie bereute nicht eine Sekunde davon.


Vor der Haustür polterte etwas. Aruni saß augenblicklich aufrecht im Bett und zog die Decke bis unter ihr Kinn. „Verdammt“, flüsterte sie und sah sich hektisch nach einem Versteck für Ilvio um. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Und dann stand Lierd bereits in der Wohnung. Aruni starrte ihn erschrocken an.

Er stellte den Tisch ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Ash erschien fauchend vor ihm, und er zauberte doch tatsächlich einen kleinen Fisch aus seiner Hosentasche. Ash fing den Fisch wie eine Weltmeisterin. Lierd rieb seine Hand an ihrem Fell sauber und sah dann auf.

Sein Blick war schwer zu deuten. Wütend war er auf jeden Fall. Enttäuscht vielleicht auch. Aber auch noch etwas anderes. Aruni schluckte.

„Du hast dir einen Menschen gekrallt? Aruni! Bist du wahnsinnig geworden?“

Ilvio schnaubte und Aruni nahm eben noch wahr, dass seine Haut erneut zu leuchten begann. Bei Erregung jedweder Art, dachte sie und griff nach seiner Hand. Ilvio zog sie weg. Aruni sah ihn erschrocken an.

„Ilvio, darf ich vorstellen? Das ist mein Bruder.“

„Halbbruder“, knurrte Lierd und ging drohend einige Schritte auf Arunis Bett zu.

„Woher hast du eigentlich einen Schlüssel?“, fragte Aruni, als sie wieder klar denken konnte.

„Den habe ich nachmachen lassen, und wie du siehst, war es eine gute Entscheidung.“

„Auch wenn du ihr Bruder bist, geht es dich überhaupt nichts an, wer bei ihr ist“, sagte Ilvio. Er nahm Arunis Hand und gab ihr einen Kuss auf die Finger. Dabei sah er Lierd unverwandt an.

Lierds Hörner begannen zu glühen. Seine Blicke brannten kleine Löcher in die Bettdecke.

„Es geht mich sehr wohl etwas an.“ Lierd stutzte. Das Leuchten. Mittlerweile hätte nur ein Blinder es noch übersehen können. „Ach, was haben wir denn da?“ Er ging bis an das Fußende und zog die Bettdecke ein Stück herunter. „Einen Elf? Einen Meereself? Das hätte ich nicht von dir gedacht. Aruni, wenn es schon kein Dämon ist, dann wenigstens jemand mit etwas mehr Feuer in den Adern.“ Er lachte bitter über seinen seltsamen Witz.

Ash sprang auf das Bett und rollte sich zwischen Ilvio und Aruni zusammen. Mit roten Wangen klaubte Aruni das Laken vom Boden, welches sie offenbar aus dem Bett gestrampelt hatte, und schlang es um ihren Körper. Sie drückte Ilvios Hand und kletterte aus dem Bett.

„Du gehst jetzt besser“, fauchte sie ihren Halbbruder an.

„Oh ja, ich gehe. Aber du“, er deutete mit einer gefährlich spitzen Kralle auf Ilvio, „du bist weg, wenn ich wiederkomme. Morgen Abend. Und nun zu dir.“ Er legte seine Kralle an Arunis Brust. „Du wirst dem Clan Rechenschaft ablegen. Das kann ich nicht für mich behalten.“ Er drehte sich um.

„Lierd. Das kannst du nicht machen. Verdammt, ich bestimme, wer in mein Bett darf! Nicht du.“ Sie biss sich auf die Lippe, als sie Lierds funkelnden Blick sah.

„Meine kleine Schwester“, säuselte er. Dann wurde sein Ton wieder hart. „Wir können die Arten nicht vermischen. Wie sollen deine Kinder aussehen? Du müsstest doch wissen, wie es ist, nur halb in jede Welt zu gehören.“

Aruni zuckte zusammen. Ilvio trat neben sie. Seine nackte Haut glühte wie eine Neonreklame, als er seinen Arm um Arunis Schulter legte. „Wie kannst du es wagen?“, knurrte er leise. „Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Jeder hat das Recht zu lieben, wen er will. Deinem Clan“, Ilvio spuckte das Wort in Lierds Gesicht, „kannst du höchstens mitteilen, dass Aruni glücklich ist. Alles Weitere spielt sich nur zwischen ihr und mir ab.“

Lierd ließ seinen Blick in aller Ruhe über Ilvios leuchtenden Körper gleiten. Als er auf Höhe der Gürtellinie angekommen war, kniff er die Lippen zusammen. Dann sah er Ilvio wieder ins Gesicht. „Ich berichte, was ich will. Wir sehen uns. Hoffentlich. Nicht. Mehr.“

Lierd knallte die Tür hinter sich ins Schloss. Aruni ließ die Schultern hängen. „Das war der netteste Teil meiner Familie“, sagte sie kleinlaut. „Die anderen reden nie so lange.“

„Komm“, sagte Ilvio leise. Nach einem kurzen prüfenden Blick führte er Aruni wieder zum Bett. „Setz' dich. Kann ich dir irgendwas bringen?“ Er ging in Richtung Küche.

„Whiskey“, murmelte Aruni.


Kapitel 7


„Wo wohnst du eigentlich?“, fragte Aruni und biss ein Stück von ihrer Pizza ab.

„In Dorset. Es gibt dort eine Höhlenstadt im Meer.“ Ilvio nahm sich noch ein Stück.