Ein Meer für Seehund Paul

Die Zahlen strahlten rot durch die Dunkelheit in ihrem Zimmer. 3 Uhr 17. Hanna hatte die Uhr fest im Blick. Die Minuten vergingen immer langsamer, dachte sie.

»Dich interessiert das nicht, stimmt’s? Für dich kann es gar nicht langsam genug sein«, stöhnte Hanna und ließ eine Hand aus dem Bett baumeln. Esmeralda hatte sich in ihre Lieblingsecke im Terrarium verkrochen und sich dort zwischen Erde, Kork und Wurzeln eingegraben. Die Schildkröte kümmerte sich weder um die Uhrzeit noch um schlaflose Mädchen.

Hanna hatte in dieser Nacht kein Auge zugemacht. Selbst das Marmeladenglas war keine Hilfe gewesen. Es hatte die Aufregung eigentlich nur noch schlimmer gemacht. Jedes Mal, wenn Hanna sich umdrehte oder ungeduldig zwischen den Laken wälzte, hatte sie das Glas aufgeschraubt und ihre Nase reingesteckt. Es roch noch immer nach Meer.

Luka hatte ihr das Glas mit Sand, Gräsern und einer rosa schimmernden Muschel darin vor ein paar

Nebenan im Schlafzimmer ihrer Eltern dröhnte der Wecker. Endlich! 3 Uhr 30 verkündeten die roten Zahlen. Gleich würde ihre Mutter kommen, um sie zu wecken.

Und schon ging ihre Zimmertür leise auf, und Sofie kam auf Zehenspitzen ans Bett.

»Hanna? Aufstehen, es geht …«

»Es geht los!«, trötete Hanna ihr freudestrahlend entgegen.

»Meine Güte! Hast du mich erschreckt«, krächzte ihre Mutter und knipste die Nachttischlampe an. Hanna blinzelte.

»Guten Morgen«, flüsterte Sofie. Dabei war sie nicht

Hanna gefiel es, mitten in der Nacht aufzustehen, um sich auf den Weg in die dunklen Straßen zu machen, in denen sonst noch niemand unterwegs war. Außer vielleicht den Krankenschwestern, Bäckern – und Einbrechern. Und den Geistern vom Friedhof. Jedenfalls behauptete Luka immer, dass manche Seelen dort herumirrten. Natürlich nur nachts. Ob Luka auch schon wach war, überlegte Hanna, als sie ins Badezimmer hüpfte.

»Pack nach dem Putzen bitte auch deine Zahnbürste in den Kulturbeutel. Und die Sonnencreme, ja?«, rief Sofie aus der Küche. Hanna verzog das Gesicht! Eincremen war das Allerschlimmste. Wie konnte man sich das nur freiwillig antun? So wie ihre Mutter. Eine Creme für die Augen, eine für die Lippen, eine für den Hals. Manche Menschen cremen sogar den Panzer ihrer Schildkröten ein. Das ist überhaupt nicht gut. Das fand nicht nur Hanna, sondern auch der Tierarzt. Der hatte damals auch gesagt, dass die Schildkröte Winterschlaf halten müsste.

An dem Tag nämlich, an dem Esmeralda sich auf den Weg zu Hanna und Luka gemacht hatte, war gerade der erste Schnee gefallen, und die beiden tobten durch den Garten, als Luka beinahe über sie gestolpert wäre. Hanna konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie in die

Lukas Mutter schlug vor, sie erst einmal zum Tierarzt zu bringen. Hanna glaubte, dass sich Lukas Mutter damals so für die beiden eingesetzt hatte, weil ihnen eine schwierige Zeit bevorstand. Ein Umzug. Eine Trennung. In nur drei Tagen mussten die beiden sich für die nächsten Monate voneinander verabschieden.

 

Also holte Lukas Mutter einen alten Karton aus dem Keller und bohrte mit einem Schraubenzieher ein paar Luftlöcher hinein.

Der Tierarzt Doktor Rudat stellte fest, dass es sich um ein weibliches Exemplar einer Griechischen Landschildkröte handelte, das höchstens zwei Jahre alt sein konnte. Und dass sie jetzt dringend Winterschlaf halten sollte.

Und so kam es, dass am Abend dieses merkwürdigen Tages ein Griechisches Landschildkrötenmädchen im Gemüsefach des Kühlschranks von Hannas Familie landete.

Der Tierarzt hatte den Kindern eine lange Liste mitgegeben, auf der stand, was es zu beachten gab. Alles

Wo hatte er diesen Einfall bloß wieder her?, wunderte sich Hanna. Obwohl die beiden sich schon so lange kannten, war Luka wie so eine bunte russische Holzpuppe. Immer wenn Hanna glaubte, ihn zu kennen, tat sich in seinem Bauch eine neue Überraschung auf.

Drei Tage später reiste Luka ab.

»Wo bist du nur immer mit deinen Gedanken, Hanna, hm?« Sofie strich ihrer Tochter über das Haar, das von der unruhigen Nacht noch in alle Richtungen abstand. Sie drückte Hanna die große Bürste in die Hand. »So! Und dann räum bitte all das hier in die braune Reisetasche, die in der Küche steht, ja?«

»Hat Papa die Box für Esmeralda rausgeholt?«, fragte Hanna.

Hanna raste den langen Flur entlang, warf ihren Kulturbeutel in die Tasche, riss dann die Wohnungstür auf und rief durch das Treppenhaus: »Papa! Bringst du die Box für Esmeralda mit?«

»Pssst«, machte Sofie. »Nicht so laut, es ist noch mitten in der Nacht!«

Das hatte Hanna in ihrer Vorfreude ganz vergessen. Aus dem Keller rumpelte es, und ihr Vater kam mit einem Turm aus Eimern, Schaufeln und einem durchsichtigen Plastikbehälter die Stufen hinaufgeschlichen.

»Die sind für dich und Luka«, nuschelte er hinter dem Turm. Hanna nahm ihm die Eimer ab. »Und die hier ist für Esmeralda«, sagte Jens und trug die Box in die Küche. Hanna quetschte sich an der dicken Reisetasche vorbei auf die Bank und schnappte sich eins der Brote, die ihre Mutter gerade schmierte.

»Ich krieg so früh keinen Bissen runter«, sagte ihr Vater und goss sich und Sofie einen Kaffee ein. »Aber lass es dir schmecken, Hanna. So schnell machen wir nämlich keine Pause. Erst mal raus aus der Stadt. Und dann …« Er blickte in die Ferne wie ein Kapitän. »… immer Richtung Norden!«

»Das hört sich richtig gut an«, freute sich Hanna und flitzte mit der Box in ihr Zimmer. »Es ist so weit«, sagte

Es piepte. Hannas Handy.

Seid ihr schon unterwegs?

Eine Nachricht von Luka! Der kann wohl auch nicht schlafen, dachte Hanna und schrieb zurück:

Bereite gerade Esmeralda auf die große Reise vor ☺ H

An jedes Ende einer Nachricht setzte Hanna dieses H – als wüsste Luka nicht, von wem sie kam.

Wir uns auch!!! H

Hanna schmunzelte. »Schöne Grüße von Luka«, sagte sie zu Esmeralda, die sich nur wenige Zentimeter von ihr fortbewegt hatte. Hanna legte eine Handvoll Erde und Wurzeln aus dem Terrarium in die Box und außerdem noch ein paar Salatblätter und Kresse.

»Abfahrt!«, schallte es durch den Flur. »Bist du fertig, Hanna?«, fragte Jens.

»Und wie! Und Luka ist auch schon wach. Er hat mir gerade geschrieben«, verkündete sie fröhlich und hielt ihrem Vater das Handy unter die Nase.

»Ich freue mich wirklich sehr auf unseren Urlaub. Aber am meisten freut mich, dass ihr zwei euch endlich wiederseht«, sagte ihr Vater lächelnd. Dann trabte er mit den zwei Koffern die Treppe hinunter. Sofie nahm die Reisetasche und den Korb mit Proviant, und Hanna klemmte sich die Box mit Esmeralda unter den Arm.

 

»Nordsee, wir kommen!«, jubelte Hanna und stieg auf die Rückbank im Auto. Es dämmerte, als sie durch die leeren Straßen fuhren. Sie kamen an der alten Post vorbei, am

 

»Stau« war das erste Wort, das sie aus dem Autoradio hörte, als sie aufwachte, und Stau war das, was sie sah, als sie sich aufrichtete. Unzählige Autos, dicht an dicht, und sie mittendrin.

»Gut geschlafen?«, fragte Sofie und nahm die warme Hand ihrer Tochter.

»Wann sind wir denn da?«, erkundigte sich Hanna verschlafen.

Jens seufzte: »Eigentlich sollten es nur noch eineinhalb Stunden sein. Aber wenn das so weitergeht …«

Sofie verteilte Brote, Saft und kleine Apfelstückchen. Der Wagen heizte sich auf, und Jens öffnete das Fenster.

»Papa! Keine Zugluft! Denk an Esmeralda!«, rief Hanna.

»Hanna, wir sind so langsam unterwegs – da gibt’s keine

Hanna lachte, prüfte aber vorsichtshalber noch mal, ob der Deckel auch richtig auf der Box saß. Zugluft war gefährlich für Schildkröten. Das stand auch auf der Liste, die sie damals von Doktor Rudat bekommen hatten.

Endlich löste sich das Gedränge auf der Autobahn, und der Verkehr begann wieder zu rollen. Als die Landschaft immer flacher und der Himmel immer heller und weiter wurde, begann Hannas Herz schneller zu schlagen. Sie wusste, dass ihr Ziel nicht mehr weit entfernt war.

Dann verließen sie bei der nächsten Abfahrt die Autobahn. Schlagartig war die Straße ruhig und leer und schlängelte sich durch grüne Weiden, auf denen Windräder standen wie Riesen mit rot-weiß geringelten Pullovern und blauen Hosen. Als der Wagen an einer Kreuzung hielt, rutschte Hanna aufgeregt auf ihrem Sitz hin und her und versuchte zu erahnen, welcher Weg zu Luka führte. Sie ließ das Fenster herunter: »Hier riecht es ja genau wie in meinem Marmeladenglas!«

Sie bogen links ab, folgten einem Bach und fuhren dann langsam auf einen kleinen Ort zu. Hanna sah Backsteinhäuser mit Giebeln und roten Dächern.

»Schau mal«, sagte ihre Mutter und zeigte vor sich nach oben.

Plötzlich stand er einfach vor ihnen. Mitten auf dem rumpeligen Kopfsteinpflaster. Nur mit Unterhemd und kurzen Hosen, ohne Schuhe.

»Halt an, Papa! Das ist Luka!« Ihr Vater hielt an und Hanna sprang heraus und rannte ihrem Freund entgegen.

»Hanna!«

Lukas Nase war rot, und sein Gesicht und die Arme waren braun. Aber seine Beine waren weiß, kalkweiß sogar.

Hanna umarmte Luka, und Luka drückte sie an sich. Die zwei verknoteten sich fast zu einem Knäuel, einem Freunde- und Freudenknäuel.

»Wie lange stehst du denn schon hier?«, fragte Hanna. Luka schaute blinzelnd auf die Kirchturmuhr, die gerade 12 Uhr schlug. »Fast zwei Stunden«, grinste er. »Konnte an nichts anderes mehr denken.«

Sofie winkte die zwei zu sich herüber.

»Hallo, Luka!«, sagte Sofie. »Gut siehst du aus. So … so …«

»Braun-weiß«, unterbrach Hanna sie lachend und zwickte Luka in die Seite.

»Ist nicht mehr weit. Hinter der Kirche rechts rein in den Schotterweg und hinter dem Rapsfeld nach links, da liegt der Hof«, erklärte Luka. Dabei fuchtelte er mit den Armen und zeichnete mit den Fingern eine Landkarte in die Luft.

»Können wir zu Fuß gehen?«, fragte Hanna. Sie konnte und wollte einfach nicht mehr sitzen. »Darf ich?«, drängelte sie und schaute flehend zu ihren Eltern ins Auto.

»Du hast ja einen guten Stadtführer«, meinte Sofie.

»Den besten!«, sagte Hanna, zog ihre Schuhe aus und warf sie durchs offene Fenster, direkt auf den Schoß ihrer Mutter.

»Hanna!«, sagte diese verwirrt, aber da fuhr das Auto schon los …

»Endlich bist du da!«, sagte Luka, als die zwei sich auf den Weg machten. Hanna spürte das warme Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen.

»Ich muss dir so viel zeigen!«

»Alles! Du musst mir alles zeigen.« Hanna drehte sich um sich selbst und schaute sich auf der Dorfstraße um.

»Nur Fischläden …«, sagte sie und schmunzelte, weil sie wusste, dass Luka keinen Fisch mochte. »Nicht, dass du mir hier noch verhungerst.«

»Hört sich gut an! Und lecker …«, fand Hanna. »Da wird sich Esmeralda auch freuen!«

»Esmeralda!«, rief Luka und machte ein Gesicht, als hätte er einen der Geister vom Friedhof gesehen. »Wo ist sie?«

»Sie hat das Taxi genommen. Der Weg zu euch ist ihr zu weit.« Hanna grinste.

»Wie geht es ihr? Hat sie die Fahrt gut überstanden?«, erkundigte sich Luka und schämte sich, dass er die Schildkröte nicht gleich begrüßt hatte. Dabei hatte er sich so auf sie gefreut. Aber auf Hanna hatte er sich eben noch viel mehr gefreut.

»Sie hat die Fahrt sehr gut überstanden. Hat geschlafen, wie immer«, beruhigte Hanna ihren Freund.

»Was ist los?«, fragte Luka. »Kannst du nicht mehr? Oder tun dir die Füße von den kleinen Steinchen weh? Da gewöhnt man sich dran …«

Hanna sagte nichts. Sie schaute nur.

»Hast du noch nie ein Rapsfeld gesehen?«

»Raps? Das ist ein Meer. Ein gelbes Meer«, sagte Hanna. Sie war begeistert von dem gelben Leuchten.

»Da bin ich ja mal gespannt, was du erst über das richtige Meer sagen wirst!«, sagte Luka. »Komm, die anderen warten sicher schon auf uns.«

»Hereinspaziert!«, trötete Luka und stieg auf das Holzgatter wie auf ein Karussell.

»Wow!«, staunte Hanna und ging auf den sandigen Pfad, um zum Hof zu gelangen, den Luka ihr stolz präsentierte.

»Das sind ja drei Häuser. Das hast du mir noch nie erzählt …«

»Ja. Nein. Also, es sind ja nicht wirklich drei Häuser. Das da vorne, das ist das Wohnhaus«, sagte Luka und zeigte auf das Gebäude in der Mitte. Es hatte eine große grüne Holztür, grüne Fensterrahmen und ein Dach aus Stroh. Reetdach nannte man das, erklärte Lukas.

»Das ist ein Stall, und in dem kleinen Gebäude nebendran ist Mamas Hofladen – und das da ist die Scheune«, erklärte Luka, und sein Zeigefinger sprang von links nach rechts. Hanna war sprachlos, das hatte sie nicht erwartet. Sie hatte sich immer ein kleines Häuschen irgendwo am Ende der Welt vorgestellt, wo der arme Luka seit einem halben Jahr leben musste. Aber das hier – das war etwas ganz anderes …

Ein Huhn rannte laut gackernd vor Hanna durch den

»Wer sind denn die zwei?«, lachte Hanna.

»Huhn und Hahn. Sie haben keine Namen«, meinte Luka. »Sie laufen rum, wo sie wollen. Manchmal kommen sie auch ins Haus.«

»Luka! Hanna!«, hörten die zwei Lukas Mutter rufen.

»Julia!« Hanna freute sich und stürmte auf sie zu.

»Wie schön, dass du da bist«, sagte Julia und nahm Hanna in die Arme.

»Sie hat ein bisschen getrödelt, weil sie noch nie ein Rapsfeld gesehen hat«, meinte Luka und zuckte mit den Schultern. »Stadtkinder!«

»Du hast noch viel Zeit, hier alles kennenzulernen und zu entdecken«, meinte Julia.

»Aber erst muss ich Esmeralda sehen«, beschloss Luka und flitzte zum Auto, das Hannas Eltern gerade entluden.

»Wo ist sie?«, rief er.

Jens stellte ihm die Box mit der Schildkröte vor die Füße. »Deine ehemalige Nachbarin schläft. Wie immer«, sagte er.

Hanna lief zu ihnen. »Sie schläft nicht unbedingt. Sie ist meistens nur im Energiesparmodus«, lachte sie.

»Das macht sie sehr richtig«, fand Julia. »Die Mittagshitze ist ganz schön anstrengend. Ich habe schon mal eine kleine Erfrischung vorbereitet …«

»Esmeralda, meine Schöne. Ich habe dich so vermisst«, flüsterte Luka. Er öffnete den Deckel, steckte vorsichtig seine Hand in die Plastikkiste und strich der Schildkröte über den Panzer. »Wir müssen ein Gehege für sie bauen, damit sie ungestört und geschützt ist. Danach zeige ich dir alles, okay?«

»Moin!« Hinter ihnen ertönte eine Stimme, die Hanna nicht kannte.

»Moin?«, flüsterte sie und schaute Luka fragend an.

»Moin sagt man hier immer. Morgens, mittags und abends – das gehört so«, erklärte Luka beiläufig.

»Du musst Hanna sein. Ich habe schon viel von dir gehört.«

Vor ihr stand ein großer Kerl mit grüner Latzhose, kariertem Hemd und einem lachenden Gesicht, in dem die Augen fast verschwanden.

»Ich bin Hajo«, sagte er und streckte Hanna seine große raue Hand entgegen.

»Ja. Ich bin Hanna. Und das ist Esmeralda. Sie braucht ein Revier mit einem Zaun drum herum«, sagte sie, weil sie nicht so recht wusste, was sie sonst hätte sagen sollen. Es war das erste Mal, dass sie Hajo traf. Den neuen Mann von Julia. Sie hatte sich eigentlich vorgenommen, ihn blöd

»Da unter den Bäumen findet ihr jede Menge Holzstücke«, erklärte er und stapfte in seinen schweren Gummistiefeln voran. Hanna und Luka folgten ihm auf die Weide und sammelten trockene Äste, Zweige und Rinde auf, die um die Pappeln herumlagen.

»Sind die riesig!«, staunte Hanna.

»Die haben meine Eltern gepflanzt, um das Grundstück zu markieren, als sie den Hof damals gekauft haben. Da war ich noch viel kleiner als ihr zwei – und die Pappeln hier auch. Jetzt sind sie über dreißig Meter hoch«, erzählte Hajo. »Wenn du mal verloren gehst, Hanna, dann musst du nur nach den Pappeln Ausschau halten, und schon weißt du, wie du unseren Hof wiederfindest.«

Hanna wusste zwar nicht, warum sie hier verloren gehen sollte, sagte aber: »Ja, das ist gut.«

Jens, Sofie und Julia saßen im Garten neben dem Wohnhaus an einem kleinen wackeligen Tisch. Hajo schob ein Stück Rinde darunter.

»Passt!«, sagte er und stellte sich Hannas Eltern vor.

»Du musst Moin sagen, Papa – nicht Hallo!«, erklärte Hanna.

»Du fühlst dich hier wohl schon wie zu Hause, was?«, meinte Sofie. »Soll ich dir unsere Zimmer zeigen?«

»Keine Zeit, wir bauen ein Gehege für Esmeralda«, rief Hanna und lief schnell zu Luka, der gerade mit einem Hammer die Stöcke in die Erde schlug, ganz dicht beieinander, damit die Schildkröte nicht ausbüxen konnte. Dann kam Hajo und wickelte Tau in zwei Bahnen um das neue Gehege.

»Na, wie gefällt dir dein Ferienhaus?«, sagte Luka, als er Esmeralda ins Freie ließ und sie in aller Ruhe durch das Gras kroch und die neue Gegend inspizierte.

»Und jetzt zeige ich dir dein Ferienhaus, ja?« Luka zog Hanna am Zipfel ihres T-Shirts mit sich, und die zwei flitzten über den Hof zu dem kleinen Laden. Dort war es kühler und dunkler als draußen. Hanna sah sich um: Gläser mit Marmelade und Honig in kleinen Regalen, darunter Äpfel, Möhren und Rüben in Körben und Kartoffeln in einer großen Holzkiste.

»Das ist aber gemütlich«, sagte Hanna. »Und wie gut es hier riecht. Nach Erde. Und schön süß …«

»Möchtest du trotzdem noch den Rest sehen?«, fragte Luka.

»Puh«, machte Hanna und fächerte sich gleich mit der Hand Luft zu.

Luka führte sie herum. »In dieser Box wohnt Matti und daneben Menne«, erklärte er.

»Die Ponys!« Hanna strahlte. Von den beiden hatte Luka schon oft erzählt. Wie er am Anfang Angst hatte, aufzusteigen und zu reiten, und wie Menne einmal schlimme Bauchschmerzen hatte, weil er zu viele Äpfel von der Obstwiese gefressen hatte. Hanna versuchte, ihren Kopf zwischen die Gitterstäbe zu stecken, um sich umzusehen. Stroh und jede Menge Fliegen – aber keine Pferde in Sicht. »Die sind jetzt wohl draußen, oder?«

»Sie stehen hinten auf der Wiese. Wir können gleich hingehen.« Hanna freute sich und nickte wild mit dem Kopf.

»Hier lagern wir im Herbst und Winter die Kartoffeln und das Obst von den Bäumen. Und da schlafen die Hühner«, sagte Luka. »Wir sammeln sie abends ein, damit wir die Eier am Morgen nicht überall auf dem Hof suchen müssen.«

»Ein Hühnerstall? Wo denn?«, fragte Hanna und schaute sich suchend um.

Hanna folgte Luka zu einem alten Bauwagen.

»Den haben Hajo und ich im Frühjahr zu einem Hühnerstall umgebaut. Wie findest du ihn?«

Eine winzige Leiter führte in den blau gestrichenen Holzwagen. Auch innen war alles voller kleiner Leitern und Bretter. Auf dem Boden lagen Sägespäne und Stroh, ein paar braune und weiße Federn – und Hühnerkacke.

»Der Wagen ist spitze. Und die Hühner haben es hier bestimmt gut … Aber es stinkt!«, sagte Hanna und hielt sich mit der Hand die Nase zu.