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HAUS JUSTINE

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Die Fängerin des Mädchens

 

 

Jürgen Bruno Greulich

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

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Die Fängerin des Mädchens

 

Gleich bei der Begrüßung am nächsten Morgen im Büro erkundigte sich Olivia besorgt, wie es gewesen war. Mischte sich in ihre Erleichterung etwa ein Anflug von Enttäuschung, als sie erfuhr, dass Cornelia unbeschadet davongekommen war, fühlte sie sich insgeheim um das Spenden von Trost geprellt und um den schaurigen Kitzel, den Cornelias Leid ihr gab? Beinahe hätte Cornelia sie getröstet: Nur keine Sorge, er wird nicht immer so rücksichtsvoll sein. Ihr Bangen aber war zu tief, als dass sie Scherze damit hätte treiben können. Was Leopold von ihr verlangt, was er mit ihr getan, unter welch demütigenden Umständen er sie genommen hatte, verschwieg sie verschämt und bemerkte erstaunt, dass es offenbar noch so etwas wie einen Rest an Stolz in ihr gab.

Täglich rechnete sie mit Leopolds Anruf, doch blieb er aus, er ließ sie schmoren in ihrer Furcht, vielleicht war es perfides Kalkül, vielleicht aber hatte er ganz einfach anderes zu tun, vielleicht dachte er gar nicht an sie, vielleicht war sie viel weniger wichtig für ihn als er für sie.

Auch am Freitagabend, da sich Olivia bei ihr befand, stand das Telefon stets in ihrer Nähe, hielt sie in Spannung mit der Drohung und dem Versprechen seines Läutens, doch blieb es stumm. Versonnen glitten Olivias Finger in der Nacht im Bett über die verblassenden Striemen auf Cornelias Haut. »Vielleicht ist dieser Leopold gar nicht so streng, wie du denkst. Vielleicht findet er gar nicht so viel Freude daran, dich zu schlagen.«

Cornelia sagte nichts dazu.

»Du kennst ihn aus diesem seltsamen Haus, in dem man Frauen Mädchen nennt, nicht wahr?«

»Das weißt du doch.«

»Aber ich weiß nicht, was es mit diesem Haus auf sich hat und was dort geschah. Du hast noch kein Wort davon erzählt.«

»Irgendwann erfährst du etwas darüber.« Cornelia hauchte einen zärtlichen Kuss auf Olivias Brüste und erschrak vor ihren Gedanken. Gut möglich, dass Olivia das Haus Justine eines Tages selbst erleben würde, gut möglich, dass Leopold in ihr ein potenzielles Opfer sah, das er durch Cornelia vorbereiten ließ. Ob sie Olivia warnen sollte? Aber warnen wovor, vor dem, das einen unwiderstehlichen Reiz auf sie ausübte, warnen vor dem Schicksal, das sie selbst erfuhr, ohne es zu bedauern, ganz im Gegenteil? Und musste Olivia nicht bereits gewarnt sein durch das, was sie in Cornelias Wohnung und an Cornelia selbst sah, dazu durch das Wissen, dass dieser Leopold sie aus der Ferne beobachtete, dass er ihrer Nähe zu seiner Sklavin nicht im Weg stand, musste sie nicht ahnen, dass er Cornelia als Köder benutzen könnte? »Sei vorsichtig, dass du nicht eines Tages selbst erfährst, wie streng Leopold wirklich ist.«

Ihre Worte verwehten wie ungehört. »Liebt er dich?«

»Er besitzt mich. Das genügt.«

»Will er dich besitzen, weil er dich liebt?«

»Vielleicht liebt er, was er besitzt. Jedenfalls so gut er kann. Aber ich glaube nicht, dass das Wort Liebe im Zusammenhang mit ihm passend ist. Außerdem habe ich nicht das Recht, Liebe von ihm zu erwarten. Er lässt mich seine Sklavin sein, was will ich mehr.«

»Meinst du, dass er noch mehr Sklavinnen hat?«

Ein Nadelstich durchzuckte Cornelias Herz. Noch mehr Sklavinnen, noch andere Mädchen außer ihr, die ihm ebenso zu Willen waren, ihn ebenso fürchteten, ebenso verehrten, wenn es so wäre, sollte es sie nicht stören, da es ihr an Liebe fehlte, und störte sie doch. Es würde ihr die Einzigartigkeit nehmen, würde sie zu einer unter anderen machen, zum Mitglied eines Harems, würde sie herabsetzen und wäre zugleich tröstlich durch den Gedanken, dass Leid und Demütigung nicht ihr allein gehörten. »Ich weiß es nicht. Aber wenn er noch andere hat, ist es sein gutes Recht.«

»Erwartet er, dass du ihn liebst?«

»Nein. Er erwartet Furcht, Verehrung und Gehorsam.« Ihr Blick schweifte zur Peitsche. »Die bekommt er auch.« Olivias Lippen legten sich auf die ihren, die Worte verloren sich im Dunkel der Sinne und mit ihnen die Furcht, einsam zog der Mond seine Bahn über der frierenden Stadt.

Wenn Cornelia das Alleinsein manchmal brauchte wie eine Pflanze den Regen, dann war Gesellschaft der Sonnenschein, ebenso wichtig, so war sie denn froh um Olivias Nähe am folgenden Tag. Olivia blieb gerne, um zu lindern, was keiner Linderung bedurfte, vor allem aber fühlte sie sich in Cornelias Wohnung wie im Vestibül jenes geheimnisvollen Hauses, das ein verwunschenes Schloss für sie war, ebenso bedrohlich wie anziehend. Gegen Mittag fuhren sie mit der Straßenbahn in die Stadt, um zu frühstücken in einem der Cafés, vielleicht ein bisschen einkaufen. Es war ein sonniger kalter Tag, die Straßen waren von Lichterketten geschmückt, die Geschäfte von Einkäufern überflutet, es war der letzte Samstag vor Weihnachten, überall Geschubse, Gedrängel, quengelnde Kinder, gereizte Eltern, abgekämpfte Verkäuferinnen, engelsgleicher Chorgesang aus versteckten Lautsprechern, der Duft von Glühwein und gebrannten Mandeln, Bettler in windgeschützten Fassadennischen.

»Ich mag Weihnachten nicht«, klagte Olivia. »Es wäre wohl besser gewesen, wenn Herodes das Jesuskind gefunden hätte …«

»Vermutlich hätte es dann einen anderen Messias gegeben. Die Menschen brauchen einen Erlöser.«

Sie wichen einem Weihnachtsmann mit angeklebtem weißem wallendem Bart und langem rotem Mantel aus, der sie zu segnen versprach (was immer er damit meinen mochte), hatten das Vorhaben, einkaufen zu gehen, in stummem Einverständnis aufgegeben, fanden immerhin ein Café, das auch zur Mittagsstunde noch mit einem Frühstücksgedeck lockte. Es gab noch einen freien Tisch, sie hängten die Mäntel an die Garderobe und nahmen Platz, mit einer raschen Bewegung hob Cornelia den langen schwarzen Rock, Olivia tat so, als würde sie es nicht bemerken. Hier drinnen im gediegenen Café mit dem dicken roten Teppich, den runden Tischen mit Marmorplatten und den hohen Preisen war die Atmosphäre weniger hektisch als draußen in den Straßen, hier waren die Unterhaltungen gedämpft und die Weihnachtslieder aus den Lautsprechern so leise, dass man sie kaum hörte. Am Nachbartisch saß eine dunkelhaarige Frau Mitte dreißig in Begleitung zweier Männer, von denen der eine, ein großer Hagerer, der bleich war wie eine Wand, ungeniert zu Cornelia herüberstarrte.

Sie wandte den Blick von ihm ab und gab ihre Bestellung auf bei der Bedienung mit dem langen blonden Haar, für einen Moment hatte Cornelia geglaubt, dass Christine die Vierte vor ihr stünde, aber nein, das hier war ein anständiges Café, keine Außenstelle des Hauses Justine. Kaffee und Orangensaft, duftende Brötchen, Marmelade, gekochter Schinken, Käse, ein Ei, so üppig wäre das Frühstück zu Hause nicht ausgefallen, der Ausflug in die Stadt war doch keine schlechte Idee gewesen.

Vorsichtig, um nichts zu verkleckern, ließ Olivia rote Marmelade auf ihr Brötchen tropfen und kurz hob sie den Blick. »Was machst du an den Feiertagen? Wird Leopold kommen?«

Cornelia, die etwas hintendran war, strich Butter auf ihre Brötchenhälfte, fast verwundert darüber, dass man sie auch für einen solch harmlosen Zweck benutzen konnte. »Ich weiß es nicht. Es gibt keine Pläne und keinen Termin.«

»Vielleicht verbringt er die Tage im Kreis der Familie.«