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HAUS JUSTINE

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Die Besucherin

 

 

Jürgen Bruno Greulich

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Der Besucher

 

Am Morgen erwachte sie wie gerädert von einem kurzen Schlaf und saß wieder einmal ziemlich müde im Büro. Natürlich blieb es den Kolleginnen nicht verborgen und forschend fragte Olivia am Abend bei der Heimfahrt, wie es mit der Freundin gewesen sei.

»Anders.«

»Anders als was?«

Für einen Moment dachte Cornelia, dass sie beim Kuppeln das Bein nur vorsichtig bewegen solle, da man sonst das Klacken der Kugeln hören könne, aber nein, es gab keine, es war nur die Erinnerung, die ein bisschen realistisch geworden war. »Anders als du vielleicht denkst.«

»Was glaubst du denn, was ich denke?«

»Wie ich deine Fantasie kenne, denkst du vermutlich, dass ich mit einer Frau im Bett war.«

Olivia strich eine Strähne ihres braunen lockigen Haares aus der Stirn und ein geheimnisvolles Lächeln vertiefte ihre Grübchen. »Nein, das denke ich nicht.«

»Was dann?«

»Dass du mit einem der Männer zusammen warst, die eine Frau Mädchen nennen.« Olivias Hand legte sich auf Cornelias Knie und glitt unter den Rock, wurde nicht zurückgehalten. Auch heute fiel Cornelia keine Antwort ein, wieder war ihr Schweigen Bekenntnis. Sie sah sich auf dem Schreibtisch sitzen im Blick des fremden Mannes, glaubte die Kugeln in sich zu spüren, fühlte ein wohliges Kribbeln, wie hätte sie sich verteidigen sollen, woher die Überzeugung nehmen, um die Wahrheit als Lüge zurückzuweisen, sie mit einer Lüge zu entkräften, was sowieso nicht gelungen wäre, da sie die Wahrheit schon viel zu sehr enthüllt hatte mit ihrem Schweigen und den verräterischen Worten. Olivias Hand wanderte höher.«Ich stelle es mir schrecklich vor. Aber irgendwie beneide ich dich.«

»Worum?«

»Um deinen Mut und darum, dass es für dich mehr gibt als nur das Büro.« Die Hand hielt inne kurz vor dem Ziel, verharrte reglos, warm und schön. »Nimmst du mich mit zu dir?« Atemlos schaute Olivia herüber. Augen so dunkel wie der Himmel gestern über der Stadt, sie blickten in eine neue Welt. Hübsch sah sie aus mit dem dunkelbraunen lockigen Haar, der kecken Stupsnase, den geröteten Wangen, den Grübchen, den vollen Lippen, die auch ohne Schminke rot schimmerten, sie hatte ein Parfüm aufgelegt, das ein bisschen zu schwer war, zu dunkel für ihre jugendliche Frische, ihre Nähe versprach Gefühle, die anders waren als im Haus Justine oder gestern bei dem Fülligen, sie war Sanftmut und Zärtlichkeit, war kein Befehl, sondern eine Bitte, aber eine Bitte, die sich erhören ließ, da sie von einem Mädchen stammte, nicht von einem Mann, denn Mädchen wie sie konnten nur bitten, nicht befehlen, ihre Bitte war Verführung …

Wäre Verführung gewesen, wenn es nicht den vergangenen Abend gegeben hätte, um den Cornelias Gedanken noch immer kreisten, und nicht die Angst davor, dem Neuen noch etwas anderes, ebenfalls ganz Neues hinzuzufügen, etwas, das sie nicht einschätzen konnte, das möglicherweise unerfüllbare Ansprüche barg. »Sei mir nicht böse, doch ist es nicht der rechte Zeitpunkt.«

Enttäuscht zog sich die Hand zurück und schweigend stieg Olivia beim Theater aus. Ein trauriges Lächeln verblieb im Auto und sie beugte sich noch einmal herein. »Meinst du, dass es den richtigen Zeitpunkt einmal geben wird?«

»Fragen sind der Tod der Lust.«

Verwirrt schaute Olivia sie an, dann fiel die Tür ins Schloss und sie schlenderte zu einem Gebäude mit einer Apotheke im Erdgeschoss, in dem sie bei ihren Eltern im dritten Stock wohnte. Ihre Jeans, der Pullover und die schwarze Jacke wären für das Haus Justine aber nicht geeignet gewesen … Cornelia wurde vom empörten Hupen eines Busses aufgeschreckt, der in die Haltestelle fahren wollte, die sie blockierte, sie konnte Olivia nicht länger nachblicken, scheuchte das Auto in eine Lücke des dichten Verkehrs.

Zu Hause angekommen, fand sie im Briefkasten zwischen Werbeprospekten, die sie gleich in die bereitstehende Mülltonne warf, einen weißen Umschlag mit der Aufschrift »Für Cornelia«. Ihre Adresse stand nicht darauf, er war nicht mit der Post gekommen, sondern von irgendjemand eingeworfen worden. Dass er vom Haus Justine stammte, war keine Frage, man wusste also, wo sie wohnte, sie hatte nicht daran gezweifelt. Sie öffnete ihn oben in der Küche, noch bevor sie den Kaffee aufsetzte, und fand zwölf Fünfzigeuroscheine darin, keinen Begleitbrief, nicht eine Zeile. Sechshundert Euro für einige Stunden Demütigung, Anerkennung und kribbelnde Lust, das war ein guter Verdienst, dafür arbeitete sie bei Renner zwei Wochen lang, ertrug Langeweile, stupides Verrinnen der Tage, dazu seine Rügen und Anzüglichkeiten, eindeutig lagen die Vorzüge aufseiten des neuen Lebens, es beschenkte sie reich, nicht nur materiell, sondern auch mit unerwarteten Gefühlen. Sie spürte Olivias Hand auf der Haut, hörte ihre Bitte und bedauerte, sie nicht mitgenommen zu haben, es hätte ein schöner Abend werden können.

 

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