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Leander Kahney

Tim Cook

Das Genie, das Apples Erfolgsstory fortschreibt

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Copyright der Originalausgabe 2019:

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

Copyright der deutschen Ausgabe 2019:

Coverfoto: Marco Grob

eISBN 978-3-86470-651-6

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Inhalt

EINFÜHRUNG

1 | DER TOD VON STEVE JOBS

2 | EINE VOM TIEFEN SÜDEN GEPRÄGTE WELTANSCHAUUNG

3 | LEHRZEIT BEI BIG BLUE

4 | EINE EINMALIGE GELEGENHEIT, IN EIN NAHEZU BANKROTTES UNTERNEHMEN EINZUSTEIGEN

5 | APPLES RETTUNG DURCH OUTSOURCING

6 | STEVE JOBS’ FUSSSTAPFEN

7 | MIT NEUEN „IN“-PRODUKTEN FUSS FASSEN

8 | EIN GRÜNERES APPLE

9 | COOK KÄMPFT GEGEN DAS GESETZ UND GEWINNT

10 | VERDOPPELUNG DER VIELFALT

11 | ROBOTERAUTOS UND DIE ZUKUNFT
VON APPLE

12 | APPLES BESTER CEO?

DANKSAGUNGEN

ENDNOTEN

EINFÜHRUNG

Riesenerfolg

„Jedes Mal, wenn ein Mensch für ein Ideal eintritt oder handelt, um das Los der anderen zu verbessern, oder gegen Ungerechtigkeit aussagt, sendet er eine winzige Welle der Hoffnung aus, und indem sich diese Wellen aus einer Million verschiedener Energiezentren und Kühnheiten heraus überkreuzen, bauen sie eine Strömung auf, die auch die mächtigsten Mauern der Unterdrückung und des Widerstands hinwegfegen kann.“

Robert F. Kennedy

Als Tim Cook 2011 den CEO-Posten bei Apple übernahm, musste er in große Fußstapfen treten. Eines der größten und innovativsten Unternehmen der Welt hatte gerade seinen visionären Gründer verloren. Steve Jobs und die Firma, die er mitgegründet hatte, waren mehr als eine Ikone, und als er gestorben war, sagten Experten eine Katastrophe voraus. Angesichts der zunehmenden Konkurrenz durch Android und der Unsicherheit über zukünftige Produkte hatte Cook alles zu verlieren, als er das Ruder übernahm.

Aber die Kritiker lagen falsch. Acht Jahre später war Apple unter Cooks Führung immens erfolgreich. Seit dem Tod von Jobs hat Apple ultimative Wegmarken erreicht, wurde zum ersten Unternehmen der Welt, das eine Billion Dollar wert ist, und damit zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Der Aktienkurs hat sich fast verdreifacht.1 Seine Barreserven haben sich seit 2010 auf einen Rekordwert von 267,2 Milliarden US-Dollar1 mehr als vervierfacht – trotz der Ausgaben von fast 220 Milliarden US-Dollar für Aktienrückkäufe und Dividenden.2 Um dies aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten: Die US-Regierung hat nur 271 Milliarden Dollar an Bargeld zur Verfügung.3

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Ausmaße Apple seit der Amtszeit von Tim Cook als CEO angenommen hat, sollte man bedenken, dass das Unternehmen im ersten Quartal 2018, während ich dieses Buch schreibe, einen Umsatz von 88,3 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 20 Milliarden Dollar erzielt hat.4 Im Vergleich dazu hat Facebook mit mehr als 2,2 Milliarden aktiven Nutzern im gesamten Jahr 2017 nur 40,6 Milliarden Dollar verdient.5 Ganz zu schweigen davon, dass Apple mit 90 Milliarden Dollar in nur drei Monaten fast so viel wie sein Konkurrent Microsoft - einst das größte Technologieunternehmen – im Laufe des gesamten Jahres 2017 verdient hat.6

Unter Cook erdrückt Apple die Konkurrenz in fast jeder Hinsicht:

Das iPhone ist das erfolgreichste Einzelprodukt aller Zeiten. Es ist eine Dampfwalze. Apple hat in den zehn Jahren seit seiner Einführung mehr als 1,2 Milliarden iPhones verkauft – vier dieser Jahre dank der Führung von Jobs, der Rest dann unter Cook.7 Allein der kumulierte Umsatz nähert sich einer Billion US-Dollar. Android mag mehr Mobiltelefone liefern, doch ist Apple mit Abstand der Umsatzführer und fährt 80 Prozent des gesamten Gewinns in der Mobilfunkbranche ein.8 Während Apple Premium-Handys mit 30 bis 40 Prozent Gewinnmargen verkauft, kämpft der Rest der Mobilfunkindustrie um das untere Ende des Marktes, wo die Margen rasiermesserdünn sind.9 Und mit dem iPhone X und seinen Abkömmlingen wächst der Marktanteil von Apple weiter.10 Dem Rest der Branche bleibt nur der Kampf um immer kleinere Brocken vom Gewinn.

Apple ist auch mit Computern erfolgreich. Obwohl Computer gegenüber dem iPhone die zweite Geige spielen, hat Apple in jüngster Zeit seinen PC-Marktanteil zum ersten Mal seit Jahrzehnten gesteigert und ist das einzige Unternehmen, das dies geschafft hat.11 Der PC-Umsatz liegt insgesamt 26 Prozent unter dem Höchststand von 2011. Dank Tablets und Smartphones erschien es unwahrscheinlich, dass sich der PC-Markt je wieder erholen würde. Aber seit der Übernahme von Cook hat Apple seinen Anteil am Markt kontinuierlich ausgebaut, von fünf Prozent im Jahr 2011 auf heute etwa sieben Prozent.12 Das mag nach bescheidenen Zugewinnen aussehen, aber wie beim iPhone konkurriert Apple hier nur am oberen Ende des Marktes.

Apple hat mit seinen Wearables eine ganz neue Branche erschlossen. Die im April 2015 eingeführte Apple Watch ist das erste bedeutende Produkt der Tim-Cook-Ära, das nicht von Steve Jobs beeinflusst ist.13 Mit mehr als 40 Millionen Apple-Watch-Trägern und einem Umsatzplus von 50 Prozent gegenüber dem Vorquartal ist sie ein schlagender Erfolg.14 Apples Uhrensparte ist bereits größer als Rolex.15 Die AirPods von Apple sind ein weiterer Hit; das Unternehmen wird 2018 voraussichtlich mehr als 50 Millionen AirPods und Beats-Kopfhörer verkaufen.16 Mit dem neuen HomePod-Lautsprecher könnte Apples Smart-Audio-Geschäft jährlich über zehn Milliarden Dollar erreichen.17

Auch das Servicegeschäft von Apple wächst astronomisch. Es ist mit 9,1 Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal 2018 das zweitgrößte Segment von Apple nach Umsatz und fast so groß wie das Satelliten-TV-Unternehmen Dish Networks.18 Wäre sie eigenständig, wäre die Dienstleistungssparte ein Fortune-500-Unternehmen.19 Einige Experten sehen Apples Dienstleistungsgeschäft, das auf dem Verkauf von Musik, Apps und digitalen Abonnements aufbaut, bis 2020 auf 50 Milliarden Dollar wachsen, sodass es größer wäre als Mac und iPad zusammen – und sogar größer als Disney oder Microsoft.20

Und vielleicht steht das Beste noch bevor. Hinter den Kulissen ist davon die Rede, dass Apple ein Roboterauto bauen soll, das, wenn es erfolgreich ist, die zwei Billionen Dollar schwere globale Automobilindustrie mit einer Disruption bedroht, so wie Apple die Mobiltelefonindustrie zerstört hat. GM und Ford könnten wie Nokia und Motorola enden.

Entgegen den Erwartungen genießt Apple unter der Führung von Tim Cook einen beispiellosen Erfolg und sieht einer strahlenden Zukunft entgegen. Trotz der Befürchtungen, dass es nach dem Tod von Jobs zu einem Massenexodus von Talenten kommen und das Unternehmen ausgeweidet werden könnte, indem Schlüsselakteure zur Konkurrenz wechseln, hat Cook das von Jobs übernommene Führungsteam weitgehend zusammengehalten und durch clevere, hochkarätige eigene Mitarbeiter ergänzt. Er hat Apple nicht nur durch eine Zeit der Ungewissheit nach dem Tod von Jobs geführt und es unglaublich wachsen lassen, sondern unter seiner Führung fand in dem Unternehmen auch eine kulturelle Revolution statt. Unter Cook ist Apple nicht mehr so halsabschneiderisch und ruppig wie früher – ohne dadurch die Kernprodukte des Unternehmens zunichtezumachen oder die Gewinne zu steigern. Während Jobs oft Teams – und sogar einzelne Führungskräfte – gegeneinander antreten ließ, favorisierte Cook einen harmonischeren Ansatz, indem er einige wenige Führungskräfte entließ, die Konflikte und Dramen verursachten, und indem er gleichzeitig die Zusammenarbeit zwischen zuvor stark isolierten Teams intensivierte.

Cook ist der festen Überzeugung, dass Unternehmen eine gute Strategie, gepaart mit guten Wertorientierungen, haben sollten. Ende 2017 wurden seine sechs zentralen Werte für den Betrieb von Apple in aller Stille in einem obskuren Finanzbericht veröffentlicht und erhielten anschließend eigene Unterabschnitte auf der Website von Apple.21 Sie wurden von Cook oder dem Unternehmen zwar formal gesehen nicht öffentlich als solche bestimmt, doch wenn man sich den Führungsstil von Cook in den letzten acht Jahren ansieht, werfen diese sechs Werte Licht auf ihn als Führungskraft und bilden die Grundlage für alles, was er bei Apple getan hat:

Zugänglichkeit: Apple ist davon überzeugt, dass Barrierefreiheit ein grundlegendes Menschenrecht ist und dass Technologie für jeden zugänglich sein sollte.22

Bildung: Apple glaubt, dass Bildung ein grundlegendes Menschenrecht ist und jeder Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Bildung haben sollte.23

Umwelt: Apple geht bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten umweltfreundlich vor.24

Integration und Vielfalt: Apple ist überzeugt, dass vielfältige Teams Innovationen ermöglichen.25

Datenschutz und Sicherheit: Apple findet, dass der Datenschutz ein grundlegendes Menschenrecht ist.26 Jedes Apple-Produkt wurde von Grund auf neu entwickelt, um Ihre Privatsphäre und Sicherheit zu schützen.

Verantwortung von Zulieferern: Apple schult und stärkt die Menschen in seiner Lieferkette und hilft, die wertvollsten Ressourcen der Umwelt zu schonen.27

Als ich dieses Buch schrieb, wurde mir klar, dass diese Grundwerte das Fundament von Cooks Führung bei Apple bilden. Sie werden lesen, wie er sie zunächst zutage gebracht und dann im Unternehmen fest verwurzelt hat, vom ersten Tag seines Einstiegs bei Apple an bis heute. Wir werden erkunden, wie er diese Werte sein ganzes Leben lang entwickelt hat und wie sie das Herz und die Seele der Apple-Kultur gestärkt haben, indem wir die Umstände untersuchen, unter denen Cook die Spitzenposition übernommen hat und wie viel dabei auf dem Spiel stand. Dann reisen wir zurück zu seiner Kindheit, zu den Anfängen seiner Karriere und seiner Zeit bei Apple.

Während sich das Unternehmen in seiner kürzlich fertiggestellten Zentrale einrichtet, einem futuristischen Raumschiff, das zu den größten Unternehmenszentralen im Silicon Valley gehört, ist Apple bereit für seinen dritten großen Akt, in welchem es Computer in bisher unerschlossene Branchen wie beispielsweise Medizin, Gesundheit, Fitness, Automobilbau und Smart Home bringt. Cooks Amtszeit bei Apple ist bereits Stoff für Unternehmenslegenden, und es ist höchste Zeit, dass seine Beiträge für Apple und die Welt angemessen gefeiert werden. Schließlich hat er Apple zum ersten Billionenunternehmen der Welt gemacht. Was nun folgt, ist die Geschichte von Tim Cook, dem stillen Genie, das Apple in schwindelerregende Höhen führt.

KAPITEL 1

Der Tod von Steve Jobs

Am Sonntag, dem 11. August 2011, erhielt Tim Cook einen Anruf, der sein Leben verändern sollte. Als er den Hörer abnahm, war Steve Jobs am anderen Ende und bat ihn, zu seinem Haus in Palo Alto zu kommen. Zu dieser Zeit erholte sich Jobs gerade von einer Bauchspeicheldrüsenkrebs-Behandlung und einer kürzlich durchgeführten Lebertransplantation. Bei ihm war 2003 Krebs diagnostiziert worden, und nachdem er sich zunächst der Behandlung widersetzt hatte, hatte er mehrere zunehmend invasive Verfahren durchlaufen, um die Krankheit zu bekämpfen, die in seinem Körper wütete. Cook, den der Anruf überraschte, fragte, wann er vorbeikommen sollte, und als Jobs „Jetzt“ antwortete, wusste Cook, dass es wichtig war.1 Er machte sich sofort auf den Weg zu Jobs.

Als er ankam, sagte Jobs zu Cook, er wolle, dass er die Position des CEO von Apple übernimmt. Der Plan besagte, dass Jobs als CEO zurücktritt, in die Altersteilzeit geht und Vorsitzender des Apple-Verwaltungsrats wird. Obwohl Jobs sehr krank war, glaubten beide Männer – oder taten zumindest so –, er würde noch eine Weile dabei sein. Obwohl bei ihm schon einige Jahre zuvor die Diagnose gestellt worden war, hatte er viele Jahre lang mit der Krankheit gelebt und sich geweigert, bei Apple kürzer- oder gar zurückzutreten. Tatsächlich hatte er nur wenige Monate zuvor, im Frühjahr 2011, seinem Biografen Walter Isaacson gesagt: „Es wird noch mehr kommen; ich schaffe es zum nächsten Seerosenblatt; ich laufe dem Krebs davon.“2 Der stets entschlossene Jobs weigerte sich, sich zurückzuziehen oder zuzugeben, dass seine Krankheit ernst war. Und zu dieser Zeit glaubte er wirklich, dass er sie überleben würde.

Für beide Männer war die erneute Ernennung von Jobs zum Vorsitzenden kein Ehrentitel oder etwas, um die Aktionäre bei Laune zu halten; es war ein echter, grundehrlicher Job, der es ihm ermöglichen würde, die zukünftige Ausrichtung von Apple zu überwachen und zu steuern. David Pogue, Technologiejournalist bei der New York Times und bei Yahoo, schrieb: „Sie können darauf wetten, dass Jobs als Vorsitzender weiterhin der Pate sein wird. Er wird immer noch viele Fäden in der Hand halten, seine Vision an sein sorgfältig zusammengestelltes Team weitergeben und sich für den angepeilten Kurs des Unternehmens starkmachen.“3 Jobs hatte Apple bereits einmal verlassen – und jetzt, da er es zu einem der innovativsten Unternehmen der Welt gemacht hatte, wollte er das nicht noch einmal tun.

Als Jobs und Cook an diesem bedeutsamen Tag im August die CEO-Nachfolge besprachen, erwähnte Cook Steves „Paten“-Rolle. Die beiden unterhielten sich darüber, wie sie in ihren neuen Positionen zusammenarbeiten würden, ohne dass ihnen klar war, wie nahe Steve dem Tod tatsächlich war. „Ich dachte … er würde noch viel länger leben“, sagte Cook, als er an das Gespräch zurückdachte. „Wir haben eine ganze Reihe von Diskussionen darüber geführt, was es für mich bedeuten würde, mit ihm als Vorsitzendem CEO zu sein“, erinnert er sich. Als Jobs sagte „Du triffst alle Entscheidungen“, vermutete Cook, dass etwas nicht stimmte. Jobs hätte nie freiwillig die Zügel aus der Hand gegeben. Also versuchte Cook, „etwas anzusprechen, das ihn aufstacheln würde“, und stellte Fragen wie: „Du meinst, wenn ich eine Werbung prüfe und mir gefällt sie, soll sie einfach ohne dein Okay laufen?“ Jobs lachte und sagte: „Nun, ich hoffe, du fragst mich wenigstens!“ Cook „fragte ihn zwei- oder dreimal: ‚Bist du sicher, dass ich das machen soll?‘“ Er war darauf vorbereitet, dass Jobs bei Bedarf wieder einschreiten würde, weil er „damals sah, dass es ihm wieder besser ging“.4

Die Antwort von Jobs auf die Frage nach der Werbung war aufschlussreich. Er mischte sich bekanntermaßen in alles ein, und das war einer der Hauptgründe, warum Cook annahm, dass er Apple weiterhin beaufsichtigen würde, auch wenn Cook nun offiziell für die tägliche Arbeit verantwortlich war – obwohl er dies in seiner Rolle als COO bereits seit mehreren Jahren weitgehend getan hatte, während Jobs noch CEO war. Und trotz seines formalen Rücktritts von aller Verantwortung blieb Jobs ein wesentlicher Teil des Unternehmens. Cook hielt ihn auf dem Laufenden, ging „oft während der Woche zu ihm nach Hause, und manchmal auch am Wochenende. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, schien es ihm besser zu gehen. Er empfand das auch so.“5 Sowohl Jobs als auch Apples PR-Team leugneten weiterhin, dass es ihm schlecht ging – niemand gab zu, dass er dem Tode nahe war. Aber „leider kam es nicht so“, sagt Cook, und der Tod von Jobs machte die Welt nur wenige Monate später fassungslos.6

Cook, der Niemand

Als es darum ging, einen Nachfolger für Jobs auszuwählen, gab es Gerüchte, dass der Apple-Verwaltungsrat wahrscheinlich jemanden von außerhalb des Unternehmens wählen würde, aber das war eigentlich nie wirklich so. Das Board war Jobs‘ Board, manchmal auch umstritten, und es würde jeden akzeptieren, den Jobs für die Rolle auswählte. Jobs wollte einen Insider, der die Kultur von Apple „schnallt“, und er glaubte, dass es niemanden gab, der besser passte als Cook, der Mann, dem er bereits bei zwei früheren Gelegenheiten die Leitung von Apple anvertraut hatte.

Cook, der Apple seit so vielen Jahren hinter den Kulissen geleitet hatte, war der natürliche Nachfolger von Jobs, aber für viele Beobachter war sein Aufstieg in die CEO-Position überraschend. Niemand außerhalb von Apple oder sogar innerhalb des Unternehmens hätte ihn als Visionär betrachtet, als die Art von Führungskraft, die Jobs verkörpert hatte und von der alle annahmen, dass Apple sie braucht. Es galt allgemein als ausgemacht, dass die „nächstvisionäre“ Person bei Apple nach Jobs nicht Cook war, sondern der Chefdesigner Jony Ive.

Schließlich hatte niemand sonst so viel operative Macht oder Erfahrung wie Ive – er hatte seit den Tagen des iMacs der ersten Generation Hand in Hand mit Jobs gearbeitet. Gemeinsam hatten die beiden ein Jahrzehnt und mehr damit verbracht, Apple zu einer designorientierten Organisation umzugestalten. Ive hatte seinen eigenen Kultstatus, da er das Gesicht vieler Apple-Produkte in Werbevideos war. Für seine Designarbeiten an iMac, iPod, iPhone und iPad hatte Ive viele hochkarätige Auszeichnungen erhalten, sodass er in der Öffentlichkeit bekannt war. Im Gegensatz dazu war Cook eine viel schattenhaftere Figur. Er war noch nie in Produktvideos zu sehen gewesen und hatte nur vereinzelt bei Apples Produkteinführungen Präsentationen geleitet, wenn Jobs krank war. Er hatte über seine Karriere fast keine Interviews gegeben und war nur Gegenstand einiger versprengter Zeitschriftenartikel gewesen (an denen er nicht selbst beteiligt war). Er war weitgehend unbekannt.

Aber obgleich manche Menschen dachten, dass Ive in einer starken Position für die Nachfolge von Jobs war, nachdem er so zentral für Apples Vision und Produkte gewesen war, hatte er kein Interesse an der Leitung eines Unternehmens. Er wollte weiter designen – bei Apple hatte er den Traumjob eines jeden Designers: grenzenlose Ressourcen und kreative Freiheit. Er wollte eine derart seltene und befreiende Position nicht den Bauchschmerzen des Managements opfern, die zwangsläufig mit der Führung eines ganzen Unternehmens einhergehen.

Ein weiterer möglicher Kandidat, über den von externen Medienexperten gemunkelt wurde, war Scott Forstall, ein ambitionierter Manager, der damals die Position des Senior Vice President für iOS-Software innehatte.7 Forstall hatte mit hochkarätigen Projekten wie dem Macintosh-Betriebssystem Mac OS X die Führungsleiter bei Apple erklommen. Aber so richtig war sein Stern erst mit dem großen Erfolg des iPhones aufgegangen, da er die Entwicklung der Software beaufsichtigt hatte. Forstall hatte den Ruf einer hart arbeitenden und anspruchsvollen Führungskraft, er gebärdete sich wie Jobs und fuhr sogar den gleichen silbernen Mercedes-Benz SL55 AMG. Bloomberg bezeichnete Forstall einmal als „Mini-Steve“, sodass für manche die Annahme logisch war, dass er zu den Favoriten als nächster CEO gehörte.8 Apple, das stets geheimnisvoll tat, äußerte sich nicht zu möglichen Nachfolgern.

Für die meisten war es verblüffend, dass Apple einen visionären Führer durch jemanden ersetzte, der sich in seinem Charakter so sehr von Jobs unterschied und fast sein diametrales Gegenteil war. Heute ist es einfach, Cooks Aufstieg zum Chef des weltgrößten Technologieunternehmens als Beginn einer neuen Ära für Apple zu betrachten, aber 2011 fühlte es sich eher wie ein Ende als wie ein neues Kapitel an.

„Niemand würde Tim Cook zum CEO machen“, hatte ein Investor aus dem Silicon Valley zu Adam Lashinsky von Fortune einige Jahre zuvor, im Jahr 2008, gesagt.9 „Das ist lächerlich. Die brauchen keinen Typen, der nur [Dinge erledigt]. Sie brauchen einen brillanten Produktmann, und Tim ist solch ein Mann nicht. Er ist ein Betriebsmann – in einer Firma, in der die betrieblichen Aktivitäten ausgelagert werden.“ Dies war eine harsche Analyse, aber es war etwas Wahres dran; für die meisten Menschen war Cook ein unbeschriebenes Blatt, eher wegen dem erwähnenswert, was er nicht war, als wegen dem, was er war.

Aber letztendlich war diese unerwartete Entscheidung das Beste für das Unternehmen. Cook hatte bereits die entscheidende Erfahrung gemacht, Apple zu leiten, und das hatte er sehr effektiv getan. Er war eingesprungen, als Jobs in den Jahren 2009 und 2011 nach seiner ersten Bauchspeicheldrüsenkrebs-Diagnose im Jahr 2003 zwei Urlaubstage nahm. Während Jobs weg war, leitete Cook Apple als Geschäftsführer und überwachte die täglichen Abläufe des Unternehmens. Er war ganz anders als Steve Jobs, aber er hatte das Unternehmen zweimal erfolgreich geführt, sodass das Board deutlich das Gefühl hatte, er würde Apples langanhaltende Stabilität bewahren.

Es hatte bereits zuvor seinen Glauben an Cook bekundet. Im Jahr 2010 hatte er als COO satte 58 Millionen Dollar an Gehältern, Boni und Aktienbezugsrechten erhalten. Als er nun in die Rolle des CEO wechselte, stimmte der Verwaltungsrat dafür, ihm eine Million beschränkte Aktienoptionen zu gewähren. Um sicherzustellen, dass er noch eine Weile CEO bleiben würde, sollte ihm die Hälfte davon im August 2016 übertragen werden, also erst nach fünf Jahren. Die andere Hälfte sollte ihm nach zehn Jahren, im August 2021, zufallen.10 Das Apple-Board war zuversichtlich, dass Tim Cook der CEO war, den Apple brauchte.

Jobs tritt zurück, Cook wird CEO

Weniger als zwei Wochen nachdem er Cook gebeten hatte, die Geschäftsführung zu übernehmen, trat Jobs zurück und kündigte ihn öffentlich als seinen Nachfolger an. Viele Apple-Beobachter gingen davon aus, dass Jobs nicht wirklich gehen würde und dass diese Änderung keine wesentlichen Auswirkungen auf Apple haben würde, da Jobs immer noch ein großer Teil des Unternehmens sein würde. Er hatte zuvor schon Urlaub genommen und war immer wieder zurückgekehrt. Und nach seinem Rücktritt wurde er sofort zum Verwaltungsratsvorsitzenden des Unternehmens ernannt, was bedeutete, dass er weiterhin die Zukunft von Apple beaufsichtigte.

Aber das Board war besorgt über die öffentliche Meinung – es wollte, dass auch die Welt sieht, was es in Cook sah. Er war vielleicht nicht so beliebt wie Steve Jobs, aber es war wichtig, dass die Öffentlichkeit lernte, ihn wegen seiner einzigartigen Stärken zu lieben – und daran zu glauben, dass er, obwohl er es anders machen würde, das Unternehmen genauso gut leiten würde, wie Jobs es getan hatte. Eine Pressemitteilung von Apple gab den Rücktritt von Jobs und den Aufstieg von Cook zum CEO bekannt. „Der Verwaltungsrat hat volles Vertrauen, dass Tim die richtige Person ist, um unser nächster CEO zu werden“, sagte Art Levinson, Chairman von Genentech, im Namen des Apple-Boards.11 „Tims 13-jährige Betriebszugehörigkeit zu Apple war geprägt von herausragenden Leistungen, und er hat bei allem, was er tut, bemerkenswertes Talent und Augenmaß bewiesen.“

Am selben Tag, an dem der Rücktritt von Jobs bekannt gegeben wurde, am 24. August 2011, zitierten sowohl das Wall Street Journal12 als auch Walt Mossberg von AllThingsD13 Quellen, die „mit der Situation vertraut“ seien, und sagten, dass Jobs weiterhin so aktiv wie bisher bei der Festlegung der Produktstrategie von Apple sein werde. Er würde nicht weggehen; Cook würde Apple operativ leiten, aber Jobs wäre an der „Entwicklung wichtiger zukünftiger Produkte und Strategien“ beteiligt. Die Menschen suchten nach Hinweisen, wo immer sie sie finden konnten, um zu beweisen, dass es Jobs gutging; dass Jobs nicht das Board von Disney verließ oder sich völlig von Apple zurückzog14 – die meisten weigerten sich zu glauben, dass seine Gesundheit eine „plötzliche Verschlechterung“ erlitten hatte.15 Der Aktienkurs von Apple sank nur geringfügig – weniger als sechs Prozent. Selbst die Börse glaubte also nicht wirklich, dass er aus dem Bild verschwand.16

Cook akzeptierte die Rolle des CEO und bestätigte, dass er im Rahmen des Systems arbeiten würde, das Jobs eingerichtet hatte. Das Geschehen hätte der Rückkehr von Jobs im Jahr 1997 unähnlicher nicht sein können. Im Gegensatz zu Jobs wollte Cook nicht einreißen, was nicht funktionierte, und es wieder aufbauen; er war in seiner Rolle als COO ein zuverlässiger Kapitän gewesen und plante, das Schiff auf seinem bestehenden Kurs zu halten. Es überraschte nicht, dass er nicht sofort wesentliche Änderungen bekannt gab, die Investoren oder Anhänger beunruhigen würden. Er wollte sich zuerst ihr Vertrauen verdienen. Zudem hatte Jobs laut einem damals weitverbreiteten Gerücht einen ausführlichen Plan für eine Produktpipeline hinterlassen (angeblich neue iPhones, iPads und Apple TV), die sich mindestens über die nächsten vier Jahre erstrecken sollte. Der Einfluss von Jobs gehe nicht so schnell verloren. Alle Änderungen, die Cook durchführte, würden ruhig und hinter den Kulissen vor sich gehen, genau wie seine früheren Beiträge zu Apple. Mit dem Übergang vom COO zum CEO wurde er stärker in die täglichen Verwaltungsangelegenheiten eingebunden, für die Jobs selten die nötige Geduld hatte. Er verfolgte bei Beförderungen und Unternehmenshierarchien einen mehr praxisorientierten Ansatz. Er verstärkte auch Apples Fokus auf Bildung und startete ein neues Programm zum Auffinden geeigneter gemeinnütziger Projekte. (Jobs hingegen hatte viele gemeinnützige Initiativen von Apple nach der Übernahme der Position als CEO gestrichen.)

Cook wollte ein Gefühl der Kameradschaft in der Firma schaffen, das ihr fehlte, als Jobs an der Spitze stand, also verschickte er mehr unternehmensweite E-Mails, in denen er die Apple-Mitarbeiter als „Team“ ansprach. Eine seiner frühesten Botschaften als CEO im August 2011 schlug einen beruhigenden Ton an:

„Ich freue mich auf die großartige Gelegenheit, als CEO des innovativsten Unternehmens der Welt tätig zu sein … Steve ist ein unglaublicher Leader und Mentor gewesen … und wir freuen uns wirklich auf Steves kontinuierliche Führung und Inspiration als unser Vorsitzender. Ich möchte, dass ihr beruhigt seid, dass sich Apple nicht ändern wird … Steve hat ein Unternehmen und eine Kultur aufgebaut, die anders ist als jede andere auf der Welt, und dem werden wir treu bleiben … Ich bin zuversichtlich, dass unsere besten Jahre vor uns liegen und dass wir gemeinsam Apple weiterhin zu dem magischen Ort machen werden, der es ist.“17

Sein praxisorientierterer Ansatz für die Interaktion mit den Mitarbeitern war anders als der Stil von Jobs. Cooks erste E-Mail löste einen Trend innerhalb des Unternehmens aus, der dazu führte, dass sich unter seiner Führung eine neue Kultur entwickelte. Seine E-Mails und seine sonstige interne Kommunikation, zum Beispiel Town-Hall-Meetings, halfen dem neuen CEO, seine Werte im gesamten Unternehmen zu verbreiten. Er bemühte sich auch bewusst, manches zu übernehmen, was Jobs getan hatte, um ein Gefühl der Kontinuität zwischen den beiden Firmenlenkern herzustellen. Ein klarer Schachzug, den Jobs eingesetzt hatte, um sich zugänglicher zu machen, war eine öffentlich zugängliche E-Mail-Adresse: steve@apple.com oder sjobs@apple.com. Cook setzte diese Tradition fort und reagierte persönlich auf einige der Hunderte von E-Mails, die nach seiner Ernennung zum CEO eintrafen.18

Ein E-Mail-Schreiber, ein Mann namens Justin R, schrieb an Cook: „Tim, ich wollte dir nur viel Glück wünschen und dir sagen, dass es viele von uns gibt, die sich freuen zu sehen, wohin es mit Apple geht. Oh, noch etwas – WAR DAMN EAGLE!“ (eine Anspielung auf den Kampfruf „War Eagle“ von Cooks Alma Mater, der Auburn University). Und natürlich antwortete Cook: „Danke Justin. War Eagle auf ewig!“19 Er war nicht bloß ein langweiliger Betriebsmann – diese E-Mails gaben der Öffentlichkeit einen Vorgeschmack auf seine Persönlichkeit und zeigten ihr, dass er ein Leader ist, der sich nicht nur seinem Unternehmen, sondern auch seinen Kunden widmet.

Cook begann diesen reibungslosen Übergang zum ständigen CEO zu dem Zeitpunkt, als der visionäre Leader, der Apple definiert hatte, auf seine neue Position als Chairman wechselte. Aber leider sollte Jobs nicht lange Apples Chairman bleiben.

Der Tod von Steve Jobs

Steve Jobs’ Tod am 5. Oktober 2011 erschütterte die Welt. Etwas mehr als einen Monat nach der Übernahme von Cook als CEO verstarb Jobs im Alter von 56 Jahren, acht Jahre nach seiner ersten Bauchspeicheldrüsenkrebs-Diagnose. Er hatte allen Widrigkeiten getrotzt und fast ein Jahrzehnt lang mit einer Krankheit gelebt, die eine 1-Jahres-Überlebensrate von 20 Prozent und eine 5-Jahres-Überlebensrate von nur sieben Prozent hat.20 Lange Zeit hatten die Menschen geglaubt, Jobs und Apple seien unzerstörbar. Apple war das Unternehmen, das immer das Unmögliche möglich machte, sei es eine dramatische Wende vom Beinahe-Bankrott zum erstaunlichen Unternehmenserfolg in den späten 1990er-Jahren, beispiellose Ingenieurleistungen mit iPod und iPhone oder die Neuerfindung der Musikindustrie mit iTunes. Dies alles war dem Einfluss von Jobs zu verdanken. Apple galt als unantastbar, und sein Anführer war zu einem Mythos geworden. Nur wenige Menschen, so schien es, hatten den Gedanken gehegt, dass er tatsächlich sterben würde.

Jobs verstarb am Tag nach der Vorstellung des iPhone 4S durch Apple im Yerba Buena Center for the Arts in San Francisco. Das große neue Feature des 4S war der KI-Sprachassistent Siri, eines der letzten Projekte, an denen Jobs bei Apple aktiv beteiligt war.21 Im Publikumsraum gab es einen freien Platz mit der Aufschrift „Reserviert“ für Jobs. Er mag körperlich abwesend gewesen sein, aber seine Anwesenheit war spürbar, und die Tatsache, dass ein Platz für ihn reserviert war, war noch ergreifender und warf den Schatten seines Todes am nächsten Tag voraus.

Die Nachricht des Todes von Jobs sandte Wellen von Schock und Trauer rund um den Globus. Noch nie zuvor hatte der Tod eines Vorstandsvorsitzenden die Menschen so schwer getroffen. Die Reaktion auf seinen Tod war beispiellos – obwohl er eines der wertvollsten Unternehmen der Welt oft tyrannisch geleitet hatte, hatte er sich ein positives öffentliches Image bewahrt. Er war sehr geliebt worden. Er starb einige Wochen nach Beginn der Occupy-Wall-Street-Bewegung – ein Schlag gegen Vermögensungleichheit und „das eine Prozent“ – und doch wurde er nicht als Teil dieser Gruppe angesehen. Die Menschen verbanden ihn mit den geliebten iPhones und iPods, die sie täglich mit sich trugen, mit den MacBooks und iMacs, die ihnen Zugang zu neuen, möglicherweise die Welt verändernden Tools gaben. Als er starb, setzte selbst Apples langjähriger Konkurrent Microsoft seine Flagge auf Halbmast. Präsident Barack Obama pries Jobs als „einen der größten amerikanischen Innovatoren – mutig genug, anders zu denken, mutig genug, zu glauben, dass er die Welt verändern kann, und talentiert genug, es zu tun“.22 Und die Welt stimmte ihm zu.

Apple Stores auf der ganzen Welt wurden zu Schreinen für Jobs und pflasterten ihre Schaufenster voll mit von Fans gemachten Schildern und Karten zur Erinnerung an den CEO, der ihrem Empfinden nach einer von ihnen war. Die Gehsteige davor waren mit Blumen und Kerzen übersät. Die Fenster waren mit von Herzen kommenden Post-it-Ehrungen bedeckt. Im Apple Store in Palo Alto – Steves Heimatstadt – bedeckten die Post-it-Bekundungen beide Fenster vollständig. Diese Art der öffentlichen Trauer um einen Unternehmensführer hatte es noch nie da gegeben.

Die Monate nach dem Tod von Jobs mögen eine tragische Zeit für Cook und diejenigen gewesen sein, die Jobs kannten und liebten, aber die Produkte von Apple waren so beliebt wie eh und je. Das iPhone 4S übertraf die Vorbestellungs- und Einführungszahlen aller früheren iPhones und wurde allein am ersten Wochenende mehr als vier Millionen Mal verkauft.23 Die Amazon-Vorbestellungen von Walter Isaacsons autorisierter Biografie von Jobs, einem Buch, das sich jederzeit gut verkauft hätte, stiegen nach dem Tod von Jobs ebenfalls – um enorme 42.000 Prozent.24

Die Leitung des Unternehmens von Steve Jobs

Während Steve Jobs in allen Zeitungen, Zeitschriften und jedem Blog sowie auf jedem Fernsehsender und Radiosender auf der ganzen Welt unsterblich gemacht wurde, richtete sich der Blick der Welt schnell auf Tim Cook. Die Zweifel an dem neuen CEO blieben bestehen, während die Nachrufe auf Jobs weiter zunahmen. Die Experten waren skeptisch, was für ein Unternehmen Apple ohne seinen visionären Leader werden würde, und die Fans von Apple fürchteten um seine Zukunft. Es war von Anfang an klar, dass Cooks Salbung zum CEO sowohl Segen als auch Fluch sein würde. Die Rolle des Apple-CEO war eine einmalige Position, von der die meisten Menschen im Leben nicht einmal träumen würden, aber es war auch einer der riskantesten Jobs der Welt. Die Entscheidung von Jobs, Cook für die Führung des Unternehmens zu wählen, war eine Bestätigung seiner Kompetenz und Fähigkeit, aber in die Fußstapfen von Jobs zu treten, unter dem Druck und der Kontrolle der Welt, war eine große Herausforderung. Unter der Leitung von Apple würde Cook der sichtbarste CEO der Welt sein: ein Drahtseilakt.

Es war ein beängstigender Moment für Cook. Nachdem er mehr als ein Jahrzehnt bei Apple war und als Chief Operating Officer zum obersten Leutnant von Jobs aufgestiegen war, stand er nun vor einer gewaltigen Aufgabe: Er übernahm die Führung eines legendären Unternehmens mit Millionen fanatischen Fans und einem zentralen Platz in der amerikanischen Wirtschaft und Kultur. Apple war eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen der Welt mit einer riesigen, ausgedehnten Geschäftstätigkeit, aber es sah sich auch mit einem zunehmenden Wettbewerb in der aufkeimenden, die ganze Welt mitreißenden Revolution des Mobile Computings konfrontiert. Für Tim Cook stand mehr auf dem Spiel denn je.

Apple ist dem Untergang geweiht

Cook als ein sehr zurückhaltender und leise sprechender Mann hätte nie gedacht, dass er CEO werden würde. Und er hätte nie gedacht, dass er Jobs ersetzen würde. Er tat den berühmten Ausspruch: „Was? Steve ersetzen? Nein. Er ist unersetzlich. Das ist etwas, worüber die Leute hinwegkommen müssen. Ich sehe Steve dort mit grauen Haaren, über 70, lange nachdem ich im Ruhestand bin.“25 Natürlich kam es dann anders.

Zum Zeitpunkt seines Todes war Jobs zum am meisten heroisierten CEO Amerikas der Neuzeit geworden. Er hatte Apple nicht nur Ende der 1990er-Jahre vor dem sicheren Tod bewahrt, sondern auch das Unternehmen in eine massive Hit-Maschine verwandelt. Die epochale Entwicklung von Mac, iPod, iPhone und iPad hatte Apple zu einem der weltweit größten Technologieunternehmen gemacht, und sicherlich zu dem am meisten kopierten.

Cook hatte alles zu verlieren. Apple drohte seine Führungsposition auf dem Markt aufgrund der intensiven Konkurrenz durch Android zu verlieren, und viele dachten, das Unternehmen wäre ohne seinen visionären Führer zum Scheitern verurteilt. Niemand wusste, wie Cook als ständiger CEO agieren würde, da er nie wirklich eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gewesen war.

Cooks Ruf arbeitete zunächst gegen ihn – er war sicherlich ein Meister des betrieblichen Managements, aber viele hielten ihn für einen farblosen, einfallslosen Schmarotzer. Er hatte nicht das Charisma und die treibende Persönlichkeit seines ehemaligen Chefs – was die Menschen vom Apple-CEO zu erwarten gewohnt waren. Schlimmer noch, er hatte nicht die Fantasie von Jobs. Wo würde Apples nächste Generation von wahnsinnig tollen Produkten herkommen? Jobs hatte dazu beigetragen, dass die Produkte von Apple große Erfolge feierten, und Experten auf diesem Gebiet befürchteten, dass ohne ihn Apples Hit-Serie zu Ende gehen würde.

Noch bevor Jobs offiziell zurücktrat, scheuten sich die Experten nicht, darauf hinzuweisen, dass Apple ohne Steve am Steuer zum Scheitern verurteilt sei. Das war keine Übertreibung: „Why Apple Is Doomed“ war der Titel eines Editorials vom Mai 2011 in der Huffington Post. Darin prognostizierte Ty Fujimura, dass sich Apple nie vom Tod von Jobs erholen würde. Sein „Management, sogar seine Vision“, schrieb Fujimura, „ist ersetzbar. Aber dieser brillante Sinn für Geschmack, dem Apple seinen Erfolg verdankt, wird von der nächsten Unternehmensleitung nicht erreicht werden. Sein Tod wird Apple näher am Mittelfeld hinterlassen denn je … Ohne überlegene Produkte wird Apples arrogantes Marketing auf taube Ohren stoßen. Die Verbraucher werden bereitwilliger Alternativen in Betracht ziehen.“26

Viele andere stimmten dem zu. Jobs war eine derart einzigartige Führungspersönlichkeit, und die Produkte von Apple waren so eng mit ihm verbunden, dass es fast unmöglich war, sich Apple ohne ihn vorzustellen. George F. Colony, CEO des Forschungs- und Beratungsunternehmens Forrester, sagte voraus, dass das Unternehmen ohne ihn bankrottgehen würde. „Als Steve Jobs ging, nahm er drei Dinge mit: 1) ein einzigartiges charismatisches Führungstalent, das das Unternehmen zusammenbrachte und seinen Mitarbeitern außergewöhnliche Leistungen entlockte; 2) die Fähigkeit, große Risiken einzugehen; und 3) eine beispiellose Fähigkeit, Produkte zu entwickeln und zu entwerfen.“27 Apples Dynamik, so behauptete Colony, würde das Unternehmen nur noch maximal zwei bis vier weitere Jahre an der Spitze halten. „Ohne die Ankunft eines neuen charismatischen Führers wird es sich von einem großartigen Unternehmen zu einem guten Unternehmen entwickeln, mit einem entsprechenden Rückgang des Umsatzwachstums und der Produktinnovationen.“

Cook war nicht der charismatische Anführer, den alle wollten. Er war Steve Jobs so unähnlich, dass viele Analysten, darunter Colony, Vergleiche mit Sony anstellten, nachdem sein legendärer Mitgründer Akio Morita gegangen war, mit Polaroid nach Edwin Land, Disney in den 20 Jahren nach dem Tod von Walt Disney und sogar Apple selbst nach Jobs’ erstem Abschied Mitte der 1980er-Jahre. Die Geschichtsbücher sind voll von Unternehmen, die nach dem Tod oder Weggang eines wichtigen Gründers oder Führers gestrauchelt sind. Ford und Walmart hatten ähnliche Einbrüche erlitten. Apples großer Rivale Microsoft hatte unter der Führung von Steve Ballmer, der die Nachfolge des legendären Bill Gates übernahm, zu kämpfen.

Noch Jahre später zweifelten die Menschen weiter daran, dass Apple unter Cook überleben würde. „Die Frage, ob Cook die Dynamik von Apple aufrechterhalten kann, wird öfter gestellt als jede andere Frage“, sagte Michael Useem, Management-Professor in Wharton und Direktor des Center for Leadership and Change Management der Management School, im März 2015 – dreieinhalb Jahre nach dem Tod von Jobs – gegenüber der Zeitschrift Fortune.28 So weit verbreitet war die finstere Stimmung, dass eines der im Jahr 2014, drei Jahre nach dem Tod von Jobs, am meisten gehypten Bücher „Haunted Empire“ von dem Wall Street Journal-Reporter Yukari Kane war, der Apple als Unternehmen beschrieb, das aufgrund der Abwesenheit seines ehemaligen Führers Qualen litt.29 Eine Passage lautete: „Selbst als er die Kontrolle über Apples weitläufiges Imperium übernahm, konnte Tim Cook dem Schatten seines Chefs nicht entkommen. Die Frage war, wie würde Cook diesen Schatten hinter sich lassen? Wie kann man mit einem Visionär konkurrieren, der so brillant und unvergesslich ist, dass nicht einmal der Tod ihn verschwinden lassen konnte?“30

Jobs hatte eine Vision für Apple, von der viele Angst hatten, dass sie mit Cook am Steuer verloren gehen würde. In einem Interview mit dem Playboy im Jahr 1985 – ironischerweise im gleichen Jahr, in dem er für ein Jahrzehnt von Apple hinausgeworfen wurde – beklagte er, dass „Unternehmen, wenn sie auf mehrere Milliarden Dollar anwachsen, irgendwie ihre Vision verlieren“.31 Zum Zeitpunkt seines Todes war Apple zu einem Multimilliarden-Dollar-Unternehmen geworden. Es war hinsichtlich fast jeder erdenklichen Kennzahl erfolgreicher als je zuvor in seiner Geschichte. Aber mit Jobs als Chef war die Vision ja noch intakt. Hatte Cook den richtigen Einblick in die Produkte und die richtige Leidenschaft für sie, und hatte er eine Vision für die Zukunft von Apple?

Diejenigen, die mit Cook zusammenarbeiteten, wussten, wie groß die Verantwortung war, die der ehemalige COO übernahm, und manche waren anfangs nervös. Es war „eine gewaltige Herausforderung“, sagte Greg Joswiak, Apples Vice President of Worldwide Product Marketing, der seit mehr als 30 Jahren bei Apple arbeitet – davon 20 Jahre als Kollege von Cook. „Das war, als ob man ein Fahrrad fährt und es ist nicht nur ein Fahrrad, es ist ein Motorrad, es ist eine Harley“, sagte er in einem persönlichen Gespräch in Apples neuem Raumschiff-Hauptquartier am 19. März 2018. „Die Herausforderung war beträchtlich.“

Aber falls Cook sich nicht sicher war, ob er diese Herausforderung annehmen konnte, war das selbst für seine engsten Kollegen wie Joswiak nicht erkennbar. „Die Welt war nervös“, aber „falls [Cook] nervös war, hat er es jedenfalls nicht gezeigt.“32 Ohne sein cooles Auftreten angesichts dieser großen Herausforderung wäre Apple nach dem Tod von Jobs ein viel schwierigerer Arbeitsplatz gewesen. Aber die Apple-Mitarbeiter verstanden, wie Cook arbeitete, auch wenn es der Rest der Welt nicht verstand. „Er hat schon früh eine Menge unfairer Kritik ausgehalten … Die Außenwelt wollte ihn mit Steve vergleichen.“ Aber Cook „wollte nicht versuchen, Steve zu sein“, sagte Joswiak. „Und das war sehr klug von ihm, denn niemand konnte Steve sein … Stattdessen war Tim Tim. Tim brachte die Dinge, die er konnte, ins Unternehmen ein.“

Wie die meisten erfolgreichen Führungskräfte spielte Cook seine einzigartigen Stärken aus, um das Unternehmen effektiv zu führen. In einem Interview mit Charlie Rose im September 2014 erklärte er, Jobs habe nie erwartet, dass er Apple in der gleichen Weise führt wie er. „Er wusste, als er mich auswählte, dass ich nicht wie er war, dass ich keine Kopie von ihm bin“, sagte Cook zu Rose. „Und so dachte er offensichtlich gründlich darüber nach, wen er Apple leiten lassen wollte. Ich habe immer die Verantwortung dafür empfunden.“33 Cook sagt, dass er unbedingt das Vermächtnis von Jobs fortsetzen und „jede Unze, die ich in mir selbst hatte, in das Unternehmen werfen“ wollte, aber nie das Ziel hatte, genauso wie Jobs zu sein. „Ich wusste, die einzige Person, die ich sein kann, ist die Person, die ich bin“, fuhr er fort. „Ich versuche, der beste Tim Cook zu sein, der ich sein kann.“

Und genau das ist er.

KAPITEL 2

Eine vom tiefen Süden geprägte Weltanschauung

Sweet Home Alabama

Timothy Donald Cook wurde am 1. November 1960 in Mobile, Alabama, einer Hafenstadt an der Golfküste und drittgrößten Stadt des Staates, geboren. Er war der zweite von drei Söhnen von Don und Geraldine Cook.1 Beide Eltern stammten aus dem ländlichen Alabama. Don arbeitete auf der Werft für Alabama Dry Dock and Shipbuilding, dem damals größten Arbeitgeber in Mobile, und baute und reparierte auf Pinto Island Militärschiffe. Geraldine arbeitete in Teilzeit als Apothekerin und widmete ihre restliche Zeit dem Heim.

Als Heranwachsender hatte Cook ein ausgezeichnetes Verhältnis zu seinen beiden Eltern, und er ist ihnen immer noch sehr verbunden. „Er ruft jeden Sonntag an, egal was, egal wo er ist“, sagte Cooks Vater 2009 einem Fernsehinterviewer, zwei Jahre bevor Cook die Rolle des CEO bei Apple übernahm.2 „Europa, Asien, egal, wo er ist, er ruft jeden Sonntag seine Mutter an. Das versäumt er nie.“ Geraldine starb 2015 im Alter von 77 Jahren, aber Tim pflegt bis heute eine enge Beziehung zu seinem Vater.

Irgendwann zog die Familie Cook kurz von Mobile nach Pensacola in Florida, etwa eine Autostunde entfernt, wo Don auf einer riesigen Marinebasis Arbeit fand. Aber 1971, als Tim in der Mittelschule war, kehrte die Familie nach Alabama zurück und ließ sich in der East Silverhill Avenue in Robertsdale nieder, einer kleinen ländlichen Stadt mitten in Baldwin County, dem flächenmäßig größten Bezirk des Staates. Don und Geraldine beschlossen, sich in Robertsdale niederzulassen, damit ihre drei Söhne von dem erstklassigen staatlichen Schulsystem profitieren konnten.3

Schulzeit

Robertsdale entspricht dem Bild einer Kleinstadt im amerikanischen Süden. Obwohl technisch gesehen eine Stadt, hat es eine Fläche von nur 13 Quadratkilometern und eine Bevölkerung von heute kaum mehr als 5.000 Einwohnern, ein Zehntel von Cupertino.4 Als Cook dort aufwuchs, waren es nur halb so viele, etwa 2.300 Einwohner. Jeder kannte jeden in der Stadt.

Die Stadt war Anfang des 20. Jahrhunderts in ruhigen, entspannten Zeiten dank ihres fruchtbaren Ackerlands aufgeblüht. Die Landwirtschaft war die Haupteinnahmequelle, auch wenn die Stadt später von den Menschen profitierte, die auf dem Weg zu den 40 Minuten entfernten Stränden der Golfküste durchkamen. Als Cook dort aufwuchs, war Robertsdale eine einfache Kleinstadt, die kein Kino und keine Bowlingbahn hatte und wo das aufregendste Ereignis der herbstliche Jahrmarkt von Baldwin County war. Geraldine bezeichnete sie nicht ohne Zuneigung als „nur ein kleines Erdloch“.5 Die Stadt hat seit 30 Jahren den gleichen Bürgermeister.6

Die Familie Cook war religiös, sodass Tim auch religiös wurde. Er nahm während seiner gesamten Karriere auf seinen christlichen Glauben Bezug.

„Als Kind wurde ich in einer baptistischen Kirche getauft, und der Glaube war immer ein wichtiger Teil meines Lebens“, schrieb er in einem Leitartikel für die Washington Post im Jahr 2015.7 Man kann davon ausgehen, dass dieser Glaube zu seiner Persönlichkeit als freundliche und großzügige Führungspersönlichkeit beigetragen hat. Und als er in einem Bloomberg-Leitartikel, der 2014 veröffentlicht wurde, verkündete, dass er schwul sei, verwies er auf Gott und schrieb: „Ich halte mein Schwulsein für eine der größten Gaben, die Gott mir geschenkt hat.“8 Auch wenn Cook heutzutage nicht sehr offen über seine religiösen Überzeugungen spricht, ist klar, dass sie eine große Rolle dabei gespielt haben, dass er zu dem Mann und zu der Führungspersönlichkeit wurde, die er heute ist.

Allem Anschein nach passte Cook als Kind gut in das Leben von Robertsdale. Im Gegensatz zu Jobs, der sich manchmal als jugendlicher Rabauke beschrieb, war Cook ein bescheidener, erfolgreicher, geradliniger Schüler. Fotos von ihm aus dieser Zeit zeigen einen leicht schlaksigen, aber sportlichen Jugendlichen mit Donny-Osmond-Haarschnitt und einem entspannten, offenen Lächeln.

Cook tat sich in Algebra, Geometrie und Trigonometrie hervor – alles mit analytischem Touch. In allen sechs Jahren der Mittelschule und der Highschool wurde er zum „fleißigsten Schüler“ gewählt, 1978 erhielt er die zweitbesten Noten seines Jahrgangs und wurde so zum „Salutatorian“ seiner Abschlussklasse.9

Seine ehemalige Mathematiklehrerin Barbara Davis erinnert sich: „Er war ein zuverlässiges Kind. Er arbeitete immer akribisch, also wusste ich, dass es korrekt erledigt würde.“10 Viele Kollegen und ehemalige Chefs sagen dasselbe: Man konnte immer darauf vertrauen, dass er seine Arbeit gut machte. Und die Dinge richtig zu machen sollte zu einem Markenzeichen seiner Karriere werden.

Cook war nicht nur fleißig, sondern auch gesellig und bei seinen Mitschülern beliebt. „Man ging nicht umher und bezeichnete ihn als Streber“, sagt Davis.11 „Er war genau die Art von Person, die man gerne um sich hat.“ Viele seiner Kollegen kommentierten seine Intelligenz und seine Herzlichkeit und stellten fest, dass er auch eine spielerische Seite hatte. Teresa Prochaska Huntsman, jene Schülerin, die bessere Noten als Cook hatte (und somit „Valedictorian“ wurde), sagt über ihn: „Er war nicht eindimensional. Ich kannte niemanden, der ihn nicht mochte. Er hatte eine großartige Persönlichkeit.“12

Eine weitere ehemalige Klassenkameradin und Freundin, Clarissa Bradstock, dazu: „Er war einfach wirklich klug, las gerne und hatte einen großartigen Sinn für Humor. Wir saßen einfach nur herum. Wir schauten Saturday Night Live Es ist klar, dass Cooks Kameraden aus der Highschool stolz auf das sind, was er erreicht hat.