Landkarte

karte
Cover Wüstenkrieger

Spiegelmagie

Band 3


WüstenKRIEGER

C. Svartbeck


Falke


Hinweis:

Am Ende des Buches finden Sie einen Anhang mit einer Landkarte sowie Erläuterungen zum Land Karapak und seinen Bewohnern.



C. Svartbeck
Machandel Verlag
Neustadtstr.7, 49740 Haselünne
Bildquelle cover: Vuk Kosticwww.shutterstock. com
2016
ISBN 978-3-95959-112-6






ANHANG: Erklärungen zum Reich Karapak


Geographie und Bevölkerung

Karapak liegt in der großen Ebene vor einer mächtigen Bergkette, die das Land zum Osten und Nordosten abgrenzt. Im Norden, Westen und Südwesten wird Karapak vom Ozean begrenzt. Das Land liegt in der gemäßigten bis subtropischen Klimazone. Hinter der ersten Bergkette liegt im Südosten das Hochland von Tolor, einem benachbarten Königreich. Im Süden, wo die Berge sehr viel niedriger sind, grenzen sowohl Karapak als auch Tolor an die Steppen und Wüsten, die von den freien Stämmen bevölkert werden, kriegerischen Nomaden, die immer wieder zu Raubzügen einfallen. Sowohl die Nomaden als auch die Tolorier und die Karapakier sind sich körperlich sehr ähnlich, mittelbraune Haut, dunkle Augen (meist braun), dunkle Haare (glatt oder gelockt). In den Drachenbergen im Nordosten und Osten lebt ein hochgewachsenes Volk, dessen hervorstechendstes Merkmal helle, meist graue Augen und deutlich hellere Haut sind.

 

Politische Struktur


Karapak ist ein Königreich mit mehrhundertjähriger Geschichte. Ursprünglich lagen in diesem Bereich rund drei Dutzend Königreiche und Fürstentümer, die sich mit Waffen und Zauberkraft befehdeten. Die Zauberer der Kristallkammer und die Könige des Reiches Karapak verbündeten sich und eroberten den ganzen Bereich der fruchtbaren Ebene.

Die Zauberer der Kristallkammer erkannten im Laufe der Zeit, dass zu viel Macht in einer Hand ungesund war, und trennten konsequent das Königtum von der Zauberei. Das Haus Mehme wurde als Könighaus ausgewählt, weil im Haus Mehme niemals auch nur der kleinste Funken Zauberkraft aufgetreten war.

Die dritte Macht im Staate sind die Priester. Üblicherweise halten sie sich aus der Politik heraus, aber bei einem Unentschieden bilden sie das Zünglein an der Waage. Darüber hinaus bilden sie die Stimme des Volkes.

 

Die Zauberer


Im Reich Karapak sind die Zauberer in der sogenannten Kristallkammer organisiert. Im Normalfall halten sie sich weitgehend aus der Politik heraus. Es gibt aber eine Fraktion unter ihnen, die das gerne ändern möchte. Zu dieser Fraktion gehört ausgerechnet Großmeister Ro, der seinerzeit zu denen gehörte, die ein magiefreies Königshaus einführten. Eine Unterfraktion dieser Gruppe will gleichzeitig die Machtverhältnisse innerhalb der Kristallkammer ändern und unterhält zu diesem Zweck geheime Verbindungen zu einer anderen Zauberergruppe außerhalb des Reiches Karapak.

Die Zauberkraft ist angeboren, bleibt aber ohne Schulung latent. Die Zauberer suchen aktiv nach Schülern und nehmen diese mit latenten Zauberkräften geborenen Kinder als Belohnung für ihre Zauberdienste mit in ihre Schulungshäuser. Die Zauberschule verfolgt den Zweck, die Talentiertesten unter den Schülern herauszusieben. Der Rest wird systematisch seiner Kräfte beraubt oder komplett in Zauberspiegel verwandelt. Diese Spiegel sind die mächtigsten Werkzeuge der Zauberer. In ihnen lassen sich große Mengen Energie speichern und bei Bedarf schlagartig freisetzen.

 

Die Namen


Namen sind sehr wichtig. An der Länge der Namen lässt sich bereits der Stand einer Person erkennen. Sklaven und Personen der untersten Gesellschaftsschicht (Prostituierte und deren Kinder, Abdecker, Latrinenreiniger) haben nur einsilbige Namen. Personen aus dem gemeinen Volk tragen zweisilbige Namen, der Adel hat drei- oder mehrsilbige Namen. Aufeinander folgenden Vokale werden einzeln ausgesprochen, sodass zum Beispiel Niai ein dreisilbiger Name ist: Ni-a-i.

(Diese Regel gilt aber nur in Karapak, nicht in den anderen Reichen)

Bei den Zauberern gilt genau das entgegengesetzte Prinzip. Die Schüler tragen anfangs noch lange Namen. Wenn sie zu Adepten Anwärtern und Adepten werden, dürfen sie ihren Namen auf drei Buchstaben kürzen. Wer zum Zauberer wird, kürzt seinen Namen auf zwei Buchstaben. Da es bei nur zwei zur Verfügung stehenden Buchstaben mehr als wahrscheinlich ist, dass zwei Zauberer damit den gleichen Namen haben, erhalten sie Beinamen, wie zum Beispiel Ke aus dem Westland, As Ziegenbart u.ä. Auch hier werden aber zwei aufeinander folgende Vokale einzeln ausgesprochen, ein Name wie Ai hat also zwei Silben.

 

Ehrenkodex

Karapakier sind ein Volk, dem Ehre und „Gesicht“ über alles gehen. Nichts ist schlimmer, als zu versagen. Erfolg andererseits ist hochgeachtet, egal mit welchen Mitteln er erreicht wird. Die Karapaki leben nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“. Man darf sich nur nicht bei illegalen Aktivitäten erwischen lassen. Der Gipfel der Unehre ist es, entweder bei illegalem Tun erwischt und öffentlich angeprangert zu werden, oder aber ein gegebenes Wort zu brechen. Ehre wie Unehre fallen auf die ganze Familie zurück.

 

Religion


Die Karapakier haben ein reichhaltiges Pantheon kleiner und großer Götter, mit der Sonnengöttin, genannt die „Brennende Göttin“ oder die „Flammende Göttin /Flammengöttin”, als oberster Herrin. Ihr spezieller Bote ist in Karapak der Falke, der gleichzeitig das Wappentier des Königshauses ist. Auch Tolor kennt die Brennende Göttin, dort sind aber rote Stiere ihre heiligen Tiere.

In dieser Geschichte kommen zudem der Kriegsgott Mu-Tao und die Meeresgöttin Skiaskis vor, beide aber eher nebenbei. Die Götter sind dafür berüchtigt, dass sie entweder wenig Interesse am Schicksal der Menschen zeigen oder grausam mit ihnen spielen. Das Beste, was ein Karapakier normalerweise von seinen Göttern erhofft, ist, dass sie ihn nicht beachten. Falls man es doch einmal für notwendig hält, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, geschieht das mit vielen Opfergaben als Bestechung – so, wie man auch mit hohen Beamten und den regierenden Herren umgeht.

Die Karapakier glauben, dass die Seelen nach dem Tod noch für unbestimmte Zeit weiterexistieren. In dieser Zeit irren sie nachts als übelwollende Geister durch das Land, wenn sie keine Ruhestätte finden. Diese Ruhestätte besteht daraus, dass ihre Asche irgendwo sicher untergebracht wird. Meist machen das ihre Familien, indem sie die Asche der Verstorbenen in die Wände der Häuser und die Mauern der Höfe einmauern. Deshalb fürchtet ein Karapakier nicht den Tod am meisten, sondern die Möglichkeit, dass man ihm bei unehrenhaftem Verhalten ein solches Begräbnis verweigert und damit seine Seele zur ewigen Wanderschaft verdammt.

Weitere Bücher der gleichen Serie

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, würde ich mich über eine Rezension sehr freuen.

Auf meiner Homepage http://www.svartbeck.de/ finden Sie übrigens ein paar zusätzliche Informationen zu Karapak und den handelnden Personen.


Svartbeck-01-Königsfalke

Königsfalke

Spiegelmagie Band 1

(als Ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


Ein Falke verbindet ihr Schicksal.
Für den Zauberlehrling Jokon ist die Beherrschung des Falken die einzige Möglichkeit, den Turm der Schüler zu verlassen.
Für Ioro, den ältesten Sohn des Königs von Karapak, ist der Falke der königliche Wappenvogel und die lebende Legitimation der Herrschaft seiner Familie durch die Götter.
Der Falke macht sie zu Freunden.
Und Freundschaft haben sie bitter nötig. Sowohl die Zauberschule als auch der karapakische Königshof sind so tödlich wie eine Schlangengrube.
Sie können nur einander trauen und hoffen, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist.



Svartbeck-02-Falkenkrieger

Falkenkrieger

Spiegelmagie Band 2

(als Ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


Ihre königliche Schwiegermutter hält sie für einen halbwilden Bergtrampel. Ihr königlicher Schwiegervater nimmt sie kaum zur Kenntnis. Und was ihren Gatten Tolioro angeht, wäre Sirit heilfroh, würde er dem Beispiel seines Vaters folgen.
Zu allem Überfluss scheint sie unfähig zu sein, dem Land den heißersehnten Thronfolger zu schenken. Alles, was Sirit gebärt, sind Töchter. Unerwünschte Töchter.
Ioro, der einzige in der königlichen Familie, der ein gutes Wort für sie erübrigt hat, ist weit weg und führt das Heer Karapaks gegen die Wüstenstämme.
Wie kann eine kleine, schwache Frau, die noch dazu im Harem eingesperrt ist, in dieser Lage einen Krieg verhindern – oder entfachen?


Trilogie Blut der Drachenberge


Svartbeck-04-Hornstachler

Hornstachler

Spiegelmagie Band 4

(als Ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


Der Bann auf den Drachenbergen ist erloschen. Jahrhundertelang hat er jeden Zauber effektiv verhindert. Jahrhundertelang hat er auch das lauernde Unheil aus den Eisbergen in Schach gehalten. So lange, dass die Menschen fast vergessen haben, dass dieses Unheil existiert.

Jetzt ist der Weg wieder frei. Und während die Kinder der Drachenberge versuchen, nach einem langen Krieg ihr Leben neu zu ordnen, sind sie längst in einen neuen Krieg verwickelt, ohne es zu wissen.

Dieser Krieg begann weit in der Vergangenheit.

Dieser Krieg bedroht ihre Gegenwart.

Dieser Krieg kann ihre Zukunft vernichten.

Und das einzige, was sie retten kann, wurzelt ebenfalls tief in der Vergangenheit.

Nur, dass es überhaupt keinen Grund hat, ausgerechnet Menschen zu retten.



Svartbeck-05-Feuerwind

Feuerwind

Spiegelmagie Band 5

(als Ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


In den Bergen kämpfen die Menschen um ihr Überleben. Die Zauberer könnten das Zünglein an der Waage sein, aber außer zwei noch nicht einmal fertig ausgebildeten Jungzauberern weigern sie sich zu helfen. Sirit fürchtet das Schlimmste für ihre alte Heimat.
Und ihr Sohn Inagoro, König von Karapak, füchtet um das Leben seiner Schwester Taephe, die mitten in diesem Schlamassel steckt. Dabei hätte Inagoro jeden Grund, sich nicht um seine Schwester, sondern um sein eigenes Leben zu sorgen. Immerhin gibt es genügend Konkurrenten, die ihm den Thron neiden, und schon Karapaks letzte zwei Könige hatten kein besonders langes Leben. Es gibt nur eine winzige Kleinigkeit, die Inagoro retten könnte: Er hat Zaubererblut.
Das nützt ihm natürlich nur, wenn die Götter mitspielen. Und wie es scheint, sind sie genau dazu entschlossen.
Oder sind es überhaupt nicht die Götter, sondern nur die Eigeninteressen der Priester, die hier zum Tragen kommen?
Die Seiten sind unklar.
Die Mitspieler sind unbekannt.
Die Mittel sind mörderisch.
Und mittendrin sind die alten Herrscher der Drachenberge damit beschäftigt, ihre Berge wieder in Besitz zu nehmen.



Svartbeck-06-Windschwingen

Windschwingen

Spiegelmagie Band 6

(als Ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


Viele Jahre kämpfen die Menschen in den Drachenbergen jetzt bereits gegen die Frostgeister – die größte Katastrophe ihres Lebens.
Denken sie.
Aber die Frostgeister sind nur die Vorboten. Hoch im Norden machen sich die Laren bereit, für jahrhundertelanges Leiden Rache zu nehmen. Eine Rache, die ganz Karapak und die Länder der Drachenberge zerstören kann. Nur drei vermögen diesem Schicksal Einhalt zu gebieten:
Eine Frau aus den Drachenbergen mit Seherblut.
Ein Mann aus der Ebene, der dieses Blut mit dem Zauberer-Erbe der Drachenberge verbindet.
Ein Kind, das als drittes Element den Meereszauber in sich trägt.
Aber um Karapak zu retten, müssen sie erst einmal selbst überleben. Und es gibt mehr als genug Parteien, denen genau daran nichts gelegen ist.



Svartbeck-Kg1-Brutmutter



Brutmutter

Spiegelmagie Kurzgeschichten Band 1

(Als Ebook und Druckausgabe bereits erschienen, allerdings nur bei Amazon)


Karapaks Frauen haben es nicht leicht in einer von Männern dominierten Gesellschaft. Von der Sklavin bis zur Adeligen, keine von ihnen ist wirklich frei. Das bedeutet aber keineswegs, dass sie nicht imstande sind, die Wege des Schicksals ein wenig zu lenken.


Rahis Ehre – eine Gutsbesitzerstochter stellt fest, dass sie doch eine Alternative hat


Schattentanz – eine exotische Tänzerin zeigt, was sie wirklich kann


Brutmutter – eine Tochter des Adelshauses Mehme stellt die Weichen für das spätere Königshaus





Svartbeck-07-Steinfaust

Einzelband

Steinfaust

Spiegelmagie Band 7

(als ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


Nirgendwo sonst hätte ein Waisenknabe in der Armee Karriere machen können.
In Karapak nicht, denn dort kommandiert nur der Adel.
In den Grauen Schluchten nicht, denn die sind noch hochnäsiger.
In Kirsitan nicht, denn da regieren die Frauen.
In den Nordlanden nicht, denn die haben überhaupt keine Armee, da ist jedermann ein Krieger.
Und in seiner alten Heimat Meelas nicht, denn … die gibt es nicht mehr.


Steinfaust weiß, worauf er sich eingelassen hat. Wer in Narkassias Armee an die Spitze kommen will, muss mit allem kämpfen: Worte, Waffen und Verrat. Nur mit einem hat er nicht gerechnet: Dass ihm auch Magie in die Quere kommen könnte.



Neu:


Die Sippe der Mehme-Könige ist bekannt für ihre ausgeprägte Falkennase – und dafür, dass sie keine Zauberer in ihren Reihen haben. Aber wie kam es dazu, dass sie die große Ausnahme unter allen hohen Adelshäusern Karapaks bilden?
Diese Geschichte wird in den beiden Bänden "Falkenblut" und "Falkenrache" erzählt.



Svartbeck-08-Falkenblut


Falkenblut 

Spiegelmagie Band 8

(als Ebook und Taschenbuch bereits erschienen)


Tiko hat nur ein Ziel: Sich einen Namen zu schaffen, der seinem Haus Ehre bringt. Eine Ausbildung in der königlichen Garde ist scheinbar der ideale Weg dazu. Dummerweise tritt er dabei sowohl dem karapakischen Königshaus als auch den Zauberern kräftig auf die Zehen. Und nicht genug, dass Tiko es versteht, sich die falschen Feinde zu machen. Er sucht sich als Freund auch noch ausgerechnet die Geisel des Königs aus.

An Karapaks Königshof haben schon bedeutend geringere Fehler den Tod gebracht.

Doch Tiko hat keine Wahl, er muss durchhalten. Als Kadett der Garde lebt er gefährlich. Aber wenn er aufgibt, ist er in jedem Fall tot, wie sein eigener Vater ihm unmissverständlich klargemacht hat.


Die Anfänge des späteren Königshauses der Sippe Mehme.



Falkenrache

Spiegelmagie Band 9

(erscheint im Oktober 2021)


Man sagt den Mehme nach, dass sie ein Drachengedächtnis haben. Kränkungen werden von ihnen weder vergessen noch vergeben, egal, wie lange sie zurückliegen. Die Beziehungen zwischen ihnen und dem karapakischen Königshaus sind deshalb bestenfalls schlecht. Und die Abneigung ist gegenseitig.

Als jedoch Na-Ochone, der letzte der Mehme-Barone, vom König zutiefst gedemütigt wird, ist das Maß voll. Na-Ochone schwört blutige Rache. Eine Rache, der selbst die Zauberer wohlwollend gegenüberstehen.

Allerdings haben die Mehme ihr Familienmotto nicht ohne Grund: Traue niemals einem Zauberer!






Leseprobe aus "Hornstachler"

(Spiegelmagie Band 4)


„Der König ist zu alt, als dass seine Erziehung in der Hand einer Frau bleiben dürfte! Er braucht die Erziehung eines Mannes.“

„Hier gibt es keinen Mann“, erinnerte Sirit ihn sanft. „Außer, Ihr zählt die Eunuchen, Sklaven und Diener mit.“

Der Ratsherr sah die Regentin an, als hätte sie sich soeben in eine Spinne verwandelt. Angeekelt verzog er die Nase. „Dann muss der König den Palast verlassen. Alt genug ist er.“

„Und was“, fragte Sirit, „lernt er außerhalb des Palastes, was er hier nicht lernen kann? Ich habe hervorragende Lehrer für ihn geholt. Er bekommt Waffenunterricht vom Meister der Palastgarde persönlich. Selbst die Priester beteiligen sich an seinem Unterricht und bringen ihm die Gesetzeskunde nahe.“

Bei der Erwähnung der Priester lief ein Schauder über den Körper des Ratsherren und er zog den Kopf etwas ein. Trotzdem gab der Mann nicht auf. „Der König ist ein Mann. Er braucht entsprechenden, standesgemäßen Umgang.“

„Der König ist ein Kind. Und sein Platz ist ohnehin im Palast. Der Platz des karapakischen Königs ist immer im Palast gewesen.“

Der Ratsherr sah sie mürrisch an. „Wenn der König den Palast nicht verlassen soll, müssen wir eben die Männer in den Palast hineinbringen.“

Sirit hätte fast laut losgelacht. „Im Sommerharem sind Männer, die nicht zur Familie gehören, verboten.“

„Das gilt aber nur für erwachsene Männer!“, trumpfte der Ratsherr auf. „Nicht für Kinder. Wir werden dafür sorgen, dass der König mit anderen Jungen seines Alters zusammen ist. Und ich werde persönlich die Auswahl überwachen.“ Seine Stimme wurde zuckersüß. „Wir wollen schließlich, dass unser junger Herrscher nur die allerbeste Gesellschaft genießt, nicht wahr?

Sirit sah unwillig von ihrer Kalligrafie hoch. Waren Pinots Freunde auch so laut gewesen? Sie seufzte. Und erkannte in ihrem eigenen Seufzer den ihrer Mutter. Ja, Pinots Freunde waren ebenso laut gewesen. Und vermutlich ihre eigenen Freundinnen auch. Kinder waren laut, selbst in einem Palast. Der einzige, der nicht laut war, war ihr Sohn Inagoro. Der Junge hatte früh lernen müssen, dass nur Schweigen sein Überleben sicherte. Ihr Blick wanderte zu dem schwarzen Schopf, der ganz in ihrer Nähe ebenfalls über ein kalligrafisches Blatt gebeugt war. Nein, sie hatte sich geirrt. Es gab noch jemanden, der so ruhig war wie Inagoro. Ihre adoptierte Tochter Taephe. Sirit dachte an die Konkubine, die Taephe geboren hatte. Taephe hatte so vieles mit ihrer toten Mutter gemeinsam. Mehr als mit ihrem verstorbenen Vater. Das Mädchen war gut erzogen, lernwillig und ehrerbietig. Aber wann hatte Taephe das letzte Mal gelacht?

„Taephe!“

„Ja, Mutter des Königs?“ Der Schopf mit den drei rabenschwarzen Zöpfen hob sich.

„Du hast genug geübt für heute. Geh spielen!“

Das Mädchen zögerte.

„Geh nur. Wenn du magst, kannst du Inagoro fragen, ob du dich seiner Gruppe anschließen darfst.“

„Das wäre nicht schicklich, Mutter des Königs. Ich bin nur ein Mädchen.“

„Das hat weder dich noch Inagoro gestört, bevor die anderen Jungen in den Palast gebracht wurden.“

„Es stört uns auch heute noch nicht, solange wir alleine sind. Oder zumindest nur die Kinder der Diener bei uns sind. Aber die anderen Jungen ziehen Inagoro auf, dass er mit einem Mädchen spielt. Er hat sich sogar schon deswegen mit ihnen geprügelt.“

So, das also war der Grund für die Prügelei gewesen. Inagoro hatte nicht mit der Sprache herausgewollt, als sie ihn gefragt hatte.

Natürlich, Inagoro war König. De jure. Von einem König, egal wie jung er war, erwartete man gewiss nicht, dass er mit Mädchen spielte. Und noch weniger, dass er sich wegen eines Mädchens prügelte.

„Dann sollte ich dir vielleicht auch ein paar standesgemäße Gefährtinnen kommen lassen.“

Taephe zuckte zusammen. „Lieber nicht, Mutter des Königs.“

„Warum nicht?“ Sirit war ehrlich erstaunt.

„Ich habe zwei von ihnen getroffen.“ Taephes Stimme war klar, aber sehr leise. „Als sie die Jungen hierher brachten. Ich habe sie gegrüßt und gefragt, ob sie mit mir zu den Goldfischteichen gehen wollten. Sie haben mich gefragt, wer ich bin. Und als ich es ihnen gesagt habe, haben sie mich ausgelacht und gesagt, dass sie niemals mit der Tochter einer Konkubine, die sich zuvor als Junge verkleidet hatte, spielen würden.“

Sirit seufzte. Der karapakische Adel war gut geschult darin, seine Vorurteile an die nächste Generation weiterzugeben. Wenn sie in Kirsitan gewesen wären …

Sirit spürte eine sanfte Berührung. Taephe war neben sie getreten. „Sorgt Euch nicht, Mutter des Königs. In den Hütten der Diener verlacht mich niemand. Ich habe dort genügend Freunde und Freundinnen, denen ich jederzeit willkommen bin.“

Sirit nickte und entließ Taephe mit einer Handbewegung. Gedankenverloren sah sie dem Mädchen nach, als es in den Garten hinausging. Ein schlanker Körper, ein geschmeidiger Gang. Taephe versprach, eines Tages eine Schönheit zu werden. Einmal abgesehen von der Mehme-Nase, natürlich.


Taephe sah den Jungen zu. Natürlich war es nicht schicklich, dass sie sich als Mädchen außerhalb des Sommerharems aufhielt, aber es war zu verlockend gewesen, weiterhin dem Unterricht zu folgen. Taephe hatte Geschmack am Lernen gefunden, damals … als sie noch ein Junge sein sollte, damals, als ihre Mutter noch lebte. Mittlerweile konnte Taephe ohne Bitterkeit an ihre Mutter denken. Mittlerweile wusste Taephe, wie großherzig die Mutter des Königs in jener Nacht gehandelt hatte.

Der Lehrer ignorierte Taephe. Die Jungen ignorierten sie ebenfalls. Es war, als sei sie überhaupt nicht da. Aber nichts und niemand konnte sie daran hindern, ihre Ohren aufzusperren und zuzuhören.

Na schön, beinahe nichts. Außer natürlich die Langeweile, wenn der Lehrer zum achten oder neunten Mal die gleiche Berechnung erklärte. Was bei den Göttern war so schwierig an einem einfachen Dreisatz? So dumm konnten die Jungen doch nun wirklich nicht sein. Nicht einmal Pokoko, der mit dem krummen kleinen Finger, der gerade noch einmal nachfragte. Taephe entfuhr unwillkürlich ein entnervtes Stöhnen.

Der Blick des Lehrers wanderte missbilligend zu ihr. „Du störst!“, stellte er ungehalten fest. „Wie sollen die jungen Herren sich da konzentrieren? Geh zurück zu deinen Puppen und überlass die Männer ihrer Arbeit!“

Taephe reichte es. „Die jungen Herren können sich nicht konzentrieren, weil sie nur an ihre Wetten bei den Hahnenkämpfen heute Nachmittag denken. Würden sie sich konzentrieren, hätten sie schon längst gemerkt, dass die Buchmacher sie regelmäßig hereinlegen und ihnen niemals die volle Summe gewonnenen Geldes auszahlen.“

Jetzt hatte Taephe die volle Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe.

„Du weißt von den Hahnenkämpfen?“

„Ja.“ Taephe nickte Inagoro zu. „Ich habe sie … früher … auch besucht.“

„Und woher weißt du, dass die Buchmacher uns betrügen?“

„Euch nicht, königlicher Bruder, das würden sie nicht wagen. Aber die anderen schon. Weil sie wissen, dass Eure Freunde nicht richtig nachzählen können.“

„Und das weißt du woher?“ Für einen Moment schien der Lehrer vergessen zu haben, dass er mit einem verachtenswerten Mädchen sprach.

„Die Jungen erzählen es ja laut genug, wieviel sie einsetzen, wie hoch die Quote war, und was sie gewonnen oder verloren haben. Wenn ich diese Zahlen in einen Dreisatz setze, erkenne ich sofort, ob die Wetten ehrlich waren.“

„Interessant.“ Inagoro hatte sich vorgebeugt. Sein Zeigefinger massierte seine Nasenwurzel, wie immer, wenn er nachdachte. „Wenn sie das heute wieder tun und wir können es mit deiner Hilfe beweisen, dann schulden sie uns einiges. Vorausgesetzt, ich lasse sie nicht gleich wegen Betrug verhaften.“

„Entschuldigt, mein König!“ Das war wieder der Lehrer. „Ihr könnt unmöglich ein Mädchen aus dem Sommerharem zu den Wettkämpfen mitnehmen. Das schickt sich nicht. Ich selbst werde mit Euch kommen und die Quoten kontrollieren.“

„Nein.“ Inagoro hatte sich entschlossen. „Wenn ein Erwachsener mitkommt, werden sie den Braten riechen. Es muss Taephe sein. Notfalls kann sie sich ja mal wieder als Junge verkleiden.“

Der Lehrer und Taephe zuckten unisono zusammen. Der Lehrer fuchtelte nervös mit beiden Händen in der Luft herum. „Unmöglich, ganz unmöglich! Das schickt sich nicht, wirklich nicht! Mein König, denkt an die Ehre Eures Hauses!“

„Genau daran denke ich.“ Inagoro war die Liebenswürdigkeit in Person. „Die Ehre meines Hauses verbietet mir, zuzulassen, dass meine Freunde betrogen werden. Ich muss alles tun, damit ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Wir werden so vorgehen, wie ich es gesagt habe.“

Wenn Blicke töten könnten, wäre Taephe schon bei den Windgeistern gewesen. Der Blick des Lehrers verhieß Gewitterwolken. Die Blicke von Inagoros Freunden waren noch finsterer. Die Jungen schätzten es nicht, dass ausgerechnet ein Mädchen ihre Schwäche erkannt und sie bloßgestellt hatte. Bloß Mauro, der dreizehnjährige Enkel von Herzog Kamato, dem jüngsten Bruder ihres Großvaters Kanata, lächelte sie an. Taephe lief es kalt über den Rücken. Ein ähnliches Lächeln hatte sie bei ihrem Vater gesehen.


Taephe ging mit zu den Hahnenkämpfen, eingehüllt in die Kleidung und den Umhang eines Jungen. Es war das letzte Mal, dass sie den Palast verließ. Die Jungen bekamen viel Geld an diesem Tag. Taephe bekam heftige Schelte von ihrer Zofe, der Palastwache und einem ekelhaften Ratsherrn, der extra deswegen eine Audienz bei der Regentin eingefordert hatte. Sein Schwabbelbauch hatte mit seiner empörten Stimme um die Wette vibriert. Taephe war die Schelte egal. Nicht egal war ihr der stumme Blick, mit dem die Mutter des Königs sie einige Minuten lang musterte, bevor sie Taephe mit einer Handbewegung entließ und in ihre Gemächer zurückschickte.

Die Jungen mochten Taephe deswegen kein bisschen mehr. Im Gegenteil, es war fast, als hätte sie persönlich jeden einzelnen von ihnen beleidigt. Taephe zog es vor, aus dem Blickfeld der Jungen zu verschwinden. Den Unterricht besuchte sie nie wieder.


Sirit wanderte mit raschen, kleinen Schritten durch den Geheimgang. Wie oft war sie diesen Weg schon gegangen? Sirit wusste es nicht mehr. Unhörbar, unsichtbar, ein Geist, von dem niemand wusste. Nur hier war sie frei, nur hier fesselten sie weder Tradition noch Wächter noch Mauern. Hatte sie wirklich geglaubt, als Tolioros Ehefrau überaus eingeschränkt gewesen zu sein in ihrer Freiheit? Eine Regentin war noch stärker eingeschränkt. Eine Regentin war gefesselt in ihrer eigenen Macht.

Nur hier konnte sie sich noch bewegen, ohne jemandem Rechenschaft abzulegen. Die Geheimgänge des Schlosses. Geheimgänge in Tolor, Geheimgänge in Sawateenatari. Geheimgänge schienen ihr Schicksal zu sein.

Ihre Dienerinnen hatten sich daran gewöhnt, dass die Mutter des Königs manchmal in ihren Gemächern verschwand und stundenlang unauffindbar war. Keine von ihnen wagte es, zu fragen, wohin Sirit verschwand und was sie in dieser Zeit tat. Sie war wohl nicht die erste Frau im Sommerharem, die dergleichen tat. Einige der Gänge hatten so ausgesehen, als ob sehr häufig jemand durch sie gegangen war. Gänge, die auch zu ihren ehemaligen Räumen als Tolioros Gemahlin führten. Sirit konnte sich nur eine einzige Frau vorstellen, die dafür infrage kam: Iragana. Welch eine Ironie, dass ihre Feindin die gleichen Wege gegangen war wie sie selbst.

Sicheren Schrittes bog Sirit in einen abzweigenden Gang. Es war dunkel, wie überall in den Gängen, aber Sirit war diesen Weg so oft gegangen, dass sie ihn auswendig kannte und selbst dann sicher an ihr Ziel gelang wäre, wenn ihre Zauberaugen ihr nicht freien Blick durch Dunkelheit und Mauern gegeben hätten.

Hier begannen die Kasernen der Palastgarde. Sie schaute durch die Wand hinaus. Der Junge schlief, alleine, wie es sein Vorrecht war. Sirit tastete über die Wand und drückte den verborgenen Riegel. Lautlos glitt ein Segment der Wand zurück. Sirit trat in das Zimmer und ging zu dem Bett. Behutsam, um den schlafenden Jungen nicht zu wecken, setzte sie sich an den Rand des Lagers. Inagoro atmete gleichmäßig. Sein Gesicht war entspannt, wirkte fast glücklich. Sirit konnte nicht widerstehen. Sanft strich sie mit ihrer Hand über seine Wange. Der Junge öffnete schlaftrunken die Augen.

„Mutter?“

„Sssssh, ruhig, schlaf weiter, du träumst nur.“

Gehorsam schloss der Junge die Augen wieder.

Wie schon so oft in den letzten Monden, begann Sirit zu reden, ein leises, gleichmäßiges Murmeln. „Du bist der König“, begann sie, wie jedes Mal. „Als König trägst du Verantwortung. Als König musst du in den Gesichtern er Menschen lesen und in ihre Herzen sehen. Lass dich nicht von Worten täuschen. Ich weiß, dass Ratsherr Takovra dir heute versichert hat, dass er und seine ganze Familie hinter dir stehen, immer schon hinter dem Haus Mehme gestanden haben. Glaube ihm nicht. Takovras Sippe gehörte zu jenen, die im Rat immer wieder gegen deinen Großvater gestimmt haben. Und das Haus Nimxa ist mit ihnen verbunden …“

Inagoro kuschelte sich gegen Sirits Hand, während sie ihren Monolog fortsetzte. Wer wusste schon, was er hörte. Sirit redete, weil auch ihre Mutter so mit ihr und ihren jüngeren Geschwistern geredet hatte. Weil ihre Mutter immer gesagt hatte, dass die Seelen der Kleinen im Schlaf begieriger das Wissen aufsaugten als im Wachen. Inagoro brauchte dieses Wissen. Und da die Männer offensichtlich nicht willens waren, es ihm zu geben, hatte Sirit diesen Part übernommen. Gut, er war Tolioros Sohn. Aber er war auch ihr Kind. Soviel war sie ihm schuldig.

Einen Augenblick überlegte sie, was wohl aus diesem Kind geworden wäre, hätte sie es in Kirsitan, der Heimat ihrer Mutter, aufziehen können. Oder in Tolor, beim Volk ihres Vaters. Nein. Sirit schob den Gedanken energisch wieder zur Seite. An diesem Kind war nichts, was auf seine Berg-Abstammung hindeutete. Keine hellere Haut, keine helleren Haare, keine helleren Augen. Braun, schwarz und braun war dieses Kind, ein Ebenbild seines Vaters, bis hin zu der Falkennase der Mehmes. Wenigstens hatte der Junge nicht Tolioros Boshaftigkeit geerbt. Sirit war den Göttern aufrichtig dankbar dafür.


Was vorher geschah


Zwei königliche Halbbrüder, die sich innigst hassen. Eine Ehe unter Königskindern, wie sie unglücklicher nicht verlaufen könnte. Ein jugendlicher Zauberer, der tatsächlich einen Freund hat. Und dieser Freund ist noch nicht einmal ein anderer Zauberer, sondern der Bastard-Sohn des karapakischen Königs.
Karapak geht stürmischen Zeiten entgegen.

Band 1 - Königsfalke
Zwei königliche Brüder = zwei tödliche Rivalen, und dazwischen ein junger Zauberer, der sich kräftig einmischt.

Ioro, ältester Sohn einer Konkubine König Kanatas (und daher nicht Erbe), ist zum obersten Feldherren bestimmt, sein jüngerer Bruder Tolioro als Sohn der Ersten Gemahlin ist Thronerbe.
Wie das Schicksal so spielt, scheint Ioro mehr Intelligenz und Ehre zu besitzen als Tolioro, was Vater Kanata wohlwollend vermerkt. Ebenso wohlwollend sieht er allerdings zu, wie Söhnchen Tolioro einen potenziellen Konkurrenten nach dem nächsten aus dem Weg räumt. Und Mutter Iragana beseitigt unauffällig einige Leichen, die Tolioro bei seinen sexuellen Eskapaden produziert.
Auch Ioro würde dem Weg aller Königssöhne in ein frühes Grab gefolgt sein, hätte er nicht in dem angehenden Zauberer Jokon einen tatkräftigen Freund gefunden. Dumm ist halt nur, dass auch Jokon sozusagen auf Messers Schneide lebt.

Band 2 - Falkenkrieger
Eine königliche Ehe = ein Drama, und als wäre das nicht ausreichend, versucht sich die halbe Familie und Schwiegerfamilie gegenseitig zu meucheln.

Am Ende stirbt der König von der Hand seines Sohnes und Ioro, der jetzt keine Zukunft mehr für sich sieht im Reich, flieht zu den Wüstenkriegern, gegen die das Reich gerade Krieg führt.

Zauberer Jokon, der sich jetzt Jo nennt, hat derweilen einen kapitalen Fehler begangen, ist einer fremden, feindlichen Zauberer-Fraktion auf den Leim gegangen und sitzt im Körper eines Falken fest.

Ein toter König

 

General Ordunat kratzte sich unbehaglich am linken Oberschenkel. Die alte Pfeilwunde schmerzte schon wieder. Er sollte wirklich einen Heiler aufsuchen … Aber das war nicht seine dringendste Sorge. Ganz und gar nicht.

„Wir haben nur eine Chance“, sagte General Skatskee mit gepresster Stimme. „Das hier darf nie, wirklich nie, unter absolut keinen Umständen, an die Öffentlichkeit gelangen.“

Sein Blick irrte durch das Zelt, um wieder bei der Gestalt zu landen, die inmitten eines unregelmäßigen Fleckens eingetrockneten Blutes am Boden lag. Sein König. Erschlagen mit einem Schwert, in einem seiner eigenen Zelte, inmitten einer Tausendschaft seiner besten Soldaten.

Dazu ein entkommener Gefangener. Und ein vermisster Feldherr, der zufällig auch noch der Sohn dieses Königs war.

Eine Katastrophe. Alle vier anwesenden Generäle waren sich darin einig. Eine Katastrophe für den Feldzug, eine noch größere Katastrophe für das Reich. Und eine vernichtende Katastrophe für die Ehre des Königshauses, sollte jemals die Wahrheit ans Licht kommen: Dass der oberste Feldherr Karapaks seinem Vater und König eigenhändig den Schädel gespalten hatte und mit seinem Erzfeind gemeinsam in der Wüste verschwunden war.

Der Junge hatte das gar nicht mal so ungeschickt gemacht, dachte General Ordunat. Hatte höchstpersönlich die Wachen mit einem harmlosen Gespräch abgelenkt, sodass der Schamane unbemerkt davonschleichen konnte, und war dann davongegangen, als ob er nur einen kleinen Spaziergang machen wollte. Es hatte fast eine Kerze gedauert, bevor dem ersten Wachsoldaten aufgefallen war, wie still es im Zelt war.

Ordunat verstand Ioro. Und wie er ihn verstand! Die letzten Befehle des Königs waren allesamt dermaßen unehrenhaft gewesen, dass es geradezu ein Wunder war, dass die Soldaten sie noch ausgeführt hatten. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte sehen, wie sehr der junge Feldherr unter diesen Befehlen litt. Und dennoch … Das hätte Ioro nicht tun dürfen. Damit hatte er seinen Eid gebrochen und seine Ehre auf immer verloren.

Aber das spielte auch nur noch eine sekundäre Rolle. „Wie wollen wir vorgehen?“

General Skatskee deutete auf die reglose Gestalt. „Wir werden sagen, der Schamane hat den König getötet. Und den Feldherren mit einem Zauber belegt, um ihn in die Wüste zu entführen. Und dort werden ihn vermutlich die rachsüchtigen Wüstenbarbaren töten.“

„Die Wachen wissen es anders“, gab General Nogando zu bedenken.

„Die Wachen werden sterben. Sie haben versagt. Sie hätten den König schützen müssen.“

„Wollen wir wegen des Feldherren etwas unternehmen?“

„Was denn?“, gab Ordunat bissig zurück. „Wollt Ihr die Wüste nach ihm umgraben? Da wären Eure Chancen besser, mit bloßen Händen in den Bergen einen Drachen zu erlegen. Niemand findet die Wüstenkrieger, wenn sie es nicht wollen. Der einzige, der das konnte, war Ioro, und auch der schaffte es nur, weil ihm dieser Falke dabei half.“

„Wenn wir Glück haben, erschlagen die Wüstenkrieger ihn wirklich“, knurrte General Ochot. „Genug von ihnen hat er schließlich getötet.“

„Und wenn wir Pech haben“, lächelte General Ordunat schief, „lassen sie ihn nicht nur am Leben, sondern nutzen auch seine Erfahrungen. Immerhin war er der oberste Feldherr Karapaks. Wer, wenn nicht er, kennt alle unsere Schwächen, weiß, wie unsere Armee arbeitet, und vor allem, wie wir denken?“

Die Generäle sahen sich an. Unbehagliches Schweigen breitete sich im Zelt aus. Schließlich räusperte sich General Skatskee. „Wollen wir hoffen, dass Ioro noch Ehre genug fühlt, dass er uns nicht verrät. Den Feldzug werden wir so oder so vorerst abbrechen müssen. Unsere alleinige Aufgabe wird es jetzt sein, unseren toten König nach Hause zu bringen. Dann ist es an seinem Sohn, unseren neuen König, über das weitere Schicksal dieses Feldzuges zu entscheiden.“

*

Der Weg nach Sawateenatari war lang. Es war den Zauberern zu verdanken, dass Kanatas Körper in einem einigermaßen ansehnlichen Zustand zurück in den Palast gelangte.

*

Iragana lauschte in sich hinein. Wie seltsam. Sie fühlte nichts. Dabei hätte sie doch jetzt Freude empfinden müssen. Freude darüber, dass der Platz ihres Sohnes gesichert war. Freude darüber, dass gleichzeitig sein ärgster Konkurrent, sein Bruder Ioro, ausgeschaltet war. Freude darüber, dass alle ihre Ziele erreicht und ihre Träume in Erfüllung gegangen waren.

Aber da war keine Freude. Da war nur diese merkwürdige Leere. Iragana schaute in ihr Innerstes. Diese Leere beunruhigte sie, verunsicherte sie zutiefst. Warum freute sie sich nicht? Sie grub in der Leere. Da ganz hinten, in einem tiefen, versteckten Winkel ihres Verstandes, war doch noch etwas. Sie packte dieses Etwas, zog es aus seinem Versteck, begutachtete es, wand es nach allen Seiten. Und sie erkannte es. Es war der letzte kleine Rest von jenem ersten winzigen Spross einer Liebe, die sie einmal, als junge Braut, ihrem Verlobten Kanata entgegengebracht hatte. Das, woraus ihre Liebe zu ihrem Ehemann gewachsen war, das, was sich aus unerwiderter Liebe zu Hass gewandelt hatte über die Jahre, und dann zur Gleichgültigkeit, und jetzt zur Leere. Aber dieser kleine Rest hatte überlebt. Hatte sich nicht zerstören lassen. Iragana erkannte fassungslos, dass sie ihren Mann immer noch liebte.

Die Gemahlin des toten Königs schrie laut auf.

In den Höfen des Sommerharems erstarrte das Leben.

*

Weiß. Die ganze Welt war weiß. Weiß trugen die Diener. Weiß trugen die Wachen. Weiß die Konkubinen und die Kinder. Weiß trug die Königin. Jedes sichtbare Stück Stoff war weiß. Selbst die Halsbänder der Hunde waren weiß. Und die Blumenbeete. Alle Blüten, die nicht weiß waren, hatten die Gärtner abgeschnitten.

So geisterhaft der Palast aussah, so still war er.

Die Gemächer des Kronprinzen blieben leer.

*

„Her mit dem Wein!“ Tolioro schwankte leicht, während er nach dem rubingeschmückten Pokal griff. Süßer, karapakischer Südwein. Sein Vater war endlich tot. Das musste gefeiert werden! Noch dazu schien sein Bruder sehr innig in diesen Tod verstrickt zu sein. Mit etwas Glück war Ioro sogar inzwischen ebenfalls tot. Tolioro hoffte auf die Rachsucht der Wüstenkrieger. So oder so aber war das Verschwinden seines Bruders von der Bildfläche ein weiterer Grund zum Feiern. Graf Chilikits Stadtpalais gab da gerade den rechten Rahmen her.

Zu Hause trugen alle Trauer. Selbst seine dämliche Mutter. Hatte sie sich nicht immer den Tod ihres Gatten gewünscht, sogar aktiv darauf hingearbeitet? Und jetzt, wo er endlich tot war, trauerte sie um ihn und behauptete, ihn tatsächlich geliebt zu haben? Versteh einer die Frauen! Tolioro verstand sie jedenfalls nicht. Aber egal. Sollte seine Mutter trauern, er würde feiern.

Die zierliche Sklavin schenkte den Wein ohne weitere Aufforderung nach. Ihre Hand zitterte leicht. Tolioro musterte sie kritisch von oben bis unten. Ein wenig zu dunkel für seine Zwecke. „Geh nach nebenan!“, befahl er. „Da steht Farbe. Mal dich heller. Und vergiss deine Haare nicht!“ Das Mädchen verbeugte sich und machte, dass es hinauskam.

Fitor von Arant-Kone, Graf Chilikits jüngster Sohn, sah mit weinseligem Lächeln auf. „Heller? Ich dachte immer, du magst keine hellhäutigen Frauen?“

„Mag ich auch nicht.“ Tolioro flegelte sich in die Polster. „Sie erinnern mich an meine Frau.“

Fitor zog es vor, darauf nicht zu antworten. So betrunken war er denn doch noch nicht, um nicht zu wissen, wie heiß dieses spezielle Thema war. Aber Tolioro sprach schon weiter.

„Meine entlaufene Frau Sirit.“ Seine Stimme klang heiser. „Wenn ich die heute hier hätte …“ Er goss einen weiteren Becher Wein in sich hinein. „Na gut, sie ist nicht hier, dann werde ich mich eben mit dieser hier begnügen müssen.“ Er deutete auf die Sklavin, die mit geweißtem Gesicht und ebenso geweißten Armen, Händen und Haaren soeben den Raum wieder betrat. Man sah der Farbe an, dass sie in aller Eile aufgetragen worden war. Schwankend richtete Tolioro sich auf, winkte die junge Frau heran. Sie versuchte eine Verbeugung. Tolioros Hand landete hart in ihren Haaren, krallte sich hinein und zwang sie auf die Knie. „Hässlich“, sagte er. Jetzt schnurrte seine Stimme fast. „Hässlich. Hell, hässlich, hell und hässlich.“ Er riss ihre Tunika auf. Auf den braunen Brüsten der Sklavin brachen sich die goldenen Reflexe der Kerzenflammen. „Arr!“ Tolioros freie Hand klatschte hart in ihr Gesicht. „Ich habe gesagt, du solltest dich heller machen. Was bei allen Winddämonen ist daran so schwer zu verstehen? Heller, überall heller. Ich habe nicht gesagt, lass deinen Körper aus!“ Er schlug ein zweites Mal zu. Da, wo sein Ring sie getroffen hatte, zeigte die Wange der Sklavin eine breite, blutige Schramme. Die Frau wagte nicht einmal zu wimmern. Tolioro warf sie hart auf den Boden. Dann ging er selbst nach nebenan, holte Farbe und Schwamm. Sanft, fast liebevoll begann er, den ganzen Körper der Sklavin mit der Farbe zu betupfen.

Fitor richtete sich interessiert auf. Das war neu.

Die Sklavin entspannte sich langsam. Drehte ihren Körper so, wie Tolioro es wollte, bis er sie von Kopf bis Fuß mit der hellen Farbe bedeckt hatte. Nicht einmal ihre Schamlippen hatte er ausgelassen. „Besser“, konstatierte er und warf den Schwamm achtlos beiseite. „Für heute Abend bist du meine Frau.“

Fitor zuckte zusammen. Au weia. Es wurde Zeit, dass er eine Ausrede fand, um sich zu verdrücken.

Tolioro öffnete seinen Gürtel, wog ihn in der Hand. Ein schneller, harter Schlag quer über die Brüste der Frau. Sie jaulte kurz auf. Er nahm den Gürtel und formte daraus eine Schlinge. Dann zog er sie beinahe liebevoll über den Kopf der Sklavin und beugte seinen Kopf an ihr Ohr. „Du wirst dich nicht wehren!“, flüsterte er. „Meine Frau tat das auch nie. Lieg einfach nur still. Wenn nicht …“ Er zog an der Schlinge. Das Lederband am Hals der Frau zog sich zu. Ihr Körper bäumte sich auf in dem vergeblichen Bemühen, Luft zu kriegen. Tolioro wartete ein paar Herzschläge, dann lockerte er die Schlinge wieder. In den Augen der Frau standen Tränen. „Wenn nicht, dann bist du sehr schnell tot. Hast du verstanden?“ Sie nickte furchtsam.

Wenn du wüsstest, dachte Fitor. Der Tod ist noch das geringste Übel, das dich hier erwartet. Aber er sagte nichts.

Tolioro hatte sich inzwischen seiner Kleidung entledigt und kniete zwischen den Beinen der Frau. In der einen Hand hielt er das Ende der Gürtelschlinge, in der anderen sein Messer, und sein Glied zuckte begierig vor ihrer Scham. Dann begann er, mit der Spitze des Messers Linien in die weiße Farbe auf ihrem Bauch zu ritzen. Verschlungene, gewundene Linien, aus denen es rot quoll. Die Frau tat ihr bestes, still liegen zu bleiben, aber ihr ganzer Körper zuckte und zitterte.

„Zu- zuwiel Wein!“, sagte Fitor, bewusst lallend. „Zuwiel Wein. Miris schlescht. Isch glaub isch geh mal kurzzz innen Garten.“ Ihm war tatsächlich schlecht, wenn auch nicht von dem Wein.

„Jaja“, murmelte Tolioro geistesabwesend, „geh nur.“ Sein Messer grub sich in den Oberschenkel der Frau. Sie wimmerte. Er drehte die Klinge. Die Frau schrie. Er zog die Schlinge zusammen. Aus dem Schrei wurde ein Röcheln. Im Hinausgehen nahm Fitor gerade noch wahr, wie Tolioro sein Glied in die Frau hineinrammte und zischte: „Du wirst mich noch um Gnade anflehen, Sirit!“

 

 


Der Neue

 

„Wir ziehen uns zurück!” Die Stimme des Schamanen hörte jeder, auch wenn er leise sprach. „Wir ziehen uns zurück und bleiben mindestens zwei Tagesritte von der Grenze entfernt!”

„Das sagst du nur, weil dieser Fremde dir das einflüstert!” Chirgot musterte Ioro feindselig. Nicht genug, dass der Schamane den Krieg abbrechen wollte, nicht genug, dass er einen der Karapaki persönlich mitbrachte ins Lager der Roten Zelte, es war auch noch der Anführer mit dem unheimlichen Geistervogel. Ausgerechnet der!

„Das sage ich, weil ich die Zeichen der Götter sehe!” Der Schamane ließ sich nicht beirren. „Wir werden tun, was uns die Götter zu tun bedeuten. Oder wollt ihr gegen ihren Willen und gegen meinen Rat weiterkämpfen?”

Chirgot antwortete nicht. Er selbst hätte ja die größte Lust, genau das zu tun. Aber welcher Krieger-Bruder würde ihm folgen? Keiner. Und die Karapaki alleine anzugreifen, da konnte er sich genauso gut gleich selbst die Kehle durchschneiden.

Er würde tun, was der Schamane sagte. Aber er war nicht glücklich mit dessen Entscheidung. Überhaupt nicht.

 

Er war nicht glücklich mit seiner Entscheidung. Überhaupt nicht. Ioro biss die Zähne zusammen. Was um alles in der Welt hatte ihn bewogen, ausgerechnet zu seinen größten Feinden zu gehen?

Aber natürlich kannte er die Antwort. Er hatte keine andere Option gehabt. Entweder die Wüstenkrieger oder Tolioro und der Scharfrichter. Im Grunde war es keine Entscheidung gewesen. Im Grunde hatte er überhaupt keine Wahl gehabt. Als kleines Glück im Unglück konnte er nur die Tatsache verbuchen, dass er in den letzten Wochen des Krieges intensiv die Sprache der Wüstenkrieger gelernt hatte. Eigentlich nur, um seine Gefangenen besser verhören zu können.

Ioro musterte die Wüstenkrieger. Geflochtene Haare, geflochtene Bärte, soweit sie nicht glatt rasiert waren, Tätowierungen auf Gesicht und Armen, schmutzige, abgerissene Kleidung und saubere, funkelnde Waffen. Jetzt, da er wusste, wonach er suchen musste, erkannte er mehrere Frauen unter ihnen. Was war das für ein Volk, dass den Frauen erlaubte, Krieger zu sein? Was waren das für Frauen, die in den Kampf zogen, um gegen Männer zu fechten und sie zu töten?

Ein halbes Dutzend Jungen, denen gerade der erste Bartflaum spross, war mit von der Partie. Sie kümmerten sich um die Pferde. Und dann war da der Schamane. Als einziger in der Runde hatte er graue Haare. Kaum zu glauben, dass dieser Greis kaum älter war als er selbst. Noch weniger zu glauben, dass diese ganzen wilden Wüstenkrieger, die die getrockneten, präparierten Köpfe ihrer Feinde auf ihren Zeltspitzen stolz zur Schau stellten, vor ihm kuschten wie kleine Kinder. Der Mann musste wirklich ein mächtiger Zauberer sein.

„Der geht mit mir”, stellte der Schamane gerade fest. Der, damit war er selbst, Ioro, gemeint. Nun, zumindest hatte er bei dem Schamanen nicht das Gefühl, dass der ihm bei nächster Gelegenheit die Kehle durchschneiden wollte. Was dagegen die anderen Krieger anging – gut, dass Blicke nicht töten konnten.

 

Chirgot misstraute dem Fremden. Egal, was der Schamane sagte, er misstraute ihm. Die Karapaki hatten Frauen und Kinder angegriffen und ermordet. Sie kannten keine Ehre. Die Götter mochten wissen, was dieser Fremde vorhatte. Womöglich plante er eine ganz besondere Gemeinheit. Chirgot würde mit dem Schamanen ziehen, um den Fremden im Auge zu behalten. Und sollte sich auch nur der geringste Anlass bieten, würde er es höchstpersönlich in die Hand nehmen, dass der Fremde einen Kopf kürzer gemacht wurde.

Zunächst aber würde er dafür sorgen, dass der Fremde das schlechteste Pferd bekam. Der sollte keine Gelegenheit finden, einfach wieder abzuhauen.

*