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Inhaltsverzeichnis

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Der Bergpfarrer –21–

Nur eine Sommerliebe?

Glückliche Tage mit Valerie

Roman von Toni Waidacher

Mit klopfendem Herzen ging Valerie Neubauer über den sauber geharkten Kiesweg zum Eingang der Villa. Schon am eisernen Tor hatte ihr der Atem gestockt, und als sie den, in die weiße Mauer eingelassenen, Klingelknopf drückte, da war sie mit einem Mal gar nicht mehr sicher, ob sie diesen Ferienjob, für den sie sich beworben hatte, wirklich noch wollte.

Schon von außen konnte man sehen, daß hier bestimmt keine armen Leute wohnten. Alleine das schmiedeeiserne Tor, mit seinen goldenen Verzierungen, mußte ein Vermögen gekostet haben, von dem Haus ganz zu schweigen.

Valerie sah es in seiner ganzen Pracht, als sie die Pforte neben dem Tor passiert hatte.

Na los, jetzt sei kein Frosch, sagte sie in Gedanken zu sich und marschierte tapfer los. Schließlich brauchst du die Arbeit, auch wenn es nur für zwei Wochen ist.

Valerie hatte in einer Münchner Zeitung eine Anzeige entdeckt, in der eine Kinderbetreuung, während eines Urlaubs, für ein siebenjähriges Mädchen gesucht wurde. Von einer sehr guten Bezahlung hatte da auch etwas gestanden.

Da die Vierundzwanzigjährige nach ihrer Ausbildung zur Kindergärtnerin immer noch keine Anstellung gefunden hatte, schien ihr dieses Angebot, wie ein Wink des Schicksals. Schnell hatte sie eine Bewerbung geschrieben und heute morgen einen Brief in ihrem Postkasten gefunden, in dem sie zu einem Gespräch mit der Familie Hofer eingeladen wurde.

Jetzt, als sie vor der Villa stand, klopfte ihr Herz noch mehr. Hoffentlich stellen sie nicht zu große Ansprüche, ging es ihr durch den Kopf. Viel Erfahrung mit Kindern hab’ ich ja net...

Viel Zeit zum Überlegen, ob sie wieder kehrtmachen sollte, blieb dem jungen Madel nicht, denn kaum hatte sie die Haustür erreicht, wurde diese auch schon geöffnet, und ein Hausmädchen begrüßte sie freundlich.

»Grüß Gott, ich bin Ilona. Sie haben einen Termin mit Herrn Hofer, net wahr?«

Valerie nickte.

»Bitt’ schön, treten S’ doch ein. Herr Hofer telefoniert im Moment noch, wird Sie aber gleich empfangen.«

Die Kindergärtnerin betrat die große Halle und schaute sich um. Eine breite, geschwungene Treppe führte in den ersten Stock hinauf. Oben war eine umlaufende Galerie.

»Nehmen S’ bitte Platz«, sagte Ilona und deutete auf eine bequeme Polstergruppe. »Darf ich Ihnen etwas zu Trinken bringen?«

Das war vielleicht keine schlechte Idee. Valerie hatte einen trockenen Mund und konnte kaum schlucken. Das lag wahrscheinlich an der Aufregung.

»Ein Glas Wasser, bitt’ schön«, bat sie, während sie sich umschaute.

Die Halle war elegant eingerichtet. Auf dem Marmorboden lagen nur wenige Brücken – bestimmt keine billige Synthetikware, sondern echte Orientteppiche –, um nicht das Bild des herrlichen Mosaiks zu stören, das einen Blickfang darstellte. Es zeigte einen Pfau mit aufgeschlagenem Rad.

Die wenigen Möbel zeugten von einem ausgesuchten Geschmack des Käufers. Überhaupt konnte man dem Haus anmerken, daß sein Erbauer etwas von seinem Metier verstand. Immerhin war Fabian Hofer von Beruf Architekt.

Das Hausmädchen brachte das Wasser und entfernte sich ebenso leise, wie es gekommen war. Valerie trank dankbar einen Schluck und merkte, wie es ihr besserging.

Dann überlegte sie, ob sie wohl überhaupt Chancen hatte, diesen Job zu bekommen. Eigentlich mußten sich doch Hunderte auf diese Anzeige beworben haben. Immerhin sprang dabei ja auch noch ein kostenloser Urlaub heraus!

Allerdings – sie saß hier, und außer ihr war niemand anderer da. Sie wertete es als ein gutes Zeichen.

Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als Ilona wieder erschien.

»Herr Hofer läßt jetzt bitten«, sagte sie und ging dann voran.

Na dann los, dachte Valerie und folgte ihr.

Fabian Hofers Arbeitszimmer lag im Südteil des Erdgeschosses. Das Hausmädchen klopfte an, öffnete die Tür und ließ Valerie eintreten.

*

Der Mann hinter dem Schreibtisch erhob sich und knöpfte sein Jackett zu. Mit einem freundlichen Lächeln kam er der Besucherin entgegen und streckte seine Hand aus.

»Fräulein Neubauer, grüß Gott. Schön, daß Sie so schnell herkommen konnten«, sagte er.

Der Händedruck war fest und angenehm, seine Stimme hatte einen schönen Klang. Fabian Hofer hob bittend die Hände.

»Entschuldigen S’, daß ich Sie so kurzfristig herbitten mußte«, bat er. »Aber ich konnt’s leider net anders einrichten.«

Er deutete auf seinen überladenen Schreibtisch, auf dem sich Zeichenmappen, Blaupausen und Bauzeichnungen türmten.

»Sie sehen’s ja selbst, ich erstick’ in Arbeit.«

Der Architekt bot der jungen Frau einen Platz an und wandte sich an das Hausmädchen, das abwartend in der Tür stand. Valerie war sicher, daß Ilona ihren Chef anbetete – kein Wunder, so wie er ausschaut!

Das markante Gesicht war leicht gebräunt, die kurzen, dunk­len Haare modisch geschnitten. Fabian Hofer hatte eine schlanke, sportliche Figur, und wenn er lachte, sah man die strahlendweißen Zähne.

»Ilona, bitt’ schön, bringen S’ uns ein bissel Kaffee und Gebäck, und sagen S’ der Sandra, daß sie herkommen möcht’.«

»Gerne, Herr Hofer«, nickte das Madel und entfernte sich.

Fabian griff zielsicher in den Papierberg auf seinem Schreibtisch und zog Valeries Bewerbungsunterlagen hervor. Er blätterte noch einmal kurz darin, dann legte er sie zurück und setzte sich ihr gegenüber.

»Ihren Unterlagen entnehm’ ich, daß Sie gelernte Kindergärtnerin sind«, begann er das Gespräch.

»Ja, leider hab’ ich nach der Ausbildung keinen festen Arbeitsplatz gefunden«, sagte Valerie. »Kindergärten und Tagesstätten sind rar, es wird ja überall gespart, und bei den Kindern zuerst.«

»Das ist wohl wahr und bedauerlich«, stimmte Fabian ihr zu. »Für uns indes, ist es aber ein Glücksfall. Ihre Ausbiludng qualifiziert Sie natürlich bestens für die Augabe, die sich Ihnen stellt. Sie glauben gar net, was für Leute sich auf meine Anzeige hin beworben haben...!«

Er schüttelte den Kopf.

»Vermutlich hatten die meisten von ihnen nur den zweiwöchigen Urlaub im Kopf«, fuhr er fort. »Womit wir auch schon beim Thema wären.

Ich möchte mit meiner Tochter, Sandra, für zwei Wochen in den Urlaub fahren und brauche jemanden, der uns begleitet und sich in dieser Zeit um Sandra kümmert. Sie sehen ja, was auf meinem Schreibtisch los ist – ich werde, wohl oder übel, auch im Urlaub arbeiten müssen, wenn auch net ganz so viel, wie im Moment, dennoch – ich werd’ mich nicht ständig um meine Tochter kümmern können, darum die Anzeige.«

Valerie nickte verstehend.

»Darf ich fragen, was mit San­dras Mutter...?«

»Meine Frau starb bei der Geburt unserer Tochter. Eine Infektion...«

»Entschuldigen S’. Das hab’ ich ja net wissen können.«

Fabian lächelte.

»Natürlich nicht.«

Ihre Unterhaltung wurde durch Ilona unterbrochen, die den Kaffee hereinbrachte.

»Sandra kämmt sich nur noch die Haare«, sagte das Hausmäd­chen. »Dann ist sie sofort hier.«

»Danke schön«, antwortete Fabian zufrieden und wandte sich wieder an seine Besucherin. »Dann werden S’ also gleich Gelegenheit haben, das Madel kennenzulernen.«

Er schenkte selber den Kaffee ein und bot von den Keksen an, die Ilona in einer silbernen Schale angerichtet hatte. Dabei sprach er über die Vergütung, die er bereit war, zu zahlen. Valerie verschlug, angesichts dieser Großzügigkeit, die Sprache. Soviel verdiente sie in ihrem Beruf nicht einmal in einem Vierteljahr.

»Für Sandra ist mir nichts zu teuer«, erklärte Fabian Hofer. »Es ist für mich schlimm genug, daß ich mich nicht immer so um sie kümmern kann, wie ich gerne möchte. Deshalb verlange ich von dem Menschen, der sich statt meiner mit ihr beschäftigt, sehr viel, bin aber auch bereit, dieses Engagement entsprechend zu honorieren. Ich habe Sie ausgewählt, weil mir Ihre Bewerbung von allen am besten zugesagt hat, und...«

Er hielt inne und schmunzelte. Valerie konnte sich nicht erklären, was ihn so belustigte. Fabian Hofer sah ihren fragenden Blick.

»Und weil Sandra Ihr Foto, das Sie Ihrer Bewerbung beigelegt haben, am besten gefiel«, erklärte er. »Ich hab’ mir gedacht, daß Sympathie auf den ersten Blick ja nicht unwesentlich ist.«

Jetzt lächelte auch die junge Frau. Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne, diese Aufgabe zu übernehmen, antwortete sie ohne zu zögern mit einem Ja.

*

Dann ging die Tür auf und ein kleines blondes Madel stürmte in das Arbeitszimmer.

»Hallo, ich bin Sandra«, rief es. »Und du bist die Valerie?«

»Ja, grüß dich.«

Sie gaben sich die Hände, und Sandra hockte sich keck auf die Lehne von Valeries Sessel.

»Ich find’s toll, daß du mit uns in den Urlaub fährst«, meinte sie. »Papi hat ja immer so viel zu tun. Da macht’s alleine gar keinen rechten Spaß. Aber mit dir wird’s bestimmt lustig.«

»Da fällt mir ein – wohin soll’s denn überhaupt gehen?« fragte Valerie den Mann, der für zwei Wochen ihr Arbeitgeber werden würde.

»Richtig, darüber haben wir noch gar net gesprochen«, lachte der Architekt. »Sandra hat ein Lieblingsbuch – na, Sie werden’s kennen, ›Heidi‹, von Johanna Spyri –, und jetzt möchte sie unbedingt in die Berge fahren. Ich habe einen kleinen Ort ausgesucht, der noch nicht so von ­Touristen überlaufen ist. Er

heißt Sankt Johann, und dem Prospekt nach, den ich vom Reisebüro ­bekommen habe, ist es dort noch ruhig und beschaulich. Jedenfalls macht es einen guten Eindruck.«

»Das hört sich gut an«, nickte die Kindergärtnerin und wandte sich an das Madel. »Da können wir bestimmt ein paar schöne Wanderungen auf die Almen hinauf machen.«

»Ob’s da auch einen Geißen-Großvater gibt?« fragte die Kleine hoffnungsvoll.

Valerie schmunzelte.

»Das weiß ich net«, antwortete sie. »Aber bestimmt gibt es dort einen, der so ausschaut, wie der Alm-Öhi, der Großvater von der Heidi.«

»Na, wie ich seh’, versteht ihr beiden euch ja prächtig«, freute sich Sandras Vater. »Darf ich einen Vorschlag machen?«

»Bitt’ schön.«

»Ja, also, ich wollt’ vorschlagen, daß wir uns auch beim Vornamen nennen, so wie Sie es mit der Sandra tun. Ich glaub’, daß ist net so steif, wie Fräulein Neubauer und Herr Hofer, und für das Madel ist’s auch leichter.«

»Einverstanden«, sagte Valerie mit einem Nicken und sie be­siegelten es mit einem Händedruck.

Dann besprachen sie die weiteren Einzelheiten. In wenigen Tagen sollte es ja schon losgehen.

»Es gibt da in dem Ort nur ein großes Hotel«, erklärte Fabian. »Ich hab’ dort zwei Zimmer gebucht. Eines für mich, und ein Doppelzimmer für Sandra und Sie, wenn Sie damit einverstanden sind.«

»Aber ja. Ich hätte ohnehin den Vorschlag gemacht, das Zimmer mit Sandra zu teilen.«

Fabian Hofer erhob sich und klatschte in die Hände.

»Na wunderbar, dann haben wir’s ja«, sagte er. »Ich freu’ mich, daß wir uns so schnell einig geworden sind. Im Vertrauen – ich hatte meiner Tochter die Wahl überlassen, wen wir von den Bewerberinnen nehmen sollen, und sie hat Sie gleich ausgesucht. Eine gute Wahl, wie ich inzwischen weiß.«

Valerie spürte, wie bei diesen Worten eine leichte Röte ihr Gesicht überzog. Sie beugte sich zu Sandra und strich ihr über den Kopf.

»Dann danke ich dir. Was hältst du denn davon, wenn wir beide noch ein bissel zusammensitzen und uns unterhalten. Vielleicht magst’ ja auch was spielen. Da können wir uns noch ein bissel besser kennenlernen.«

»Au, prima«, nickte das Madel und schickte seinem Vater einen tadelnden Blick zu. »Der Papi hatte ja sowieso nie Zeit...«

Der Architekt zog den Kopf zwischen die Schulter und hob die rechte Hand.

»Ich gelobe Besserung«, sagte er. »Aber versprechen kann ich nichts. Du weißt doch, daß die Arbeit mich auffrißt.«

»Das ist aber keine Entschuldigung«, wagte Valerie sich einzumischen. »Ein Kind braucht seinen Vater, noch mehr, als einen Spielkameraden.«

»Ich weiß, Valerie«, antwortete Fabian. »Und ich möcht’ Sie bitten, mich auch darauf hinzuweisen, wenn ich’s in den Ferien mal vergessen sollte. Arbeit werd’ ich mitnehmen müssen, aber ich versprech’, daß ich auch ganz viel Zeit mit euch verbringen werde.«

*

»Servus zusammen«, grüßte Max Trenker, als er die Küche des Pfarrhauses betrat.

Mit einem untrüglichen Gespür dafür, wann das Essen fertig war, hatte es der Polizeibeamte wieder einmal geschafft, pünktlich zu erscheinen. Er schnupperte an einem der Töpfe auf dem Herd, aus dem es verführerisch duftete.

»Ich wett’, heut’ gibt’s meine Lieblingsspeise«, meinte er. »Pichelsteiner Eintopf.«

»Ich glaub’ net, daß Hochwürden es gutheißt, wenn Sie hier Wetten abschließen«, meinte Sophie Tappert mit einem Blick auf Sebastian, der schon auf der Eckbank Platz genommen hatte. »Wetten sind Glücksspiele und somit verdammenswerte Laster – wie anderes auch...«

Wumms, das saß!

Max Trenker wußte genau, was die Haushälterin seines Bruders damit meinte. Sie spielte auf Max’ zweite Leidenschaft an, die er nach dem Essen hatte. Oder war es vorher? Jedenfalls war sein Faible für die hübschen, jungen Madeln des Wachnertales gemeint, deren Herzen der fesche Bursche schon reihenweise gebrochen hatte.

Doch so ganz konnte Max diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstehen, hatte er sich in den letzten Wochen doch sehr zurückgehalten. Das lag nicht etwa daran, daß es in St. Johann und Umgebung nicht mehr genug hübsche Madeln gab, sondern vielmehr daran, daß der junge Polizist selbst sein Herz verloren hatte. Allerdings war es eine einseitige Liebe, denn das Madel, das dem Burschen den Kopf verdreht hatte, fand ihn zwar ausgesprochen sympathisch, von großer Liebe jedoch, konnte bei ihr nicht die Rede sein.

Max setzte sich also und wartete, bis die Haushälterin die Suppe auf den Tisch gebracht hatte. Sebastian sprach das Tischgebet und füllte auf.

»Jetzt können wir endlich die Einladungen für die Einweihungsfeier losschicken«, sagte er, während er seinem Bruder den Teller reichte. »In vier Wochen steigt das große Fest.«

»Prima«, freute sich Max. »Dann herrscht endlich wieder Leben auf Hubertusbrunn.«

Er sprach von einem ehemaligen Jagdschloß im Ainringer-Wald, aus dem, dank einer großzügigen Schenkung und vieler freiwilliger Helfer, eine Jugendbegegnungsstätte geworden war. Damit hatte sich ein großer Traum des Seelsorgers von St. Johann erfüllt.

»Ja, ich freu’ mich auch, daß wir’s endlich geschafft haben«, meinte Pfarrer Trenker.

»Also, die Einladungen für den Ponyhof nehm’ ich nachher gleich mit«, erklärte Max. »Ich wollt’ ohnehin dort vorbeischaun.«

»Schön«, nickte Sebastian. »Und grüß’ recht schön von mir.«

Während des Mittagessens besprachen sie weitere Details, und dann gingen sie noch einmal die Liste der Gäste durch. Schließlich wollten sie niemanden übersehen.

»Sag’ mal, hast du eigentlich die beiden schönsten Madeln des Dorfes net eingeladen?« fragte Max plötzlich, der mit einem Stift die Namen entlangfuhr, die auf dem Briefbogen standen.

Der Geistliche sah seinen Bruder fragend an.

»Von wem redest’ denn?«

»Na, von der Maria Erbling und ihrer Busenfreundin, Theresa Keunhofer. Ich kann ihre Namen hier net ’drauf finden.«

Sebastian durchfuhr ein eisiger Schreck.

»Himmel, zeig’ her. Sollte ich die beiden wirklich vergessen haben? Das würden sie mir nie verzeihen!«

Maria Erbling war die Witwe des ehemaligen Poststellenleiters von St. Johann und die gefürchteste Klatschtante des ganzen Dorfes. Zusammen mit ihrer Freundin steckte sie ihre Nase in jede Angelegenheit und tratschte alles weiter, was ihr unter die Augen kam – auch wenn’s eigentlich niemand wissen wollte.

»Den Brandhuber-Loisl hast aber eingeladen«, stellte der Polizeibeamte fest. »Ausgerechnet den!«

Alois Brandhuber war dem Pfarrer eigentlich immer wieder ein Dorn im Auge. Der selbsternannte Wunderheiler verkaufte seine dubiosen Heilmittel, Kräutersalben und Pflanzentees an gutgläubige Touristen und Einheimische, gegen gutes Geld. Allerdings hatte er einen nicht unwesentlichen Anteil daran, daß aus dem Jagdschloß letztendlich kein Spielcasino wurde, so wie es die Absicht von Markus Bruckner war, dem Bürgermeister von St. Johann. Bei seinen Touren, auf denen Loisl seine Wurzeln und Kräuter sammelte, beobachtete er den Bruckner-Markus und ein paar Männer bei dem Schloß, und berichtete davon seiner besten Kundin, Maria Erbling. So kam, über Umwege, zutage, was der Ortsvorsteher beabsichtigte. Sebastian Trenker hatte indes das Schlimmste verhüten können.

»Nein, nein, der Brandhuber wird eingeladen«, sagte der Geistliche. »Schließlich haben wir’s ja indirekt ihm zu verdanken, daß aus Hubertusbrunn keine Spielhölle geworden ist.«

Sebastian Trenker lehnte sich zufrieden zurück.

»Ach, eigentlich möcht’ ich alle einladen«, rief er. »Alle Leute aus dem Wachnertal. Ich fürcht’ nur, das sprengt den Rahmen.«

»Aber eine schöne Feier wird es«, meinte Max. »Darauf wett’ ich...«

Im selben Moment merkte er, was er gerade gesagt hatte. Der Polizist drehte den Kopf zur Seite und sah die Haushälterin seines Bruders entschuldigend an. Sophie Tappert strafte ihn mit einem eisigen Blick und einem verständnislosen Kopfschütteln.

*

»Noch zwölf Kilometer, dann haben wir’s geschafft«, teilte Fabian Hofer seinen beiden Begleiterinnen mit.

Valerie und Sandra saßen im Fond des geräumigen Autos. Sie hatten beinahe die ganze Fahrt über in den Büchern gelesen, die das Madel unbedingt hatte mitnehmen wollen. Natürlich war auch Sandras Lieblingsbuch dabei.

»Prima«, ließ sie sich vernehmen. »Ich hab’ nämlich keine Lust mehr, im Auto zu sitzen.«

»Naja, so schlimm war’s doch net«, meinte Valerie. »Es ist ja net weit von München. Die paar Stunden Fahrt haben wir doch ganz gut überstanden.«

Nach ihrem Vorstellungsgespräch war die junge Kindergärtnerin noch einige Male in der Villa des Architekten gewesen. San­dra und sie hatten inzwischen dicke Freundschaft geschlossen, und die junge Frau hatte das Kind ganz und gar in ihr Herz geschlossen. Um so mehr schmerzte es sie, zu sehen, daß Fabian Hofer wirklich kaum Zeit fand, sich um seine niedliche Tochter zu kümmern. Dabei sah Valerie deutlich, wie sehr Sandra ihren Vater brauchte, und sie war entschlossen, nicht tatenlos zuzusehen, wenn Fabian während des Urlaubs sich zu sehr in seiner Arbeit vergrub. Mit Mißbilligung hatte Valerie am Morgen zugeschaut, wie der Architekt seinen tragbaren Computer und mehrere dicke Aktenordner in den Kofferraum seines Wagens lud.

»Ich hab’ mich extra vergewissert, ob das Hotelzimmer auch einen Computerarbeitsplatz mit Internetzugang hat«, hatte er gesagt. »So kann ich meine fertigen Arbeiten per E-Mail an das Büro schicken.«

Daß Valerie ihn ein wenig skeptisch dabei ansah, bemerkte er offenbar nicht.

»Das ist es – Sankt Johann«, rief Fabian aus und deutete auf das Ortsschild, dem sie entgegenfuhren.

Langsam durchquerten sie den Ort und suchten nach dem Hotel. Es war nicht schwer zu finden. ›Zum Löwen‹, stand in goldenen Buchstaben auf der weißgetünchten Front des Hauses. Es war mit eines der höchsten Gebäude im Dorf, von der Kirche einmal abgesehen. Der Architekt lenkte den Wagen auf den Parkplatz.

»Gehen wir erst einmal hinein und sehen es uns an«, schlug er vor. »Das Gepäck holen wir später.«

Hinter der Rezeption erwartete sie eine junge Frau in einem Dirndl.

»Grüß Gott«, sagte sie, als die Urlauber eintrafen. »Sie sind bestimmt die Familie Hofer aus München, net wahr?«

»Richtig«, nickte Fabian. »Ich habe zwei Zimmer bestellt.«

Die Hotelangestellte schaute die Reservierungen durch.

»Genau, Zimmer einhundertelf und einhundertzwölf«, bestätigte sie und drückte auf eine Klingel. »Unser Hoteldiener führt Sie hinauf und bringt Ihnen dann das Gepäck. Ich wünsch’ Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Sankt Johann.«

Der Hausbursche erschien und brachte sie zu den Zimmern. Während die Ankömmlinge sich umschauten, hatte er sich die Wagenschlüssel geben lassen und holte die Koffer herauf.

Valerie und Sandra bewohnten das größere der beiden Zimmer, aber auch das, in welchem Fabian schlief, war sehr geräumig. Beide verfügten über eigene Bäder, und natürlich gab es auch jeweils eine Computerecke mit allen erdenklichen Zugängen und Anschlüssen.

»So, dann schlag’ ich vor, daß wir uns in einer Viertelstunde hier auf dem Flur treffen«, sagte Fabian Hofer. »Bis zum Abendessen können wir noch einen Spaziergang machen und uns den Ort anschau’n.«

Seine Begleiterinnen waren einverstanden, insbesondere San­dra, die darauf spekulierte solch einen großen Eisbecher zu bekommen, wie er auf einer Reklametafel, im Biergarten des Hotels, angepriesen wurde.

*

Auf dem Ponyhof nahm man freudig die Einladung entgegen, die Max Trenker überbracht hatte. Die drei Freundinnen, die den Hof bewirtschafteten, waren für jede Abwechslung, die sich ihnen bot, dankbar, allerdings fanden sie nicht immer Zeit für solche Vergnügungen. Noch vor einigen Monaten waren Sandra Rössner, die vor ihrer Hochzeit Haller geheißen hatte, Nina Kreuzer und Anja Burger, drei fleißige Studentinnen, die zusammen eine Wohnung in der Nürnberger Altstadt bewohnt hatten. Eine überraschende Erbschaft hatte Sandra zur Besitzerin des heruntergekommenen Ponyhofes gemacht, und durch die tatkräftige Unterstüzung ihrer beiden Mitstreiterinnen war es ihr gelungen, daraus eine nette, kleine Pension zu machen, die besonders von Familien mit Kindern gerne gebucht wurde, schließlich waren die kleinen struppigen Pferde hier die Attraktion.

Vielleicht wären sie aber längst nicht so weit gekommen, wenn die Wege des Schicksals nicht einen jungen Mann hierhergeführt hätten – Stephan Rössner, der sich in Sandra verliebte und drauf und dran gewesen war, deswegen mit seinem Vater zu brechen, dessen Fabrik er einmal übernehmen sollte. Daß es schließlich doch noch zu einem guten Ende kam, lag nicht unwesentlich an Pfarrer Trenker, dem guten Hirten von St. Johann.

Anders meinte das Schicksal es hingegen mit Max, den feschen Herzensbrecher, denn nun war er es, der einmal zu spüren bekam, wie weh es tun konnte, wenn eine Liebe nicht erwidert wurde. Wie nie zuvor in seinem Leben, verliebte er sich in die schwarzhaarige Nina Kreuzer, die sich allerdings nicht so leicht herumkriegen ließ, wie andere Madeln. Nina war eine selbstbewußte, junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand und genau erkannte, was für ein Hallodri der Polizeibeamte war. Auch wenn sie einem Flirt nicht abgeneigt war, so wußte sie doch sehr genau, daß zwischen ihr und Max nicht mehr sein konnte.

Sehr zu seinem Leidwesen.

Aber immerhin verband die beiden eine enge Freundschaft, und Nina freute sich schon darauf, mit Max auf der Einweihungsfeier das Tanzbein zu schwingen.

»Das könntest’ viel öfter haben«, meinte der Polizist.

»Aber auf den Tanzabenden im Löwen läßt sich ja niemand von euch sehen.«

Nina und er saßen draußen vor dem Haus auf der Bank. Das Madel hatte Kaffee gekocht und Kuchen auf den Gartentisch gestellt.

»Du bist gut«, konterte sie auf seine Klage. »Was glaubst’ wohl, wie uns zumute ist, wenn wir den ganzen Tag geschafft haben? Auch nach dem Abendessen ist noch lang’ net Feierabend. Schau’ dich doch mal um, dann siehst’ selber, was noch alles zu tun ist.«

»Ich weiß«, nickte Max. »Ich find’s ja auch großartig, was ihr in den paar Monaten aus dem heruntergekommenen Hof gemacht habt. Aber ihr müßt auch d’ran denken, daß Arbeit net alles ist im Leben. Ein bissel Abwechslung muß sein.«

»Und deswegen werden wir auch alle zu dem Fest Hubertusbrunn dabei sein. Die Resi und Hubert werden die Stellung hier halten.«

Resi Angermeier und Hubert Bachmann waren schon seit ewigen Zeiten auf dem Ponyhof, sie gehörten sozusagen zum lebenden Inventar.

»Wo stecken eigentlich die anderen?« erkundigte sich Max, während er das zweite Kuchenstück verdrückte.

»Sandra und Stephan sind in der Stadt, beim Steuerberater, und Anja ist mit einer Kindergruppe unterwegs«, erklärte Nina. »Wie du siehst, haben wir alle Hände voll zu tun – Gott seis’s gedankt.«

Max trank seinen Kaffee aus.

»Dann will ich dich auch net länger von der Arbeit abhalten«, meinte er. »Dank’ schön, für Kaffee und Kuchen.«

»Pfüat di’, Max«, sagte Nina und gab ihm zum Abschied einen freundschaftlichen Kuß auf die Wange.

Sie winkte ihm hinterher, bis der Streifenwagen nicht mehr zu sehen war. Dann setzte sie sich wieder auf die Bank und stützte nachdenklich den Kopf in die Hände.

Natürlich hatte Max recht, wenn er sagte, daß es noch andere Dinge im Leben gäbe, außer Arbeit. Aber Nina hatte gar nicht mehr das Verlangen, Nächte durchzutanzen oder mit Freunden einen draufzumachen. Du liebe Zeit, wie oft hatten sie und die beiden anderen morgens mit verschlafenen Augen in den Vorlesungen gesessen! Das war jetzt alles vorbei. Sie hatten hier eine Aufgabe übernommen, die sie mit Begeisterung erfüllten. Es war gewiß nicht immer leicht, aber der Erfolg, der sich Stück für Stück einstellte, zeigte ihnen, daß es richtig gewesen war, den Hof nicht zu verkaufen, sondern die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken. Und irgendwann einmal, konnte dann auch die Liebe bei ihr anklopfen.

*

»Ich denk’, ich hab’ eine gute Wahl getroffen«, sagte Fabian Hofer und sah seine beiden Begleiterinnen beifallheischend an. »Mir gefällt Sankt Johann jedenfalls gut.«

Dem konnten Valerie und Sandra nur zustimmen. Sie hatten einen ausgiebigen Spaziergang durch das Dorf gemacht und saßen nun im Biergarten. Während die Erwachsenen Kaffee tranken und Kuchen aßen, hatte Sandra ihren Eisbecher bekommen.

»Gleich morgen früh werden wir unsere erste Wanderung unternehmen«, kündigte die Kindergärtnerin an. »In den Prospekten auf unserem Zimmer sind ganz viele Hinweise, wie man die Almhütten erreicht, wie lang der Weg ungefähr ist, und bei einigen Sennern kann man sogar übernachten oder beim Käsemachen zuschauen.«

»Wieso Käsemachen?« mischte sich Sandra ein. »Ich denk’, der liegt im Supermarkt, im Regal.«

»Das stimmt auch«, schmunzelte Valerie. »Nur, was glaubst du wohl, wie er dahingekommen ist? Von allein ist er bestimmt net dahin gewandert.«

Sie erklärte dem Kind in groben Zügen, was es mit der Käseherstellung auf sich hatte. Fabian Hofer hörte erstaunt zu.

»Was Sie alles wissen!«

Valerie lachte.

»Auf der Hauswirtschaftsschule hatten wir auch das Fach Lebensmittelkunde«, erzählte sie. »Dabei lernten wir auch, wie Käse hergestellt wird.«

»Also schön«, sagte der Architekt. »Dann wandern wir also morgen auf eine Alm hinauf. Die Einzelheiten können wir ja nachher beim Abendessen besprechen. Danach werd’ ich wohl noch ein paar Stunden am Computer verbringen müssen.«

»Wollen wir uns noch ein bissel ausruhen?« schlug Valerie dem Madel vor. »Wir können doch bis zum Essen noch etwas spielen.«

Damit war Sandra einverstanden. Sie gab ihrem Papi einen Kuß und folgte der jungen Frau. Fabian blieb noch einen Moment sitzen. Er war froh, daß seine Tochter und die Kindergärtnerin sich so gut verstanden. Ganz offenbar hatten sie mit Valerie Neubauer einen Glücksgriff getan. Ganz deutlich war zu sehen, wie wohl dem Kind ihre Gegenwart tat, und wieder einmal war sich Fabian bewußt, daß es höchste Zeit war, daß Sandra wieder eine Mutter bekam.

Sieben Jahre Trauer sollten genug sein, dachte er. Nach dem Tod seiner Frau hatte er sich in die Arbeit gestürzt. Sandra wurde von verschiedenen Pflegemüttern und Kinderfrauen betreut, darunter auch von Frauke Hoffmann, der Schwester seiner verstorbenen Frau. Allerdings hatte er den Eindruck, daß diese sich nur halbherzig um das Madel kümmerte, und Sandra selbst schien im Laufe der Zeit eine immer deutlicher spürbare Antipathie gegen ihre Tante zu entwickeln. Niemals, dachte Fabian, würde seine Tochter so an Fraukes Hand mitgegangen sein, wie sie es jetzt bei Valerie Neubauer tat.

Allerdings löste diese Tatsache noch nicht das eigentliche Problem. Eine neue Mutter für San­dra bedeutete auch eine neue Frau für ihn selbst, und wenngleich es ihm an Verehrerinnen nicht mangelte, so war Fabian Hofer doch nicht so ohne weiteres zu bewegen, sich auf eine neue Liebe einzulassen. Dazu war das, was er immer noch für seine verstorbene Frau empfand zu tief. Wer auch immer die Frau sein mochte, der es vielleicht gelang sein Herz zu gewinnen – sie würde sich dennoch an Clarissa Hofer messen lassen müssen.

*

»Schön habt ihr euch eingerichtet«, freute sich Sebastian Trenker, als er die kleine Wohnung auf Hubertusbrunn anschaute, in die Franziska und Georg Meyerling eingezogen waren.

Der Geistliche war froh, das Ehepaar gefunden zu haben, das künftig als Verwalter und Herbergseltern fungieren würde.

»In vier Wochen wird dann also die offizielle Einweihung stattfinden«, fuhr Sebastian fort, während er sich in den angebotenen Sessel setzte. »Da wird, besonders auf dich, Franziska, noch eine Menge Arbeit zukommen. Aber du brauchst keine Angst zu haben, Frau Tappert freut sich schon darauf, dir helfen zu können.«

Franzi nickte, und Georg Meyerling strich ihr zärtlich über die Schulter.

»Das wirst’ schon packen«, sagte er zuversichtlich. »Und ein bissel kann ich ja auch übernehmen.«

Der Seelsorger glaubte auch, daß die Frau es schaffen würde, und wenn ihr Mann auch ein schweres Herzleiden hatte, so konnte er ihr doch bestimmt das eine oder andere Mal unter die Arme greifen.

Beinah drei Stunden hielt Sebastian Trenker sich bei den Eheleuten Meyerling auf. Es gab doch vieles, was zu besprechen war, und trotzdem reichte die Zeit nicht aus. Allerdings wollte der Pfarrer die beiden nicht gleich überfordern.

»Also, dann wünsch’ ich euch noch einen schönen Abend«, verabschiedete er sich. »In ein paar Tagen schau’ ich wieder einmal vorbei. Dann bereden wir, wie wir die Jugendgruppen unterbringen, die ersten Anfragen liegen schon vor.«

Die Eheleute geleiteten ihn zur Tür und winkten ihm nach.

Sebastian war überaus zufrieden, über die Entwicklung seines Projektes. Mit Franziska und Georg hatte er zudem zwei zuverlässige Leute gewonnen.

In ein paar Wochen, nach der Anlaufphase, die immer etwas schwierig war, würden die beiden die Jugendstätte allein führen, so daß der Seelsorger sich nicht mehr darum würde kümmern müssen.

Im Pfarrhaus wartete die Haushälterin schon mit dem Abendessen. Auch Max hatte sich bereits eingefunden.

»Einen schönen Gruß vom Ponyhof«, richtete er aus. »Sie freu’n sich schon jetzt auf die Einweihung und danken für die Einladung.«

Sie unterhielten sich während des Essens über ein paar Neuigkeiten, die im Dorf die Runde machten, und Sebastian kündigte an, am nächsten Morgen wieder einmal in die Berge zu wollen.

Den kritischen Blick seiner Haushälterin übersah er geflissentlich.

Sophie Tappert sah es nämlich überhaupt nicht gerne, daß Hochwürden immer in den Bergen herumkraxelte.

Ihrer Meinung nach, würde er eines Tages dort oben verhungern oder erfrieren, vielleicht auch abstürzen oder Schlimmeres. Wobei das Verhungern eher unwahrscheinlich war, denn Sophie packte den Rucksack immer so mit Proviant voll, daß mindestens drei Leute davon satt werden konnten.

Obgleich sie seine Ausflüge mißbilligte, verbieten konnte sie sie ihm natürlich nicht. Schließlich waren diese Touren Sebastians Leidenschaft, und nicht von ungefähr hatte er den Spitznamen ›Bergpfarrer‹ weg.

»Wohin soll’s denn geh’n?« erkundigte sich sein Bruder.

»Ich will zur Streusachhütte hinauf«, erklärte der Pfarrer. »Mal sehen, wie sich Katja und Thomas Sonnenlechner eingerichtet haben, da oben.«

Die beiden jungen Leute hatten erst vor kurzer Zeit den Bund fürs Leben geschlossen und waren auf die Almhütte gegangen, wo Katjas Großvater als Senner lebte. Der Alte freute sich über die Unterstützung durch die Enkelkinder, die dort oben ein neues Zuhause gefunden hatten.

»Dann wirst’ wohl nachher net mehr zum Stammtisch kommen?« fragte der Polizeibeamte.

»Ich glaub’ net«, antwortete Sebastian Trenker. »Du weißt ja, daß ich immer früh losgehe.«

»Na, ich werd’ dann mal«, meinte Max und stand auf.

Der Geistliche brachte ihn an die Tür. Während der Beamte zu dem Haus hinüberging, in dem Wohnung und Revier waren, blieb Sebastian einen Moment draußen stehen und atmete die frische Abendluft ein. Dabei dachte er über vieles nach, das ihn immer beschäftigte. Allerdings waren überhaupt keine Probleme darunter, mit denen er sich sonst herumschlagen mußte. Es war beinahe unglaublich, daß er einmal sorgenfrei und unbekümmert am nächsten Morgen losziehen sollte. Um so mehr freute er sich darauf.

*

Das Essen im hoteleigenen Restaurant war einfach unglaublich gut!

Fabian Hofers Beruf brachte es mit sich, daß er oftmals mit Kunden oder Geschäftsfreunden auswärts essen gehen mußte. Aufgrund dieser Erfahrungen konnte er also durchaus ein Urteil über die Kochkünste der Wirtin, Irma Reisinger, abgeben. Selbst San­dra, die schon ein bissel wählerisch war, was das Essen anging, hatte ihren Teller wiederspruchslos leergegessen.

Zuvor hatte der Chef des Hauses, Sepp Reisinger, die neuen Gäste persönlich begrüßt und ihnen mitgeteilt, welche Köstlichkeiten seine Frau in der Küche vorbereitet hatte. Jetzt, nachdem der Tisch von der jungen Bedienung abgeräumt war, kam er wieder zu ihnen und erkundigte sich, ob es geschmeckt habe.

»Es war ganz ausgezeichnet«, erklärte Fabian. »Ich frage mich, warum Ihre Frau noch keinen Stern im Guide Micheline hat?«

Sepp Reisinger verzog das Gesicht bei der Erwähnung des berühmtesten Restaurantführers der Welt, der die besten Lokale mit Sternen auszeichnete.

»Tja, dazu liegt unser Dorf wohl zu abseits, als daß die Herren Restauranttester hierherfänden«, antwortete er.

»Was aber vielleicht net die Schuld dieser Herren ist, wie ich glaub’, sondern vielmehr die unseres Herrn Pfarrers.«

Fabian und Valerie sahen den Hotelier erstaunt an.

»Nanu, wie denn das?« fragte der Architekt. »Hochwürden wird doch nix gegen gutes Essen haben.«

»Nein, das net«, gab Sepp Reisinger zurück. »Aber etwas dagegen, daß unser Dorf moderner wird, mit der Zeit geht sozusagen.«

Er machte eine ausladende Handbewegung.

»Schau’n S’ sich doch nur mal hier um«, fuhr er fort. »Was gibt’s denn schon Großartiges bei uns, das die Touristen anlocken könnt’? Weder eine Attraktion für den Sommer, vom Winter ganz zu schweigen. Wohin Sie auch schau’n, in jedem Dorf gibt’s Skipisten mit modernen Liften oder Diskotheken, in denen die Leute sich vergnügen können. Und was ist hier? Da sagen sich Has’ und Fuchs Gutenacht. Und alles nur, weil Hochwürden eben net mit der Zeit geht!«

»Naja, aber vielleicht liegt ja gerade darin der Reiz für viele Leute, hierherzukommen«, meinte Valerie Neubauer. »Nicht alle wollen immer irgendwelchen Rummel um die Ohren haben, sondern suchen Ruhe und Erholung.«

»Mag sein«, nickte Sepp Reisinger. »Aber vom großen Kuchen bekommen wir hier nur die Krümel.«

Er sagte es mit kummervoller Miene und ging wieder hinter den Tresen.

»Wenn man ihm glauben wollte, dann könnt’ man meinen, Sankt Johann lebe immer noch im Mittelalter«, sagte Fabian Hofer schmunzelnd. »Also, diesen Pfarrer möcht’ ich doch gerne mal kennenlernen. Ich stell’ ihn mir so richtig alt und knorrig vor. Wahrscheinlich sitzt er nach der Messe behäbig in seinem Sessel im Pfarrhaus und studiert die Bibel.«

Sandra, die der Unterhaltung wortlos beigewohnt hatte, gähnte hinter vorgehaltener Hand. Valerie strich ihr über das Haar.

»Bist müd’, was?« fragte sie teilnahmsvoll. »Es war aber auch ein anstrengender Tag.«

Die Kleine nickte.

»Komm, dann sag’ dem Papi Gutenacht. Ich les’ dir oben noch eine Geschichte vor.«

»Schlaf schön, Spatzel«, verabschiedete sich Fabian von seiner Tochter und sah dann Valerie fragend an. »Kommen S’ dann noch auf ein Glas Wein herunter?«

Mit dieser Einladung hatte sie nicht gerechnet.

»Sehr gern«, antwortete sie. »Allerdings dachte ich, Sie müßten noch arbeiten...«

»Schon«, gab der Architekt zurück. »Aber so viel ist’s heut’ net. Das kann ich auch noch später erledigen.«

»Aber net, daß du morgen früh verschläfst!« mahnte Sandra. »Wir wollen schau’n, wo die Heidi wohnt.«

»Ich werd’ mich extra wecken lassen«, versprach Fabian und gab ihr einen Gutenachtkuß mit auf den Weg.

*

Valerie merkte, wie sie immer nervöser wurde, während sich Sandra zum Schlafengehen fertig machte. Es war beinahe, als wäre sie zu einem Rendezvous verabredet. In den Tagen, die sie in der Hoferschen Villa verbracht hatte, war ihr immer bewußter geworden, daß sie Fabian Hofer liebte, auch wenn sie genau wußte, daß aus dieser Liebe nichts werden konnte. Sandras Vater war zur Zeit ihr Arbeitgeber, und so schön dieser Urlaub bestimmt auch wurde, wenn er vorüber war, würde sie Vater und Tochter wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen. Seit sieben Jahren war Fabian Witwer, und es sah nicht so aus, als hätte er die Absicht, diesen Zustand zu ändern. Wobei es für die kleine Sandra nur gut sein konnte, wenn sie wieder eine Mutter bekäme.

»Ich bin fertig mit Zähneputzen«, rief das Madel aus dem Badezimmer.

»Prima«, lobte Valerie. »Dann schnell ins Bett gehuscht und ein Buch ausgesucht.«

Das ließ sich die Kleine nicht zweimal sagen. Natürlich war es ihr Lieblingsbuch, das sie hervorholte und Valerie gab.

»Ob wir die Heidi wohl morgen treffen?« fragte sie hoffnungsvoll.

»Also, das glaub’ ich net, antwortete die junge Kindergärtnerin. »Weißt du, die Heidi wohnt zwar in den Bergen, aber nicht hier, sondern ganz woanders. Aber vielleicht sehen wir einen Mann, der so ausschaut, wie der Großvater, wenn wir morgen auf eine Alm hinaufgehen.«

Sie las zwei Kapitel aus dem Buch vor, dann war Sandra eingeschlafen. Valerie deckte sie sorgfältig zu und ging ins Bad hin­über. Sie ordnete ihr Haar und warf einen sorgfältig prüfenden Blick auf ihre Kleidung. Dann ging sie mit klopfendem Herzen in das Restaurant hinunter.

Fabian erhob sich, als sie an den Tisch kam, und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Er hatte zwei Schoppen Wein bestellt, die die Bedienung brachte.

»Zum Wohl«, sagte der Architekt und prostete ihr zu. »Ich wollt’ Ihnen noch einmal sagen, wie froh ich bin, daß wir Sie gefunden haben, Valerie. Es ist schön zuzusehen, wie gut Sie sich mit Sandra verstehen. Auf einen schönen Urlaub also.«

Sie tranken einen Schluck und Fabian sah sie fragend an.

»Ich möcht’ net neugierig sein, aber wenn’s Ihnen nix ausmacht, würd’ ich gern’ etwas mehr von Ihnen wissen. Ich find’, wenn man mit einem Menschen so zu tun hat, wie wir, dann sollte man sich einander schon ein bissel kennen. Immerhin wissen Sie bereits viel über Sandra und mich.«

»Ach, da gibt’s eigentlich gar net viel zu erzählen«, begann Valerie. »Ich bin das einzige Kind meiner Eltern, und in München geboren und aufgewachsen. Mama und Papa leben immer noch in dem Haus, in das sie nach ihrer Hochzeit, vor fast dreißig Jahren, gezogen sind. Ich hab’ schon immer gern mit Kindern gearbeitet und nach der Schule oft als Babysitter gejobbt. Als es dann an der Zeit war, mich für einen Beruf zu entscheiden, brauchte ich net lang’ zu überlegen. Leider sind die freien Stellen als Kindergärtnerin net so dicht gesät. Ich bin froh, daß ich diese Arbeit jetzt habe – obwohl, Arbeit kann man’s eigentlich net nennen. Es macht mir Spaß. Sandra ist einfach ein Goldschatz.«

»Nicht wahr?« strahlte Fabian. »Sie ist mein ein und alles.«

Diese wenigen Worte ließen Valerie sehen, wie sehr er seine Tochter liebte.

»Darf ich Ihnen jetzt eine persönliche Frage stellen?« bat sie und spürte, wie ihr Herz rasend schnell schlug.

»Natürlich«, antwortete er.

»Haben Sie nie daran gedacht, wieder zu heiraten? Ich meine, allein wegen Sandra. Es ist nicht gut für sie, wenn sie ohne die Fürsorge einer Mutter aufwächst.«

Fabian trank einen Schluck Wein und spielte dann gedankenverloren mit dem Glas.

»Doch, natürlich habe ich daran gedacht«, sagte er nach einer Weile. »Oft sogar. Aber wissen Sie, Valerie, ich habe meine Frau sehr geliebt, und lange Zeit war es mir unmöglich, an eine neue Heirat überhaupt zu denken. Natürlich ist es mir bewußt, daß Sandra eine Mutter braucht, ein Kindermädchen, eine Erzieherin – was auch immer –, können niemals die Mutter ersetzen. Aber ich konnte auch nicht, nur aus der Not heraus, die erstbeste Frau ehelichen, die mir über den Weg läuft.«

Den letzten Satz hatte er mit einem Schmunzeln gesagt.