Uns kann keener, ooch nich eener!

Das Bekannteste am Berliner ist, so lässt sich vermuten, sein Mundwerk, die Kodderschnauze. Dank ihr gilt er in seinem Wesen als frech, meckerig, von sich selbst eingenommen und größenwahnsinnig. Und machen wir uns nichts vor: Es stimmt. All das »berlinert«, es gehört dazu. Auch. In seinem Vorwort zum wichtigsten Wörterbuch des Berlinischen, Hans Meyers »Der richtige Berliner«, bringt es der Schriftsteller und geborene Berliner Walter Kiaulehn auf den Punkt: »Das Geheimnis des richtigen Berliners ist, dass er nicht berlinern muss, sondern, dass er es auch kann.« Aber er kann eben zugleich stets anders, und wenn er meckert, motzt oder frotzelt, dann (zumeist) bewusst. Wer auf die Schippe genommen wird, der hat es verdient. Ton, Grammatik und Witz des Berlinischen dienen ihm als Mittel. Und wenn man einmal genauer hinsieht, sind die Eigenheiten des Berlinischen keineswegs sinnfreie, selbstverliebte Sprachspielereien, sondern Ausdruck der ganz besonderen gewachsenen Umstände dieser Stadt und fast immer zugleich nur die eine Seite der Medaille.

Der schnoddrije Ton zum Beispiel, der sich tatsächlich vom niederdeutschen Wort für den Nasenschleim (snodder) ableitet. Egal, ob nun kiebig, rotzig, pampig oder riedig, der Berliner gilt in jeder Form als ausverscheemt. (Da unverscheemt schon für unfassbares Glück reserviert war, drehte man einfach ein bisschen an der Vorsilbe und fortan stand ausverscheemt für frech.) So sehr, dass im großen Brandenburgisch-Berlinischen Wörterbuch für die Dreisten der Eintrag kess wie ein Berliner zu finden ist und zu einem Berliner mit Quadratschnauze der Spruch kursiert: Wenn der mal stirbt, muss de Schnauze extra dotjeschlaren wer’n! Schon der Geheimrat Goethe bemerkte nach einem Besuch in der Stadt: »Es lebt aber, wie ich an allem merke, dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delicatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten.«

An die durchaus anerkennende Beschreibung der Berliner als »verwegener Menschenschlag« schließt der Dichterfürst jene Beobachtung an, die Licht ins Dunkel des Vorwurfs ungeschlachter Grobheit bringt: Obwohl es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Millionenstadt anwachsen sollte, war Berlin schon seit Langem ein Schmelztiegel unzähliger Heimatsuchender, Glücksritter und Zuwanderer, die sich dort ein neues Leben aufbauen wollten. Ein Umstand, der auch ihre Sprache beeinflusste. Franz Lederer, der Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Büchlein »Ick lach ma’n Ast« versucht hat, »Sprache, Wesen und Humor des Berliners« zu ergründen, erklärte dies folgendermaßen: »Die Einwohnerschaft, von Anfang an auf eigene Kraft gestellt, gewöhnte sich frühzeitig daran, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Eine solche Bevölkerung neigt naturgemäß zur Kritik, und diese Kritik geht leicht in derben Spott über – (…).«

Was mitunter grob erscheint, ist – von einer anderen Seite aus betrachtet – schlicht Offenheit ohne falsche Pietät. Wo Zurückhaltung nicht angebracht ist, vertreiben ein paar klare Worte beizeiten den Nebel. Wenn einer anjibt wie’ne Tüte Mücken, lässt sich der Berliner nicht zweimal bitten und stutzt den Großkotz auf Normalmaß herunter: Mach ma det Fenster uff, det riecht hier mächtig nach Eichenlaub. Oder wie Adolf Glaßbrenner seinen Nante über einen Prahlhans sagen lässt: Dunderwetter, wenn ick det wäre, wat der sich inbildt, denn kooft’ ick mir Deutschland, un setzte mir uff’t Riesenjebirje un sagte: Blast mir’n Stoob wech!

Dabei ist die Kritik des Berliners in der Regel kein Mittel, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Zumeist entlarvt sie die Lüge, benennt das Verquere und tadelt das Falsche. Wer heiße Luft daherredet, dem weht ohne Zögern entgegen: Quatsch man keene Wellen, sonst kippt der Kahn um! Folgerichtig macht der Berliner vor seiner eigenen Person nicht halt und nimmt sich, wo es angebracht ist, selbst auf die Schippe. Ganz nach dem Motto: ’n jeder blamiert sich so jut er kann!

Nicht selten ist für kritische Töne Ironie das Mittel der Wahl. Mit ihrer Hilfe lässt sich ansprechen, was offen zu scharf, zu schwere Kost oder gar gefährlich wäre. Das ironische Lob ist eine Berliner Paradedisziplin: Wunderscheen is jarnischt dajejen! An einem langweiligen Abend hat er sich amüsiert wie Mops im Tischkasten – also gar nicht, weil er eingesperrt ist – und was schlicht nicht passt, det passt wie de Faust uff’s Ooge. (Mittlerweile passt die Faust übrigens sehr wohl und gilt als Ausdruck der Zustimmung, während die negative Bedeutung nahezu verloren gegangen ist.) Theodor Fontane hat diesen Hang zur Ironie mit mangelnder Redefreiheit in der Hauptstadt Preußens erklärt: »Man hat dies ironische Wesen auf den märkischen Sand, auf die Dürre des Bodens, auf den Voltairismus König Friedrichs II. oder auch auf die eigentümliche Mischung der ursprünglichen Berliner Bevölkerung mit französischen und jüdischen Elementen zurückführen wollen – aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Alles das mag eine bestimmte Form geschaffen haben, nicht die Sache selbst. Die Sache selbst war Notwehr, eine natürliche Folge davon, daß einer Ansammlung bedeutender geistiger Kräfte die großen Schauplätze des öffentlichen Lebens über Gebühr verschlossen blieben.«

Für Fontanes These spricht, dass die kritisch-kreative Ader der Berliner Sprache seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach und nach einzuschlafen schien. Mit der Gründung eines demokratischen Staates auf deutschem Boden waren die »Schauplätze öffentlichen Lebens« zugänglich und die Rede frei. Allein in Ost-Berlin, das zur »Hauptstadt der DDR« erhoben wurde, bewahrte das Berlinische seine subversive Funktion und deshalb auch Kraft. In kritischer Distanzierung schuf der hiesige unhörbare Volksmund sogar noch neues Vokabular, wie das Kaderwelsch (aus Kader und Kauderwelsch) für das unsägliche Palaver der – ausgerechnet überwiegend sächsischen – Parteioberen, die Pionöse (aus Pionier und einer der beliebten französisierenden Endungen -öse von -euse) oder einen Beitrag zur eigentlich längst begrabenen Abkürzungsmanie: SED stand fortan nicht mehr für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, sondern galt als Synonym für »selten etwas dran«. Manch einer zog sogar ein Fazit unter das sozialistische Gesellschaftsexperiment, noch ehe es beendet war: Lieber von Zille jemalt, als vom Sozialismus jezeichnet.

Gerade am Beispiel der Ironie gilt es aber, Fontane, der mit dem Berlinischen persönlich eher auf Kriegsfuß stand, an anderer Stelle entgegenzutreten. So behauptete dieser, der Berliner habe keinen »Sinn für feinere Lebensform, liebenswürdiges Entgegenkommen. Durch derbe Grobheit stößt er nur zu leicht ab. Seine Stacheln kehrt er gern nach außen, kritisiert ohne Rücksicht zu nehmen.« Doch das Berlinische kennt die Liebkosung, die freundliche Geste und die ehrliche Anteilnahme sehr wohl. Nur sind sie, wie vieles, oft in Ironie oder gar einen etwas derben Ton gehüllt. Nirgendwo sonst könnte wohl Olle so viel Anerkennung für die Mutter, Frau oder Geliebte enthalten wie in Berlin, und meint einer zu einem Freund, er sehe aus wie Braunbier mit Spucke, darf dies als Ausdruck wohlwollender Sorge über dessen kränkliche Erscheinung angesehen werden.

Als besonders groß gilt die Schandschnauze des Berliner aber, weil er (und sie) den Nabel der Welt zu bilden scheinen. Er sieht besser aus (so bin ick an janzen Körper), ist schlauer (der Berliner lernt nischt inne Schule und weeß doch allet) und hat von allen seltenen Tugenden nur die besten, von Schisslaweng (Schwung) bis Pli (Witz). In Berlin haben sie ’n Wetter, inne ärmere Jejend würden se zwee draus machen, während alles jenseits der Stadtgrenzen nischt wie Jejend ist, dem Credo folgend: Wo wir sind, is vorn. Wenn wir hinten sind, is hinten vorn. Ein waschechter Berliner ist die moderne Fassung des Niebelungen-Siegfried. Mit Spreewasser jedooft, hält er sich für unverwundbar. Als Motto der Stadt kann daher getrost gelten: Uns kann keener – ooch nich eener!

Gut möglich, dass diese Haltung dem einen oder anderen sauer aufstößt. Wo bleibt da die Demut, wo das »rechte Maß«, das der Berliner mit seiner derben Kritik und den mitunter allzu offenen Worten bei anderen so ohne Rücksicht fordert? Gilt dergleichen nicht für ihn und seinesgleichen? Dem ist zu entgegnen: Doch, keene Frage! Aber wo Kritik ist, ist ebenso Platz für Stolz und Selbstvertrauen. Wer gelernt hat sich durchzusetzen, hat auch gelernt, sich darüber angemessen zu freuen und daraus Kraft für neue Taten zu schöpfen. Von nischt kommt nischt, heißt es in Berlin. Aber auch: Wat nich is, kann ja noch werden. Das Berliner Selbstbewusstsein ist das unermüdliche Mantra, das Perpetuum mobile der Stadt, das seit Jahrhunderten den Motor am Laufen hält. Nicht zuletzt darum werden hier die offensichtlichen Wahrheiten gepflegt und weitergegeben wie nobelpreiswürdige Entdeckungen: Doppelt hält besser! Oder: Uff een Been kann man nich stehen! Und: Det kommt vor, det eener fällt und find’ nischt.

Verwandter Natur sind die unzähligen Sprüche und Reime, die auf Durststrecken und in schwachen Momenten zu hören sind. Dann, wenn Vernunft schon auf der Strecke geblieben ist und nichts als Durchhalten zählt. Das Berliner Mittel der Wahl ist in diesem Fall: Humor. Etwa:

Es wird schon wer’n mit Mutter Bern,

Mit Mutter Horn is ja ooch jeworn.

Bloß de olle Schmitten hat nich jelitten –

Dreimal ins Been jeschnitten,

Un denn ham se erst jemerkt,

Det se’n Holzbeen hatte.

Manchmal freilich schlägt das Selbstbewusstsein des Berliners über die Stränge und in eine milde Form des Größenwahns um. Nichts ist dann vor dem Zugriff der Übertreibung sicher, im Guten wie im Schlechten: Bei einem gelungenen Witz ist gleich der janze Bauch eene Falte, in Momenten der Überraschung werden Bauklötzer jestaunt und in der Wut ärjert man sich de Schwindsucht an’n Hals.

Doch die Übertreibungen haben ihren Zweck – und zwar ganz im Sinne des ollen Baron Münchhausen, der sich und sein Pferd an dessen Schopf aus dem Sumpf zog, in dem sie beide steckten. Walter Benjamin, der als Philosoph und Essayist eine geschliffene – hochdeutsche – Feder schrieb und zugleich die Sprache seiner Heimatstadt Berlin liebte, schrieb darüber: »Zahllose Redewendungen gibt es, in denen der Berliner so auf Gulliversche Art sein Liliput von Wirklichkeit aus den Angeln hebt.« Wie es scheint, läuft der Berliner erst im Windschatten seiner Kodderschnauze zu Höchstform auf. Zudem wird der Wildwuchs der Fantasie in Form der Großspurigkeit durch den Berliner Humor stets auch wieder eingehegt. Schon der Reichskanzler Otto von Bismarck soll die Bemerkung eines jungen Berliners überliefert haben, der im Angesicht der Alpen sagte: »Nee, solche Berge ham wir nich! Aber wenn wir welche hätten, wären se noch höher.«

Die gute Nachricht für alle, die der Berliner Schnauze nicht länger schutzlos ausgeliefert sein wollen und sie zugleich ein wenig bewundern: Sie ist kein exklusives Geburtsrecht. Schon seit Jahrhunderten ist nur rund ein Viertel der Berliner auch in der Stadt geboren und doch sind sie (fast) alle in ihrer Sprache vereint. Ja, der eine oder andere Zugezogene hat es fast unbemerkt zu weithin bekannter Meisterschaft im Berlinischen gebracht: Otto Reutter, der unvergleichlich Berlinisch textete, kam aus Gardelegen, Claire Waldoff, die Gallionsfigur der Spottliederei, stammte aus Gelsenkirchen und Heinrich Zille, der sein Leben zeichnend in den Kiez-Hinterhöfen verbrachte, aus dem sächsischen Radeburg. Kein Hindernis auf dem Weg zum meisterhaftschnoddrigen Ausdruck, beobachtete auch Walter Kiaulehn in seinem bereits erwähnten Beitrag zum »Richtigen Berliner«: »Ich habe gefunden, dass die ›gewordenen‹ Berliner – die nicht an der Spree geboren sind, sondern später hierherkamen und aus freiem Entschluss zu Berlinern wurden, die humoristischen Möglichkeiten des Berlinischen oft besser benutzen als die geborenen Berliner.« Na dann: Ran an’n Sarg und mitjeweent!

Pechhengst, Stoppelhopser und Schrippenarchitekt

»Berlinisch ist eine Sprache, die aus der Arbeit kommt«, schrieb in den 1920er Jahren Walter Benjamin, der Philosoph, geborene Charlottenburger und bekennende Berliner. Als man an den herrschaftlichen Höfen noch der französischen Art und Sprache nacheiferte, köchelte in den Handwerksstuben, Arbeiterkabuffs und auf den Straßen das berlinische Sprachgemisch. Da war es nur natürlich, dass auch allerlei Namen für das Tun jener entstanden, die die Sprache mitprägten. Und diese waren für gewöhnlich ein wenig treffender, entlarvender oder schlicht komischer als die gewöhnlichen Benennungen der jeweiligen Berufe oder Tätigkeiten. Auch wenn die meisten heute kaum mehr bekannt und schon gar nicht gebräuchlich sind, gehören sie doch zum Wesen und Erbe des Berlinischen. Eine – gewiss unvollständige – Liste der Um-Berufungen enthält über 100 Einträge, sodass hier nur ein kleiner Streifzug durch das arbeitende Vok der Stadt unternommen werden kann.

Fangen wir auf der Straße an. Hier steht es, das Arbeiterdenkmal, ruhig auf seine Schaufel gestützt, vielleicht ein Zigarette im Mundwinkel, und erst wenn es den Kopf hebt, zeigt sich, dass es lebt – und nur seine Fuffzehn, die obligatorische Pause, genießt. Getreu dem Motto: Die Arbeit jagt mir, aber ick bin schneller! Tatsächlich entstand im Jahr 1900 auf dem Andreasplatz ein Monument, das einen Schmied mit seinem Sohn zeigte. Platz und Denkmal mussten nach dem Zweiten Weltkrieg weichen, aber das »Original« findet man ohnehin bis heute spontan an etlichen Baustellen. Dort lässt sich möglicherweise auch die eine oder andere Dreckschwalbe nieder, so ein einstiger Spitzname der mauernden Zunft. Heute sollte man das nicht mehr hören lassen. Andere sieht man inzwischen kaum noch am Werke, etwa die Rammerdammer, wie man die Steinmetze lautmalerisch nannte, oder sie verschwanden völlig, wie die Naturforscher im Rinnsteen, die Lumpensammler. Stadtweit unterwegs sind wiederum die mittlerweile in orange gekleideten Müllkutenindianer der Stadtreinigung und ihre Kollegen vom Corps de balai, wie die Straßenfeger in Anlehnung an das Corps de Ballet hießen. Und auch Schorschtenfejer steigen nach wie vor aufs Dach und Zündelmänner düsen in ihren feuerroten Kisten durch die Straßen, um zu löschen, was die Schläuche hergeben.

Derweil gehen Discher (Tischler), Pechhengste (Schuster) und Kopfschuster (Hutmacher) in den Werkstätten ihrem Handwerk nach, während links und rechts der Handel blüht: Wer noch etwas besorgen muss, geht zum Koofmich, dessen Laden – ein typisches Erbbegräbnis, das bestimmt bald wieder schließen muss, nur damit anschließend ein anderer sein Glück versucht –, wo sein Ladenschwengel, der Gehilfe, etwas träge die Kundschaft bedient. Links und rechts wird dann das Wochenendmenü zusammengestellt: die Haxe vom Zippelwilli, wie der Fleischer hieß, weil früher die Wurstenden mitverkauft wurden, und die Knüppel für Sonntagmorgen vom Schrippenarchitekten, etwas abfällig auch Teigaffe geschimpft. Alles, was man sonst noch frisch braucht, bekommt man auf dem Markt, wo der Eierfritze neben dem Butterfritzen steht. Überhaupt war der Fritze das Universalwort für Händler, Verkäufer und Handwerker aller Art – vom Jemüse-bis zum Zijarrenfritzen. Für den gesunden Leib steuerte man früher den Saftladen an. Heute eher Synomym für eine schlecht geführte Wirtschaft, war damit einst die Apotheke gemeint, weil dort Kräutersäfte verkauft wurden. Um Leib und Seele zu pflegen, geht man(n) anschließend zum Balbier (Barbier) bzw. zum Schnauzenschaber oder Glatzenschneider, beides inzwischen mit zahlreichen Titeln wie dem Coiffeur veredelt.

Dazwischen drängeln sich gewiss etliche Bierlokale, in denen Biertanten, Tablettschlusen und Einnehmen (Kellnerinnen) um Gäste rangeln, während der Kneipjee lauwarme Mollen zapft. In besseren Häusern kann man sogar den Herrn Oberkörper, so die spaßhafte Bezeichnung für den Ober, herbeizitieren. Sollte dafür das nötige Kleingeld fehlen, empfiehlt sich der Gang zur Bank oder, wenn da auch nichts mehr zu holen ist, zu Pete. Der ungewöhnliche und wohl gewollt wenig offensichtliche Name für den Pfandleiher stammt wohl vom lateinischen Mons pietatis, mit dem in Italien die ursprünglich wohltätigen Leihbanken benannt wurden.

Wer sein Vergnügen nicht in der Molle, sondern in Form von Unterhaltung sucht, begegnet möglicherweise im Kabarett dem Kommfranzundjeh, eine typisch berlinische Eindeutschung des französischen conférenciers qua »Lautverschiebung«, oder Heulbojen (Sänger) und Huppdohlen (Tänzerin). Im eher zwie- oder rotlichtigen Milieu dagegen treiben sich Tippelschicksen (Strichmädchen) herum, unter ihnen die eine oder andere Amateuse – nämlich Prostituierte ohne »Gewerbeschein«. Erschrockene Zeitgenossen können davor vielerorts in himmlische Hallen flüchten, wo Kanzelstürmer (Pfarrer) und wandelnde Pinguine (Nonnen) ihren Dienst tun.

Apropos Dienst: Heute kaum mehr in Lohn und Brot, gab es in vielen Haushalten Dienstbolzen, auch Waschlappen-Adjutanten genannt: Dienstmädchen oder -boten eben. Für hausweite Aufgaben hatte man eine Portjeesche, dort, wo dafür kein Geld da war, verließ man sich auf den stillen Portier, jene Tafel im Hausflur, an der die Namen der Mieter angebracht sind. Manch einer lässt sich auch heute noch eine Fußbodendompteuse für die Reinigung kommen, nur der Spitzname dürfte nicht mehr korrekt sein.

Für den höheren, den Beamtendienst hatten Berliner nie viel übrig, was sich nicht zuletzt im entsprechenden Vokabular zeigt. Ein Beamter ist für sie ein Sesselpuper oder Stubenpisser, seine Stenotypistin eine Klapperschlange und die Kollegin allenfalls eine Zimmerlinde. Bekommt er – sicher nicht unverdient – eine Gehaltserhöhung, kann es sich dabei nur um eine Runzelzulage handeln.

Ein besonderes Faible hatten Berliner gerade im 19. Jahrundert für die Verunglimpfung des Militärs, was wenig verwundert, wenn man bedenkt, dass preußische Könige jahrhundertelang ihre Truppen durch die Stadt marschieren ließen. So titulierten sie Infanterieoffiziere als Backzahn oder Dreckpatsche, einfache Infanteristen waren Stoppelhopser. Den Portepeefähnrich und mit ihm alle Uneroffiziere verunglimpften sie zum Portemonehfähnrich und Kavallerieoffiziere zu Cavalleriker. Auch Polizisten kamen nie gut weg. Bis 1848 trugen Gendarmen grüne Uniformen und wurden deshalb Laubfrösche genannt. In der Kaiserzeit rief man sie, abgeleitet von Helmhut, der Pickelhaube, Helmut. Und als weniger Spitz- denn Schimpfname dient auch Kob, die Kurzform des Kontaktschutzbeamten, die es sogar in eine Variante des berühmten Klops-Gedichts geschafft hat: Ick sitze da und esse Klops, uff eenmal: Kobs!

Zu den schönsten »Berliner Berufen« zählen aber wohl einige von denen, die inzwischen als ausgestorben gelten müssen, wie der Piefke, der Dienstmann, der oft – wie der berühmteste unter ihnen: Nante – an Straßenecken auf Arbeit wartete, oder der Anreißer, der früher vor Verkaufsbuden der Kundschaft einheizte. Und der Kinoerklärer, der in der frühen Stummfilmzeit dem noch ungeübten Publikum die große Welt erklärte. Hans Meyer hat in seinem Werk »Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten« eine einzigartige Szene dieser Helden der Erzählkunst bewahrt: »Se steht da mit een Jesichtsausdruck, een Jesichtsausdruck! Un, wie der Lord nu wieder rin kommt un seiner über alles jeliebten Deisie det an’t Jesicht ansieht, wat se vorhat, da sagt er: – – – Ick mecht doch die beeden Herrn da vorn noch mal ins alljemeine Interesse bitten, det Rauchen einzustellen, ick hab et doch schon einmal janz laut jesagt, und jutet Deutsch war et ooch jewesen – – – da sagt er: Denk an mir un an deinem Kinde, bevor du sowat tust!«

Nich feierlich

Eins sei gleich gesagt: Was scheiße ist, wird auch in Berlin so genannt, an einem derart unverzichtbaren »Sprachschatz« wird nicht gerüttelt. Und da bislang nichts Stärkeres gefunden wurde, um Missliches, Abscheuliches oder Hassenswertes anzuprangern, ist auch der Berliner mit der fäkalen Unmutsvokabel Nummer eins bestens vertraut. Eine Feinheit vermag er dank seines niederdeutschen Spracherbes gleichwohl beizusteuern: Bevorzugt wird häufig der Scheiß anstelle des – kaum glaublich aber wahr – standardsprachlichen weiblichen Pendants. Hintergrund ist die niederdeutsche Form der Schiet, der sich zwar nicht vollends, doch zumindest sein Geschlecht im Berlinischen durchsetzen konnte. Aber jenseits dessen kennt des Berliners Fabulierlust auch in unangenehmen Situationen weit mehr als nur Naturdünger, und er ist auf die Graustufen des Unschönen in der Regel gut vorbereitet.

Kulturell zum Beispiel: Ausbaufähig, aber noch keine Katastrophe, ist ein Theaterabend eben mau. Darf man schon buhen, steigt er bereits zu nich berühmt herab, und wenn die ersten Tomaten fliegen, ist er unter allen Hund.