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Zu diesem Buch

„Der ist aber gut erzogen!“, wird manchmal mit Erstaunen festgestellt, wenn der Hund gut rückrufbar ist, schön bei Fuß läuft oder sich auf das Signal „Bleib“ hin nicht mehr rührt. Aber ist er wirklich gut erzogen? Oder vielleicht „nur“ gut dressiert?

© Anna Auerbach/Kosmos

Eine gute Bindung und viel Vertrauen – so sieht eine gute Beziehung aus.

Da gibt es nämlich einen gewaltigen Unterschied: Tut oder unterlässt der Hund etwas, weil er weiß, was sich gehört? Oder macht er alles für einen Keks, weil er gelernt hat, dass nach Ausführung eines Tricks eine Futterbelohnung erfolgt?

Ich möchte mit diesem Buch für mehr Erziehung und weniger Dressur im Zusammenleben mit dem Hund plädieren. Und damit auch dafür, seinen Hund mehr als Sozialpartner zu sehen und weniger als „konditionierten Begleiter“. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist großartig, wenn ein Hund gut auf seinen Menschen hört und die Grundsignale bestens ausführt. Auch, wenn er das für einen Keks tut. Aber was macht das mit der Mensch-Hund-Beziehung? Wie ernst nimmt der Hund sein Frauchen oder Herrchen? Wie gut orientiert er sich wirklich an seinem Menschen? Oder folgt er dann nicht vielmehr dem Geruch des Leckerchens?

Die reine „Leckerli-Methode“ ist im Hundetraining immer noch sehr etabliert und scheint die normale Herangehensweise zu sein, wenn man seinem Hund etwas beibringen möchte. Hundehalter kommen oft nicht auf die Idee, über den Tellerrand zu schauen und andere Ideen zu entwickeln, wie man dem Hund etwas beibringen könnte. Wie auch, wenn es von vielen Hundetrainern ausschließlich so vorgelebt wird? Hunden wird insgesamt anscheinend zu wenig zugetraut, dass sie sich für ihre Menschen interessieren könnten, wenn diese kein Futter dabeihaben. Kein Wunder, gibt es doch genug Fälle, in denen sich der Hund für seine „kekslosen“ Menschen nicht zu interessieren scheint. Dann gilt es genauer und ganzheitlicher hinzuschauen und das Gesamtpaket „Mensch-Hund-Team“ unter die Lupe zu nehmen. Schließlich lassen sich auch bei langjährigen Beziehungen noch Veränderungen erreichen. Aber keine Frage: Bei jungen Hunden, oder wenn ein älterer Hund ganz neu bei seinen Menschen einzieht, ist es immer leichter, Grundsätzliches zu klären. Deshalb freue ich mich immer sehr, wenn gerade in Welpengruppen der Fokus mehr auf der Erziehung der kleinen Racker liegt, als auf dem Beibringen von etlichen „Kommandos“ oder dem Ausarten in reine „Spiel“-Gruppen.

Anhand vieler Erläuterungen und alltäglicher Beispiele soll in diesem Buch deutlich werden, wann ein antrainierter Trick mit einer Futterbelohnung Sinn macht, und wann eine Situation wunderbar durch Erziehung (ohne Futtergabe) gelöst werden kann, was für die Vertrauens- und Bindungsförderung zwischen Mensch und Hund auch noch äußerst förderlich ist. Der häufigste Einwand lautet dabei: „Er braucht aber doch eine Belohnung!“ Richtig! Dass das aber auch die Interaktion mit und die vertrauensvolle Beziehung zu dem Halter sein kann, ist vielen Menschen nicht klar.

Es geht mir, wie gesagt, nicht um den kompletten Verzicht auf sekundäre Verstärker. Vielmehr möchte ich ein Bewusstsein dafür schaffen, wann die Gabe von Leckerchen sinnvoll ist und wann nicht. Dressur spielt also eine ergänzende Rolle, sollte aber nicht nur Mittel zum Zweck sein.

Gut erzogen oder gut dressiert?

© Anna Auerbach/Kosmos

Dressur

Meist wird der gut erzogene Hund mit dem gut dressierten verwechselt. Ein Hund, der viele Tricks kann und auf jedes Kommando sofort hört, ist nicht automatisch gut erzogen. In ganz vielen Fällen ist er gut dressiert. Wo ist also der Unterschied?

© Anna Auerbach/Kosmos

„HOPP“ UND „PFÖTCHEN GEBEN“
Klassische Tricks, die vielen Hunden Spaß machen.

Um eine kleine Auseinandersetzung mit den Begriffen kommen wir daher nicht herum. Dabei gibt es, gerade was den Begriff der Erziehung angeht, unheimlich viel (wissenschaftliche) Literatur und etliche Definitionen, je nachdem aus welchem Blickwinkel man den Begriff betrachtet. Ich möchte es gern einfach halten und mich auf die meines Erachtens wichtigsten Inhalte bzw. maßgeblichsten Unterschiede konzentrieren.

Bei dem Begriff der Dressur denken die meisten Menschen vermutlich an trainierte Zirkustiere, die Dinge tun, die sie von sich aus eher nicht täten. Durch einen brennenden Reifen springen zum Beispiel. Oder sich auf den Hinterbeinen um die eigene Achse drehen. Und genau das wird über Dressur auch erreicht.

WIE ERFOLGT DRESSUR?

Dressur erfolgt über Konditionierungsprozesse und ist damit (im Vergleich zur Erziehung) reduziert auf das Verstärken eines Verhaltens im richtigen Moment. Zeigt ein Hund eine Handlung, die wir wünschen oder erreichen wollen, wird ihm beispielsweise ein Leckerchen angeboten. So kann ein Hund alle möglichen Tricks lernen: Männchen machen, sich um die eigene Längsachse drehen („Rolle“) oder Pfötchen geben, um ein paar Beispiele zu nennen. Bei der Dressur geht es also um das Antrainieren von Tricks. So können auch „Sitz“, „Platz“ und „Bleib“ zu ankonditionierten Tricks werden.

Nur, weil man es „Sitz“ oder „Platz“ nennt, ist es noch keine Grunderziehung. Erstmal ist es „nur“ ein angelernter Trick, eine durch Dressur erworbene Handlung. Laut den gängigen Lerntheorien (insbesondere der klassischen und operanten Konditionierung) lernen Hunde, auf einen bestimmten Reiz hin – das ist das Wort- oder Sichtzeichen, das dem Hund gegeben wird – ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, also sich hinzusetzen, die Pfote zu heben oder Männchen zu machen. Die Motivation dafür erfolgt von außen, durch die Gabe eines Leckerchens oder durch das Werfen eines Balls zum Beispiel.

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Dressur: Am Bord-stein „Sitz“ sagen.

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Erziehung: Einfach stehen bleiben, der Hund macht es „automatisch“ mit …

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 … und wartet, bis es wieder weitergeht.

VORTEILE DER DRESSUR

Manche Hunde haben sehr viel Spaß am Erlernen von klassischen Tricks wie Pfötchen geben oder Slalom laufen durch die Beine. Gerade Hunde, die den sogenannten „will to please“ haben, also sich stets bemühen, alle Wünsche ihres Menschen zu erfüllen, sind oft gute „Trick-Hunde“. Aber auch jene, die sich gerne ausprobieren, und so lange verschiedenes Verhalten anbieten, bis es zum Erfolg führt, finden Tricks meistens klasse. So kann das „Tricksen“ also zu einer netten Beschäftigung werden, die durchaus auch geistig herausfordernd sein kann. Gerade zur dunklen und kalten Jahreszeit ist das auch etwas, was sich im warmen Wohnzimmer problemlos machen lässt. Am sinnvollsten finde ich Tricks, die sich in den Alltag integrieren lassen, also beispielsweise dem Hund beizubringen, die Leine anzugeben oder das Licht einzuschalten.

Tricks sind auch gerade dann gut, wenn es sich bei dem erworbenen Verhalten um Bewegungsabläufe handelt, die für den Hund nicht logisch sind oder nicht dem natürlichen Bewegungsrepertoire entsprechen, aber dafür zum Beispiel der Gesundheit dienen. Insbesondere sollen Hunde, die nach einer Operation in physiotherapeutische Behandlung gehen, häufig die tiefe Muskulatur trainieren, alle vier Beine gleichmäßig belasten etc. Dem Hund deswegen beizubringen, auf einem Wackelbrett die Balance zu halten oder auf einem Unterwasserlaufband Schritt zu gehen, kann für diese Zwecke äußerst hilfreich sein. Aber auch wenn es für den Muskelaufbau eines Hundes gut ist, abwechselnd x-mal nacheinander „Sitz“ und dann wieder „Steh“ zu machen, ist die mehrfache Wiederholung ein- und desselben Tricks für den Hund noch lange nicht logisch. Dafür dann das Futter auszupacken und dafür zu sorgen, dass der Hund dies wenigstens für einen Keks macht, finde ich mehr als legitim.

Der vielleicht offensichtlichste Vorteil ist, dass man mit einem gut dressierten Hund, der einige Tricks und Signale zuverlässig beherrscht, leicht durch den Alltag kommt. Am Bürgersteig wird „Stopp“ gesagt, damit der Hund nicht auf die Straße läuft. Kommt Besuch nach Hause, wird der Hund auf seinen Platz geschickt. Muss man vor dem Parkautomaten Kleingeld aus dem Geldbeutel kramen, sagt man „Sitz“, damit man die Hände frei hat und von seinem Hund nicht versehentlich irgendwohin gezogen wird.

Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei jedoch nur um einen vermeintlichen Vorteil für diesen Moment. Denn auf lange Sicht muss dem Hund in jeder dieser Situationen immer gesagt werden, was er tun soll. Es klappt nicht „von allein“. Wie es später noch erläutert wird, wirkt hierbei Erziehung einfach nachhaltiger.

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Beliebte Strategie bei Gegenverkehr:

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Den Hund mit Leckerchen oder Spielzeug ablenken.

NACHTEILE UND SCHWIERIGKEITEN BEI DER DRESSUR

Das Problem bei der Dressur ist, dass man sich von Hilfsmitteln wie Futter abhängig macht. Es gibt Hunde, die die Belohnung erst mal sehen wollen, bevor sie sich bemühen, den Trick auszuführen. Häufig ist das auch beim Rückruf so: Erst, wenn das Rascheln der Tüte im Hundeohr angekommen ist oder die Leberwursttube hochgehalten wird, beginnt der Hund Richtung Mensch zu laufen. Futter FÜR irgendetwas zu bekommen, wertet streng genommen das eigentliche Ziel einer Handlung ab, das beim Arbeiten mit Anreizen aber ausschlaggebend sein sollte. Der Hund hat also nur den Keks im Kopf. Wie wäre es stattdessen, ohne ein offensichtliches Belohnungsziel zu arbeiten und einfach Spaß am gemeinsamen Weg zu haben?

Reine Konditionierung führt häufig zu einer Objektfixierung. Der Gegenstand, sei es der Belohnungsball oder das Belohnungsleckerchen, wird wichtig. Man tut, was auch immer nötig ist, um ihn zu bekommen. Und wenn es nicht schnell genug geht, wird der Keks entweder durch Anbellen oder Anspringen des Menschen eingefordert oder es werden alle Tricks abgespult, die der Hund jemals gelernt hat. Denn irgendeiner von ihnen wird es schon sein, der das Leckerchen letztendlich näher bringt. Damit ist es auch egal, wer die Belohnung hat. Der Hund läuft also mit demjenigen mit, der gerade den Ball oder die Wurst in der Hand hält. Egal welcher Mensch einen Trick abverlangt, er wird für die Belohnung gemacht. Die Beziehung innerhalb des Mensch-Hund-Teams bleibt auf der Strecke. Das ist ein weiteres Problem der Dressur. Letztendlich entscheidet jetzt der Hund, ob ihm die Belohnung wichtig genug ist, um den Trick auszuführen. Und da spielen nicht nur Ablenkung und Reize in der Umgebung eine entscheidende Rolle, sondern natürlich auch die Persönlichkeit und Genetik des Hundes. Der verfressene Retriever wird sich viel eher ein Leben lang mit einem Leckerchen vor der Nase an einem anderen Hund vorbeiführen lassen, da der Keks für ihn eine hohe Priorität hat. Ein territorialer Hovawart mag zwar vielleicht auch gerne Leckerchen, wird aber, wenn es darauf ankommt, bei einer Hundebegegnung im eignen Revier in der Regel andere Prioritäten setzen. Da wird auch das Steak verschmäht, wenn es gilt, Artgenossen zu vertreiben. Mit Dressur kommt man also nicht immer weiter.

© Anna Auerbach/Kosmos

Fehlende Impulskontrolle ist ein häufiges Problem bei Hundebegegnungen.

Regeln aufstellen und Grenzen setzen