Gunter Pirntke

 

Die blutige Maria

 

Die Tudor-Dynastie, 8. Band

 

 

Einleitung

 

Als Maria, die dem englischen Königshause der Tudors angehörte, am 18.2.1516 um vier Uhr morgens nach einer langen und schweren Geburt in Greenwich das Licht der Welt erblickte, waren ihre königlichen Eltern, Heinrich VIII. († 1547) und Katharina von Aragón († 1536), – trotz anfänglicher Enttäuschung über das Geschlecht ihres Kindes – sehr zufrieden. Denn ihre Mutter hatte nun zum ersten Male ein gesundes, lebenskräftiges Kind zur Welt gebracht.

Heinrich VIII. und Katharina von Aragon, Eltern von Maria Tudor Heinrich VIII. und Katharina von Aragon, Eltern von Maria Tudor

Heinrich VIII. und Katharina von Aragon, Eltern von Maria Tudor

Nun, wie wir wissen, entsprang aus dieser Ehe kein Sohn, aber eines Tages sollte das hier Neugeborene mal Königin von England als Maria I. sein, und dem wenig schmeichelhaften Beinamen „Maria die Blutige“ erhalten.

Maria I. war von 1553 bis 1558 Königin von England und Irland und der vierte Monarch des Hauses Tudor. Sie war die Tochter des Königs Heinrich VIII. und seiner ersten Frau Katharina von Aragon. Als ihr Vater die Ehe vom englischen Klerus für nichtig erklären ließ und Anne Boleyn heiratete, wurde Maria dauerhaft von ihrer Mutter getrennt, zum königlichen Bastard erklärt und von der Thronfolge ausgeschlossen. Aufgrund ihrer Weigerung, Heinrich als Oberhaupt der Kirche von England und sich selbst als illegitime Tochter anzuerkennen, fiel Maria jahrelang in Ungnade und entging nur durch ihre letztliche Unterwerfung einer Verurteilung als Verräterin. Heinrich nahm sie 1544 wieder in die Thronfolge auf, legitimierte sie jedoch nicht.

Nach dem frühen Tod ihres jüngeren Halbbruders König Eduard VI. setzte sich Maria gegen ihre protestantische Großnichte und Rivalin Jane Grey durch und wurde zur ersten Königin Englands aus eigenem Recht gekrönt, womit erstmals in der englischen Geschichte eine Frau die uneingeschränkten Rechte eines Souveräns ausübte. Marias Herrschaft war geprägt von großen konfessionellen Spannungen, da Maria versuchte, den Katholizismus wieder als Staatsreligion zu etablieren. Unter ihrer Herrschaft wurden fast dreihundert Protestanten hingerichtet. Die Nachwelt bezeichnete sie daher, je nach Standpunkt, mit den Beinamen „die Katholische“ oder „die Blutige“. Marias protestantische Halbschwester und Nachfolgerin Elisabeth I. machte Marias religionspolitische Maßnahmen wieder rückgängig.

Heutzutage zeichnen Historiker ein etwas differenzierteres Bild von Maria. Trotz der Verfolgungen zeigte sich Maria zu Beginn ihrer Herrschaft Glaubensfragen gegenüber sehr tolerant und versuchte nicht, das Volk ohne Zustimmung des Parlamentes durch Zwang zu bekehren. Allerdings mangelte es Maria an dem persönlichen Charisma und der natürlichen Nähe zum Volk, die Elisabeth besaß. Auf diese Weise schätzte sie die religionspolitische Situation und insbesondere die Reaktion des Volkes darauf falsch ein. Dennoch benötigte Elisabeth mehr als fünf Jahre, um die Änderungen ihrer Schwester wieder rückgängig zu machen, was als Beweis gesehen wird, dass der Katholizismus trotz der Verfolgung der Protestanten durchaus wieder Fuß zu fassen begann.

Maria Tudor

Maria Tudor

 

Kindheit und Jugend

 

Maria Tudor wurde am 18. Februar 1516 als fünftes Kind König Heinrichs VIII. und seiner ersten Frau Katharina von Aragon im Palace of Placentia bei Greenwich geboren. Drei Tage nach ihrer Geburt wurde sie in der nahen Church of the Observant Friars getauft, gehalten wurde sie dabei von einer engen Freundin der späteren Königin Anne, Elizabeth Howard, der Ehefrau des Thomas Howard, 3. Duke of Norfolk. Ihre Taufpaten wurden unter anderem der einflussreiche Kardinal Wolsey und ihre Verwandten Margaret Pole, 8. Countess of Salisbury und Katherine of York. Ihre Namenspatronin war ihre Tante Mary Tudor.

Anders als die übrigen Kinder Katharinas überstand Maria die ersten Lebensmonate. Der venezianische Botschafter Sebastian Giustiniani gratulierte dem König „zur Geburt seiner Tochter und dem Wohlbefinden ihrer heiteren Mutter, der Königin“, auch wenn es „noch erfreulicher gewesen wäre, wenn das Kind ein Sohn gewesen wäre.“ Heinrich ließ sich jedoch nicht entmutigen. „Wir sind beide jung; war es diesmal eine Tochter, so werden mit Gottes Gnade Söhne folgen.“ Der König machte keinen Hehl aus seiner Zuneigung für seine Tochter und erzählte Giustiniani stolz: „Bei Gott, dieses Kind weint niemals.“

Die einst glücklich im Jahre 1509 begonnene Ehe schien damit ihrem Ende entgegenzusteuern. Seit 1514 hatte Heinrich VIII. obendrein eine Mätresse, Elisabeth Blount, die aus dem Hofdamenkreis seiner Frau stammte. Diese schenkte ihm 1519 einen Sohn. 1520 wurde Elisabeth Blount durch die Hofdame Mary Boleyn, die mit einem gewissen William Carey verheiratet war, ersetzt. Beide Mätressen führten zu keinen großen Veränderungen im Alltag der kleinen Maria. Die dritte Mätresse jedoch, Anne Boleyn, die Schwester von Mary Boleyn, sollte das Leben Marias grundlegend verändern. Denn ihr Vater wollte sich von ihrer Mutter trennen und diese Mätresse heiraten. Aber Katharina von Aragón verweigerte die Scheidung. Und Maria, die ihren Vater wie ihre Mutter liebte, mußte nun am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn sich die ehemals liebenden Ehepartner zu hassen beginnen.

In ihren ersten beiden Lebensjahren wurde Maria, wie es für königliche Kinder üblich war, von Gouvernanten und Ammen versorgt. Sie stand unter der Aufsicht einer früheren Hofdame der Königin, Lady Margaret Bryan, die später auch für die Erziehung von Marias jüngeren Halbgeschwistern Elisabeth und Eduard verantwortlich war. Ab dem Jahr 1520 fiel diese Rolle Margaret Pole zu. Trotz ihres zarten Alters war Maria jedoch bereits eine wichtige Partie auf dem Heiratsmarkt. Sie war bislang die einzige Erbin, doch hoffte Heinrich weiterhin auf einen Sohn als Thronfolger. Obwohl England Frauen nicht prinzipiell von der Thronfolge ausschloss, war die Herrschaft der bislang einzigen Regentin Matilda von Unruhen und Krieg geprägt gewesen. Eine gekrönte Königin aus eigenem Recht hatte es in England bislang nicht gegeben und der Gedanke warf Fragen auf, ob der Adel sie akzeptieren würde, ob sie einen ausländischen Monarchen heiraten sollte und inwieweit eine solche Ehe England politisch abhängig machen würde. Angesichts dieser Probleme zögerte Heinrich, Maria offiziell zur Thronfolgerin zu ernennen. Seine Tochter sollte stattdessen eine Ehe eingehen, um die politischen Bündnisse ihres Vaters zu festigen. So wurde sie im Alter von zwei Jahren dem Dauphin Franz versprochen, dem Sohn des französischen Königs Franz I. Zu diesem Zweck fand eine Verlobung per Stellvertreter statt, in deren Verlauf die kleine Prinzessin Guillaume Bonnivet, den Stellvertreter des Dauphins, gefragt haben soll: „Seid Ihr der Dauphin? Wenn ja, möchte ich Euch küssen.“ Nach drei Jahren wurde die Verbindung jedoch wieder gelöst.

Schon im Jahr 1522 schmiedete Heinrich mit dem Vertrag von Windsor ein zweites Ehebündnis. Marias neuer Ehemann in spe war ihr Cousin ersten Grades und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Karl V. Katharina unterstützte diese Verlobung nach Kräften, indem sie im März 1522 dem spanischen Gesandten die Fähigkeiten ihrer Tochter vorführte. Dieser schrieb Karl V. voller Bewunderung, dass Maria die Eleganz, Fähigkeiten und Selbstkontrolle einer Zwanzigjährigen besitze. Von diesem Zeitpunkt an trug Maria häufig eine Brosche mit der Aufschrift The Emperour („der Kaiser“). Dennoch musste mit der Heirat bis zu Marias zwölftem Lebensjahr, dem damaligen Mindestalter für Eheschließungen, gewartet werden. Maria war erst fünf Jahre alt, Karl bereits einundzwanzig. Auch dieses Eheversprechen verlor wenige Jahre später seine Bedeutung, als Karl stattdessen die Prinzessin Isabella von Portugal heiratete.

Als Prinzessin genoss Maria eine fundierte Ausbildung unter der Leitung ihrer Erzieherin Margaret Pole. Neben ihrer Muttersprache Englisch lernte sie Latein, Französisch und Italienisch. Außerdem wurde die junge Maria in Musik unterrichtet und durch Gelehrte wie Erasmus von Rotterdam mit den Wissenschaften vertraut gemacht. Großen Anteil an ihrer frühen Erziehung hatte ihre Mutter, die ihre Studien regelmäßig überprüfte und der es gelang, den spanischen Humanisten Juan Luis Vives an den englischen Hof zu holen. Auf Katharinas Befehl schrieb Vives die Werke De institutione feminae christianae und De ratione studii puerilis, die ersten Lehrschriften für zukünftige Königinnen. Auf seine Anregung hin las Maria die Werke von Cicero, Plutarch, Seneca und Platon sowie Erasmus’ Institutio Principis Christiani und Utopia von Thomas Morus.

Der König gewährte Maria 1525 das Privileg eines eigenen Hofstaats in Ludlow Castle in den Welsh Marches, das als Sitz des Council of Wales and Marches das Machtzentrum des Fürstentums Wales sowie oft als Sitz der Prince of Wales, der Thronfolger diente. Sie wurde damit also wie ein Thronfolger behandelt. Allerdings wurde sie nicht zur Princess of Wales ernannt, wie eigentlich üblich. Ihr Vater erhob gleichzeitig seinen Bastardsohn Henry Fitzroy zum Duke of Richmond und Somerset, überhäufte ihn mit königlichen Ämtern und schickte ihn an die nördlichen Grenzen des Reiches, wie einen Prinzen. Hoffnung auf einen legitimen männlichen Thronfolger hatte der König nicht mehr. Die Königin war äußerst verärgert über die Erhebung Fitzroys und protestierte, „kein Bastard sollte über die Tochter einer Königin erhoben werden.“ Stimmen wurden laut, der König erwäge vielleicht, Fitzroy statt Maria zum Thronfolger zu machen. Der König verhielt sich aber zweideutig und traf zunächst keine Entscheidung betreffs der Thronfolge.

Im Jahr 1526 wurde auf Anregung von Kardinal Wolsey den Franzosen der Vorschlag unterbreitet, die Prinzessin nicht mit dem Dauphin zu verheiraten, sondern mit dessen Vater, dem König Franz I. von Frankreich. Eine solche Verbindung sollte in einer Allianz beider Länder münden. Da Franz bereits Söhne aus erster Ehe hatte, so der Vorschlag, würden die Thronfolgen von England und Frankreich getrennt bleiben und, falls Heinrich ohne weitere Nachkommen blieb, Marias Kinder den englischen Thron erben. Ein neues Eheversprechen wurde unterzeichnet, das eine Heirat Marias mit Franz I. oder dessen zweitem Sohn Heinrich, dem Herzog von Orléans, vorsah. Zwei Wochen lang hielten sich französische Gesandte in England auf, denen die Prinzessin vorgeführt wurde und die sich von ihr beeindruckt zeigten. Allerdings gaben sie zu bedenken, dass sie „so dünn, zart und klein ist, dass es unmöglich ist, sie innerhalb der nächsten drei Jahre zu verheiraten“.

Ab dem Jahr 1527 strebte Heinrich VIII. eine kirchliche Erklärung an, die Ehe mit Katharina für nichtig erklären zu lassen. Der König selbst behauptete, der Bischof von Orleans habe ihm die Frage gestellt, ob seine Ehe mit Katharina gültig sei, da Katharina vorher mit Heinrichs Bruder Arthur Tudor verheiratet gewesen war. Im Fall der Nichtigkeit der Ehe wäre auch Maria für illegitim erklärt worden und hätte als keine angemessene Partie für einen französischen Prinzen gegolten. Heinrich hoffte, Katharinas Hofdame Anne Boleyn heiraten und mit ihr Söhne haben zu können. Katharina weigerte sich standhaft, Heinrichs Plänen zuzustimmen.

Trotz der ehelichen Schwierigkeiten verbrachten Heinrich und Katharina noch immer gemeinsam Zeit mit ihrer Tochter, unter anderem im Sommer 1528, zu Weihnachten 1530 und im März 1531. Es zeichnete sich jedoch früh ab, dass Anne Boleyn Maria misstraute. Als der König Maria im Juli 1530 besuchte, sandte Anne Boleyn Diener mit ihm, um zu erfahren, was er mit seiner Tochter besprach. Der spanische Botschafter Eustace Chapuys1, eine sehr zwielichtige Gestalt, berichtete Karl V. zudem, dass der König überlegte, Maria mit Annes Verwandten, den Howards, zu verheiraten.

Obwohl Papst Clemens VII.2 die Nichtigkeitserklärung der Ehe strikt ablehnte, trennte sich Heinrich VIII. im Juli 1531 von Katharina. Er erkannte in der Folge den Primat des Papstes3 nicht mehr an und erklärte sich mit Zustimmung des Parlaments mittels der Suprematsakte selbst zum Oberhaupt der katholischen Kirche in England.

Was bei Papst Alexander VI. mit einem Federstrich erledigt worden wäre, war unter Clemens VII. nicht so einfach. Denn dieser Papst hatte Angst, furchtbare Angst vor Karl V. Und das hatte folgenden Hintergrund: Seit 1521 führten der spanische König und römisch-deutsche Kaiser, Karl V., mit Franz I. von Frankreich Krieg um die Herrschaft in Oberitalien. Clemens VII. wollte in diesem Konflikt zunächst neutral bleiben, doch näherte er sich in den folgenden Jahren der Seite Karls V. an. 1526 beendete er nach der Gefangennahme von Franz I. jedoch die Allianz mit Karl V. und schloss sich der Liga von Cognac an. Die kaiserlichen Truppen eroberten daraufhin Rom und es kam zum Sacco di Roma (Plünderung Roms).

Nachdem er sich zunächst in die Engelsburg gerettet hatte, musste er sich nach langer Belagerung und der Drohung seiner Gegner in Florenz, Caterina de’ Medici zu töten, ergeben. Er wurde gefangen genommen und die Medici wurden aus Florenz vertrieben. Am 29. Juni 1529 schloss Clemens VII. mit Kaiser Karl V. den Frieden von Barcelona. Er erhielt die Herrschaft über den Kirchenstaat zurück und die Medici Florenz. Die drohende Erste Wiener Türkenbelagerung im Herbst 1529 trug dazu bei, dass der Friedensschluss zwischen Clemens VII. und Kaiser Karl V. zustande kam. Am 24. Februar 1530 schließlich krönte Clemens VII. Karl V. in Bologna zum Kaiser.

Wegen der Reformation verlangte Kaiser Karl V. von Clemens VII. die Einberufung eines Konzils, dem leistete der Papst jedoch keine Folge. Auch die Forderung Heinrichs VIII., die Ehe mit Katharina von Aragón zu scheiden, lehnte Clemens VII. unter Verwendung der dadurch bekannt gewordenen Formulierung Non possumus ab, so dass der englische König sich und sein Land vom Papst lossagte. Es kam zu der Abtrennung der Church of England und damit zu einer weiteren Kirchenspaltung.

 

„Scheidung“ der Eltern und Heirat des Vaters mit Anne Boleyn

 

Im Januar 1533 heiratete der König seine mittlerweile schwangere Geliebte Anne Boleyn. Da ihr Kind nicht illegitim zur Welt kommen sollte, benötigte Heinrich ein kirchliches Dekret über die Nichtigkeit seiner ersten Ehe. Der Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, stellte nach einer Anhörung am 23. Mai die Ungültigkeit der Ehe zwischen Heinrich VIII. und Katharina von Aragon fest. Diese Erklärung sollte Maria zur unversöhnlichen Feindin Cranmers werden lassen.

Im Sommer 1531 musste ihre Mutter das Schloss Windsor verlassen und sich auf den Landsitz "The More" zurückziehen. Außerdem wurde ihr verboten, ihre Tochter zu besuchen, die seit 1525 als Prinzessin von Wales in Ludlow einen eigenen Haushalt und einen eigenen Rat besaß. Nur Briefe und Boten durften zwischen ihnen ausgetauscht werden.

Zudem wurde Katharina zur "verwitweten Prinzessin von Wales" und Maria "zur Lady Mary, des Königs Tochter" – ein Titel, den man illegitimen Königskindern zukommen ließ – degradiert. Damit verlor die 17-jährige Maria ihre bisherige Thronfolgeberechtigung.

Dagegen half auch nicht der Urteilsspruch, den das päpstliche Konsistorium in Rom am 23.3.1534 fällte, und der lautete: Die Ehe von Heinrich VIII. und Katharina war und ist gültig. Im Gegenteil regte sich der englische König so sehr über diese "römische" Einmischung auf, dass er Maria und Katharina von nun an auch jeden weiteren Boten- und Briefaustausch verbot.