Gunter Pirntke

 

 

Die letzte Nacht mit Miriam

 

Ein dokumentarisch-historisch-erotischer Roman

 

Impressum

Covergestaltung: Olga Repp

Digitalisierung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke


© 2017 andersseitig.de


ISBN

9783961184118 (ePub)

9783961184125 (mobi)


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Inhalt

Impressum

Handelnde Personen

Historische Ausgangslage

Prolog

Bei den Templern

König Philipp der Schöne

Miriam

Die Begegnung

Verrat

In Gefangenschaft

Anlage: Die Ordensregeln

Anlage: Die Schätze der Tempelritter

 

Handelnde Personen

 

 

Adam, Stallmeister

Agnes, Tochter des Nachbarn der Halveslebens

Alain Degrais, Polizeispitzel und Miriam Mann

Arnaud de Toroge, Graf

Berenger Sauniere, Pfarrer in Rennes le Chateau*

Bertrand de Blanchefort, Templergroßmeister*

Bonifatius VIII., Papst*

Clemens V., Papst*

Ein Schurke

Esquiu de Floryan, verurteilter Verbrecher und Denunziant*

Geoffroy de Charnay, Tempelritter*

Gaston de Blanquefort, Ritterburgbesitzer

Guillaume Imbert, Großinquisitor*

Guillaume de Plaisan, königlicher Minister*

Gunar von Halvensleben, alias Robert, Tempelritter

Hans von Halvensleben, Ritter

Jacques de Molay, Großmeister*

Jörg, Verwalter

Katharina Rupp, junge Frau

Martinet, Chef der Pariser Büttel

Mina, Dienstmädchen und Kammerzofe

Miriam de Blanquefort, Schankmagd

Philipp IV. von Frankreich, genannt der Schöne, König*

Pierre Dubois, königlicher Berater,*

Planchet, Frauenwirt

Raimundus Lullus, Alchemist und königlicher Berater*

Ulrich von Halvensleben, Geistlicher

Sophie, Hure

Theobald Gaudin, Templergroßmeister*

Wilhelm von Beaujeu, Templergroßmeister*

Wilhelm von Nogaret, königlicher Minister*

Yvonne, Schankmagd.

Erklärung

Bei Personen, die mit einem Stern versehen sind, handelt es sich um tatsächliche historische Personen.

Alle anderen Personen sind fiktiver Natur. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Historische Ausgangslage

 

Keine Stimme erhebt sich, kein Protest wird laut am 3. April 1312 in der Kathedrale zu Vienne, südlich von Lyon. Bischöfe und Fürsten aus ganz Frankreich tagen bereits seit einem halben Jahr in der Rhone-Stadt. An diesem Tag nun sind Menschen aller Stände zugegen, doch ein Kleriker hat den Anwesenden unter Androhung der Exkommunikation das Wort verboten. Schweigend blickt die Versammlung nach vorn. Dort, im Altarraum, haben unter einem Zeltdach die zwei mächtigsten Männer der Christenheit Platz genommen: König Philipp IV. von Frankreich und Papst Clemens V.

Papst und König könnten unterschiedlicher nicht sein: Hart und gesund wirkt der König. "Der Schöne" wird er genannt. Seit 1285 regiert er Frankreich und hat es zu neuer Größe geführt. Wortkarg ist er, fast schweigsam, festen Glaubens und eisernen Willens. Clemens dagegen, seit 1305 auf dem Stuhl Petri, sieht erschöpft aus. Seit Jahren zermürbt der Krebs seinen aufgedunsenen Leib. Sein heiliges Amt hat er allein Philipp zu verdanken – der König hat Clemens zum Papst gemacht und ihn genötigt, seinen Sitz in Frankreich zu nehmen statt in Rom.

In der Kathedrale von Vienne verkündet Clemens jetzt eine Entscheidung, die bereits wenige Tage zuvor, am 22. März, gefallen ist und über die Schriftsteller und Fantasten noch Jahrhunderte später spekulieren werden. In seiner Bulle Vox in excelso verfügt der Papst die Aufhebung des legendären Templerordens. Es ist der Schlussstrich unter das spektakulärste Inquisitionsverfahren des Mittelalters. Historiker erkennen in ihm heute einen Vorläufer der politischen Schauprozesse des 20. Jahrhunderts.

 

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Abb. 1 Tatzenkreuz

 

Neben Frankreichs König wiederholt Clemens noch einmal die ungeheuerlichen Anwürfe gegen die Glaubensritter. Spricht von „der Häresie, der Glauben und Seelen ausgesetzt sind". Von „schrecklichen Untaten". Die Templer sollen Novizen gezwungen haben, bei der Aufnahme das Kreuz zu bespucken, den Erlöser zu verleugnen und den Priester „unsittlich" zu küssen. Sie sollen einen Götzen verehrt und der "Sodomie" gefrönt haben, dem Sex unter Männern. Der Orden sei ein Hort der Ketzerei und Verderbtheit. Trotzdem werden auf dem Konzil von Vienne die Templer nicht de iure, nicht gesetzlich verboten, sondern per viam provisionis et ordinationis, also gleichsam auf dem Verwaltungsweg ausgelöscht – nach fünf Jahren Verfolgung, Folter und Zermürbung.

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Abb. 2: Balduin übergibt den Tempel Salomons an Hugo von Payens und Gottfried von Saint-Omer

Was war geschehen? Wie war der mächtigste Orden der Christenheit in diese Lage gekommen? Nicht lange war es her, da galt die zwischen 1118 und 1120 gegründete Gemeinschaft noch als Inbegriff frommer Ritterlichkeit. „Freue Dich, Jerusalem!", jubelte um 1130 der Zisterzienservater Bernhard von Clairvaux und bescheinigte der „neuen Miliz" Christi gleich doppelt Mut und Tapferkeit: im äußeren Kampf gegen die „Ungläubigen", die Muslime, und im Inneren gegen die unsichtbare Macht des Bösen.

1095 hatte Papst Urban II. zum Kreuzzug nach Jerusalem aufgerufen. Es war die Zeit der gregorianischen Kirchenreform, eine Phase religiöser Erneuerung, der starken Päpste und der geschwächten Könige. Der Templerorden war ein Kind jener Zeit.

Tausende zogen 1095 ins Heilige Land, nach „Outremer", wie es die Franzosen nannten. Zwischen 1098 und 1102 entstanden dort vier lateinische Staaten: die Grafschaft von Edessa, das Fürstentum Antiochia, das Königreich Jerusalem und die Grafschaft Tripolis. Doch die Fahrt zu den heiligen Stätten war nach wie vor gefährlich. Um die Reisenden gegen Banditen und Löwen zu verteidigen, gründete Hugues de Payens die Gemeinschaft zum Schutz der Jerusalempilger. Der König von Jerusalem gewährte den frommen Kämpfern Unterkunft in seinem Palast an der Südseite des Felsendoms, wo nach biblischem Glauben Salomos Tempel stand – daher ihr Name.

Nach erfolgreich abgeschlossenem Werbefeldzug für die Ritter Gottes begeht man dann das Konzil in Troyes am 13. Januar 1129. Viele hochrangige Personen aus Burgund und der Champagne sind anwesend. Auf dieser Synode erhalten die Tempelritter ihre Ordensregel, nach der sie nun in strenger Armut und Keuschheit leben müssen. Hier wird die Gliederung und der Aufbau des neuen Ritterordens besprochen. Viel Lob und Zuwendung erhalten die Templer vom Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux. Ob die Ordensregel der Tempelritter tatsächlich aus seiner direkten Feder stammt, ist nicht gesichert. Mancherlei Forschungen gehen davon aus, dass er die Ordensregel zumindest stark beeinflusst hat. Der Tempelritterorden hat seine Vorschriften bekommen und nebenbei seine neuen Mönchssoldaten rekrutiert.

Viele Historiker meinen auch, dass Hugo de Payen zusammen mit seinen Mitbrüdern, auf dem Konzil von Troyes eher Halt und Festigung gesucht hat. Es ist nicht einfach, Mönch und Soldat in einer Person zu sein. Nach Beendigung des Konzils von Troyes, verlässt Hugo mit seinen Ordensbrüdern das alte Europa wieder in Richtung Heiliges Land.

Arm sollen sie gewesen sein, die ersten Tempelritter. Noch haben sie nicht einmal ein Ordenskleid. In der Öffentlichkeit legen sich die Templer eine „Uniform" oder auch Ordenstracht zu. Die armen Ritter vom salomonischen Tempel tragen jetzt einen weißen Mantel. Und ab dem 27. April 1147 prangt dann das rote Tatzenkreuz auf ihrem weißen Umhang, auf der linken Schulter sitzend. Das ist sehr bedeutend, denn es bedarf der Erlaubnis durch Papst Eugenius lll., dieses Kreuz tragen zu dürfen. Also eine erneute Geste des Gewogenseins gegenüber dem jungen Orden der Tempelritter.

Ihr Siegel zeigt zwei Ritter, die sich ein Pferd teilen – Sinnbild für ihre Bescheidenheit, aber auch für die Doppelgesichtigkeit des neuen Instituts. Denn die Templer versöhnen, wie der französische Historiker Alain Demurger 1985 schrieb, „das Unversöhnliche": Sie sind Mönch und Krieger. Zwar finden sich einzelne „Waffenbrüder" schon in den Reihen der rund zwei Jahrzehnte zuvor gegründeten Johanniter, die den Pilgern im Heiligen Land Unterkunft gewähren und sie medizinisch versorgen. Die Tempelritter aber sind der erste geistliche Orden, der sich ganz dem Kampf widmet, ein Bund heiliger Krieger. Später verleiht ihm die Kurie weitreichende Privilegien: Die "Soldaten Christi" stehen nun unter Schutz und Schirm des Papstes. Sie haben eigene Priester, sind vom Zehnten befreit, ja dürfen ihn selbst erheben, und sie sind auch rechtlich allein Rom unterstellt.

Ihre Anziehungskraft ist groß. Überall in Europa treten kreuzzugsbegeisterte Adlige und Geistliche in den Ruhm verheißenden Orden ein. Könige geben Burgen und Ländereien, Bischöfe schenken Kirchen. Von Frankreich bis zur Iberischen Halbinsel, von England über die deutschen Lande bis Italien erwerben die Templer Grund und Boden und errichten Niederlassungen (Komtureien). Sie bauen Wein an und Getreide, sie züchten Vieh und unterhalten von der Mitte des 13. Jahrhunderts an sogar eine Mittelmeerflotte, um Krieger und Pferde zu verschiffen. Ohne diesen Rückhalt in Europa wäre der Orden rasch untergegangen – vernichtet im Kampf. Und ohne die Templer hätten sich die lateinischen Staaten nicht fast zwei Jahrhunderte lang im Vorderen Orient behaupten können.

Es ist verständlich, dass weltliche und geistliche Herren in den nächsten Jahren versuchen gegen diese Vergünstigungen der Templer bei den Päpsten Einspruch zu erheben, und werden, wie zu erwarten war, höflich abgewiesen. Kein Wunder dass die Mystifizierung der Templer weiter seinen Lauf nimmt.

Auch die nachfolgenden Päpste halten an den Zugeständnissen und Freiheiten gegenüber dem Tempelritterorden fest. Es drängt sich der Eindruck auf, als würde beide Parteien etwas ganz "Besonderes" verbinden.

Ausgestattet mit diesen großzügigen Privilegien stehen dem Orden nun weder Adel noch Könige im Wege. Wohl feindet man den Ritterorden andauernd an, doch die Päpste, wie sie auch heißen werden, halten stets ihre schützende Hand über die Mönchsritter. Die nächsten Hundertfünfzig Jahre des Templerordens sind geprägt von Wachstum, Erweiterung und Beständigkeit. Im Morgenland sind sie militärisch präsent. lm Abendland Iiefern die Verwaltungshäuser, die sogenannten Komtureien, das nötige Geld, um die Unternehmungen der Templer zu finanzieren. In ganz Europa werden neue Ordenshäuser errichtet. Sogar eine eigene Flotte wird angelegt, deren Stützpunkt das französische La Rochelle, am Atlantik gelegen, bildet.

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Abb. 3: Templer küsst Kleriker von hinten (Manuskript-Illustration, etwa 1350)

Die Tempelritter beschäftigen sich mit der Verwaltung ihrer Gelder, erfinden wohl die Urform von Wechsel und Scheck, und sind hervorragende Pfleger und Arzte. Allein in Frankreich gibt es über die zwei Jahrhunderte verteilt, einige tausend Ordenshäuser. Auch in Spanien, England, Zypern, Italien, Dänemark, Slawien, Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern finden wir die Ritter mit dem roten Tatzenkreuz.

Ihr Hauptbetätigungsfeld bleibt bis ins späte 13. Jahrhundert das Morgenland. Erst als die letzten Festungen der Kreuzritter im Heiligen Land fallen, sinkt auch der Stern der Ordensbrüder vom salomonischen Tempel zu Jerusalem. Vor allem nach dem Fall der Kreuzfahrerfestung in Akkon, im Juli 1291, deren Mauem bei den heftigen Kämpfen in Schutt und Asche sinken, werden die Mönchsritter ihrer offiziellen Aufgabe, dem Schutz der Pilger, beraubt. Wenig später zieht man um, und das Hauptquartier der Templer wird auf Zypern neu eingerichtet. In Paris spielt das Ordenshaus „le Temple" die zentrale Rolle um die Tempelritter. Zwar versucht der Orden, mit neuen Aufgaben ausgestattet, in Preußen Fuß zu fassen, aber dort sitzt der 1190 gegründete Deutsche Ritterorden fest im Sattel.

Darüber hinaus betätigen sich die Templer als Bankiers und Schatzmeister. Sie arbeiten mit hoch entwickelten Buchführungstechniken. Und bald lassen sogar Könige ihre Finanzen von ihnen verwalten. Die englische Krone nimmt Kredite auf. Im festungsgleich bewehrten Pariser "Temple" lagert während des 13. Jahrhunderts der französische Staatsschatz. Auf dem Höhepunkt ihres Wirkens sind die Templer „Kirche in der Kirche und Staat im Staate", wie der israelische Historiker Joshua Prawer 1980 feststellte. Im 13. Jahrhundert zählen sie rund 7.000 Ritter und andere Mitglieder, besitzen mindestens 870 Burgen und weitere Niederlassungen.

Doch mit dem Erfolg wächst auch die Gefahr. Denn vielen wird der Orden zu mächtig. Tatsächlich beginnen einige Staaten, die Templer in die Schranken zu weisen, und verhindern, dass sie noch mehr Land erwerben. Auch ist Kritik zu hören: Hochmütig seien die Templer geworden, gierig nach Ruhm und Gold, der Erfolg habe sie ihre Ideale vergessen lassen.

Dann kommt das Jahr 1291 und verändert alles. Schon lange wankt die christliche Herrschaft in Outremer, nun holen die Muslime zum entscheidenden Schlag aus. Akkon fällt, die Hafenstadt und letzte Bastion. Die Templer verlegen ihren Sitz nach Zypern. Das Heilige Land ist verloren. Der Orden scheint überflüssig geworden.

Die Ritter des nach Templervorbild gegründeten Deutschen Ordens konzentrieren sich nun ganz auf ihre Territorien im Nordosten Europas, die zur Keimzelle des späteren Preußen werden. Die Johanniter, die wenige Jahre später Rhodos zu ihrem Stützpunkt machen, führen mit einer starken Flotte den Kampf gegen die Türken. Die Templer aber wollen nur eins: das Heilige Land zurückerobern.

Im September 1291 wird Jacques de Molay, ein Mann aus niederem französischen Adel, ihr Hochmeister. Die Nachwelt hat ihn mal als tragischen Helden gezeichnet, mal als einen Mann des Mittelmaßes, mal gar als Feigling, der den Herausforderungen, vor denen er stand, nicht gewachsen war.

Wieder einmal wird es ruhig um den Templerorden. Bis zum Jahr 1304, als das letzte Kapitel des legendären und inzwischen sehr wohlhabend gewordenen Mönchsorden aufgeschlagen wird. Nach wie vor, müssen sich die Templer den Anfeindungen und Verleumdungen erwehren, die wie die vergangenen Jahrhunderte hindurch, auf ihrer Sonderstellung und den ihnen gewährten Privilegien beruhen.

Und noch immer, über 170 Jahre nach ihrer offiziellen Gründung, hält der Papst, welchen Namen er auch tragen mag, seine schützende Hand über die armen Ritter vom salomonischen Tempel Jerusalems. Es scheint als könnte man ein inneres Geheimnis fühlen aber nicht greifen. Die Templer umgibt auch in der letzten Periode ihres Bestehens, wie schon seit den Gründungsjahren des Ordens, eine mystische Aura.

Und das ist keine nachträgliche Interpretation von Historikern, sondern das spiegeln vor allem die zeitgenössischen Inquisitionsprotokolle wieder. Eine erstaunliche Sache. Denn hätte es sich während der zweihundert Jahre andauernden Existenz des Ordens immer wieder nur um Gerüchte und Spekulationen gehandelt, würde sich der Nimbus des Geheimnisvollen um die Templer, im Laufe der Generationen wohl verflüchtigt haben, wäre versickert. Irgend etwas aber, hat diese Gedanken des Geheimnisvollen und Rätselhaften am Leben erhalten können.

Und jetzt, das werden wir sehen, wird gerade dieser Nimbus des Geheimnisvollen, der die Tempelritter diese lange Zeit schon begleitet, dazu beitragen, dem Orden den Prozess machen zu können. Nur das aufrechterhaltene Mysterium um den Orden gestattet es dem geldgierigen und machtbesessenen französischen König Philipp lV., mit dem Beinamen „,der Schöne", den ehemals stolzen und reichen Ordensverbund regelrecht auseinander zu nehmen. Und das Seltsame: Die Ordensbrüder liefern nun selbst neue Nahrung für weitere Spekulationen, halten das Mysterium durch ihr eigenartiges Verhalten bis in unsere Tage am Leben. Denn Hunderte von Tempelrittern werden in den frühen Morgenstunden des 13. Oktober 1307 von den Häschern des Königs verhaftet. Keiner der Templer leistet irgendeine Gegenwehr.

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Abb. 4: Verbrennungen von Templern wegen angeblicher Sodomie und Ketzerei

Aber begeben wir uns zum besseren Verständnis nicht in jene Stunden der Verhaftungswelle, sondern ins Jahr 1303, als der französische König Philipp IV., der Schöne, seine Intrigen gegen den Mönchsorden zu spinnen beginnt.

Reich sind sie inzwischen geworden, unheimlich reich, die Ritter vom salomonischen Tempel von Jerusalem. Die Privilegien, die ihnen seit der Frühzeit ihres Bestehens zugesprochen wurden, haben den Ritterorden zu einer bedeutenden Macht im Staat verholfen.

Und das Vertrauen ihnen gegenüber ist riesengroß.

Sogar den Staatsschatz des französischen Königs bewachen die Tempelritter. Die zentrale Verwaltung und der Aufbewahrungsort ihrer eigenen Schätze befindet sich in Paris, in jenem mit vier Türmchen flankierten Hauptgebäude der französischen Tempelritter, das sich „le Temple" nennt. Etwa 60 Konten verwalten die Templer in ihrem Hauptquartier. Darunter Konten hochrangiger Personen aus dem Bereich der Kirche, von Kaufleuten und sogar das Vermögen des Königs. Ganz generell war es in den letzten Jahren zur Gewohnheit geworden, dass viele europäische Könige ihre Staatsschätze unter die Obhut des Templerordens stellten. In Spanien verwahrt man die Kronjuwelen des Königs von Aragon auf der Templerburg Monzon. Von Misstrauen seitens des Königs gegenüber den Tempelrittern kann zu diesem Zeitpunkt wohl keine Rede sein. Im Gegenteil. Der französische König ergeht sich in einem Brief in Lob und Zufriedenheit gegenüber den Templern und sichert ihnen sogar zu, seine

„königliche Freizügigkeit auf diesen Orden und seine Ritter auszudehnen".

Anders steht es zwischen dem französischen König und dem Papst. Innerhalb zweier Jahre, von 1303 bis 1305 sieht Europa drei Päpste. Der französische König Philipp IV., geht im Jahr 1303 hart gegen Papst Bonifatius VIII. vor. Die Hintergründe der Meinungsverschiedenheiten sind finanzieller Art.

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Abb. 5: Hugo von Payens und Gottfried von Saint-Omer bei König Balduin II. von Jerusalem (Darstellung aus dem 13. Jahrhundert)

Es geht um die Besteuerung des Königs, seitens des Papstes. Eigentlich Machtspiele, wer wohl das große Sagen hat. Schon seit 1295 war man sich uneinig gewesen. Und jetzt, im Jahr 1303 erhält der französische König Rückendeckung durch seinen neuen Berater Wilhelm von Nogaret. Es erscheinen Denunziationsschriften gegen Bonifatius, die von Fehlverhalten und sogar von Ketzerei sprechen. Als dieser dem König mit der Exkommunikation droht, eskaliert der Konflikt. Und plötzlich steht Nogaret am 07. September 1303 mit seinen Soldaten in der Tür des Papstes im italienischen Anagni. Der Papst wird mit einer eisernen Hand geschlagen und verstirbt nur drei Wochen später an den Folgen des Anschlags. Sein Nachfolger, Benedikt XI. versucht sich mit dem Monarchen gut zu stellen und bestätigt nebenbei dem Templerorden am 6. Februar 1304 alle seine Rechte. Auch Philipp IV. der Schöne, König von Frankreich kommt recht gut weg. Denn Benedikt XI. widerruft alle Maßnahmen, die sein Vorgänger gegen den König veranlasst hatte. Alles scheint in Ordnung zu kommen. Doch schon nach wenigen Monaten verstirbt der neue Papst ebenfalls recht plötzlich.

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Abb. 6: Jacques de Molay

 

Nebenbei benötigt Philipp der Schöne in jenen Jahren enorm viel Geld, und jetzt schon gleich, plant er doch zu einem neuen Kreuzzug ins Heilige Land aufzubrechen. Neben seinem exzellenten Berater Nogaret versuchen auch berühmte Persönlichkeiten wie der Alchemist Raimundus Lullus und ein gewisser Pierre Dubois, dem Monarchen Ratschläge zu erteilen, wie die Staatskassen wieder erquicklich sprudeln könnten. Interessant ist hier der Vorschlag von Raimundus Lullus, alle bestehenden Ritterorden zu einem neuen, großen Orden zu verbinden. Seinen Vorschlag unterbreitet er im Jahr 1305. Noch konkreter sind die Vorschläge von Dubois, der dem König in Flugschriften rät, den Orden der Templer zu verbieten. Das Vermögen der Templer könnte dann vom Staat vereinnahmt werden. Und so nimmt es nicht Wunder, dass zeitgleich die ersten Verleumdungen gegenüber den Templern zu hören sind.

Inzwischen ist auch ein neuer Papst gefunden. Überraschenderweise ist es ausgerechnet dieser neu gewählte Papst, der 45 jährige Bertram de Got, der die recht eigenwilligen Vorschläge von Lullus und Dubois, dem französischen König überbringt. Diesen ehemaligen Erzbischof von Bordeaux wählt man am 5. Juni 1305 zum Papst. Von ihm wird hier noch die Rede sein. Belastend für den Orden auch eine Geschichte, die im Volk kursieren und erzählt, der Großmeister der Templer, Jaques de Molay habe sich mit dem König angelegt, weil dieser aus der Kasse des Ordens unrechtmäßig eine Summe von 400 000 Gulden erhalten habe. Dadurch kommt es zu Verstimmung und Ärger zwischen König und Orden.

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Abb. 7: Fresko im Lateran von Giotto di Bondone -Ausschnitt- Papst Bonifatius VIII. ruft 1300 das erste Heilige Jahr aus

Und dann taucht auch noch ein gewisser Esquiu de Floryan auf, ein ehemaliger Gefängnisinsasse, der im Zuchthaus von Beziers in Südfrankreich, durch eingehende Gespräche mit einem einsitzenden Tempelritter, höchst aufschlussreiches über den Orden zu berichten weiß. Wir kommen noch einmal darauf zurück.

Das Drama beginnt 1306. Die Versuche der Templer, im Heiligen Land wieder Fuß zu fassen, sind allesamt gescheitert. Der Kreuzzugsgedanke aber lebt fort. Noch einmal will man vereint losziehen. Papst Clemens V. bittet den Templer-Hochmeister und den Hochmeister der Johanniter, Fulko von Villarets, zur Beratung über einen neuen Kreuzzug zu sich nach Poitiers.

Molay ahnt nicht, in welche Gefahr er sich begibt, als er nach Frankreich aufbricht. Seltsame Gerüchte kommen dem Hochmeister dort zu Ohren. Die Templer seien Ketzer, Götzendiener und Sodomiten. Ein gewisser Esquieu de Floyran hat dies verbreitet. Zunächst ist er beim König von Aragon vorstellig geworden, doch der glaubte ihm nicht, schließlich kämpfen viele Templer auf der Iberischen Halbinsel weiterhin gegen die Mauren. Daraufhin verkaufte der Denunziant sein brisantes „Wissen" dem französischen König. Dessen Räte und Minister, allen voran Guillaume de Nogaret, wittern die Chance, den mächtigen, lästig gewordenen Orden zu zerschlagen, und beginnen eine Kampagne. Eifrig sammelt Nogaret „Beweise", rekrutiert Zeugen, infiltriert die Templergemeinschaft mit Agenten.

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Abb. 8: König Eduard I. von England huldigt König Philipp IV. von Frankreich

Esquiu de Floryan ist ein südfranzösischer Mann, der die Flut an Beschuldigungen gegen den Tempelritterorden losbricht. Anfang 1305 erscheint er am spanischen Hof des Königs Jaime ll. von Aragon, um ihn für seine Geschichte und sein angebliches Wissen über geheime Machenschaften innerhalb des Ordens zu interessieren. Er spricht über ketzerische Einweihungsrituale, bei denen das Kreuz zu bespucken ist, und die Brüder Küsse austauschen würden. Er weiß von der Verleugnung Christi zu berichten und von einem Götzenbild, das von den Tempelrittern angebetet wird. Später wird man herausfinden, dass dieses Götzenbild mit dem Namen „Baphomet“, bezeichnet wird.

Ein Kultobjekt, das die Wissenschaftler und Autoren bis zum heutigen Tag beschäftigt, da dieser „Baphomet" ein Kopf von erschütterndem Aussehen, mit einem Bart sei, und später sogar in verschiedenen Orten Frankreichs in den Inquisitionsprotokollen genannt wird. Möglicherweise beruhen diese Aussagen auf einem wahren Hintergrund. Bis heute ist nicht eindeutig erklärt, was es mit diesem Kopf auf sich hatte. Oft wird das Objekt mit dem Grabtuch von Turin in Verbindung gebracht, dass sich seit Anfang des 13. Jahrhunderts in den Händen der Tempelritter befunden haben soll. Zusammengefaltet zeigt das Tuch tatsächlich den Kopf eines bärtigen Mannes. Ähnlichkeiten mit Abbildungen des Schweißtuches der Veronika sind ebenfalls gegeben. Gegen die Tuchversion sprechen aber Berichte, die den Kopf „Baphomet" aus Metall oder Holz beschreiben.