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Fritz Berger

Bäume in meinem Leben

Fotogeschichten aus der Schweiz und fernen Ländern

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Impressum

© 2020 Münster Verlag GmbH, Basel

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.

Umschlag und Satz:

Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Bern

Bilder:

Fritz Berger (wo nicht anders vermerkt)

Lektorat:

Manu Gehriger

Druck und Einband:

CPI books GmbH, Ulm

Verwendete Schriften:

Adobe Garamond Pro, Brandon Grotesque

Papier:

Umschlag und Inhalt, 135 g/m2, Bilderdruck matt, holzfrei

ISBN 978-3-907146-78-1

eISBN 978-3-907146-88-0

Printed in Germany

www.muensterverlag.ch

Inhalt

Über die Zeit hinaus schauen

Einleitung

In den Brüchen – Bäume meiner Kindheit

Die alte Linde bei unserem Haus

Zur Rösti frische Kirschen

Der Haselstecken im Schulzimmer

Bubenstreich am Zwetschgenbaum

Buchen zum Klettern und zum Heizen

Die Rottanne, die nicht verraten wurde

Die Stechpalme in den Brüchen

Vom geheimnisvollen Holunder

Der Hanslibireboum

Mit der Apfelernte nach Bern

Sturm im Saarbaum

Erlebnisse mit Edelkastanien

Bäume im südlichen Licht

Vom Leben unter der Platane

Der Feigenbaum und seine Frucht

Der Olivenbaum – seine Frucht, sein Öl, sein Holz

Das Lied vom Mandelbaum

Judasbaum – der wilde Frühlingsbote

Unter dem Juniperus Baum der lokalen Geschichte nachspüren

Kaki zum Abschied

Bäume im Himalaya – Erlebnisse, die bleiben

Im Land der Aprikose

Wie die Avocado nach Nepal kam

Kaffee vom eigenen Baum

Nepals Mandarinen-Gürtel

Erlebnisse mit Rhododendron

Die Zedern-Wälder von Kalam

Bäume, nahe bei mir – Sie prägten mein Leben

Eine Eiche für Bruno Manser

Besenreisig und Birkenrinde

Eine reiche Baumnussernte verspricht die Geburt eines Knaben

Schlafen auf dem Maulbeerbaum

Die Eibe – rote Beeren, rotes Holz

Der Eukalyptus und sein Siegeszug in den Anden

Verehrte Bäume – Mehr als Schattenspender

Die Ahornkrone ist eine Kirche

Fast alles war aus Eschenholz

Die Weisspappel vom Swat

Ein heiliges Baumpaar

Mutterbäume in Indien

Erkenntnis im Park von Vientiane

Nachgedanken

Nachwort

Der Autor

Dank

Über die Zeit hinaus schauen

«Gespiegelte Zeit» heisst ein Fotoband von Fritz Berger, der meiner Sprache ein neues Wort geschenkt hat, und damit auch eine besondere Sichtweise. Fritz Berger hatte alte Porträts hervorgesucht, die er vor Jahren in Griechenland, Pakistan oder Nepal gemacht hatte. Damit begab er sich auf die Suche nach diesen Menschen und stellte den vor Jahrzehnten entstandenen Bildern aktuelle Porträts gegenüber. Diese fotografischen Begegnungen über die Zeit hinaus lassen die Gesichter zu Geschichten werden. Das Betrachten der Momentaufnahmen verwandelt sie in bewegte Lebensbilder. Wie treffend ist hier der englische Begriff «Face» – er bezeichnet nicht nur das Gesicht, sondern ist auch ein Verb: «to face» meint die aktive Gegenüberstellung – «gesichtern» könnte dieses Tätigkeitswort in der deutschen Sprache lauten. Fritz Berger gesichtert mit seinen Porträts und spiegelt damit unser eigenes Leben.

Mit den Foto-Geschichten über Bäume in seinem Leben führt Fritz Berger dieses Gesichtern weiter: Mit seiner Kamera zeigt er uns Bilder, die wir sonst oft nur aus dem Augenwinkel wahrnehmen oder als Selbstverständlichkeiten übersehen. Plötzlich werden die alltäglichen Bäume in Hinterhöfen, an Strassenrändern, auf Hügeln oder in Wäldern aller Art zu Aufsehen erregenden Begleitern des Daseins. Sie weisen über die menschliche Lebenszeit hinaus und verbinden uns mit dem Geheimnis des Lebens.

Kein Wunder spielen Bäume in allen Religionen eine zentrale Rolle: von den Maya über die Druiden bis hin zum Buddhismus und zum Christentum. Der Lebensbaum ist als Archetypus ein wahrer Baum der Erkenntnis. Mit dem versteinerten Ästchen aus der namibischen Wüste blicken wir Hunderttausende von Jahren zurück. Die nur unter Wasser sichtbaren stämmigen Pfähle im Bielersee zeugen von Bauernkultur vor vier Jahrtausenden. Im Dachstuhl einer tausendjährigen Kirche erkennen wir Jahrringe, die schon die Zimmerleute damals zum Nachdenken bewogen haben. Auf dem geölten Eichenboden der alten Beiz tanzt noch die Hochzeitsgesellschaft vom 19. Jahrhundert einen Walzer. Und eine Wettertanne träumt an der Baumgrenze vom ewigen Frühling.

Wie schon bei den Gesichtern wirft mich Fritz Berger mit seinem Baum-Buch auf mich selber zurück. Und ich erinnere mich plötzlich, dass ich als Kind mit Inbrunst Bäume zeichnete, Bäume mit enormen und verzweigten Wurzeln. Noch heute fasziniert es mich, wenn ein Wurzelwerk sich durch den Asphalt kämpft oder ein Stamm einen Metallzaun umarmt und ungehindert weiterwächst.

Eigentlich bräuchten auch Bäume ein Verb. Denn sie stehen nie fertig da, sondern leben immer weiter. Sie wachsen nicht in den Himmel, aber verbinden diesen mit der Erde. Das spüren wir Menschenkinder wohl am besten beim Schwingen auf einer Schaukel an einem bäumigen Ast. Diese schwebende Lockerheit von Körper und Seele wird im Deutschen auch als Baumeln bezeichnet – schon Kurt Tucholsky baumelte mit der Seele. Logisch stammt das Wort vom Baum ab! Dank der Foto-Geschichten von Fritz Berger entdecke ich es nun ganz neu: baumeln – das brauchen wir.

Karl Johannes Rechsteiner

Kommunikationsberater, Geschichtenerzähler und Musikant – lebt in Signau im Emmental.

Einleitung

Dieses Buch ist zum Anschauen und Lesen. Es enthält 37 Geschichten aus meinem bewegten Leben. Eine meiner ältesten Erinnerung ist die alte, angebrannte Linde bei unserem Haus, wo ich aufwuchs. Überhaupt war meine Kindheit im Berner Hinterland vielfältig verbunden mit Erlebnissen in der Hostet (Obstgarten) und in den nahen Wäldern. Auch im Berufsleben und auf Reisen blieb ich Bäumen eng verbunden, wo immer ich war. Die wichtigsten Erlebnisse mit Bäumen teile ich in diesem Buch mit euch. Oder es sind Geschichten, die Bäume von mir erzählen, so kommt es mir heute manchmal vor.

Alle Geschichten habe ich erlebt und sie hier so aufgeschrieben, wie sie mir im Gedächtnis haften geblieben sind. Die Fotografien bereichern und ergänzen die Texte. Einige dokumentieren die Erzählung direkt. Andere – und das ist die Mehrzahl – zeigen zwar die Bäume, von denen die Geschichte handelt, wurden jedoch örtlich und zeitlich unabhängig fotografiert. Die meisten Aufnahmen habe ich gemacht. Stammen sie von einer anderen Person, steht sein Name oder unbekannt in der Bildlegende. Dort steht auch das Jahr und der Ort der Aufnahme.

Als Kind hatte ich die Leidenschaft alles zu erklettern – vor allem Bäume – um die Welt von oben betrachten zu können. Und wenn immer möglich, durchstreifte ich – allein oder mit meinen Brüdern – die Wälder und Täler der Umgebung. Als es um die Berufswahl ging, hätte ich gerne Förster oder Zimmermann gelernt. Doch beides blieben Träume, weil ich keine passende Lehrstelle fand. «Fritzli», sagte meine Mutter, (ich war damals 15) «du hast doch einen grünen Daumen.» Und so begann ich mit 16 in Niederscherli eine Lehre als Blumengärtner.

1962 im Alter von 24 Jahren ging ich auf die Insel Lefkas in Griechenland, um für zehn Jahre im Team des Christlichen Friedensdienstes (CFD) zu arbeiten. Es war eines der ersten Projekte in der sogenannten Entwicklungshilfe. Zu meinen Aufgaben gehörten auch Aufforstungen sowie der Oliven- und Fruchtanbau. Unterwegs zu den Bauern und auf Ausflügen hatte ich immer meine erste Kamera dabei. Es war eine Pentax Spotmatik, mit der ich die besten Bilder machte, wie sich später zeigte. Und da war noch der Maulbeerbaum neben unserem Wohnhaus in Nikoli, wo langsam meine erste Familie heranwuchs.

1972 folgte ein weiterer Einsatz als Bauernberater. Diesmal im fernen Nepal, begleitet von Dora und unseren drei Kindern. Dort beobachtete ich, wie Menschen heilige Bäume schützen und verehren. Ich staunte über die Bauern, die verschiedene Arten Laubbäume zogen, sogenannte «Futterbäume», um davon während der langen Trockenperiode Futter zu schneiden. Im Projekt förderten wir Mandarinen-Bäume und machten Versuche im Anbau von Apfel-, Haselnuss- und Kastanien-, aber auch Kaffee- und Avocado-Bäumen.

Mit meiner zweiten Frau und zwei Kindern reiste ich 1982 zum zweiten Mal in ein Projekt des Bundes (DEZA). Dieses Mal ins Hochtal Kalam im Norden von Pakistan. Gemeinsam mit lokalen Mitarbeitern war es meine Aufgabe, die Bauern auf dem Weg zum erwerbsmässigen Gemüseanbau zu unterstützten. Während der Arbeit und auf Wanderungen und Reisen fotografierte ich Menschen, Bäume und die faszinierende, fast unbekannte Bergwelt. Die Bewohner hatten einst ihre Arbeitsgräte selbst aus Holz angefertigt. Und auch im Haushalt wurden vorwiegend Holzgefässe verwendet, die von lokalen Handwerkern gedrechselt wurden. Doch von dieser «Holzkultur,» die wohl Jahrtausende gedauert hatte, sah ich in Souvenirshops nur noch die letzten Überreste.

Mit 50 Jahren hatte ich genug von Projektarbeit im Ausland und kehrte 1988 nach Bern zurück. Nach Kursen in Medienarbeit wagte ich es, den inzwischen in mir gereiften Wunsch zu realisieren, als selbständiger Fotograf zu arbeiten. Wie sich bald zeigte: Eine grosse finanzielle Herausforderung, um mit einer Familie durchzukommen. Mehrere tolle Fotoaufträge in der Schweiz und im Ausland hatten wiederum mit Bäumen zu tun. Und je älter ich wurde, umso stärker wuchs ihre Faszination in mir.

So fotografiere ich Bäume auch in Stockholm, wo ich nun lebe. Wobei ich vor allem versuche, die speziellen Eigenschaften der einzelnen Arten einzufangen. In dieser wundervollen Stadt und auf seinen vielen Inseln gibt es Dutzende gepflegter Parks und naturbelassene Wälder. Dank verbesserter Optik und Technik, lassen sich heute auch hochstehende Aufnahmen mit einer handlichen Taschenkamera realisieren. Und es war natürlich – oder Zufall – dass ich zum dritten Mal unter einem Baum – einem Avokado – heiratete.

Fritz Berger, Stockholm im Januar 2020

fritz@transhumana.ch

In den Brüchen
Bäume meiner Kindheit

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Friedenslinden in Borisried, 1993.

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Lindenblüten, 1963.

LINDE

Die alte Linde bei unserem Haus

Die alte Linde bei unserem Haus ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Ihr Schicksal hat mich tief berührt und wohl auch meine Liebe zu Bäumen geweckt. Sie stand ganz nahe beim alten Haus und wurde in der Feuersbrunst von 1935 angebrannt und geschwächt. Die Äste, die an seiner unbeschädigten Seite wuchsen und eine neue Krone bildeten, zeugten von ihrem eisernen Lebenswillen. Mich aber interessierte vor allem die andere, die verbrannte Seite. Immer wieder hielt ich mich dort auf und betrachtete das schwarze, verkohlte Holz. Es hatte bereits zu modern begonnen, und es fiel mir leicht, mit einem harten Gegenstand darinnen herumzustacheln und dabei Würmer, Tausendfüssler, Ameisen und Raupen aufzuschrecken, die ich noch nie gesehen hatte.

Jeden Frühsommer verbreitete sich der geliebte, intensive Duft der blühenden Linde um unser Haus. Mehrmals musste Mutter den Vater bitten, nun endlich die lange Leiter hervor zunehmen und in die alte Linde zu stellen. Dann war es auch eine Aufgabe von uns Kindern, mit umgehängtem Korb hinaufzusteigen und die hellgelben Blüten abzulesen. Diese breitete Mutter noch vor dem Abend auf dem Tisch in der Stube zum Trocknen aus. Noch heute ist mir der berauschende Duft in der Nase, der mein Zimmer beim Einschlafen erfüllte.