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DER DEVOTMACHER

 

 

Ein Dämonischer Pakt

 

 

Luca Berlin

 

 

 

Cover: Giada Armani

Copyright: BERLINABLE UG

 

 

Berlinable lädt dich ein, alle deine Ängste hinter dir zu lassen und in eine Welt einzutauchen, in der Sex der Schlüssel zur Selbstbestimmung ist.

Unsere Mission: Die Welt verändern - Seele für Seele.

Akzeptieren Menschen ihre eigene Sexualität, formen sie eine tolerantere Gesellschaft.

Worte der Inspiration, des Mutes, der Veränderung.

Öffne deinen Geist und befreie deine tiefsten Begierden.

 

 

Alle Rechte vorbehalten. Es ist nicht erlaubt, die Inhalte dieses eBooks ohne die ausdrückliche Genehmigung durch den Verlag zu kopieren, weiter zu verbreiten öffentlich vorzutragen oder anderweitig zu publizieren. Änderungen, Satzfehler und Rechtschreibfehler vorbehalten. Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buchs sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

1. Kapitel

„Lass es krachen, Johann“

 

Nein, stechende Augen hatte der Typ nicht. Es waren zwei stahlgraue Meißel, die sich einem in den Kopf hämmerten und freilegten, was besser im Dunkeln geblieben wäre. Die lange, witternde Nase darunter schien beharrlich selbst den feinsten Gefühlsregungen seines Gegenübers nachzuspüren. Und der Mund? Dieser große, überaus bewegliche Mund? Die fleischigen Lippen zuckten und zitterten, als wollten sie kosten und schmecken von dem, was da in der Luft lag.

Alles an diesem Mann schien Johann hässlich, nur seine Stimme nicht. Was Luc Pelletier auch sagte, samtig-weich glitten die Sätze aus seinem Mund: „So, du willst deine Nachbarin nicht nur ficken, du willst sie dir zur Hure machen. Sie besitzen wie einen Hund“, hörte er ihn sagen und es klang, als spräche er von zärtlichster Liebe.

Johann nickte und schwieg.

„Das ist kein Spiel. BDSM ist kein Spiel. Es kann deine Seele fressen. Dich mit Haut und Haaren verschlingen. Besonders so einen niedlichen, kleinen Knaben wie dich. Du wirkst schwach. Bist du ein Mädchen, Johann?“

Immer noch sprach Johann kein Wort und mühte sich nur, dem Blick Pelletiers standzuhalten. Er hatte gelernt zu schweigen. Schon seit vielen Jahren. So war das nun mal bei Stotterern. Wenn sich die Worte wie Zementblöcke auf der Zunge türmten, lag im Schweigen die Leichtigkeit und im Reden die Qual.

Er saß mit Pelletier an einem einsamen Tisch im ausgebauten Dachgeschoss eines alten Hamburger Fabrikgebäudes. Der Raum mit seinen unverputzten Steinwänden war riesig und fast leer. Da waren der Tisch und die beiden Stühle, auf denen sie Platz genommen hatten. Eine schlichte Stehlampe ragte daneben in die Höhe. Weiter hinten drängten sich ein zierliches samtblaues Sofa und ein eisernes Bettgestell eng an die rückwärtige Wand, als wären auch sie von der Weite und Düsternis des Raums eingeschüchtert.

Er hatte das alles wahrgenommen, als er hereingeführt worden war. Aber als Erstes hatte er überrascht hinauf ins schräge Dach geschaut, denn es war zu großen Teilen verglast. Wäre es noch Tag gewesen, hätte dies alles vielleicht sogar hell und freundlich gewirkt. Jetzt lastete die verregnete Dämmerung schwer und drückend auf der Fensterfront.

Johann hatte sich an einem ungewöhnlich kühlen und regennassen Septembertag auf den Weg zu Pelletier gemacht. Er war mit der S-Bahn bis ins südliche Stadtviertel Wilhelmsburg gefahren und von dort aus zu Fuß weitergangen. Durch seltsam unbelebte Straßen hatte ihn Pelletiers Wegbeschreibung geführt. Er war an schäbigen, fast unbewohnt wirkenden Mietshäusern vorbeigekommen, an baufälligen Baracken, in denen afrikanische Gebrauchtwagenhändler ihre Geschäfte betrieben, und immer wieder an weiten unkrautüberwucherten Brachflächen. Wenn er Menschen begegnet war, dann schienen sie aus allen Regionen der Welt zu stammen. Er hatte geglaubt, Äthiopier zu erkennen, Araber, Philippinos, Indios und Turkmenen. Europäische Gesichter hatte er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Schließlich war er überzeugt gewesen, sich heillos verirrt zu haben.

Wäre Johann in anderer Verfassung gewesen – besonnen statt verzweifelt, vernünftig statt voller Zorn –, hätte er vielleicht spätestens in diesem Augenblick kehrt gemacht. So aber war er trotzig weitermarschiert und hatte plötzlich vor dem Haus gestanden, so wie es Pelletier am Telefon beschrieben hatte. Das alte, quaderförmige Fabrikgebäude war in einem guten Zustand und schien sogar frisch renoviert. Dennoch passte es sich mit seinen dunklen Klinkermauern und den fast schwarz getönten Fenstern mühelos der düsteren Umgebung an.

Nur der Eingangsbereich wirkte anders. Er war luxuriös, wenn auch auf seltsam monströse und verruchte Art. Pelletier hatte von einem „netten afrikanischen Empfangskomitee“ gesprochen. Jetzt verstand Johann, was gemeint war. Links und rechts des Treppenaufgangs hockten – lebensgroß – zwei steinerne Gorillas. Grinsend entblößten sie ihre zentimeterlangen Eckzähne und strahlten eine rohe, fast obszöne Männlichkeit aus. Erst auf dem zweiten Blick war zu erkennen, dass der Bildhauer ihnen breite Stachelhalsbänder verpasst hatte. Johann fand, dass es den beiden Kreaturen sofort etwas Bemitleidenswertes gab. Zumal einer der beiden noch ein Schild um den Hals trug. „Verehrte Gäste, heute haben wir Ruhetag“, las er im Vorbeigehen, während er die Treppe heraufstieg.

Die Stufen führten zu einer dunkelgrünen gläsernen Eingangstür. Die rötlich-braune Steinplatte darüber war mit ihren hakeligen Schriftzeichen anscheinend einem altägyptischen Relief nachempfunden.

Kongo-Club GmbH, lautete die Inschrift.

Darunter stand in kleineren Buchstaben www.devotmacher.de. Links und rechts neben dem Schild spähten zwei kleine graue Kameras in die düstere Umgebung.

In Empfang genommen hatte ihn dann eine beharrlich schweigende ältere Frau, an deren Aussehen er sich schon jetzt kaum noch erinnern konnte. Sie hatte ihn nach oben geführt und auf einen der beiden Stühle am Tisch gedeutet. Johann aber war unschlüssig stehengeblieben, bis die Frau schließlich schulterzuckend wieder hinausgegangen war. Dann – keine Minute später – hatte Luc Pelletier das Dachgeschoss betreten. Mit großen Schritten war er quer durch den Raum auf ihn zugeeilt. Fast so, als hätte er Angst, dass sein Gast es sich im letzten Augenblick anders überlegen könnte. Johann aber hatte wie angewurzelt auf die Erscheinung gestarrt, die da auf ihn zumarschiert kam. Pelletier war riesig. Bestimmt deutlich über zwei Meter groß. Seine Hände, die er in einer überschwänglichen Willkommensgeste nach links und rechts ausgebreitet hatte, wirkten sogar noch größer. Sie hätten genauso gut zu einem Drei-Meter-Menschen gepasst, dachte Johann.

„So, du willst also auf die dunkle Seite der Macht kommen“, hatte Pelletier gesagt und dabei den zischenden Tonfall Darth Vaders aus „Star Wars“ nachgeahmt. Der Scherz konnte Johanns Unbehagen nicht wirklich beseitigen, aber er musste trotzdem grinsen. Er nickte. Ja, das wollte er. Mehr als alles andere sogar.

Bei Pelletiers nächsten Sätzen erfüllte dann die Samt-Stimme den Raum, die ihn schon am Telefon betört hatte. Johann fühlte sich an die warmen, perlenden Töne eines Saxophons erinnert: „Wie gefällt dir meine Hamburger Residenz?“, hörte er sein Gegenüber sagen. Ohne auf eine Antwort zu warten, redete Pelletier weiter: „Von allen Fenstern auf dieser Seite siehst du direkt auf die Elbe. Ich liebe Städte am Fluss. Eigentlich bin ich Belgier. In Gent geboren, aber ich habe viele Jahre in Kinshasa gelebt. Es liegt am Kongo, einem der mächtigsten Flüsse der Welt. In Kinshasa trägt er Tag für Tag die absonderlichsten Dinge und Menschen herbei. Er durchfließt Regionen, die euch Europäern so fremd sind, als wären sie gar nicht auf diesem Planeten. Ein herrlicher Fluss, ein herrliches Land. Heute nennt es sich „Demokratische Republik Kongo“. Früher war es schlicht und einfach Belgisch-Kongo. Warst du jemals dort?“

Johann schüttelte den Kopf. Die grauen Augen des Belgiers fixierten ihn, als forschten sie nach dem geringsten Anzeichen einer Lüge. Sie schienen nichts zu entdecken, denn Pelletier redete ebenso freundlich wie gelassen weiter.

„Ach nein, ihr jungen Leute fahrt ja lieber nach New York oder London anstatt nach Zentralafrika. Wenn ihr wüsstet, was euch entgeht im...“ – Er machte eine kurze, effektvolle Pause, dann sprach er weiter: „…im Herzen der Finsternis. So hat der Schriftsteller Joseph Conrad den Kongo genannt. Die alten Ägypter nannten ihn das Land der Geister.“

Als wolle er diese Geister hier und jetzt beschwören, hob der Mann seine riesigen Hände und ließ sie langsam herunterfahren. Seine Finger tanzten dabei vor und zurück.

„Ganz schön unheimlich, diese Vorstellung, nicht?“, sagte er. „Tausende von Jahren liegen dazwischen und die Menschen tragen die gleichen Gefühle im Herzen, wenn sie an dieses Land denken.“

Er lachte, und es klang sanft und ansteckend. Dennoch war Johann irritiert. Gefühle im Herzen tragen? Dieser Mensch sprach, als hätte er sich nicht nur aus Afrika hierher verirrt, sondern auch aus einer fernen, vergangenen Epoche. Wenn dem so war, hatte er sich allerdings gut gehalten. Johann schätzte ihn dem Aussehen nach allenfalls auf 45. Die dichten, glänzend schwarzen Haare, die ihm in einer ziemlich extravaganten Frisur bis auf die Schultern fielen, ließen ihn eigentlich sogar noch jünger wirken. Aber vielleicht gehörten derlei geheimnisvolle Äußerungen für jemanden auf der dunklen Seite der Macht einfach zum guten Ton.

Monsieur Darth Vader zeigte jetzt mit seinem ausgestreckten rechten Arm in den Raum hinein. Er begann irgendetwas über das Dachgeschoss zu erzählen. Aber beim Blick auf Pelletiers rechte Hand war Johann jetzt noch viel mehr abgelenkt. Er begriff, was ihn schon die ganze Zeit an diesen Händen irritiert hatte. Es war nicht ihre Größe, sondern die Zahl der Finger. Pelletier hatte sechs an jeder Hand! Sicher, Johann hatte gehört, dass es dieses Phänomen gab. Es tatsächlich zu sehen, war trotzdem ein kleiner Schock. Er musste sich zwingen, nicht ein Stück vor Pelletier zurückzuweichen.

Aber wie lächerlich war das? Er war hier, weil er Rache wollte. Er hatte sich an diese Person gewandt, weil sie ihm Hilfe verhieß, und zwar auf eine Art, wie man sie allenfalls aus Gruselfilmen und Geisterromanen kannte. War da eine sechsfingrige Hand nicht wie ein Versprechen auf genau dies?

Johann mühte sich, seinem Gegenüber zuzuhören. Immer noch redete Pelletier über das Dachgeschoss: „Ein wenig leer noch, aber das werden wir ändern. Dies hier wird unser Spielzimmer. Richtig gemütlich wollen wir es uns machen. Mit Strafböcken, Liebesschaukel, Andreaskreuz und all den anderen netten Dingen. Wir verkaufen derlei Accessoires, wie du ja weißt. Natürlich nur in erstklassiger Qualität und mit ganz außergewöhnlichen Funktionen.“

Pelletier deutete vage in die andere Richtung des Raums und fuhr fort: „Vielleicht gibt’s auch eine Ecke, die wir als Klassenraum herrichten. Du weißt schon. Holzbänke. Rohrstöcke. Unartige Mädchen mit kurzen Faltenröckchen und blütenweißen Höschen darunter. Da steh ich drauf. Das ist so schön europäisch.“

Er lachte vergnügt und wies auf einen der beiden leeren Stühle. Nachdem sie sich hingesetzt hatten, schaltete Pelletier die Stehlampe neben dem Tisch ein. Außerhalb ihres scharf umrissenen Lichtkreises herrschte sofort tiefste Dunkelheit. Der letzte Rest Tageslicht, der durch die Scheiben sickerte, schien die Schwärze eher zu verstärken als aufzuhellen.

„Nun zeig mir das Foto. Ich bin ja so was von neugierig“, erklärte Pelletier.

Johann holte es aus seiner Jackentasche und legte es auf den Tisch. Zwei Mädchen waren darauf zu sehen. Irgendwo unter spanischer Sonne lachten sie dem Betrachter fröhlich entgegen. Links grinste Jen in die Kamera. Sie trug beige Shorts und ein ausgewaschenes rosafarbenes T-Shirt. Den gebräunten schmalen Arm hatte sie um die Schultern ihrer Freundin Sofie-Kristin geschlungen. Auch Jens schlanker Körper war dieser zugewandt. Ihr Blick unter etwas zerzausten weizenblonden Haarsträhnen hindurch aber flirtete mit dem Fotografen. Johann kannte diesen Blick. Er traf einen irgendwo dort, wo eigentlich ein Warnschild mit der Aufschrift „Leicht entzündlich“ hingehörte, und ehe man sich’s versah, stand man lichterloh in Flammen. Johann tat es seit jenem Morgen im Mai, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Im Treppenhaus. Sie waren Nachbarn und wohnten Tür an Tür. Jen war gerade eingezogen.

„Oh hallo, du musst J-Punkt sein“, hatte sie gesagt und links an ihm vorbei auf das schwarze Namensschild an seiner Haustür geschaut. „J. Gutenberg“ stand drauf. In weißer Blockschrift unter der Türklingel, die niemand benutzte, weil Johann niemals Besuch bekam.

„Ich bin Jennifer Wagner. Die neue Nachbarin“, hatte sie gesagt.

„Johann G... G... G... Gutenberg“, hatte er geantwortet und war froh gewesen, seinen Namen halbwegs flüssig ausgesprochen zu haben, angesichts des himmlischen Wesens, das sich da in seine Nähe verirrt hatte. Seltsamerweise hatte er bei ihrem Anblick sofort an Süßigkeiten gedacht. An biegsame, weiche, rosafarbene Marshmallows, die nach Erdbeeren rochen und im Mund bissfest wie ein zartes Stück Fleisch waren, um im nächsten Augenblick zuckrig dahinzuschmelzen.

„Wie der Erfinder des Buchdrucks“, hatte er dann an diesem Morgen im Treppenhaus zu Jennifer Wagner gesagt, und weil er so glücklich gewesen war, dass er diese Worte vollkommen klar hatte herausbringen können, hatte er sie erleichtert angestrahlt, und sie hatte sein Lachen erwidert und ihm diesen Feuerteufel-Blick zugeworfen. Fahrlässige Brandstiftung nannte man so etwas wohl.

Er war sich sicher, dass sie auch damals das rosafarbene T-Shirt getragen hatte. Es war nur noch nicht so ausgewaschen gewesen wie auf dem Foto. Um die Hüfte herum hatte es einen Streifen heller, fast weißer Haut unbedeckt gelassen. Unendlich zart und verlockend war ihm dieses Stückchen Nacktheit vorgekommen und er hatte sich plötzlich nichts sehnlicher gewünscht, als es ganz sanft mit seinen Fingerkuppen berühren zu dürfen.

Die engsitzende dunkelblaue Jeans unter dem Shirt hatte fast perfekte, vielleicht etwas zu stämmige Beine präsentiert. Als sie sich umwandte, um ihre Tür zuzuschließen, tat sie es mit einer runden, fraulichen Bewegung, die seinen Blick fast automatisch auf ihr Hinterteil lenkte. Er fand es atemberaubend weiblich, mit seiner langen Pospalte und den birnenförmigen Hinterbacken, die obenherum in ungewöhnlich schmale Hüfte übergingen, während sie sich zur Mitte hin fast schon herausfordernd gegen den Jeansstoff pressten.

Die Vorstellung, vorzutreten, diese Hinterbacken zu streicheln, aber – mehr noch – sie durch kurze, kräftige Schläge seiner Hand erbeben zu lassen, war köstlich und geradezu überwältigend gewesen.

Gierig und hungrig und brennend hatte Johann dem Marshmallow-Mädchen hinterhergeschaut, als es in seiner neubezogenen Zweizimmerwohnung verschwunden war. Er konnte sich sehr gut daran erinnern, denn er blickte jetzt mit genau den gleichen Gefühlen auf das Foto. Wer mochte die Aufnahme gemacht haben? Ein glutäugiger Spanier, der sich sofort und auf der Stelle in Jennifer Wagner verguckt hatte, so wie Johann? Bei seiner Stalker-Aktion heute Vormittag, als er heimlich in ihre Wohnung gegangen war, hatte er nicht nur die Urlaubsfotos gefunden, sondern auch den Brief von einem Juan Irgendwas. Aber Johann glaubte nicht, dass er Jen etwas bedeutete. Sie hatte den Brief mitsamt den Urlaubsfotos in einer blassblauen Pappschatulle abgelegt und ganz hinten auf den Kleiderschrank gestellt. Juan Irgendwas war Vergangenheit.

Aber immerhin hatte er es mit seinen schriftlichen Ergüssen – wie altmodisch, ein Brief, keine Mail! – bis in die Schatulle mit sonnigen Urlaubserinnerungen geschafft. Bei Johann selbst hatte es nur zu einem Auftritt als jämmerlicher Clown gereicht. Der stotternde Idiot aus der Nachbarschaft. Gerade gut genug, um selbst einer engelsgleichen Schönheit gemeine Scherze zu entlocken. Aber das würde sich radikal ändern. Genau deswegen war er hier.

„Ein süßes kleines Ding ist sie“, hörte er Pelletier jetzt sagen. Der Belgier starrte auf das Foto. Die grauen Augen schienen es geradezu aufzusaugen. Dann sprach er weiter: „Ihre Titten sind winzig, aber sonst? Sehr appetitlich. Sie ist Verkäuferin in einer Mode-Boutique, sagst du? Sie wird ihren Job hervorragend erledigen. Alles werden ihr die Männer für ein verheißungsvolles Lächeln abkaufen. Den Frauen aber wird sie solange nach dem Mund reden, bis sie sich wie Königinnen fühlen, und dann werden sie königliche Sümmchen ausgeben. Unsere Jennifer Wagner ist ein wirklich böses, hintertriebenes Mädchen und sie hat Strafe bitter nötig, wo sie doch so gemein zu dir war. Was hat sie geantwortet, als du ihr so schüchtern und zurückhaltend deine zarten Gefühle gestanden hast?“

Johann schwieg verbissen. Er hatte es Pelletier schon am Telefon berichtet und es hatte endlose Minuten gedauert, ihm seine Schande zu erklären. Aber er brauchte auch nicht zu antworten. Pelletier übernahm das für ihn. Er sagte es affektiert und mit mädchenhaft hoher Stimme: „Du bist nicht mein Ty… Ty… Typ.“

Dann beugte Pelletier seinen langen Oberkörper weit über den Tisch zu Johann hinüber. „Die kleine Schlampe hat dein Stottern nachgeäfft. Wie gemein und billig ist das denn? Dafür muss sie büßen“, zischte er, und es klang nach gerechtem Zorn und kumpelhaftem Mitgefühl.

Er lehnte sich wieder zurück: „Wie bist du übrigens auf meinen Namen gekommen?“, wollte er wissen. Ganz beiläufig fragte er es.

„Vi... Viii... Viiisitenkarte, Internet, Er... Er... Errrr… Erinnerung“, holperte sich Johann durch die Antwort.

„Erinnerung? Was weißt du von damals?“ – Keine Samtstimme mehr. Schneidend wie ein Samurai-Schwert klang Pelletier jetzt. Einschüchternd war das. Vor allem, weil es so überraschend kam. Johann war klar, dass er jetzt überhaupt keinen Satz mehr hervorbringen würde. Sein Mund klappte hilflos auf und zu, wie bei einem Karpfen, den gerade ein Angelhaken aus seinen Teich gerissen hatte. Er wusste, wie lächerlich er aussah.

„Nnnur, dddass… Nnnur, ddddass… Nnnur, ddddass…“

Dann zuckte er heftig zusammen. Pelletiers Hand hatte sich plötzlich auf seinem Unterarm geschoben. Sechsfingrig lag sie da, als hätte sie sich aus einem fernen Kosmos hierher verirrt. Was dann passierte, schien ebenso unwirklich. Obwohl der Kontakt kaum spürbar war, genügte er, um einen quecksilbrigen Energiestoß den Arm hinaufzujagen. Sogar Johanns Kopfhaut prickelte. Seine Lippen und seine Zunge wurden erst taub, dann warm. Es war nicht unangenehm.

„Nur was?“ – Die Samtstimme war zurückgekehrt.

„Nur, dass Sie anscheinend irgendetwas mit meinem Vater zu tun hatten. Ich glaube, dass er Sie manchmal um Hilfe gebeten hat, um Ihren Rat in diesen Dingen. Mehr weiß ich nicht. Ich habe es Ihnen doch schon erzählt, ich kann mich wegen der Verletzung an fünf Jahre meines Lebens praktisch nicht erinnern. Sie hat nicht nur mein Sprachvermögen geschädigt, sondern auch eine partielle Amnesie verursacht.“

Johann tat einen tiefen, überraschten Atemzug. Das alle hatte er hervorgebracht, ohne ein einziges Mal zu stottern. Sicher, auch im normalen Leben konnte er hin und wieder einwandfrei formulieren, so als wäre seine Behinderung selbst kurzzeitig gestört. Hier und jetzt aber war es ein erstaunlicher Effekt. Sein Mund fühlte sich seltsam leicht an und er wusste, dass ihm auch die nächsten Sätze problemlos über die Lippen gehen würden. Trotzdem erfüllte ihn das Ganze mit Widerwillen. Irgendwie war es nicht recht, dass diese Person eine derartige Macht besaß. Es war falsch, wenn eine kurze Berührung beseitigen konnte, was ihn so viele Jahre gequält hatte.

Zornig schaute er Pelletier an und seine Wut wuchs, als er dessen mitleidigen Gesichtsausdruck bemerkte. Es wirkte übertrieben und aufgesetzt. Besonders, als Pelletier jetzt sprach: „Armer kleiner Johann. Da bist du noch nicht mal dreißig Jahre alt und trägst schon solche Lasten mit dir herum. Stottern, Amnesie, der Vater tot und in ein schreckliches Verbrechen verstrickt, und dann noch unglücklich verliebt – und dazu lebst du wie ein Einsiedler da oben im elften Stock in dieser monströs großen Wohnung in Ohlsdorf. Was für ein langweiliger Stadtteil. Aber jetzt willst du es endlich krachen lassen. Willst deinen Trieb, dein Verlangen ausleben. Bravo.“

Er klatschte tatsächlich ein paar Mal in die Hände, dann kehrte sein Blick zu Jen zurück: „Was für ein schönes Foto du mitgebracht hast. Hat es dir gefallen, ihre Wohnung zu durchwühlen? Hast du an ihrer getragenen Unterwäsche gerochen, ihren Vibrator befingert und an ihren Tampons gelutscht? Du bist ja ein richtiger kleiner Stalker.“

„Arschloch.“

Eigentlich hatte Johann das Wort nur gedacht, aber sein Mundwerk hatte es wie von selbst ausgesprochen – pflichteifrig, wie es gerade seinen Dienst erfüllte, und Johann stellte fest, dass er sich ziemlich gut dabei fühlte. Wut war eindeutig das bessere Gefühl als Angst oder Unbehagen in der Nähe dieses Typen, fand er. Mr. Spinnenfinger konnte ihn mal kreuzweise. Herausfordernd sah er Pelletier an. Der aber lachte nur. „Ich mag dich, Johann. Auch wenn du ganz anders bist als dein Vater“, erklärte er.

„Was wissen Sie über ihn?“

Da war jetzt kein Zorn mehr, sondern nur noch bange Erwartung. Atemlos und fast flüsternd hatte Johann die Frage hervorgestoßen. Aber Pelletier lächelte nur dünn und Johann wusste, noch bevor sein Gegenüber sprach, dass er eine ausweichende Antwort erhalten würde – und so war es.

„Ach Johann“, säuselte Pelletier, „die Vergangenheit ist passé. Glaub mir, ich beneide dich um deine Unwissenheit. Du ahnst ja nicht, wie viele hässliche Erinnerungen sich ansammeln, wenn man erst einmal so alt ist wie ich.“

Er beugte sich über das Foto und starrte auf Jen. Als Johann weiterfragen wollte, gebot er ihm mit einer heftigen Geste zu schweigen.

„Still jetzt. Lass mich schauen, ob die Voraussetzung für eine Vereinbarung gegeben ist. Nicht jede Frau ist geeignet, dein Verlangen zu befriedigen. Auch das Weib braucht die Neigung – die Sklaven-Software, sozusagen. Wir wollen doch sichergehen, dass eure sexuellen Eskapaden einvernehmlich passieren“, sagte Pelletier und zerkaute dabei das Wort „einvernehmlich“ in seinem Mund – so sehr, dass es nur noch lächerlich und falsch klang.

„Aber fang gar nicht erst mit diesem Safeword-Scheiß an“, zischte er plötzlich und erinnerte Johann wieder an Darth Vader. „Was für ein jämmerlicher Brauch bei euch in Europa. Ein Dom zum Ausschalten. Ganz wie es der Sklavin beliebt. Selbstkastration nenn ich so etwas. Einfach abscheulich.“

Er schüttelte heftig den Kopf über diese zutiefst empörende Gepflogenheit. Dann, im nächsten Augenblick, hatte er das Bild in der Hand. Das ging so schnell, dass Johann die Bewegung nicht einmal wahrnahm. Vielleicht lag es aber auch nur am diffusen Licht der Stehlampe. Pelletier trug zudem einen dunkelgrauen Anzug, darunter ein Hemd in der gleichen Farbe. Seine Konturen verschmolzen fast mit der nachtschwarzen Umgebung außerhalb des Lichtkreises. Und dennoch: Dieser Effekt war ziemlich beeindruckend, musste sich Johann eingestehen.

Pelletier starrte unterdessen auf das Foto. Er runzelte die Stirn. Seine Lippen waren gespitzt, als würden sie eine unsichtbare Flüssigkeit einschlürfen. „Sie riecht nach Erdbeeren und Vanille. Benutzt sie Les Iles Vanille von Perlier?“

Johann nickte verblüfft. Er hatte den Flakon mit dem Parfum in ihrem Bad stehen sehen.

„Und ihre Wohnung? Ein Traum in Pastellfarben, direkt von Ikea? Dazu kleine Stofftierchen und kitschiger Nippes? Ihre Musiksammlung? Musicals, André Rieu, David Garrett und anderes schmalziges Zeug?“

Johann stimmte wieder zu. Wie auch immer Pelletier es anstellte, zu seiner Verblüffung war alles, war es sagte, absolut richtig.

„Wie niiiiiedlich. Eine richtige kleine Barbie-Puppe. Aber steht sie auch darauf, wenn ihr Ken zur Peitsche greift? Wird sie feucht, wenn ihr Arsch und ihre Titten gestriemt werden?“

Pelletier starrte und starrte. „Wie seltsam“, erklärte er angespannt. „Ja und Nein sagt sie zu mir. Will nicht recht antworten, die kleine Schlampe. Ist sowohl das eine als auch das andere. Komm schon, Püppchen, mach die Beine breit. Zeig dem Onkel dein Allerheiligstes.“

Johann beobachtete ihn gebannt. Er hatte plötzlich ein Gefühl, als würde sein Leben von dieser einen Antwort abhängen. Endlich redete Pelletier weiter: „Oh, sie ist eine kleine Scheherazade. Sie mag’s orientalisch, steht ein bisschen auf Tausendundeine Nacht. Das ist gut. Das ist gut. Nimm den Schleier ab, meine Wüstenblume. Bist du in deinen Träumen ein hilfloses Haremsmädchen? Eine kohläugige Huri? Spielzeug eines grausamen, hakennasigen Scheichs?“

Mit größter Erleichterung sah Johann, wie Pelletier schließlich zögernd nickte.

„Es wird gehen. Ich mach sie dir devot, Johann, aber du musst gut sein. Du wirst ein strenger und konsequenter Dom sein müssen.“

Zweifelnd schaute Pelletier ihn an. „Wirst du das hinkriegen?“

Johann nickte. Natürlich würde er es hinkriegen. Er war bereit, Jennifer Wagner zu geben, was sie verdiente – und noch hundertmal mehr, wenn es sein musste.

Pelletier wandte sich unterdessen wieder dem Foto zu.

„Wer ist das zweite Mädchen?“, wollte er wissen.

„Jens beste Freundin. Sie heißt Sofie-Kristin.“

„Auch eine Schönheit. Sehr weiblich. Ich mag es, wenn sie ordentlich was auf den Rippen haben. Außerdem hat sie wenigstens anständige Titten“, erklärte Pelletier, um sich gleich wieder in das Foto zu versenken.

Diesmal aber schüttelte er nach einer Weile bedauernd den Kopf: „Wie schade, sie passt nicht ins Bild. Ist keine von uns. Furchtbar dünn ist außerdem ihr Lebensfaden. Armes Mädchen, bist einfach in die falsche Geschichte geraten.“

Er legte das Foto wieder auf den Tisch. Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber. Pelletiers seltsame Worte über Sofie-Kristin waren Johann in diesem Augenblick vollkommen gleichgültig. Jen allein zählte. Zum ersten Mal spürte er tatsächlich so etwas wie Triumph und eiskalte Vorfreude. Er sah sie wieder vor sich, als sie ihn draußen vor dem Haus in der Alsterdorfer Straße – genau dort, wo der Weg zwischen den Rosenstöcken vorbeiführte – mit ihren bösen Sätzen binnen Sekunden vernichtet hatte.

Wie ungläubig und schockiert er registriert hatte, was sie ihm da gerade sagte. Ihr hatte es Spaß bereitet. Ihre Augen hatten gefunkelt und ihr Mund war ganz klein und spitz geworden, so als wollte sie ihn küssen, und doch hatte sie ihn voller Vergnügen gequält.

„Wir kommen jetzt zum Ritual“, hörte er Pelletier da sagen. Mit einem Schlag richtete Johann seine Aufmerksamkeit wieder auf den Belgier. In fast schon geschäftsmäßigem Ton erklärte Pelletier: „Ein Ritual gehört schließlich dazu. Keine gute Magie ohne ordentlichen Hokuspokus, nicht wahr?“

Dann sah Johann, wie sein Gegenüber die riesigen, sechsfingrigen Hände über den Tisch streckte. Sie waren zu Fäusten geballt und Johann spannte unwillkürlich alle seine Muskeln an. Hatte der Mann vor, ihn zu schlagen? Johann war ziemlich durchtrainiert. Egal, wie stark und schnell Pelletier sein mochte, er würde es ihm nicht leicht machen. Unwillkürlich machte er sich bereit, aufzuspringen und in Verteidigungsposition zu gehen. Da öffnete Pelletier langsam seine Hände und Johann starrte auf zwölf einzelne Flammen. Sie brannten auf den Fingerkuppen!

„Es wird übrigens sehr schmerzhaft“, hörte er Pelletier sagen, während er auf die Flammen starrte. Unwillkürlich versuchte er, den Geruch verbrannter Haut wahrzunehmen. Aber da lag nur der muffige Staub des Dachgeschosses in der Luft. Konnte es wirklich einen Trick geben, der diesen Effekt möglich machte? Er wusste nicht, wie lange er auf die brennenden Hände schaute, aber es kam ihm endlos vor, und diese Flammen hörten einfach nicht auf, fröhlich an den Fingerkuppen emporzutanzen.

„Wer sind Sie wirklich?“, wollte Johann da wissen, und seine Stimme geriet nur mehr zu einem Flüstern.

Pelletier lächelte. Die Frage schien ihm Vergnügen zu bereiten. „Wen möchtest du vor dir sehen? Ich bin Hannibal Lecter und Forrest Gump. Dein fester Halt und dein bodenloser Abgrund. Höllenfürst und Himmelsbote. Ein nachtdunkler Clown mit den allerbesten Absichten. Der nette Onkel aus der Nachbarschaft. Derjenige, der dir Marshmallows spendiert, wenn du ein bisschen lieb zu ihm bist.“

Wieder grinste Pelletier: „Du magst doch Marshmallows?“

Plötzlich hatte er eine geöffnete Tüte in der Hand. Er verstreute den Inhalt auf dem Tisch und auf dem Foto. Ungläubig sah Johann auf die rosafarbenen Süßigkeiten. Marshmallows lagen auf seinem Marshmallow-Mädchen. Irgendwie brachte es der Typ anscheinend fertig, selbst seine geheimsten und seltsamsten Gedanken zu kennen.

„Wie biegsam und weich sie sind, und dann dieser wunderbar künstliche Erdbeergeruch. Der Geschmack unbeschwerter Kindheit“, erklärte Pelletier. Er warf ein Marshmallow in die Luft und schnappte es sich mit dem Mund. Johann zuckte panisch zurück. Für einen kurzen Augenblick meinte er, in diesem gierig zubeißenden Rachen unendlich lange und spitze Zähne gesehen zu haben. Dann war die Erscheinung vorbei. Und als er auf den Tisch schaute, war dieser leer. Keine Marshmallows waren zu sehen, aber auch kein Foto mehr.

„Sind Sie ein Mensch?“

Fast sofort bereute er seine Frage, denn ihre Antwort mochte Entsetzen bereithalten, und namenlose Furcht. Es kostete ihn schon jetzt seine ganze Willenskraft, Pelletier anzuschauen, ihm ruhig und gelassen ins Gesicht zu sehen. Die Meißelaugen, so schien es ihm, wollten gar nicht mehr aufhören, ihn zu fixieren. Dann endlich lachte Pelletier geringschätzig.

„Du wirst dich doch wohl nicht von diesen billigen Zaubertricks beeindrucken lassen. Du bist doch ein kluger junger Mann. Du glaubst an die Evolutionstheorie, an Albert Einstein und an dein iPhone.“

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, hob die brennenden Hände etwas höher und ließ sie ganz langsam und spielerisch über den Tisch kreisen. Johann sah auf ein widernatürliches Flammenballett, das wie im Takt zu Pelletiers nächsten Worten tanzte: „Aber ein Teil von dir weiß trotzdem, dass du gerade in eine ziemlich unheimliche Gruselgeschichte geschlittert bist. Nicht wahr? Aber freu dich, du bist ihre Hauptperson. Es warten wilde Abenteuer auf dich, heißer Sex, schreckliche Gefahren und bemerkenswerte Erfahrungen.“

Im nächsten Augenblick stand Pelletier hinter ihm. Wieder war die Bewegung so schnell, dass Johann sie nicht erfassen konnte. Dann lagen Pelletiers Fingerkuppen an seinen Schläfen, und sie waren heiß. Unerträglich heiß. Trotzdem konnte Johann seinen Kopf keinen Millimeter fortbewegen. Es war, als hätten ihn die feuerspeienden Finger aufgespießt. Zehn glühende Haken, die sich in seinem Hirn verankerten.

„Lass mich dir jetzt geben, was du brauchst, Johann“, hörte Johann Pelletier sagen und schrak heftig zusammen, denn Pelletiers Stimme schien direkt in seinem Kopf zu erklingen! Als wäre es tausendfach elektrisch verstärkt, wummerte das Saxophon seine Töne mitten hinein in Geist und Verstand. Nie zuvor hatte er sich so ausgeliefert gefühlt. Nackt und vollkommen machtlos kam er sich vor. Gleichzeitig aber zitterte er plötzlich vor Verlangen nach dem, was da kommen würde. Ja, er wollte um jeden Preis teilhaben an dieser übernatürlichen, überwältigenden Kraft.

Dann war in seinem Kopf nur noch diese Stimme und sie sprach: „Vier Dinge gebe ich dir. DA IST DIE ARROGANZ, denn du bist jetzt der König der Welt, der Herr über das Weib, das du begehrst. DA IST DIE VERACHTUNG, denn Jennifer Wagner ist eine Schlampe, die alles, was du ihr antust, verdient hat. DA IST DIE HÄRTE, denn ihr bettelnder Hündinnenblick soll dich von keiner Gemeinheit abhalten.“

Eine Pause entstand und Johann sank halb ohnmächtig auf dem Stuhl zusammen. Aber Pelletier war noch nicht fertig.

„Jetzt das Wichtigste, die GRAUSAMKEIT“, tönte es und im nächsten Augenblick glaubte Johann, dass sein Kopf zerspringen müsste von dem, was da scheppernd und dröhnend durch seinen Verstand rollte. Pelletier lachte! Eine Brandbomben-Explosion mitten in seinem Hirn. Dann erklang wieder die Stimme und es war fast eine Wohltat. Leise, fast flüsternd webte sie sich durch seinen Geist: „Wie dumm. Wie dumm von mir. Unterschätzt hab ich dich. Pervers und grausam bist du mehr als genug. Ein richtiger Künstler. Meine Hochachtung. Mein Kompliment.“

Dann endlich waren die Hände weg. Johann taumelte von Stuhl hoch. Nur weg von den Flammenfingern. Seine Beine trugen ihn ein paar Schritte in die Dunkelheit hinein. Dann fühlte er sich auch dafür zu schwach. Er blickte zurück auf Pelletier. Selbst der schien jetzt erschöpft. Schwer stützte er sich auf die Lehne des Stuhls, auf dem Johann eben noch gesessen hatte. Die Flammen an seinen Händen waren erloschen.

Aus den Augenwinkeln nahm Johann eine Bewegung ganz am Rande des Lichtkreises war. Mühsam und etwas schwankend drehte er sich um. Es war die Frau, die ihn in Empfang genommen hatte. Sie trug ein Tablett mit einem Glas Wasser zu ihm hin. Durstig trank er es leer. Als er es abstellte, fühlte sich sein Kopf schon wieder halbwegs klar an. Es blieb nur ein leichter pochender Schmerz, der sich allerdings steigerte, als plötzlich ein Deckenlicht das Dachgeschoss erhellte. Anscheinend gab es irgendwo eine Fernbedienung, die Pelletier oder seine Helferin bedient hatten. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und wandte sich wieder Pelletier zu.

„War der Schmerz mein Preis für unseren…“ – Er zögerte, suchte nach einem passenden Wort. „…für unseren Deal?“, fragte er.

Pelletier lächelte milde. Auch er schien sich jetzt langsam zu erholen. Er schüttelte den Kopf.

„So billig kommst du mir nicht davon. Zeit ist meine Währung. Ich verlange ein wenig Lebenszeit. Keine Angst, es sind einige Monate nur. Zahlbar, sobald mein Teil der Abmachung erfüllt ist.“

„Was heißt das – Lebenszeit?“

Pelletier schüttelte wieder den Kopf. „Der Preis bleibt mein Geheimnis. Auch das gehört zum ‚Deal‘, wie du es nennst.“

Johann nickte. Wenn er tatsächlich bekam, was er wollte, schien es ihm irgendwie fair. Außerdem fühlte er sich viel zu schwach, um gründlich darüber nachzudenken. Er sehnte sich nach seiner Wohnung, nach Ruhe – und nach Wärme. Die Nähe Pelletiers ließ ihn frösteln. So folgte er dankbar der Frau, die ihn aus dem Raum führte. Einmal aber noch drehte er sich um. Pelletier stand immer noch unbeweglich neben dem Stuhl. Aus der Entfernung wirkte sein Körper noch größer und hagerer.

„Wie geht es jetzt weiter?“, wollte Johann wissen.

Er war schon zu weit weg, um Pelletiers Gesichtsausdruck deutlich zu sehen, aber er glaubte dennoch, das dünne Lächeln zu erkennen, das eine nichtssagende Antwort ankündigte: „Glaubst du ernsthaft, dass ich dir den Verlauf unserer wunderbaren kleinen Geschichte verrate? Hältst du mich für so einen Spielverderber? Lass dich überraschen. Spiele deinen Part und spiele ihn gut, dann wirst du schon sehen.“

„Und was tun Sie in diesem Spiel?“

„Oh, ich schicke euch beiden zum Beispiel kleine Helferlein. Unsere herzigen Porzellan-Püppchen mit der beliebten Voodoo-Funktion. Du wirst sie lieben. Jeder liebt sie. Und so ganz nebenbei drehe ich an den Dingen, zupfe hier ein bisschen an der Wirklichkeit, schraube dort ein wenig am Kosmos und schon läuft es rund für uns. Für dich und für mich. Fühl dich also ab sofort vollkommen frei. Lass es ordentlich krachen, Johann.“

Er wandte sich um und ging in die andere Richtung davon. Seltsam, mit jedem Schritt schienen sich seine Konturen ein bisschen mehr aufzulösen. Johann kniff die Augen zusammen. Vielleicht hing dieser Effekt aber auch mit seinen Kopfschmerzen zusammen. Sie schienen auch sein Sehvermögen zu beeinträchtigen. Er drehte sich abrupt um und eilte der Frau hinterher. Eine Minute später hatte sie ihn zur Haustür gebracht und grußlos in die Nacht entlassen.

Zwei steinerne Gorillas sahen einen jungen Mann fortgehen, der sich – kurz bevor er hinter einer Straßenecke verschwand – noch einmal umblickte. Blass und angegriffen sah er aus. Dennoch brachte er ein verwegenes Grinsen zustande.


2. Kapitel

Wir machen Sklavinnen!

 

Es krachen lassen? Schon jetzt knirschte und dröhnte es gewaltig – und zwar in seinem Kopf. Er schmerzte höllisch und Johann konnte sich nur undeutlich daran erinnern, wie er zurück in seine Wohnung gelangt war. Er hatte die ganze Zeit das Gefühl, ein kürbisgroßes, pochendes Etwas auf seinen Schultern zu balancieren.

Als er die U-Bahn-Station verließ und auf die ansonsten schnurgerade Straße zu seinem Haus gelangte, bog sie sich in verwegenen Schlangenlinien vor seinen trüben Augen, und als er dann endlich im elften Stock vor der Wohnungstür stand, plagte ihn sekundenlang die wahnwitzige Furcht, dass der Kürbis-Schädel gar nicht durch die Wohnungstür passen würde. Dann, nachdem er die schrecklich komplizierte Aufgabe gemeistert hatte, den Schlüssel ins Schloss zu befördern, taumelte er durch den Flur in die Küche zum Kühlschrank. Brennender Durst hatte ihn die ganze Zeit fast ebenso stark wie die Kopfschmerzen gequält und er trank fast eine ganze Flasche Mineralwasser leer.

Nun zum Bett. Das Schlafzimmer schien kilometerweit entfernt und er war versucht, sich einfach hier in der Küche auf die Terrakotta-Fliesen gleiten zu lassen. Aber der Gedanke an die weiche Matratze und an eine Decke, die seinen zitternden Körper wärmen würde, war zu verlockend. Er taumelte los. Aus dem Kürbiskopf war jetzt ein pulsierendes, waberndes Ding geworden, das mit boshaftem Leben erfüllt schien. Eine Feuer-Qualle, die ihre langen Nesselfäden in blinder Agonie um sich selbst geschlungen hatte.

Dann stand er vor seinem Bett. Er wand sich aus der Jeans und stellte fest, dass er immer noch seine Lederjacke trug. Jetzt um Gottes willen keine ruckartiges Gezappel. Jede Regung, so schien es ihm, ließ die Nesselfäden um seinen Kopf erbeben und katapultierte Myriaden glühender Nesselpfeile in Richtung Hirn. Mit einem Minimum an Bewegung ließ er die Jacke von seinen Schultern gleiten. Er war ein Quallenwesen in einem Ozean aus Schmerz und ganz langsam ließ sich Johann, die Molluske, nun hinein- und hinabgleiten ins Weiche und Warme. Endlich lag er ausgestreckt auf seinem Bett. Mit kurzen, knappen Bewegungen zog er die Decke über den Körper. Ihn fröstelte.

Auf dem Nachttisch lag die Fernbedienung, mit der sich Licht, Rollläden und andere technische Funktionen in der Wohnung bedienen ließen. Ohne hinzuschauen tasteten seine Finger danach und fanden – was für ein Glück – sofort die Taste, um die indirekte Deckenbeleuchtung des Zimmers auszuschalten. Der Dimmer ließ die Leuchten allmählich erlöschen. Nur aus der halbgeöffneten Tür zum Flur drang noch schwacher Lichtschein. Die Lampen in der Küche brannten noch, aber das war ihm jetzt gleich. Er lag still, und wunderbarer Friede überkam ihn. Johann, das Quallenwesen, trieb immer tiefer nach unten in die friedliche Dunkelheit. Fort vom gleißenden Licht. Fort vom Schmerz.

Schmerz?

Oh, jetzt konnte er sogar schon wieder ein wenig grinsen. Ein Mollusken-Grinsen brachte er zustande, denn er dachte an sie und stellte sich vor, wie sich glühende Nesselfäden um ihren nackten Körper schlangen. Über den Mund, den betörenden und doch so gemeinen Mund. Über ihre kleinen Brüste, die sich einem so frech unter ihren T-Shirts entgegenreckten. Mit tiefroten, glühenden Spuren wollte er sie zeichnen, ebenso ihre prallen Hinterbacken. Dann würden die Nesselfäden zu ihrem köstlichen Schoß gleiten, ihn unendlich langsam Millimeter für Millimeter erkunden und mit brennendem Leben erfüllen.

Konnte es wirklich wahr sein, was Pelletier ihm versprochen hatte? Wieder brachte er ein grimmiges Lächeln zustande. Einer Person, deren bloße Hände solche Qualen verursachten, war alles zuzutrauen. Ja, bitte, Mr. Spinnenfinger, seien Sie ein Dämon, ein Schattenwesen aus der Hölle, ein düsterer, sechsfingriger Gott des Sado-Maso.

Johann wäre ein kluger junger Mann, hatte Pelletier gespottet. Einer, der an die Evolutionstheorie, an Albert Einstein und an sein iPhone glaubte. Aber das war nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere hatte mit seiner Großmutter zu tun. Mit ihr und mit ihren Geschichten. Sie war eine begnadete Erzählerin gewesen. Ihre Schauermärchen hatten ihn als Kind in heillose Furcht versetzt und doch hatte er nie genug davon bekommen. Gebettelt und gequengelt hatte er solange, bis sie seufzend einwilligte, ihm noch mehr gespenstische Legenden aus ihrer alten Heimat zu offenbaren.

Die Mutter seines Vaters stammte aus einem kleinen Küstendorf in Friesland. Mit Anfang zwanzig hatte sie den wohlhabenden Kaufmann Albert Gutenberg aus Hamburg geheiratet und war zu ihm gezogen, um ein Leben als brave Hausfrau zu führen. Sie schenkte ihrem Gatten zwei Söhne. Beide entwickelten sich prächtig und gingen höchst erfolgreich ihren Weg. Auch wenn der eine, Enno Gutenberg, zu ihrem Kummer kinderlos blieb, wurde sein Bruder Gerrit stolzer Vaters eines Jungen, den man Johann taufte. Nachdem Gerrit Gutenbergs Frau, eine Schauspielerin, die Familie schon früh verließ, kümmerte sich Johanns Großmutter um ihn. Sie war eine gütige, warmherzige Person. Johann hatte sie abgöttisch geliebt, aber ihre Geschichten handelten von Geisterschiffen und heimkehrenden Ertrunkenen, von todbringenden Flüchen und verbotenen Ritualen.

„Alles das ist gewiss passiert, Kindchen. Es ist so wahr, wie ich jetzt hier sitze“, hatte sie immer gesagt. Leise, fast flüsternd hatte sie ihre Geschichten begonnen, um dann mit kräftiger, seltsam rauer Stimme die gruseligsten Szenen zu schildern. Angstbebend hatte er zugehört und es zugleich unendlich genossen.

Die Erzählungen seiner Großmutter weckten in ihm schon früh das unbestimmte Gefühl, dass es Dinge geben mochte, die sich nicht mit Wissenschaft und rationalem Verstand erklären ließen. Dünnes Eis über tiefer See wäre das, was wir Wirklichkeit nannten, hatte seine Großmutter noch am Ende ihres Lebens, damals 79-jährig, immer wieder gesagt. Sie war noch vor den grauenhaften Ereignissen im Herbst vor fünf Jahren gestorben. Johann hoffte, dass sie ohne jede Vorahnung von dem, was passieren würde, gegangen war. Ein Teil von ihm befürchtete allerdings, dass es nicht so war, sondern dass sie durchaus dunkle Schatten des Kommenden gespürt hatte. Er erinnerte sich an tieftraurige Blicke aus ihren Augen.

Was den Glauben an das Übernatürliche betraf, war auch sein Vater, Gerrit Gutenberg, nicht frei davon gewesen. Der erfolgreiche Anwalt für Schifffahrtsrecht war in keine Verhandlung ohne seinen Glückbringer gegangen. Eine abgegriffene kleine kupferfarbene Münze, über die er Johann nichts hatte verraten mögen. „Dann wirkt sie nicht mehr“, hatte er dem kleinen, neugierigen Sohn verschwörerisch und augenzwinkernd zugeraunt. Er hatte sogar eine eigene kleine Tasche dafür in den Kaschmirstoff seiner Anwaltsroben nähen lassen. Einmal hatte Johann gesehen, wie er den Glücksbringer verstohlen zu seinen Lippen führte, bevor er sich im Gerichtssaal – es war im Seegerichtshof an der Elbchaussee gewesen – zu einer wichtigen Rede erhob. Natürlich war sie brillant ausgefallen und man war in dem schwierigen, fast aussichtslosen Fall zu einer überaus vorteilhaften Einigung für seinen Mandanten gekommen.

Versagt hatte der Glücksbringer augenscheinlich, als der wohlhabende und angesehene Anwalt Gerrit Gutenberg Jahre später zunächst drei Frauen zu Tode folterte und sich dann eine Kugel in den Kopf jagte, nicht ohne die Waffe vorher auch gegen seinen Sohn zu richten. Gerrit Gutenberg starb, Johann überlebte schwer verletzt.

Äußerlich waren nur zwei kleine Narben an Stirn und Hinterkopf geblieben. Sie waren jeweils so groß wie Ein-Cent-Münzen und bildeten Eintrittswunde und Austrittswunde der Kugel. Die Ärzte hatten ihm erklärt, dass sie in seinem Schädel eine Kreisbahn beschrieben hätte. Das Geschoss wäre zwischen Hirn und Schädelknochen entlanggeglitten und hätte deswegen wie durch ein Wunder keine schweren Verletzungen verursacht.

Immerhin, für einen schweren Sprachfehler und eine ausgeprägte Amnesie hatte es gereicht, dachte Johann. Die Kugel hatte ihm das Stottern beschert und fünf Jahre seines Lebens ausgelöscht. Kompletter Datenverlust für 1800 Tage.

Johann erinnerte sich noch an eine dreiwöchige Urlaubsreise nach Kanada im Spätsommer – an Pancakes mit zuckersüßem Ahornsirup, an eine Elchkuh mit Kalb am Straßenrand, an eine Studentenfete in Winnipeg mit heißen „Babes“ und dem ersten Joint seines Lebens. Danach der Heimflug. Ein paar seltsam diffuse Tage in Hamburg. Blasse, schemenhafte Erinnerungssplitter an eine sommerliche Geburtstagsfeier, von der er annahm, dass es seine eigene war. Dann nichts mehr…

…bis zum Aufwachen im Krankhaus – unfassbare fünf Jahre später. Vollgepumpt mit Schmerzmitteln und mindestens ebenso high wie auf der Party in Winnipeg. Eine junge Krankenschwester – blauer Kittel, große braune Kulleraugen – stand neben seinem Bett. Sie hantierte an der Infusionsflasche herum, die Unterlippe vor Konzentration fest zwischen die kleinen Zähne geklemmt. „Heißes Babe“, meldete Johanns umnebelter Verstand. Aber als sie merkte, dass er wach war, schaute sie ihn derart mitleidig an, dass er am liebsten sofort wieder ins künstliche Koma geglitten wäre.

Davon aber war er weit entfernt. In den nächsten Tagen war er froh, wenn er zwei, drei Stunden hintereinander Ruhe fand – trotz der schlafraubenden Gewissheit, dass die Kugel schwere Schäden in seinem Kopf angerichtet hatte, und trotz der Tatsache, dass sein Vater anscheinend ein Mensch von unvorstellbarer Grausamkeit gewesen war.

Was er über die Bluttat wusste? Nur das, was die Polizei ihm mitgeteilt hatte. Ihre Ermittlungen hatten eine andere Seite des ehrbaren Anwalts und liebevollen Vaters ans Licht gebracht. Es ging um extreme Formen von BDSM, um sexuelle Obsessionen, die weit jenseits des Alltäglichen lagen, um Ungeheuerliches, dass allenfalls in perversen Büchern und verbotenen Filmen beschrieben wurde.

In Gutenbergs Stadtappartement hatten die Polizisten ein SM-Studio entdeckt, dessen Ausstattung wohl selbst die hartgesottensten von ihnen schockiert hatte. Einer von ihnen hatte Johann gegenüber angedeutet, dass es auch Hinweise auf Satanismus und okkulte Rituale gegeben hätte. Mehr wollte er nicht preisgeben. Auch über die Identität der drei Opfer verlor er kein Wort. „Laufende Ermittlungen“, entschuldigte er sich.

Die Morde selbst waren nicht im Appartement, sondern in einer leerstehenden Lagerhalle in einem abgelegenen Teil des Hamburger Hafens passiert. Gerrit Gutenberg hatte seine Opfer so gefesselt, dass sie sich langsam und über Stunden hinweg selbst strangulierten. Die Inspiration dafür hatte er sich möglicherweise bei der sizilianischen Mafia geholt. Dort würde man diese Methode „Incaprettamento“ nennen, hatte Johann von einem der Polizisten erfahren. Das Opfer musste sich auf den Bauch legen. Nachdem Hände und Füße gefesselt waren, wurde ein Strick genommen, mit dem zunächst eine Schlinge um seinen Hals geknüpft wurde. Dann wurde der Strick mit den Füßen verbunden, und zwar so kurz, dass der Körper des Opfers in eine stark gebogene Position gezwungen wurde. Diese Haltung aber ließ sich nur mit hoher Muskelanspannung aufrechterhalten. Sobald die Kräfte des Opfers nachließen, zog sich die Schlinge um seinen Hals immer fester zu, bis es schließlich erstickte.

Gerrit Gutenberg hatte der Praktik allerdings noch eine eigene Note gegeben. Er hätte den Frauen fast unterarmdicke Dildos in Vagina oder Anus eingeführt, erklärte der Polizist. Spuren wiesen weiter darauf hin, dass Gutenberg den sterbenden Frauen die ganze Zeit über zugesehen hatte. Er hatte wohl sogar die Schlingen um ihre Hälse hin und wieder ein bisschen gelockert, um ihre Qualen zu verlängern und ihren Tod weiter hinauszuzögern.

Obwohl Johann damals unter starken Schmerzmitteln gestanden hatte, hatte selbst er das Entsetzen der beiden Polizisten gespürt, als sie ihn im Krankenhaus das erste Mal befragten. Einer, anscheinend der abgebrühtere von beiden, hatte ihm Tatort-Fotos vorgelegt. Der andere nahm sie in einem Akt der Barmherzigkeit sofort wieder beiseite. Johann hatte trotzdem genug gesehen. Schwarz angelaufene Gesichter, aufgerissene, nach Luft gierende Münder und Augen, die noch im Tod voller Entsetzen blickten. Die Stricke um ihre Hälse hatten sich so tief in Haut und Fleisch eingegraben, dass sie nicht mehr zu sehen waren.